1 COPYRIGHT: COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darfEs ohne Genehmigung nicht verwertet Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. darf ohne Genehmigung nicht werden. Insbesondere es nicht ganz oder oder in Auszügen abgeschrieben oder verwertet werden.darf Insbesondere darf esteilweise nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Kultur benutzt darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio werden. Menschen und Landschaften 27.03.2005 ,,Das Meer weitet Auge und Seele‘‘ Die Halbinsel Gaspé im Osten Kanadas Von Miriam Freudig ATMO Brise Bise O-TON Claudine Quand on a pensé au nom il y a seize ans passés, pour moi, la brise et la bise, le vent du nord et le vent du sud, et puis C’est ça le brise-bise et ici on est confrontés souvent aux éléments de la température, dans une journée il fait chaud, il peut faire très froid, alors c’est ça le brise-bise, c’est cette chaleur, ça fait partie des éléments de notre nature ça. SPRECHERIN 1 Als wir uns vor sechzehn Jahren einen Namen ausdachten, kamen wir auf Brise Bise, Brise wie der Wind des Südens, Bise wie der Wind des Nordens oder auch der Kuss. Hier ist man oft großen Temperaturschwankungen ausgesetzt. An einem Tag kann es erst sehr warm und dann wieder sehr kalt sein, so ist die Natur hier, wie der Name Brise Bise. MUSIK John Cage, Etudes Boréales I ,,Works for Cello'' SPRECHER 2 Am besagten sechzehnten Tag, einem Donnerstag, wurde der Wind so stark, dass eines unserer Schiffe seinen Anker verlor. Wir fuhren sieben oder acht Meilen flussaufwärts in einen sicheren Hafen, den wir mit 2 unseren Booten ausgekundschaftet hatten. Wegen des schlechten Wetters mussten wir dort bis zum 25. Tag desselben Monats ausharren. In dieser Zeit begegneten wir einer großen Zahl Wilder, die zu diesem Fluss gekommen waren, um Makrelen zu fischen. ERZÄHLERIN Im Juli 1534 erreichte der Seefahrer Jacques Cartier die Bucht von Gaspé. Im April war er mit 61 Männern und zwei Schiffen vom bretonischen Saint Malo losgefahren. In 20 Tagen überquerte er den Atlantik. Dann fuhr er an Neufundland und weiter südlich an Prince Edward Island vorbei bis zur Südküste der Halbinsel Gaspé. In der Sprache der Ureinwohner, die Cartier als Wilde bezeichnet hatte, bedeutet Gaspé „das Ende der Welt‘‘. Die Halbinsel erstreckt sich über 300 Kilometer im Golf des Sankt Lorenz Stroms. In der Bucht von Gaspé ging Jacques Cartier mit seinen Leuten an Land, stellte ein Holzkreuz auf und besetzte Kanada im Namen des französischen Königs. Eine Kopie des Kreuzes steht heute vor dem Museum an der Ausfallstraße der Stadt Gaspé. ATMO Straße ERZÄHLERIN Die Uferpromenade, die vom Museum in den Ort führt, endet abrupt an einer Brücke. Ein paar Stufen führen hinauf zur Hauptstraße. Sie ist so gut ausgebaut, als müsse sie täglich den Verkehr einer nordamerikanischen Industriestadt verkraften. Wie der viel zu große Parkplatz, dem der alte Hafen weichen musste. Ich gehe die Treppe zur Einkaufsstraße hinauf, ein paar Stufen nur, und höre leise Musik aus dem Bistro Brise Bise, das seine Inhaberin Claudine nach dem Wind des Südens und dem Wind des Nordens 3 benannt hat. ATMO Brise Bise, darüber O-TON O-TON Claudine Etant donné qu’on est loin, on est loin des grand centres, on est une petite population. Parce qu’en plein mois de janvier, quand il fait une grosse tempête dehors, une grosse tempête de neige on est toujours heureux d’être une vingtaine dans le brise - bise, puis d’avoir cette chaleur humaine. Moi je ne suis pas une créatrice, je suis pas une artiste, je suis pas quelqu’un qui chante, qui peint, mais j’adore les créateurs. Je suis vraiment une passionnée de ce que les gens peuvent faire au niveau de la création, alors de leur permettre d’avoir un endroit où on peut exposer librement, où on peut venir chanter où on peut s’exprimer en tant qu’artiste, je trouve ça terriblement important, dans des petits milieux d’avoir des endroits comme ça. Et puis le brise-bise c’est une tribune pour les gens d’ici et d’ailleurs. SPRECHERIN 1 Wir leben weit entfernt von den großen Städten, und wir sind eine kleine Gemeinde. Im Januar, wenn draußen der Schneesturm tobt, sind wir glücklich, wenn im Brise Bise zwanzig Leute zusammenkommen und diese menschliche Wärme spüren. Ich bin keine Künstlerin, ich singe nicht, ich male nicht, aber ich liebe die Künstler. Ich kann mich sehr für das begeistern, was Menschen schaffen. Deshalb finde ich es so wichtig, in einer kleinen Stadt einen Ort zu haben, an dem sie ausstellen, singen, sich als Künstler ausdrücken können. Das Brise Bise ist ein solcher Ort, für die Künstler von hier wie von anderswo. ATMO Probe der Moules Marinières ERZÄHLERIN Auf der kleinen Bühne im unteren Geschoss des Brise Bise üben die ,,Moules Marinières‘‘, die Miesmuscheln, für ihren Auftritt am Abend. Sie singen alte Seemannslieder, mal auf Englisch, mal auf Französisch. Bruce O’Connor ist der Gitarrist der Band. Seit sechs Generationen, erzählt er, leben die O’Connors in Kanada. Genau so wie die 4 Frankokanadier waren auch die irischen Einwanderer katholisch und meist arm. Das verband beide Bevölkerungsgruppen. O-TON Bruce Un O’Connor a marié une canadienne francaise, probablement pas très bilingue, probablement francophone et lui certainement n’était pas très francophone donc ça a fait des enfants bilingues et de notre côté des O’Connor on peut retracer des gens bilingues jusqu’à très loin là et encore aujourd’hui nous on est bilingues, nos frères et sœurs sont bilingues, leurs enfants, parce que moi j’ai pas d’enfants, mais leurs aussi vont être bilingues, c‘est une des bonnes traditions qu’on va garder dans notre famille. SPRECHER 1 Ein O’Connor hat eine Frankokanadierin geheiratet, die vermutlich nicht zweisprachig war. Er wiederum konnte kein Französisch, also wurden die Kinder zweisprachig erzogen. Bei den O’Connors kann man die Zweisprachigkeit sehr weit zurückverfolgen. Wir sind heute noch zweisprachig, meine Geschwister sind es und ihre Kinder werden es auch sein. Das ist eine gute Tradition, die wir in unserer Familie bewahren werden. ERZÄHLERIN Bruce hat Sozialwissenschaften studiert und arbeitet in einer physiotherapeutischen Klinik. In seiner Freizeit macht er Musik. Bruce gefällt es in der Gaspésie. Vor elf Jahren hat es ihn hierher verschlagen. Beim Betrachten der Landkarte war sein Blick immer wieder auf diesem Fleck hängen geblieben, erzählt er. Irgend etwas hatte ihn angezogen, obwohl er damals fast nichts über die Gegend und die Menschen wusste. O-TON Bruce Je les perçois comme étant des gens assez colorés dans leur regard sur la vie ici et la vie ailleurs, je pense qu’ils ont pas peur de prendre des risques, ils ont pas peur d’affronter des choses plus grosses qu’elles ou des grands défis, c’est des gens qui ont vu les 56 misères, c’est pas une région qui est très riche ou très prospère en fait d’économie ou tout ça, c’est pas une nouveauté ici, c’est un autre fardeau qui se rajoute au fil des ans, qui va passer, ils sont vite à s’adapter, ils ont toutes sortes de petits moyens à passer à travers les 5 difficultés qu’une économie lente peut présenter, pour de qui est du restant de leur vie, drôlement ils ne sont pas très souvent de très bons nageurs pour des gens qui vivent au bord de la mer là, je pense que c’est peut-être parce que la mer était source de travail, et pas source de loisir, ça fait pas longtemps qu’elle est vue comme loisir au lieu de travail. SPRECHER 1 Die Leute sind nicht festgelegt in der Art und Weise, wie sie das Leben hier oder woanders betrachten. Sie fürchten sich nicht davor, ein Risiko einzugehen, sich auf etwas einzulassen, das größer ist als sie selbst. Sie haben schlechte Zeiten erlebt. Die Gegend ist nicht sehr reich. Der Wirtschaft geht es nicht gut, das ist nichts Neues, für die Menschen hier ist das einfach eine weitere Bürde. Doch sie können sich schnell anpassen. Was andere Seiten ihres Lebens betrifft, komischerweise können sie für Menschen, die am Meer leben, nicht gut schwimmen. Vielleicht liegt es daran, dass das Meer immer als Quell der Arbeit und nicht des Vergnügens betrachtet wurde. Das hat sich erst vor kurzem geändert. ATMO Straße ERZÄHLERIN Draußen dämmert es inzwischen. Auf dem großen Parkplatz leuchtet die gelbe Reklame eines Schnellrestaurants, auf der anderen Seite der Bucht sieht man die Lichter der Häuser. Gaspé ist eine eher hässliche Kleinstadt im Vergleich zu den Orten entlang der Klippenküste mit ihren weißen, gelben und blauen Häusern unter roten Dächern und den bunten Fischerbooten, die träge im Hafen liegen. MUSIK Hans Otte ,,Das Buch der Klänge'' ERZÄHLERIN Eine Brücke verbindet die beiden Ufer der Bucht. Früher, als der Parkplatz noch ein Hafen war, gab es 6 hier nur eine Zugbrücke. Der Verkehr auf der Straße musste sich nach dem Verkehr auf dem Wasser richten. Erst einmal verpasse ich Claudines Haus. Ich habe Mühe in der Dämmerung die Nummern der Häuser am Hang zu entziffern. Ich fahre zu weit und wende an einer weißen, schlichten Holzkirche, von denen es viele in der Gegend gibt. Der Friedhof, direkt daneben, ist nicht abgegrenzt. Überhaupt gibt es in der Gaspésie kaum Zäune. Das Land ist so weit, dass Friedhof und Wiese, Garten und Wald und die Grundstücke einfach ineinander übergehen. O-TON Claudine Comme c’est très grand, c’est très vaste, tu sais que tout est possible en fait. Quand tu viens d’un pays comme la Gaspésie - parce que la Gaspésie c’est un pays, c’est 700 Kilomètres de territoire, c’est aussi grand que la Belgique, tu peux exploser, c’est très vivifiant d’être dans un pays comme ici. Je suis retournée à Paris l’automne dernier, j’ai passé une semaine à Paris, parce qu’on se demande toujours est ce qu’on va vivre en région ou si on retourne à la ville. Pour nous on pense peut-être à Montréal, dans les grandes villes intéressantes à vivre et tout ça. L‘automne dernier quand je suis revenue de Paris, j’ai dis à Christian, je veux pas aller vivre dans les grandes villes, je veux pas aller vivre à Montréal non plus, on avait une maison à Montréal qu’on a vendue cette année. Pour moi mon choix de vie est vraiment de vivre ici maintenant. SPRECHERIN 1 Weil es hier so groß und weit ist, weiß man, dass alles möglich ist. Wenn du aus einem Land wie der Gaspésie kommst, denn es ist ein Land, so groß wie Belgien, dann könntest du zerbersten vor Energie. Ich bin vergangenen Herbst nach Paris gegangen, eine Woche war ich dort. Wir haben uns immer gefragt, ob wir auf dem Land leben oder in die Stadt zurückkehren wollen. Dabei denken wir an Montreal, an eine große Stadt, in der zu leben interessant ist. Doch als ich aus Paris zurückkam, sagte ich zu Christian: ich will nicht in einer Großstadt leben, auch nicht in Montreal. Wir hatten dort ein Haus, das haben wir verkauft. Ich habe 7 beschlossen, hier zu bleiben. ATMO Gänse ERZÄHLERIN Das Holzhaus von Claudine und Christian ist gelb angestrichen. Sie begrüßen mich so herzlich, als seien wir schon lange befreundet. Dabei habe ich Claudine erst einmal getroffen. Auch Clovis, der siebenjährige Sohn der beiden, ein aufgeweckter Junge mit blonden Haaren, scheint Besuch gewöhnt zu sein. Im Haus duftet es nach frisch gebackenem Kuchen. Auch innen ist alles aus Holz, die Wände im Wohnzimmer sind in warmen Gelb-, Rot- und Orangetönen gestrichen. Das Haus ist 120 Jahre alt, erzählt Claudine. Wie beinahe alle schönen und alten Häuser auf der Halbinsel Gaspé gehörte es einmal einem Engländer. Einem, der vielleicht mit dem Export von Stockfisch viel Geld verdient hat, wie viele seiner Landsleute. Das Haus hat eine gute Ausstrahlung, sagt Claudine, es ist ein gesundes Haus. Es atmet und nimmt den Wind auf. Claudine reicht Brot mit Ziegenkäse, der auf einem Hof nur wenige Kilometer entfernt hergestellt wird. Vom Wohnzimmer aus hat man einen freien Blick auf die Bucht. O-TON Claudine Pour moi la vie c’est grand, c’est très, très ouvert. Mon grand père qui était pêcheur, parce que je suis une fille du bord de mer, j’ai toujours l’horizon dans ma face à longueur de journée, mon grand-père m’a fait comprendre un jour que la mer, quand on est une fille du bord de mer, que la mer ça allonge le regard, ça élargit l’œil et que ça agrandit le dedans et puis quand on part avec ça dans la vie je pense qu’on est très, très large et peu importe ce qu‘on fait, on réalise ses rêves. SPRECHERIN 1 Für mich ist das Leben weit und offen. Mein Großvater war Fischer. Ich komme vom Meer. Ich habe den ganzen Tag lang den Horizont in meinem Blickfeld. 8 Mein Großvater hat mir eines Tages erklärt: wenn man ein Mädchen vom Meer ist, dann verlängert das Meer den Blick, weitet das Auge und die Seele. Wenn man damit ins Leben geht, steht einem alles offen und egal was man tut, man verwirklicht seinen Traum. MUSIK Hans Otte ,,Das Buch der Klänge'' O-TON Claudine Le choix de vivre ici, c’est qu’on vit beaucoup avec la nature. Je me lève vers les quatre heures le matin, et puis pour moi, C‘est de voir le lever du soleil, le calme, d’être très harmonieuse avec notre environnement, puis aussi de prendre le temps. Souvent j’embarque des gens sur le stop, souvent je les invite à souper à la maison, ils se ramassent autour de la table, on ouvre une bouteille de vin, ils couchent à la maison et ça, je tiens ça de mes parents. Mes parents qui sont des êtres extraordinaires, c’est des gaspésiens, mon père qui est bûcheron, ma mère elle a eu sept enfants, alors elle s’est occupée de nous, nous a nourris, et à chaque fois qu’il y avait quelqu’un sur le stop devant la maison, ma mère lui criait, heu vient, vient manger, entre, vient coucher et puis moi j’ai toujours gardé cette grande liberté de recevoir des humains chez moi. SPRECHERIN 1 Hier ist man sehr mit der Natur verbunden. Ich stehe gegen vier Uhr morgens auf. Ich möchte den Sonnenaufgang sehen und die Ruhe spüren, eins sein mit der Natur und mir Zeit nehmen. Unterwegs nehme ich oft Leute mit, die trampen, und lade sie zu uns zum Essen ein. Wir sitzen am Tisch und trinken eine Flasche Wein, dann übernachten sie hier. Das habe ich von meinen Eltern, sie sind außergewöhnliche Menschen. Sie stammen aus der Gaspésie, mein Vater war Holzfäller. Wie waren sieben Kinder. Meine Mutter hat sich um uns gekümmert, uns groß gezogen, und immer, wenn ein Tramper vor unserem Haus auftauchte, rief sie: Komm doch herein, komm, iss mit uns, schlaf hier! Ich habe mir diese Freiheit bewahrt, einfach Menschen zu mir nach Hause einzuladen. ERZÄHLERIN Claudine wäre beinahe in Ottawa hängen geblieben, 9 der über 1.000 Kilometer entfernten Hauptstadt Kanadas. Dort hatte sie Sport studiert und ein anderes Leben kennen gelernt. Ihren Eltern hatte sie gesagt, sie würde nicht mehr in die Gaspésie zurückkehren. O-TON Claudine J‘ai failli ne pas revenir en Gaspésie, parce que quand t’es dans une grande ville c’est très stimulant, je ne suis presque pas revenue en région quand j’étais en ville, parce que je suis une passionnée, une intense, je faisais beaucoup d’escalade, j‘étais dans des équipes de compétition de ski de fond et puis j’enseignais, j’avais développé une autre vie la bas, et puis j’avais dit à mes parents que je ne reviendrai pas vivre en Gaspésie mais à la fin de mon université je suis revenue ici, j’ai pris mon vélo et je suis partie 15 jours à Forillon, sur les falaises de Forillon, puis je campais et quand j’ai vu la mer, parce que ça m’avait manqué, de vivre ici, j’avais mon emploi d’enseignante la bas à Ottawa, j’ai rappelé puis j’ai dit je pourrais pas commencer à enseigner en septembre, parce qu’il faut que je reste en Gaspésie et je suis ici depuis les années 80. ATMO Unterhaltung im Haus ERZÄHLERIN Doch dann machte sie Ferien in der Gaspésie, setzte sich aufs Fahrrad, fuhr zwei Wochen immer an den Klippen entlang und übernachtete im Zelt. Als sie das Meer sah, erzählt Claudine, habe sie gespürt, wie sehr es ihr gefehlt hatte. Sie sagte die Stelle in Ottawa ab und kehrte nach Hause zurück. Claudine ist eine lebhafte Erzählerin. Sie schaut mich an, fasst mich immer wieder am Arm, ihre Stimme wechselt zwischen laut und leise. So, als würde sie sagen wollen, es geht um den Augenblick, den wir teilen, um diesen Abend, um das Essen, den Wein, die Gespräche. Claudine hat ein Essen mit mehreren Gängen zubereitet. Als Vorspeise Lachsschaum und Spinat, als Hauptgang Seezunge und Kartoffelbrei mit Oliven und als Nachtisch Schokoladenkuchen, alles selbst gemacht. Sie muss den ganzen Tag in der Küche gestanden haben. Claudine streitet das ab und spricht lieber von 10 der Leidenschaft, mit der sie die Dinge anpackt. Wie das Brise Bise, das sie vor sechzehn Jahren gegründet hat. Einfach so, weil es in Gaspé keinen Ort gab, an dem man einen guten Kaffee bekam. Vorher war sie Krankengymnastin, mit viel Freude an der Arbeit. Doch dann wollte sie etwas Neues anfangen. Weil die Banken ihr für das Brise Bise keinen Kredit geben wollten, borgte sie sich das Geld von Freunden und Bekannten, die ihr Schuldscheine ausschrieben. Im ersten Jahr waren es 50.000 kanadische Dollar, im zweiten Jahr 150.000. Inzwischen hat sie alle Schulden zurückgezahlt. Manche Geldgeber, erzählt sie, haben ihre Einlage auch behalten, weil sie damit ihre Zugehörigkeit zum Brise Bise zeigen wollen. ATMO Moules Marinières, Konzert ERZÄHLERIN Ich bin zurückgefahren ins Brise Bise, um Bruce und seine Band auf der Bühne zu sehen. Die Straßen von Gaspé sind wie leergefegt, das Brise Bise ist zum Bersten voll. Die Leute stehen, sitzen an Tischen oder auf Barhockern rund um den Tresen mitten im Raum. Eine etwa fünfzigjährige Frau stimmt begeistert in jedes Lied ein, ihr Begleiter, ein Mann mit langem grauem Bart, trinkt sein Bier, hin und wieder stimmt auch er mit ein. Später wird Jan, ein Schüler oder vielleicht schon Student, auf die Bühne gehen und eines der Lieder mitsingen, er hat heute Geburtstag. ATMO Moules Marinières O-TON Bruce Ces chants là, les chants marins c’était dans le temps où les bateaux étaient la façon de se déplacer quand tu voulais franchir des grandes distances. Il y avait beaucoup de monde au bord des bateaux, il y avait beaucoup de travail à faire á bord des bateaux, ça prenait des chansons pour 11 accomplir le travail, puis dans le même sens dans les champs de coton du sud des Etats Unis les noirs avaient leur chants pour faire passer la travail dans la journée puis les marins avaient leur chants pour faire passer le travail dans la journée puis exprimer leur joie, leur peine, j’ai plus d’argent, ma blonde m’a sacré là pour un autre gars qui au fond n’est pas marin, nous on a encore pas mal de travail mais on a beaucoup de fun à explorer tout ça, parce que c’est tout nouveau pour nous autres c’est un peu comme un enfant qui va dans magasin de bonbons puis il y a une passe gratuite pour la journée, mange tous les bonbons que tu peux, ok c’est bon on y va, c’est comme ça qu’on voie ça. SPRECHER 1 Die Lieder stammen aus der Zeit, als man größere Entfernungen noch mit dem Schiff zurücklegte. An Bord waren viele Menschen und es gab viel zu tun. Man hat gesungen, um sich die Arbeit zu erleichtern, ähnlich wie die Schwarzen auf den Baumwollplantagen im Süden der USA. In den Liedern haben die Seeleute ihre Freude und ihr Leid ausgedrückt, dass sie kein Geld mehr haben und ihre Liebste sie wegen eines anderen sitzen ließ, der nicht einmal Seemann ist. Für uns ist es ganz schön viel Arbeit, diese Lieder zu finden, aber es macht Spaß. Wenn wir welche entdecken, ist es ein bisschen, wie wenn ein Kind in einen Süßwarenladen geht und einen Tag lang umsonst essen kann. Man nimmt, soviel man bekommt. ATMO Moules Marinières ERZÄHLERIN Einmal pro Woche kommt auch Jules Bélanger zu Christian und Claudine auf eine Tasse Tee. Jules Bélanger ist ein großer, älterer Herr mit leuchtend blauen Augen und weißem, leicht zerzaustem Haar. Er trägt einen blauen Vliespullover über seiner Jeans. Nichts deutet darauf hin, dass er Priester ist. Er hat viel über die Geschichte der Gaspésie geschrieben. O-TON Jules Bélanger Parce qu’on avait ni la radio, la télévision, et on avait 12 pas accès aux salles des spectacles de l’extérieur, surtout dans les longues soirées d’hiver, alors on s’amusait et on cultivait les talents musicaux, les talents artistiques pour se faire une diversion avec le travail très dur, soit de la maison, ou de la ferme ou de la forêt. Il y a là un facteur qui a développé la dimension artistique en Gaspésie. SPRECHER 2 Es gab kein Radio, keinen Fernseher und man kam nicht zu den weiter weg gelegenen Veranstaltungssälen, vor allem im Winter. Also pflegte man die eigene musikalische oder künstlerische Begabung, um sich nach der harten Arbeit im Haus, auf dem Feld oder im Wald zu zerstreuen. Das hat die Kunst in der Gaspésie befördert. ATMO Straße von Jules ERZÄHLERIN Jules Bélanger wohnt in einer ruhigen Straße von Gaspé. Sie ist links und rechts von alten Ahornbäumen gesäumt. Im Herbst leuchten die Blätter gelb, orangefarben und dunkelrot. Als er die Tür öffnet, kommt mir ein kleiner, kläffender Hund entgegengesprungen. Die Haushälterin ist dabei, die Küche aufzuräumen. Das Arbeitszimmer liegt im Untergeschoss. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Bücher und Manuskripte. Jules Bélanger war Claudines Literaturlehrer an der weiterführenden Schule von Gaspé. Claudine hatte erzählt, dass sie ihn mochte und immer Julio nannte. Doch streng sei er gewesen und die meisten Schüler hätten sich vor ihm gefürchtet. Über Claudine sagt er, dass sie nicht zu den besten gehörte, aber eine gute Schülerin war, ein dynamisches Mädchen, sportlich, fleißig und intelligent. An der Wand im Arbeitszimmer hängt ein Holzschnitt von Jules Bruder. Ein Schmied, der auf ein Stück Eisen schlägt. Der Vater. 13 O-TON Jules Bélanger Nous avons été 18 enfants, mais jamais les 18 ensemble, lorsque les derniers sont arrivés, les plus vieux étaient déjà partis au travail ou à l’extérieur. Pendant quelques années, il y a eu dix, douze enfants à la maison. Comment ça se faisait? La table était très grande, la table dans la cuisine, la cuisine était très grande, c‘était la pièce principale de la maison et à table nous pouvions être douze, dix ou douze personnes à tables, c’était la mère qui servait avec l’aide des jeunes filles les plus âgées, qui préparaient les repas et qui les servaient. Les garçons ne servaient pas à table et ils ne lavaient pas la vaisselle non plus. Mais ils faisaient les travaux extérieurs, aidaient le père dans la boutique de forge, faire les travaux sur le terrain et puis mon père n’étant pas cultivateur il avait cependant pour aider le fonctionnement de la famille, il gardait une douzaine de poules et puis deux cochons. A chaque année il y avaient deux cochons qui étaient tués à l’automne pour faire de la viande pour l’hiver. Alors il fallait que les petits garçons s’occupent des poules, des cochons, faire des travaux de peinture dans la forge pour rendre service á la famille pendant que les filles faisaient des travaux à table ou à la cuisine, le ménage, c’était une sorte d’équilibre. SPRECHER 2 Wir waren achtzehn Kinder, aber niemals alle zusammen. Als die letzten geboren wurden, gingen die ältesten schon arbeiten. Ein paar Jahre lang waren wir zehn, zwölf Kinder zu Hause. Unser Küchentisch war sehr groß, die Küche auch, es war der größte Raum im Haus. Die Mutter und die älteren Töchter bereiteten das Essen zu und brachten es auf den Tisch. Die Söhne halfen nicht dabei, sie spülten auch kein Geschirr. Aber sie verrichteten Arbeiten außerhalb des Hauses, sie halfen dem Vater in der Schmiede. Mein Vater war kein Landwirt, doch er hatte ein Dutzend Hühner und zwei Schweine. Die wurden jedes Jahr im Herbst geschlachtet, damit wir Fleisch für den Winter hatten. Die kleinen Jungen mussten sich also um die Hühner und Schweine kümmern und Arbeiten in der Schmiede verrichten, während die Mädchen im Haushalt halfen, das war schon eine Art Gleichgewicht. ERZÄHLERIN Jules Bélanger ist in einem Dorf an der Südküste der 14 Halbinsel Gaspé aufgewachsen. Mit vier Jahren verlor er die Mutter. Damals waren sie bereits sechs Geschwister. Der Vater heiratete noch einmal. Seine zweite Frau bekam zwölf Kinder. Il y avait beaucoup d’entre aide d’une famille à l’autre, si une famille était éprouvée par un incendie, il y avait une corvée. Les citoyens se donnaient le mot et ils venaient tous travailler pour deux jours pour reconstruire la maison de la famille éprouvée. Ou si par exemple il y avait une famille particulièrement pauvre, dans un moment très difficile ou les enfants pouvaient avoir faim alors les citoyens se disaient nous allons faire quelque chose et quelque uns faisaient la tournée pour recueillir de la nourriture, du beurre, du poulet, un quartier de viande, pour donner un coup de main à la famille en difficulté, c’était une belle collaboration, ça ne se fait plus maintenant parce qu’il y a l‘ aide gouvernementale, si vous êtes pauvres et bien on va vous donner un montant minimum pour vous aider, à l’époque quand j’étais enfant ça n’existait pas, pas encore. O-TON Jules Bélanger SPRECHER 2 Man half sich hier sehr untereinander. Wenn es bei einer Familie gebrannt hatte, kamen die Dorfbewohner zusammen und arbeiteten zwei Tage, um das Haus wieder aufzubauen. Oder wenn eine Familie sehr arm war, eine schwierige Zeit hatte und die Kinder womöglich Hunger litten, gingen die Dorfbewohner herum und sammelten Essen. Butter, ein Huhn oder ein Stück Fleisch, um es der Familie zu geben. Heute macht man das nicht mehr. Wenn man arm ist, bekommt man Geld vom Staat, das gab es damals noch nicht. MUSIK Hans Otte ,,Das Buch der Klänge'' Dans les années, je pense que c’était en 1940 ou 42, la route qui contourne la Gaspésie n’était pas ouverte l’hiver, donc quand arrivait la première tempête de neige en décembre ou peut-être en janvier, une tempête de neige qui immobilisait les voitures, eh bien il n’y avait plus de voitures automobiles sur la route jusqu’au mois d’avril, les transports se faisaient avec les voitures de cheval, les transports de bois, les transports de marchandises et tout, ce faisaient O-TON Jules Bélanger 15 avec des chevaux, et quand les gens allaient à l’église, le dimanche, c‘‘était avec des voitures à chevaux qui avaient un siège ou deux et mon père fabriquait ces voitures pour les cultivateurs et lorsque arrivait l’heure de la messe, le dimanche, on pouvait voir des défilés de voitures à cheval, vingt, vingt-cinq grandes voitures où il y avaient, le monsieur, la madame, les enfants emmitouflés qui s‘en allaient à l’église avec le cheval et puis près de l‘église il y avait une immense étable où on mettait les chevaux pendant les offices liturgiques. SPRECHER 2 Es muss 1940 oder 1942 gewesen sein. Die Straße, die um die Gaspésie herum führt, war im Winter nicht befahrbar. Im Dezember oder Januar kam der erste Schneesturm. Er brachte die Autos zum Stehen. Bis April sah man keine Autos mehr auf der Straße, das einzige Fortbewegungsmittel waren Pferdewagen. Damit hat man Holz und Waren transportiert. Die Leute fuhren sonntags mit dem Pferdewagen zur Kirche. Die Wagen hatten einen oder zwei Sitze. Mein Vater baute sie für die Bauern. Sonntags, bevor der Gottesdienst begann, war der Andrang groß. Zwanzig bis fünfundzwanzig Pferdewagen, auf denen Mann und Frau und die dick eingepackten Kinder saßen. Neben der Kirche war ein großer Stall, wo man die Pferde während des Gottesdienstes unterstellte. ERZÄHLERIN Jules Bélanger war der älteste Sohn der Familie und ein guter Schüler. Mit vierzehn durfte er nach Gaspé ins Internat. Die Stadt war in den vierziger Jahren eine Tagesreise von seinem Heimatdorf entfernt. Das Schulgeld betrug 250 kanadische Dollar pro Jahr. Die Familie bezahlte es vom Einkommen des Vaters und vom Gehalt der älteren Schwestern. O-TON Jules Bélanger Le régime, la discipline, étaient très sévères. Nous dormions dans des dortoirs, des grandes salles où il y avait 80 ou cent personnes, avec les lits alignés bien sûr. Le lever le matin 5 heures et quart, le coucher le soir neuf heures. Bien sûr il y avait des heures de cours, des heures d’études, 16 des heures d’études en silence, obligatoires, sous surveillance, il y en avait 5 par jour, 5 heures par jour. Et bien sûr il y avait du sport organisé, il y avait des loisirs comme la musique, la chorale, différents organisations pour occuper le temps de ces jeunes et la nourriture, la nourriture c’était très ordinaire, rien d’élaboré, puisque les prêtres qui nous enseignaient, qui étaient les professeurs qui dirigeaient le collège, ils le faisaient presque gratuitement, parce que la population était pauvre, les parents ne pouvaient pas payer beaucoup, pour vous donner une petite idée. SPRECHER 2 Es herrschte strenge Disziplin. Wir schliefen zu achtzig oder hundert in großen Sälen, die Betten standen in einer Reihe. Morgens viertel nach fünf standen wir auf, abends mussten wir um neun ins Bett. Zusätzlich zum Unterricht mussten wir unter Aufsicht fünf Stunden am Tag schweigend lernen. Es gab natürlich auch Sportunterricht und Freizeitbeschäftigungen wie musizieren oder im Chor singen. Das Essen war bescheiden. Die Priester, die uns unterrichteten, arbeiteten nahezu unentgeltlich, denn die Bevölkerung war sehr arm, und die Eltern konnten nur wenig bezahlen. ERZÄHLERIN Jules Bélanger wirkt ein wenig distanziert, wenn er seine Geschichte erzählt. Beinahe so, als ginge es nicht um sein Leben, sondern um das Leben aller Menschen in der Gaspésie, nicht um seine, sondern um ihre Geschichte, in die sich sein Leben einfügt. Ich frage ihn, ob es ihm nicht schwergefallen ist, die Entscheidung zu fällen, Priester zu werden? Darauf zu verzichten zu heiraten oder eine Familie zu gründen? Wieder antwortet er so, als ginge es nicht um seine persönlichen Empfindungen, sondern um etwas Größeres, darum, seinem Land, der Gaspésie zu helfen. Er wollte wie seine Lehrer werden, sagt er, die ihn sehr beeindruckt hatten. Er wollte unterrichten und dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche in der 17 Gaspésie eine bessere Schulbildung bekommen, damit die Armut zurückgeht. Es fällt ihm sichtlich schwer darüber zu sprechen, dass die Gegend heute unter einer Arbeitslosigkeit von 20 Prozent leidet, das ist beinahe das Dreifache des Landesdurchschnitts. Und dass die meisten jungen Leute wegziehen, weil es keine Arbeit gibt. ATMO Im Stall, Hélène und Placide bei der Arbeit ERZÄHLERIN Nur wenige gehen den umgekehrten Weg, ziehen wie Hélène und Bernard hierher, um etwas aufzubauen. Sie stellen den Ziegenkäse her, den ich bei Claudine zu kosten bekam. ,,Du findest sie hinter Douglastown‘‘, hatte Claudine gesagt. Es ist einfach, sich in der Gaspésie zu orientieren. Es gibt nur eine Bundesstraße. In der einen Richtung führt sie nach Osten, in der anderen nach Westen. Die Straße schlängelt sich durch den Wald, es ist kaum Verkehr. Hin und wieder sehe ich ein einzelnes Haus am Weg. Als ich bei Hélène ankomme, steht sie im Stall und wiegt die Ziegen. ATMO Stall, Ziegen werden gewogen ERZÄHLERIN Hélène und ihre Hilfskraft Placide versuchen, die Ziegen in einen Sack zu stecken. Der Sack wird an einen Haken gehängt, der von der Waage an der Decke herunterreicht. Hélène und Placide brauchen ihre ganze Kraft, um die strampelnden Ziegen in den Sack zu bekommen. O-TON Hélène ...une première production avec le bouc 46 on va la peser,118 aussi, c’est le truc qu’on a trouvé pour peser les chèvres, non elle n’a pas le poids encore, c’est ça, quand les 18 chèvres ont sept mois et plus, on les pèse pour savoir s’ils ont le poids idéal pour une première production avec le bouc, faut attendre qu’elles aient sept mois et qu’elles pèsent 75 livres ou 34 kilos, si elles ont pas le poids vaut mieux attendre pour les croiser pour pas arrêter leur croissance. SPRECHERIN 2 Nein, die hier hat noch nicht das Gewicht erreicht. Wenn die Ziegen sieben Monate alt sind, wiegen wir sie, um zu wissen, ob sie zum ersten Mal gedeckt werden können. Sie müssen mindestens 34 Kilo wiegen. Wenn sie das Gewicht noch nicht erreicht haben, sollte man lieber warten, um ihr Wachstum nicht zu stören. O-TON Hélène ...saison des amours pour elle oui 75 livres, ca va avec le bouc. En voilà une qui a 75 livres, ca va être la saison des amours pour elle, on va la mettre avec un bouc de reproduction, à ce moment là faut bien vérifier qui est la mère et le père de chacune des chevrettes parce qu’on a trois boucs pour la reproduction, faut faite attention á la génétique, donc je vais regarder le nom de son père et de sa mère et les trois boucs qu’on a, un des trois boucs pourra servir. SPRECHERIN 2 Die hier wiegt 75 Pfund, für sie wird die Zeit der Liebe beginnen, sie wird mit dem Bock zusammenkommen. Wir müssen aber erst die Abstammung prüfen, wer Vater und Mutter der Ziege sind. Wir haben für die Fortpflanzung drei Böcke, einer der drei wird der richtige sein. ERZÄHLERIN Hélène und Bernard besitzen rund einhundert Milchziegen. Die männlichen Zicklein werden alle geschlachtet, einen Teil der weiblichen behalten sie für die Milchproduktion und die Käserei. O-TON Hélène Je sais pas il y pas une grosse mentalité agricole dans la région, c’est quelque chose qui est à développer, il y en a déjà pourtant eu beaucoup d’agriculture en Gaspésie, puis ça a baissé. Dans les années soixante l’agriculture a ralenti en Gaspésie, mon mari et moi on travaille fort pour qu’il y est 19 une relève agricole en Gaspésie, parce que c’est une belle façon de vivre. Mais on manque d’infrastructure. Le gros problème c’est qu’on a pas beaucoup d’infrastructure pour développer l’agriculture. Par exemple on a pas beaucoup d’abattoirs en Gaspésie, c’est très difficile de commercialiser notre viande. Faut monter jusqu’à Rimouski, l’abattoir le plus proche pour faire abattre nos animaux, c‘est pas rentable d’aller porter nos animaux, de les ramener ici réfrigérés pour pouvoir commercialiser vers la restauration. SPRECHERIN 2 Hier in der Gegend ist der Sinn für Landwirtschaft nicht besonders ausgeprägt. Dabei gab es früher viel Landwirtschaft, doch in den sechziger Jahren ging das zurück. Mein Mann und ich arbeiten dafür, dass es wieder bergauf geht, denn es ist eine schöne Art zu leben. Allerdings haben wir in der Gaspésie kaum Schlachthöfe, es ist schwierig das Fleisch zu vermarkten. Der nächstgelegene Schlachthof ist mehrere hundert Kilometer entfernt. Es lohnt sich kaum, die Tiere dorthin zu bringen und das tiefgefrorene Fleisch wieder zurück zu transportieren, um es hier zu verkaufen. ERZÄHLERIN Der Arbeitstag beginnt morgens halb sechs mit dem Melken der Ziegen. Die Milch wird direkt in die weiter unten am Hang gelegene Käserei geleitet. Ich muss meine Straßenschuhe ausziehen und in saubere Gummistiefel steigen. Hier arbeitet Nathalie. Sie trägt einen weißen Kittel, das schwarze Haar hat sie unter eine weiße Haube gesteckt. ATMO Käserei ERZÄHLERIN Nathalie beugt sich über eine große Metallwanne und rührt immer wieder mit einer Kelle in der Flüssigkeit. Allmählich setzt sich unten im Behälter die dickflüssige, geronnene Milch ab, aus der schließlich Käse wird. Zurück bleibt Molke, die wieder an die Ziegen verfüttert 20 wird. Ich frage Nathalie, ob es ihr nicht schwer fällt, den ganzen Tag allein in der Käserei zu stehen. O-TON Nathalie Non, moi j’aime mieux, moi j’aime ça, j’aime travailler tout seul afin que j’ai personne, on a pas besoin d’attendre pour quelqu’un, on va à notre rythme, puis on n‘a pas besoin d’attendre pour d’autres personnes, moi je pefère travailler toute seule. SPRECHERIN 1 Ich arbeite gern allein, da muss man auf niemanden warten und kann nach seinem eigenen Rhythmus arbeiten. Das ist mir lieber. ATMO Käserei ERZÄHLERIN Bevor der neue Stall gebaut wurde und die Leitung für die Milch gelegt war, musste Nathalie jeden Morgen 350 Liter Ziegenmilch in Eimern aus dem Stall in die Käserei tragen. Sie erzählt, dass sie ein Diplom in Verwaltungswissenschaften hat, aber in der Gaspésie keine Arbeit fand. Hat sie denn nie daran gedacht, von hier fortzugehen? O-TON Nathalie Non, j’ai toujours voulu rester ici, c’est pour ça que je me suis adaptée à l’emploi, j’ai pas couru pour un emploi là. Etant donné qu‘on m’avait offert le poste de fromagère je suis allée suivre une formation, là je suis partie pendant trois mois à l’ita à Sainte Hyacinthe et je suis revenue dans le coin là. La majorité des gens ils sont partis de la Gaspésie, il y a pas d’emplois, je dirais au moins 80 pourcent des jeunes sont partis étudier à l’extérieur, ils ont trouvé un emploi à l’extérieur. J’ai des amis qui pensent à revenir là, mais il faut qu’ils soit leur propres employeurs, soit qu’ils vont partir en affaires, c’est parce qu’il y a pas de jobs. SPRECHERIN 1 Nein, ich wollte immer hier bleiben. Man hat mir die Arbeit in der Käserei angeboten, ich habe drei Monate lang in Sainte Hyacinthe eine Ausbildung gemacht und bin wieder zurückgekommen. Aber die meisten sind fortgegangen. 21 Ich würde sagen, mindestens 80 Prozent der jungen Leute sind zum Studium gegangen und haben woanders eine Arbeit gefunden. Ich habe Freunde, die wieder zurück wollen, aber sie müssen sich selbst eine Existenz aufbauen, ein Geschäft gründen, es gibt einfach keine Jobs. ATMO Käserei ERZÄHLERIN Die Käserei steht direkt neben dem Wohnhaus von Hélène und Bernard. Es ist ein altes, weiß angestrichenes Holzhaus mit rotem Dach. Hélène schreibt an einem Vortrag über die Aufzucht von Ziegen und die Gründung eines Unternehmens. Sie und Bernard wollen sich mit anderen Landwirten zusammenschließen, um ihre Produkte gemeinsam besser vermarkten zu können. Hélène ist hart in ihrem Urteil über die Situation der Leute in der Gaspésie. O-TON Hélène Je pense qu’ils ont trop été gâtés par le gouvernement, le gouvernement a dit vendez votre ferme ou brûlez votre ferme on va vous donner un chèque, tannât par moi, le bienaide social est arrivé, ça fait deux trois générations là, maintenant les gens sont habitués à pas travailler, à recevoir un chèque du gouvernement là, il faut changer les mentalités, redonner la fierté aux gens. Nous autres ça fait deux ans qu’on cherche quelqu’un, avec cent chèvres on va avoir besoin d’une personne supplémentaire mais on trouve pas à Gaspé, personne qui sont intéressés à venir travailler, pourtant on offre un emploi à l’année, pas à l’année, je veux avoir mon chômage en hiver, je veux aller travailler quelques mois pour toi en été. mais pas à l’année, c’est décourageant. SPRECHERIN 2 Ich denke, die Menschen sind von der Regierung zu sehr verwöhnt worden, die Regierung hat gesagt: Verkaufen Sie Ihren Hof oder brennen Sie ihn ab, wir geben Ihnen einen Scheck. Dann bekamen sie Sozialhilfe. Das ist jetzt seit zwei Generationen so. Die Leute sind es nicht mehr gewöhnt zu arbeiten. Das 22 muss man ändern, man muss den Leuten ihren Stolz zurückgeben. Wir suchen schon seit zwei Jahren jemanden, denn mit einhundert Ziegen brauchen wir noch eine zusätzliche Kraft, doch wir finden niemanden in Gaspé, keiner will den Job machen. Dabei bieten wir eine Arbeit für das ganze Jahr an. Doch die Leute sagen, ich arbeite gerne einige Monate im Sommer für dich, im Winter will ich mein Arbeitslosengeld. Das ist entmutigend. MUSIK Hans Otte „Das Buch der Klänge“ ERZÄHLERIN Arbeitslosigkeit und Armut waren groß damals in den 60er und 70er Jahren, die Kosten für Straßen und Schulen im Hinterland hoch. Die Regierung hoffte, mit neuen Industrie- und Verwaltungszentren in einigen ausgewählten Orten auf der Halbinsel Gaspé Arbeitsplätze zu schaffen. Doch der Erfolg blieb aus. Viele der Menschen, die umgesiedelt wurden, fühlten sich entwurzelt. Als Hélène und Bernard vor zwanzig Jahren in die Gaspésie kamen, arbeitete Hélène als Krankenschwester und Bernard in der Verwaltung. Die Leute im Dorf halfen ihnen bei den ersten Schritten zum eigenen Hof. O-TON Hélène Ils nous ont très bien reçu, on a eu un accueil chaleureux c’est un village irlandais ici le petit village où on demeure, Douglastown, c’étaient des anglophones, mais très accueillants, on a eu beaucoup d’aide, beaucoup de support, parce que en achetant la maison on avait le banc d’église qui venait avec l’achat de la maison, ça se faisait comme ça dans le temps. A l’église les gens achètent pour la messe de dimanche un banc qui leur appartient pour aller s’asseoir dans la messe du dimanche, puis dans ce temps là, en achetant la propriété notre banc à l’église était réservé pour nous autres, Chaque dimanche on faisait un devoir d’aller à l‘église puis c’est comme ça qu’on a fait la connaissance des gens qui étaient nos voisins, qui étaient du même village que 23 nous autres, puis sur le perron d‘église en sortant de la messe, on faisait des rencontres, puis on leur racontait, comment on se débrouillait. Parce qu’au début il fallait défricher nos propres terres, parce que tout était revenu en friche, alors on s‘est acheté une scie mécanique dans le catalogue Simson scies, juste pour vous dire qu’on était pas connaissant du tout, du tout, du tout du domaine là, dans un catalogue, par la poste, on s’est fait venir une scie mécanique avec le livre d‘instructions comment couper un arbre, en plein mois de janvier, mon mari et moi on s‘habille pour aller bûcher nos premiers arbres puis ça nous a pris une avant-midi pour couper cinq arbres. Alors les voisins sont arrivés le lendemain, puis comment ça va, comment ça a été? On était fiers de nous autres, on avait coupé 5 arbres, ils ont ri de nous autres un peu puis ils ont dit, viens, on va te montrer comment faire, laisse ton livre d’instructions à la maison, on va te montrer, c’est pour ça que je dis que les gens du village on été très attachants, on voulait pas sentir des gens de la ville qui venaient prendre la place des gens de la campagne, on était pas connaissant non plus et on savait qu’on avait beaucoup à apprendre de nos voisins, l’intégration a été très facile à Douglastown. SPRECHERIN 2 Wir sind hier sehr gut aufgenommen worden. Douglastown war ursprünglich ein irisches Dorf, die Leute haben Englisch gesprochen. Als wir das Haus kauften, bekamen wir die Kirchenbank dazu. Die Menschen hier kaufen für den Gottesdienst am Sonntag eine Bank in der Kirche. Zu unserem Haus gehörte eben auch eine Kirchenbank. Jeden Sonntag sind wir zum Gottesdienst gegangen. So haben wir unsere Nachbarn und die Leute aus dem Dorf kennen gelernt. Vor der Kirche, nach dem Gottesdienst, haben wir erzählt, wie es bei uns vorangeht. Am Anfang mussten wir unser Grundstück roden, es war alles zugewachsen. Wir hatten uns aus dem Katalog eine Säge bestellt. Wir hatten wirklich überhaupt keine Ahnung. Wir ließen uns die Säge und eine Bedienungsanleitung schicken. Da stand drin, wie man einen Baum fällt. Das war im Januar. Mein Mann und ich haben uns angezogen, um unsere ersten Bäume zu fällen. Wir haben einen Vormittag gebraucht für fünf Bäume. Am nächsten Morgen kamen die 24 Nachbarn und fragten, wie es denn gelaufen sei. Wir waren stolz darauf, dass wir fünf Bäume gefällt hatten. Aber sie haben ein bisschen über uns gelacht und gesagt: Kommt, wir zeigen euch, wie das geht, lasst eure Bedienungsanleitung zu Hause. Die Leute aus dem Dorf waren einfach sehr hilfsbereit. Sie wollten keine Städter haben, die ihren Platz einnehmen. Doch wir hatten ja keine Ahnung von den Dingen hier und wussten nur, dass wir viel von unseren Nachbarn lernen müssen. Es war sehr leicht, sich einzuleben. ERZÄHLERIN Als ich nach Gaspé zurückfahre, komme ich noch einmal durch den Ortskern von Douglastown. Nathalie hatte in der Käserei davon erzählt, dass es in Douglastown eine Kirche, eine Tankstelle und einen Kiosk gibt. Mitten durch den Ort führt die Bundesstraße, von der die Leute spöttelnd sagen, sie sei die längste Hauptstraße Nordamerikas. Ich stelle mein Auto auf dem viel zu großen Parkplatz am Stadteingang ab und gehe die Treppen hinauf zum Brise Bise. ATMO Brise Bise MUSIK John Cage, Etudes Boréales I ,,Works for Cello'' ERZÄHLERIN Während ich noch auf Claudine warte und die leere Bühne anschaue, fällt mir die Geschichte wieder ein, die sie mir beim Essen erzählt hatte. O-TON Claudine En juin, parce que c’est sur deux étages notre entreprise, j’étais au deuxième étage, et puis j’entends un violoncelle et je dis, c‘est tellement beau, on dirait quasiment que c’est live, puis je descend l’escalier, je regarde, puis effectivement il y avait une violoncelliste qui était sur la scène du brise – bise, c’était magnifique et il y avait beaucoup de monde au premier étage et tout le monde était comme bouche-bée d’entendre cette violoncelliste, et puis quand elle finit sa 25 pièce, je vais la voir, puis c‘était une violoncelliste de l’orchestre symphonique de Londres, qui avait entendu parler du Brise-Bise, qui était en Gaspésie, puis qui est arrivée avec son immense violoncelle, s’est installée sur la scène, puis qui s’est mis à jouer, comme ça sur l’heure du dîner. (C’est des endroits comme ça qui font que, les gens qui passent, les gens qui y vivent, que c‘est intéressant d’être.) C’est la vie. La vie c’est des moments, des moments qu’on partage, c’est des repas, c’est des gens qu’on rencontre qui restent là gravés dans nos mémoires et qu’on voyage avec après, c’est très grand la vie puis c’est si petit, hein SPRECHERIN 1 Es war im Juni. Das Lokal hat zwei Ebenen. Ich war im zweiten Stock und hörte ein Cello. Es war wunderschön und es klang so, als spielte jemand auf der Bühne. Ich bin die Treppe hinunter gelaufen und sah die Cellistin auf der Bühne des Brise Bise sitzen. Es waren viele Gäste im Lokal, sie waren hingerissen. Als sie zu Ende gespielt hatte, bin ich zu ihr gegangen. Sie kam vom Londoner Symphonie Orchester, hatte vom Brise Bise gehört, war mit ihrem großen Cello angereist, setzte sich hin und spielte einfach. So ist das Leben. Es besteht aus Augenblicken, die man teilt, gemeinsamen Essen, Menschen, die vorbeikommen und sich in unser Gedächtnis einprägen, mit denen man weiter reist. Das Leben ist groß und gleichzeitig so klein. MUSIK John Cage, Etudes Boréales ,,Works for Cello''