„Die Augen der Liebe sehen tiefer“

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Dokumentation
„Die Augen der Liebe sehen tiefer“
Predigt von Weihbischof Helmut Bauer beim Pontifikalgottesdienst im Dom am
Dienstag, 5. Juli 2005, beim Wallfahrtstag für die Dekanate Alzenau,
Aschaffenburg-Stadt, Aschaffenburg-Ost, Aschaffenburg-West, Miltenberg,
Obernburg; zugleich Tag der Pfarrhaushälterinnen
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Bischof Friedhelm hat für die diesjährige Kiliani-Wallfahrt die Bitte der Emmausjünger ausgesucht: „Herr,
bleibe bei uns!“ Dieses Wort erinnert uns daran, dass der verstorbene Papst Johannes Paul II. die ganze
Kirche gebeten hat, dieses Jahr als „Eucharistisches Jahr“ zu begehen. „Die Kirche lebt von der
Eucharistie“ – daher muss sie immer die Ostererfahrungen der Emmausjünger vor Augen, im Herzen und
im Gedächtnis haben: Der Herr lässt sich am „Brotbrechen“ erkennen. Die Augen der Liebe sehen tiefer.
Die Augen des Glaubens erkennen die Größe und Erhabenheit dieser einzigartigen Gedächtnisfeier. So
wollen wir gerade mit Blick auch auf die Frankenapostel über das wunderbare Geschenk der Heiligen
Messe nachdenken. Wir wollen mit den Emmausjüngern sagen: „Herr, bleibe bei uns!“
Liebe Schwestern und Brüder!
Die beiden Emmausjünger haben diese Bitte am Ende eines bedrückenden Weges gesagt. Ihre leidvollen
Erfahrungen in Jerusalem haben sie dem „Fremden“ mitgeteilt. Ihre tiefe Niedergeschlagenheit haben sie
ins Wort gebracht: „Wir aber hatten gehofft...“ Ihre großen Hoffnungen, die der Jesus von Nazareth in
ihnen geweckt hatte, waren der bitteren Enttäuschung gewichen: „Und dazu ist heute schon der dritte
Tag, seitdem das alles geschehen ist.“ Nun – der fremde Weggefährte erklärt ihnen zwar auch schon aus
der Heiligen Schrift, dass hinter allen Ereignissen der Wille Gottes zu erkennen sei. Und es wurde ihnen
dabei auch warm ums Herz, weil er so einfühlsam und mitempfindend reden konnte, und gerade deshalb
fühlten sie sich auch wieder ihren wehmütigen Gedanken allein überlassen, als er tut, als wolle er
weitergehen, da sie an ihr Ziel gelangt waren. Da kam die Bitte aus tiefem Herzen: „Herr, bleibe bei uns!“
Sie drängten ihn gleichsam, bei ihnen in ihrer Hoffnungslosigkeit zur Seite zu stehen. Was dann geschah,
das ließ ihnen die Augen aufgehen: „Er nahm das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und reichte
es ihnen.“ Da erkannten sie mit dem Blick der Liebe den Auferstandenen in seiner neuen österlichen
Daseinsweise.
Liebe Schwestern und Brüder!
Immer wieder, Tag für Tag, erinnert sich die Kirche, durch diese Ostererzählung bestätigt, an ihre eigene
Grundbefindlichkeit auf ihrem Weg durch die Zeit. Denn auch die Kirche kann sich mit ihren eigenen
geschichtlichen Erfahrungen in diese Geschichte der Emmausjünger hinein versetzen und weiß, dass
auch sie oft sagen muss: „Wir aber hatten gehofft...“ Das Karfreitagsereignis bleibt für die Kirche
insgesamt und für jeden einzelnen Christen eine Realität. Das Zerbrechen von Hoffnungen und
Erwartungen gehört zum Gang der Kirche durch die Geschichte. Und viele Gläubige, die bestimmt aus
dem Glauben leben wollen, werden mit bitteren Realitäten konfrontiert. So wie den Emmausjüngern ist
vielen zumute: „Wir aber hatten gehofft...“ Sicher – manches Bibelwort kann trösten, aber die Härte der
Enttäuschungen trifft viele.
Gerade auch in unseren Tagen gibt es viele Erfahrungen, die uns manchmal im Blick auf die Kirche
mutlos, hoffnungslos machen könnten. Ich möchte einige nennen: 2000 Jahre lang hat das Christentum
Europa, unseren Kontinent, geprägt. Es hat den geistigen, kulturellen und wissenschaftlichen Reichtum
unseres Abendlandes ermöglicht, initiiert. Nicht einmal eine kleine Erwähnung in der Präambel der
Europäischen Verfassung findet da ihren Niederschlag. Es kann wieder Abend werden in Europa. Oder:
Viele haben große Hoffnungen gesetzt auf kirchliche Erneuerungen, besonders seit dem Zweiten
Vatikanischen Konzil oder auch auf die Synode der Deutschen Bistümer in unserem Dom und auf die
pastorale Aktion „Wege suchen im Gespräch“ in unserer Diözese. Und was ist daraus geworden? Der
Kirchenbesuch ging dramatisch zurück, ein Wertezerfall allenthalben wird sogar in unserer Gesellschaft
beklagt, die Glaubensweitergabe an die jüngere Generation gelingt nicht mehr und vieles andere mehr ist
zu beklagen. Ja – wir fühlen uns oft auch im persönlichen Leben enttäuscht. Wohl dem, der da noch die
Kraft hat zu sagen: „Herr, bleibe bei uns... denn es will Abend werden..“ Er tut das Rettende: Er lädt den
Herrn ein.
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Frankenapostel sind während des Jahres im Altar unserer Kathedrale aufbewahrt. Auch sie hatten
Augenblicke, wo der Schatten des Kreuzes auf sie fiel. Auch sie kannten Scheitern und Zusammenbruch
sogar ihrer apostolischen Tätigkeit. Doch wir hätten sie nicht sogar sichtbar in unserer Mitte, wenn sie
nicht gesprochen hätten: „Herr, bleibe bei uns!“ Sie zeigen uns, wie sehr sie ihr Leben und Sterben mit
dem Geschehen am Altar in Einheit gesehen haben. Die Eucharistie ist nicht nur Freudenmahl, sondern
auch das vordergründige Scheitern Christi auf Golgotha, sein reales Opfer. Das feiern wir im
„Brotbrechen“. Doch dieses Scheitern am Kreuz ist noch mehr die Manifestation der Liebe Jesu und die
weiter wirkende Kraft des Heiligen Geistes. Wer sich mit diesem Christus verbindet im Heiligen Geist, der
erfährt unerwartete Lebenskraft, neuen österlichen Aufbruch. Daher ist die Eucharistie nicht irgendeine
Feier der Kirche unter vielen anderen, sondern die Feier der Kirche.
Papst Johannes Paul II. schrieb: „Seitdem die Kirche, das Volk des neuen Bundes, am Pfingsttag ihren
Pilgerweg zur himmlischen Heimat begonnen hat, prägt dieses göttliche Sakrament unaufhörlich die Tage
der Kirche und erfüllt die Kirche mit vertrauensvoller Hoffnung.“
Ja, liebe Schwestern und Brüder, die Eucharistie ist das Lebensgeheimnis der Kirche. Dass es Kirche
noch gibt, verdanken wir dieser Feier. In der Eucharistie ist das Kreuz Jesu real gegenwärtig. Es kann
nicht verharmlost werden – die Heilige Messe ist ein Opfer. In der Eucharistie ist aber auch der
Auferstandene gegenwärtig. Das darf nicht übersehen werden. In der treuen Mitfeier der Eucharistie
ermöglichen wir dem Herrn, sich zu zeigen, wie er lebt und liebt. In der treuen Mitfeier der Eucharistie
können uns die Augen aufgehen und das Herz für seinen lebensspendenden Geist.
Liebe Schwestern und Brüder!
Resignation oder gar Defätismus wird es für den nicht geben, der die Heilige Messe mitfeiert. In der
Eucharistie liegt unser Hoffnungspotential für heute und morgen. Wir tun uns und der Welt das Beste mit
der Heiligen Messe. Die Heilige Messe ist die „beste Stunde“ des Tages! Amen.
(70 Zeilen/2705/0894)
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