NORDICO Stadtmuseum Linz Presseunterlage GETEILTE STADT Linz 1945–55 17. April bis 26. Oktober 2015 NORDICO Stadtmuseum Linz, A-4020 Linz, Dametzstraße 23 T+43 (0)732.7070.1901 www.nordico.at Inhalt Ausstellungsdaten …………………………………………….…….…….……………… 3 Allgemeiner Text zur Ausstellung ……………………………………………………….. 4 Kunst- und Veranstaltungsprogramm ….…………………….……….……..….….……. 5 Saalhefttexte ……………………………………………………………….……………... 7 Pressebilder ………………………………………………….….….………………….…. 16 Seite 2 Ausstellungsdaten Ausstellungstitel GETEILTE STADT Linz 1945–55 Ausstellungsdauer 17. April bis 26. Oktober 2015 Pressekonferenz Mittwoch, 15. April 2015, 10 Uhr Eröffnung Donnerstag, 16. April 2015, 19.30 Uhr Ausstellungsort NORDICO Stadtmuseum Linz, 1. OG KuratorInnen Klaudia Kreslehner und Georg Thiel Ausstellungsarchitektur anytime:Architekten Exponate Zahlreiche S/W-Fotografien und Original-Dokumente, wertvolle wie ebenso kuriose Gebrauchs- und Alltagsgegenstände sowie Relikte aus der militärischen Besatzungszeit sind zu sehen. In 15 extra für die Ausstellung produzierten Videos kommen ZeitzeugInnen mit ihren persönlichen Geschichten der Linzer Nachkriegszeit zu Wort. Katalog Begleitend zur Ausstellung erscheint das Buch Geteilte Stadt. Linz 1945–55 im Verlag Anton Pustet, Salzburg. Mit Textbeiträgen von Arabelle Bernecker, Andrea Bina, Maria Jenner, Michael John, Klaudia Kreslehner, Herta Neiß und Georg Thiel. Hardcover, 248 Seiten, durchgehend farbig bebildert, Preis: € 22 Kontakt Dametzstr. 23, 4020 Linz, Tel. +43(0)732/7070-1901; [email protected], www.nordico.at Öffnungszeiten Di–So 10–18 Uhr; Do 10–21 Uhr Am 26. Oktober 2015 hat das NORDICO geöffnet. Eintritt € 6,50 ermäßigt € 4,50 Pressekontakt Nina Kirsch, Tel. +43(0)732/7070-3603; [email protected] GesprächspartnerInnen bei der Pressekonferenz: Andrea Bina, Leiterin des NORDICO Stadtmuseum Linz Klaudia Kreslehner, Kuratorin Georg Thiel, Kurator Seite 3 Allgemeiner Text zur Ausstellung 8. Mai 1945: der Krieg endet, die Zeit der Besatzungsmächte beginnt. Die Donau wird zur Demarkationslinie, die das Mühlviertel vom restlichen Land trennt und somit auch Linz in zwei Zonen teilt – in einen russischen Norden und einen amerikanischen Süden. Woran erinnern sich jene, die damals in Linz gelebt haben? Fast jede/r ZeitzeugIn weiß von den alliierten Wachposten an der Brücke zu berichten. Von langwierigen Kontrollen der Russen und der Furcht der Amerikaner vor Ungeziefer, der sie mit DDT begegneten. Der legendäre Satz von Landeshauptmann Heinrich Gleißner: „Wir haben die längste Brücke der Welt. Sie beginnt in Washington und endet in Sibirien“, hat sich gleichfalls tief ins kollektive Gedächtnis gegraben. Die Erzählungen über die ersten Besatzungsjahre drehen sich oft um die Versorgungslage. Unzureichende Lebensmittelkarten, kaum genießbare Schulausspeisungen und Transporte unterernährter Kinder in die Schweiz werden erwähnt, ebenso die aus verwurmten Erbsen bestehenden Lebensmittelspenden der Sowjets und die in einem scharfen Kontrast dazu stehenden üppig gefüllten CARE-Pakete aus Amerika. Den täglichen Kampf ums Überleben führen nicht nur UrfahranerInnen und LinzerInnen, sondern auch tausende HeimkehrerInnen, Displaced Persons und Flüchtlinge, die die Kapazität der ohnehin schon überfüllten Stadt zu sprengen drohen. Unabhängig von der Besatzungszone gibt es eine starke Sehnsucht nach Ablenkung aus der Misere, sei es durch kulturelle oder sportliche Aktivitäten. Die Gründung der Neuen Galerie, der Bau des Sportstadions auf der Gugl und eine blühende Theaterszene sind Zeugnisse für eine langsame Rückkehr in die Normalität. 1947 wird in der Voest der erste Hochofen nach dem Krieg angeblasen, zwei Jahre später revolutioniert das LD-Verfahren die weltweite Stahlproduktion. Nach und nach verschwinden Bezugsscheine für Lebensmittel und Textilien, die Geschäfte füllen sich wieder mit Waren. Der erste Selbstbedienungsladen Österreichs öffnet nach amerikanischem Vorbild 1950 seine Pforten in Linz. Der Nachholbedarf ist nach zehn Jahren Rationierung gewaltig: Zunächst wird der Hunger nach lang entbehrten Lebensmitteln gestillt, dann folgt die Phase der Neueinkleidung, gegen Mitte der 1950er Jahre richtet man sich die Wohnung neu ein. Wäre die Stadt nicht besetzt, könnte man recht zufrieden sein. Als 1953 die Brückenkontrollen aufgehoben werden, feiert die ganze Stadt. Und als Bürgermeistersgattin Elmira Koref zu diesem Anlass mit Landeshauptmann Gleißner auf der Nibelungenbrücke Walzer tanzt, tanzt Linz gleichzeitig in das Konsumzeitalter hinein. Das Stadtmuseum NORDICO hat für diese Ausstellung seine umfassende Fotosammlung durchforstet und präsentiert ein großes Konvolut daraus zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Neben dem fotografischen Schwerpunkt sind zahlreiche originale Dokumente aus der damaligen Zeit zu sehen. Ergänzt wurden die Stücke aus den museumseigenen Beständen um großzügige Leihgaben aus öffentlichen Institutionen und von privaten LeihgeberInnen und ZeitzeugInnen. Wertvolle wie ebenso kuriose Gebrauchs- und Alltagsgegenstände sowie Relikte aus der militärischen Besatzungszeit ergänzen die historische Aufarbeitung der Besatzungszeit in Linz. In extra für die Ausstellung produzierten Videos kommen ZeitzeugInnen mit ihren persönlichen der Linzer Nachkriegszeit zu Wort. Seite 4 Kunstvermittlungs- sowie Veranstaltungsprogramm VERANSTALTUNGEN BESATZUNGSKINDER IN ÖSTERREICH Dienstag, 26. Mai, 18 Uhr Buchpräsentation mit Barbara Stelzl-Marx (stv. Leiterin Ludwig Boltzmann Institut für KriegsfolgenForschung) mit anschließender Diskussion DIE GRÜNDUNG DER NEUEN GALERIE Donnerstag 9. Juli, 19 Uhr Mit der Gründung der Neuen Galerie begann 1946 der künstlerische Aufschwung der Stadt Linz. Die ehrenamtliche Leitung übernahm der deutsche Kunsthändler Wolfgang Gurlitt, dessen teilweise aus dem Krieg geretteten Kunstbestände zunächst als Leihgaben am Hauptplatz zur Schau gestellt wurden. In ihrem Vortrag begibt sich Elisabeth Nowak-Thaller auf die Spuren des Museumsdirektors und Kunsthändlers, der sich in Deutschland für österreichische Kunst engagierte und der im Handel mit vom NS-Regime beschlagnahmter Kunst involviert war. WEISST DU NOCH? Donnerstag, 10. September, 19 Uhr ZeitzeugInnen sprechen mit dem Publikum über ihre Erinnerungen aus der Zeit der „geteilten“ Stadt. STREIFZUG DURCH DIE NACHKRIEGSZEIT Donnerstag, 24. September, 19 Uhr Die KuratorInnen Klaudia Kreslehner und Georg Thiel lesen aus Briefen, Dokumenten und Literatur der 1940er- und 1950er-Jahre. In Akten oder Benimm-Büchern entdeckt, vermitteln die Texte ein Gespür für das Leben in dieser Zeit. Anmeldung bei allen Veranstaltungen erbeten: T 0732 7070 (Teleservice Center der Stadt Linz) Eintritt frei FÜHRUNGEN Dauer 1 Stunde, Führungskarte € 3 zzgl. Eintritt. Keine Anmeldung erforderlich. Begrenzte TeilnehmerInnenzahl KURATOR/INNENFÜHRUNGEN Donnerstag, 23. April, 18.30 Uhr mit Klaudia Kreslehner Samstag, 3. Oktober, 18 Uhr mit Georg Thiel Im Rahmen der Langen Nacht der Museen Seite 5 FÜHRUNGEN MIT KULTURVERMITTLER/IN Kombinierte Führungen durch die Ausstellungen Geteilte Stadt und 100% Linz Jeden Dienstag, 16 Uhr Jeden Sonntag, 15 Uhr MIR ALLE SAN IN LINZ DAHAM Tandemführungen durch die Ausstellungen Geteilte Stadt und 100% Linz mit einem Kulturvermittler und einer russischen Kulturlotsin von ibuk. Verein für interkulturelle Begegnung & Kulturvermittlung, Eintritt und Führung frei Dienstag, 28. April, 16 Uhr Sonntag, 17. Mai, 15 Uhr (Teilnahmekarte erforderlich, siehe LINZFEST) Dienstag, 9. Juni, 16 Uhr Sonntag, 5. Juli, 15 Uhr Dienstag, 15. September, 16 Uhr Sonntag, 11. Oktober, 15 Uhr FÜHRUNGEN FÜR GEHÖRLOSE mit Gebärdensprachdolmetscherin. Eintritt und Führung für Gehörlose frei Samstag. 2. Mai, 16 Uhr Samstag, 6. Juni, 16 Uhr LINZFEST Samstag, 16. Mai, 15 und 16 Uhr Sonntag, 17. Mai, 15 Uhr Gratis-Führungen durch die Ausstellung im Rahmen des LINZFESTs Die erforderlichen Teilnahmekarten sind bis 15 Minuten vor Führungsbeginn an der Museumskasse erhältlich. Ermäßigter Eintritt für alle: € 4,50 FÜHRUNG AM SÜDBAHNHOFMARKT Freitag, 29. Mai, 10 Uhr mit Stadträtin Susanne Wegscheider Dauer 2 Stunden, Treffpunkt: Ecke Eisenhandstraße / Krankenhausstraße Anmeldung erbeten: T 0732 7070 (Teleservice Center der Stadt Linz) LINZ IN DEN 1950ER-JAHREN Freitag, 12. Juni, 16 Uhr Stadtführung: Linz in den 1950ern – Andrea Bina, Gabriele Kaiser und Christoph Weidinger begeben sich auf die architektonischen Spuren der Nachkriegszeit. Dauer 2 Stunden, Treffpunkt: NORDICO Stadtmuseum. Anmeldung erbeten: T 0732 7070 (Teleservice Center der Stadt Linz) Seite 6 Saalhefttexte RAUM 1A ENDE UND ANFANG In den späten Vormittagsstunden des 5. Mai 1945 wird Linz von amerikanischen Truppen eingenommen. Die „Patenstadt des Führers“ ist von den Folgen des Krieges schwer gezeichnet. Seit sie in den Radius der alliierten Bomberverbände gekommen ist, muss sie 22 Fliegerangriffe, zuletzt auch noch Artilleriebeschuss, über sich ergehen lassen. Die Zerstörungen sind beträchtlich. An die 20.000 EinwohnerInnen sind obdachlos. Etliche von ihnen hausen behelfsmäßig in Bunkern und Stollen, den letzten Zeugnissen nationalsozialistischer Bautätigkeit. Die Bomben haben aber nicht nur Wohnraum vernichtet, sondern auch wichtige Versorgungsleitungen für Wasser, Gas und Strom an vielen Stellen unterbrochen. In den Straßen türmt sich der Schutt, der Verkehr ist zusammengebrochen. Von den 3.700 Straßenlampen, die 1939 existierten, sind nur noch 230 in Betrieb – ein in jeder Hinsicht düsteres Szenario. Aufgehellt von der Erleichterung, dass der Krieg zu Ende, und man noch einmal davongekommen ist. DER PAPIERENE ARM Zu Beginn der Besatzungszeit dürfen Zivilpersonen im Mai 1945 zunächst nur mit einem Passierschein der jeweiligen Besatzungsmacht ihren Wohnort und unmittelbare Umgebung verlassen. Dieser wird ab 20.11.1945 durch einen viersprachigen Identitätsausweis (Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch) ersetzt und erlaubt bis 1955 das Überschreiten aller Demarkationslinien. In den ersten zwei Nachkriegsjahren ist es den Linzer WassersportlerInnen übrigens verboten, auf der Donau zu rudern oder zu paddeln. 1947 gelingt es der Stadtverwaltung Urfahr, eine Bewilligung bei der russischen Kommandantur zu erwirken: Österreichische StaatsbürgerInnen dürfen von nun an in Booten fahren, jedoch nicht die Donau queren. DIE AMERIKANISCHEN TRUPPEN Befreier oder Eroberer? Das Verhältnis der amerikanischen Truppen zur Linzer Bevölkerung ist lange gespalten. Es wird nie endgültig geklärt, ob Österreich nun als befreiter Freundstaat oder als besetzter Feindstaat zu sehen ist. Der Anfang war schwierig, geprägt von Wohnungsrequirierungen und der Auslieferung zehntausender Kriegsgefangener an die russische Armee. Die darauf folgende Phase der Annäherung bleibt nicht auf Politik und Verwaltung beschränkt: Nach Abzug der Truppen bleiben als „Strandgut der Nachkriegszeit”, 996 Kinder von Besatzungssoldaten zurück, darunter „56 Mischlinge”, wie das Fürsorgeamt extra erwähnt. Insgesamt aber tragen die Amerikaner, durch ihr Hilfe bei der Westintegration Österreichs, beim Wiederaufbau des Landes und durch den Marshall-Plan, ganz entscheidend zum wirtschaftlichen Wiederauferstehen Österreichs bei. Seite 7 RAUM 1B GETEILTE STADT Die Lebensumstände der BewohnerInnen bleiben vorerst prekär. Linz ist überfüllt, hat mehr als doppelt so viele EinwohnerInnen als im Jahr 1938. Es ist eine durchmischte Notstandsgesellschaft, die sich unter anderem aus Ortsansässigen, Flüchtlingen, ZwangsarbeiterInnen und ehemaligen KZ-Häftlingen zusammensetzt. In der Anfangszeit der Besatzung kommt es zu zahlreichen Übergriffen und Plünderungen, an denen sich amerikanische Soldaten, LinzerInnen und „landfremde Elemente“ gleichermaßen beteiligen. Als wäre die Situation nicht kompliziert genug, wird das Mühlviertel, bis dato amerikanisch, den Sowjets zugesprochen. Im Sommer 1945 besetzen Truppen der Roten Armee Urfahr und sperren die Donaubrücken. Sie können fortan nur noch unter erheblichem bürokratischem Aufwand passiert werden. Linz wird zur „geteilten“ Stadt. Ein Zustand, der bis 1953 anhalten wird. STADTVÄTER Die Bürgermeister (Ernst Koref in Linz und Ferdinand Markl in Urfahr) haben einen – wie Koref es ausdrückt – „mühsamen und verantwortungsreichen Brückendienst“ zwischen Rathaus und den Besatzungsmächten zu leisten. Erschwert wird dieser dadurch, dass die Russen das Mühlviertel zu einem eigenständigen Bundesland mit Urfahr als Hauptstadt ernannt haben. Gleichzeitig werden alle offiziellen Verbindungen zu Linz untersagt, was nur durch viel Improvisation und verschiedene Tricks zu umgehen ist. Die Kooperation mit den Besatzungsmächten verbessert sich allerdings bald – und zwar auf unerwartete Weise: Die Russen müssen erkennen, so berichtet das Tagebuch Urfahr, dass sie „ein durchaus friedliches Volk vor sich hatten, das weder ein Rachegefühl kannte, noch einer Grausamkeit fähig war“. Auf amerikanischer Seite wiederum tritt ein neuer Stadtkommandant seinen Dienst an, den Koref diplomatisch als „Frohnatur mit Sinn für menschliche Begegnung“ beschreibt, die sich von ihren „schweren Besatzungspflichten mit seiner schönen österreichischen Freundin im lieblichen Aschachtal erholte und das Regieren dem Bürgermeister überließ“. DIE RUSSISCHEN TRUPPEN Als es in Urfahr heißt „die Russen kommen!“, machen sich 249 Familien auf die Flucht: Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde sind vor allem in den ersten Wochen an der Tagesordnung; Hilfegesuche an die Führung verhallen ungehört. Danach kehrt etwas Ruhe ein, wobei die Militärverwaltung den Fokus weniger auf das Politische, sondern auf die Lösung der unmittelbaren praktischen Probleme legt. Allerdings erfolgen laut Tagebuch Urfahr die Anordungen „nach sowjetischer Gepflogenheit bei Tag und Nacht, die Erfüllungsfrist hatte nur einen Termin: sejtschas, das heißt: sofort!“ Während die russische Besatzung von der Bevölkerung vielfach als „das Nachkriegstrauma schlechthin“ erlebt wird, ergibt sich aus politischer Perspektive ein ganz anderes Bild: Die Sowjets haben Österreich − stärker als die anderen Alliierten − bei der Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit unterstützt. GROSSE NOT Die Ernährungssituation ist angespannt. Da man am freien Markt nichts kaufen kann, muss man sich registrieren lassen, um in den Besitz von Lebensmittelkarten zu gelangen. Die erste unter amerikanischer Besatzung ausgegebene Wochenration besteht pro Kopf aus 200 g Fleisch, 500 g Brot, 200 g Mehl, 100 g Fett, 125 g Zucker, 75 g Trockenerbsen, 25 g Kaffeemittel und einem Ei. Seite 8 ÜBERFÜLLTE STADT 1945: Der Krieg ist vorbei – und Linz und Urfahr platzen aus allen Nähten. Nicht nur weil die Besatzer für Truppen und Militärverwaltung Quartiere brauchen, sondern vor allem auch deshalb, weil beide Städte Knotenpunkte für Ströme von ehemaligen KZ-Häftlingen, Sudetendeutschen, Displaced Persons (Zivilpersonen, die sich kriegsbedingt außerhalb ihrer Heimat aufhalten) und − ab 1947 − HeimkehrerInnen werden. Die Versorgung ist ein Problem, die Unterbringung kaum möglich, man schläft in Schulen, Amtsgebäuden, Lagern. Sogar in Kellern suchen einige Unterschlupf. ENTNAZIFIZIERUNG Die Entnazifizierung sehen die Alliierten als zentrale Aufgabe an, auch wenn sie sich in der Praxis oft schwierig gestaltet. Ehemalige Mitglieder der NSDAP werden verstärkt zu Aufräumarbeiten herangezogen und erst ab 1949 wieder zu Wahlen zugelassen. CARE-PAKET CARE wird am 27. November 1945 in Genf gegründet. Ursprünglich steht der Name für „Cooperative for American Remittances to Europe", später erfolgt die Zuordnung in „Cooperative for Assistance and Relief Everywhere“. Ende 1946 von der US-Regierung genehmigt, sind es zunächst Pakete von privaten US-BürgerInnen an Hilfsbedürftige, sogenannte „Liebesgaben“. Erst später finden organisierte Lieferungen von CARE-Paketen an die Bevölkerung statt. Diese „General-Relief“-Pakete beinhalten laut ihrer Bezeichnung „allgemeine Unterstützung“: haltbare Nahrungsmittel, vorzugsweise in Dosen, aber auch Kleidung und Decken. In der Nachkriegszeit werden etwa eine Million Pakete in Österreich verteilt. Die Hilfsorganisation besteht bis heute. GANG / KINO KINO – FLUCHT AUS DER TRÜMMERWELT Da es noch kein Fernsehen gibt, kommt dem Kino die wichtige Rolle zu, das übergroße Bedürfnis nach Unterhaltung und Zerstreuung zu bedienen. Der Wunsch nach einer heilen Welt ist unübersehbar. Heimatfilme, Komödien und unkomplizierte Liebesfilme: Alles, was einen den schwierigen Alltag für ein paar Stunden vergessen lässt, ist willkommen. In den ersten Nachkriegswochen ist die Filmherstellung sowie -vorführung verboten. Erst im Juli 1945 wird die Spielerlaubnis für alle Kinos in Oberösterreich erteilt. Für den ab 31. Juli von den Sowjettruppen besetzten Norden Oberösterreichs gelten eigene Vorschriften. In Linz können anfangs nur vier Lichtspielhäuser ihren Betrieb wieder aufnehmen: das Landestheater-Kino, das Lifka-Kino als ältestes Linzer Lichtspieltheater, das Klangfilm-Theater sowie das Kino in Kleinmünchen. Die Bombardierungen zerstören drei Kinos (Kolosseum-Kino, Atlantis-Lichtspiele und Phönix-Lichtspiele) so stark, dass sie vorläufig geschlossen bleiben. 1950 eröffnet an der Landstraße das erste Nonstop-Kino in Linz. 1953 folgt die Freigabe des Kolosseum-Kinos am Schillerplatz für den Spielbetrieb. Seite 9 RAUM 1 C ERLEBEN. ERINNERN. ERZÄHLEN ZEUG/INNEN DER ZEIT ZeitzeugInnen aus Linz und Urfahr sprechen über ihre Eindrücke der Nachkriegszeit. Ihre Erzählungen sind wertvolle Zeugnisse unserer Geschichte. Die zugänglich gemachten Erinnerungen, diese sehr persönlichen Einblicke von ZeitzeugInnen, geben uns die Möglichkeit, die Vergangenheit aus anderer Sicht zu betrachten. Ihre Geschichten zur „geteilten“ Stadt spannen einen Bogen von den letzten Kriegstagen bis hin zum Alltag mit den Alliierten. Auch Besatzungskinder, die der Verbindung von österreichischen Frauen mit amerikanischen Soldaten entstammen, kommen zu Wort. In Österreich wurden nach 1945 etwa 20.000 Besatzungskinder geboren. Viele von ihnen haben ihren leiblichen Vater nie kennen gelernt. „Ich bin eigentlich von Geburt an Amerikaner“, erzählt Helmut Bauer (geb. 1949). Der Linzer erfährt erst als junger Erwachsener, dass er das Kind eines amerikanischen Besatzungssoldaten ist, ein „GI-Kind“. Sein zweiter Vorname „Stanley“, den er auf seiner Geburtsurkunde entdeckte, gab den Anstoß: Er machte sich auf die Suche nach seinen Wurzeln. Heute hat er eine zweite Familie in den USA und ist Besitzer eines amerikanischen Passes. Während sein Haus in Linz bei Fliegerangriffen zerstört wird, befindet sich der künftige Linzer Bürgermeister Ernst Koref mit seiner Familie in Haslach. „Vater ist mit der allerletzten Mühlkreisbahn nach Linz gefahren – ich glaube er hat damals schon damit gerechnet, dass Besprechungen zwischen Angehörigen verschiedener künftiger politischer Parteien stattfinden werden“, erinnert sich seine Tochter, Beatrix Eypeltauer (geb. 1929.) 1948 beginnt sie ihr Studium in Wien, dort ist die Ernährungslage noch schwieriger als in Oberösterreich. Doch auch in Linz waren es „bescheidene Verhältnisse, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann“. „Ich wollte nur die Mikrofon-Angst verlieren“ – nach seinem Probetag als Tagessprecher bleibt Wilfrid Freudenthaler (geb. 1927) 33 Jahre lang Sprecher des Radiosenders Rot Weiß Rot Linz (RWR), später ORF. Das Wunschkonzert, bei dem Glückwunschbriefe der ZuhörerInnen vorgelesen werden, ist in den 1950er Jahren ein besonders beliebtes Sendeformat. In einer kleinen Aufnahmezelle im Studio am Hauptplatz wählt der Radio-Sprecher Musik aus, moderiert, sagt das Wetter an oder spricht die Werbung – heute sind hierfür mehrere MitarbeiterInnen nötig. Ursula Hackl (geb. 1954) erfährt als Jugendliche, dass ihr Vater nicht ihr biologischer Vater ist. Sie ist die Tochter eines gewissen Thomas Fauley der als Besatzungssoldat in Hörsching stationiert war. Jahrzehnte später sieht sie einen TV-Beitrag über Besatzungskinder und beschließt nach ihm zu suchen. 2012 erhält die Linzerin Nachricht von der Organisation „GI-Trace“. Die Suche nach ihren amerikanischen Verwandten war erfolgreich: „Ich wurde im Alter von 58 Jahren Schwester von sechs Brüdern und Tante von 30 Nichten und Neffen.“ Irmhild Maaß (geb. 1939) wohnt als Mädchen in Urfahr. Nach dem Unterricht schaut sie öfter im Hotel Achleitner vorbei. Dort gibt es nachmittags, initiiert von der russischen Besatzungsmacht, Betreuung für Kinder und Jugendliche. Eines Tages wird sie Zeugin eines bedeutungsvollen Moments: „Am 9. Juni 1953 als ich auf die Brücke komme, war keine russische Kontrolle mehr dort, ich musste keinen I-Ausweis (Identitätsausweis) herzeigen. Die Brücke war frei. Und Linz und Urfahr waren zum ersten Mal seit Kriegsende vereint. Der Donauwalzer wurde gespielt und der Landeshauptmann Gleißner und die Frau des Bürgermeisters Koref haben getanzt, es war ein unglaubliches Erlebnis.“ Seite 10 „Die Linzer Luft war damals bekannterweise schlecht.“ Für Walter Marterer, ab 1954 Ingenieur der Sendergruppe Rot Weiß Rot Linz (RWR), ist dieser Umstand bedeutend, da der hohe Gehalt an Schwefeldioxid die Sendequalität des Radios beeinträchtigt. Die Technik sowie die Gerätschaften von damals sind „primitiv und mit heute nicht vergleichbar“. Das Programm wird mit Mittelwelle vom Sender Freinberg ausgestrahlt. Die Sendungen laufen von 5.30 Uhr früh bis ein Uhr nachts. Dann werden die Sender und auch die Geräte im Studio abgeschaltet. „Das Radio war das einzige Medium, das wir zur Unterhaltung und zur Information hatten.“ „Ich war weltweit der erste Coca-Cola-Lieferant, der in russisch besetztes Gebiet gefahren ist!“ Der in Rumänien geborene Peter Potye (geb. 1925) bewirbt sich 1947 sich bei Coca-Cola. Bis 1953 darf er das Getränk nur an die amerikanischen Besatzer verkaufen, erst danach auch an die Zivilbevölkerung. Schließlich wird er Lieferant für das westliche Linz sowie das westliche Mühlviertel. Bei der russischen Brückenkontrolle an der Nibelungenbrücke gibt er der Wache bei jeder Fuhre einen 6er-Tragerl Coca-Cola. Am Ende des Tages bei der Rückfahrt erhält er zu seinem Erstaunen jedes Mal das vollständige Leergut zurück und kann ohne Probleme die Kontrolle passieren. Hilde Röhrenbacher (geb. 1928) flieht zu Kriegsende aus Znaim und findet in Linz ihre neue Heimat. In der von den Amerikanern beschlagnahmten Dürrnbergerschule, heute Otto-GlöckelSchule, findet sie Quartier. Der Turnsaal wird bald in eine Mannschaftsküche für die Alliierten umfunktioniert, die 17-jährige Hilde spricht genug Englisch, um dort in der Essensausgabe arbeiten zu dürfen: „Und von da an ist es uns tatsächlich gut gegangen. Der Amerikaner hat ja alles gehabt zum Essen und was übergeblieben ist, haben wir gekriegt. Die Not, Hunger, das war vorbei. Zum Wohnen haben wir halt nix gehabt, im großen Klassenzimmer haben wir geschlafen.“ „Ich seh‘ mich heute noch auf diesem LKW sitzen.“ Vera Rosenblattl ist sechs Jahre alt, als sie im Mai 1945 in Deutschland auf einen mit Koffern, Kleidung und Möbeln vollgepackten LKW gesetzt wird. An der österreichischen Grenze angekommen warten sie und ihre Familie mit anderen Flüchtlingen drei Wochen auf die Einreise. In Linz beziehen sie eine Baracke am Bindermichl. Tagsüber sind die Kinder auf sich allein gestellt: Der Vater findet Arbeit in der VÖEST und die Mutter sammelt Nahrung und Holz zum Heizen. Einige Jahre muss die Familie in dieser NotUnterkunft hausen, dann übersiedelt sie in eine Wohnung in einem sogenannten „Hitlerbau“. Aus einem Flüchtlingskind wird eine Linzerin. Die letzten Wochen des Krieges erlebt Liselotte Schwarzlmüller (geb. 1924) wie so viele LinzerInnen fern der Stadt bei Verwandten am Land. Sie erinnert sich noch gut an die Tage unmittelbar vor Kriegsende: „Wir haben eine weiße Fahne am Haus aufgehängt und abgewartet, was passieren wird. Da sind noch die Insassen der KZs von den deutschen Soldaten bei unserem Haus vorbeigetrieben worden. Ein Huhn ist über die Straße gelaufen und die hungernden ‚KZler’ haben es gefangen und lebend verspeist. Nur noch ein paar Federn sind geflogen und weg war es.“ „Es war ein bisserl rauer bei den Russen“, meint der Urfahraner Helmut Schwarzlmüller (geb. 1923). Bei der täglichen Brückenkontrolle ist er der Laune der Rotarmisten ausgeliefert, einmal muss er der Wache sogar Rum besorgen, um seinen I-Ausweis zurückzuerhalten. Sein vom Bomben schwer beschädigtes Haus baut er mit Hilfe seiner Frau wieder auf: „Keine Mischmaschine, kein Aufzug, alles händisch. Jedes Wochenende sind Freiwillige gekommen und haben geholfen.“ Seite 11 „Kein Mensch hat gewusst, was ein Kaugummi ist. Einer hat gesagt: ‚Den musst in den Mund nehmen und kauen!’ Sag ich: ‚Was, wieso kauen?’ Er: ‚Nein, nicht schlucken! Kauen musst!’ Wenn man das heute jemandem erzählt, da sagt man, das gibt’s nicht. Aber so war das.“ Kurt Wieland, 1934 geboren, freundet sich schnell mit den Amerikanern an. Besonders Soldat Bill ist ihm zugetan und nimmt ihn sogar heimlich in den Offiziersclub Paradiesgarten am Römerberg mit. Dort lernt er die amerikanische Musik kennen und lieben. Trude Wieland, 1938 geboren, ist die Enkelin eines Mitbegründers der Vereinigten Sodawassererzeugung Linz (VESO). Sie erinnert sich auch noch gut an das VESO-Cola, das für kurze Zeit im Betrieb hergestellt worden ist, „eine echte Linzer Cola!“. Auch sie kann sich für den amerikanischen Flair begeistern: „Für uns war das eine Faszination, welchen Luxus die Amerikaner schon hatten. Die Damen hatten rot lackierte Nägel und trugen Lippenstift, wir wollten genauso werden. Auch die Nylonstrümpfe kamen aus Amerika.“ Helmut Zaiser, 1934 geboren, arbeitet in der Nachkriegszeit in einer Urfahraner Fleischhauerei. Auch die russische Besatzung zählt zu seinen KundInnen. Eine strenge Offizierin ist dem damaligen Gesellen besonders gut im Gedächtnis, da sie stets mehr Ware forderte als die gebrachte Rohware hergab. Fleisch ist in dieser Zeit absolute Mangelware, Reste hat es daher nicht gegeben: „Ein Zeichen der Zeit war, dass eine Verwertung zu 100 % erfolgte.“ ZEITUNG, KIOSK, ZIGARETTE Improvisation wird in den Nachkriegsjahren großgeschrieben. Zwischen Schutt und Bombenruinen tauchen erste Verkaufsstände im Linzer Straßenbild auf. Die wichtigsten Informationen zum Alltag finden sich in Form gedruckter Ankündigungen auf den Bretterverschlägen. Tageszeitungen erhalten großen Zuspruch. Rauchwaren, in den Trafiken erhältlich, dienen in dieser Zeit nicht nur als Genuss-, sondern auch Zahlungsmittel. Sie gelten als verlässliche Währung. PRESSE IN DER NACHKRIEGSZEIT Das Ende des Zweiten Weltkriegs bringt eine Neugestaltung der österreichischen PresseLandschaft. Die Umerziehungs- und Medienpolitik der vier Besatzungsmächte ist verschieden, enthält aber folgende Gemeinsamkeiten: Alle Zeitungen und Zeitschriften müssen im April/Mai 1945 ihr Erscheinen einstellen; die Besatzungsmächte gründen teils mehrere Zeitungen. In Linz erscheint am 11. Juni 1945 die erste Ausgabe der Oberösterreichischen Nachrichten, herausgegeben von den amerikanischen Alliierten. Bereits vier Monate später, am 8. Oktober 1945, geht die Tageszeitung an Österreich über und wird somit unabhängig. Mit dem 1. Jänner 1954 vereinigen sich die OÖN und die seit 1865 erscheinende Tagespost. ZWEITWÄHRUNGEN „Mit einer Schachtel Chesterfield macht er meine Schwester wild“: Obwohl nicht an der Börse notiert, steigen Zigaretten in der Nachkriegszeit zu einer Leitwährung auf, mit der man am Schwarzmarkt Dinge kaufen konnte, die auf regulärem Weg nicht zu bekommen sind. Gleichzeitig steigt zwischen 1954 auf 1955 der Zigarettenkonsum im Vergleich zu den ohnehin hohen Werten während des Krieges noch einmal um 13 % an. Die Abendzigarette, die man sich nach den Mühen des Tages gönnt, wird zum weit verbreiteten Ritual und zum Symbol für die anbrechende bessere Zeit. Seite 12 RAUM 1D ES GEHT UNS GUT Die Währungsreform im Dezember 1947 läutet bereits die „langen“ 1950er-Jahre ein. Der Marshallplan läuft an – zumindest in der westlichen Zone –, die Schlote beginnen zu rauchen. Die Hochöfen der ehemaligen Reichswerke AG „HermannGöring“, 1945 umbenannt in VÖEST, werden angeblasen. Das LD-Verfahren (das auch als Linzer Düsenstahl gelesen werden kann) revolutioniert die Metallindustrie weltweit. Linz bekommt den Beinamen: Das „österreichische Duisburg beziehungsweise Detroit“. Dass es aufwärtsgeht, zeigt sich an vielen Details. Egal, ob Tabakfabrik, Stickstoffwerke oder Werft: Sie alle arbeiten wieder im Vollbetrieb. Ab 1948 gibt es keine Stromeinschränkungen mehr, immer weniger Waren müssen bewirtschaftet werden. Lang aufgestaute Konsumwünsche brechen sich Bahn. Zunächst (und am heftigsten) die Fress-, dann die Bekleidungs-, schließlich die Einrichtungswelle. NACHKRIEGS-ARCHITEKTUR Im NORDICO Stadtmuseum befindet sich eine große Sammlung von Schwarz-Weiß-Fotografien zur Stadtgeschichte und -entwicklung. Im heutigen Linz sind die Gebäude der 1950er-Jahre weitgehend verschwunden. Wenige Gebäude sind noch im Originalzustand erhalten, mancherorts findet man noch Details aus der Zeit. Überraschend ist die Qualität der Gebäude, wenn man an die schwierigen Bedingungen wie Geld- und Materialmangel sowie Zeitdruck denkt. Die Bauten sind in ihrem zeit- und kulturhistorischen Umfeld zu lesen. Das beschreibende Vokabular in Texten reicht von „schlicht, solide, effizient, elegant, gediegen, konventionell“ bis zu „halbherzig“ oder „hilflos“. Damals gilt: Verlässlichkeit statt Risiko, Kompromiss statt Radikalität. COCA-COLA. EISKALT Ab Ende des Zweiten Weltkrieges wird in Österreich das aus den USA über die Coca-Cola Export Corporation importierte Getränk nur an die amerikanischen Soldaten verkauft. Die 1946 errichtete Abfüllanlage in Lambach versorgt die Besatzer österreichweit. Auch im Linzer Stadtbild wird CocaCola sichtbar. An einfachen Verkaufsständen und an Schildern taucht das Logo auf: „Coca-Cola – trink eiskalt.“ An der Stelle des heutigen Brucknerhauses befinden sich die zugehörigen Lagerräume. Erst ab 1953, mit der Gründung der Paul Koenig OHG in Lambach, wird erstmals Coca-Cola an die Zivilbevölkerung verkauft. In Linz entsteht 1959 in der damaligen Wiener Reichsstraße eine eigene Abfüllanlage. Üblicherweise wird Coca-Cola in jener Zeit nur „eiskalt“ und direkt aus der Flasche genossen. SELBSTBEDIENUNG SPART ZEIT! Nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es in Linz vorerst kein intaktes Warenhaus, bis das Warenhaus Kraus & Schober wieder eröffnet und auch das GÖC-Kaufhaus seinen Betrieb aufnimmt. Die Kaufhäuser „Die Chance“ und „Texhages“ in Bahnhofsnähe konzentrieren sich auf die einkommensschwache Klientel, auch Tauschhandel wird betrieben. Und schließlich hält die Selbstbedienung Einzug: Das erste Geschäft mit Selbstbedienung in Österreich öffnet als Konsumfiliale an der ehemaligen Wiener Reichsstraße, heute Wiener Straße, am 27. Mai 1950. „Die Skepsis war groß“, heißt es in der Schrift 75 Jahre Konsum Linz, „im Kreis des privaten Handels war man der Meinung, dass die Mentalität der österreichischen Hausfrauen zu persönlichkeitsverbunden sei, um der Selbstbedienung eine Chance zu geben.“ Zwei Monate später, am 27. Juli, wird der zweite Selbstbedienungsladen in Linz (Ziegeleistraße 68) eröffnet. Die Selbstbedienungsläden läuten die weitere Expansion des Massenkonsums in den 1950er- und 60er-Jahren − und somit die Wirtschaftswunderjahre − ein. Seite 13 FEINE MASCHENWARE „Upcycling“ wäre der treffende Begriff, mit dem man heute die Modebemühungen in den ersten Nachkriegsjahren bezeichnen könnte. Aus alten Stoffen und Kleidern, sogar aus Fallschirmseide werden neue Blusen und Röcke genäht. Kaputte Hosen werden geflickt. Die Frauen der amerikanischen Besatzungssoldaten bringen mit ihren Pumps, Nylonstrümpfen und schwingenden Röcken einen neuen Trend nach Österreich. Besonders die heiß begehrten Nylonstrümpfe werden gehegt wie ein Schatz. Kunststopfereien spezialisieren sich auf deren Reparatur: Mit speziellen Repassier-Nadeln werden die Laufmaschen wieder aufgehoben, kaputte Füßlinge wieder angenäht. Wer kann sich das heute noch vorstellen? RAUM 1 E DAS TRAUTE HEIM So gewaltig die Aufbauleistung der Nachkriegsjahre sein mag: Das traute Heim bleibt für viele ein Wunschtraum. Noch 1953 fehlt es an 25.000 Wohnungen, das entspricht 53,2 % des Wohnungsbestands. Linz ist damit der Brennpunkt der Wohnungsnot in Österreich, ein Zustand der bis in die 1960er-Jahre anhalten wird. Bis dahin prägen Barackensiedlungen den Charakter der Stadt. Der Lebensstandard ist auch bei jenen, die eine eigene Wohnung haben, bescheiden. Man verbringt viel Zeit vor dem Radioapparat, erfreut sich an gehaltvollen Speisen und selbst gemischten Likörkompositionen. Es geht recht neo-biedermeierlich zu, die wilden 1950er-Jahre setzten erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ein. RADIO IM NACHKRIEGS-ÖSTERREICH Der von den United States Forces in Austria (USFA) kontrollierte österreichische RadioSendergruppe RWR (Rot Weiß Rot) wird 1945 in Salzburg gegründet, bald folgen die Sendestellen Linz und Wien. In Linz wird dazu der Sender am Freinberg genutzt, gesendet wird aus dem Landhaus. 1947 erstmals live. 1950 folgt das neue Studio im Dachgeschoss des Finanzgebäudes West am Hauptplatz. Vermisstenmeldungen, Werbungen und auch bald amerikanische Musik gelangen durch das Radio in die Wohnzimmer der ÖsterreicherInnen. 1954 wird RWR-Linz aufgelassen und später vom ORF übernommen. Ebenfalls vom Freinberg aus sendet ab 1945 der US-Army-Sender KOFA (K- Occupation Forces of America) des von General Mark Wayne Clark gegründeten Radionetzwerks BDN (Blue Danube Networks). Ihr Ziel ist es, die amerikanischen Truppen mit Musik und Unterhaltung aus der Heimat zu versorgen. Darüber hinaus versteht sich BDN auch als „Training, Information and Education Section" der US Army. Die 1924 als erste österreichische Rundfunkgesellschaft gegründete RAVAG (Radio Verkehrs AG) sendet in der Nachkriegszeit österreichweit aus einem sowjetisch besetzten Teils Wien. Die Rotarmisten kontrollierten vor allem anfangs den Sender und üben in Sendungen wie Russische Stunde: Hör zu, Kollege Kritik an der österreichischen Regierung. DER GUTE TON Was wir heute mit den „wilden Fünfzigern“ verbinden, ist nichts anderes als die Antwort einer rebellierenden Jugend auf die konservative erste Hälfte dieses Jahrzehnts: Mit einem engen Korsett von (Benimm-)Regeln, die alle Bereiche des Alltags durchdringen, versuchte die traumatisierte Kriegsgeneration die Illusion von Normalität und Ordnung zu erzeugen. Mit Trachten, Blasmusik und dem Hochhalten von Traditionen machte man sich auf die Suche nach der verlorenen Identität. Seite 14 LINZER ZIMMER ERNST KOREF MACHT SCHULE Ernst Koref (1891−1988), hier gemalt von Max Weiler, ist von Mai 1945 bis September 1962 Bürgermeister von Linz. Er wird von der amerikanischen Besatzungsmacht für dieses Amt eingesetzt. Als ehemaliger Lehrer und Landesschulinspektor setzt er sich besonders für den Wiederaufbau der Schulen ein. Denn nach dem Krieg können von den bisher vorhandenen Klassenzimmern circa 60 % nicht mehr benutzt werden. Ein umfangreiches Bauprogramm startet, um Schulen neu zu errichten oder wiederaufzubauen. Darunter fallen z. B. die Volksschulen im Franckviertel, am Froschberg, der Neuen Heimat oder an der Stadlerstraße sowie der Schulkomplex in Harbach. Der Wiederaufbau der Dürrnbergerschule (später Otto-Glöckel-Schule) ist anhand der Bilder im Fotoarchiv des NORDICO, die in dem Schulprojekt Border Crashers zu sehen sind, gut nachvollziehbar. Am 16.10.1944 wurde das Schulgebäude bei einem Luftangriff zerstört, dabei kamen SchülerInnen und LehrerInnen ums Leben. Seit 1945 wurde die Schule in verschiedenen Bauetappen wiederaufgebaut, seit 1951 existiert der Name Otto-Glöckel-Schule. BORDER CRASHERS Ein Schulprojekt von culture connected* der Klassen 4b und 4 c der NMS 5 (Otto-Glöckel-Schule) und der NORDICO Kulturvermittlung Das Schulprojekt Border Crashers zielt auf die Beteiligung der SchülerInnen an der Ausstellung Geteilte Stadt. Linz 1945−55, um andere Sichtweisen von jungen Menschen außerhalb des Museums einfließen zu lassen. Die Raumgestaltung zeugt anhand des Einbezugs historischer Dokumente und Fotografien von der Auseinandersetzung der SchülerInnen mit der eigenen Schulgeschichte. Die SchülerInnen haben aufgrund ihrer Herkunft, teils aus aktuellen und ehemaligen Krisen- und Kriegsgebieten, einen besonderen Zugang zum Ausstellungsthema und bringen eigene Erfahrungen mit Grenzen, Teilungen und Barrieren ein. Dies reicht von Selbstporträts und Hinweisen auf die eigene Familie und Herkunft bis zu Tonaufnahmen in ihrer Muttersprache. In diesen berichten sie darüber, wie sie nach Österreich gekommen sind oder wie sie ihren ersten Schultag in Österreich erlebt haben. *culture connected / Eine Initiative für Kooperationen zwischen Schulen und Kulturpartnern culture connected ist eine österreichweite Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Frauen. Durchgeführt von KulturKontakt Austria. Texte: Klaudia Kreslehner, Dunja Schneider, Georg Thiel Seite 15 Pressebilder Die Pressebilder – darunter auch Ausstellungsansichten – stehen für die Dauer der Ausstellung – auch auf www.nordico.at zum Download bereit. Lizenzfreie Nutzung nur im Rahmen der aktuellen Berichterstattung zur Ausstellung. 1. Tanz auf der Nibelungenbrücke anlässlich der Aufhebung der Brückenkontrolle durch die Alliierten: Landeshauptmann Heinrich Gleißner und Bürgermeistersgattin Elmira Koref, 8. Juni 1953 Courtesy Irmhild Maaß 4. Kontrolle durch russische Besatzungsmächte auf der Nibelungenbrücke, um 1950 NORDICO Stadtmuseum Linz 2. Stadtgebiet von Linz mit russischer und amerikanischer Besatzung Aus: Hanns Kreczi, Linzer Wegweiser, 1946 NORDICO Stadtmuseum Linz 5. CARE – Cooperative for Assistance and Relief Everywhere Gegründet am 27.11.1945 in Genf Courtesy CARE Österreich 7. Erster österreichischer Selbstbedienungsladen Konsum im COOP-Gebäude in Linz, Wienerstraße, 30.05.1950 Archiv der Stadt Linz 8. Zeitungsstand an der Linzer Landstraße Seitemit 16 Coca Cola Werbung, 1947 NORDICO Stadtmuseum Linz 3. Identitätsausweis ausgestellt in Linz am 21.9.1948 Sammlung Klaus Lüthje 6. Max Weiler Porträt Bürgermeister Dr. Ernst Koref, 1955 LENTOS Kunstmuseum Linz 9. Hans Gösta Nagl Bombenruine des Volksgartengebäudes, 1947 NORDICO Stadtmuseum Linz 10. Irische Butterspende, 1947 NORDICO Stadtmuseum Linz 11. Zeitzeugin Hilde Röhrenbacher mit Freunden am Dach der Dürrnbergerschule, Linz, 1945 13. Blick vom Brückenkopf zum Hauptplatz, Linz, Juli 1946 NORDICO Stadtmuseum Linz 12. Linzer Landstraße mit Hinweisschild auf das Cleveland Theatre (Kolosseum-Kino) am Schillerplatz, April 1947 NORDICO Stadtmuseum Linz 14. American Red Cross Wohnungen für Bedienstete des amerikanischen Roten Kreuzes, Honauerstraße, Juli 1947 NORDICO Stadtmuseum Linz Seite 17