Aus dem Hörbuch von Jürgen Jung

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Textauszug zur Gaza-Problematik
aus dem Hörbuch von Jürgen Jung:
„Söldner gegen die Zukunft“
Hörbild zum Zionismus
[Anmerkung des Autors:
Da es sich um den Text aus einem Hörbuch handelt, finden sich hier keine
Anmerkungen und Quellenangaben. Der Leser darf versichert sein, dass all das hier
Zusammengestellte sorgfältig recherchiert und zitiert wurde.]
Der 1994 verstorbene Naturwissenschaftler und Religionsphilosoph Yeshayahu
Leibowitz - der israelische Staatspräsident Ezer Weizman nannte ihn „eine der
größten Gestalten im Leben des jüdischen Volkes und des Staates Israel in den
letzten Generationen.“
Leibowitz fasste die israelische Politik gegenüber den Arabern im November 1973
folgendermaßen zusammen. Seit der Staatsgründung...
“Seit 25 Jahren haben wir uns nicht um Frieden bemüht – alle dahingehenden
Erklärungen waren nie mehr als blumige Behauptungen oder bewusste Lügen.... Es
muss .... betont werden, dass wir nicht nur keine Versuche unternommen haben,
Frieden zu erreichen, sondern bewusst und vorsätzlich jede Möglichkeit dazu
sabotiert haben.... Die Richtschnur unserer Politik war immer die Vorstellung, dass
eine permanente Situation des Nicht-Friedens und ein latenter Krieg für uns das
Beste ist, und dass dies unter allen Umständen so bleiben muß.... Wir werden Jahr
für Jahr stärker in dieser Situation des drohenden Krieges, in der es immer möglich
ist, dass von Zeit zu Zeit Kämpfe ausbrechen.
Solche Kriege werden normalerweise kurz sein und das Ergebnis wird von
vornherein feststehen, da die Lücke zwischen uns und den Arabern sich ständig
vergrößert. Auf diese Weise schreiten wir voran von Besetzung zu Besetzung ...
Diese kriminelle und bösartige Politik hat uns in die Krise geführt, in der wir jetzt
stecken.“
Yeshayahu Leibowitz - 1973!
20 Jahre später sagte er – in einem Spiegel-Interview -, dass die Gewalt das
Bewußtsein und die Gesellschaft Israels korrumpiere. Insofern seien Israels
demokratische Fundamente in Gefahr:
(Seit unserem Sieg im Sechstagekrieg 1967) –
- den er an anderer Stelle als historische Katastrophe für Israel bezeichnet hatte –
Seit 1967 halten wir Millionen Palästinenser in unserer Gewalt, denen alle
bürgerlichen und politischen Rechte geraubt worden sind. Ist das Demokratie? Dann
war Südafrika in der Vergangenheit auch eine Demokratie - schließlich gab es für die
fünf Millionen Weißen dort freie Wahlen.“
Zur in Israel gängigen Infragestellung der Palästinenser als Volk meinte er:
„Der Slogan: Es gibt kein palästinensisches Volk, - so etwa die israelische
Ministerpräsidentin Golda Meir - „...dieser Slogan bedeutet Völkermord! Nicht im
Sinne einer physischen Vernichtung des palästinensischen Volkes, sondern im Sinne
der Vernichtung einer nationalen oder politischen Einheit.“
Im übrigen:
“Israel ist kein Staat, der eine Armee unterhält, es ist eine Armee, die einen Staat
besitzt.“
Das Kernproblem formulierte er in einer Auseinandersetzung mit Ben-Gurion so:
“Ben-Gurion war sehr zornig auf mich, als ich ihm erklärte, seine Betonung der
Staatlichkeit werde zwangsläufig zum Faschismus ausarten...Er verstand nicht, dass
man auf einen Hitler, wenigstens aber auf einen Mussolini zusteuert, wenn man den
Staat zum höchsten Wert erklärt.“
Soweit Yeshayahu Leibowitz.
Schon 1961 hatte Martin Buber in einem Aufsatz für die hebräische Zeitschrift Ner
(= die Kerze) gleich mehrere zionistisch-israelische Mythen radikal in Frage gestellt:
„Nur eine innere Revolution kann die Kraft haben, unser Volk von seiner
mörderischen Krankheit grundlosen Hasses zu heilen....Dann erst werden die Alten
wie die Jungen in unserem Land erkennen, wie groß ihre Verantwortung für das
Elend der arabischen Flüchtlinge ist, in deren Städten wir Juden angesiedelt haben,
die von weit her gebracht wurden; deren Häuser wir geerbt haben, auf deren Feldern
wir jetzt säen und ernten; deren Früchte aus Gärten und von Weinbergen wir
einsammeln; und in deren Städten, die wir geraubt haben, wir Häuser der Erziehung,
wohltätiger Einrichtungen und des Gebets errichten, während wir herumfaseln, dass
wir „das Volk des Buches“ und „das Licht für die Völker“ seien.“
ERICH FRIED: DAS BITTERE
Du willst mich nicht hören
denn du willst dir nicht rauben lassen
das von dem ich dir sage
es ist ein Unrecht.
Glaubst du ich sage es leichthin
und ohne Zögern?
Glaubst du es macht mir Spaß
gegen Menschen zu sprechen
von denen viele nur
durch Verfolgung und durch Verzweiflung
auf den Irrweg getrieben wurden
auf dem sie verrannt sind?
Glaubst du es ist sehr leicht
zu rufen in alle vier Winde
daß einige meiner Verwandten
die der SS entgingen
das Tun ihrer Mörder
zu ihrem Vorbild nahmen?
Ich sage das fast so ungern
wie du es hörst
Die Frühgeschichte des israelischen Staates wurde hier [im Hörbuch!]
einigermaßen ausführlich thematisiert, weil die damals auf der Basis einer
exklusionistischen und expansiven Ideologie vorgenommenen Entscheidungen und
Festlegungen nach wie vor die Politik des Landes dominieren.
Diese These soll im Folgenden vor allem am Beispiel des Gaza-Massakers von
2008/2009 und des 2010 erfolgten Piratenaktes gegen die „Free Gaza“-Flotte
plausibel gemacht werden.
Der gängige Diskurs über den sog. Gaza-„Krieg“ besagt, er sei in Folge des
Raketenbeschusses der Hamas unvermeidlich gewesen und außerdem habe diese
ihn ja durch die Aufkündigung des Waffenstillstandes, der am 19. Juni 2008 in Kraft
getreten war, selbst provoziert.
Die Bundesregierung richtete an die Hamas die Aufforderung, den Beschuss von
israelischen Siedlungen mit Raketen «sofort und dauerhaft» einzustellen. Zugleich
äußerte sie sich davon überzeugt, dass Israel alles unternehme, um bei seinen
Luftangriffen auf den Gazastreifen zivile Opfer zu vermeiden.
Diese Überzeugung teilte die Bundesregierung offensichtlich mit Ehud Barak, dem
israelischen Verteidigungsminister, der nicht müde wird zu betonen, dass die
israelische Armee „die moralischste Armee der Welt“ ist.“
dass sie „chirurgisch“ operiere,
dass die Zerstörung Gazas selbstverständlich „auf humane Weise“ vor sich gehe.
Resultat dieses humanen Vorgehens:
Gaza war ein Trümmerhaufen, als wäre es einem schweren Erdbeben zum Opfer
gefallen.
Aber das Ziel der Bombardierungen war, so heißt es, ausschließlich die
Terrorgruppe der Hamas, deren Raketenbeschuß ein für alle mal unterbunden
werden müsse.
Kein Staat auf der Welt kann sich sowas schließlich bieten lassen.
Die Ausschaltung des militärischen Potentials der HAMAS also – so geht diese Logik
- sei eine Voraussetzung für den Frieden in der Region. Alle anderen Behauptungen,
wie die, dass die HAMAS bewusst Zivilisten als menschlichen Schild benutze, dass
sie den Tod von Zivilisten bewusst einkalkuliere, erscheinen dann ganz logisch als
Konsequenz ihrer Friedensunwilligkeit und fanatischen Militanz.
Dabei wird systematisch Israels Anteil an dem Konflikt ausgeblendet:
Dazu unmittelbar nach dem Krieg die Politikwissenschaftlerin Ivesa Lübben:
Der Raketenbeschuss israelischer Siedlungen hat strukturelle Gründe. Er ist das
Ergebnis der über 40 Jahre währenden Besatzung und der fortgesetzten Blockade
des Gazastreifens und nicht das Resultat der politischen Option einzelner Gruppen.
Das bedeutet aber auch, dass sich eine Befriedung Südisraels nicht durch die
Ausschaltung der HAMAS lösen lässt, sondern nur durch die Behebung der
strukturellen Ursachen, die der Gewalt zugrunde liegen. Auch ohne HAMAS wird sich
der Widerstand immer wieder neu formieren. Es ist im Gegenteil zu befürchten, dass
eine Nicht-Behebung der strukturellen Krise zu immer radikaleren Formen des
Widerstandes..... führen wird.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass zwei Drittel der Menschen im
Gazastreifen Flüchtlinge aus dem heutigen Südisrael sind, die seit ihrer Vertreibung
1947/48 - von der Weltöffentlichkeit vergessen - in einer “closed zone”, einer
„geschlossenen Zone“ leben. Ivesa Lübben:
Ohne positive Lebensperspektiven und die Wiederherstellung von Gerechtigkeit für
die Menschen in Gaza wird das historisch an ihnen begangene Unrecht der
Vertreibung - gerade wegen der großen Nähe zu ihrer ehemaligen Heimat - ständig
im kollektiven Gedächtnis reproduziert werden und neuen Hass und neue
Gewaltbereitschaft hervorrufen.
Rückblende:
25. 1. 2006:
Die Hamas gewinnt - gegen alle Vorhersagen – in den besetzten Gebieten die
absolute Mehrheit bei den Wahlen zum palästinensischen Parlament.
Israel, USA und EU erkennen das Ergebnis der Wahl nicht an – die Hamas sei
schließlich eine Terrororganisation!
Demokratie schon, ja, ja, aber nur solange die richtigen Leute gewählt werden.
Diese Politik der gespaltenen Zunge dürfte der Idee der Demokratie im Nahen Osten
nicht gerade förderlich sein.
Der große alte Mann der israelischen Friedensbewegung, Uri Avnery, mittlerweile
88 Jahre alt, u. a. Träger des Alternativen Friedensnobelpreises und des Aachener
Friedenspreises, stellt die gebetsmühlenartig von der Hamas verlangte
Anerkennung Israels grundsätzlich in Frage. In einem Beitrag vom 1. März 2008 –
also lange vor Ausbruch des Krieges, schrieb er:
Die Sache mit der Anerkennung ist Unsinn, ein Vorwand, um Gespräche zu
vermeiden. Wir brauchen von niemandem „anerkannt“ zu werden. Als die USA
Verhandlungen mit Vietnam begannen, forderten sie auch nicht, als
angelsächsischer, christlicher... Staat anerkannt zu werden. Wenn A mit B einen
Vertrag unterschreibt, heißt das, A erkennt B an. Alles andere ist Firlefanz
Die Charta der Hamas erinnert an die damalige Charta der PLO. Ein ziemlich
unwichtiges Dokument, das von unseren Repräsentanten jahrelang dazu benützt
wurde, Gespräche mit der PLO zu verweigern. Himmel und Erde wurden bewegt, um
die PLO dazu zu bringen, die Charta zu annullieren. Wer erinnert sich heute noch
daran? Wichtig sind die Taten von heute und morgen, nicht Papiere von gestern.
Hegt Uri Avnery etwa Sympathien für die sog. „radikal-islamische“ Hamas?
Überhaupt nicht. Ich bin ein säkularer Mensch. Ich bin gegen jede Ideologie, die
Politik und Religion vermengt – sei sie jüdisch, islamisch oder christlich, in der
arabischen Welt wie in Amerika.
Das hat mich aber nicht gehindert, mit Hamas-Leuten zu sprechen, wie ich auch mit
anderen Leuten gesprochen habe, mit deren Meinung ich nicht übereinstimme. Es
hat mich nicht gehindert, in ihrem Hause zu Gast zu sein, Meinungen
auszutauschen, zu versuchen, sie zu verstehen.
Im übrigen weist Avnery darauf hin, daß Israel erheblich zur Entstehung der Hamas
beigetragen hat.
In den ersten zwanzig Jahren der Besatzung sah die israelische Regierung in der
PLO ihren Hauptfeind. Deshalb unterstützte sie palästinensische Organisationen, die
die PLO unterminieren konnten....
Sie glaubte, die Gründung einer islamischen Körperschaft würde die säkulare PLO
schwächen... Die Ironie des Schicksals bringt es mit sich, dass die israelische
Führung jetzt die PLO unterstützt, um Hamas zu untergraben. Es gibt wohl kein
deutlicheres Zeichen für die Dummheit unserer „Fachmänner“ in allen arabischen
Angelegenheiten, eine Dummheit, die ihren Ursprung hat in Überheblichkeit und
Verachtung....
Der Grund für den Wahlsieg der Hamas 2006 war – so Uri Avnery:
die wachsende Überzeugung bei den Palästinensern, dass sie auf gewaltlosem
Wege bei den Israelis nie etwas erreichen würden.... Außerdem: Die Korruption, die
sich in den Führungskreisen der Fatah breit gemacht hatte, erreichte Dimensionen,
die die Mehrheit der Palästinenser empörte.... Hamas dagegen galt als sauber, ihre
Führer wurden als nicht korrupt eingeschätzt.“
Um den Wahlsieg der Islamisten zu verhindern, hätte eine israelische Regierung, die
wirklich am Frieden interessiert ist “...der Fatah-Führung weitreichende
Konzessionen machen müssen: Ende der Besatzung, Unterzeichnung eines
Friedensvertrages, die Gründung eines palästinensischen Staates, Rückzug hinter
die Grenzen von 1967, eine vernünftige Lösung des Flüchtlingsproblems, Entlassung
der Gefangenen. Das hätte der Hamas sicher Einhalt geboten.
Aber.... Abbas wurde nicht die geringste politische Errungenschaft zugestanden. Die
Verhandlungen wurden – unter amerikanischer Schirmherrschaft – zum Witz... und
Hamas errang einen überwältigenden Sieg bei den palästinensischen Wahlen – den
demokratischsten Wahlen, die je in der arabischen Welt abgehalten worden waren.“
Uri Avnery sieht als Konsequenz der Gaza-Invasion:
ag für Tag, Nacht für Nacht sendet der arabische Aljazeera-Kanal die
grauenhaftesten Bilder: Berge von verstümmelten Leichen, weinende Verwandte, die
unter den Dutzenden von Leichen, die neben einander liegen, nach ihren Lieben
suchen. Eine Frau zieht unter den Trümmern ihre junge Tochter hervor, Ärzte
versuchen, ohne Medikamente das Leben der Verletzten zu retten...Millionen sehen
diese schrecklichen Bilder.....Tag für Tag. Diese Bilder werden sich ihnen auf immer
ins Gedächtnis einbrennen: schreckliches Israel, abscheuliches Israel,
unmenschliches Israel. Eine ganze Generation von Hassenden wird heranwachsen.
Das ist der schreckliche Preis, den wir werden zahlen müssen, wenn längst alle
anderen Folgen des Krieges in Israel vergessen sind.
Erich Fried: Das Bittere
Glaubst du es läßt mich kalt
einen Brief zu bekommen
von einer alten Mutter
deren drei Söhne
in Auschwitz vergast worden sind
und die mich fragt
wie könne ich sprechen
gegen meine eigenen Leute
da schon soviel vergossen wurde
von unserem Blut?
Zwar weiß ich daß ich nicht wirklich
gegen die Juden spreche
sondern nur gegen den Irrweg
jener Juden
die glauben auf Verbrechen
gegen die Palästinenser
läßt sich ein Land
und eine Zukunft bauen
Zwar weiß ich daß ich versuche
die Juden in Israel und
ihre Kinder retten zu helfen
indem ich beizeiten
Klage erhebe
gegen jene Verbrechen
begangen in ihrem Namen
die sonst ihr Untergang werden
Doch vor dem Brief
der Frau mit den toten Söhnen
ist es kein Trost
daß ich es besser weiß
Nach dem Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 versuchten Israel und die USA, ihr
das Regieren - u. a. durch einen Finanzboykott - unmöglich zu machen, indem etwa
Israel die Gelder, die der Autonomiebehörde aus den Zolleinnahmen zustehen, nicht
mehr überwies und USA und EU, die größten internationalen Geldgeber, ihre
Zahlungen einstellten.
Die abgewählte Fatah des Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde
Mahmud Abbas dagegen wurde von Israel und den USA mit Geld und Waffen
ausgestattet und zu einem Putsch gegen die Hamas ermuntert.
Es war also mitnichten die Hamas, die – wie es in unseren Medien immer heißt –
durch einen Putsch im Gazastreifen die Macht an sich riss, sondern sie kam dem
geplanten und schon vorbereiteten Militärschlag der abgewählten Fatah zuvor und
übernahm die ihr durch die gewonnene Wahl zustehende Regierungsgewalt.
Daraufhin verschärfte Israel die seit Juni 2006 – also bereits ein Jahr vor der
Machtübernahme der HAMAS in Gaza – verhängte Blockade, und die
Staatengemeinschaft stellte alle Kontakte und Überweisungen ein.
Seither leben die Menschen dort unter einem unvorstellbaren israelischen
Staatsterror:
Schutzlos in einem riesigen Freiluftgefängnis eingesperrt, aus dem es kein Entrinnen
gibt, gänzlich abhängig von der hochgerüsteten Militärmacht Israel, die Wasser,
Elektrizität, Lebensmittel, Medikamente nach Belieben in dieses Ghetto „Gaza“
hineinlässt oder auch nicht.
Darüber hinaus hat Israel ein Drittel der frei gewählten palästinensischen
Parlamentsabgeordneten der Hamas verhaftet, wenn nicht ermordet.
Dazu muß man wissen, dass ohnehin - sage und schreibe – an die 10 000
Palästinenser, zu einem erheblichen Teil ohne Prozeß, in israelischen Gefängnissen
und Lagern sitzen.
Die Menschenrechtsverletzungen, für die die ganze Welt die USA empört angeklagt
hat – Stichwort Guantanamo und Abu Ghraib –, praktiziert Israel schon seit
Jahrzehnten – straflos.
Der ehemalige amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter
bezeichnete diese vom Westen unterstützte Politik als ein schweres Verbrechen am
palästinensischen Volk.
Ist es angesichts all dessen verwunderlich, daß Hamas Raketen nach Israel
hineinschießt?
Die Hamas-Führer von Gaza machten geltend - so Jimmy Carter: „dass die Raketen
nur eine Methode seien, um auf ihr Eingesperrtsein zu reagieren und auf die
humanitäre Not aufmerksam zu machen.“
Haben die Palästinenser nicht jedes – übrigens auch völkerrechtlich legitimierte Recht auf Widerstand?
Im Juni 2008 kommt auf Vermittlung von Jimmy Carter - der selbstverständlich auch
die „verfemte“ Hamas in seine Gespräche einbezog - ein halbjähriger
Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas zustande.
Obwohl die Hamas nachweisbar alles tut, um ihn aufrecht zu erhalten - sogar
Mitglieder der anderen, etwa 10 Widerstandsgruppen, die noch vereinzelt Raketen
auf Israel schießen, festnimmt und ins Gefängnis wirft -, weigert sich Israel, die
Blockade des Gazastreifens, wie vereinbart, aufzuheben.
Darüber hinaus kommt es fast täglich zu israelischen Übergriffen:
Beschuss von Fischern unter Verletzung der palästinensischen Hoheitsgewässer,
Beschuss von Bauern und Schäfern, deren Felder und Häuser hinter dem Grenzzaun
liegen,
Verletzung des Luftraums,
Militärpatrouillen, die in den Gazastreifen eindringen.
Und dennoch hält die Hamas den Waffenstillstand weiter ein. Von Juni bis zum 5.
November, also annähernd 5 Monate lang, wird so gut wie keine Rakete mehr
abgeschossen – was übrigens zunächst sogar auf der Website des israelischen
Verteidigungsministeriums dokumentiert wird.
Der Raketenbeschuss Israels ließ sich also sehr wohl ohne einen Krieg abstellen.
Am 4. November aber - in der Nacht, in der die Aufmerksamkeit der Welt auf die
amerikanische Präsidentenwahl gerichtet war – kommt es zu einem größeren
israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen während der Waffenruhe, unter dem
Vorwand, man habe einen Tunnel entdeckt, der zerstört werden müsse.
Dreizehn Palästinenser werden bei den darauf folgenden Gefechten getötet.
Daraufhin erst – das betont auch Jimmy Carter in einem Beitrag für die Washington
Post vom 8. Januar 2009 mit dem bezeichnenden Titel „An Unnecessary War“ ( Ein
unnötiger Krieg ) – daraufhin erst nimmt auch die Hamas den Raketenbeschuß
wieder auf.
Bleibt festzuhalten: Es war eindeutig und nachweislich Israel, das den
Waffenstillstand gebrochen hat.
Aber unsere Medien wiederholen stereotyp die israelische Behauptung, es sei die
Hamas, die den Waffenstillstand gebrochen habe.
Dennoch war sie bereit - wie wir durch Carter wissen –, mit Israel über eine
Verlängerung des Waffenstillstands zu verhandeln.
Carter macht ganz unzweideutig klar, daß der Hauptgrund für die NichtVerlängerung des Waffenstillstands Israels Weigerung war, die Blockade des
Gazastreifens aufzuheben, also endlich wieder die normale Versorgung der
ausgehungerten Bevölkerung zuzulassen. Sein Fazit: „Ich weiß aufgrund meiner
persönlichen Beteiligung, dass die verheerende Invasion von Gaza durch Israel leicht
hätte vermieden werden können.“
Am 26. Dezember 2008 stellt die israelische Regierung der Hamas ein 48-stündiges
Ultimatum, aber schon am folgenden Tag beginnt die groß-flächige Bombardierung.
D.h.: man hat der Hamas und der Bevölkerung des Gazastreifens eine Falle gestellt,
was auch die vielen Toten der ersten Angriffswelle erklärt.
Ein zentraler Vorwurf Israels an die Adresse der Hamas lautet, dass die
„fundamentalistischen Chaoten“, nachdem Ariel Sharon im Jahr 2005 - friedenswillig
und großzügig! - die israelischen Siedlungen in Gaza aufgegeben hatte, den Streifen
– statt ihn in einen blühenden Landstrich zu verwandeln - zu einer Abschussrampe
für Raketenangriffe auf die israelische Zivilbevölkerung gemacht habe.
Dazu Henry Siegman, früherer Direktor des American Jewish Congress, eine der
einflussreichen jüdischen Stimmen in den USA, gegenwärtig Gast-Professor an der
Universität von London und Leiter des US Middle East Project in New York:
„(Dieser) Vorwurf ist eine doppelte Lüge. Erstens hat die Hamas …in Gaza für
Gesetz und Ordnung gesorgt in einem Maße, das in den vorange-gangenen Jahren
unbekannt war...Nicht-praktizierende Muslime, Christen und andere Minderheiten
hatten mehr religiöse Freiheit unter der Hamas-Regierung, als sie beispielsweise in
Saudi-Arabien oder unter vielen anderen mit uns verbündeten arabischen
Regierungen haben.
Die zweite und größere Lüge: Sharons Rückzug aus Gaza sei gedacht gewesen als
erster Schritt zu weiteren Rückzügen und zu einem Friedensvertrag.“
Siegman zitiert hier Dov Weisglass, wichtigster Berater des damaligen israelischen
Ministerpräsidenten Ariel Sharon und zugleich sein Chef-Unterhändler für
Vereinbarungen mit den Amerikanern, der sich (über den Rückzug aus Gaza) in
einem Interview mit Ha’aretz schon im August 2004 folgendermaßen äußerte:
“Mit den Amerikanern habe ich mich klipp und klar darauf geeinigt, dass über die
größeren Siedlungsblöcke der Westbank überhaupt nicht verhandelt wird … Die
Bedeutung (dieser Vereinbarung) besteht im Einfrieren des politischen Prozesses.
Und solange er eingefroren ist, kommt es nicht zur Bildung eines palästinensischen
Staates und auch nicht zu einer Diskussion über die Flüchtlinge, die Grenzen und
Jerusalem. Kurz, das ganze Paket namens Palästinensischer Staat - mit allem was
dazugehört - ist für unbegrenzte Zeit von der Tagesordnung. Und dies mit der
Absegnung durch… beide Häuser des (amerikanischen) Kongresses.“
Daran knüpft Henry Siegman die Frage:
„Glauben die Israelis und die Amerikaner, dass die Palästinenser keine israelischen
Zeitungen lesen?..... Es ist zu einfach, Hamas lediglich als eine „TerrorOrganisation“ zu beschreiben.... Zwar fordert die offizielle Ideologie der Hamas, den
palästinensischen Staat auf den Ruinen des Staates Israel zu errichten. Dies ist für
die tagtägliche Politik von Hamas jedoch ebenso wenig maßgebend, wie es die
gleichlautende Erklärung in der PLO-Charta für die tatsächliche Politik der Fatah
(unter Yassir Arafat) war.“
Die Charta hat übrigens auch Itzhak Rabin nicht daran gehindert, mit Arafat in
Verhandlungen einzutreten.
Die Siegman’schen Schlussfolgerungen sind nicht etwa die eines HamasApologeten. Auch Ephraim Halevy, der frühere Mossad-Chef und nationale
Sicherheitsberater von Ariel Sharon, schrieb in Yedioth Ahronoth, die HamasFührung habe sich „direkt vor unseren Augen“ verwandelt. Sie hat zur Kenntnis
nehmen müssen,...dass ihr ideologisches Ziel unerreichbar ist und für alle absehbare
Zukunft bleiben wird. Sie ist nun bereit und willens, einen palästinensischen Staat in
den … Grenzen von 1967 zu akzeptieren…..“
In einem früheren Artikel hatte Halevy dargelegt, dass es absurd sei, Hamas mit alQaida in Verbindung zu bringen, daß Israel also nicht nur für seine eigene
Verteidigung sorge, sondern zugleich Teil nehme am Kampf der westlichen
Demokratien gegen den Terrorismus. Halevy: „In den Augen von al-Qaida sind die
Hamas-Mitglieder Häretiker, Abtrünnige, seit sie (zumindest indirekt) an
Verständigungs- oder Vereinbarungs-Verhandlungen mit Israel beteiligt zu werden
wünschen.“
Halevy bezieht sich u. a. auf eine Erklärung von Khaled Mashal, dem Chef des
Politbüros von Hamas, der im März 2008 in einem Interview feststellte: „Die meisten
palästinensischen Kräfte, auch Hamas, akzeptieren einen Staat Israel in den
Grenzen von 1967… Auch die arabischen Länder stimmen zu; dies ist eine
einmalige historische Situation.....“
Eine Chance, die Israel und die USA aber ungenutzt verstreichen ließen.
Palästina
Ein Gedicht von Gerhard Schönberner:
Der Publizist und Schriftsteller Gerhard Schoenberner ist u. a. Gründungsdirektor der
Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin.
Palästina
Wenn du in mein Haus trittst
dich ungebeten hinsetzt
und mir freundlich erklärst
ab heute wohntest du hier
und ich müsste gehen
ist das völlig in Ordnung
Wenn ich laut werde
und mich zur Wehr setze
wenn ich mich weigere
mein Feld herzugeben
mache ich mich
der Aggression schuldig
das ist eindeutig.
Wenn ich im Gefängnis sitze
und du in meinem Haus.
wirst du den Vorübergehenden
die nach mir fragen, erklären:
Ich musste mich verteidigen
er ist ein Gewalttäter
So ist das.
Beide Parteien, sagt man uns
hätten Fehler gemacht
und müssten jetzt
Frieden schließen
Ein Kompromiss wäre:
Ich werde entlassen
Dafür verzichte ich
auf meine Felder
Das wäre ein Zeichen
von Einsicht und gutem Willen
auf beiden Seiten
Er bleibt in meinem Haus
Ich erhalte eine Kammer
und werde sein Diener
Eine gerechte Lösung
von salomonischer Weisheit
Das lässt sich nicht leugnen
Die Frage bleibt natürlich, warum?
Warum hat Israel den Gaza-Krieg begonnen, wenn er – wie Jimmy Carter meinte doch so leicht vermeidbar gewesen wäre?
Eine weiter ausholende Antwort auf die Frage nach den Kriegszielen gibt der
amerikanische Politologe Norman Finkelstein in einem Aufsatz vom 19. Januar
2009: „Ausschlaggebend für den jüngsten israelischen Angriff auf Gaza (ist)
zum einen, den Glauben an Israels Abschreckungsfähigkeit wiederherzustellen; zum
andern, die Drohung einer neuen palästinensischen Friedensoffensive
abzuwehren,...die Drohung einer neuen palästinensischen Friedensoffensive
abzuwehren.“
Die Abschreckungsfähigkeit zu erhalten, hat immer eine vorrangige Rolle in der
israelischen Strategie-Doktrin gespielt. In diesem Sinne warnte schon 1967 kurz vor
dem 6-Tage-Krieg ein gewisser Ariel Sharon, damals Divisions-Kommandeur, jene
Mitglieder des israelischen Kabinetts, die zögerten, einen Erstschlag gutzuheißen:
„Israel ist im Begriff, seine Abschreckungsfähigkeit zu verlieren – unsere wichtigste
Waffe – die Furcht vor uns.“
Also brach Israel den Krieg von 1967 vom Zaun - so der israelische StrategieAnalytiker Zeev Maoz im Jahr 2006 - „um die Glaubwürdigkeit der israelischen
Abschreckung wiederherzustellen.“
Die Vertreibung der israelischen Armee aus dem Libanon durch die Hisbollah im Mai
2000, nach 18 Jahren Besatzung, stellte Israels Abschreckungskraft aufs Neue in
Frage.
Norman Finkelstein:
„ Die Tatsache, dass Israel eine demütigende Niederlage erlitten hatte, die in der
gesamten arabischen Welt gefeiert wurde, machte einen weiteren Krieg so gut wie
unausweichlich. Israel bereitete sich sogleich auf einen neuen Waffengang vor. Im
Sommer 2006 fand es den Vorwand dafür. Hisbollah hatte zwei israelische Soldaten
gefangen genommen (einige weitere waren in dem Gefecht getötet worden) und
verlangte zum Austausch die Freilassung von libanesischen Gefangenen in
israelischer Hand. Obgleich Israel die Furie seiner Luftwaffe losließ und seine
Bodentruppen in Marsch setzte, erlitt es abermals eine schmähliche Niederlage....
Daraufhin sank der Glaube an die Fähigkeit Israels, Terror auszuüben, weiter ab.
Höchste Zeit, ein nicht verteidigungsfähiges Zielobjekt zum Vernichten zu finden. So
kommt Gaza, Israels Lieblings-Schießbude, ins Visier. Dort hatte die islamische
Bewegung Hamas, schwach bewaffnet wie sie war, dem Diktat Israels getrotzt und (
es ) im Juni 2008 sogar gezwungen, einem Waffenstillstand zuzustimmen.
Während des Libanon-Kriegs 2006 hatte Israel einen südlichen Vorort von Beirut,
Dahiya, wo die Hisbollah großen Rückhalt in der Bevölkerung hatte, dem Erdboden
gleichgemacht. In der Folgezeit sprachen israelische Offiziere von der „DahiyaStrategie“:
Ein Oberst der Reserve am Israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien
erläuterte: „Im Fall von Feindseligkeiten muß Israel sofort, entscheidend und mit
einer Kampfkraft außerhalb jeder Proportion reagieren… Eine solche Antwort zielt
darauf ab, Schaden zu verursachen und Strafe auszuteilen in einem Ausmaß, das
einen lang andauernden und kostspieligen Wiederaufbau erfordert.“
Gaza sollte das erste Ziel für diese Blitzkrieg-und Blutbad-Strategie sein.
Während Israel auf Schulen, Moscheen, Krankenhäuser, Krankenwagen und UNSchutzgebäude schoß, während es Gazas wehrlose Zivilbevölkerung abschlachtete
und verbrannte, schrieben israelische Kommentatoren, etwa in Ha’aretz, „dass
Gaza sich zum Libanon verhält wie ein zweiter Examenstermin zum ersten – eine
zweite Chance, es richtig zu machen....Israel hat seine Abschreckungskraft
wiedergewonnen, weil der Krieg in Gaza die Mängel des zweiten Libanonkriegs
ausgebügelt hat. … Kein einziger Araber kann nun noch behaupten, dass Israel
schwach sei“
Über die Wiederherstellung des israelischen Abschreckungspotentials hinaus war
das zweite ausschlaggebende Motiv für den Gaza-Krieg - so Norman Finkelstein die Abwehr der drohenden palästinensischen Friedens- bzw.
Verhandlungsbereitschaft . Er schreibt:
„Während der letzten drei Dekaden hatte die internationale Gemeinschaft immer
wieder für eine Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf der Basis
von zwei Staaten, einem vollständigen Rückzug der israelischen Truppen auf die
Grenzen von 1967 und einer „gerechten Lösung“ des Flüchtlingsproblems auf der
Basis von Rückkehrrecht und Entschädigung plädiert....In jüngster Zeit hat die
Hamas mehrmals ihre Zustimmung zu einer solchen Lösung signalisiert.........Für
Israel bedeutete diese Entwicklung eine richtiggehende Katastrophe. Es konnte nicht
länger rechtfertigen, die Hamas zu ignorieren, und es war nur eine Frage der Zeit, bis
internationaler Druck zu verhandeln ausgeübt werden würde... (Also mußte) Israel
die Palästinenser ... radikalisieren oder zerstören, um sie als legitimen
Verhandlungspartner auszuschalten.
Anfang Dezember 2008 stellte Außenministerin Tzipi Livni klar, dass Israel lediglich
eine begrenzte Zeit der Ruhe mit Hamas anstrebe; ein länger andauernder
Waffenstillstand würde – Zitat -„Israels strategischen Zielen schaden, die Hamas
aufwerten und den Eindruck erwecken, dass Israel die Bewegung anerkennt“.
Finkelstein: „Im Klartext: eine längere Feuerpause würde die Glaubwürdigkeit von
Hamas stärken und Israels strategisches Ziel, die Kontrolle über das Westjordanland
zu behalten, unterminieren. Bereits im März 2007 hatte Israel sich entschlossen, die
Hamas anzugreifen. Den Waffenstillstand handelte es nur deshalb aus, weil...
So konnte man in Ha’aretz am 8. Januar 2009 lesen: „weil die israelische Armee
Vorbereitungszeit brauchte. Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, bedurfte
Israel nur noch eines Vorwands.“
Und diesen Vorwand lieferte am 4. November besagter Tunnel, der just in der Nacht
der amerikanischen Präsidentenwahl angeblich einen militärischen Einfall in den
Gazastreifen notwendig machte und 13 Palästinenser das Leben kostete.
Finkelstein: „Es war Israel vollkommen klar, dass diese Operation einen
Gegenschlag provozieren würde. Der Tunnel, schrieb Ha’aretz Mitte November,
stellte keine unmittelbare Gefahr dar. Sein Vorhandensein war die ganze Zeit
bekannt. Seine Benutzung hätte auf der israelischen Seite leicht verhindert oder
zumindest hätten die dort stationierten Soldaten aus der Gefahrenzone entfernt
werden können....
Aber nachdem die Hamas, wie vorauszusehen, ihre Raketenangriffe zur Vergeltung
wiederaufgenommen hatte, konnte Israel wieder einmal eine mörderische Invasion
vom Stapel lassen mit dem Ziel, eine weitere palästinensische Friedensoffensive zu
vereiteln.“
Erich Fried
Ihr habt die überlebt
die zu euch grausam waren
Lebt ihre Grausamkeit
in euch jetzt weiter?
Eure Sehnsucht war so zu werden
wie die Völker Europas
die euch mordeten
Nun seid ihr geworden wie sie
Ich sage das nicht für die
die euch immer schon Feinde waren
und nur neue Vorwände suchen
für ihren alten Haß
auch nicht für die unter euch
die lernten von ihren Hassern
sich selbst zu hassen
Doch ich sage das gegen die
die sich heute erschaffen wollen
nach dem Ebenbild ihrer Vernichter
um selbst Vernichter zu werden
denn wenn die euch beherrschen
vernichten sie trotz ihrer Siege
zuletzt sich selbst
wie das eure Vernichter taten
Im Herbst 2009 wurde der sog. Goldstone-Bericht der UNO veröffentlicht, benannt
nach dem aus Südafrika stammenden Juden Richard Goldstone - hochangesehener
Jurist und Völkerrechtler, u. a. Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für
das ehemalige Jugoslawien und Ruanda. Im Auftrag des Menschenrechtsrats der
Vereinten Nationen untersuchte die nach Goldstone benannte Kommission mögliche
Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen aller Parteien während der
Militäroperation im Gazastreifen. Natürlich wurde der Bericht von Israel sofort mit den
absurdesten Begründungen, u. a. der Jude und bekennende Zionist Goldstone sei
ein Antisemit, zurückgewiesen.
Die fürchterlichen Einzelheiten, die der äußerst akribische, 800 Seiten starke Bericht
präzise auflistet, können hier nicht dargestellt werden, dafür aber ein fiktives
Interview, zusammengestellt aus Veröffentlichungen von und Interviews mit Richard
Goldstone. Dieses „Gespräch“ macht deutlich, was Goldstone bewog, den Auftrag
der UNO-Menschenrechtskommission anzunehmen und worum es ihm bei der GazaMission ging.
Herr Goldstone, mich interessiert zuerst die Frage nach Ihrer Motivation: was hat
Sie als Jude - der Israel, wie Sie geschrieben haben, sein ganzes Leben lang
unterstützt hat -, bewogen, den Gaza-Auftrag zu übernehmen.
Nun, das war eine Gewissensfrage...Ich habe schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen untersucht in meinem Heimatland Südafrika während der
Apartheid, später auf dem Balkan, in Ruanda, und ich wurde übrigens stets massiv
angefeindet....Jude zu sein kann doch kein Grund sein, Israel anders zu behandeln
als die genannten Länder oder zu sagen, weil ich Jude bin, untersuche ich all diese
Länder, Israel aber nicht.
Sie bezeichnen sich als Zionisten. Was meinen Sie damit?
Daß ich Israels Existenzrecht voll unterstütze.
In ihrem Bericht wird Israel beschuldigt, Krieg gegen ein ganzes Volk geführt zu
haben. Das ist eine scharfe Verurteilung Israels.
In der Tat, denn beispielsweise die Zerstörung der Infrastruktur in Gaza war meiner
Ansicht nach in keiner Weise zu rechtfertigen.
Haben Sie persönlich das Resultat dieser Zerstörung gesehen?
Ja, ich habe die einzige Getreide-Fabrik in Gaza gesehen, ein Trümmerhaufen. Ich
habe die Felder gesehen, die von israelischen Panzern umgepflügt worden waren,
die Hühner-Farmen zur Eier-Produktion, total zerstört, Zehntausende von Hühnern –
alle tot. Ich habe Familien getroffen, die ihre Angehörigen in Häusern verloren haben,
in denen sie Schutz vor den israelischen Bodentruppen gesucht hatten. Ich habe
emotional aufwühlende Gespräche mit Vätern geführt, deren kleine Töchter
umgebracht wurden......21 Angehörige einer einzigen Familie waren durch israelische
Granaten umgekommen.
Es war eine sehr schwierige Untersuchung. Ich werde für den Rest meines Lebens
Albträume haben.
Im Krieg passieren immer schreckliche Dinge. Was genau macht diese Aktionen zu
Kriegsverbrechen?
Nun, der Kern des humanitären Völkerrechts ist das „Prinzip der Unterscheidung“.
Es verlangt von allen am Krieg Beteiligten die Unterscheidung zwischen
unschuldigen Zivilisten und Kombattanten. Und darüber hinaus stellt sich die Frage
der Verhältnismäßigkeit. Sog. Kollateralschäden müssen in einem angemessenen
Verhältnis zum militärischen Ziel stehen... Da gibt es natürlich Ermessensspielräume,
es werden Fehler gemacht. Letztendlich ist es eine Frage der Absicht und der
Sorgfalt, mit der vorgegangen wird.
Haben Sie Beweise für absichtliches Fehlverhalten gefunden?
Nun ja, es gibt immerhin Äußerungen von politischen und militärischen Führern, die
ganz offen von unverhältnismäßigen Angriffen gesprochen haben. „Falls der
Raketenbeschuß nicht aufhört, werden wir unverhältnismäßig zurückschlagen. Wir
werden euch dafür bestrafen.“ Und so etwas ist durchs Kriegsrecht selbstverständlich
in keiner Weise gedeckt.“
Und dann wurde tatsächlich genau das gemacht, was angekündigt worden war?
Ja, und die israelische ist eine der fähigsten Armeen der Welt. Wenn sie eine
Moschee oder eine Fabrik angreifen – und es wurden über 200 Fabriken bombardiert
! -, dann lässt sich das nicht auf einen Irrtum zurückführen. Das ist eindeutig mit
voller Absicht geschehen....Auch die Bombardierung des Legislativrats, also des
Parlaments, ist illegal. Es stellt kein militärisches Ziel dar.
Aber es ist doch nicht immer möglich, zwischen Zivilisten und Kämpfenden zu
unterscheiden. Vor allem wenn sich die Kämpfer der Hamas in Häusern, in
Krankenhäusern, Schulen in dicht besiedelten Gegenden verschanzen. Was soll die
israelische Armee da tun?
Nun, zum Beispiel mit Hilfe von Kommandounternehmen die Militanten angreifen und
nicht die Zivilisten. Um die Raketenangriffe zu unterbinden, musste man nicht das
ganze Land zerstören.....Die landwirtschaftlichen Flächen, die wahllos verwüstet
wurden, gehörten ja schließlich nicht der Hamas, oder die Wasserwerke, das
Abwassersystem, die Kanalisation von Gaza-Stadt, deren Bombardierung übrigens
zu einer Überflutung einer Fläche von mehr als einem Quadratkilometer mit
Abwässern und Fäkalien führte.
Aber könnte dies nicht in der Folge von Angriffen gegen Militante passiert sein?
Es ist gänzlich ausgeschlossen, dass die Hamas die erwähnten 200 Fabriken
betrieb. Der Besitzer der schon erwähnten Getreidefabrik etwa besaß sogar eines
jener seltenen israelischen Dokumente, das ihm die Einreise nach Israel ermöglichte.
Er machte Geschäfte mit seinen israelischen Partnern. Interessanterweise erhielt er
eine telephonische Bombenwarnung: er solle sein Haus verlassen. Also evakuierte er
seine Belegschaft. Aber nichts geschah. Sie kehrten zurück, und er holte in Israel
Erkundigungen mit Hilfe eines Freundes ein, der beim Militär nachfragte und ihn
dann beruhigte: „Keine Sorge, sie werden deine Fabrik nicht bombardieren.“ Ein
paar Tage später kriegt er wieder einen Anruf mit der Aufforderung zu evakuieren.
Wieder verlassen sie das Gelände. Erneute Erkundigungen: „Keine Sorge, wir
bombardieren nicht.“ Also gehen sie wieder zurück. Schließlich kommt eine dritte
Warnung, und dann wird tatsächlich bombardiert. Die Israelis wussten genau, mit
wem sie es zu tun hatten, schließlich besaß er ja jenes Dokument.
Es ist dieses Verhalten, das auf die Absicht schließen lässt, die Zivilisten in Gaza,
also im Prinzip alle für das zu bestrafen, was einige wenige getan haben.
Stellen Sie sich vor, die USA würden beim Kampf gegen die Taliban die komplette
Nahrungsinfrastruktur der Menschen bombardieren, die dort leben, wo sich die
Taliban aufhalten, indem sie Felder verwüsten, Nahrungsmittelfabriken bombardieren
usw. Ich glaube nicht, dass das amerikanische Volk dies als legitim akzeptieren
würde.
Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie sich in erster Linie mit dem Verhalten Israels
auseinandersetzen, dass Sie Israel die größere Verantwortung anlasten.
Es ist schwierig, einen Staat mit einer hochgerüsteten Armee, mit Marine und
Luftwaffe einerseits und andererseits die Hamas mit ihren improvisierten, unpräzisen
Waffen gleichzusetzen. Das bedeutet aber nicht, dass man beider Handlungen nicht
genau untersuchen muss.
Sie als Zionist werden von vielen Israelis beschuldigt, ihr Volk verraten zu haben.
Nun ja, das ist Ausdruck derselben Krankheit wie in Südafrika....Es handelt sich hier
um eine Form des Rassismus. Warum sollte mich mein Judesein daran hindern,
Israel zu untersuchen? Das kann ich nicht nachvollziehen....Ich denke, wahre
Freunde kritisieren ihre Freunde, wenn sie etwas Falsches machen.
Ihr Bericht empfiehlt beiden Seiten, eigene Untersuchungen vorzunehmen und falls
Kriegsverbrechen nachgewiesen würden, die Verantwortlichen ... in ihren Ländern zu
bestrafen.
Das ist ja der Ausweg für Israel und die Hamas – wenn sie eine ehrliche
Untersuchung durchführen, bedeutet dies das Ende jeglicher Untersuchung auf
internationaler Ebene, denn der Internationale Strafgerichtshof etwa ist ja nur die
letzte Instanz, die über keine Jurisdiktion verfügt, wenn die Parteien selbst tätig
werden
Warum brauchen wir eigentlich einen internationalen Strafgerichtshof?
Bis 1993 gab es keine Möglichkeit, Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Zuhause
mussten sie keine Ahndung fürchten, galten sie doch normalerweise als Kriegshelden...Das hat sich geändert. Heute haben Kriegsverbrecher Schwierigkeiten, in so
manches Land zu reisen. Und das ist auch die Sorge der israelischen Regierung,
dass sie nämlich mit Untersuchungen in einigen europäischen und afrikanischen
Ländern rechnen muss, falls sie keine eigene Untersuchung anstellt. Diese liegt also
in ihrem ureigenen Interesse.
Israel erwartet ja von den USA, dass sie im Sicherheitsrat wie üblich ihr Veto
einlegen werden, um jedes rechtliche Vorgehen gegen Israel zu verhindern. Und das
US- Außenministerium hat Ihre Untersuchungsergebnisse sofort als unfair gegenüber
Israel bezeichnet.
Ich fordere die US- Regierung auf, mir mitzuteilen, inwiefern der Bericht fehlerhaft
oder unausgewogen ist. Bisher ist noch niemand auf den Inhalt unserer Darlegungen
eingegangen, auf den konkreten einzelnen Fall. Und falls wir Fehler gemacht haben
sollten, wäre ich der erste, der dies zugeben würde.
Israel sagt, der Bericht sei ein Hindernis für den Frieden, Sie sagen, er sei die
Voraussetzung für den Frieden. Inwiefern?
In der Folge ernsthafter Verletzungen der Menschenrechte lässt sich kein Frieden
erreichen, wenn man Groll und Rachegefühlen in der Opferbevölkerung nicht
begegnet. Was die Opfer brauchen, ist Anerkennung, die offizielle Anerkennung
ihrer Opferrolle. Das heißt, die Wahrheit ist eine wesentliche Brücke zu einem
dauerhaften Frieden.
Am 1. April 2011, also etwa anderthalb Jahre nach der Veröffentlichung des UNReports, stellte Richard Goldstone in einem Gastbeitrag für die Washington Post
überraschenderweise seinen eigenen Bericht zumindest in einem Punkt in Frage.
'Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, wäre der Goldstone-Report ein
anderes Dokument geworden.... Neuere Untersuchungen lassen erkennen, dass
Zivilisten nicht absichtlich zum Ziel israelischer Angriffe gemacht worden sind.“
Und er lobt Israel dafür, dass mittlerweile mehr als 400 Fälle von möglichen
Vergehen der Armee intern untersucht worden seien. Dabei beruft er sich auf eine
seinem Report nachfolgende Untersuchung der UNO unter Vorsitz der ehemaligen
New Yorker Richterin Mary McGowan Davis, die allerdings zu dem Ergebnis kommt,
dass diese 400 Untersuchungen zu gerade einmal zwei Verurteilungen geführt
hätten:
Eine zu sieben Monaten Haft wegen Diebstahls einer Kreditkarte, die andere zu einer
Bewährungsstrafe, weil ein palästinensisches Kind als menschlicher Schutzschild
missbraucht wurde.
Im übrigen gebe es - so wörtlich: „... keinerlei Hinweise darauf, dass Israel
Untersuchungen begonnen hätte bezüglich der Handlungen derjenigen, die die
Operation „Gegossenes Blei“ konzipiert, geplant, angeordnet und geleitet haben. Die
Opfer beider Seiten können keine echte Verantwortlichkeit und keine Gerechtigkeit
erwarten.“
Selbst der juristische Laie fragt sich, was für einen Wert überhaupt Untersuchungen
haben sollen, die von der beschuldigten Partei in eigener Sache durchgeführt
werden?
Was immer Richard Goldstone gesagt oder später revidiert hat, ändert allerdings kein
Jota an der Faktenlage des Massakers. Die umfangreichen Untersuchungsergebnisse der Goldstone-Kommission bestätigen die Darstellungen israelischer und
internationaler Menschenrechtsorganisationen wie B’Tselem, Amnesty International,
Human Rights Watch und Medico International ebenso wie Zeugenaussagen
beteiligter israelischer Soldaten, die im April 2009 von der Zeitung Ha’aretz
veröffentlicht wurden.
Israels Ministerpräsident Netanjahu nahm Goldstones Stellungnahme zum Anlaß,
vom UN-Menschenrechtsrat die Annullierung des Berichts von 2009 zu verlangen,
was ein Sprecher der Vereinten Nationen mit dem Argument zurückwies, die private
Äußerung eines Kommissionsmitglieds könne nicht zur Revision eines zuvor offiziell
erstellten Berichts führen. Auch Goldstone selbst hat Aussagen des israelischen
Innenministers Eli Jischai zurückgewiesen, laut denen er den UN-Bericht
zurücknehmen wolle.
Die drei anderen hochgeachteten Mitglieder der Kommission haben sich übrigens
klar von Goldstones Sinneswandel distanziert.
Bleibt die Frage nach seinem Motiv?
Seit der Veröffentlichung des Reports wurde eine schier unglaubliche Schmutzkampagne gegen den bekennenden Zionisten losgetreten. Er sah sich als
angeblicher Antisemit und selbsthassender Jude regelrecht an den Pranger gestellt.
Man wollte ihm, dem Verräter, sogar die Teilnahme an der Bar Mitzwa seines Enkels
verwehren!
Und für Netanyahu gehörte er - neben der iranischen Atombombe und den Raketen
der Hamas - zu den „drei strategischen Herausforderungen“, mit denen Israel sich
konfrontiert sehe.
Angesichts dieser üblen Rufmordkampagne ist es kaum verwunderlich, wenn Roger
Cohen am 7. 4. 2011 in der New York Times vermutet, Goldstone sei „gebrochen“
worden.
Erich Fried: Widerstand
Immer noch suchend
wo Gegenwehr
möglich ist
(möglich bleibt oder wird)
nicht nur als Geste
oder zumindest
als Geste die etwas lebendig
unabgestumpft erhalten hilft
wenn das vielleicht auch
zuerst nur der eigene Abscheu ist Angst
die sich weigert
sich zu ducken vor dem
was so mächtig scheint
allmächtig bis auf die Hoffnung
daß diesen Abscheu
diese Angst diese Weigerung sich zu ducken
andere teilen
John Ging, der Leiter der UN-Hilfsorganisation für Gaza, in einem Interview vom
28. Mai 2010, also annähernd anderthalb Jahre nach dem Gaza-Massaker:
„Die Lage in Gaza ist gekennzeichnet von menschlichem Elend. Die Menschenwürde
wird mit Füßen getreten, und die einfachen Menschen kämpfen Tag für Tag ums
Überleben.
Israel hat das glatt abgestritten. Angesichts der Tatsache, dass 80 Prozent der
Menschen In Gaza von Nahrungsmittelhilfe abhängen, lässt sich dies nur als
Zynismus bezeichnen. John Ging:
Ursache der Tragödie ist, dass es der internationalen Gemeinschaft nicht gelungen
ist, die Einhaltung von Grundrechten sicherzustellen.... Die Blockade des
Gazastreifens ist eine Art Sippenhaft für ein ganzes Volk – ein Verstoß gegen
internationales Recht.... Die internationale Gemeinschaft muß ihre Verantwortung
übernehmen und nach praktischen Wegen suchen, die Blockade zu
durchbrechen...Wir empfehlen der Welt, Schiffe nach Gaza zu schicken, und wir
glauben, dass Israel diese Schiffe nicht aufhalten würde, denn das Meer ist (rechtlich
gesehen) frei.
Nun, da hat er sich getäuscht, denn am 31. Mai 2010 nimmt eine israelische
Marineeinheit die sechs Schiffe der Free-Gaza-Flotte in internationalen Gewässern
unter ihre Kontrolle, wobei auf der türkischen Mavi Marmara neun Friedensaktivisten
getötet werden.
Der emeritierte Professor des Völkerrechts, Norman Paech, selbst an Bord eines der
Schiffe des Hilfskonvois, weist in einer längeren Analyse, erschienen kurz nach dem
Zwischenfall, darauf hin, dass „dieser Angriff, die Besetzung der Schiffe, die Tötung
von mindestens neun und Verletzung von über 20 Passagieren, die Fesselung aller
Besatzungsmitglieder und Passagiere sowie Entführung in den Hafen von Aschdod
ein schwerer Verstoß gegen geltendes Völkerrecht ist. Es war schlicht ein Akt der
Piraterie. ...Man kann nicht ein Schiff angreifen und sich dann auf Notwehr berufen,
wenn sich Besatzung und Passagiere wehren.“
Israel hat ja sogar behauptet, dass seine Soldaten sich gegen eine drohende
Lynchung durch die angeblichen „Terroristenfreunde verteidigen“ musste. Dazu Ken
O’Keefe, früherer US-Marineinfanterist und Golfkriegsveteran, der sich an Bord der
„Mavi Marmara“ befand:
Obwohl ich davon überzeugt bin, dass Gewaltlosigkeit immer die erste Option sein
sollte... schloss ich mich selbstverständlich der Verteidigung der Marmara an.
...Am Morgen des Angriffs war ich direkt an der Entwaffnung von zwei israelischen
Soldaten beteiligt. Dies war eine zwangsweise Entwaffnung von Soldaten, die bereits
zwei meiner Brüder ermordet hatten, die ich noch kurz zuvor gesehen hatte. Der
eine hatte eine Kugel mitten in die Stirn bekommen – das war eine Exekution..
Es war mir klar, die Soldaten hatten einen Mordauftrag, und ich nahm dem einen
eine 9mm-Pistole weg. Ich hatte das Ding in meiner Hand, und als ehemaliger
Marinesoldat mit Training im Gebrauch von Waffen, wäre es mir durchaus möglich
gewesen, die Waffe gegen den Soldaten zu richten, der womöglich der Mörder einer
meiner Brüder gewesen war. Aber das genau war es, was weder ich noch ein
anderer der Verteidiger des Schiffes tat. Im Gegenteil, ich nahm die Kugeln aus der
Pistole raus und versteckte die Waffe. Ich tat dies in der Hoffnung, dass wir den
Angriff abwehren und diese Waffe dann in einem Strafverfahren gegen die
israelischen Behörden als Beweis ... vorlegen könnten. Ich half auch mit, einem
weiteren Soldaten sein Sturmgewehr zu entreißen, das ein anderer dann wohl ins
Meer geworfen hat.
Ich und mit mir Hunderte andere kennen die Wahrheit, die das ‚tapfere und
moralische israelische Militär’ zum Gespött macht. Wir hatten drei völlig entwaffnete
und hilflose Soldaten in unserer Gewalt. Diese Jungs waren uns auf Gedeih und
Verderb ausgeliefert. Sie waren außer Reichweite ihrer Mordgesellen mitten im Schiff
und von Hundert oder mehr Männern umgeben. Ich sah in die Augen der drei Jungs,
und sie hatten Todesangst. Sie schauten uns an, als wären wir so wie sie, und ich
zweifle nicht daran, dass sie glaubten, diesen Tag nicht zu überleben …. Aber sie
standen nicht einem Feind gegenüber, der so unbarmherzig wie sie war. Im
Gegenteil, die Frauen leisteten erste Hilfe, und schließlich wurden sie entlassen,
verletzt, aber lebendig. Sie erlebten den nächsten Tag.... anders als die, die sie
umgebracht hatten. Obwohl wir über den Verlust unserer Brüder verzweifelt waren
und eine Stinkwut auf diese Burschen hatten ..., wir ließen sie gehen.
Während wir in israelischer Haft waren … wurden wir in jeder nur möglichen Weise
misshandelt. Ich wurde geschlagen und gewürgt bis zur Bewusstlosigkeit … Bei all
dem begriff ich, dass sie Feiglinge sind – und doch sah ich in ihnen meine Brüder.
Egal wie abscheulich und falsch die Israelis sich verhalten… , sie sind doch meine
Brüder und Schwestern. Ich habe Mitleid mit ihnen, weil sie das Kostbarste, was
Menschen besitzen, aufgegeben haben - ihre Menschlichkeit.“
Prof. Norman Paech betont: die gemeinsame Basis des von der amerikanischbritischen „Free Gaza“-Organisation betriebenen Unternehmens war und ist
„der Aufruf an die Weltgemeinschaft zur gewaltfreien Beendigung der Blockade und
Hilfe für die Bevölkerung durch Auslieferung von Hilfsgütern... Die Verteilung sollte
durch Nichtregierungsorganisationen in Gaza vorgenommen werden. Gleichgültig, ob
Christen, Muslime, Buddhisten oder Atheisten, es waren Menschen aus über 30
Staaten auf den Schiffen, die einigen wenigen gemeinsamen Grundprinzipien
verpflichtet waren: weder parteipolitische Ziele noch Missionierung, absolute
Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit, Verzicht auf jegliche Waffen an Bord und
Toleranz untereinander. Es gibt keine Anzeichen, daß diese Grundprinzipien nicht
eingehalten wurden.“
Ergänzend dazu der Augenzeugenbericht des kanadischen Lehrers und ehemaligen
Zivilingenieurs des Verteidigungsministeriums, Kevin Neish, der sich gleichfalls auf
der Mavi Marmara befand:
„Als ich an Bord ging, wurde ich gründlich abgetastet, und mein Gepäck wurde auf
Waffen hin untersucht. Als Ingenieur hatte ich natürlich ein Taschenmesser bei mir.
Das nahmen sie mir ab und warfen es ins Meer. Keiner durfte irgendwelche Waffen
mit sich führen. Darauf wurde ganz sorgfältig geachtet....Während der ganzen Zeit
an Bord habe ich bis zum Schluss nie eine Waffe in den Händen der Mannschaft
oder der Friedensaktivisten gesehen....
Während der Auseinandersetzungen sah ich, wie sie einen der Soldaten
herunterbrachten. Er sah sehr verängstigt aus, als wenn er dachte, er würde
umgebracht. Aber als ein kräftiger Türke, der gerade schwer verletzte Passagiere
gesehen hatte, die von den Soldaten angeschossen worden waren, versuchte, sich
auf ihn zu stürzen, drängten ihn die anderen türkischen Entwicklungshelfer zurück
und hielten ihn an der Wand fest. Sie schützten diesen israelischen Soldaten.
Als das israelische Kommando die Mavi Marmara übernommen hatte, mussten sich
Frauen und Männer getrennt auf den Boden setzen und ihre Hände wurden so
streng mit Plastikbindern gefesselt, dass sie ganz schnell stark anschwollen. An den
Nachwirkungen hat Kevin Neish noch lange gelitten.
Sie wiesen uns an, still zu sein. Aber da erhob sich dieser türkische Imam und
begann, einen Gebetsaufruf zu singen. Alles wurde totenstill – selbst die Israelis.
Aber nach vielleicht 10 Sekunden stürmte ein israelischer Offizier durch die Reihen
der am Boden Sitzenden, zückte seine Pistole, richtete sie auf den Kopf des Imams
und schrie: „Shut up!“ Der Imam schaute ihm direkt in die Augen - und sang einfach
weiter. Ich dachte, um Gottes Willen, er wird ihn töten. Dann dachte ich, nun, dafür
bin ich wohl hier und stand auch auf. Der Offizier wirbelte herum und zielte mit seiner
Waffe auf meinen Kopf. Der Imam beendete sein Lied, setzte sich ruhig hin, und
auch ich setzte mich wieder.“
Die Vorgänge bei der Kaperung der sechs Schiffe sind inzwischen weitgehend
bekannt und werden durch weitere Zeugen immer detaillierter ergänzt. In zwei
Dingen stimmen sie alle überein: Es gab auf keinem Schiff Waffen, außer den stets
in den Medien präsentierten Stöcken, Eisenstangen und Messern.
Keine Bilder gibt es von dem Waffenarsenal der israelischen Armee und ihrem
tödlichen Einsatz: Blendschockgranaten, Maschinengewehre, Pistolen, PaintbulletPumpguns und Elektroschockwaffen. Kaum Bilder der toten oder verwundeten
Passagiere, alle Film- und Fotoapparate der Mitfahrenden wurden konfisziert, ihr
Filmmaterial befindet sich im Besitz der israelischen Streitkräfte.
Zu sehen waren nur Bilder von verletzten israelischen Soldaten mit Netanyahu an
ihrer Seite – deutlicher kann man in diesem Konflikt kaum Partei ergreifen. Die
Medien, mit sehr wenigen Ausnahmen, haben allein durch ihre Bildauswahl das
Verhältnis von Angreifer und Verteidiger umgekehrt. Die Medien haben sich - so
Norman Paech
„vollständig der Bilderhoheit der israelischen Armee unterworfen... . Mit der
schwindenden Überzeugungskraft des Bildmaterials, mit welchem die israelische
Regierung alle internationalen Medien versorgt, beginnt nunmehr der Abwehrkampf
an der ideologischen Front. Er wird von vielen Medien bereitwillig aufgenommen und
als ...Entlastungsangriff gegen »Free Gaza« und ihre Schiffe geführt. Es geht zum
einen darum, die »Free Gaza«-Bewegung zu delegitimieren und zum anderen wird
bezweckt, die israelische Aktion als »Selbstverteidigung« zu rechtfertigen.
Ansatzpunkt für die Delegitimierung des »Free Gaza«-Unternehmens ist die
Beteiligung der IHH, der »Stiftung für Menschenrechte und Freiheit« mit Sitz in
Istanbul; sie organisierte als einer der zahlreichen Koalitionspartner von »Free Gaza«
die »Mavi Marmara«. Der Vorwurf lautet, es handele sich um eine Ansammlung
radikaler Islamisten, Antisemiten und Faschisten,
„Eine wohlorganisierte, islamistische Kadergruppe« - o die Frankfurter Allgemeine
vom 11.6. Tatsache ist, daß die IHH eine von weltweit 3000 Nichtregierungsorganisationen ist, die beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat beratenden Status haben.
Die IHH steht auf keiner der berüchtigten Terrorlisten. Norman Paech:
“Sie ist mit ähnlichen Entwicklungsprojekten tätig, wie wir sie von Misereor, der
evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe, Medico International oder dem
Deutschen Entwicklungsdienst kennen. Seit der vollständigen Abriegelung des
Gazastreifens durch Israel im Juli 2007 arbeitet die IHH auch in Gaza und sendet
Hilfskonvois über ( das ägyptische ) Rafah. Daß sie dabei mit der Hamas kooperiert,
ist selbstverständlich und nur noch bei den verbohrtesten Köpfen ein Stein des
Anstoßes – schließlich fordert selbst Avi Primor, der ehemalige israelische
Botschafter in der BRD, öffentlich Gespräche mit der Hamas.“
Die unterstellte Verbindung zu Al-Qaida oder dem Dschihad erwies sich als eine
bloße Verdächtigung, die allein dem Zweck diente, das ganze Unternehmen »Free
Gaza« in Misskredit zu bringen.
Die zweite Strategie zielt auf die völkerrechtliche Legitimierung des israelischen
Angriffs. Ihr Grundtenor lautet: Selbstverteidigung, da man sich mit Gaza im Krieg
befinde.
Aber auch außerhalb Israels erheben sich Stimmen, die den israelischen
Streitkräften ein Recht zur Seeblockade zugestehen wollen. Norman Paech:
„Die in Gaza leider üblichen gegenseitigen Gewaltmaßnahmen – vereinzelte Raketen
auf die Grenzgebiete Israels und gezielte israelische Tötungen durch Drohnen und
Artillerie im Gazastreifen – erfüllen nicht die Kriterien eines Krieges oder bewaffneten
Konflikts. Die Militärintervention der israelischen Streitkräfte im Dezember 2008 bis
Januar 2009 war ein Krieg....jetzt ist es ein Wirtschaftskrieg, den Israel gegen den
Gazastreifen führt – eine Seeblockade außerhalb der eigenen Hoheitsgewässer
und der selbsterklärten militärischen Sperrzone ist (daher) völkerrechtlich
nicht zu legitimieren.
Die israelische Regierung selbst vertritt den Standpunkt, daß Gaza nach dem
Rückzug 2005 nicht mehr zu ihrem Besatzungsgebiet im Sinne des Kriegsvölkerrechts gehöre, sie also auch keine Hoheitsrechte in diesem Gebiet mehr habe. Wenn
das so ist, dann hat sie damit logischerweise auch nicht das Recht, Gaza vom Meer
abzuschneiden und den Hafen für ausländische Schiffe zu sperren.
Da sich die Schiffe aber in internationalen Gewässern befanden, gilt für sie das
Jahrhunderte alte Prinzip der »Freiheit der Meere«. Norman Paech weiter:
“Ist also Kriegsrecht nicht anwendbar, so reduziert sich die Möglichkeit der
israelischen Marine, Schiffe auf hoher See zu kontrollieren und zu durchsuchen, auf
jene Ausnahmefälle, in denen ein begründeter Verdacht besteht, das Schiff verfolge
illegale Ziele und Aktivitäten, wie Schmuggel, Piraterie oder Menschenhandel. Die
Güter unserer Flottille waren aber öffentlich verladen und durch die Hafenbehörden
kontrolliert worden, es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Waffen
geschmuggelt werden sollten.
Die Israelis haben ja auch keine vorweisen können, was sie sicher gern getan hätten.
Selbst wenn man den israelischen Streitkräften angesichts der immer wieder
aufflammenden Gewalttätigkeiten ein Selbstverteidigungsrecht oder ein Kontrollrecht
der Schiffe einräumen würde, - so Norman Paech „war diese Art Kontrolle - mit
Waffengewalt, mit Toten und Verletzten -vollkommen unverhältnismäßig und schon
deshalb rechtswidrig. Das internationale Seerecht fordert, das solche
Durchsuchungen mit der größten Zurückhaltung vorgenommen werden, denn es
handelt sich für gewöhnlich um einen Eingriff in fremde Souveränitätsrechte.
Da ein Angriff auf ein Schiff wie ein Angriff auf das Territorium des Heimatstaates zu
werten ist, hätte dieser Vorfall sogar zu einer dramatischen Konfrontation mit der
Türkei führen können. Denn die Türkei hätte ihrem Schiff militärisch zu Hilfe eilen
können.... Wir können froh sein, daß es dazu nicht gekommen ist.
Norman Paechs Fazit:
Wie man es auch dreht und wendet, ob wir die israelische Position akzeptieren, dass
Gaza ein hoheitsfreies Territorium ist und damit Friedensrecht gilt, oder Gaza erneut
besetzt ist und sich im Krieg mit Israel befindet und deshalb Kriegsvölkerrecht
anzuwenden ist: Die Blockade ist in jedem Fall rechtswidrig. Sie wirkt wie eine
Kollektivbestrafung, die nach internationalem Recht verboten ist. Ja, es wäre zu
prüfen, ob sie nicht den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit
erfüllt, wie es (im) Römischen Statut von 1998 als...“Angriff gegen die
Zivilbevölkerung« definiert wird. Dieser Vorwurf trifft nicht allein Israel, sondern
die USA und die EU-Staaten gleichermaßen, da sie in voller Kenntnis des
Elends und der Zerstörungen diese Blockade unterstützen.
Eine vom UN-Menschenrechtsrat berufene Untersuchungskommission kam im
September 2010 gleichfalls zu dem Ergebnis, dass Israel bei der Erstürmung der
Hilfsflotte internationales Recht gebrochen habe, und die israelische Blockade des
Gazastreifens ungesetzlich sei. Der Menschenrechsausschuss hatte den Angriff auf
unschuldige Zivilisten bereits im Juni zuvor mit großer Mehrheit scharf verurteilt.
Laut UN-Bericht haben die israelischen Soldaten ein "nicht zu akzeptierendes Maß
an Brutalität" gezeigt. Sie hätten sich während und nach dem Einsatz schwerer
Rechtsbrüche wie vorsätzlicher Tötung und Folter schuldig gemacht.
Israel lehnte die Untersuchungsmission des Menschenrechtsrats als partei-isch ab
und verweigerte jede Zusammenarbeit.
Dagegen unterstützte es eine von UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon eingesetzte
Kommission, die den offiziellen Auftrag hatte, die wegen der Tötung der türkischen
Friedensaktivisten zerrütteten Beziehungen zwischen der Türkei und Israel positiv zu
beeinflussen. Anders als bei der Kommission des UN-Menschenrechtsrats war
Grundlage dieser Untersuchung nicht etwa das Geschehen selbst, sondern nur die
Berichte der Türken und der Israelis.
Der unparteiische und sorgfältige, auf einer „fact-finding-mission“ beruhende Report
des UN-Menschenrechtsrats fand dabei keine Berücksichtigung. Es verwundert
daher kaum, dass die israelische Seeblockade des Gazastreifens als "rechtmäßig
und angemessen", der israelische Einsatz allerdings als "exzessiv" und
"unverhältnismäßig" bezeichnet wurde.
Juristisch ist das Ergebnis jedenfalls nach Einschätzung von Experten des
Völkerrechts ein Fehlgriff, was – so Norman Paech: „so oft geschieht, wenn die
Diplomatie Vorrang hat“.
So geriet der Versuch, den Streit zwischen den beiden Ländern auf diplomatischem
Wege zu entschärfen, zu einem kompletten Misserfolg.
Angesichts der widersprüchlichen Rechtslage wird die türkische Regierung den Fall
dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vorlegen, wo er letztlich auch
hingehört. Sie wies zudem den israelischen Botschafter aus und kündigte die
militärische sowie die umfangreiche rüstungstechnische Zusammenarbeit auf.
Darüber hinaus erwog der türkische Ministerpräsident Erdogan als erster amtierender
Regierungschef, dem Gaza-Streifen einen offiziellen Besuch abzustatten, »um die
Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Zustände in Gaza zu lenken und die
Internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, das von Israel durchgesetzte illegale
Embargo zu beenden«.
Die Organisatoren der zweiten „Freedom Flotilla“, die im Sommer 2011 einen
weiteren Anlauf unternahmen, die israelische Blockade des Gazastreifens zu
durchbrechen, sind an den machtpolitischen Realitäten in den internationalen
Beziehungen formal zwar gescheitert - da das bankrotte und von den USA und der
EU total abhängige Griechenland wohl einen Wink erhielt, die Schiffe der
Friedensaktivisten nicht aus seinen Häfen auslaufen zu lassen -, doch in der
Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit war es nur ein weiterer Pyrrhussieg des
„grenzenlosen“ Israels.
ERICH FRIED
Frage an den Sieger
Nach deiner Landnahme
als das Blut schrie von der Erde
und als man dich fragte
„Wo ist dein Bruder im Land?“
da sagtest du
„Ich weiß nicht“
und du fragtest
„Soll ich der Hüter meines Bruders sein?“
Nun sagst du
man muß dich vor der Rache
der Sippe deines Bruders von dem du nichts weißt
beschützen
Und du trägst ein Zeichen das sagt
wer dich totschlägt an dem soll
siebenfach Rache genommen werden ( kurze Pause! )
Wer bist du?
Dies ist wohlgemerkt nur ein Text-Auszug aus dem vom Bayerischen
Rundfunk zum „Hörbuch der Woche“ gekürten „Hörbild zum Zionismus“.
Bei Interesse: Es kostet € 15.- (einschließlich Versand) und ist zu
beziehen direkt über den Autor.
Jürgen Jung
T. 08441-860855
H. 0179-2950442
[email protected]
SALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina-Israel e.V.
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