1. Die Evangelischen emanzipieren sich zwischen Thron und Altar

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Zuarbeit Prößdorf Gürzenich
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Stand: 15.02.02 // Druckstand: 15.05.16
Menschlich, missionarisch und mutig?
Eine theologische, kirchengeschichtliche und politische Revue evangelischen
Lebens in Köln
[Die Symbole Kanzel, Köpfe, Brücke, Kirche werden in den einzelnen Episoden während der Moderationstexte
inhaltsbezogen angeleuchtet.]
1. Die Evangelischen emanzipieren sich zwischen Thron und Altar (1802 – 1860) [DIA-Einblendung „FREI“,
„SCHATTEN“]
1.1 Ein wertvolles Geschenk1
Die Hochzeit des jungen protestantischen Kaufmanns Wilhelm Mülhens, Sohn des Schöffen Jacob Mülhens, in der
Glockengasse zu Köln am 8. Oktober 1792 ist die Geburtsstunde von 4711 Echt Kölnisch Wasser. Der Kartäusermönch
Franz Carl Georg Farina (ein Großneffe des italienischen Einwanderers Johann Paul Feminis, der bereits im 17. Jh. ein
Destillat aus Alkohol und Blütenöl herstellte und als Allerheilmittel verkaufte) überreichte dem jungen Ehepaar damals
ein scheinbar schlichtes Geschenk. Tatsächlich war es jedoch die wertvollste aller Gaben und beeinflußte die Zukunft der
Familie Mülhens wie kein anderes Geschenk. Es war eine geheime Rezeptur zur Herstellung eines „aqua mirabilis“.
„Aqua mirabilii“ waren im 17. und 18. Jh sehr beliebt. Sie wurden zur Linderung verschiedenster Beschwerden
verwendet und es gab sie in allerlei Duft- und Farbvariationen. Auf einem „Wasserzettel“ von 1727 wurde die Wirkung
eines „aqua mirabilis“ folgendermaßen angepriesen:
„Man kann diesem Wasser nicht genugsame Lobsprüch beylegen, so es verdienet, seine Kraft übertrift alles, was
man davon sagen könnte, und die beständige Erfahrnüß, so man darab hab in denen durchtringenden Würkungen,
welche es bey unzahlbaren Krankheiten und Personen von allerhand Art und Alter täglich würket, ist ein so
überzeugender Beweiß, daß man ihme mit gutem Fug den Namen Wunderbar beylegen kan“.
Ein anderer Wasserzettel beschreibt, dass z.B. junge Personen 20 bis 30, ältere 50 bis 60 Tropfen innerlich mit Wasser
oder Wein gemischt anwenden könnten,
„so bringt es die beste Wirkung gegen das Herzklopfen, auch lindert es Kopfschmerzen, wenn man es durch die
Nase einschnupft.“
Wilhelm Mülhens erkannte sehr schnell den Wert dieser Rezeptur und begann bald darauf in der Glockengasse mit dem
Bau einer kleinen Manufaktur zur Herstellung des „aqua mirabilis“. 1803 ließ er sich vertraglich den Namen Franz
Maria Farina sichern. Die in Köln seit 1794 stationierten französischen Truppen schickten das Produkt als Gruß oder
Geschenk in die Heimat und nannten es „Eau de Cologne“; die daraus hervorgegangene „Übersetzung“ hat sich bis heute
als Produktbezeichnung erhalten. Allerdings vollzog sich ein Wandel vom Wundermittel zum den Lebensstandard
hebenden „Duftwasser“ für bürgerliche Kreise, wie es ein Beipackzettel aus der ersten Hälfte des 19. Jh treffend festhält:
„Dieses Wasser, zusammengesetzt aus den feinsten, geistigsten und gewürzhaftesten Riechstoffen, welche die
Pflanzenwelt erzeugt, ist seiner bewundernswürdigen Eigenschaften wegen im ganzen gebildeten Europa, selbst in
fremden Landen schon so bekannt und berühmt, daß es überflüssig wäre, viel zu seinem Lob anzuführen. Es
behauptet daher auch mit Recht unter allen sowohl einfachen als auch vermischten Wohlgerüchen den ersten
Rang um so mehr, da es beim Waschen oder nach dem Bade gebraucht, außerordentlich belebt.“
Der Name „4711“ geht aus der französischen Hausnummerierung des Stammsitzes in der Glockengasse hervor.
Allerdings nutzte erst Ferdinand Mülhens 1875 die magische Wirkung der Zahl, um sein Kölnisch Wasser von anderen
zu unterscheiden (Mitte des 19. Jh gab es in Köln rund vierzig Kölnisch-Wasser-Hersteller) und ließ den Namen als
Warenzeichen eintragen. Die genaue Zusammensetzung und Rezeptur von „4711 Echt Kölnisch Wasser“ unterliegt nach
wie vor einer strengen Geheimhaltung. Die Firma Mülhens ist seit 1994 eine Tochterfirma der Wella AG Darmstadt.
Diese Geschichte des Geschenkes zeigt übrigens, dass die Gräben zwischen Protestanten und Katholiken keineswegs so
tief waren, wie manche Geschichtsschreibung dies gerne darstellt.
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1.2. Der erste öffentliche Gottesdienst 1802
Ermöglicht hat den ersten offiziellen Gottesdienst auf Kölner Boden der napoleonische Erlass der sog. Organischen
Artikel. Die Organischen Artikel von 1802 besagen in ihrem den Kultus betreffenden Teil, dass die drei Konfessionen die katholische, die lutherische und die reformierte – in ihrem Verhältnis zum Staat eine gleiche Stellung einnehmen und
dass keiner ein Vorrang eingeräumt wird. Faktisch wurde damit der alleinigen Kultushoheit der katholischen Kirche nach
fast 1500 Jahren in Köln ein Ende gesetzt.
Schon 1801, als eine grundsätzliche Regelung von Staat und Kirche in Aussicht stand, hatten Vertreter aller
protestantische Gemeinden – das waren damals Mitglieder der hochdeutsch-reformierten, der niederdeutsch-reformierten,
der französisch-reformierten, der lutherischen Gemeinde und der Schiffergemeinde (Köln war Hafen- und Handelsstadt)
– die Zuweisung einer Kirche beantragt. Da die lutherische Gemeinde zu klein für ein eigenes Gotteshaus war, wurde
beschlossen, eine gemeinsame Kirche für Lutheraner und Reformierte zu beantragen.
Die franz. Regierung erlaubte den Protestanten, sich eine Kirche auszusuchen. Die Wahl fiel auf die Antoniterkirche
(übrigens ehemals Augustinerkloster und Ursprungsorden Luthers; von Luther auch 1516 besucht) und ihre
angrenzenden Gebäude, die als Prediger-, Schullehrer- und Küsterwohnung genutzt werden sollten. Rechtlich gingen
Kirche und Gebäude am 7. Juli 1802 in den Besitz der Gemeinde über, allerdings waren sie so stark
renovierungsbedürftig, dass sie nicht genutzt werden konnten und zunächst befreundete Gemeinden und Förderer um
Spenden zur Wiederherrichtung gebeten werden mussten; für diesen Zweck gingen u.a. Gelder vom preußischen und
dänischen König sowie vom russischen Zaren ein.
In weiser Voraussicht einer längeren Renovierungsphase hatten Vertreter der Gemeinde bereits im September 1801 den
Saal der ehemaligen Brauereizunft auf der Schildergasse gemietet (die Miete zahlte u.a. der Textilunternehmer und
spätere Bankier Herstatt). Als provisorischer Gottesdienstraum hergerichtet konnten hier – nachdem am 16. Mai die
Organischen Artikel in Köln verkündet wurden - am Sonntag Rogate, den 23. Mai 1802, die damals 450 reformierten und
259 lutherischen Kölner Protestanten erstmals auf Kölner Boden öffentlich Gottesdienst feiern (heute ist dort das
Kleidergeschäft „Emotions“).
In Gegenwart hoher Beamter der Stadtverwaltung und im Beisein von Militär leitete der reformierte Pfarrer Friedrich
Wilsing aus Süchteln die Feier. Der Unterpräfekt hielt eine Ansprache, in der die positive Wirkung der konsularischen
französischen Staatsverfassung hervorgehoben wurde, der Maire Kölns (franz. Verwalter) betonte den Wert der nun
bestehenden Religionsfreiheit. Die Predigt des Pfarrers behandelte die Pflicht einer christlichen Gemeinde und enthielt
auch Dank an die Franzosen, wobei besonders Napoleon hervorgehoben wurde. Ein Briefwechsel des Pfarrers mit dem
Gemeinderat zeigt, mit welcher Vorsicht man den Inhalt dieser ersten Predigt wählte, um ein mögliches Anstoßnehmen
der katholischen Bevölkerung oder der Obrigkeit zu vermeiden.
Der zweite Gottesdienst wurde am 20. Mai 1802 von M.F. Scheibler, einem lutherischen Pfarrer, gehalten, der in seiner
Predigt die neue Situation enthusiastisch begrüßte:
„Wie glücklich, wie weit glücklicher als wir dachten, hat sich alles geändert. Es ist zurückgerufen, es ist getröstet,
es ist in sein Ansehen und in seine Rechte wieder eingesetzt das vertriebene, das scheue, das gehöhnte und
bedrängte Christentum; die Regierung des Vaterlandes hat sich öffentlich und feierlich zu demselben bekannt, sie
hat es für die Religion des Staates erklärt, sie hat ihm eine äußere Verfassung gegeben und seine Fortdauer
gesichert.“ 2
Genau drei Jahre nach der Einführung der Kultusfreiheit fand Rogate 1805 der erste protestantische Gottesdienst in der
Antoniterkirche statt. Eine Ode unterstrich besonders die Verdienste Napoleons3:
„Wem danken wir den Gottestempel
der uns´re Herzen so entzückt?
Wer hat den Christenfriedenstempel
Auf unsern Staat
Als Vater seines Volkes gedrückt?
Er ist der Große, der die Zügel
Des ganzen Staats so weise lenkt,
Es ist Napoleon der Kaiser,
Der diesen Tempel uns geschenkt.
Er sah des Vaterlands Gefahren
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Und stiftete das Konsulat,
Gab volle Freiheit den Gewissen
Und schuf das weise Konkordat.“
Deutlich wird, wie sehr den Protestanten bewusst war, dass sie ihre Gleichstellung auf nahezu allen Gebieten – und somit
zuletzt auch auf religiösem Gebiet - der französischen Regierung verdankten. In diesem Zusammenhang ist nicht
verwunderlich, dass die Sympathien auf protestantischer Seite für die Franzosen weitaus größer waren als auf
katholischer Seite.
1.3. Protestantische Wirtschaftskraft Mitte des 19. Jahrhunderts4
Das Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken in Köln lässt sich im Bereich Wirtschaft recht gut bestimmen,
allerdings nur in bezug auf die obere wirtschaftlich-soziale Schicht und zwar anhand der Notablen-Listen der Kölner
Handelskammer, die seit franz. Zeit aus der Reihe der angesehensten Kaufleute der Stadt ermittelt wurde. Diese Liste
zählt
Notable
davon Prot.
entspricht
prot.
ca.
1821
60
15
25 %
4%
1830
72
24
33 %
1844
88
36
41 %
1860
Bevölkerungsanteil
10-11 %
44 %
1880
15%
Die Listen zeigen den zunehmenden Einfluss der prot. Kaufleute und Unternehmer. 1848 waren unter den 9 Kölner
Unternehmen mit dem höchsten Einkommen 6 Protestanten (66,6%), darunter z.B. die Firmen Joest (Zuckerfabrikant,
stand 1848 mit 60.000 Taler Jahreseinkommen an der Einkommensspitze); Herstatt (ursprünglich Textilgewerbe, dann
Bankgeschäfte) Weinkellerei J. Mumm („manchmal muss es eben Mumm sein ...“) oder A. und L. Camphausen (haben
im Öl- und Getreidehandel begonnen, später dann vielfältige Bankgeschäfte; Ludolf Camphausen [*10.1.1803
+3.12.1890] wurde Mitbegründer der Rhein. Eisenbahnen und Vorsitzender der Rhein. Eisenbahngesellschaft, 1847
Wortführer der rhein. Liberalen im vereinigten Landtag und wurde 1848 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt).
Entsprechend der wirtschaftlichen Kraft war auch die Armut unter den Protestanten deutlich geringer als bei den
Katholiken. Waren Mitte des 19. Jh von der Gesamtbevölkerung über 25% unterstützungsbedürftig, lag der Anteil bei
den Kölner Protestanten mit 8,5% deutlich darunter.
In öffentlichen Positionen und hohen Ämtern waren Protestanten ebenfalls überproportional vertreten, v.a. in
überregional orientierten Behörden (kgl. Regierung / Provinzialsteuerdirektion, Regierungskanzlei). Barbara Becker-Jakli
kommt zu dem Urteil:
„Die Protestanten erschlossen sich diese Ebene der politischen Machtausübung – begünstigt durch die
Protestantisierungspolitik des preußischen Staates und durch ihre wirtschaftliche Stellung.“ 5
Mit ihren Worten kann man zusammenfassend sagen:
„Um 1850 übten die Protestanten ... einen über ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung Kölns weit
hinausgehenden Einfluss innerhalb des Verwaltungsbereichs aus, doch entsprach dieser durchaus ihrer
wirtschaftlichen Bedeutung: wirtschaftliche und politische Macht ergänzten sich.“6
1.4. Gottfried (und Johanna) Kinkel
"Kinkel war ein auffallend schöner Mann. Von regelmäßigen Gesichtszügen und von herkulischem Körperbau,
über sechs Fuß groß, strotzend vor Kraft. Unter seiner von schwarzem Haupthaar beschatteten breiten Stirn
leuchteten ein paar dunkle Augen hervor, deren Feuer selbst durch die Brille, die er damals durch seine
Kurzsichtigkeit gezwungen tragen musste nicht gedämpft wurde. Mund und Kinn waren von einem schwarzen
Vollbart umrahmt. Kinkel besaß eine wunderbare Stimme zugleich stark und weich hoch und tief, gewaltig und
rührend in ihren Tönen, schmeichelnd wie die Flöte und schmetternd wie die Posaune als umfasste sie alle
Register der Orgel. Ihm zuzuhören war ein musikalischer Genuss und ein intellektueller zugleich". [Carl Schurz
(1848 Revolutionär und 1877-81 amerikanischer Innenminister)]7
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Gottfried Kinkel (*11.8.1815 Bonn-Oberkassel, +13.11.1882 Unterstraß b. Zürich) entstammt einem orthodox pietistisch
ausgerichteten protestantischen Pfarrhaus. Über Kindheit und Jugend im Elternhaus beklagt sich Kinkel später in seiner
Biographie:
,,Alle weltliche Lebensfreude wurde mit irgendeiner Bibelstelle totgeschlagen."
Dem elterlichen Wunsch entsprechend studiert er ab 1831 in Bonn, 1834/35 in Berlin evangelische Theologie, wendet
sich allerdings dort zunehmend den Künsten zu. 1837 wird er in Bonn Dozent für Kirchengeschichte. Im Frühjahr 1839
lernt er die fünf Jahre ältere, musikalisch hochbegabte und in Trennung lebende Johanna Mathieu geb. Mockel
(*8.7.1810 Bonn, +15.11.1858 London) kennen, eine imponierende Frau mit Zugang zu den besten intellektuellen
Kreisen8. Mit ihr und weiteren Freunden gründet Kinkel 1840 den spätromantischen Dichterkreis "Der Maikäfer".
Programmatischer Untertitel des gleichnamigen Vereinsorgans: "Zeitschrift für Nicht-Philister". Im selben Jahr bewirbt
sich Kinkel erfolgreich auf eine Hilfspredigerstelle in der Gemeinde Köln. Allerdings sorgt die Beziehung mit der in
Trennung lebenden Katholikin Johanna sowohl in den Bonner als auch in Kölner bürgerlichen Kreisen für Unmut. Das
Presbyterium fordert daraufhin von Kinkel eine Klarstellung, die er allerdings ablehnt. Daraufhin untersagt das
Presbyterium ihm mit sofortiger Wirkung jede weitere Predigt- und Lehrtätigkeit. Kinkel entfernt sich nun zunehmend
von der Kirche. Ein kurzes Gedicht von 1842 zeigt den Sinneswechsel:
„Nun ist mir längst vorbei die Zeit / Romantisch zu phantasieren / Und wo ich hinaus in die Welt nur seh / Muß
ich politisieren.“
1843 konvertiert Johanna, der als Katholikin eine Wiederheirat versagt ist. Die beiden heiraten, nachdem die durch den
Code Napoleon verlangte dreijährige Karenzzeit zwischen Ehescheidung und Wiederheirat abgelaufen ist. Dabei ist
folgende Begebenheit überliefert:
„Der Beamte fragte wann sei die Scheidung damals ausgesprochen worden sei. Um 11. Nun dann müssen wir eine
viertel Stunde hinzutun, die Uhren können differiert haben“9
1845 hat sich Kinkel von der Kirche gelöst; er lässt sich umhabilitieren und wird nach Vorlage der 1. Lieferung seiner
Geschichte der bildenden Künste bei den christlichen Völkern (Die altchristliche Kunst) außerordentlicher Professor für
Kunst- und Literaturgeschichte in Bonn.
Im Vorfeld der Revolution wird er zum Wortführer der demokratischen Kreise. Johanna Kinkel wird von Karl Marx, dem
damals in Köln wirkenden Herausgeber der Neuen Rheinischen Zeitung, als Übersetzerin englischer Artikel angeworben;
dazu kam es jedoch nicht, da sie in Bonn kommissarisch bereits die Chefredaktion der "Neuen Bonner Zeitung"
übernommen hatte, während Gottfried als Abgeordneter in der 2. Preußischen Kammer für soziale Belange eintritt. Bei
der Teilnahme am badisch-pfälzischen Aufstand 1849 wird Kinkel verhaftet, zum Tode verurteilt, aber schließlich zu
lebenslanger Haft begnadigt. Dies macht ihn zu einem Märtyrer der demokratischen Revolution und lässt zahlreiche
„Kinkel-Kommitees“ entstehen. 1850 wird er durch eine tollkühne Nacht- und Nebelaktion von seinem Studenten Carl
Schurz aus der Festung Spandau befreit und siedelt nach England über. In London, dem Schmelztiegel politischer
Emigranten, versuchen Schurz und Kinkel der Revolution weiter zu dienen. Im September 1851 begibt sich Kinkel auf
eine Agitationstour nach Amerika, um Spenden für die Aushebung eines Invasionsheeres zu sammeln. Johanna eröffnet
während der sechsmonatigen Abwesenheit ihres Mannes eine Kindergesangsschule. Als die revolutionäre Sache aber
hoffnungslos wird, fordert sie Kinkel zur Rückkehr auf:
"Ihr Männer sprecht von der Glorie, die Rücksicht auf die Familie dem Vaterland zu opfern. Hast Du Dir auch
schon einmal alle Konsequenzen ausgemalt, und weißt Du, wie eine geopferte Familie aussieht?"
Gottfried Kinkel kehrt im März 1852 nach London zurück und zieht sich aus Familienrücksicht von der Agitationsarbeit
zurück. Ihren Lebensunterhalt sichern sie sich fortan durch diverse Tätigkeiten: er als Schriftsteller, Journalist und
Kunstwissenschaftler, sie als Komponistin, Musikpädagogin und Schriftstellerin.
Johanna Kinkels Tod 1858 bedeutet für Gottfried Kinkel einen großen Verlust, hindert ihn aber nicht an seiner
Schaffenskraft. 1859 gründet er das deutsche Blatt Hermann, publizierte Journalistisches, Literarisches und
Essayistisches und hält Vorträge zur Kunst und deutschen Literatur, u.a. auch vor der deutschen Kolonie in Paris. 1868
erscheint eine zweite Sammlung von Gedichten (mit römischen, orientalischen, frühchristlichen, germanischen und
deutschen Balladenstoffen).
1866 übersiedelt Kinkel in die Schweiz, wo er am Züricher Polytechnikum eine Professur für Archäologie und
Kunstgeschichte antritt. Von dort verurteilt er die Politik Bismarcks, besonders nach der Einführung des Erbkaisertums
(1870-71). Er prangert die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten in Deutschland an und setzt sich für Menschen ein,
die infolge der Sozialistengesetze Bismarcks (1878) fliehen mussten. In diesen Jahren hält er viele Veranstaltungen ab,
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deren Erlös er den Opfern der Sozialistengesetze zukommen läßt. Am 18. Nov. 1882 stirbt der schon länger Kränkelnde
in hohen Ehren. Ein internationales Grabgefolge begleitet den Sarg.
Sein von Robert Schumann vertontes „Abendlied“ zeigt die tiefe Verwurzelung Kinkels in der Romantik:
Es ist so still geworden, / Verrauscht des Abends Wehn, / Nun hört man aller Orten / Der Engel Füße gehn.
Rings in die Tiefe senket / Sich Finsternis mit Macht;/ Wirf ab, Herz, was dich kränket,/ Und was dir bange macht!
Nun stehn im Himmelskreise/ Die Stern' in Majestät;/ In gleichem, festem Gleise /Der goldne Wagen geht.
Und gleich den Sternen lenket / Er den Weg durch Nacht;/ Wirf ab, Herz, was dich kränket,/ Und was dir bange
macht!
Kinkels Kölner Episode ist Beispiel für die moralische Enge des Kölner Protestantismus Mitte des 19. Jahrhunderts und
zeigt die Schwierigkeiten der Freigeister, sich noch innerhalb der Kirche beheimatet zu fühlen.
1.5. Eine protestantische Kölnerin vor 1850?10
Trotz intensiver Recherche konnte bis dato keine protestantische Frau in der ersten Hälfte des 19. Jh. ausfindig gemacht
werden, die in besonderer Weise in oder für die Stadt bzw. Gemeinde gewirkt hat. Alle uns bekannten interessanten und
z.B. in der Frauenbewegung aktiven Frauen erwiesen sich als katholisch. So findet sich bei protestantischen Frauen oft
nur ein Name und evt. Geburts- und Sterbedaten, ohne dass näheres über die Schicksale dahinter in Erfahrung zu bringen
ist, oder sie werden als Ehefrauen ihrer bekannten Männer erwähnt. Intensive Forschungsarbeit wäre nötig, um die
garantiert vorhandenen Schätze zu heben; diese kann aber hier nicht geleistet werden. Als Alternative schlage ich vor, die
Mädchenbildung in der ersten Hälfte des 19. Jh. in den Blick zu nehmen, weil diesbezüglich die Gemeinde Köln
frühzeitig aktiv wurde und einiges an sozialem Umfeld deutlich wird.
Um die Bildung war es zu Beginn des 19. Jh. in Köln sehr schlecht bestellt, zumal um die Mädchenbildung. Außer der
Ursulinenschule und einigen kleineren Privatschulen gab es für Mädchen keinerlei Schulen. Der Schulorganisationsplan
von Grashof im Jahr 1825 schlug zwar die Gründung einer öffentlichen höheren Mädchenschule vor, eingerichtet wurde
sie aber erst 1871 (Königin-Luise-Schule). Die Gemeinde Köln wurde hier frühzeitig aktiv. Unter ihrem Pfarrer Kraft
gründete sie 1827 eine höhere Töchterschule und schloss damit eine wichtige schulpolitische Lücke. Bei der Zusendung
eines Musterlehrplanes vermochte die preußische Regierung nur einige generelle Aussagen zur Zielsetzung der
beantragten Schule machen, die als kennzeichnend für das öffentliche Bewusstsein in Hinblick auf Mädchenbildung und
–erziehung anzusehen sind. Demnach erwartete die Regierung, dass
„diejenigen Missgriffe, welche den Hauptzweck der weiblichen Bildung, die Bildung für das Familienleben
gefährden könnten,
vermieden würden. Daher bestimmte sie für die inhaltliche Organisation der Schule:
„Bei der Wahl der Unterrichtsgegenstände wird es hauptsächlich darauf ankommen, diejenigen vorherrschen zu
lassen, die vorzugsweise geeignet sind, den Sinn für das Schöne und Gute und was durch beides bedingt ist, den
Sinn für das Heilige zu wecken und zu stärken, wozu außer dem unmittelbaren Religionsunterricht selbst
vorzüglich auch Gesang, Naturkunde und Geschichte gehören, aber alles anders als in der Knabenschule. Wenn
es in der letzteren hauptsächlich auf die Bildung des Verstandes ankommt, um durch diesen auf den Willen
einzuwirken, so muß bei Mädchen mehr auf Bildung des Gefühls hingearbeitet werden, da das Mädchen überhaupt
mehr durch den Sinn und das Gefühl auffasst, als durch den reflektierenden Verstand.“11
Zum Lehrpersonal gehörte in den ersten Jahren auch eine Frau, nämlich Frau Janson. Sie gab Handarbeitsunterricht. Was
sie darüber hinaus jedoch als „weiblicher Mittelpunkt“ noch zu tun hatte, ist aus den Akten nicht erkennbar. Vielleicht ist
ihre Tätigkeit in derselben Art aufzufassen, wie andere Schulgeschichten sie schildern, z.B. in Dessau, wo die „erste
Lehrerin“ der Töchterschule neben ihren Lehrstunden noch für die äußere Ordnung während der Unterrichtsstunden zu
sorgen, also ihnen überwachend beizuwohnen und auch sonst für das Schulhaus, für Holz und Heizung und für die
Kassenverwaltung der Töchterschule die Verantwortung zu tragen. Die Entwicklung der Schülerinnenzahl ist auf jeden
Fall stetig steigend: 1827: 12 Schülerinnen, 1834: 40 1839: 96 und 1845: 145 Schülerinnen. Die Schülerinnen kamen
dabei vorwiegend aus der protestantischen Mittel- und Oberschicht. 1846 hatte die Schule 3 (oder 4) Lehrer und eine
Lehrerin, die neben Handarbeit auch „wissenschaftlichen Unterricht“ gab. Auf die Höhere Töchterschule schickten u.a.
die bekannten Kölner Familien Camphausen, Mumm und Pfeiffer ihre Kinder.
Ein großes Problem war die Schuldisziplin. Hinsichtlich der Regelmäßigkeit gab es Probleme, weil viele der Eltern im
Sommer auf ihre Landgüter reisten und ihre Kinder oft wochen- und monatelang fern hielten. Aber auch mit der
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Pünktlichkeit nahmen es die Schülerinnen nicht immer genau: so heißt es in einem Konferenzprotokoll Anfang der 1849
Jahre:
„Karoline Kapp soll entweder die Schule verlassen oder pünktlich kommen.“
Dass die Schulbildung nicht unbedingt als Vorbereitung auf eine spätere Berufstätigkeit zu verstehen ist, zeigt das
Gemeindeverzeichnis von 1847 der Gemeinde Köln, wo neben anderen Daten auch die soziale und wirtschaftliche
Stellung der Frauen verzeichnet ist. Demnach sind ohne Beruf 75,3%, 14,2 % arbeiten im Dienstleitungsbereich (d.h.
meist Dienstmädchen), 6,7% im Textilbereich, 0,8 % im Handel, 3,1% in sonstigen Berufen12.
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2. Die Evangelischen breiten sich aus und schließen sich zusammen (1860-1933) [DIA-Einblendung: „AUFBRUCH“
und „JATHO“]
2.1. Auswirkungen des Kulturkampfes in Köln / Paulus Melchers 13
Mit der Verhaftung des seit 1866 amtierenden Kölner Erzbischofes Paul Ludolf (Paulus) Melchers (Münster 6.1.1813 +
Rom 14.12.1895) durch den Kölner Polizeipräsidenten Leopold Devens erreicht die als Kulturkampf bezeichnete
Auseinandersetzung zwischen dem preußischen Staat und der katholischen Kirche einen vorläufigen Höhepunkt.
Melchers hatte mehrfach gegen das Kulturkampfgesetz verstoßen und sich geweigert, gegen ihn verhängte Geldstrafen zu
bezahlen. Sein Besitz wurde daraufhin beschlagnahmt und versteigert. Da der Erlös nicht ausreichte, wurde die
Geldstrafe in Haft umgewandelt. Aus dem erzbischöflichen Haus wird Melchers am 31. März 1874 verhaftet und ins
Gefängnis Klingelpütz überführt, wo er 28 Wochen in Haft bleibt. Um sich einer erneuten Inhaftierung zu entziehen,
begibt sich Melchers im Dezember 1875 in ein Kloster ins niederländische Maastrich. Von dort aus leitet er die
Geschicke seines Erzbistums weiter, obwohl der neu geschaffene staatliche Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten
ihn durch Urteilsspruch vom 28. Juni 1876 als Erzbischof absetzt.
Unmittelbarer Anlass für den Konflikt waren kirchliche Sanktionen gegen die Altkatholiken, die zugleich Staatsbeamte
waren. Kultusminister Falk und Bismarck suchten im Verein mit den Liberalen auf dem Gesetzesweg die kath. Kirche
unter staatliche Kontrolle zu bringen. Die als staatsfeindlich empfundene Zentrumspartei sollte zerschlagen werden. Die
Beseitigung der kirchlichen Schulaufsicht, die Auflösung einer Reihe von Ordensniederlassungen, das staatliche
Vetorecht bei der Übertragung eines kirchlichen Amtes durch den Bischof und ein strafrechtliches Vorgehen gegen
solche Geistliche, die sich in Ausübung ihres Berufes politisch äußerten, sind nur einige Beispiele für die Maßnahmen,
mit denen der preußische Staat seinen Souveränitätsanspruch gegen die katholischen Kirche durchzusetzen versuchte.
Das Gesetz betreffend der Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln von 1875 dokumentiert die Härte der
Auseinandersetzung14:
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc., verordnen mit Zustimmung beider Häuser des
Landtages für den Umfang der Monarchie, was folgt:
§1. In den Erzdiözesen Köln, Gnesen und Posen ... werden vom Tage der Verkündigung ab sämtliche für die
Bistümer, die zu denselben gehöreigen Institute und die Geistlichen bestimmten Leistungen aus Staatsmitteln
eingestellt. ...
§ 2. Die eingestellten Leistungen werden für den Umfang des Sprengels wieder aufgenommen, sobald der jetzt im
Amte befindliche Bischof ... oder Bistumsverweser der Staatsregierung gegenüber durch schriftliche Erklärung
sich verpflichtet, die Gesetze des Staates zu befolgen.
Doch offensichtlich hatte man von staatlicher Seite das Ausmaß des Widerstand nicht richtig eingeschätzt. Nicht nur der
Klerus, sondern auch weite Teile der Kölner Bevölkerung protestierten gegen diese Maßnahmen. Vor allem in den
ländlichen Regionen rings um Köln war die antipreußische und antiliberale Stimmung derart gereizt, dass die dortigen
Bürgermeister den Ausbruch von Gewalttätigkeiten erwarteten.
Bis 1877 werden im Erzbistum Köln insgesamt 94 Ordensniederlassungen aufgehoben; 123 von 813 Pfarreien des
Erzbistums sind 1878 infolge des Kulturkampfes unbesetzt, ein Großteil des Klerus erhält kein Gehalt mehr und ist auf
Unterstützung durch Kollekten etc. angewiesen. Melchers versucht aus dem Exil seine geistliche Leitung dadurch
wahrzunehmen, dass er religiöse Schriften verfasst (elf an der Zahl).
Spätestens 1877 wird deutlich, dass der preußische Staat im Kulturkampf seine Ziele nicht erreicht. Es zeigt sich im
Gegenteil, dass der Konflikt die Solidarität innerhalb der katholischen Kirche noch verstärkt. Die Zentrumspartei als
politische Vertreterin des Katholizismus etabliert sich im System der politischen Parteien. Dennoch dauert der
Kulturkampf bis 1887 an.
Melchers verzichtet im Interesse des kirchenpolitischen Friedens 1885 auf sein Amt und wird Kurienkardinal in Rom.
Mit Philippus Krementz bekommt Köln nach 10 Jahren wieder einen Erzbischof. Melchers stirb schwerhörig und fast
erblindet 1895 in Rom.
In die Zeit des Kulturkampfes fällt auch die Fertigstellung des Domes. Es war lange umstritten, ob wegen der
Spannungen der Dom überhaupt feierlich eingeweiht werden sollte. Die Stadt entschied sich – gegen den Willen der
kath. Kirche - in engster Abstimmung mit den zuständigen preußischen Behörden ein pompöses Fest mit einem
Straßenumzug auszurichten. Unter allen Umständen sollte vermieden werden, dass es zu einer Brüskierung des Kaisers
oder zu einem als Versöhnung mit der katholischen Kirche empfundenen Festakt kam. Das stark reduzierte Domkapitel
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lehnte es denn auch ab, ein Pontifikalamt zu feiern und stimmte zum Empfang des Kaiserpaares lediglich ein Tedeum an.
Der offizielle Festgottesdienst fand in der evangelischen Trinitatiskirche statt!
2.2. Die „soziale Frage“ in Köln15
Natürlich waren auch im Köln des 19. Jahrhunderts die vielfältigen Strukturmängel in der Gesellschaft sichtbar. Der
Umbruch von der Agrar- und Handwerksgesellschaft zu kapitalistisch bestimmten Industriegesellschaft, die Landflucht,
die damit einhergehende Bevölkerungsexplosion und das Überangebot an Arbeitskräften, führte auch in Köln zu großen
sozioökonomischen Schieflagen. Armut, mangelhafte Wohnverhältnis, fehlende Ausbildung sowie vielfältige physische
und psychische Schäden in den unteren Schichten standen einer seitens des Bürgertums prosperierenden Wirtschaft und
z.T. glanzvollen und großzügig angelegten Bautätigkeit gegenüber.
Gesamtgesellschaftlich ist die Zeit vor 1850 durch drei große Krisen gekennzeichnet: in der Landwirtschaft, im
Hausgewerbe und im Handwerk. Dadurch werden immer mehr Menschen gezwungen, in die Städte und in die neuen
Produktionsstätten, die Fabriken, zu gehen. Sie bilden damit die Vorhut des vierten Standes, des Proletariats. Dies tritt
allerdings erst nach 1850 richtig in Erscheinung und zeigt sich zunehmend in verschlechterten Wohnungsbedingung,
ökonomischen Abhängigkeiten und gesellschaftlicher Ohnmacht. Für Köln tritt dies noch einmal massiv nach der
Stadterweitung von 1880 in Erscheinung, wodurch auch regelrechte Arbeiterstadtteile entstehen (Kalk, Ehrenfeld).
Einzelne Teile des aufgeklärten, liberalen Bürgertums sahen sich durch die Entstehung des Proletariats in ihrem
Selbstverständnis in Frage gestellt und engagierte sich in der Organisierung von Genossenschaften und Vereinen. Im
Gegensatz zur früher einsetzenden sozialistischen Arbeiterbewegung entwickelte sich eine Arbeiterbewegung auf
konfessioneller Grundlage aber im wesentlichen erst nach 1880. Nur der von Kolping katholischerseits gegründete
Gesellenverein fand schon früher größere Verbreitung, wenngleich auch er wie andere katholische Arbeitervereine
konservativ-ständisch orientiert war. Allen konfessionellen Arbeitervereinen gemeinsam war, dass sie sich in schroffer
Ablehnung zur sozialistischen Gesinnung befanden.
Dies trifft auch für den 1890 in Köln gegründeten evangelischen Arbeiterverein zu, der politisch konservativ bis
nationalliberal ausgerichtet war. Seine reformerischen Ziele, die sich auf Verbesserung der Wohn- und
Arbeitsverhältnisse, auf Versicherungsschutz und die Arbeiterbildung bezogen, standen der bürgerlichen
Gesellschaftsvorstellung nicht entgegen. Im Gegenteil, geleitet von Geistlichen und Lehrern und gefördert durch
vermögende Kaufleute und Industrielle waren sie Ausdruck bürgerlicher Sozialreform. Die Ausrichtung des 1890
gegründeten evangelischen Arbeitervereins stand unter dem Wahlspruch:
„Thut Ehre jedermann. Habt die Brüder lieb. Fürchtet Gott. Ehret den König.“
Inhaltlich wurden die Ziele wie folgt definiert:
„... unter den Glaubensgenossen das evangelische Bewusstsein zu stärken, die gute Sitte und allgemeine Bildung
unter seinen Mitgliedern zu pflegen, das friedliche Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nach
Möglichkeit zu wahren, über die Wohlfahrt seiner Mitglieder nach Kräften zu fördern.“
Bezeichnend ist, dass im Vorstand stets weniger Arbeiter sitzen als vielmehr Pfarrer und Fabrikanten. Ausflüge und
Festveranstaltungen v.a. an den christlichen Feiertagen und am Geburtstag des Kaiser gelten als Höhepunkte des
Vereinslebens. Aufgaben des Vereins lagen in der Vermittlung von Arbeit, auf den Gebieten Versicherungsschutz,
Wohnungsbeschaffung, Arbeitsvermittlung, Rechtsinformation – wenngleich die tatsächlich geleisteten Hilfen
überschaubar blieben. Wichtigster Teil der Vereinsarbeit war die „Pflege einer gemütlichen Geselligkeit“, die aber auch
mit religiös sittlicher Bildung und sozialpolitischer Information verbunden werden sollte. Dazu fanden Sonntagsabends
regelmäßige Versammlungen statt, die den Mitgliedern und ihren Familien Gelegenheit zur Unterhaltung gaben, v.a. aber
belehrende und erbauliche Vorträge aus unterschiedlichen Themenfelder boten. Vortragsthemen waren z.B. „Bismarck“,
„Entstehung der Sozialdemokratie in Deutschland“, „Die Entstehung des Reichtums“, „Die Arbeiterschutzgesetze“,
„Zähne und Zahnpflege“, während des 1. WK waren dann auch schon einmal „Kriegsbilder aus der Gegenwart“ oder
„Briefe meines gefallenen Sohnes“ Thema. Bis 1915 waren insgesamt ca. 800 Vorträge von Beamten, Pfarrern, Lehrern,
Professoren etc. gehalten worden, wobei allerdings der Anteil der Handwerker und Arbeiter nur recht gering war.
Insgesamt hat sich zwar ein z.T. reges Arbeitervereinsleben in Köln entwickelt, allerdings erst zu einem Zeitpunkt, als
die Brisanz der sozialen Fragen schon wieder abebbte. Beginnend mit der Sozialpolitik Bismarcks, die ursprünglich Staat
und Gesellschaft gegen die Forderungen der Sozialdemokratie immunisieren sollte, und der politischen
Gleichberechtigung der Arbeiterschaft durch Beseitigung des Dreiklassenwahlrechts sowie durch den Ausbau eines
Systems der sozialen Sicherungen trat auch in Köln die soziale Frage nach der Jahrhundertwende zunehmend in den
Hintergrund.
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Stand: 15.02.02 // Druckstand: 15.05.16
2.3. Max Bruch
Der Komponist Max Bruch wurde am 6. Januar 1838 als Sohn des stellvertretenden Polizeipräsidenten in Köln geboren.
Nach einer musikalischen Grundausbildung durch seine Mutter erhielt er aufgrund eines preisgekrönten Streichquartetts
von 1853 bis 1857 ein Stipendium der Mozartstiftung in Frankfurt. Anschließend arbeitete er als Musiklehrer in Köln
und unternahm ab 1861 Studienreisen, unter anderem nach Berlin, Wien, Dresden und München. Von 1865 bis 1867 war
er Musikdirektor in Koblenz, später Hofkapellmeister in Sondershausen, Dirigent des Stern'schen Gesangsvereins in
Berlin und der Philharmonic Society in Liverpool, Leiter des Breslauer Orchestervereins und der akademischen
Meisterschule an der Kompositionsabteilung der Berliner Akademie. Der Schwerpunkt in Bruchs kompositorischen
Schaffen liegt in großen Chor-Orchester-Werken. Er starb am 2. Oktober 1920 in Berlin.
Bruch war und ist in erster Linie als Komponist eines einzigen Werkes, seines Violinkonzertes Nr.1 in G- Dur op 26
bekannt. Bruch selbst sagte dazu:
„Ich kann dies Concert nicht mehr hören, habe ich vielleicht bloß dies eine Concert geschrieben? Gehen Sie hin
und spielen Sie endlich einmal die andern Concerte, die ebenso gut, wenn nicht besser sind!“16
Zu Lebzeiten war er jedoch v.a. als Chorkomponist geschätzt. In den Konzertprogrammen des 19. Jhd. hatte er vor allem
mit seinen patriotischen, vom Kulturprotestantismus geprägten Oratorien seinen festen Platz gefunden.
Bruch begann bereits mit neun Jahren zu komponieren. Als Elfjähriger schrieb er ganze Orchesterwerke. Mit 14 brachte
er bereits in Köln eine Sinfonie zur Aufführung und galt als „Wunderknabe Kölns“. In der rheinischen Musikzeitung von
1852 verglich man Bruch sowohl mit Mozart als auch mit Mendelssohn. 1858 führte er erfolgreich „Scherz, List und
Rache“ Op.1 nach einem Text von Goethe auf. Von 1858 bis 1861 arbeitet er als Musiklehrer in Köln (u.a. am FriedrichWilhelm-Gymnasium), verlässt dann aber seine Heimatstadt, da diese ihm keine Stellung anbietet. Bruch schmerzte dies
sehr, denn er war in hohem Maße heimatverbunden:
„Wie tief die Heimat in mein Herz eingegraben ist, das beweist Ihnen schon mein Liede von der Heimat: “Nirgend
ist´s lieblicher ja, als in der Heimath“
Die Ignoranz der Stadt gegenüber Bruch, die ihm weder eine feste Anstellung noch zeitlebens eine öffentliche Ehrung
zukommen ließ, erstaunte und verbitterte nicht nur Bruch. Auch Brahms konnte nicht verstehen, wieso das Rheinland
ihren begabten Sohn nicht mit einer Festanstellung honorierte. In einem Brief an den Regierungsrat Steinmetz von 1876
bezüglich einer Festanstellung in Düsseldorf schreibt er:
„Ich kann die Frage nicht gut unterdrücken: Wie kommt es, dass man nicht zunächst an Max Bruch denkt?“
Dennoch fühlt sich Bruch zeitlebens zu seiner Vaterstadt hingezogen und ganz in der Nähe – in Bergisch Gladbach bei
Freunden – entstanden auch zahlreiche seiner Werke. So erinnert sich Bruch 1920:
„...Igeler Hof ... war ein Asyl für stille Geistesarbeit, wie man es sich nicht schöner denken konnte, und es ist
daher begreiflich, dass ich den Igeler Hof lebenslänglich über alles liebte ... wo ich auch sein mochte, nie verließ
mich die Sehnsucht nach dem lieben Gladbach und dem Igeler Hof, den Stätten meiner glücklichen Jugend ...“ 17
Wie Bruch sich und sein Werk (richtig) einschätzt, belegt eine schöne Passage aus dem Jahr 1907:
„Brahms ist 10 Jahre tot, doch noch immer wird über ihn gelästert, sogar unter den besten Musikkennern und
Kritikern. Ich sage jedoch voraus, dass er im Laufe de Zeit immer mehr geschätzt werden wird, während die
meisten meiner Werke nach und nach in Vergessenheit geraten. In 50 Jahren wird sein Glanz als der des
überragendsten Komponisten aller Zeiten hell erstrahlen, während man sich meiner Hauptsächlich nur wegen
meines g-moll Violinkonzertes erinnern wird ... Brahms war aus verschiedene Gründen ein weit größerer
Komponist als ich. Vor allem war er von stärkerer Originalität. Er ging stets seinen eigenen Weg. er kümmerte
sich überhaupt nicht um die Reaktion des Publikums oder die Meinung der Kritiker ...Ein weiterer Umstand der
gegen mich sprach, war meine wirtschaftliche Lage. Ich hatte eine Familie zu ernähren und für die Ausbildung der
Kinder zu sorgen. Ich musste mit meinen Komp. Geld verdienen. Ich war deshalb gezwungen, gefällige und leicht
verständliche Werke zu schreiben ... Ich schrieb immer gute Musik, aber solche, die leicht abzusetzen war. Über
meine Musik zu streiten bestand eigentlich kein Anlaß. Ich beleidigte das Ohr der Kritiker nie durch jene
wunderbaren, widerstreitenden Rhythmen, die so bezeichnend für Brahms sind. Auch hätte ich es nicht gewagt,
beim Übergang von einer Tonart in eine andere Stufensequenzen auszulassen, was die Modulationen Brahms so
kühn und aufregend macht. Und schließlich hatte ich nicht den Mut, in solch dunklen Farben in der Art
Rembrandts zu malen. All dies und manches mehr sprach gegen Brahms, aber gerade diese Merkmale werden das
Bild, das man sich in 50 Jahren von ihm macht, bestimmen...“
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Aus Anlass seines 70. Geburtstages kehrte Bruch am 7. Januar 1908 einmalig nach Köln zurück und dirigierte im
Gürzenich eigene Werke. Der voll besetzte Saal zollt dem Komponisten stürmischen Beifall, Bruch wird sogar mit
Lorbeerkränzen bedacht. Er stirbt 1920 im In- und Ausland hochdekoriert in Berlin. In Köln gibt es heute ein Max Bruch
Archiv des Musikwissenschaftlichen Instituts der Uni Köln. Eine Figur am Kölner Rathausturm erinnert an Kölns großen
Tondichter, eine Gedenktafel am Richmodishaus am Neumarkt an seine Geburtsstätte und sein Elternhaus. Eine Strasse
in Lindenthal ist nach ihm benannt. In Bergisch Gladbach steht seit 1935 ein Max-Bruch Denkmal; es gibt dort eine
Max-Bruch-Musikschule sowie zwei nach ihm benannte Strassen.
2.4. Laura von Oelbermann18
Laura von Oelbermann gehörte in ihren Tagen zu reichsten und bekanntesten Frauen Kölns. Es war aber nicht allein ihr
Reichtum, sondern auch ihr Einsatz für karitative Zwecke, der zu ihrem Image führte.
„Da stauten sich zu früheren Zeiten so um die Mittagstunde vor ihrem großen Hause am Hohenstaufenring die
Menschen, und wenn man einen Schutzmann erwischen konnte und ihn oder auf der Elektrischen den Schaffner
fragte, was denn eigentlich los wäre, ob es einen Krawall gäbe oder einen Zusammenstoß, so wurde einem
ziemlich von oben herab geantwortet, als ob man das wissen müsste: `de reiche Frau Oelbermann jeht aus´. Das
war damals ein Ereignis.“19
Geboren am 18.5.1846 als Tochter des Rentners Nickels heiratete sie 1866 den deutsch-amerikanischen Geschäftsmann
Emil Oelbermann, der Ende der 1850 Jahre im Auftrag bzw. später als Teilhaber der Kölner Weberei Andreae häufig in
Nordamerika weilte und – durch Sklavenhandel behaupten die Einen, durch Textilhandel schreiben Andere - vielfacher
Millionär wurde. Zehn Jahre lebten Oelbermanns in New York. Zusammen hatten sie fünf Kinder, von denen zwei im
Kindesalter und die anderen vor ihr als Erwachsene verstarben. Auf Laura Oelbermanns Wunsch zogen sie Ende der
1870 Jahre wieder nach Köln. 1890 zogen sie in den Prachtbau am Hohenstaufenring 57 (Ecke Beethovenstr., heute Nr.
55), der von außen und innen den Reichtum der Besitzer dokumentierte.
Nach dem Tod ihres Ehemannes 1897 widmete sie sich der Wohltätigkeit. Die Millionärswitwe spendete beträchtliche
Summen an städtische und kirchliche Wohlfahrtseinrichtungen (z.B. dem Wöchnerinnen-Asyl und dem Verein für
Volkswohl) und gründete zahlreiche Einrichtung selber, so u.a. eine Säuglingskrippe oder einen Kinderhort. Die Liste
der Zuwendungen ist lang, die Summen auf heutige Verhältnisse umgerechnet schwindelerregend. So spendete sie z.B.
150.000 Mark für die Errichtung eines Ev. Krankenhaus, verband diese Spende allerdings mit der Auflage, dass der Bau
innerhalb eines Jahres zu beginnen habe, und forcierte damit die Grundsteinlegung erheblich (das Ev. Krankenhaus
Weyerthal feiert 2002 sein 100 jähriges Bestehen).
Laura Oelbermann engagierte sich aber nicht nur finanziell, sondern auch mit großem persönlichen Einsatz, vor allem auf
dem Gebiet der Frauenhilfe. Mithilfe ihres Einsatzes etablierte sich schon 1900 der Kölner Zweigverein der Ev.
Frauenhilfe, einem Zusammenschluss von Frauen, die sich Wohlfahrtspflege zur Aufgabe gemacht hatten. Unter ihrem
Vorsitz (1908-1918) entwickelte dieser sich zu einem der aktivsten innerhalb des Rheinischen Verbandes und hatte
bereits 1909 über 1000 Mitglieder; damit war er zeitweise der größte evangelische Verein Kölns! Der Hauptschwerpunkt
der Vereinsarbeit lag in der häuslichen Krankenpflege, daneben wurden aber auch andere Bereiche betreut, u.a. die
Ausstattung für sozial schwache Familien, Organisation von Erholungsaufenthalten für kranke Gemeindeglieder,
Vermittlung von Heimarbeit und Speisung von Kindern.
Laura von Oelbermanns karitatives Wirken bezog sich nicht allein auf Köln, auch von Kaiserin Augusta Victoria
propagierten Stiftungen unterstützte sie. So stiftete sie z.B. das Vermögen ihres 1908 verstorbenen letzten Sohnes einer
Haushaltsschule mit Hospiz in Palästina. Vermutlich daraufhin wurde sie von der Kaiserin Augusta in den Adelsstand
erhoben und ihr der Luisenorden verliehen, die höchste Auszeichnung für Frauen vor 1914.
Überliefert ist, das sie einen Großteil ihrer Zeit auch konkret Bedürftigen - v.a. Kindern - widmete:
„Über alles gingen ihr die Kinder. Daß sie an einem Tage 12 oder 15 Besuche machte, war keine Seltenheit. So
gut wie nie kam sie mit leeren Händen, sei es auch nur, dass sie den Bestand an Küchenvorräten auffrischte.“
(Nachruf im KStA 4.6.29)
Wichtig war ihr außerdem, der fortschreitenden Zerrüttung von Familien Einhalt zu gebieten:
„Geradezu rührend ist ein Fall,, wie sie sich bei der Frau eines Gefängnisbestraften dafür einsetzte, dass der aus
der Haft Heimkehrende nicht vor verschlossene Türe kam, sondern ein mit liebevoller und verzeihender Hand
gepflegtes Heim vorfand. Dabei hat sie selbst mitgewirkt, trotz des vierten Stockwerks Fleisch und Lebensmittel
herbeizutragen, den Haushalt zum Teil neu einzurichten, die Kinder neu zu kleiden usw.“ (ebenda)
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Während des 1. Weltkrieges, als der 1914 gegründete Notausschuss des Presbyteriums der Gemeinde Köln mit der
wachsenden Not in der Gemeinde nicht mehr fertig wurde und ab Sommer 1916 keine Hilfe mehr leisten konnte, regte
Laura Oelbermann an, durch neue intensive Sammelaktionen die Spendenerträge zu steigern. Dazu wurde sie in den
Notausschuss aufgenommen und schaffte es, dass in den nächsten Monaten über 100.000 Mark gesammelt werden
konnten (60.000 Mark von ihr selbst ... ), die überwiegend für Armenspeisungen verwendet wurden.
In ihrem Testament stellte sie der Ev. Frauenhilfe und den von ihr zu Lebzeiten gegründeten sozialen Einrichtungen
beträchtliche Summen zur Verfügung. Zusätzlich verfügte sie, ihre Villa künftig als Wohn- und Aufenthaltsort für
alleinstehende erwerbstätige junge Frauen als Hilfe zum Start ins Berufsleben und als Versammlungsraum für ev.
Jungfrauenvereine zu nutzen. Die Finanzierung sicherte sie, indem sie ihren Hausrat zur Versteigerung preisgab (ein
sagenhafter Katalog!). Bereits ein Jahr nach ihrem Tod 1929 wurde ihr Haus am Hohenstaufenring 57 zu diesem Heim
umgebaut. Es existierte bis Anfang der 80erJahre, als es einem modernen Büro- und Geschäftsgebäude weichen musste.
Außerdem gründete sie die „Emil- und Laura Oelbermann Stiftung“ mit einem Gesamtwert von 1 Million Mark, womit
eine Kinderkrippe und ein Kinderhort eingerichtet und unterhalten wurden. Die Laura von Oelbermann-Stiftung und die
Emil und Laura-Oelbermann-Stiftungen haben bis heute überlebt und weisen noch ein beträchtliches Vermögen auf.
Ob Laura von Oelbermann eine moralisch und sittenstrenge Frau war, oder ob sie eine tolerante und weltoffene
Persönlichkeit hatte, weiß man letztlich nicht. Auf jeden Fall ist sie ein interessantes Beispiel evangelischen
Mäzenatentums.
2.5. Der Fall Jatho20
„Ich spreche nicht für mich ... mit Gleichmut sehe ich dem Urteil entgegen ... Was mir weh tut, ist meine Kölner
Gemeinde. Wenn ich reisen wollte in der Welt umher, weit und breit würde ich keine Gemeinde finden, wie die
Kölner Gemeinde.“
Jathos Begeisterung über die Kölner Gemeinde wurde erwidert. Im Januar 1911 versammelten sich 4.500 Anhänger
Jathos, um eine gemeinsame Erklärung zum Verbleib Jathos in der Kölner Gemeinde zu verabschieden:
„Sein edles Vorbild frommen Lebens ruft jeden von uns, der ihn kennt, täglich und stündlich zur Nachfolge auf .
Was ein solcher Mann als eine in langer Entwicklung gereiften Vorstellung von Gott Jesus, Menschentum und
Ewigkeit verkündet, darf in der auf Freiheit des Gewissens und der Forschung erbauten Kirche der Reformation
nicht „Irrlehre“ heißen. An seinen Früchten haben wir ihn erkannt. So führt sich seine Gemeinde unzertrennlich
mit ihm verbunden...“
Das Spruchkollegium für kirchliche Angelegenheiten zeigt sich davon unbeeindruckt und entlässt Jatho im Juni 1911 aus
seinem Amt. Wie war es dazu gekommen?
Am 25.9.1851 in Kassel geboren, aufgewachsen im deutschen Bildungsbürgertum (z.B. mit den Brüder Grimm bekannt),
beginnt Jatho 1871 sein Theologiestudium. Nach neunjähriger Tätigkeit in Bukarest und siebenjähriger in Boppard
wurde Jatho am 1.7.1891 einstimmig zum Pfarrer der ev. Gemeinde Alt-Köln gewählt. Durch seine Predigten schuf er
sich eine große Zuhörerschaft, so dass er 1902 zum hundertjährigen Bestehen der Kölner Gemeinde den Goldenen
Adlerorden erhielt, mit der Begründung,
„er habe weite der Kirche entfremdet gewesene Kreise durch die machtvolle Art seiner Verkündigung wieder zu
lebendiger Teilnahme am kirchlichen Leben zu bewegen“
vermocht. Jatho fand somit Anerkennung für seine Erfolge als faszinierender Redner, der in unterschiedlichen
Bevölkerungsgruppen neues Interesse an Religion und evangelischen Christentum wecken konnte.
Schon von Beginn seiner theologischen Laufbahn an gingen seine Glaubensvorstellungen in eine kritische Richtung. Im
Laufe seiner Kölner Jahre stellte er dann immer mehr das subjektive religiöse Empfinden gegenüber dogmatischen
Lehrinhalten in den Vordergrund
Durch die Veröffentlichung seiner Predigten ab 1903 erhielt sein Religionsverständnis nun eine andere Dimension und
Wirkung und die Kirchenleitung wurde auf ihn aufmerksam, so dass Jatho 1906 in einem Erlaß des Oberkirchenrates
darauf hingewiesen wurde, dass er mehr und mehr in Widerspruch zu seinen Pflichten als Pfarrer der ev. Landeskirche
gerate und man ihn nun von höherer Stelle an die Grenzen seiner Lehrfreiheit erinnern müsse. Nach den ersten Angriffen
auf Jatho entstand der „Verein für evangelische Freiheit zu Köln“, der liberal ausgerichteten Gemeindegliedern eine feste
Organisation gab und die Verteidigung und Ausbreitung einer freieren Auffassung des evangelischen Christentums
innerhalb der Landeskirche übernahm. Dieser Verein wurde auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um Jatho mit
über 2000 Mitgliedern zeitweilig der größte evangelische Verein der Stadt. Er schuf sich auch mit den „Evangelischen
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Gemeindenachrichten“ ein eigenes Organ liberalen Denkens. Es begann nunmehr ein Prozess, der sich über sechs Jahre
hinzog.
Großen Anstoß nahm man an seiner Konfirmationspraxis: anstelle des Apostolischen Glaubensbekenntnisses verwendete
Jatho einen eigenen Text: „Mein Bekenntnis und Gelübde am Tage meiner Konfirmation“. Nach einem 1910 gegen den
Willen des Kreissynodalvorstandes gehaltenen Ostervortrages kam es im November 1910 dann zur Beantragung des
Lehrbeanstandungsverfahrens gegen ihn. Die Sympathiekundgebungen für Jatho nahmen daraufhin zu:
„Jeden Sonntag, an dem er predigt, müssen Hunderte an den Kirchentüren umkehren, ohne Einlaß gefunden zu
haben, während drinnen von den Andächtigen alle Gänge gefüllt, ja selbst Altar- und Kanzelstufen besetzt
werden.“
Jatho versucht, die Stimmung in ruhige Bahnen zu lenken:
„ .. mit Luther denke ich, dass es weder sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun. Meine Stärke
seid ihr. Eurer Liebe will ich dienen, so lange mir die Kraft dazu bleibt. ... Tut auch keine übereilten Schritte in
dieser Sache .. Vertraut dem guten Geist der Wahrheit, der Liebe und des Friedens. .. So reiche ich euch aufs neue
die Hand. Vielleicht als Kämpfer den Mitkämpfern, aber trotzdem als ein Friedensfreund den
Friedensfreunden...Amen!“
Der Konflikt entwickelte sich zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung um Gewissens- und Lehrfreiheit und machte
die Altkölner Gemeinde zu einem reichsweit beachteten Schauplatz kirchenpolitischer Kämpfe zwischen Staatskirche
einerseits und liberal verstandener Volkskirche andererseits. Die konservativen Kräfte (die „Positiven“ genannt)
beklagten Jathos „Widerspruch zur Grundlage der christlichen Religion“, die Liberalen dagegen hoben die tiefgreifende
religiöse Wirkung von Jathos Person und Tätigkeit hervor sowie die neuen Impulse für das religiöse Leben, die von ihm
ausgingen. Sie appellierten an die Kirchenbehörden zu klären,
„ob unsere Kirche endlich die nur im Gewissen ihrer lebendigen Glieder gebundene evangelische Freiheit
verwirklichen oder auf der Bahn katholisierenden Glaubenszwanges weitergleiten will“.
Ab März 1910 wurde gegen den der Irrlehre verdächtigten Geistlichen aufgrund des neu geschaffenen Erlaß des
Irrlehregesetzes nun nicht mehr disziplinarisch, sondern gerichtlich vorgegangen. Damit konnte eine rechtliche Instanz
über die religiöse Überzeugung einzelner urteilen. Obwohl überregional 45.000 Unterschriften für Jatho gesammelt
wurden, wurde nach persönlicher Anhörung und schriftlichen Erläuterungen zu seiner Lehre am 23. und 24.6.1911 die
Verhandlung vor dem Spruchkollegium geführt. Das Urteil ergab,
„dass eine weitere Wirksamkeit des Pfarrer Jatho in Köln ... mit der Stellung, die er in seiner Lehre zum
Bekenntnis der Kirche einnimmt, unvereinbar ist“:
Die Solidarität der Anhänger Jathos blieb ungebrochen; so wurde nach der offiziellen Amtsenthebung z.B. für ihn die
„Jatho-Spende“ ins Leben gerufen. Auch führte er seine seelsorgerische Arbeit mit Gottesdiensten, Bibelstunden und
Vorträgen weiter, zunächst in einem Gemeindesaal, nach Einspruch des Konsistoriums außerhalb kirchlicher Räume. 21
Auch der Versuch, sich über das Amt des Presbyters ehrenamtlich in der Gemeinde einzusetzen, scheiterte am Einspruch
der Kreissynode. Jatho protestierte:
“Es ist ... ein deutlicher Beweis meiner Liebe zur evangelischen Kirche, dass ich trotz der Feststellung des
Spruchkollegiums, wodurch mir das Amt genommen wurde, an dem meine Seele hing, mich nicht zurückzog, nicht
aus der Kirche austrat, sondern mich sofort bereiterklärte, auf jedem betretbaren Wege meiner lieben Gemeinde
weiter zu dienen.“
Die kirchlichen Behörden erkannten diese Argumentation jedoch nicht an. Jatho blieb nicht viel Gelegenheit zu weiteren
Predigten in Konzert- und Theatersälen. Am 11.3.1913 starb er an den Folgen einer Blutvergiftung. Er wurde unter
großer Anteilnahme auf dem Friedhof Melaten beigesetzt, wo noch heute sein Grab zu sehen ist.
2.6. Die St. Peterglocke im Kölner Dom22
Anfang der 1920er Jahre setzten sich der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer und Erzbischof Schulte
dafür ein, dass Köln einen Ersatz für die sog. „Kaiserglocke“ bekomme müsse. Die Kaiserglocke war 1873 als Zeichen
des Nationalstolzes aus der Geschützbronze von 22 französischen Kanonen gegossen worden, musste aber dann im ersten
Weltkrieg wieder zu Rüstungszwecken eingeschmolzen werden. Eine neue große Glocke wollte zunächst keiner gießen;
zahlreiche Glockengießer aus ganz Europa lehnten den Auftrag ab, war ihnen doch der Fall "Kaiserglocke" noch in allzu
guter Erinnerung (trotz mehrmaliger Güsse wurde der Schlagton C um einen Halbton verfehlt) und das finanzielle Risiko
zu groß.
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Einzig der Glockengießermeister Heinrich Ulrich (1876-1924) aus dem thüringischen Apolda erklärte sich zum Guss
bereit. Erzählt wird zuweilen, dass er konvertierte, um den Auftrag zu erhalten. Dies ist falsch. Ullrich konvertierte
bereits 1917, allerdings nicht aus geschäftlichen, sondern aus privaten Gründen: seine zukünftige (zweite) Frau war
katholisch und bestand auf einer katholischer Eheschließung!
Das Kölner Metropolitankapitel vergab am 31. März 1922 an Ulrich den Auftrag, die größte freischwingende Glocke der
Welt zu gießen. Der Guss erfolgte am 5. Mai 1923 um 9.30 Uhr in Apolda. Dazu musste Ulrich drei Schmelzöfen
nebeneinander aufbauen und zum Guss dreißig Festmeter Fichtenholz verbrennen. Zwei Wochen brauchte das Material
nach dem Guss zum Erkalten, bevor die Gussform bereit war, sich zerschlagen zu lassen. Die Freude war
unbeschreiblich, als mehrere Proben ergaben, dass die 24 Tonnen schwere Glocke perfekt gelungen war. Jedoch
verhinderten die Ruhrbesetzung (eine Beschlagnahmung als Reparationsgut wurde befürchtet) und die Inflation einen
baldigen Abtransport. Die Verzögerung brachte die Gießerei in große wirtschaftliche Schwierigkeiten, da Ulrich sein
ganzes Kapital – über eine Million Mark - für den Guss eingesetzt hatte.
Erst am 14. November 1924 konnte der "Dekke Pitter" – wie ihn die Kölner schnell tauften - zum Dom gebracht wurde.
Auf einem extra hergerichteten Tieflader hatte man das gute Stück in etwa acht Tagen von Apolda nach Köln gebracht.
Die damalige Reichsbahn musste für diesen Transport einen eigenen Fahrplan ausarbeiten. Wegen der Ausmaße der
Glocke mit einer Höhe von 3,21 Metern, einem Durchmesser von 3,24 Metern und einem Gewicht von 24 Tonnen waren
die üblichen Wege von Anfang an ausgeschlossen. 40.000 Kölner drängelten sich am Wegesrand, als die Riesenglocke,
geschmückt mit zehn Zentnern Blumen, Bändern und Buchsbaum zum Dom gebracht wurde.
Eine gleich große Menschenmenge ließ es sich eine Woche später nicht entgehen, auch die Weihe der Glocke hautnah zu
erleben. Neben den gewaltigen Ausmaßen der Petersglocke verblüffte die Anwesenden die durchdringende Stimme des
Kardinals. Die Weihe war nämlich Anlass für eine Premiere: Zum ersten Mal wurde in Köln ein Mikrophon verwendet.
Ein paar Tage später erledigten 24 Männer einer Stahlbaufirma acht Stunden lang die Schwerstarbeit, die Glocke in den
Glockenstuhl in 55 Meter Höhe zu verfrachten. Der Stuhl hatte zuvor extra verstärkt werden müssen, um der
ungeheueren Belastung einer frei schwingenden Glocke standhalten zu können. Dann kam die Enttäuschung. Der Würde
der Glocke angemessen, sollte sie das erste Mal Heiligabend 1924 zu hören sein. Doch ein technischer Fehler verhinderte
die Premiere. Erst zehn Monate später, am 28. Oktober 1925 um 12 Uhr, ertönte ihr reines "C" zum ersten Mal in der
Domstadt. All dies konnte der Schöpfer der Glocke leider nicht mehr erleben: er verstarb an einer Grippe am 24. Februar
1924.
Die Inschriften der Glocke
"St. Peter bin ich genannt - schütze das deutsche Land - geboren aus deutschem Leid - ruf' ich zur Einigkeit!"
und
„Die Mittel gaben das deutsche Reich, der preußische Staat und vaterländisch gesinnte Bürger“
waren stets umstritten. Besonders traf es die Kölner, dass nicht erwähnt wurde, dass vorwiegend die katholischen
Gemeinden fleißig für den Guss gespendet hatten. Dies verhinderte allerdings nicht, dass die Glocke zum tönendem
Wahrzeichen der Stadt wurde. Die Petersglocke kommt nur an den höchsten katholischen Feiertagen und an Silvester
zum Einsatz, insgesamt acht Mal pro Jahr.
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3. Die Evangelischen fallen und bauen wieder auf 1933 – 1968 [DIA-Einblendung: „FALLEN“, „DENNOCH“]
3.1. Die kirchliche Lage im 3. Reich23
Die vielfältigen und vielschichtigen Auseinandersetzungen 1933/34 lassen sich schlecht knapp darstellen, zumal speziell
für Köln, da ein Gesamtüberblick fehlt. Vieles wird eher aus den Einzelschicksalen deutlich (siehe unten). Beschränkt sei
sich daher auf zwei markante Punkte:
1) Weite Kreise auch des Kölner Protestantismus hatten sich mit Anbruch des Jahres 1933 auch für die Kirche neue
Zeiten erhofft. Hitler hatte diese Hoffnungen in den ersten Monaten auch verbal geweckt. So sprach Hitler unmittelbar
nach der „Machtergreifung“ vom 30. Januar 1933 in seinem Aufruf an das deutsche Volk vom Christentum „als Basis
unserer gesamten Moral“. Die neue Regierung werde es „in ihren festen Schutz nehmen“. Zum Schluss sagt er:
„Möge der allmächtige Gott unsere Arbeit in seine Gnade nehmen, unseren Willen recht gestalten, unsere
Einsichten segnen und uns mit dem Vertrauen unseres Volkes beglücken.“
Auch eine kirchenfreundliche Geste folgte. Bei dem großen Fackelzug am Abend des 30. Januar war es zu politischen
Konfrontationen gekommen. Dabei waren ein SA-Sturmführer und ein Polizeiwachtmeister erschossen worden. Die neue
Regierung beantragte beim evangelischen Domkirchenkollegium in Berlin eine Trauerfeier mit Aufbahrung der Toten.
Das gewünschte Defilee des Volkes an den Särgen wurde zwar abgelehnt, die Trauerfeier aber zugelassen. Hitler, Göring
und der Kronprinz saßen in der ersten Reihe. Der Pfarrer und SA-Mann Joachim Hossenfelder predigte über Joh 15,13:
„Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ In den folgenden Wochen und
Monaten gab es überall im Reich einen Ansturm von SA-Leuten in die Kirchengebäude. Hitler benutzte weiter
kirchliches Vokabular; so schließt er am 10. Februar seine Rede im Berliner Sportpalast mit der Voraussage, dass
„Millionen die uns heute hassen“, einmal begrüßen werden „das neue deutsche Reich der Größe und der Ehre
und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen.“
Parteiformationen erbaten daraufhin in zahlreichen deutschen Städten besondere Gottesdienste. Auch in Köln fand in
Klettenberg solch ein Gottesdienst statt. In der Einladung vom 7. Februar hießt es dazu:
„Wir haben alle Veranlassung, in den letzten politischen Ereignissen die führende Hand Gottes zu sehen, der sein
Volk segnen will“
Wegen des zu erwartenden großen Andrangs sollten von den politischen Amtswaltern Kontrollkarten ausgegeben
werden. Den Gottesdienst leitete Mitte Februar Pfarrer Wilhelm Schloßmacher (siehe unten). Die religiösen Sozialisten
bezeichneten dagegen diese Gottesdienste als „entsetzliche Blasphemie“.
2) Im Sinne der NS-Ideologie sollte die Gleichschaltung der Kirchen möglichst schnell erfolgen. Sie wurde auch in Köln
massiv betrieben. Bei den Kirchenwahlen vom 23. Juli 1933 erhielt die Einheitsliste DC bis zu 80% der Stimmen, wobei
es auch in Köln zu massiven Unregelmäßigkeiten kam, wie der an das Konsistorium übersandte Wahlbericht des
Superintendenten des Kirchenkreises Köln, lic. Klingenburg, festhält:
„Um vor der Geschichte aktenmäßig zu machen, dass die Ergebnisse der Wahl durch Ausübung kirchenpolitischen
Terrors seitens der DC zustande gekommen sind und somit die aus den Wahlen ... gezogenen Konsequenzen auf
fehlgehenden Voraussetzungen beruhen, also auch die durch den Herrn Reichskanzler gewährleistete ´freie Wahl`
am 23.7.33 nicht stattgefunden hat, weise ich ... auf die dem Konsistorium gemeldeten Vorkommnisse von
Wahlterror in der Gemeinde Nippes hin. Die Folge dieses Terrors war das 100% Ergebnis der Einheitsliste der
Glaubensbewegung Deutsche Christen in der Gemeinde Nippes“
Von den neun Kölner (Stadt-) Kirchengemeinden waren DC-Presbyterien: Bayenthal, Dellbrück, Deutz, Ehrenfeld, Köln,
Lindenthal. BK-Presbyterien waren Kalk und Mühlheim. Nippes war zunächst DC, allerdings durch die
Auseinandersetzungen um die Entlassung des jüdischen Kirchenmusikers Julio Gosslar im Juli 1936, wo 6 DC-Presbyter
austraten und 6 BK-Männer nachgewählt wurden, wieder BK dominiert und war ab Juli 1937 offiziell der Bekennenden
Kirche zugeordnet. Die BK in Köln hatte gegen die deutliche Mehrheit der DC (v.a. auch in den höheren Ämtern) einen
schweren Stand und agierte äußerst vorsichtig; führende Köpfe der Bewegung waren Hans Encke, Georg Fritze und Pfr.
Weber aus Kalk.
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3.2. Georg Fritze24
Georg Fritze (*1.8.1874 +3.1.1939) war seit 1916 Pfarrer der Ev. Gemeinde Köln. Als Christ, SPD-Mitglied und als
aktiver Religiöser Sozialist und Mitbegründer der Sektion Rheinland war er in Köln als „Der rote Pfarrer“ weit über die
Kölner Stadtgrenzen hinaus bekannt. Fritze machte sich v.a. einen Namen als Organisator der „religiösen Maifeiern“, die
er ab 1920 mit Genehmigung des Presbyteriums jährlich hielt. Dabei hatten vielfältige Menschen aus dem Kölner
Kulturleben mitgewirkt, so z.B. der Kölner Domorganist oder der Kölner Volkschor. Die Luther- und Trinitatiskirche
waren dabei jedes Mal überfüllt von Menschen, von denen die „Rheinische Zeitung“ 1922 schrieb, dass sie
„den Worten eines Mannes lauschen wollen, dessen Christentum nicht das landläufige, sondern dem dieses
Bekenntnis innerste Herzenssache ist.“
Die Feiern erlangten - v.a. auf Seiten der Arbeiterschaft - eine solche Popularität, dass die Maifeier 1928 sogar via
Rundfunk übertragen wurde. Dies führte allerdings auch zu heftigsten Beschwerden von Seiten der Rechtskonservativen.
Fritze, der schon frühzeitig die Gefahren des NS-Regimes aufziehen sah und seit 1928 in den von ihm herausgegebenen
Kartäuserpfarrblättern dagegen publizierte sowie 1927 die „Antiimperialistische Liga“ gegründet hatte, gehörte nach der
Machtergreifung zu den ersten, die Dr. Krummacher, Kölner Leiter der Organisation Deutscher Christen, aus dem Amt
entlassen wollte. Er polemisierte:
"Da aber Herr Fritze als Pfarrer in der Kirche hörbar auf das politische Parkett ausgerutscht ist, so muss er sich
gefallen lassen, dass man an ihm Kritik übt. Würde man in den Maßen Kritik üben, mit dem Fritze misst, wenn
einer seiner Amtsbrüder einmal nach einer anderen Seite hin, aber außerhalb der Kirche und außerhalb der
Synode, eine sachliche Bemerkung macht, so würde überhaupt nichts anderes übrigbleiben, als die sofortige
fristlose und pensionslose Amtsentlassung des Pfarrer Fritze zu verlangen“
Trotz vielfältiger und zunehmender Repressalien (1933 Nichtberücksichtigung beim Presbyteriumsvorsitz und diverse
Denunzierungen bei der Polizei, ab 1934 Kürzungen der Kinderzulagen, ab 1938 Verbot des Presbyteriums zur
politischen Meinungsäußerung) stellte Fritze sich mutig gegen alle Formen der Unterordnung des Evangeliums unter
nationalsozialistischer Ziele. Denn für Fritze stand fest:
„Die Aufgabe der Kirche ist nicht das `dritte Reich' sondern das letzte Reich, das Reich Gottes!" 25
Drei Beispiele seines Widerstandes seien hervorgehoben:
 Generalsuperintendent Stoltenhoff hatte in einem Hirten-Schreiben vom 1. Mai 1933 überschwänglich die „Wende
der Geschichte“ begrüßt. Fritze antwortet ihm am 13. Mai 1933 mit einer Zehn-Seiten-Philippika, in der er nichts an
Deutlichkeit vermissen lässt:
„Vom Evangelium und von der Kirche her ist auch zu dem gegenwärtigen Staat eine völlig eindeutige und
uneingeschränkte Bejahung nicht möglich ... Wie ist es möglich, in einem solchen vertraulichen Brief an
Evangeliumsverkündiger nicht ein deutliches Wort zur Judenfrage zu sagen? ... Ich fürchte, dass das Schweigen
der Kirche zur gegenwärtigen deutschen Judenfrage unerwünschte Folgen haben wird ... Darf der Verkündiger
von heute von der Kanzel die evangelische Wahrheit sagen, ohne besorgt zu sein, daß ihm vom Staate Leids
geschieht? Man kann viele Predigten halten, die so das Zentrale sagen, dass jede Besorgnis fast unberechtigt ist.
Aber dürfen wir das vom Evangelium her zu verurteilende Zeitgeschehen in der Predigt unangerührt lassen?“
Das Schreiben zirkulierte u.a. an der Bonner theologischen Fakultät und fiel Karl Barth in die Hände. Barth war von dem
Brief sehr beeindruckt. Er lud Fritze daraufhin mehrmals zu seinen häuslichen Abenden ein und blieb ihm zeitlebens
freundschaftlich verbunden.
 Im Januar 1934 beschloss das Presbyterium der Gemeinde Köln als eines der ersten in Deutschland die
Eingliederung und Unterstellung der Jugend unter staatspolitische Ziele. Schlimm war dabei zudem, dass die 3.
Bekenntnissynode der BK vom 5 Juni 1935 dem Kölner Presbyterium darin Recht gab! Fritze dagegen wehrte sich
gegen die Eingliederung. Im März 36 legte er dem Presbyterium ein Memorandum in 4 Leitsätzen vor, in dem er
forderte, die Richtlinien rückgängig zu machen und in dem er bekannte:
„Ich bin nicht in der Lage, die von der Gemeinde Köln beschlossene Jugendordnung anzuerkennen. Ich kann sie
überhaupt nicht als eine evangelisch kirchliche Jugendordnung gelten lassen ... Die Forderung, dass die gesamte
kirchliche Jugendarbeit im Geist der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft zu geschehen habe, ist mit der
Heiligen Schrift und mit den Bekenntnissen unserer Kirche unvereinbar.“26
Der Antrag wurde formal abgewiesen und Fritze wurden daraufhin die Konfirmanden entzogen. Zudem wurde ihm
nahegelegt, sich einen anderen Wirkungskreis zu suchen.
 Zum 20.4.1938 hatten die DC eine Kanzelabkündigung vorgelegt, die besagte:
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§1 „dem Führer treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten“ (u.a. die Rassengesetze von 1935).
§4 „Wer sich weigert, ist zu entlassen“
Während sich die BK nicht grundsätzlich gegen den Treueeid wehrte, sondern nur um Formulierungen feilschte, war für
Fritze dagegen die Frage gestellt: Gott oder Hitler! In einem Schreiben vom 20. Juli 1938 an den faschistischen
Konsistorial-Präsidenten Dr. Walter Koch, sagt Fritze, warum er u.a. den Treueid nicht schwören kann:
"Viele Geschehnisse und öffentliche Erklärungen ließen befürchten, dass der Eid eine Bindung dahin bedeutet,
dass um des Staates willen der Pfarrer die Substanz seiner Verkündigung mindestens mitbestimmt sein lassen solle
von der nationalsozialistischen Weltanschauung, dass jedenfalls die Verkündigung sich frei zu halten habe von
allem, was als gegen die nationalsozialistische Weltanschauung gerichtet erscheinen könne."
Dies konnte und wollte Fritze nicht. Das Presbyterium nahm die Verweigerung zum Anlass, Fritze im Oktober 1938 auf
rechtlich unzulässige Weise aus seinem Amt zu entfernen. Von dieser Maßnahme schwer getroffen verstarb Fritze am 3.
Januar 1939. Die Trauerfeier fand in der Kreuz-Kapelle in Köln-Riehl unter Leitung von Hans Encke statt.
Nach seinem Tod wurde Fritze weitgehend totgeschwiegen; erst 1980 erfolgte seine vollständige Rehabilitierung. Heute
erinnert eine Gedenktafel im Innenhof der Kartäuserkirche (von kirchlicher Seite kein sonderlich markanter Platz ...) und
eine Skulptur am Rathausturm an den „Roten Pfarrer“ von Köln. Als Würdigung seines mutigen Eintretens für das
Evangelium und gegen den Faschismus, verleiht der Kirchenkreis Köln-Mitte seit 1981 jährlich die „Pfarrer-GeorgFritze-Gedächtnisgabe“ an Menschen und Organisationen, die sich für Opfer von Diktatur und Gewalt einsetzen.
3.3 Wilhelm Schloßmacher27
Wilhelm Schloßmacher (*14.1.1889 +18.06.1977) - 1929 zum Pfarrer in der Ev. Kirchengemeinde Köln- Lindenthal
gewählt, wo er vorher auch Hilfsprediger war - gehört zu den Kölner Pfarrern, die sich schon frühzeitig vom Strom des
Nationalsozialismus mitreißen ließen und der sich auch publizistisch sehr deutschnational und Führertreu äußerte. Er
gehörte damit zur Mehrheit der Kölner protestantischen Pfarrerschaft. Einige Kostproben:
 Zu der Zeit, wo Georg Fritze zum Verzicht auf den Presbyteriumsvorsitz gedrängt wird, schreibt Schloßmacher im
Sonntagsboten (Zeitung der Deutschen Christen im Kirchenkreis Köln) am 30.4.33:
„Wir stehen im Zeichen des großen Geschenkes der gesammelten und geeinten Macht der Nation, wie sie in zwei
Jahrtausenden deutscher Geschichte noch niemals gegeben war. Geschenk der Gnade! Barmherzigkeit Gottes! ...
Im Lichte der Barmherzigkeit und Vergebung des Allmächtigen ist der Boden dafür geschaffen, dass eine
geschichtliche Sendung wie unsere deutsche Freiheitsbewegung vor Gott bestehen kann.
Die Flut der Gottlosigkeit war nahe dran, mit ihrer systematischen Hetze und ihren geheimen und offenen Wegen
Volkstum und Kirche, Gemeinschaft und Glauben zu zerstören; wir waren dem Abgrund sehr nahe. Nun sind die
alten Götzen in ihrem haltlosen Materialismus zusammengebrochen und haben das Feld geräumt. Wo sie stürzten,
ward viel Glaube frei, geboren in dem mystischen Geburtsakt unseres Volkes, gestaltet und hoch vorangetragen
von unserem begnadeten Führer.“
 Noch deutlicher zum Führer bekennt er sich in seiner Konfirmationspredigt für Mädchen, gesprochen zum 15. Dt.
Turnfest in Stuttgart 1934, aber erst 1939 gedruckt:
„Die Urkräfte deutschen Seelentums sind geschichtlich und politisch in der starken und gesegneten Hand unseres
Führers wirksam geworden: wir bauen am Reich; wir folgen dem Führer und danken in tiefer Herzensbewegung
dem Herrn, unserem Gott, der die Geschichte der Völker und Menschen lenkt und uns so wunderbar geführt hat.“
 Der 1935 gedruckte Gemeindevortrag „Germanische Religiosität und protestantischer Glaube“ ist verfasst, um
„unter Umständen zu einer arteigenen, germanischen Religion“ zu kommen. Hierbei wird die Synthese von
germanischem Heroismus und Christusglaube vollzogen, wobei sich Schloßmacher nicht scheut, in Luther die
vorlaufende Lichtgestalt eines deutsch-christlichen Glaubens zu sehen:
„Es ist darum gar kein Wunder, dass der Ruf nach einer Reform des Christentums gerade auf deutschem Boden in
allen Kreisen Widerhall fand. Luthers reformatorische Tat ist der Sieg des deutschen Blutes, in der Kraft
deutschen Seelentums ... Er brachte ... dass `Glaube und Gott` wieder unmittelbar zusammenkommen sollten in
Christus und protestantischer Glaube und germanisches Lebensgefühl wieder eins sind. So wird durch Luther das
machtvoll vollendet, was im 7. und 8. Jahrhundert sich angebahnt: Der germanische und deutsche Mensch findet
die seinem Wesen und Blut gemäße Form des christlichen Glaubens ... Der protestantische Glaube ist die deutsche
Form des christlichen Glaubens.“
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Dass ein Mensch wie Schloßmacher nicht nur schwarz/weiß betrachtet werden kann, zeigt z.B. sein intensives
Engagement in der Jugendarbeit. Schon in den ersten Jahren betrieb er den Aufbau eines Freizeitheims auf Spiekeroog,
worüber es wegen häufiger Abwesenheit Auseinandersetzung mit der Gemeinde gab; Superintendent Klingenburg
schreibt daraufhin am 6.10.32 an das Konsistorium, dass „auch für so wertvolle und umfassende Freizeitarbeit ein
Pfarrer nicht so lange Wochen außerhalb seiner zustehenden Urlaubszeit vom Presbyterium nach auswärts gesandt
werden kann.“
Aufgrund einer schweren Erkrankung (Zungenkrebs) wurde er 1943 für 5 Jahre in den Wartestand versetzt und wohnte
dann in Überdorf, wo er das dortige Freizeitheim mit aufbaute, das heute als Tagungshaus des Stadtkirchenverbandes
dient. Für viele seiner Jugendlichen und Konfirmanden war Schloßmacher eine ihr Leben prägende Gestalt.
3.3. Ina Gschlössel
Ina Gschössl war 1927 die erste Theologin im kirchlichen Dienst der Gemeinde Köln. Stets ist sie die erstgenannte der
sog. „vier Kölner Vikarinnen“ (Annemarie Rübens, Elisabeth von Aschoff und Aenne Schümer).
Geboren wurde Gschlössl 1898 in Köln. Der Vater war Postassistent, die Mutter Kindergärtnerin. Sie hatte noch einen
älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Aufgewachsen ist sie im vom Kleinbürgertum und Arbeitermilieu geprägten
Köln-Nippes. Nach Abitur und Lehrerinnenexamen begann sie 1920 zunächst in Köln Sozialwissenschaften zu studieren.
1922 wechselte sie an die theologische Fakultät in Bonn. Ihr Entschluss, Theologie zu studieren, fiel in eine Zeit, in der
für Frauen noch keine Aussichten auf spätere Tätigkeiten in der Kirche bestanden. Von Bonn wechselte sie nach
Marburg, studierte u.a. bei von Soden und Bultmann und begegnete Paul Tillich, zu dem sie ein freundschaftliches
Verhältnis hatte.
In die Marburger Zeit fiel die Begegnung mit Annemarie Rübens, Aenne Schümer (verheiratete Traub) und Elisabeth von
Aschoff (verheiratete Bizer). Neben ihrer tiefen Freundschaft verband diese vier Frauen auch ihr gemeinsamer Kampf
um eine Öffnung des Pfarramtes für Frauen. Gschlössl setzte sich von Anfang an kompromisslos für gleiche Rechte von
Männern und Frauen in der Kirche ein. Die Mehrheit der Vikarinnen, die durch den Verband evangelischer
Theologinnen (gegründet 1925 in Marburg) vertreten wurden, war dagegen zum Dienst in untergeordneten
pfarramtlichen Funktionen bereit. So gründete Gschlössl zusammen mit ihren Freundinnen 1930 in Köln die Vereinigung
evangelischer Theologinnen, die im Gegensatz zum Verband evangelischer Theologinnen das volle, "dem Manne
gleichgestellte Pfarramt auch für Frauen" forderte.
1927 legte Gschlössl ihr Erstes Theologisches Examen in Marburg ab, am 1. Mai 1927 begann sie in Köln das Vikariat
beim "roten Pfarrer" Georg Fritze. Noch im selben Jahr, im November 1927, wurde sie allerdings gegen ihren Willen
wegen der unklaren gesetzlichen Situation – wie sie es formulierte – „zur Berufsschularbeit abkommandiert". Um 1928
trat sie zusammen mit den drei Freundinnen (Rübens, von Aschoff, Schümer) in die SPD ein, beeinflusst wurden die
Frauen zu diesem Schritt vermutlich durch das Wirken der damaligen Frauenbewegung und durch den Kontakt zu Tillich
und Fritze.
1932 veröffentlichte Gschlössl in dem von Leopold Klotz herausgegebenen Band »Die Kirche und das Dritte Reich"
einen Aufsatz "... aber das Verhältnis unserer Kirche zum Dritten Reich“. Hier geht sehr deutlich ihre Haltung zur
aufkommenden nationalsozialistischen Herrschaft hervor:
"Wer heute hetzt, mit Gewalttat droht, der hat sich morgen mit der Schuld für Totschlag und alle Rohheit belastet
... der Vergötzung des eigenen Volkes, des germanischen Blutes entspricht die Absolutsetzung der eigenen
Position, die durchzusetzen alle Mittel recht zu sein scheinen. [..] Alles in allem: Wenn unserer evangelischen
Kirche gelegen wäre an Macht und Ehre, an 'Prestige' ' so würde man schon sagen müssen, daß sie an diesen
Gütern im 'Dritten Reich' nur gewinnen könnte und müßte. Was hat sie zu erwarten, wenn sie in menschlicher
Sucht nach Gütern dieser Welt, in Blindheit gegen ihren Auftrag, bedenkenlos all diese heidnisch-religiösen,
politischen, weltlichen Strömungen ungefragt und unkritisch in sich einmünden läßt? Doch eine schlimme
Bedrohung ihrer christlichen Substanz, eine Verkürzung ihres tiefen Gehaltes, die nie und nimmer ausgeglichen
oder gut gemacht werden kann durch noch so großen äußeren Aufschwung. "
Noch im Herbst 1932 referiert die jüdische Wochenzeitung ausführlich ihren Artikel. Folge ihrer kritischen Haltung zum
aufkommenden Nationalsozialismus war im Sommer 1933 ihre Entlassung aus dem Schuldienst. Es folgten lange Jahre
der Arbeitslosigkeit, in denen Gschlössl behinderte Kinder unterrichtete und eine jüdische Familie betreute. Am 1.
Januar 1938 wurde sie als Fürsorgerin vom Kirchenkreis Köln angestellt. Ihr wurden Vormundschaften und
Pflegschaften und die Gefährdeten- und Gefangenenseelsorge übertragen. Zu ihren schwierigsten Aufgaben gehörte die
Betreuung "nicht-arischer" und "halb-arischer" evangelischer Christen und Christinnen. Nach dem Krieg (1946) stellte
Superintendent Encke Gschlössl ein Zeugnis aus, das gerade diese Arbeit würdigt:
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Als besonders schwieriges Gebiet war ihr allein aufgetragen die Betreuung der halbarischen und nichtarischen
evangelischen Christen in der Gemeinde Köln, d.h. Vormundschaften , Arbeitsvermittlung und Betreuungen aller
Art. Gerade diese Arbeit, die unter den vergangenen Verhältnissen einen besonders persönlichen Einsatz
erforderten und sich oft sehr schwierig gestalteten, hat sie mit besonderem Geschick und mit großer Liebe
durchgeführt, wobei sie auch die sehr schwierigen Verhandlungen mit den Behörden nicht gescheut hat.
Encke bescheinigt Gschlössl auch, dass ihre klare kirchliche und politische Stellungnahme während des
Nationalsozialismus für den Wiederaufbau der kirchlichen Arbeit in Köln eine wichtige Voraussetzung war. Bekannt ist,
dass Gschlössl während der Kriegjahre Akten jüdischer Menschen, die von Deportation bedroht waren, vernichtet hat.
1945 schied Gschlössl aus der Fürsorgerinnentätigkeit aus und engagierte sich beim Neubeginn des
Berufschulunterrichts, dessen Gesamtleitung ihr 1948 übertragen wurde. Mit nur wenigen Mitarbeitern und
Mitarbeiterinnen, ohne Klassenräume im zerbombten Köln und ohne Lehrkräfte mit ausreichender Ausbildung nahm sie
diesen Dienst auf. 1966 bei ihrem Ausscheiden aus dem Schuldienst arbeiteten 29 hauptamtliche und 32 nebenamtliche
Religionslehrerinnen und Religionslehrer an Kölner Berufsschulen.
Seit 1966 lebte Gschlössl in einem kleinen Häuschen am Brombacher Berg und pflegte ein offenes Haus für jede und
jeden. 1976 zog sie zu ihrer Nichte nach Neusäß bei Augsburg und starb dort 1989 im Alter von 90 Jahren.28 Den
Christus-Torso in der oberen Halle im Haus der Evangelischen Kirche vererbte sie dem SKV.
3.4. Robert Pferdmenges und das Bankhaus Oppenheim29
Dr. Robert Pferdmenges (*Mönchengladbach 27.3.1880; + Köln 28.9.1962) tritt im Januar 1931 als Teilhaber in das von
dem Juden Salomon Oppenheim 1789 in Bonn gegründete und seit 1798 in Köln ansässige Bankhaus Oppenheim ein.
Zuvor hatte Pferdmenges bei der Disconto-Gesellschaft leitende Positionen bekleidet. Er genießt allgemein den Ruf als
erstklassiger Kenner des Bank- und Industriegeschäfts. Der Respekt gegenüber Pferdmenges wird auch aus einer
Beurteilung Konrad Adenauers deutlich, die dieser im Juni 1933 wie folgt formuliert:
"Ein ausgezeichneter Charakter und ein hervorragend begabter Bankier vom alten Schlage, besonders solide und
vorsichtig, der keine Spekulationen macht, aber eine sehr gute Witterung für geschäftliche Möglichkeiten und ein
außergewöhnliches Geschick in der Behandlung der Menschen hat".
Als der Druck der Nationalsozialisten auf das Bankhaus Oppenheim wegen der jüdischen Wurzeln immer größer wird
und eine Enteignung bevorsteht, überschreibt das Bankhaus am 20. Mai 1938 ihr Vermögen an Pferdmenges. Die Bank
heißt von dort an "Pferdmenges & Co." Während des Krieges kommen die Geschäfte des Bankhauses zum Erliegen.
Jedoch schon vor Ende des 2. WK nimmt die Pferdmenges & Co. am 16. März 1945 (die Amerikaner erreichten Köln am
6. März) inmitten von Chaos und Ruinen und mit einer problematischen Währung und am Boden liegender Wirtschaft
die Arbeit wieder auf. Aufgrund einer Untersuchung seitens der britischen Militärbehörde wird Pferdmenges 1946
zeitweise von der Leitung der Bank ausgeschlossen und die Übernahme öffentlicher Ämter untersagt. Im April 1947 wird
diese Verordnung allerdings aufgehoben und im August 1947 wird Pferdmenges das damals so wichtige "cleared" erteilt.
Im Juli 1947 überschreibt Pferdmenges die Bank wieder der Familie Oppenheim zurück. Das Bankhaus nimmt wieder
den seit 1909 geführten Namen "Sal. Oppenheim jr. & Cie." an.
Von 1931 bis 54 war Pferdmenges Teilhaber des Bankhauses „Sal. Oppenheim jr. & Cie.“ sowie Vorsitzender und
Aufsichtsrats-Mitglied mehrerer Unternehmen der Schwer- und Textilindustrie, von 1951-60 war er Vorsitzender des
Bundesverbandes Dt. Banken. Pferdmenges ist Mitbegründer der CDU im Rheinland, 1947-49 war er MdL von NRW,
1949-62 MdB.30 Pferdmenges war nach dem Krieg Vertrauter und Berater von Adenauer, besonders in Wirtschafts- und
Finanzfragen. 1961 hielt er als Alterspräsident die Eröffnungsrede im Deutschen Bundestag.
Kirchlich aktiv war Pferdmenges - übrigens ein Neffe Friedrich Engels - als Presbyter in der Gemeinde Bayenthal von
1928-1956. Als Finanzkirchmeister war er an diversen Baumaßnahmen beteiligt, u.a. auch als großzügiger Spender. In
einem DC-dominierten Presbyterium vertrat er den NS-Machthabern gegenüber eine kritische Position, wehrte sich
gegen die Eingliederung kirchlicher Organisationen in die NS-Verbände. Seine NS-kritische Haltung lässt sich z.B. daran
ablesen, dass er in offiziellen Schreiben zuweilen der „mit evangelischem Gruß“ und nicht „mit deutschem Gruß“
unterschrieb. Pferdmenges war Abgesandter Kölns bei der rhein. Provinzialsynode 23/24.8.1933 in Koblenz, reiste aber
nach einem Tag ab, als er die DC-Vorherrschaft erkannte. Pferdmenges galt als regelmäßiger Kirchgänger und hatte
einen festen Platz in der Kirche.
Anlässlich der Trauerfeier des Bundestags für seinen Alterspräsidenten formuliert der damalige BundestagsVizepräsident Dr. Carlo Schmid (SPD):
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Stand: 15.02.02 // Druckstand: 15.05.16
"Niemand aber war ihm, auch bei heftigster sachlicher Gegnerschaft, feindlich gesonnen. Alle hatten Achtung
vor seiner Menschlichkeit, seiner Redlichkeit, der Offenheit nach außen und der Geschlossenheit nach innen
seines Wesens und vor dieser Bescheidenheit, die aus der Tiefe seines Wissens stammt, daß Selbstachtung die
Achtung des anderen gebietet."
Das heute immer noch bestehende Bankhaus Oppenheim weiß in der Darstellung ihrer Geschichte die Leistung
Pferdmenges von 1938 durchaus zu würdigen:
„Dem mutigen Schritt ihres damals 59 Jahre alten Teilhabers Robert Pferdmenges verdanken die Oppenheims den
Bestand ihres traditionsreichen Hauses.“
Heute ist eine Strasse in Köln-Marienburg nach Pferdmenges benannt.31
3.6. Der Vater des Wiederaufbaus: Hans Encke32
Hans Encke (*12. Januar 1896 in Potsdam +2. August 1976 in Frechen) war von 1925-1966 Pfarrer in Köln-Riehl (wobei
die Gemeinde Riehl allerdings erst 1957 selbstständig wurde; zuvor war Riehl ein Bezirk der Gemeinde Köln-Nippes). In
der Zeit des Kirchenkampfes war Encke Obmann (Vertrauensmann) der Bekennenden Kirche in Köln. Er stand den
Nazis sehr kritisch gegenüber und schickte als evangelischer Pfarrer seine eigenen 5 Kinder auf das katholische
Dreikönigsgymnasium am Türmchenswall, weil ihm dies als politisch weniger anfällig erschien; er riet auch zahlreichen
Gemeindegliedern, dies mit ihren Kindern ebenfalls zu tun. In seiner Wohnung wurden Flugblätter und Rundschreiben
gedruckt, weswegen sie mehrmals durchsucht und er (u.a. schon 1937) mehrfach von der Gestapo inhaftiert und verhört
wurde. Allerdings war es für die Gestapo schwierig, gegen Hans Encke vorzugehen, da er im 1. Weltkrieg im Kampf für
das Vaterland ein Bein verloren hatte und u.a. auch deshalb ein hohes Ansehen genoss. Encke legte viel Wert auf
Kindergottesdienste und schrieb zu Weihnachten Krippenspiele, die unter Mithilfe seiner eigenen Kinder zur Aufführung
gebracht wurden. In den Kriegsjahren kümmerte er sich v.a. auch um Judenchristen; bekannt ist, dass er in der
Kreuzkapelle in Riehl Verabschiedungsgottesdienste für zu Deportierende hielt. Enckes Wirken an diesem Punkt ist
umstritten und bedarf noch einer genaueren historischen Aufarbeitung.
Von 1945-1964 war Encke Superintendent des damals noch nicht geteilten Kirchenkreises Köln. Er war an einem
Gesprächskreis evangelischer Christen beteiligt, der parteipolitisch mit den Katholiken zusammenarbeiten wollte; zu
diesem Gesprächskreis gehörten u.a. G.W. Heinemann und R. Pferdmenges. Encke war zudem an der Gründung CDP
(Vorläufer der CDU) am 2.9.1945 in Köln beteiligt und galt als „geistige Bezugsbasis für die Mitarbeit der
Evangelischen in der CDP bzw. CDU“. Enckes politisches Credo war der sofortige Wiederaufbau der Stadt zur
Linderung der Nachkriegsnot in jeglicher Hinsicht. Mit diesem extern gesetzten Ziel schaffte es Encke, die durch den
Kirchenkampf polarisierte Pfarrerschaft in gewisser Hinsicht zu einen und der Kirche in den schwierigen
Nachkriegsjahren eine „innere Einheit“ zu geben. In den Notzeiten unmittelbar nach 1945 organisierte er vielfältige
Hilfsleistungen gerade auch für seine Riehler Gemeinde, so z.B. für seinen Konfirmationsjahrgang 1946
Konfirmationsanzüge aus Schweden. In Köln gestaltete er den Wiederaufbau: in seiner Zeit wurden die meisten
evangelischen Kirchen in Köln neu oder wieder aufgebaut. Die Zahl der Evangelischen verdoppelte sich nahezu auf
445.000 im Jahr 1965, die Zahl der Gemeinden wuchs von 19 Gemeinden (1945) auf 48 Gemeinden im Jahr 1964 mit
120 Pfarrstellen. Um eine der größten Nöte der Nachkriegszeit - die Wohnungsnot – zu lindern, gründete er 1951 die
Antoniter Siedlungsgesellschaft mbH; sie ist die letzte verbliebene gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft
Deutschlands und verwaltet heute gut 1600 Wohnungen. 1952 war es Encke, der sich dafür einsetzte, dass der Zweitguß
des „Schwebenden“ von Barlach in die Antoniterkirche kam. Ebenso wurde unter seiner Ägide das Ceonaculum als Heim
und Ausbildungsstätte im Kölner Süden gegründet.
Das o.g. Wachsen der Anzahl evangelischer Menschen im Verbandsbereich erforderte eine Neuorganisation des
Kirchenkreises Köln und damit auch des „Gesamtverbandes evangelischer Kirchengemeinden im Kirchenkreis Köln“:
nach dreimaliger Beratung in der Synode wurde der Kirchenkreis Köln 1964 in die heutigen vier Kirchenkreise geteilt:
Köln-Mitte, Köln-Nord, Köln-Rechtsrheinisch, Köln-Süd. Aus dem „Gesamtverband“ wurde der „Evangelische
Stadtkirchenverband Köln“; dieser übernahm die Gesamtverbandsaufgaben und die synodalen Ämter und Einrichtungen
des Kirchenkreises Köln und führt diese bis heute fort. Encke war nach der Teilung der Kirchenkreise von 1964-1966
Superintendent des Kirchenkreises Köln-Mitte und im gleichen Zeitraum auch Stadtsuperintendent.
Von Zeitgenossen wird Encke als väterlich, nachdenklich, überlegend, ausgleichend und auch fröhlich und lebenslustig
beschrieben; man kann ihn als „Luthertyp“ charakterisieren. Als sein Lebensmotto wird gern der Satz überliefert:
„Kinder, macht Euch Freude!“ Während der fünften Jahreszeit feierte er gerne mit den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Verwaltung des Evangelischen Stadtkirchenverbandes Weiberfastnacht, obwohl er als Superintendent
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vom reformiert geprägten Landeskirchenamt zur Superintendentenkonferenz nach Düsseldorf geladen war. Überliefert
ist, dass er mit dem Satz „Hier in Köln habe ich ´was andres zu tun!“ sich dieser Verpflichtung entzog und zum
Verdruss des Düsseldorfer Landeskirchenamtes in Köln blieb.
Als großer Integrator der Nachkriegsjahre ist Hans Encke bis dato wenig gewürdigt, weder kirchlicherseits noch von der
Stadt; eine Biographie bleibt Desiderat.
3.7. Der 12. Evangelische Kirchentag in Köln33
Der 12. Evangelische Kirchentag fand vom 28.7.-1.8.1965 in Köln mit etwa 500 verschiedenen Veranstaltungen statt
(damit 200 weniger als 2 Jahre zuvor in Dortmund). Er stand unter dem Motto: „In der Freiheit bestehen“.
Kirchentagspräsident war Dr. Richard von Weizsäcker. Der Kirchentag begann mit einem Gottesdienst vor rund 20.000
Besuchern im Müngersdorfer Stadion und war bewusst im Zeichen der Begegnung der beiden großen Konfessionen
gestaltet. Unter den Eröffnungsgästen waren u.a. der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings und Bundespräsident
Heinrich Lübke. Die Eröffnungsansprache im Stadion hielt Klaus von Bismarck, weitere Eröffnungspredigten hielten
z.B. Martin Niemöller (in der Sporthalle) und W.A. Visser´t Hooft (in der Trinitatiskirche). Es gab auf dem Kirchentag
nur zwei Arbeitsgruppen mit den beiden zentralen Problemen „Bibel und Gemeinde“ sowie „Kirchenreform“, sodann
fünf Forumsgespräche (mit zahlreichen Vorlesungen) über „Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft´“, „Mann und Frau“,
„Juden und Christen“, „Vorfragen der Politik“ und „Freiheit“. Zur Planung des Kirchentages gab Generalsekretär
Hermann Walz die Erklärung, der Kirchentag wolle mit seinen Darbietungen nicht provozieren, sondern evozieren, d.h.
„die Christen und die Wohlstandskonsumenten, die wir sind, herausrufen“ aus Trägheit und Konformismus mit starker
Hinwendung auf die Umkehr zum wirklichen Nächsten. Damit mag es zusammenhängen, dass die Bonner Prominenz auf
diesem kritisch gestimmten Kirchentag kaum zu Wort kam, sondern mit Ehrenplätzen vorlieb nehmen musste. Im
Rückblick kann man sagen, dass der Kölner Kirchentag in der Reihe der Kirchentage eher einer der unspektakuläreren
war. Er endete mit einer großen Schlussveranstaltung am 1.8. auf dem weitläufigen Müngersdorfer Nordfeld, zu dem sich
über 120.000 Menschen um ein 15 Meter hohes Kreuz eingefunden hatten.
Für das größte und medial am intensivsten aufgenommene Aufsehen dieses Kirchentages sorgte der Beitrag von
Dorothee Sölle (damals Dozentin für Philosophie an der TH Aachen) auf dem Forum „Kirchenreform“ (nur am Rand:
das Thema Kirchenreform war auf dem Kirchentag 1963 in Dortmund viel heißer diskutiert worden). Sie hielt dort einen
Vortrag über „Kirche ist auch außerhalb der Kirche“. Im Grunde war Sölles Referat - die zentrale These lautet, dass es
eine latente Kirche auch außerhalb der Kirche gibt - keine großartige Neuigkeit, traf aber doch das (kirchenkritische)
Empfinden vieler Zeitgenossen. Der Beitrag ist in voller Länge dokumentiert in: Deutscher Evangelischer Kirchentag
1965, S. 294ff. Eine Kurzzusammenfassung gab es allerdings schon vorab im Publikationsheft „In der Freiheit bestehen“,
sodass es schon im Vorfeld darüber Diskussionen gab; aus dem Auszug hier eine kurze Passage, die den
institutionskritischen Ansatz verdeutlicht:
„Man kann die gegenwärtige Wirklichkeit der Kirche nicht bedenken, ohne die schweigende Opposition der
Draußenbleibenden zu sehen. Gehören sie nicht dazu? Ereignet sich Kirche nur in der Kirche, die in Erscheinung
tritt? Zwar hat es Zeiten gegeben, in denen sich christliche Existenz im allgemeinen als Dazugehören zu einer klar
umrissenen Gemeinde realisierte. Heute jedoch ist solche Integration auf lokaler Ebene der Kirchengemeinde für
die meisten unmöglich geworden. Dennoch hält die verkirchlichte Kirche an einem Leitbild des Gemeindegliedes
fest, das den meisten Menschen keine Hochachtung mehr abfordern kann ... Diese Denkverwirrung beruht auf
einer theologischen Fehlentscheidung: gegen die Anonymität und für das Bekenntnis, gegen den „größeren
Christus“ und für seine Gemeinde, gegen Gottes Weltlichkeit und für seine Kirchlichkeit – einer
Fehlentscheidung, die aus einem gebrochenen, unsicheren Verhältnis zur säkularen Welt erwachsen ist und sich
indessen bitter gerächt hat. Wem es mit dem Ja zur säkularen Welt ernst ist, der kann nicht umhin, eine „latente
Kirche“ (Paul Tillich) zu konstatieren. Der Satz, dass außerhalb der Kirche kein Heil sei, stammt aus einer
unvergleichlichen Missionssituation. Heute gilt gerade, dass außerhalb der manifesten Kirche „Kirche“, nämlich
das Versprechen des Heils für alle Menschen, sei. Das Wort Gottes ist auch außerhalb der aus Bibel oder frommer
Tradition geschöpften Worte der Prediger zu hören.“
Liest man diesen Beitrag, wird deutlich, dass das 3 Jahre später einsetzende Politische Nachtgebet auch eine konsequente
Fortführung dieses Ansatzes ist.
Mit Blick auf die Zukunft sei noch angemerkt, dass der Kirchentag 2007 wieder in Köln stattfinden wird.
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3.8. Die ersten Pfarrerinnen in Köln34
Von den vier Kölner Vikarinnen und von Ina Gschlössl war schon die Rede. Im Folgenden sei die Entwicklung nach dem
Krieg bis 1975 kurz skizziert, wenngleich hier vorab bemerkt werden muss, dass auch an diesem Punkt noch keine
detaillierte Aufarbeitung der Kölner Geschichte vorliegt.
Die ersten Jahre nach dem Krieg waren chaotisch und durch vielfältigen Pfarrermangel bestimmt; es ist wahrscheinlich,
dass auch in Köln Theologinnen pfarrgemeindliche Aufgaben versahen, wenngleich dies noch nicht verifiziert werden
konnte. Nach dem Notstand der Nachkriegsjahre regelte das Rheinische Kirchengesetz von 1950 wieder die Aufgaben
von Theologinnen. Es legte die Ordination von Vikarinnen fest und sah ihre Tätigkeit auf bestimmte Arbeitsfelder
beschränkt, beispielsweise Jugend-, Frauen- oder Kinderarbeit, Krankenhausseelsorge oder Schuldienst. Das
Gemeindepfarramt für Frauen war hier noch nicht vorgesehen. Erst 1961 beauftragte die Landessynode im Rheinland die
Kirchenleitung, einen Entwurf für ein neues Kirchengesetz "zur rechtlichen Gleichstellung der Theologinnen" zu
erarbeiten, um ihnen "den Zugang zum Pfarramt zu öffnen". Diese Entwicklung lief parallel zu der Gesetzgebung der
EKU; von Seiten der EKU gab es 1962 eine Verordnung über das Amt der Pastorin, dem die Landessynode im Rheinland
mit entsprechendem Ausführungsgesetz 1963 zustimmte. Pastorinnen konnten nun in ein Gemeindepfarramt berufen
werden und waren ordentliche Mitglieder von Presbyterium, Kreissynode und Pfarrkonvent. Allerdings galten die
"Bestimmungen über den Dienst der Pfarrer" nur "sinngemäß", was für Frauen bedeutete, dass sie noch mit erheblichen
Einschränkungen verbunden waren. So durfte eine Pastorin nur in Gemeinden mit mehr als zwei Pfarrstellen arbeiten
(also mit zwei männlichen Kollegen an ihrer Seite), so dass für Gemeindeglieder eine Ausweichmöglichkeit bestand und
diese die Möglichkeit hatten, z.B. Kasualhandlungen von einer Frau abzulehnen. Pastorinnen durften zudem nicht
Superintendent werden und v.a.: Sobald Pastorinnen heirateten, bedeutete dies das Ende ihres Dienstes! Allerdings gab
es Ausnahmeregelungen (wie so oft im Rheinland ...). Erst 1971 fiel im Rheinland diese Zölibatsklausel und stand
Frauen auch der Superintendenten-Sessel theoretisch offen. Allerdings hießen die Frauen weiterhin noch „Pastorin“ und
hatten weiterhin ihre eigene Gesetzgebung. Erst 1975 wurde das rheinische Pastorinnengesetz aufgehoben und ab diesem
Zeitpunkt gibt dann auch die Bezeichnung „Pfarrerin“.
Laut Gemeindeverzeichnis von 1965 arbeiteten in Köln Mitte der 1960er Jahre drei Theologinnen im Gemeindepfarramt:
Sigrid Volkmann (*1931) seit dem 3.3.1960 in Köln-Porz, Ursula Köhler seit dem 8.12.63 in Köln-Nippes und Ilse
Heinemann seit dem 4.10.64 in Köln Höhenberg-Vingst. In Bezug auf das Gemeindepfarramt kann somit Siegrid
Volkmann als erste „Gemeindepfarrerin“ bezeichnet werden, wobei interessant ist, dass sie eben schon vor 1963 einen
eigenen Bezirk verwaltete. Nach ihrer Selbstauskunft kam es dazu, weil Ende der 1950er Jahre weiterhin erheblicher
Männer- und Theologenmangel herrschte und die Gemeinde Porz händeringend eine Pfarrstelle besetzen wollte. Weil
Frau Volkmann schon ihr Vikariat in Porz absolviert hatte, setzte sich ihr Mentor (und späterer Superintendent) Erwin
Mielke dafür ein, dass Frau Volkmann nach ihrer Hilfspredigerzeit in der Gemeinde auch weiterhin an gleicher Stelle
arbeiten durfte. Dazu gab es verschiedentlich Gespräche im Landeskirchenamt in Düsseldorf, u.a. mit Präses Beckmann,
der dem Anliegen von Frau Volkmann offen gegenüber stand. OKR Schlingensiepen sagte wohl damals „Wenn Sie eine
Gemeinde finden, ist uns alles recht“. Die durch Neubaugebiete schnell expandierende Gemeinde Porz wollte Frau
Volkmann, sodass sie – von Hans Encke eingeführt - in Porz von 1960 bis 1992 als Vikarin/Pastorin/Pfarrerin (siehe
oben) mit einem eigenen Seelsorgebezirk tätig war (allerdings von zeitweilig eingeschränkt durch einen Seelsorgeauftrag
im Krankenhaus); in den ersten Jahren noch unter „Aufsicht“ des Kollegen Mielke und ohne Stimmrecht im
Presbyterium, später dann mit allen Rechten und Pflichten.
Frau Volkmann hat die Anfangsjahre als kaum problematisch in Erinnerung. Akzeptanzprobleme gab es ihrer Auskunft
nach kaum, lediglich anfängliches Erstaunen, dass eine Frau „Pfarrer“ ist. Einmal wurde sie von einem konfessionell
gemischten Paar für die Trauung abgelehnt, aber ansonsten wurde ihre Arbeit mit großer Zustimmung und zunehmender
Selbstverständlichkeit angenommen, wobei sie meint, dass ihr dabei die kölsche Offenheit zugute kam. Auch unter den
Kollegen waren nur wenige, die Ressentiments gegen Frauen zeigten. Ein Beleg ihrer Akzeptanz ist die Tatsache, dass
sie von 1961 bis 1992 Mitglied der Landessynode war und dass es u.a. die Kreissynode Köln Rechtsrheinisch war, die
1970 den Antrag stellte, die Gesetzgebung zu ändern.35
Eine Anekdote aus ihrer Anfangszeit weiß sie zu berichten: Als sie eine Beerdigung mit einem älteren und stark
sehbehinderten Kollegen (Pfr. Grosser aus Brühl) zu gestalten hatte und sie sich im Talar in der Friedhofskapelle trafen,
sagte dieser quasi zur Begrüßung “Herr Kandidat, es wird Zeit, dass sie sich mal die Haare schneiden lassen” Er war
völlig irritiert, als er merkte, dass er es mit einer Frau zu tun hatte ...
3.9. Verschiedenes
Sie, Herr Gornik, erwähnten einige Aussprüche:
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 Das Marx-Zitat von Heinemann konnte ich ausfindig machen. Es stammt aus der Rede Heinemanns vor dem dt.
Bundestag am 23. Jan 1958 zur Frage der atomaren Bewaffnung und der Deutschlandpolitik36:
Es gibt ein Blatt `Evangelische Verantwortung`, herausgegeben vom Evangelischen Arbeitskreis der CDU. In der
Nummer vor der Wahl, der Nummer vom August 1957, war eine Zuschrift zu lesen, wonach der Westen ja noch ein
Waffe gegen das `Untier im Osten` habe und diese Waffe die aufhaltende Macht gegen den Antichristen im Sinn
des 2. Thessalonicherbriefes sei. Ich bitte Sie herzlich, verehrte Freunde von der CDU und dem evangelischen Teil
darin: Sorgen Sie doch dafür, dass solche Klänge endlich verschwinden. Es geht nicht um Christentum gegen
Marxismus.
(Zurufe von der CDU/CSU: Sondern?)
Sondern? Es geht um die Erkenntnis, dass Christus nicht gegen Karl Marx gestorben ist, sondern für uns alle.
(Stürmischer Beifall bei der SPD und der FDP. Unruhe in der Mitte)
 Das Zitat Heinemanns (von 1958?) zu Adenauer: „Heute in 10 Jahren gehen die Studenten gegen ihre Politik auf
die Strasse“ konnte ich nicht finden.
 Die Auseinandersetzungen um die Pille (mit dem Ausspruch „Was dem Papst die Pille ist dem Beckmann die
...“) fand m.W. nicht auf dem Kirchentag in Köln statt. Das muss früher (erst seit 1963 im Handel) oder später
sein ...
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4. Die Evangelischen lernen politisch beten 1968 – 1993
[„DIA-Einblendung: „NACHTS BETEN“, „GOTT“ oder was besseres]
4.1 Das Politische Nachtgebet in Köln37
„Selten hat ein Nachtgebet, das Christen sonst in aller Stille zu verrichten pflegen, so viel Aufmerksamkeit
gefunden wie in Köln.“ (FAZ vom 3.10.1968)
Das Politische Nachtgebet traf seinerzeit den (theologischen) Nerv der Kirche und polarisierte wie kaum eine zweite
kirchliche Aktion dieser Jahre:
„Für manche offiziellen Vertreter der Kirchen ein Schreckenswort, für manche Christen die einzige Möglichkeit,
sich innerhalb der Kirchen noch zu Hause zu fühlen.“38 (Vorwort zum Dokumentationsband „Aktion Politisches
Nachtgebet“ 1971)
Entstanden ist das Politische Nachtgebet aus einem evangelisch-katholischen Freundeskreis, der sich ab Frühjahr 1967 zu
theologischen Gesprächen traf. Dieser Gesprächskreis erhielt Anfang 1968 eine Erweitung und neue Zielsetzung durch
das (von den Kirchen im Westen nicht zur Kenntnis genommenen) Thema Vietnam. Es war die Zeit, als Rudi Dutschke
angeschossen wurde – damals ein Symbol für die Eskalation von Gewalt – und auf katholischer Seite merkte man, wie
der Aufbruch des Vatikanum II langsam wieder zurückgenommen wurde; allseits also eine Zeit politischer
Polarisierungen und hoher Emotionen. Aus dem Gesprächskreis entwickelte sich allmählich ein Arbeitskreis, dessen
Absicht ein Teilnehmer der ersten Stunde, Fulbert Steffensky, 1972 folgendermaßen beschreibt: 39
„Das Interesse des Nachtgebets bestand darin, eine Sache, die Christen miteinander als falsch erkennen,
argumentierend und meditierend zu bedenken und Wege zur Veränderung zu erfinden. Ob dies nun ein
Gottesdienst sei oder nicht, diese Frage haben wir uns zu Anfang nicht gestellt; sie wurde uns durch die beiden
Kirchenleitungen aufgezwungen, die dem Unternehmen den Öffentlichkeits- und Verbindlichkeitscharakter
abzusprechen suchten, indem sie erklärten, hier handele es sich um eine Versammlung, nicht aber um einen
Gottesdienst.“
Konsens dieses anfänglich etwa 40 Personen umfassenden aus Laien und Theologen bestehenden Arbeitskreises war – so
Mitbegründerin Dorothee Sölle im Rückblick –
"nur der Satz, daß Glaube und Politik untrennbar sind; daß das Evangelium kritisch und entwaffnend auf
gesellschaftliche Zustände wirken muß“.
Das erste Nachtgebet am 1. Oktober 1968 beschäftige sich in der mit über 1000 Menschen völlig überfüllten
Antoniterkirche mit den Zuständen in der CSSR (Einmarsch im August 1968), in Santo Domingo und in Vietnam. Es
sollte ursprünglich in St. Peter stattfinden, wurde aber von Kardinal Frings kurzfristig untersagt und musste so in die
Antoniterkirche ausweichen, was ihm zusätzliche Aufmerksamkeit bescherte. Die "Einseitigkeit und Mißverständlichkeit
eines rein politisch verstandenen Christusglaubens" nannte das Kölner Generalvikariat als Grund dafür, daß der
damalige Kardinal Frings die Abhaltung des politischen Nachtgebetes in der Kölner St. Peter Kirche nicht gestattete. Die
Kritik richtete sich insbesondere auf das von Dorothee Sölle formulierte Credo:
"Ich glaube an Gott,
der die Welt nicht fertig geschaffen hat
wie ein Ding, das immer so bleiben muß,
der nicht nach ewigen Gesetzen regiert,
die unabänderlich gelten,
nicht nach natürlichen Ordnungen
von Armen und Reichen,
Sachverständigen und Uniformierten,
Herrschenden und Ausgelieferten.
Ich glaube an Gott,
der den Widerspruch des Lebendigen will
und die Veränderung aller Zustände
durch unsere Arbeit,
durch unsere Politik.
Ich glaube an Jesus Christus,
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der recht hatte, als er,
ein einzelner, der nichts machen kann',
genau wie wir,
an der Veränderung aller Zustände
arbeitete und darüber zugrunde ging.
An ihm messend, erkenne ich,
wie unsere Intelligenz verkrüppelt,
unsere Phantasie erstickt,
unsere Anstrengung vertan ist,
weil wir nicht leben, wie er lebte.
Jeden Tag habe ich Angst,
daß er umsonst gestorben ist,
weil er in unseren Kirchen verscharrt ist,
weil wir seine Revolution verraten haben
in Gehorsam und Angst vor den Behörden.
Ich glaube an Jesus Christus,
der aufersteht in unser Leben,
daß wir frei werden
von Vorurteilen und Anmaßung,
von Angst und Haß
und seine Revolution weitertreiben,
auf sein Reich hin.
Ich glaube an den Geist,
der mit Jesus in die Welt
gekommen ist,
an die Gemeinschaft aller Völker
und unsere Verantwortung für das,
was aus unserer Erde wird:
ein Tal voll Jammer, Hunger und Gewalt
oder die Stadt Gottes.
Ich glaube an den gerechten Frieden,
der herstellbar ist,
an die Möglichkeit eines sinnvollen
Lebens für alle Menschen,
an die Zukunft dieser Welt Gottes. Amen.".
Als skandalös empfand man in dieser Zeit, dass es dem Apostolischen Glaubensbekenntnis nachgebildet war. Noch
stärkere Worte fand der damalige Präses der EKiR, Professor Joachim Beckmann: Im Nachtgebet gehe es nicht ums
Beten, sondern um eine politische Demonstration. Auch seine Kritik wurde da am schärfsten, wo es um Sölles Credo
geht. Dieses Glaubensbekenntnis sei mit so vielen Irrlehren belastet, dass es nicht mehr tragbar sei. Dass ein Kardinal
diesen "Götzendienst" verbiete, könne er nur unterstützen, mehr noch, er beneide ihn, weil dieser das Recht habe, so
etwas zu tun.
Der öffentliche Aufruhr um das Politische Nachtgebet in Köln schlug derartig hohe Wogen, daß selbst der Schriftsteller
Heinrich Böll reagierte. In einem Brief an die Mitglieder des Politischen Nachtgebetes bringt er sein Unverständnis
darüber zum Ausdruck, daß die Veranstalterlnnen unbedingt in "geheiligten Räumen" beten wollten.
"Sie sollten sich völlig frei machen von Empfindlichkeit für oder gar Ärger über irgendeine Kritik irgendwelcher
etablierter Konfessionen; was Sie tun und planen, kann gar nicht in irgendeine der Kirchen - jedenfalls in keine
der im Augenblick korporierten - integriert werden; Sie können nur Gäste sein, fremde Gäste ..."
Aus den zahlreichen Äußerungen und Pressestimmen seien drei zitiert, die die Stimmung vergegenwärtigen:
„Wer die ´Politischen Nachtgebete` miterlebt und mit ganzer Aufmerksamkeit die Information, die Meditation und
die Diskussion verfolgt, der erfährt an sich selbst, wie hier etwas geschieht, was man in der Kirche nicht allzu oft
erfährt: Man wird an konkreter Stelle gepackt, erkennt seine Blindheit, Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit gegenüber
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den Ereignissen um sich herum, man erkennt, wie sehr man schuldig geworden ist und täglich wird an dem
Liebesgebot Jesu.“ (Aus einem Leserbrief in „Der WEG“ vom 05.01.1969)
„Die Diskussionsbeiträge und Zwischenrufe im `Politischen Nachtgebet` klingen so scharf und geschliffen wie die
Polemiken zur Zeit der Bauernkriegen und Reformation.“ (Braunschweiger Zeitung vom 18.01.1969)
„Das `Mitmachen` ist vielleicht das Wichtigste beim Politischen Nachtgebet. Hier richtet nicht der Pfarrer den
Gottesdienst aus, sondern Laien. So wie es ursprünglich in den christlichen Gemeinden war, als es noch keine
Universitäten gab, an denen man den Beruf des Priesters lernt.“ (der „Stern“ vom 06.04.1969)
Weitere Themen des Nachtgebetes waren u.a. das Problem von Obdachlosen und Gastarbeitern, der Strafvollzug in der
Bundesrepublik Deutschland, die Entwicklungshilfe sowie die Bundestagswahl von 1969.
Nach dem Kölner Vorbild setzten auch in anderen deutschen Städten bald Politische Nachtgebete ein, so in Augsburg,
Berlin, Bonn-Bad-Godesberg, Dinslaken, Düsseldorf, Rheinhausen, Stuttgart oder Trier. Ab Anfang der 1970 Jahre
verlor das Politische Nachtgebet dann aber auch allmählich seinen revolutionären Charakter und wurde z.T. in die
Gemeindearbeit integriert. In Köln besteht die Form des Politischen Nachtgebetes bis heute an der Antoniterkirche
weiter, allerdings ohne den Wirkungs- und Beachtungsgrad damaliger Tage.
4.2 Nicaragua und die Evangelische Kirche in Köln40
Das vom Diktator Somoza beherrschte Land Nicaragua kam Mitte der 70er v.a. durch den Priester und Poeten Ernesto
Cardenal in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Cardenal war im Kampf gegen die „Bereicherungsdiktatur“ die
Symbolfigur der Opposition, die von der sandinistischen Befreiungsbewegung FSLN ebenso wie von der katholischen
Kirche getragen wurde, und erhielt später (1980) den Friedenspreis des (Börsenvereins des) Deutschen Buchhandels.
Bundesweit kam es zu zahlreichen Initiativen und Solidaritätsbekundungen, die sich nach der Machtübernahme durch die
linksgerichteten Sandinisten im Juli 1979 und den sich anschließenden innerpolitischen Auseinandersetzungen mit den
von den USA gestützten rechtsgerichteten Contras in vielfältigen Formen fortsetzte. Weil die Revolutionsbewegung
inhaltlich wesentlich von Gedanken der Befreiungstheologie getragen wurde, die auch massive Anfragen an die westliche
Theologie und Wertevorstellungen richtete, fanden die Auseinandersetzungen auch frühzeitig Unterstützer aus dem
kirchlichen Raum.
In Köln bekam die Bewegung v.a. durch Enrique Schmidt-Cuadra Impulse. Schmidt, Nachfahre einer aus Preußen nach
Nicaragua eingewanderten Familie, studierte in Köln und war Auslandsreferent des ASTA. Hier hatte er Kontakt mit der
ESG und organisierte mit ihr Veranstaltungen über die Situation in seinem Heimatland. Zudem warb er als EuropaSprecher der Sandinisten erfolgreich um Unterstützung bei der SPD und war mit Willy Brandt befreundet. 1974 wurde er
stellvertretender Geschäftsführer der Firma Siemens in Managua. Als ihn ein Jahr später die Geheimpolizei verhaftete
und folterte, erhob sich bundesweiter Protest, an der sich die Kölner Studentengemeinde ebenso beteiligte wie das
Wuppertaler "Informationsbüro Nicaragua" und der damalige Düsseldorfer Pastor Uwe Seidel. Der aufgrund von
vielfältigen Interventionen nach 1½ jähriger Folterhaft befreite Enrique Schmidt setzte seine Aufklärungsarbeit für ein
demokratisches Nicaragua seit 1976 von Köln aus fort, stets unterstützt von der Kölner Studentengemeinde (v.a. durch
den damaligen Studentenpfarrer Klaus Schmidt) und der Klettenberger Gemeinde, die z.B. 1977 ein „Klettenberger
Abendgespräch“ mit Ernesto Cardenal ausrichtete. Nach dem Sieg der Sandinisten in den Parlamentswahlen von 1984
wurde Schmidt-Cuadra Kommunikationsminister und baute mit Hilfe deutscher Gewerkschaften das Telefon- und
Telegraphennetz in Nicaragua auf. Neben seinen Ministeraufgaben hat Schmidt aber auch immer wieder Spezialeinheiten
im Kampf gegen die Contras geleitet; bei einem dieser Einsätze stirbt Schmidt 1984 im Gefecht mit den Contras. Nach
seinem Tod wurde in Köln die Idee einer Städtepartnerschaft mit der Hafenstadt Corinto entwickelt, der Geburtstadt von
Enrique Schmidt. Mit Hilfe des damaligen Oberbürgermeisters Norbert Burger wurde die Idee 1988 auch in die Tat
umgesetzt, wenngleich sie äußerst umstritten war. Sie besteht bis heute und wird vom Verein zur Förderung der
Städtepartnerschaft Köln - Corinto/El Realejo e.V mit Reisen, Vorträgen und konkreter finanzieller Hilfe gepflegt.
Schwerpunktmäßige kirchliche Unterstützung gab es in Köln z.B. durch Uwe Seidel, der die Öffentlichkeitsarbeit für
Nicaragua und Kontaktpflege z.B. zu Cardenal in Köln-Klettenberg fortsetzte oder durch den in Köln-Niehl von KarlHeinz Becker mitinitiierten Dritte-Welt-Laden (der seit zwei Jahren einen zentral gelegenen Ableger in der
Antoniterkirche hat). V.a. aber die ESG veranstaltete in den 1980er Jahren unter maßgeblicher Mitwirkung von Klaus
Brieskorn und Angelika Wuttke zahlreiche auf politische Veränderung zielende Aktionen zum Thema Nicaragua, so z.B.:
 1983 die Gründung des „Arbeitskreis Befreiungstheologie“, der sich intensiv mit den sozialen und politischen
Verhältnissen und Entwicklungen beschäftigte,
 Vorträge zu Themen wie „Christentum und Revolution in Nicaragua“
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 eine „Solidaritätsbrigade“, die gemeinsam mit nicaraguanischen Studenten im Frühjahr 1985 für zwei Monate nach
Nicaragua reiste und dort u.a. bei der Baumwollernte mithalf. Über die Erfahrung gab es später auch beim OB
Burger einen Austausch. Ein ähnliches Projekt gab es noch einmal 1988.
 mehrere Seminare über die Desinformationskampagne 1987, die sich mit der einseitigen Berichterstattung über
Nicaragua auseinandersetzten. Dazu wurde Material gesammelt, dokumentiert und diskutiert.
Auch konkrete materielle Hilfe wurde geleistet; so wurden z.B. ein Behindertenprojekt (Rollstuhlwerkstatt) und eine
Nähschule gefördert. Aufsehen erregte im Juli 1985 ein von der 1984 gegründeten „Christliche Initiative Mittel Amerika
e.V.“ (CIMA) organisiertes dreitägiges Fasten für den Frieden in Nicaragua mit anschließendem politischem Nachtgebet
in der Antoniterkirche, an der u.a. die zuvor in Nicaragua von den Contras 3 Wochen lang verschleppte Biologin Regine
Schmemann teilnahm.
Nach der Abwahl der Sandinisten 1990 und auch im Zuge der 1989-Umwälzungen ebbte das politische Engagement für
Nicaragua ab. Manche z.T. „revolutionsromantischen“ Erwartungen hatten sich auch nicht in dem erhofften Maße erfüllt.
Die ESG-Köln blieb aber ihrem Mittelamerika-Engagement treu, wenngleich sich Schwerpunkte verlagerten, z.B. mit
Aktionen zu „500 Jahre Eroberung Amerikas“ oder ab 1994 mit einem Schwerpunkt auf die Situation in Cuba.
4.3 Brennpunkt Afrika41
Im Zuge des Kalten Krieges der 60er und 70er wurde immer offensichtlicher, dass die großen Verlierer im Kampf der
Systeme die Dritte-Welt-Staaten waren, insbesondere in Afrika. Wurden diese Staaten zunächst in Form von
Kolonialismus und Imperialismus unmittelbar ausgebeutet, gerieten sie nach ihrer formellen Unabhängigkeit oft
zwischen die Interessen der Großmächte und unter neue Abhängigkeiten, woraus sich große soziale und wirtschaftliche
Spannungen ergaben sowie Hungersnöte und Bürgerkriege. Die Kirchen reagierten u.a. mit zahlreichen diakonischen
Aktionen (z.B. „Brot für die Welt“). Neue Impulse gingen dabei auch von der Vollversammlung des ÖRK 1975 in
Nairobi aus, wo die Suche nach einer „just, participatory and sustainabel society”, also die Suche nach einer gerechten,
partizipationsoffenen und nachhaltigen Gesellschaft im Vordergrund stand. Diese Impulse wirkten bis in die Gemeinden
hinein.
Die Kreissynode des Kirchenkreises Köln-Mitte entschloss sich Ende 1978 Mitverantwortung zu übernehmen für das
Leben von Menschen in den Entwicklungsländern. Da ein überschaubares Partnerschaftsprojekt mehr Vorteile bietet als
anonyme Spenden wurde als Projekt die Irente-Farm in Tansania gewählt, die der Kirchenkreis seit 1979 mit jährlich
garantierten Summe von 50.000 DM aus Kollekten, Spenden, Bazarerlösen und der Kreissynodalkasse unterstützt. Mit
dem Geld wurde die Farm weiter ausgebaut, es werden Zuschüsse für die Landwirtschaft gegeben und 50% des
Farmergehaltes können damit sichergestellt werden.
Die Irente-Farm liegt in den Usambara- Bergen in einer Höhe von 1500 m auf einer Hochebene des Landes. Der
Grundstein für die Farm wurde von deutschen Missionaren gelegt. Die Ev. Luth. Kirche in Tansania kaufte das Gelände
1961 über „Brot für die Welt“ und errichtete dort in den folgenden Jahren ein Säuglingsheim für mutterlose Säuglinge,
eine Blindenschule und ein Hospital für geistig behinderte Menschen. Diese Einrichtungen können die Erträge der Farm
preisgünstig erwerben. Die regelmäßige Spende des Kirchenkreises leistet dabei unschätzbare Hilfe, dass die Farm
rentabel arbeiten kann und der Kirche damit mehr Eigenmittel für ihren Verkündigungsauftrag und ihre diakonischen
Aufgaben zur Verfügung stehen.
Die Partnerschaft hat zwei Ziele: Zum einen die Ausbildung von Tansaniern in die Farmarbeit, um die Farm zu einer
gewinnbringenden Institution werden zu lasen für die Tansanische Kirche; zum anderen die Möglichkeit der
gegenseitigen Begegnung und des gegenseitigen Austauschs als Hilfe zum Verständnis für Menschen anderer Kultur und
Hautfarbe.
Ein zweites kirchliches Engagement zum Thema „Afrika“ verbindet sich mit der Anti-Apartheit-Diskussion in Südafrika
Mitte bis Ende der 1980er Jahre. Hier konnte leider nicht ausfindig gemacht werden, dass sich Kölner Gemeinden in
einem über das allgemeinkirchliche Maß (vgl. die Beschlüsse der EKD in EPD-Dokumentation von 1988) besonders
engagiert hätten. Ein auf die Rückseite der Kreuzkirche an der Nord-Süd-Fahrt gesprühtes Graffito mit dem Namen
„Afrika brennt“ erinnert an die menschenverachtende Apartheitspolitik, ist aber nicht auf kirchliche Initiative hin
entstanden.
4.4. Dorothee Sölle42
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Stand: 15.02.02 // Druckstand: 15.05.16
(was noch nicht beim Kirchentag bzw. Politischen Nachtgebet gesagt wurde ...)
Dorothee Sölle wurde am 30.9.1929 in Köln geboren und wuchs in bürgerlich- liberalem Milieu auf. Sie bezeichnet sich
als „unartiges Kind“ im Sinne der Definition ihres Lehrers Gogarten:
„... dass ein artiges Kind gerade jenes sei, dass keine Art habe; nur ein unartiges habe seine eigene Art – und die
war unersetzlich und brachte ein Stück Frechheit mit.“
Erst Kierkegaard „verführte“ sie 1950 zur Religion, so dass sie 1951 in Göttingen begann, ev. Theologie zu studieren.
Ihr Einstieg war christozentrisch, das Antlitz Jesu sah sie in allen Gefolterten und stumm Gemachten dieser Welt. Dies
führte dazu, dass sie später als Theologie unermüdlich die Systeme an den Pranger stellte, die diese Opfer erzeugten.
1954 heirate sie den Maler Martin Sölle, aus der Ehe gehen 3 Kinder hervor. Nach der Trennung beginnt sie 1965 mit
Publikationen. 1969 heiratet sie den ehemaligen Benediktinermönch Fulbert Steffensky. Trotz ihrer zahlreichen
Publikationen hat sie in Deutschland nie einen Lehrstuhl bekleidet, war aber 1975-87 Professorin am Union Theological
Seminary in New York.
Sölle hat die existentiale Interpretation Rudolf Bultmanns aufgenommen und weiter entfaltet. Ihr geht es darum, den
Preis des vernünftigen Theologisierens zu benennen:
„Das ist eine Grunderfahrung der Frauen, die in das fremde Land der Männer, in die von Männern beherrschten
Universitäten einwandern, dass ihnen dort ein Realitätsverständnis angeboten wird, bei dem alles darauf
ankommt, die Realität zu neutralisieren ... Daraus entstehen die falschen Wissenschaftsideale der Neutralität und
Objektivität ...“
Sölle gehört neben Johann-Baptist Metz und Jürgen Moltmann zu den Mitbegründern der Politischen Theologie, die
versuchte, die in Folge der Säkularisierung entstandene Kluft zwischen gläubiger Gemeinde und moderner Gesellschaft
zu überwinden. Ihre Versuche, den christlichen Glauben nicht politisch-abstinent mißzuverstehen und die Politik den
Zumutungen religiöser Rede auszusetzen, schlugen sich in dem „Politischen Nachtgebet“ (siehe oben) nieder. In der
Folgezeit wandte sich Sölle auch stark befreiungstheologischen und feministischen Ansätzen zu. Man kann sagen, dass
die Theologin Sölle eine kirchenkritische, politisch engagierte Position vertritt, die die christliche Überlieferung im
Sinne einer säkularen Humanität zu interpretieren sucht.
Von Dorothee Sölle erschienen bis dato über 35 Publikationen. Einige hier in Auswahl: Stellvertretung: ein Kapitel
Theologie nach dem „Tod Gottes“ (1965); Atheistisch an Gott glauben (1968); Realisation. Studien zum Verhältnis von
Theologie und Dichtung nach der Aufklärung (1973); Sympathie (1978); Fliegen lernen. Gedichte (1979); Das Fenster
der Verwundbarkeit (1987); Gott denken. Einführung in die Theologie (1990); Zivil und Ungehorsam. Gedichte (1990)
Mystik und Widerstand. Du stilles Geschrei (1997)
4.5. Uwe Seidel
Uwe Seidel wurde 1937 in Soest geboren. Sein Engagement in der Jugendarbeit der Gemeinde führte ihn zum
Theologiestudium: sein Ziel war, Kirche von innen her zu verändern. Er besuchte das Theologische Seminar
„Johanneum“ in Wuppertal und wurde 1963 im Volksmissionarischen Amt der EKiR zuständig für Gottesdienste in
neuer Gestalt, seit 1965 Erarbeitung von neuen Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen, seither auch Mitarbeiter
beim Dt. Ev. Kirchentag. 1974-84 Pfarrer in der Thomaskirche in Düsseldorf, 1985-2000 Pfarrer in der Johanniskirche
Köln-Klettenberg. Drei Schwerpunkte im Schaffen Seidels in seiner Kölner Zeit seien betont:
 Mitarbeit auf den Kirchentagen: Sein Engagement auf Kirchentagen führte Seidel auch in seiner Kölner Zeit fort.
Seidel war dabei zunehmend mit der Leitung von Großveranstaltungen betraut. Schwerpunkte waren LateinAmerika-Tage oder seine Veranstaltungen zusammen mit Hanns-Dieter Hüsch. Den Eröffnungsgottesdienst 1997 in
Leipzig gestaltete er mit dem Symbol Stein (13000 kleine gewaschene Pflastersteine zum Andenken für die
Gottesdienstteilnehmer: Wege der Gerechtigkeit suchen, finden und gehen; ... Steine aus dem Weg räumen ...)
 Gottesdienste in anderer Gestalt: In Köln führte Seidel seine experimentellen Gottesdienste im Sinne einer
lebendigen Liturgie weiter. So fanden z.B. in Klettenberg 2x jährlich „Beatmessen“ statt, die großen Anklang fanden.
In den letzten Jahren wurden sie begleitet von der Gruppe „Ruhama“ sowie weiteren lateinamerikanischen Gruppen.
Eine enge Zusammenarbeit gab es auch mit verschiedenen Künstlern, die in Gottesdiensten mitwirkten; neben Hanns
Dieter Hüsch waren dies auch weniger bekannte Kölner Künstler, so z.B. der Maler Michael Blum.
Als Anekdote sei erwähnt, dass Ende der 80er Jahre ein Pfingst-Gottesdienst mit Seidel aus der Johannis-Kirche im
Fernsehen übertragen werden sollte. Leider brach sich Seidel einige Tage vorher das Bein und war ans Bett gefesselt.
Eingesprungen ist – Jürgen Fliege.
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 Jugendarbeit: Seidel war in seiner Gemeinde besonders in der Jugendarbeit engagiert. Er hat die Offene Tür in
Klettenberg wesentlich unterstützt und zahlreiche Segelfreizeiten – sowohl für Jugendliche wie auch für Erwachsene
– organisiert. Diese Freizeiten waren nicht bloß touristischer Natur, sondern auch spirituell begleitet von
Gottesdiensten und Meditationen. Aus diesen Freizeiten erwuchs ein fester Mitarbeiterkreis, der sowohl für die
Gemeinde als auch für die Kirchentagsarbeit Impulse brachte. Als Besonderheit verlieh Seidel für verdiente
Ehrenamtler einen Ehrenamtler-Orden ...
Seidel hat zahlreiche Publikationen veröffentlich, schwerpunktmäßig im poetischen Bereich und für den konkreten
Gebrauch in der (liturgischen) Praxis, aber auch Plakate, neues geistliches Liedgut, Psalmübertragungen und Bücher zur
Konfirmandenarbeit und zur Meditation. Im EG stammt von ihm das Lied „Aus der Tiefe rufe ich zu Dir“ (EG 655)
sowie eine Psalmübertragung (EG 775). Seine Bücher sind oft im Verbund mit anderen Theologen, Malern, Künstlern
herausgegeben, so z.B. Friedensgebete. 12 Gebete zur Sache (zusammen mit Jürgen Fliege), Das kleine Buch zum Glück
(mit Hanns Dieter Hüsch, 2001), Das kleine Engelbuch (mit Michael Blum) oder das Kleine Buch der Liebe (ebenfalls
mit Michael Blum).
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Stand: 15.02.02 // Druckstand: 15.05.16
5. Die Evangelischen erneuern vieles – und bleiben doch die alten (ab 1993)
[DIA-Einspielung: „KATHOLISCH“, „EVANGELISCH“, “KAMPF“, „INNEN“, „TROST“ ]43
5.1 Die Kirchenkampagne „misch Dich ein!“ (1993)44
Mit dem Slogan „misch Dich ein!“ führte der Ev. Stadtkirchenverband Köln vom März 1993 bis März 1994 die erste
Kommunikationskampagne einer Kirchgliederung im wiedervereinigten Deutschland durch. Im Zuge dieser Kampagne
hingen u.a. Plakate auf mehr als 1500 Werbeflächen in Köln und Umgebung. Das Gesamtvolumen der Aktion betrug 2,8
Millionen Mark.
Am Anfang stand die Idee, die ev. Kirche der Region in einer Zeit besorgniserregender Austrittsstatistiken neu ins
Gespräch zu bringen und zwar nicht im gemütlichen Kreise einer „erweiterten Kerngemeinde“, sondern im
Scheinwerferlicht einer medialen Öffentlichkeit. Nicht Reklame für den lieben Gott war das Ziel, sondern ein
fortgesetzter Dialog der Kirche mit ihren eigenen Gliedern und der Öffentlichkeit. Im Frühsommer 1992 wurden vom
Amt für Presse und Öffentlichkeitsarbeit unter Leitung von Günter A. Menne (*1959) dazu eine Konzeption entwickelt.
Auf die bloße Pressemitteilung, die Kölner Kirche suche eine Agentur, bewarben sich im Oktober 1992 150 Agenturen;
die Ausschreibung kletterte damit laut der Fachzeitschrift „Horizont“ auf Platz vier der Hit-Liste der deutschen
Ausschreibungs-Etats. Der Zuschlag ging letztlich an die Lauk & Partner GmbH, Agentur für effiziente Kommunikation,
aus Frechen bei Köln. Parallel dazu wurde allen 62 Gemeinden des Stadtkirchenverbandes bis zum Frühjahr 1993 das
Projekt vorgestellt und in verschiedenen Gremien intensiv beraten. Im März 1993 stimmten schließlich 85% der
Mitglieder der Verbandsvertretung (dem Entscheidungsgremium des Kölner Stadtkirchenverbandes) für die
Durchführung des Projekts.
Die Kampagne selbst war besonders durch ihren „modularen“ Aufbau gekennzeichnet. Das primäre Ziel war, die inaktive
Mehrheit der Mitglieder wieder mehr zu interessieren, was die (oft überlastete und frustrierte) Minderheit leistet und
dadurch auch der Minderheit wieder neue Impulse zu vermitteln. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, dass der Funke zur
Veränderung der Institution nicht von der Pfarrerschaft gezündet werden würde, sondern allein von außen.
Dementsprechend war die Kampagne auf Einmischung und Dialog angelegt, gerade auch in Blick auf die Medien.
Vom Frühjahr bis Herbst 1993 wurde die Idee der Einmischung konsequent z.B. mit Anzeigen, Plakaten, Workshops,
Abgesandtenforum oder einer Initiativ-Börse umgesetzt. Es erschien 3 Mal – jeweils im Abstand von einem ¼ Jahr - eine
Aktionszeitung mit einer Auflage von jeweils 270.000 Stück, die an alle evangelischen Haushalte verteilt wurde.
Begleitet wurde die ganze Kampagne von einem enormen Medieninteresse: Funk und Fernsehen berichteten ebenso wie
nahezu alle großen Tageszeitungen Deutschlands; selbst im angesehenen „Wall-Street-Journal“ war eine Bericht darüber
zu lesen. Die Kölner Kampagne löste damit weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus eine Debatte über Glauben
und Gestalt der Kirche aus. Diskutiert wurden aber nicht nur die von der Kampagne anvisierten Themen, sondern auch
andere Fragen, zum Beispiel, ob die in den Mittelpunkt gestellten Themen irgendeine Relevanz für den
Verkündigungsauftrag der Kirche hätten, ob Werbung für die Kirche vom Evangelium her vertretbar sei und welche
Rolle die äußere Gestalt der Kirche für den Glauben der Mitglieder spiele. Die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche war
damit von der Defensive in die Offensive gegangen. Der Professor für Betriebswirtschaft und Marketing an der Uni
Mannheim Hans Raffée sagte daher zurecht:
„Obwohl in erster Linie Kommunikationskampagne, gehört die Aktion des Kölner Stadtkirchenverbandes „misch
Dich ein!“ wohl zu den ... interessantesten Ansätzen, die die Kirche in Richtung Kirchenmarketing bisher
unternommen hat ...“
Bemerkenswert war auch die sich anschließende Auswertung des Projekts, bei der die kritischen Töne an Kirche deutlich
überwogen. Agenturchef Matthias Lauk (*1947) vermerkt in einer Mischung aus Faszination und Resignation:
„Einzigartig beim Kunden Kirche ist die selbstquälerische Suche nach der Wahrheit. Jeder Pfarrer ist
ausschließlich seiner theologischen Wahrheit verpflichtet. Vierzig Pfarrer einer Projektgruppe liefern der Agentur
vierzig Wahrheiten“45
Und er kommt in seinem Abschlussbericht 1994 vor der Verbandsvertretung zu einem bis dato gültigen und
hochinteressanten – aber praktisch-theologisch kaum reflektierten – Schluss:
„Die Kirche ist nicht beratungsfähig weil sie sämtliche Impulse einer Erneuerung in eine nicht hinreichend
lernfähige Organisation absorbiert.“46
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Aber auch an Anerkennung fehlte es nicht: Die „misch-Dich-ein!“-Kampagne wurde von Seiten der Deutschen Public
Relations-Gesellschaft (DPRG) im Januar 1994 mit der „Goldenen Brücke“ in der Sparte „KonfliktKommunikations/Krisen-PR“ ausgezeichnet, dem höchsten deutschen PR-Preis.
Der Initiator der Kampagne – Günter A. Menne – sieht 1997 im Rückblick auf die Kampagne deren Bedeutung auch
noch über die Kommunikationsebene hinaus:
„Vielleicht war „misch Dich ein!“ jener Windstoß, der ein bis dahin nur einen Spalt breit geöffnetes Tor, hinaus
auf neues Terrain, endgültig aufriß – das Terrain, wo es um Management der Geschicke des ´Unternehmens
Kirche` geht.“47
5.2 Ökumene in Köln48
Mitte der achtziger Jahre gewinnt das ökumenische Thema auf dem Hintergrund von Luthers 500. Geburtstag 1983 und
dem Konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung – in Vancouver 1983 begonnen –
auch in Deutschland und Köln an Bedeutung. Nachdem der Ev. Stadtkirchenverband Köln eine eigene Pfarrstelle für
ökumenische Arbeit eingerichtet und besetzt hat, kommt es Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre zu einer
Reihe von ökumenischen Initiativen in Köln. Als Marschroute wird eine Art Quadratur des Kreises vorgegeben:
„Alles versuchen, was an Zusammenarbeit möglich ist, aber es darf keinen Ärger geben, schon gar keinen
öffentlichen.“ Also: Wasch mir den Pelz, aber mach mir das Fell nicht nass. (so Ökumenepfarrer Dr. Hans-Georg
Link)
Einige „Highlights“ aus den Jahren:
 Der Konziliare Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung: Im Rahmen des
Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung kommt es am Buß- und Bettag
1988 zu vier sog. Bußgängen in der Innenstadt, die sich in der Kirche Maria im Kapitol zu einer großen
Versammlung mit Karl-Friedrich von Weizsäcker vereinen. Ein Passant fragt: „Habt ihr so viele Sünden
begangen, daß ihr so weit laufen müßt?“ Der damalige Stadtsuperintendent Kock schlägt vor, den damals noch
als Feiertag begangenen Buß- und Bettag zum Tag ökumenischer Begegnungen zu machen. Karl-Friedrich von
Weizsäcker erläutert seinen Vorschlag eines Friedenskonzils. Ein halbes Jahr später legt im Mai 1989 ein
Friedensschiff auf seinem Weg von Rotterdam zur ersten europäischen ökumenischen Versammlung in Basel am
Kölner Rheinufer an. Eine große Friedensvesper wird im Rheingarten unter freiem Himmel gefeiert. Präses Beier
sagt in seinem Grußwort voll Sehnsucht: „Das Herz des Präses fährt mit nach Basel, aber sein Kopf wird im
Rheinland gebraucht.“ Kardinal Meisner schickt an die Versammlung ein Grußwort.
 Martinsfeiern: Seit Anfang der neunziger Jahre findet alljährlich am 10. November eine ökumenische
Martinsfeier rund um die Kirche Groß Sankt Martin statt. Als Ökumenepfarrer Link im hellen Talar die Kirche
betritt, fragt ein Junge: „Ist das der neue Kaplan am Dom?“ Der Martinsreiter wird zum Teil mit dem Ruf
„Kamelle“ begrüßt. Die Martinsbotschaft vom Teilen wird auf dem Altermarkt umgesetzt: bis zu 1.000
Weckmänner werden verteilt.
 450 Jahre Kölner Reformationsversuch: Im Jahr 1993 denkt man im evangelischen Köln an den
Reformationsversuch des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied vor 450 Jahren im Jahr 1543. Dazu findet im
Historischen Archiv auf der Severinstraße eine Ausstellung statt: „Zwischen Reform und Reformation“, die am
21. September mit einer mutigen Rede der früheren Kölnerin Hanna-Renate Laurien eröffnet wird. Sie zitiert die
These: „Das größte Hindernis auf dem Weg zur (Kirchen)Gemeinschaft ist die Gleichgültigkeit in Gemeinden,
das Desinteresse bei Klerus und Pfarrerschaft und die Unentschlossenheit bei Kirchenleitungen.“ Statt dessen
fordert sie: „Wenn wir die unselige Spaltung beenden wollen, muß das Bewußtsein der Einheit aus den
Gemeinden wachsen. Wir müssen gegen die ökumenische Gleichgültigkeit anbeten und anhandeln.“
Oberstudiendirektor Theodor Schlüter bedient eine Druckerpresse aus dem 16. Jahrhundert für die Titelseite der
Reformschrift „Einfältiges Bedenken“ von. Ein Schüler fragt: „War der Mann so einfältig, in Köln eine
Reformation zu versuchen?“
 Altenberger Kirchentag: Am 19. und 20. August 1994 geht in Altenberg der erste ökumenische Kirchentag
über die Bühne: „Gemeinde von morgen gemeinsam gestalten“. Am abschließenmden
Taufgedächtnisgottesdienst auf der Priorswiese beteiligen sich nicht nur mehrere tausend Teilnehmende, sondern
auch Präses Beier, Kardinal Meisner, Metropolit Augoustinos und Bischof Klaiber. Kommentar eines
Augenzeugen:
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„Bernhard von Clerveaux und Luther hätten auf ihrer Skulptur im Dom Beifall geklatscht, wenn sie das
miterlebt hätten.“
 Eröffnung des Domforums: Im Herbst 1995 wird das Domforum gegenüber der Kathedrale eröffnet. Kardinal
Meisner spricht in seiner Eröffnungsrede davon, hin und wieder im Domforum nach dem rechten sehen zu
wollen. Stadtsuperintendent Kock kommentiert das in seinem anschließenden Grußwort: „Ich freue mich
darüber, daß der Herr Kardinal bei den vielfältigen Aufgaben des neuen Forums seine Mithilfe angeboten hat.“
 Erster Kölner Ökumenischer Brückenweg: Am 8. August 1998 findet zur Eröffnung der 750-Jahrfeiern des
Domes der erste Kölner Ökumenische Brückenweg statt: „Versöhnung braucht Begegnung“. Als
„Versöhnungszeichen“ angesichts der Verbrennung von Luthers Büchern am 12. November 1520 auf dem
Domhof bringt Ökumenepfarrer Link die Lutherbibel von der Trinitatiskirche, den evangelischen Dom, mit, um
sie auf den Altar zu legen. Aber Dompropst Henrichs nimmt ihm die Bibel aus der Hand und legt sie vorn auf
den Ambo. Vor der Predigt von Präses Kock hinter dem Ambo nimmt ein Priester die Lutherbibel und legt sie
seinerseits auf den Hochaltar des Domes. Nach der Predigt wird ein Weihnachtsstern der Herrnhuter
Brüdergemeine über dem Altar hochgezogen. Dazu singt die Gemeinde: „Wir haben seinen Stern gesesehen und
jauchzen vor Freude.“ – Zum Abschluß des Jubiläumsjahres sagt Kardinal Meisner bei einer Versammlung im
Maternushaus: „Wir haben von der Ökumene gelernt.“
 Gemeindepartnerschaft in Köln-Neu-Brück: An einem Wochenende im Frühjahr 1999 beraten die
evangelische und katholische Gemeinde in Köln-Neu-Brück über den Abschluß der ersten offiziellen
Gemeindepartnerschaft am Ort. In der abschließenden Gemeindeversammlung will eine Teilnehmerin wissen, für
wie lange die schriftliche Vereinbarung denn gelten soll. Dechant Klaus Bußmann antwortet: „Das alles gilt jetzt
bis zur Wiederkunft des Herrn.“ Zwei Monate später wird die erste ökumenische Gemeindepartnerschaft im
Rheinland im Rahmen eines festlichen Gottesdienstes unter großer Beteiligung beider Gemeinden feierlich
unterzeichnet.
 Afrikanische Trommeln: Immer wieder kommt es zu Konflikten, wenn afrikanische Gemeinden in
evangelischen Kirchen zu laut singen und trommeln. Bei einem Gespräch darüber fragt ein Afrikaner: „Steht bei
euch denn nicht in Psalm 150: Lobt Gott mit Posaunen und Pauken?“ „Nein“, sagt ein Deutscher, „bei uns
steht: Lobt ihn mit kleinen Lauten.“
5.3 Hans Mörtter und der Lebensbündnisgottesdienst im Juli 1994
Geboren am 26. Juni 1955 in Bonn, 1975 Abitur am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Bonn. 1975 bis 1982 Studium
der Ev. Theologie in Bonn. Währendessen Aufbau neuer Jugendarbeit (offene Tür und Gruppen) in der
Lukaskirchengemeinde und Obdachlosenarbeit im Stadtzentrum. Vikariat in Bonn-Beuel mit viel experimentellen
Versuchen. 84/85 Pfarrstellenverwaltung der deutschsprachigen Auslandsgemeinde in Bogotá und karibische Küste
(Kolumbien). Seitdem regelmäßige Besuche in Kolumbien. Durch Freunde/innen des Teatro La Candelaria, Bogotá,
Mitarbeit und Unterstützung deren kultureller Arbeit mit Straßenkindern. Dazu Engagement in Menschenrechtsarbeit und
Einmischung in den „Friedensprozess“. 1987 Pfarrer an der Lutherkirche Köln-Südstadt. Umsetzung eines Konzeptes
von „offener, experimenteller, dialogischer Kirche“ in Zusammenarbeit mit KünstlerInnen, TänzerInnen, MusikerInnen
mit hoher Resonanz: Kirche als Lebensraum für alles, was Menschen bewegt.
Mitbegründer der zweijährlichen protestantischen Karnevalssitzung PROT’s, Mitbegründer und Vorsitzender des
Vringstreff e.V. – Restaurant und Begegnungsstätte der anderen Art für Obdachlose und Nicht-Obdachlose. Gründer des
Menschensinfonieorchesters (gemeinsam mit dem ital. Saxophonisten Alessandro Palmitessa) – 17 obdachlose und nichtobdachlose MusikerInnen. Mörtters Motto:
„Wenn die Menschen nicht mehr von alleine in die Kirche kommen, muss ich hingehen, wo sie sind: in den
Kneipen, Bürgerinitiativen, Feste, Karneval, Kunstveranstaltungen ...“
Ganz natürlich und selbstverständlich war ihm in der „Schwulen & Lesben Hochburg Köln“ die Begegnung mit
Schwulen und Lesben. So ergab sich, dass ab 1990 der „Erste Kölner Schwulen-Chor Triviatas“ immer wieder mal den
Gemeinderäumen probte und auch auf dem Gemeindefest auftrat. Innerhalb der Gemeinde kam es zunehmend zur
Thematisierung von Homosexualität. O-Ton Mörtter:
„Von Kollegen/innen hörte ich dabei immer wieder den Spruch, „unsere Gemeinden sind noch nicht so weit“. Das
brachte mich auf die Palme. Was für ein bevormundendes Verständnis von Gemeinde und Menschen war das
denn? Ich merkte, die gesamtkirchliche Diskussion stockte, kam nicht wirklich voran und ich begriff, dass es Zeit
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wurde, ein Zeichen zu setzen. Das taten wir an der Lutherkirche (gemeinsam mit meinem Kollegen, jetzt
Superintendent, Rolf Domning) in Form von Beschlüssen in unserem Bezirkspresbyterium und auf einer großen
Gemeindeversammlung nach einem Gottesdienst gemeinsam mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Volker
Beck und seinem Lebensgefährten. Für mich überraschend war das einstimmige Votum der
Gemeindeversammlung. Selbst alte Gemeindeglieder votierten für eine trauähnliche Segnungshandlung mit
schwulen und lesbischen Paaren nach der Devise: „wenn das Menschen wichtig ist, haben wir kein Recht, ihnen
das zu verweigern“. – Damit war das öffentliche Zeichen gesetzt. In den kirchlichen Kreisen machten wir bekannt,
dass wir an der Lutherkirche bereit sind, Segnungsgottesdienste zu feiern, wenn schwule/lesbische Paare uns
darum bitten.“
Schneller als erwartet meldete sich ein Paar und somit fand im Juni 1994 der erste „Lebensbündnisgottesdienst“ statt.
Der Gottesdienst löste eine große Medienresonanz aus (u.a. Bericht in den „Tagesthemen“). Die Kirchenleitung reagierte
postwendend, wobei zeitweise auch eine Zwangsbeurlaubung von Mörtter im Raum stand. Da jedoch die Kölner Medien
und auch der damalige Kölner Superintendent Eckhart Schubert, der von dem Gottesdienst im Vorfeld wusste, sich hinter
Mörtter stellten, endete die Sache nach mehreren Monaten mit einem Verweis für beide. Ein Lied (getextet 1994) nach
der Melodie: „Alle, die mit uns auf Kaperfahrt waren...“ gibt die Ereignisse aus eigener Sicht wieder:
Wenn wir nun endlich dies Fest hier genießen,
homo genau so wie hetero,
soll uns so bald doch nichts Böses verdrießen,
sagen wir allen: „Nur weiter so!“
Ohne Angst und nur nach vorn!
Weg mit den Schranken ohn’ alles Wanken,
ohne Angst und nur nach vorn
mit sehr viel Liebe und wenig Zorn.
Dann die Synode: sie setzte ein Zeichen,
sprach ein Wort jetzt sehr deutlich und klar,
ließ sich nicht länger durch Klagen erweichen,
wie das früher so üblich war.
Homo und auch hetero –
Gott schuf sie beide – zu ihrer Freude.
homo und auch hetero
Gott schuf sie beide –wie sind wir froh!
Einige Fromme begannen zu toben
war’n mal wieder der Ruhe beraubt,
fragten die Herr’n etwas weiter oben:
„Wer hat denn dies’ Proponendum erlaubt?
O wie böse, o wie schlecht!
Ganz ohne Gründe, das ist doch Sünde.
O wie böse, o wie schlecht!
Das ist nicht biblisch, das ist nicht recht!“
Plötzlich stand da im Talar der Hans Mörtter,
ließ zwei Schwule ins Gotteshaus rein,
sprach zu ihnen durch biblische Wörter,
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denn sie wollten gesegnet sein,
Peter, Dieter, diese zwei.
und alle beide zeigten sie Freude.
Peter, Dieter, diese zwei,
und die Gemeinde war gern dabei.
Einige Fromme begannen zu toben oben,
war’n mal wieder der Ruhe beraubt,
fragten die Herr’n weiter dort oben:
„Wer hat denn diesen Segen erlaubt?
O wie böse, o wie schlecht!
Ganz ohne Gründe! Das ist doch Sünde!
O wie böse, o wie schlecht,
das ist nicht biblisch, das ist nicht recht!“
Zitate aus anonymen Briefen an Hans Mörtter nach dem Lebensbündnisgottesdienst:
„Du bist ein Pfarrer, ich kann dich leider nicht als Pfarrer erkennen, den du bist ein Gotteslästerer, und für solche
ist kein Platz im Gotteshaus. .... Vielleicht kommt morgen ein Weib mit einem Hengst vorbei und du gibst auch den
Segen dazu? ... Solch Pfarrer wie du, haben schon genug und zu oft die Kirche besudelt, deshalb gehörst du hinaus
aus der Kirche. Du Ungeheuer.“
„Es wäre ratsam, die Bibel zu lesen, bevor man handelt. 1.Kor 6,9 – Gleichgeschlechtliche Partnerschaft, 1.
Timotheus 1,10, Röm 1,24 – 28 und Röm 2, 1-8: STRAFEN VON GOTT !! Ehe man diesen Arschfickern seinen
Segen erteilt, soll man überlegen, welche Strafe Gott Ihnen Herr Mörtter laut obengenannten Bibelstellen
voraussagt. Es wäre am besten man würde sie sofort Ihres Dienstes entheben, ehe sie noch mehr Unheil anrichten.
Oder sind Sie selbst auch schwul??? Sie sind kein Seelsorger sondern das Gegenteil! Nur gottlose Menschen
können so handeln wie Sie!“
„Was ist doch in der Rhein. Kirche los mit dem Homosex? Da werden perverse Säue als gleichberechtigt durch
Segen anerkannt. Das haut dem Fass den Boden aus! Lesen Sie die Bibel: Mose 19,5-25 – Sodom und Gomorra Römerbrief 1,27 - 1.Korinther 6,9 – 1. Tim. 1,9-10 – Galater 5,19 Diese Wesen sind ohne Buße vom Reich Gottes
ausgeschlossen. Darum kann sie kein Pastor mit dem anderen gleichstellen. Wir müssen ernsthaft für sie beten,
denn sie stehen sittlich unter dem Vieh. Hat man doch bei Affen solche Obszönitäten nicht registriert. Außerdem
sind diese Schweine gemeingefährlich weil sie AIDS verbreiten - sie sind nach dem alten § 175 zu bestrafen, damit
sie sich bessern. Wenn Sie diese Schmutzfinken nicht zur Umkehr und Buße auffordern, stehen sie auf ihrem
Niveau! Wie wollen Sie vor Gott bestehen, wenn Sie vorsätzlich Seine Naturordnung und Bibelworte übersehen?
Sie nennen sich sogar noch „Christ“ – das ist Blasphemie! Sie und Ihr Herr Beier sind total unfähig einer Kirche
leitend vorzustehen. Verschwinden Sie!“
5.4 HöVi-Land49
Seit 8 Jahren entsteht jeden Sommer eine Zeltstadt im rechtsrheinischen Köln. Mit Zelten aus der Sahara. Mit einem
Zug-Express von der Vingster Karnevalsgesellschaft. Mit einem Telefon von Netcologne. Mit einer Zelt-Küche, die drei
Mahlzeiten am Tag herstellen kann. Mit einem Café. Mit Toiletten, Duschen und einer Erste-Hilfe-Station samt Arzt.
Und mit einer homepage im Internet (www.hoevi-land.de). Für drei Wochen entsteht eine große Stadt, ein Land,
nämlich: HöVi-Land. Es macht mittlerweile Platz für 500 Kinder und für die Menschen ist es so etwas wie die sechste
Jahreszeit.
HöVi ist die Abkürzung für Höhenberg und Vingst, zwei Kölner Stadtteile im Rechtsrheinischen. Diese beiden Kölner
Viertel sind in verschiedenster Weise von sozialer Problematik betroffen. Die Arbeitslosigkeit beträgt 22,9 % (Kölner
Durchschnitt: 14,1 %), etwa 40 % der Familien haben kein selbsterwirtschaftetes Einkommen. Die durchschnittliche
Wohnfläche beträgt pro Person 25,5 qm (Kölner Durchschnitt: 34 qm), d.h. dass die Wohnung einer fünfköpfigen
Familie in HöVi im Schnitt 40 qm kleiner ist als die einer Kölner Durchschnittsfamilie. Dabei liegt der Anteil der Vier-
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und Fünf-Personen-Haushalte deutlich höher als im Kölner Durchschnitt. Viele psychische und physische Folgeprobleme
stellen sich ein. Aber auch HöVi-Kinder wollen Ferien machen, träumen von Strand und Meer und müssen sich von der
Schule erholen.
Für viele Familien ist Urlaub unerschwinglich und für die Kinder bedeutet das meistens Straße und Abhängen. 1994 war
die Idee da: evangelische und katholische Kirchengemeinde in Höhenberg-Vingst hatten jeweils eigene Ferienaktionen.
Warum nicht zusammen etwas unternehmen? Einen ökumenischen Spielebus gab es ja schon. So wurde von der
evangelischen Jugendleiterin Petra Kempe und dem damaligen katholischen Kaplan Ansgar Puff HöVi-Land geboren
und startete mit ca. 80 Kindern. Innerhalb der vergangenen 8 Jahre stieg die Zahl der Kinder, die sich auf dem Platz
hinter dem Vingster Freibad tummelten, auf über 500. Hier werden sie gefördert und gefordert, erleben jeden Tag Neues
in Gruppenprogramm, Workshops und Ausflügen. Sie testen ihre Kreativität, ihre Geschicklichkeit und ihren Mut. Sie
spielen, klettern, basteln, schwimmen und feiern: den Eröffnungsgottesdienst, Wochenanfang und -abschluss, Anfang
und Ende eines Tages, das Mottofest und natürlich die Geburtstage. Sie sind 6-14 Jahre alt und in ca. 25 Gruppen
aufgeteilt.
Geleitet werden die Gruppen von ca. 70 jugendlichen Volontären, selbst Schulkids aus dem Veedel und manchmal auch
schon frühere HöVi-Land-Kinder. Inzwischen gibt es HöVi-Land-Karrieren, die sich im Beruf des Erziehers/ der
Erzieherin fortsetzen. Es geht um die Kinder – also wollen die Erwachsenen mitarbeiten. Weitere 80 Volontäre zwischen
20 und 80 Jahren bauen den Platz auf, kochen, betreiben das Besuchercafé, sorgen für Wasser und Strom, stellen
Nachtwachen, leiten Workshops und Ausflüge und steuern Ideen bei. Sie spendieren Jahresurlaub und Freizeit. „Wir
bringen das Viertel hoch, wir halten zusammen“ sagen sie und setzen es um. So wünschen wir uns die Kirche, sagen
manche dem „ORGA-Team“, den drei Hauptamtlichen (z.Z. die Gründerin Petra Kempe, der kath. Pastoralreferent Peter
Otten und der evang. Pfarrer z.A. Andreas Satzvey), die für das Management und die Koordination sorgen.
Ist HöVi-Land eine „ökumenische Erfolgsgeschichte“? Ja, wenn man die gemeinsame Arbeit der katholischen und
evangelischen Kirchengemeinden meint, die über alle Unterschiede in Organisation und Größe, von Temperamenten und
Eigenheiten hinweg mit Einsatz, Kreativität und einer Spur Anarchie HöVi-Land Jahr für Jahr mit Hilfe vieler Spenden
(sowohl kleinen als auch großen aus der Wirtschaft) möglich macht. Viel mehr noch, weil das Veedel die „Ökumene“ in
die Hand genommen hat. HöVi-Land gehört nämlich nicht den Kirchen, es gehört den Menschen, die hier leben. Sie
haben es in die Hand genommen, sie bestimmen es und beleben es, so definieren sie auch „Kirche“. Das macht seinen
„spirit“ aus.
Dazu zählt letztlich auch, dass HöVi-Land das ganze Jahr weiter geht. Denn aus den Begegnungen haben sich vielfältige
weitere Aktionen entwickelt. Außer dem Spielebus, der durch das Viertel fährt, gibt es u.a. noch die Kindertanzgruppe,
die „Frauen nach acht“, die Adventskalender-Aktion, das ökumenische Sternsingen und inzwischen die
Familienwerkstatt: Dort gibt es vielfältige Begegnungsmöglichkeiten für alleinerziehende junge Mütter und ihre Kinder
sowie soziale Beratung, Hilfen für den Wiedereinstieg in den Beruf, Fortbildungen, Ausflüge und Familienfreizeiten.
Vielfältige Presseberichte wie auch bildliche Eindrücke von HöVi-Land finden sich auf der Website: www.hoevi-land.de
5.5 Wanderkirchenasyl
(Die Ereignisse sind aus Sicht von Dieter Endemann geschildert, Pfr. der Ev. Gemeinde Köln und zentral in die
Vorgänge um das Wanderkirchenasyl involviert.)
Ende des Jahres 1997 berichtete die deutsche Presse von kurdischen Flüchtlingen, die mit Booten in Italien anlandeten.
Anfang Januar 1998 erklärte die Landessynode der EKiR kurdische Flüchtlinge für schutzbedürftig. Zur selben Zeit ging
bei der Ev. Gemeinde Köln ein Hilferuf des neu gebildeten Aktionsbündnisses „Kein Mensch ist illegal“ ein, ob die
Gemeinde bereit wäre, 20 von Abschiebung bedrohte Kurden aufzunehmen. Das Presbyterium beschloss, den
Flüchtlingen zwar kein längerfristiges Asyl zu gewähren (in Sachen Kirchenasyl hatte die Gemeinde gerade langjährige
und kostenaufwendige Erfahrungen mit mehreren Roma-Familien gemacht), aber sie doch für vier Wochen
aufzunehmen, um ihnen öffentlich Gehör zu verschaffen. Hintergrund der Entscheidung des Presbyteriums war die Kritik
der Kirche an der Verschärfung des Asylrechts. Nach vier Wochen hatte die Öffentlichkeit kaum von der Aktion Notiz
genommen. Darum entschied das Presbyterium, den Zeitraum zu verlängern und gleichzeitig die anderen Gemeinden im
Kirchenkreis Köln-Mitte zu bitten, sich der Aktion anzuschließen und die Flüchtlinge ebenfalls für begrenzte Zeit
aufzunehmen. Dies taten die Gemeinden auch ausnahmslos.
In kurzer Zeit entwickelte die Aktion eine starke Dynamik. Das Aktionsbündnis „Kein Mensch ist illegal“ engagierte sich
für Transport, Verpflegung, medizinische Betreuung sowie rechtliche Fragen einschließlich der Protokollierung von
Flüchtlingsschicksalen. Die Ev. Gemeinde Köln dagegen konsultierte die Ausländerbehörde der Stadt Köln, der
Superintendent des Kirchenkreises Köln-Mitte informierte das Polizeipräsidium und in den Gemeindezentren wohnten
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Stand: 15.02.02 // Druckstand: 15.05.16
die Flüchtlinge. Die Ausländerbehörde duldete die Aktion, Kinder durften die Schule besuchen und die Polizei
versprach, nicht einzugreifen. Das zog immer weitere Flüchtlinge aus dem ganzen Bundesgebiet an. Zentrum der
gesamten Aktion wurde ein wöchentlich in der Antoniterkirche anberaumtes „Plenum“ aller Beteiligten. Als zentrales
Anliegen wurde hier formuliert: Abschiebestop der Landesregierung für alle kurdischen Flüchtlinge!
Mit den ersten Presseberichten verstärkte sich der Zustrom der Flüchtlinge. Weitere Kirchengemeinden, über Köln
hinaus, auch katholische, schlossen sich an, eine Wanderungsbewegung setze ein, die sich später auf ganz NRW
ausdehnte. Im Zuge dieser Wanderungsbewegung erhielt die Aktion schon früh ihren Namen: „Wanderkirchenasyl“.
Mit dem Begriff „Wanderkirchenasyl“ wurde das Landeskirchenamt für die Aktion sensibilisiert. Denn das Wort
„Kirchenasyl“ hatte aufgrund von früheren Absprachen der Landeskirche mit dem Landesinnenministerium eine
besonders definierte Qualität. Hier war verabredet worden, dass im Einzelfall Kirchengemeinden „Asyl“ mit Duldung
des Landesinnenministeriums gewähren durften, solange die erneute Überprüfung dauerte; danach war das Ergebnis zu
akzeptieren. Das „Wanderkirchenasyl“ dagegen erwartete keine „Einzelfallüberprüfung“, sondern forderte eine
„Gruppenlösung“, einen generellen Abschiebestop für „kurdische Flüchtlinge“. Dies führte zu einem dauerhaften,
unüberwindbaren Konflikt zwischen den Initiatoren und Verfechtern des „Wanderkirchenasyls“ auf der einen Seite und
dem Land NRW sowie der Landeskirche auf den anderen.50
Die beteiligten Kirchengemeinden baten ihre Superintendenten um Hilfe, die nun versuchten, zwischen unterstützenden
Gemeinden und Landeskirche zu vermitteln. Eine gemeinsame Linie war aber leider nicht erreichbar. 51 Längst waren
Politiker in die Lösung der Frage einbezogen worden, speziell Vertreter der Landtagsfraktionen.
Irgendwann machte das Landesinnenministerium den Flüchtlingen die Zusage, für eine erneute Einzelfallprüfung der am
„Wanderkirchenasyl“ Beteiligten ein Moratorium zu gewähren, d.h. die Ausländerämter anzuweisen, dafür Raum und
Wege für eine nochmalige Prüfung zu öffnen und von Verfolgung abzusehen. Diesmal stimmte der Sprecherrat der
Kurden dem Angebot zu. Die Hoffnung auf Durchsetzung einer anderen Lösung war nach und nach erloschen. Vor allem
waren die alltäglichen Belastungen, die notdürftige Unterbringung, die gesundheitliche Verfassung und vor allem die
psychischen Belastungen (u.a. mit der ständige Angst vor Festnahmen) für die Flüchtlingsfamilien mit der Zeit
unerträglich geworden.
Eine erneute „Einzelfallprüfung“ über die jeweils zuständigen Ausländerämter setzte ein, begleitet von Paten,
Rechtsanwälten, Kirchenvertretern und Landespolitikern. Die Wanderung stoppte, die Aufnahme weiterer Flüchtlinge
wurde beendet und eine ungeheuer mühsame Arbeit begann, die Re-Legalisierung der Flüchtlinge zu erreichen. Ein Teil
der Flüchtlinge beteiligte sich nicht an diesem Weg, wollte weiter für die politische Lösung kämpfen.
Das gemeinsame Leben mit den Flüchtlingen in den Kirchengemeinden, der zum Teil intensive Kontakt zu ihnen und die
Beschäftigung mit ihren Fluchtschicksalen gab den Unterstützerinnen und Unterstützern des Wanderkirchenasyls immer
wieder die Kraft, gegen die Ignoranz der Behörden und Gerichte, gegen die Inkompetenz der Anwälte und die genervte
Hilflosigkeit der Politiker anzukämpfen. Trotzdem haben die Unterstützer nicht aufgegeben. Gewandert wird schon lange
nicht mehr. Die Gemeinden sehen sich nach wie vor in der Verantwortung ihren Flüchtlingen gegenüber. Faktisch ist das
Wanderkirchenasyl in Einzelasyle übergegangen.; trotzdem bleibt im Einzelnen wichtig, dass die Betroffenen Teile des
Wanderkirchenasyls sind, die mit ihrer Aktion ein besonderes Risiko eingegangen sind und vor Verfolgung in der Türkei
besonders geschützt werden müssen. Immer noch wird an dem Bleiberecht ganzer Familien gearbeitet. Aber auch der
Erfolg ist nicht übersehbar.
Das Bundesinnenministerium vertritt jetzt die Auffassung, dass Traumatisierungen (als Folge z.B. von Folter und
Vergewaltigung) in den Anerkennungsverfahren der Flüchtlinge angemessenere Berücksichtigung finden müssen. Und
von den insgesamt 489 Flüchtlingen im Wanderkirchenasyl sind heute noch 55 illegal (zum Teil in Kirchen
untergebracht, davon 8 in Köln), 8 wurden abgeschoben, 2 sind freiwillig zurückgekehrt, 18 aus dem Wanderkirchenasyl
ausgestiegen, 240 erhielten ein dauerhaftes Bleiberecht, 166 wurden bisher nur vorläufig re-legalisiert und sind
gemeinsam mit den 55 Illegalen noch in der Bearbeitung.
Weit mehr als die hier genannten (kurdischen) Personen sind illegal in Deutschland, aus vieler Herren Länder. Was es
heißt, illegal zu sein, das haben die unterstützenden Gemeinden ansatzweise erfahren. Neben der völlige Mittellosigkeit
und Ausgegrenztheit bedeutet es für die Flüchtlinge permanente Angst und Fortdauer der Verfolgungssituation. Darüber
hinaus stellt sich die Frage der medizinischen Versorgung. Hier schlummert ein großes humanitäres Problem. Zur Zeit
gibt es erste Versuche der Kirchen, wenigstens für die dringendsten Fälle eine stationäre Krankenhausversorgung bzw.
deren Finanzierung zu konzipieren.
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5.6 Sterbebegleitung
Der Umgang mit Sterben und Tod sowie die jeweilige Trauerkultur sind ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Entgegen dem Trend, Themen um „Sterben, Tod und Trauer“ zu verdrängen, marginalisieren und tabuisieren, sind in den
letzten Jahren verstärkt Prozesse zu beobachten, Tod und Sterben wieder mehr jenen Raum in der Öffentlichkeit und im
Privaten (zurück)zugeben, der ihnen angemessen ist. Zunehmend werden neue, oft „alte“ Wege in der Trauerkultur
beschritten. Die Wünsche nach individuellen, stimmigen und authentischen Abschiedsritualen wachsen, der Bedarf an
Gesprächskreisen und anderen Austauschmöglichkeiten mit ähnlich Betroffenen ist groß. Exponiertes (kirchliches)
Engagement in der Sterbe- und Trauerbegleitung der letzten Jahre in Köln gab es an folgenden Stellen:
 Fritz Roth kauft (ca. 1983) das Bestattungshaus Pütz auf und stößt mit seinem „neuen“ Konzept und seiner neuen
Unternehmensphilosophie in der Region Köln zahlreiche Entwicklungen an: Trauerbegleitung – vom Ursprung
her in der vorangegangenen Zeit fast oder oft ausschließlich von Kirche wahrgenommen – wird von Pütz ∞ Roth
in die Arbeit und die Angebotspalette seines Bestattungsunternehmens aufgenommen. (U.a.) ist es Fritz Roth, der
hilft, den verdrängten Tod, vergessenes Wissen, entschwundene Riten wieder zu Tage zu fördern. Ein markiger,
treffender Satz: „Fritz Roth traut sich `was beim Trauern.“ Beispielhaft sind zwei Veranstaltungen des Hauses
Pütz ∞ Roth:
1. Tod im Rheinland. Eine bunte Knochenlese von und mit Rainer Pause & Martin Stankowski.
Uraufführung im Hause Pütz ∞ Roth im Oktober 1994: die kabarettistische Aufarbeitung des Themas
Tod (und Trauer) im Hause und unter der „Schirmherrschaft“ eines Bestatters ist neu. Weitere
Aufführungsorte: Krematorium Westfriedhof; Lutherkirche, Nippes, und Antoniterkirche, Schildergasse
2. Ein Internationales Symposium „Sterben, Tod und Trauer: Impulse zur Erneuerung von Ethik und
Spiritualität?“ im März 1999 in Bergisch Gladbach. Referenten sind u.a.: Dr. Cicely Saunders, die
Grande Dame der Hospizbewegung, Großbritannien; Prof. Dr. Michael Schibilsky,
München/Deutschland; Heinrich Pera, Halle/Saale/Deutschland; Dr. Ruthmarijke Smeding,
Amsterdam/Niederlande; Prof. Dr. Dennis Klass, St. Louis/USA
 1996 wird der AK „Zu Früh Gestorben“ von betroffenen Müttern und der Frauenbeauftragten des Kirchenkreises
Köln-Mitte, Heike von Hagen, gegründet. Der AK erwirkt Grabfelder für nicht bestattungspflichtige Kinder auf
drei Kölner Friedhöfen (Nordfriedhof, Friedhof Lehmbacher Weg, Friedhof Rondorf). Er initiiert 1999 einen
Gedenkgottesdienst für Angehörige und Bekannte von Familien, die um den ganz frühen Tod (im Umfeld von
Schwangerschaft, Geburt und ersten Lebensmonaten) trauern, der seitdem jährlich am letzten Samstag im
Oktober in der Krypta von Maria im Kapitol, Köln, stattfindet. Der AK ruft die Selbsthilfegruppe „Zu Früh
Gestorben“ ins Leben: eine Unterstützungsgruppe für betroffene Eltern, die sich monatlich trifft, und erreicht in
Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Köln, dass nicht bestattete Fehl- und Totgeburten ein
menschenwürdiges Begräbnis bekommen (vierteljährliche Sammelurnenbestattung auf dem Nordfriedhof).
 Der Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch initiiert zum 01.04.1998 eine – bis dato in ihrer Konstruktion bundesweit
einzigartige – pfarrdienstlich ausgerichtete Sonderdienststelle für Trauerbegleitung; die Pastorin Kristiane Voll
wird beauftragt, schwerpunktmäßig in drei Arbeitsfeldern Projekte zur Trauerbegleitung aufzubauen: a)
Begleitung Trauernder – insbesondere durch das Angebot zeitlich begrenzter Trauergesprächskreise in den
Kirchengemeinden vor Ort; des weiteren: seelsorgliche Einzelbegleitung sowie z.B. seelsorgliche Begleitung
durch Gedenkgottesdienste für „Verwaiste Eltern und Geschwister“ b) Angebote für unterschiedlichste
Gemeindegruppen, um sich mit Themen und Fragen aus dem Feld „Sterben, Tod, Abschied, Trauer, Leben nach
dem Tod, ...“ auseinander zu setzen c) Schulungsangebote für Mitarbeitende in den Gemeinden und kirchlichen
Einrichtungen.
 Sterbebegleitung wird mehr und mehr zu einem „normalen“ Thema in der Öffentlichkeit. Zunehmend werden –
u.a. auch ökumenische – Hospizinitiativen gegründet und stoßen durch ihr Engagement vielfältige
Aufmerksamkeit und Sinneswandel an. Über die Begleitung Sterbender und ihrer Angehörigen hinaus kommen
bei den Hospizinitiativen über die Jahre weitere Angebote hinzu; z.B. Trauercafé (Hospiz Köln-Deutz, Hospiz
St. Vinzenz).
 Angestoßen durch den gesellschaftlichen Wandel im Feld von „Sterben, Tod und Trauer“, angeregt durch die
offensichtlich veränderten Bedürfnisse von Menschen und im Großraum wohl u.a. mit inspiriert durch die
Angebote des Bestattungshauses Pütz ∞ Roth, zeigen sich Veränderungen und Neues bei zahlreichen
Bestattungshäusern. Gerade auch Kölner Traditionsunternehmen wie z.B. Pilartz (Herzogstr.), Pietät Medard
Kuckelkorn (Friesenstr.) arbeiten ihr eigenes Profil neu heraus und weiten ihre Angebote u.a. in den Bereich der
Trauerbegleitung aus. Ebenso etablieren sich neue Bestattungshäuser wie das TrauerHaus (Mauritiussteinweg)
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oder Begleitung e.G. (Bonner Wall), die sich von vornherein nicht auf den Bestatterdienst im engeren Sinne
konzentrieren, sondern darüber hinaus in der Trauerbegleitung Projekte initiieren.
 Als eine der ersten Großstädte richtete die Stadt Köln vor über 30 Jahren auf dem Westfriedhof ein Grabfeld für
islamische Bestattungen ein, auf dem die Gräber nach Mekka ausgerichtet sind. Im Sept. 1999 wird von der
„Interessengemeinschaft für die Bestattung Obdachloser“ auf dem Südfriedhof ein zweites Gräberfeld angekauft.
Die Diskussion um Kosten- und Platzeinsparungen macht vor den Friedhöfen nicht Halt. Um Flächen und Kosten
zu sparen sowie Ruhezeiten zu senken, kommt das sog. „Grabkammer-System-S“ ins Gespräch: Es handelt sich
um ein (belüftetes) Grabkammersystem aus Beton, das eine Verwesung der Leichen innerhalb von zwölf Jahren
garantiert. Die Kosten für anonyme Bestattungen werden auf das Niveau von Urnenbestattungen angehoben, so
dass der finanzielle Vorteil für diese Bestattungsform praktisch entfällt. In inhaltlicher Hinsicht ist diese
Entscheidung durchaus im Sinne der Kirchen, die – grundsätzlich gesehen – vor allen Dingen aus seelsorglichen
Gründen der anonymen Bestattung kritisch gegenüber stehen. Im September 2001 wird der Tag des Friedhofs
erstmals in Köln gestaltet. Köln versteht sich als Vorreiterin, einen solchen Tag bundesweit ins Leben zu rufen.
Friedhöfe sollen als in vielerlei Hinsicht lebenswichtige Orte neu entdeckt werden. Alle Gewerke, Institutionen
und Initiativen, die mit Friedhöfen zu tun haben, sind eingeladen, sich vorzustellen, sich darzustellen und zu
informieren: Bestatter, Floristen, Steinmetze, evangelische und katholische Kirche, Friedhofsamt,
Selbsthilfegruppen für Trauernde, Trauerbegleiter, Ornithologen, Anbieter von kulturhistorischen Führungen etc.
Ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm mit Informationsständen, Podiumsdiskussionen, Performances,
Friedhofsführungen u.v.m. wird der breiten Öffentlichkeit dargeboten. Am 22. September 2002 wird zum
zweiten Mal der Tag des Friedhofs in Köln stattfinden.
 Im Herbst 2000 gründet sich auf einer Informationsveranstaltung zum Thema „Trauer“ im TrauerHaus,
Mauritiussteinweg, die Initiative TrauerNetzwerk Köln. Das TrauerNetzwerk Köln ist ein Zusammenschluss
von Einzelpersonen, kirchlichen Einrichtungen, Verbänden, Initiativen und Selbsthilfegruppen im Großraum
Köln, die Beratungs- und Unterstützungsangebote für trauernde Menschen durchführen oder organisieren. Die
evangelische Seite ist im TrauerNetzwerk Köln insbesondere durch Kristiane Voll vertreten. Zu den Aktivitäten
des TrauerNetzwerkes Köln zählen u.a.: die halbjährliche Herausgabe einer Broschüre, die über Angebote für
trauernde Menschen informiert; die interne Fortbildung und der kollegiale Austausch unter den Mitgliedern des
TrauerNetzwerkes Köln; Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für Themen aus dem Feld „Sterben, Tod und Trauer“.
 Die Verwaltungsvorschrift, dass in Köln eine Trauerfeier nur 15 Minuten dauern kann, wird 2001 gerade auch
auf Wunsch der Kirchen geändert; bisheriges Zeitraster: 45 Minuten für die „Abwicklung“ eines Trauerfalls
(inkl. Aufbahrung, Bestattung etc.), neues Zeitraster: 60 Minuten
 Als eine „neue“ Entwicklung zeichnet sich ab, dass Trauerfeiern wieder vermehrt in die Kirchen „zurückgeholt“
werden. Die Kreissynode des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch setzt sich in ihrer Jahrestagung im Herbst
2001 mit dem Thema „Trauerbegleitung als kirchliches Handlungsfeld“ auseinander.
Einige Zitate aus dem oben erwähnten Buch „Tod im Rheinland“ geben einige (humorvolle) Einblicke zum Umgang des
Rheinländers mit Tod und Sterben:
„Mit dem Tod habe ich kein Problem, im Gegenteil, dann bin ich die Sorgen los.“ (S. 13)
„Der Rheinländer als solcher akzeptiert den Tod nicht! Das ordentliche Vereinsmitglied, und das ist der
Rheinländer in der Regel, stirbt in dem Sinne nicht, sondern es ändert nur seinen Vereinsstatus, die
Mitgliedsbeiträge sind nach wie vor fällig! Erst wenn die nicht mehr gezahlt werden, ist es für den Verein
gestorben!“ (S. 112)
„Warum soll denn auch alles ein Ende haben? Karneval ist zwar am Aschermittwoch zu Ende, aber ein paar Tage
später beginnen doch schon wieder die Vorbereitungen für die nächste Session. So übt sich der Rheinländer mit
dem Empfang des Aschekreuzes während seines ganzen Lebens ein, in der Hoffnung, dass auch der Tod nichts
anderes sei als der Beginn einer herrlichen neuen Session.“ (S. 111)
„Ach ja, das hat früher noch richtig Spaß gemacht. Schön! Vor allem hat man sich Zeit gelassen mit dem Feiern,
also mit den Trauerfeiern. Da konnte man noch richtig Abschied nehmen. Heute geht es doch nur rein-raus. In der
Kirche wird nicht mal mehr richtig aufgebahrt, die Trauerfeiern dürfen nicht länger als 15 Minuten dauern, und
Umzüge mit dem Sarg sind verboten. Und das im Rheinland!“ (S. 76)
„Insgesamt allerdings war mein Eindruck, dass heute alles, was mit dem Begräbnis zusammenhängt, sauber und
ordentlich, aber auch furchtbar steril und steif ist. Früher haben die Leichen vielleicht ein bisschen gerochen und
es war etwas unordentlich, aber die Leute hatten dabei doch noch ihren Spaß.“ (S. 80)
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„So sind Tod und Begräbnis immer wieder Themen der Politik. Das jüngste Problem sind die sogenannten
Liegezeiten. Dieses denkwürdige Wort meint den Zeitraum, in dem eine Leiche verfallen, vermodert, zu einem Teil
der Natur geworden ist. Bis auf die Knochen natürlich. Auf den rheinischen Friedhöfen beträgt die Liegezeit in der
Regel zwanzig Jahre und die Tendenz ist, sie zu verkürzen. Es gibt ja immer weniger Friedhofsflächen. (...)
Dagegen gibt es als neueste Erfindung auf dem Markt die `Turbogräber´. Das sind Betonkästen, die in die
ausgehobene Grube ein gelassen werden und seitliche Lüftungsschlitze in mehreren Etagen besitzen. Hier kann
der Sauerstoff zirkulieren und den Verwesungsprozess beschleunigen. (...) Die Hoffnung ist, die Liegezeiten
demnächst zu verkürzen und damit den Leichenumschlag auf den Friedhöfen um 25% zu steigern.“ (S. 89f)
Zu anonymen Bestattungen: „Die großen Friedhöfe haben heute alle Grabplätze oder Urnenfelder, die äußerlich
gar nicht mehr als Gräber zu erkennen sind. Grüne Wiesen, vielleicht ein Baum, ein paar Blumen, aber keine
Tafel, kein Grabstein, kein Name und keine Erinnerung. Wenn man Menschen fragt, die sich in ihrem Testament
für die anonyme Bestattung entschieden haben, dann hört man immer zwei Argumente: Sie wollen erstens keine
Last für die Angehörigen und Nachkommen sein, (...), und sie befürchten zweitens, dass niemand ihr Grab pflegt.
Beides ist Ausdruck der Angst, in Vergessenheit zu geraten. Da wollen sie lieber gleich anonym bleiben.“ (S. 103)
5.7 Muslimische Begegnung
Zur Entwicklung und Struktur in Köln:
1991
Einrichtung einer Sonderdienststelle für christlich-muslimische Begegnung
1991-94
Sonderdienst Pastor Uwe Grieser angesiedelt beim Schulreferat
1995-98
Sonderdienst Pastorin Elke Kuhn beim Schulreferat
2000
Einrichtung einer halben Pfarrstelle, die Pfarrerin Dorothee Schaper inne hat und beim Sozialwerk
angesiedelt ist
außerdem haben die Kirchenkreise Synodalbeauftragte für die christlich-muslimische Begegnung
Zur gegenwärtigen Situation in Köln
 10 % der Kölner Bevölkerung sind muslimischen Glaubens oder Herkunft
 ca. 35 Moscheegemeinden bieten Ort zum Gebet in alten Industriegebäuden und Hinterhöfen. Es gibt bis heute
keine zu diesem Zwecke gebaute Moschee
 4 bundesweite muslimische Dachorganisationen haben sich seit langem in Köln angesiedelt
 in einigen evangelischen Kindergärten gibt es einen Anteil muslimischer Kinder von 30-40 %
 seit 1999 erlaubt die Kirchenordnung in besonderen Fällen die Einstellung muslimischer ErzieherInnen in
evangelischen Einrichtungen, jedoch nicht als (Gruppen) leitung
 die Anzahl muslimischer Berufsschüler und -schülerinnen ist ungefähr genauso hoch wie die der Protestanten in
Köln
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In den letzten 10 Jahre gab es folgende interessante Projekte:
 Gebet der Religionen: Seit 1993 findet jedes Jahr im Rahmen der interkulturellen Woche das Gebet der
Religionen in Zusammenarbeit mit der Köln/Bonner WCRP (World Religions for Peace)-Gruppe statt.
Sinnbildlich soll am 03.10. jeden Jahres die Vielfalt am Tag der Einheit sichtbar gemacht werden. Diese Gebete
fanden bisher entweder in der Trinitatiskirche oder in der Moschee der DITIB Venloerstrasse / Innere
Kanalstrasse statt. Solch eine Veranstaltung zeigte, dass Musliminnen öffentlich in der Moschee Koran
rezitieren. Im letzten Jahr schloss sich an das Gebet der Religionen aufgrund der aktuellen Lage ein spontan
geplanter Friedensweg von der Kirche in die Moschee an. Über hundert Teilnehmende nutzten im Anschluss die
Gelegenheit die Moschee zu besichtigen und Gespräche zu führen.
 Zajedno Pomoci – Zajedno Moliti (Gemeinsam helfen – Gemeinsam beten): Als Reaktion auf die Eskalation
auf dem Balkan kommt es zu einer bemerkenswerten Initiative. Getragen vom islamischen Kulturzentrum der
Bosnierinnen und Bosnier, der kroatisch-katholischen Mission, der serbisch-orthodoxen Gemeinde der
Arbeitsgemeinschaft Gerechtigkeit und Frieden der kölnischen Franziskanerprovinz und nicht zuletzt vom evang.
Stadtkirchenverband erbringt ein Aufruf um die DM 30.000,00 für einen Hilfstransport nach Bosnien für das
Frauentherapiezentrum in Tuzla im Juni 1993. 1993 Interreligiöses Friedensgebet für die vom Krieg betroffenen
Menschen im ehemaligen Jugoslawien
 Wanderkirchenasyl-Begegnung par excellence (siehe auch oben): Durch die vielen kurdischen Flüchtlinge, die
seit 1998 in mehr als 15 Kölner Kirchengemeinden Zuflucht fanden, ergaben sich zahlreiche Begegnungen
Gespräche und intensives Kennenlernen des jeweils anderen zwischen Aleviten, Christen und einigen Sunniten
und Atheisten, ganz beiläufig und damit um so natürlicher im miteinander geteilten Lebensalltag, aber auch in
Liturgie gebettete Klage und Anklage, z.B. ein Highlight während eines politischen Nachtgebetes zum Thema:
die Improvisation und Vertonung eines Klagepsalms wird von christlichen und alevitischen ,sunnitischen und
atheistischen Frauen zu Gehör gebracht. Eine einmalige Uraufführung unter kirchenmusikalischer (An)Leitung
von Frau Bannasch.
 Buchprojekt „Gott in vielen Namen feiern“: 1998 gibt Elke Kuhn eine hilfreiche Materialsammlung,
angereichert mit Hintergrundwissen zu interreligiösen Schulfeiern mit christlichen und muslimischen Schülern
und Schülerinnen, heraus. Ein Gottesdienstentwurf heißt z.B.: Kleider machen Leute – Machen Kleider Leute?
 Id Mubarak – Gesegnetes Fest // Grußkarte - nicht nur zu Ramadan und Advent: Von 1999 – 2002
überschneiden sich die Fastenzeiten Ramadan und Advent, das gab den Anlaß Grußkarten zu erstellen, die sich
Christen und Muslime gegenseitig mit dem Segenswunsch zum jeweiligen Fest im Anschluß an die Fastenzeit
(Bayram/Id ul fitr und Weihnachten) übermitteln können. Das Projekt wurde von der Arbeitsstelle in
Zusammenarbeit mit einem Kölner Muslimen und Kalligraphen realisiert. Aus aktuellem Anlaß werden 40 % des
Erlöses an UNICEF Afghanistan gespendet.
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5.8 Religionsunterricht52
Um dem zunehmenden religiösen Bildungsverlust entgegenzuwirken gibt es neben der allgemein und auf Bundes- bzw.
Landesebene geführten Bildungsdebatte aus Köln in den letzten Jahren drei interessante Ansätze:
 Ein Evangelisches Gymnasium: In der schulpolitischen Landschaft der Region Köln soll ein evangelischer
Beitrag geleistet werden durch Gründung eines Gymnasiums in kirchlicher Trägerschaft in Köln-Rondorf.
Konzeptionelle Ausrichtung: Ganztagsschule - Integration von SchülerInnen mit Behinderungen (in Kooperation
mit der integrierten evangelischen Grundschule in Köln-Rodenkirchen) - Schulseelsorge. Wegen des spezifischen
Profils wird mit einem weit über den Stadtteil hinausgehenden Einzugsbereich gerechnet. Das Projekt wird im
aktuellen Schulentwicklungsplan der Stadt Köln als aussichtsreich befürwortet. Angestrebt wird als
Trägerkonstruktion eine kirchliche, öffentlich-rechtliche Stiftung.
Dahinter stehen als pädagogische Konzeption die gemeinsamen Thesen der Bildungsabteilungen von EKD und
Dt. Bischofskonferenz „Tempi – Bildung im Zeitalter der Beschleunigung“. Schlagworte sind:
„Wissen braucht Maß – Lernen braucht Ziele – Bildung braucht Zeit“
„Tempi – jedes Ding hat seine Zeit, jeder Mensch braucht seine Zeit“
Dabei werden die Buchstaben TEMPI aufgeschlüsselt53:
T = Tradition, Toleranz und Teilhabe
E = Erinnerung, Erziehung und Eigenverantwortliches Lernen
M = Meditative Mitte, menschliches Maß und moderne Medien
P = Personen, Praxis und Projekte
I = Integration, Identität und Internationalität
 Schulpolitischer Aschermittwoch: Dieser wurde im Jahr 2001 auf Anregung des Schulreferats zum ersten Mal
durchgeführt. Die Leitungen aller Schulen im Bereich des SKV wurden zu Information, Gespräch und
Begegnung eingeladen. Thema 2001 war: Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Die positive
Resonanz ermutigte zu einer Neuauflage in 2002 mit dem Thema: Die Position der Evangelischen Kirche zum
Islamischen Religionsunterricht. Der Tag soll als "Schulpolitischer Aschermittwoch" evangelischer Prägung
institutionalisiert werden, um einen festen Rahmen zu schaffen für das Gespräch mit den SchulleiterInnen der ca.
500 Schulen über brisante bildungspolitische Themen.
 Kölner Forum Religion: Auf Initiative des Schulausschusses des Verbands wurde das "Kölner Forum Religion"
gestartet, das im Januar 2002 bereits zum dritten Mal im Haus der Ev. Kirche stattfand. StudentInnen,
LehramtsanwärterInnen und ausgebildete LehrerInnen erproben und diskutieren neuere didaktische Ansätze. Das
Projekt trägt durch Kooperation zwischen Universität, Studienseminar und Schulreferat zur Vernetzung der 1.
und 2. Ausbildungsphase und der Fortbildung bei. Ziel ist die Qualitätssicherung des Religionsunterrichts und
die Integration der an der Gestaltung des Religionsunterrichts beteiligten Personen und Institutionen. Für
November 2002 ist ein weiterer Projekttag geplant.
5.9. Katrin Friedel
Katrin Friedel wurde am 3. Juni 1970 in Köln geboren, wuchs ab 1971 zusammen mit Eltern und ihrem Bruder Christian
Forsbach (zwischen Rösrath und Bensberg) auf, besuchte die dortige Grundschule und wechselte 1980 auf das AlbertusMagnus-Gymnasium nach Bensberg, wo sie 1989 das Abitur ablegte.
In den 80er Jahren wurde sie durch die Friedensbewegung und die feministisch-theologischen Aufbrüche dieser Zeit mit denen sie auch in ihrer Forsbacher Gemeinde konfrontiert wurde - geprägt. Nach ihrer Konfirmation 1984 arbeitete
sie schwerpunktmäßig neben vielen anderen gemeindlichen Aktivitäten als Ehrenamtliche im KU-Team der Gemeinde
mit.
Ab 1989 studierte sie Theologie, zunächst in Wuppertal an der dortigen Kirchlichen Hochschule, von 1992-1995 dann an
der Humboldt-Universität Berlin. Während ihres Studiums engagierte sie sich frauenpolitisch und betrieb feministische
Studien. 1995 wechselte sie wieder nach Wuppertal und legte im März 1997 ihr erstes theologisches Examen ab.
Ihr Vikariat machte sie vom 1.4.1997 - 30.9.1999 in Mülheim an der Ruhr. Danach schloss sich ein einjähriges
Sondervikariat im Mädchenhaus Köln e.V. an, wo sie auch die Öffentlichkeitsarbeit dieses nichtkirchlichen Trägers
kennenlernte. In dieser Zeit beschäftigte sie sich v.a. mit dem Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen und mögliche
Formen der Unterstützung sowie Prävention.
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Seit dem 1. Oktober 2000 ist Katrin Friedel Pfarrerin z.A. mit geteiltem Dienst. Mit der einen Hälfte ist sie in der
Gemeinde Köln, Bezirk Kartäuserkirche, tätig und im Rahmen der anderen Hälfte beschäftige sie sich mit
geschlechtsspezifischen Projekten in den gemeindepädagogischen Arbeitsfeldern. Hier arbeit sie mit einem männlichen
Kollegen zusammen, mit dem sie z.B. Unterrichtsreihen für KonfirmandInnen, in denen Mädchen und Jungen zeitweilig
in geschlechtshomogenen Gruppen arbeiten, entwickelt.
Von April 2000 bis zum Oktober 2001 übernahm Katrin Friedel noch zusätzlich (mit begrenztem Stundenumfang) die
Erziehungszeitvertretung für Daniela Hammelsbeck, Pastorin i.S. für Frauenberatung und Mädchenarbeit im
Kirchenkreis Köln-Mitte.
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