Vorwort - Prevođenje za germaniste 1 und 2

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Vorwort
Bücher über Translation und Translationswissenschaft gibt es auf dem Markt in
großer Zahl. Dieses Lehrbuch ist aus dem Bestreben entstanden, den Studierenden der
Belgrader Universität am Lehrstuhl für Germanistik für ihren ersten Kontakt mit der
Translatologie ein modernes Lehrwerk in die Hand zu geben, dass
vorlesungsbegleitend das theoretische Rüstzeug so umfassend wie nötig und so
anschaulich wie möglich darlegt.
Selbst in Anbetracht aller sich bietenden Reise- und Einkaufsmöglichkeiten kann
kaum erwartet werden, dass sich Studierende in jedem Kurs selbst mit aller nötigen
Literatur versorgen – insofern ist dieses Buch als Erleichterung für sie in jeder
Hinsicht, materieller wie wissenschaftlicher, gedacht. Es sind jedoch nicht nur
uneigennützige Motive, welche es entstehen ließen. Es soll gleichzeitig auch das
theoretische Basiswissen enthalten, welches für die Ablegung der entsprechenden
Prüfungen der translatorischen- und translationswissenschaftlichen Kurse abgefordert
werden soll. Translationswissenschaftliche Klassiker und Newcomer haben ebenso
Eingang gefunden, wie Erkenntnisse, Forschungsergebnisse, Meinungen, Gedanken
und Beispiele (meist mit Bezug auf das Sprachenpaar Deutsch/Serbisch) der Autorin
selbst.
Die einzelnen Kapitel sind bis auf Kapitel 14 in chronologischer Reihenfolge
entsprechend den Vorlesungen angeordnet. Kapitel 14 muss aus technischen Gründen
des praktischen Dolmetschunterrichts in der Vorlesung vorgezogen werden.
Die theoretischen Standpunkte sind stark in der Tradition der Humboldt-Universität
zu Berlin mit ihrer 120-jährigen Erfahrung in der Sprachmittler-Ausbildung verhaftet
(die nun leider 2009 der globalen Finanzkrise zum Opfer fiel – hoffentlich nur
vorübergehend), wo die Autorin sowohl ihre Ausbildung erhielt, als auch selber in
Lehre und Translationspraxis über viele Jahre aktiv tätig war.
An dieser Stelle soll noch betont werden, dass die Personenbezeichnungen
maskulinen grammatischen Geschlechts als generische Lexeme für beide
Geschlechter verstanden werden sollen, wie z.B. Translator, Dolmetscher und
Übersetzer etc., welche also stehen für TranslatorInnen, DolmetscherInnen und
ÜbersetzerInnen; auf die movierten Formen wurde weitgehend aus praktischen
Gründen bewusst verzichtet. Da sich die Autorin selbst jedoch durchaus als
emanzipierte Frau sieht, mögen sich die VertreterInnen der Zunft ebenfalls nicht
diskriminiert fühlen.
Sicher wird diese erste Auflage im Laufe der Zeit viele Veränderungen erfahren, für
Hinweise und Anregungen wird immer ein offenes Ohr da sein. Errando discimus. Ein
Anfang ist gemacht.
Belgrad, September 2009
Annette Đurović
1
Abkürzungsverzeichnis
AS – Ausgangssprache
AT – Ausgangstext
MÜ – Maschinelles Übersetzen
NÄ - Nulläquivalenz
Trl. – Translation
TW – Translationswissenschaft
Tw – translationswissenschaftlich
ZS – Zielsprache
ZT - zielsprachiger Text
2
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
1.1. Translationswissenschaft – Stellenwert und Selbstverständnis
1.1.1. Herleitung des Terminus Translation und Translationswissenschaft
1.2. Phasen des Entwicklungsprozesses der Translationswissenschaft
1.3. Gliederung der Translationswissenschaft
1.4. Leitthemen einer modernen Translationswissenschaft
2. Die Berufspraxis von DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen
2.1. Der Beruf des Dolmetschers und Übersetzers
2.2. Bereiche der Berufspraxis
2.2.1. Der Fachübersetzer
2.2.2. Der literarische Übersetzer
2.2.3. Die Softwarelokalisierung
2.2.4. Dolmetscher und Übersetzer in der Europäischen Union
2.2.5. Der Konferenzdolmetscher
2.2.6. Der Gerichtsdolmetscher
2.2.7. Community interpreting
3. Übersetzer und ihre Theorien
3.1. Explizite und implizite Übersetzungstheorie
3.1.1. Sprachbezogene Betrachtungsweise
3.1.1.1. Martin Luther – verdeutschende Übersetzung
3.1.1.2. Wilhelm von Humboldt – Einheit von Sprache und Denken
3.1.1.3. Friedrich Schleiermacher – verfremdende Übersetzung
3.1.1.4. Benjamin Lee Whorf
3.1.1.5. Dekonstruierende Wiederholung
3.1.1.6. Universalientheorie und generative Transformationsgrammatik
3.1.1.7. Maschinelle Übersetzung
3.1.1.8. Translationslinguistik
3.1.1.9. Stilistique comparée
3.1.2. Textbezogene Übersetzungstheorien
3.1.2.1. Übersetzung der Bibel und Translationswissenschaft (Nida)
3
3.1.2.2.Textlinguistik und Translationswissenschaft
3.1.2.3. Aspektives Übersetzen (Gerzymisch-Arbogast)
3.1.2.4. Übersetzung literarischer Texte
3.1.3. Disziplin-, Handelns- und übersetzerbezogene Übersetzungstheorien
3.1.3.1.Feldtheorie (Holmes)
3.1.3.2. Descriptive translation studies (Toury)
3.1.3.3. Schicht- und Stratifikationstheorie (Snell-Hornby)
3.1.3.4. Scenes and frames (Vannerem/Snell-Hornby)
3.1.3.5. Skopostheorie (Reiß/Vermeer)
3.1.3.6. Pariser Schule – Deverbalisierung (Seleskovich, Lederer)
3.1.3.7. Relevanztheorie (Gutt)
3.1.3.8. Multiperspektivität, Individualität und Kreativität (Paepcke, Stolze,
Kussmaul)
4. Geschichte der Translation
4.1. Anfänge des Dolmetschens
4.2. Anfänge des Übersetzens
4.3. Zur Geschichte der Translation in deutschen Sprachraum
4.3.1. Althochdeutsche Zeit (8. – 11. Jahrhundert)
4.3.2. Mittelhochdeutsche Zeit (11. – 14. Jahrhundert)
4.3.3. Frühneuhochdeutsche Zeit (14. – 17. Jahrhundert)
4.3.4. Neuhochdeutsche Zeit (ab 17. Jahrhundert)
5. Definition der Translation
5.1. Translation als ureigenes Objekt der Translationswissenschaft
5.2. Arten der Translation
5.3. Gegenstandsbestimmung der Translationswissenschaft
5.4. Arbeitsdefinitionen
6. Modelle des Übersetzens
6.1. Das kommunikationswissenschaftliche Modell von Nida (1969)
6.2. Faktorenmodell von Reiß (1985)
6.3. Stratifikationsmodell (Texttypen als Prototypen) von Snell-Hornby (19..)
6.4. Zirkelschema von Nord (1988)
4
6.5. Rollenmodell von Holz-Manttäri (1984)
6.6. Flussdiagramm von Hönig (1995)
6.7. Integratives Modell der Translation von Nagorr (1992)
7. (Un-)Übersetzbarkeit und (Null-)Äquivalenz
7.1. Nulläquivalenz
7.2. Grenzen der Übersetzbarkeit
7.2.1. Übersetzbarkeit als Problem der Verstehbarkeit
7.2.2. Übersetzbarkeit als Problem der Ausdrucksfähigkeit
8. Äquivalenz
8.1. Äquivalenz nach Kade (1968)
8.2. Äquivalenz nach Koller
8.3. Äquivalenz und Adäquatheit
8.4. Arbeitsdefinition der Äquivalenz
9. Übersetzung und Linguistik im engeren Sinn
9.1. Linguistik im engeren Sinne
9.1.1. Übersetzungsstrategie, Übersetzungstechnik und Übersetzungsverfahren
9.2. Phonetik/Phonologie und Translation
9.3. Morphologie/Syntax und Translation
9.4. Lexik: Wortbildung und mehr
9.4.1. fehlende Wortbildungsprodukte in der Zielsprache – das Problem der
Periphrase
9.4.2. fehlinterpretierbare Wortbildungsprodukte
9.4.3. morphologische Motivation oder Bildungsdurchsichtigkeit
9.4.4. Phraseologie und Translation
9.5. Faux amis
9.6. Die funktionale Satzperspektive als Problem der Übersetzung
9.6.1. Diathese
9.6.2. Satzakzent und Intonation
9.6.3. Der Artikel
9.6.4. lexikalische Konversen
9.6.5. Serialisierung
5
9.6.6. Abtönung
10. Übersetzung und Linguistik im weiteren Sinne
10.1.
Übersetzung und Semantik
10.2.
Soziostilistische Probleme der Übersetzung
10.3.
Textlinguistik (im weiteren Sinn) und Übersetzung
10.4.
Übersetzung und Fachsprachen
11. Übersetzung und Literaturwissenschaft
11.1.
Zentripetales und zentrifugales Übersetzungsverfahren
11.2.
Manipulation School
11.3.
Übersetzung von Dramen
12. Übersetzungsvergleich und Übersetzungskritik
12.1.
Übersetzungsvergleich
12.1.1. Übersetzungsvergleich im Dienste der kontrastiven Sprachwissenschaft
12.1.2. Übersetzungsvergleich im Dienste der Translationswissenschaft
12.2.
Übersetzungskritik
13. Dolmetschwissenschaft
13.1.
Anwendungsgebiete der Translationsart Dolmetschen
13.2.
Konferenzdolmetschen: Konsekutivdolmetschen und
Simultandolmetschen
13.3.
Die Pariser Schule
13.4.
Qualität von Verdolmetschungen
13.5.
Berufsethik und Leistungsbeurteilung
13.6.
Gebärdendolmetschen
14. Notationssprache und Notizentext
14.1.
Konsekutivdolmetschen ohne Notation
14.2.
Konsekutivdolmetschen mit Notation
14.2.1. Notationsschulen
14.2.2. Grundprinzipien der Notation
6
15. Überwindung von Sprachbarrieren mit Plansprachen?
15.1.
Einteilung der Plansprachen
15.1.1. A priori
15.1.2. A posteriori
15.2.
Geschichte der Plansprachen
15.3.
Esperanto
16. Elektronische Hilfsmittel in der Translation
16.1.
Sprachdatenverarbeitung
16.2.
Internet
16.3.
Das Hilfsmittel elektronisches Wörterbuch
16.4.
Terminologieverwaltung
16.4.1. Terminologieverwaltungssysteme
16.5.
übersetzungsorientierte Sprachdatenverarbeitung
16.6.
Maschinelles Übersetzen
17. Links für Dolmetscher und Übersetzer
18. Literatur
19. Register
7
1. Einführung
1.1. Translationswissenschaft – Stellenwert und Selbstverständnis
Die Translationswissenschaft oder Translatologie, landläufig auch
Übersetzungswissenschaft genannt, ist eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin.
(Warum die letztere Bezeichnung nicht ganz korrekt ist, werden wir im Laufe unserer
Betrachtungen erörtern.)
Sehen wir uns den Eintrag im Metzler Lexikon Sprache an, ein für die Linguistik
maßgebendes Nachschlagewerk, so finden wir folgenden Eintrag:
Übersetzungswissenschaft - Teilgebiet der angewandten Sprachwissenschaft, die sich
mit den besonderen Problemen des Dolmetschens und Übersetzens befasst und
gelegentlich von Praktikern als selbständige Disziplin postuliert wird. Ihre
Fragestellungen betreffen v.a. die Praxis des Sprachvergleichs, vergleichende
Stilistik, Metaphorik und Idiomatik und Kulturvergleiche i.w.S., so dass der Ausdruck
Übersetzungswissenschaft eher als Programm denn als Bezeichnung einer wiss.
Disziplin gelten muss.1
Spätestens hier wird klar, dass sie es bis heute schwer hat, sich unter den älteren
Wissenschaftsdisziplinen als eigenständiger Zweig zu etablieren. Immer wieder
werden auch heute noch Translatologen damit konfrontiert, dass ihre Eigenständigkeit
gerade von eingefleischten Sprachwissenschaftlern in Frage gestellt wird.
1.1.1. Herleitung des Terminus Translation und Translationswissenschaft
Das Wort Translation an sich geht auf translatio (Übertragung, Verpflanzung)
zurück. Bereits im Grimmschen Wörterbuch findet man Translation in folgenden
Bedeutungen:
1) ´erhebung von eim ort zum andern, als man etwa mit der verstobnen heyligen
cörper gethon´
2) daneben in älterer zeit speziell ´verdolmetschung´, ´übersetzung´, anfänglich
sogar mit eingedeutschter form: in der ersten translatze dieses buches von
1
Lexikon Sprache: Übersetzungswissenschaft, S. 1. Digitale Bibliothek Band 34: Metzler Lexikon
Sprache, S. 10248
8
Euriolo und Lucrezia, dazu translatieren, vb. ´übersetzen, in eine andere
sprache bringen´2
3) In der Medizin findet sich Translation als Fachterminus in der Proteinsynthese
Etwa in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde Translation als Hyperonym
für Übersetzen und Dolmetschen in die Translationswissenschaft eingeführt, parallel
dazu Translat für das Produkt von Übersetzungs- und Dolmetschprozessen und
Translator für den Ausführenden.3
Die Logik ist Folgende: Wenn wir Translation als Oberbegriff für Dolmetschen und
Übersetzen nehmen, so ist strenggenommen Übersetzungswissenschaft nur die
Wissenschaft vom Übersetzen, und die Wissenschaft vom Dolmetschen muss dann als
Dolmetschwissenschaft bezeichnet werden. Die beide Prozesse theoretisch und
praktisch erhebende Wissenschaft muss somit als Translationswissenschaft
bezeichnet werden.
Otto Kade (1973:184) hierzu: „Hier ist wieder das Dilemma:
´Übersetzungswissenschaft´ ist unscharf aber eingebürgert,
`Translationswissenschaft` ungewohnt, befremdend, aber aus einem Begriffssystem,
das definiert wurde, abgeleitet. Eine so verstandene ... Translationswissenschaft
liefert immer noch nicht alle wissenschaftlichen Vorgaben für die Praxis, denn auch
eine relativ breit gefasste linguo- semiotische Disziplin gibt keine Antwort auf die
Frage: Was wird übersetzt? Welche Bearbeitung der Übersetzung ist entsprechend
der Informationserwartung des Empfängers notwendig? Wir können es uns nicht
mehr leisten, auf gut Glück zu übersetzen und abzuwarten, welchen Wert die
Übersetzung für den Auftraggeber hat. In der Praxis wird in zunehmendem Maße mit
der Übertragung eine Bearbeitung einhergehen müssen, die von der
Informationserwartung des Empfängers ausgeht. Auf diese u.ä. Fragen kann die
Translationswissenschaft keine Antwort geben, weil hierfür Faktoren relevant sind,
die nichts mit Sprache und Wirken der Sprache zu tun haben und deshalb auch nicht
linguistisch... beschreibbar sind“.4 Genau diese Tatsache ist der Grund dafür, dass die
Translatologie, obgleich nun schon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts relativ weit
verbreitet, immer noch das Problem hat, nicht den Stellenwert zugewiesen zu
2
Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsche Wörterbuch. Bd. 11, 1.Abt. 1. Teil. Leipzig: S. Hierzel,
1935
3
Salevsky, Heidemarie (2002: 91)
4
Salevsky (2002:58)
9
bekommen, der ihr zusteht, meist seitens Vertretern der sog. präzisen Wissenschaften,
mit der Begründung, dass die Translation ein Prozess sei, der ohnehin niemals
objektiv erfasst werden könne.
Dies wird bis zum heutigen Tag immer wieder von Translatologen beklagt. Sogar
Translatologen selbst stellen mancherorts die Selbständigkeit der Translatologie in
Frage: „Die Übersetzungswissenschaft definiert sich in ihren Theorien bis heute noch
weitgehend über die Anleihe beim theoretischen Gedankengut anderer (benachbarter)
Disziplinen. Dieser Mangel an Eigenständigkeit hat bislang die Ausprägung eines
gesonderten Forschungsprofils und die Entwicklung eines Selbstverständnisses über
das Primat eigener, übersetzungsspezifischer Gegenstände, Begriffe und Methoden
verhindert. Setzt man diese Bilanz in Beziehung zu Programmen, Ansprüchen und
Legitimationsversuchen in Einleitungen und Handbüchern zur
Übersetzungswissenschaft, drängt sich die Frage auf, ob jeweils durch die Wahl des
Ausdrucks Übersetzungswissenschaft nicht etwas als gegeben betrachtet wird, dessen
Existenz erst nachzuweisen wäre, nämlich die Etablierung der
Übersetzungswissenschaft als wissenschaftliche Disziplin.
Bekanntlich lassen sich unterschiedliche Auffassungen von Wissenschaft vertreten,
und folgt man der Unterscheidung, dass man Übersetzungsforschung durch die
Eigenschaft „auf einen Erkenntnisgewinn abzielend“ und „methodisch sich an
allgemein geltende Konventionen und Normen haltend“ von
Übersetzungswissenschaft abgrenzt, erscheint das Missverhältnis zwischen der
verbreiteten Ausübung der Tätigkeit „Übersetzungswissenschaft betreiben“ und dem
offenbar bescheidenen Ergebnis dieser Tätigkeit nicht weiter erstaunlich. Wendet man
nun schließlich das von Wiegand (1998; 89ff) entwickelte Verfahren zur Ermittlung
des Status der Forschungen zu einem Forschungsfeld an, kommt man wohl jenseits
aller Subjektivität zum Schluss, dass die Übersetzungswissenschaft keine
wissenschaftliche Disziplin im wissenschaftstheoretischen Sinne ist.5 Dazu sei
festgestellt, dass es durchaus andere Studien gibt, welche anhand des Einsteinschen
Wissenschaftsmodells nachweisen, dass die TRL eine eigenständige
Wissenschaftsdisziplin ist (S. Salevsky: 2002). Das, was seitens der Vertreter der
klassischen sprachwissenschaftlichen Disziplinen der Translatologie vorgeworfen
5
Rovere, Giovanni2004): In: Übersetzungswissenschaft, Dolmetschwissenschaft. Wolfgang Pöckl
(Hrsg.), Wien, S. 283
10
wird, nämlich der Mangel an Eigenständigkeit und an praktisch nachvollziehbaren
Ergebnissen, stellt andererseits die Herausforderung in Theorie und Praxis der
Translatologie dar.
Neben dem Terminus der Translationswissenschaft gab es in den 80er Jahren des
vorigen Jahrhunderts die Bestrebung, diesen Wissenschaftszweig auch
Sprachmittlungswissenschaft zu nennen. Sprachmittlung war als empirischer
Begriff von Monien (dem Leiter der 1933 in Berlin gegründeten Reichsfachschaft für
das Dolmetschwesen) eingeführt worden, indem dieser feststellt, dass man danach
trachten müsse, dass für die Bezeichnung dieses Berufsstandes in den Wortschatz der
deutschen Sprache ein einheitlicher Oberbegriff aufgenommen werde, der einerseits
die Bezeichnung ´Dolmetscher´ wieder zum Ehrentitel für den wahren
fremdsprachlichen Meister werden ließe und andererseits der geradezu babylonisch
anmutenden Sprachverwirrung von ´Sprachkennern´, ´Sprachvermittlern´,
´Fremdsprachlern´, ´Sprachkundigen´ u.a. ein Ende setze. Er fragt, ob nicht der
Ausdruck ´Sprachmittler´ all die Werte wiedergibt, die in den alten, unzulänglichen
Bezeichnungen enthalten sind? Es handele sich nur darum, den Mut zu haben, dieses
neue Wort in den Sprachschatz des Deutschen eingehen zu lassen... Der Dolmetscher
sei auch ein Sprachmittler. In der berufsmäßigen Gliederung des Dolmetschwesens
solle ihm dann der Übersetzer folgen, der dem Dolmetscher oft ebenbürtig zur Seite
stehen könne. Sie alle seien Sprachmittler. Dieser Terminus der
Sprachmittlungswissenschaft wurde dann in den 80er Jahren von Otto Kade
aufgegriffen und besonders in der ehemaligen DDR verbreitet.6
Im Laufe der Entwicklung findet man für Translationswissenschaft im Englischen
sowohl „science of translation“ als auch „translation studies“. Einige
Translationswissenschaftler, z.B. Holmes, lehnen den Begriff „Translation science“
mit der Begründung ab, dass science sich im Englischen mehr auf die exakten
Wissenschaften bezieht. In diesem Zusammenhang sind Namen zu nennen wie James
Holmes, Anton Popovič, Eugene Nida. In jedem Fall jedoch, egal ob
deutschsprachiger oder englischsprachiger Raum, besteht Einigkeit über den
Angewandten Bereich mit den Teilbereichen Kritik, Ausbildung und Hilfsmittel.
6
Salevsky (2002): 58 - 63
11
Im beginnenden 21. Jahrhundert ist zumindest jedoch die Frage: Translatologie – was
ist denn das? – nahezu verstummt. In den vergangenen drei Jahrzehnten gelang es, die
Aussagen zur Jahrhunderte geübten sprachmittlerischen Praxis in wissenschaftlicher
Annäherung zu betrachten, die aufgeworfenen Probleme an Forschungsergebnissen
und Methoden anderer Wissenschaften (Linguistik, Kommunikationswissenschaft,
Soziologie, Psychologie, Semiotik, Handlungstheorie, Kulturwissenschaften u.a.) zu
messen, daraus eigene Ansätze zu entwickeln und theoretisch zu fundieren. Die
ernsthafte Notwendigkeit, die seit Jahrhunderten geübte Praxis des
Übersetzens/Dolmetschens wissenschaftlich zu untermauern, entsprang dem nach
dem 2. Weltkrieg stetig zunehmenden Bedarf an Translation in Politik, Wirtschaft und
Technik, dem man mit der verstärkten Einrichtung universitärer Ausbildungsstätten
für Übersetzer und Dolmetscher begegnete. Von den dort Lehrenden und Absolventen
ging dann das Bemühen um wissenschaftliche Fundierung des Übersetzens und
Dolmetschens mehrheitlich aus.
1.2. Phasen des Entwicklungsprozesses der Translationswissenschaft
Der lange Prozess, in dem sich in der Folge die Translatologie herauskristallisierte
und mehrere Modelle des Translationsprozesses entwickelt wurden, kann in
verschiedene Phasen untergliedert werden:
-
1. die linguistische Phase, in der die Diskussion des Begriffs Äquivalenz
die Translatologie prägt
-
2. die integrativ-emanzipatorische Phase, in der die Translatologie sich
anderen Wissenschaftsbereichen öffnet, deren Erkenntnisse mit
einbezieht, sich aber gleichzeitig von ihnen emanzipiert und als eigene
Disziplin herauskristallisiert,
-
3. die Phase der handlungstheoretisch fundierten funktionalen
Ausrichtung der Translation
-
4. die Phase der kognitiv-emotionalen Ausrichtung auf den eigentlichen
Translationsprozess.7
7
Annemarie Schmid (2004): in: Pöckl (Hrsg), S. 315, 316
12
1.3. Gliederung der Translationswissenschaft
Wir unterscheiden heutzutage folgende Bereiche der Translatologie:
Translationswissenschaft


Theoretischer Bereich
Angewandter Bereich


Allgemeine Translationstheorie
spezielle Translationstheorie

Dolmetschtheorie

Übersetzungstheorie
Angewandter Bereich


Bereich Übersetzen


Bereich Dolmetschen

Kritik Ausbildung Hilfsmittel



Kritik Ausbildung Hilfsmittel
1.4. Leitthemen einer modernen Translationswissenschaft
Ausgehend von der gegenwärtigen Situation, in der sich die Translationswissenschaft
befindet, können einige Leitthemen herausgearbeitet werden, welche die
wissenschaftliche Beschäftigung mit der Translation motivieren und organisieren, und
zudem vom erwartbaren Erkenntnisgewinn her diese Beschäftigung für eine breitere
(wissenschaftliche und außerwissenschaftliche) Gemeinschaft signifikant machen
können. Diese Themen und die Beantwortung der darin eingeschlossenen Fragen
können innerhalb des Gegenstandsbereichs der Translationswissenschaft, die
mehrsprachige Wissensverarbeitung ausmachen, sowie die Erarbeitung und
Integration eines Bestandes an Methoden anregen, die unabhängig von Fragen der
13
Abgrenzung von Sprach- und Translationswissenschaft für jeden, der sich mit
menschlicher Sprache wissenschaftlich auseinandersetzt, von großer Bedeutung sind.
1. „Translation und ihre Rolle im Sprachkontakt, Sprachvariation und
Sprachwandel“. Translation in ihren verschiedenen Manifestationen ist eine
der wichtigsten Formen, in denen sich Sprachkontakt realisiert. In Geschichte
und Gegenwart sind Sprachen durch Translation in Kontakt getreten und
haben sich gegenseitig beeinflusst. In dem Maße, in dem Translation innerhalb
und außerhalb interkultureller Institutionen immer mehr zu einem
Massenphänomen wird, dürfte sich ihre Bedeutung für die Sprach- und
Kulturentwicklung in Zukunft noch erhöhen. Dieses Phänomen ist in der
Gegenwart durch allgemeine Globalisierungsprozesse höchst aktuell.
Außerdem erhöht sich auch die Verbindung zu dem, was als sprachliche
Variation bezeichnet wird – einerseits dadurch, dass das Translat an sich eine
wichtige Variante des Textes darstellt, andererseits dadurch, dass funktionale
Varianten verschiedener Sprachen (Fachsprachen, Register etc.) immer
häufiger durch Übersetzung zueinander in Kontakt treten. Wir können davon
ausgehen, dass in unserer Zeit die funktionalen Varianten gegenüber den
regionalen stark an Bedeutung gewonnen haben, somit wird der durch
menschliches Handeln gekennzeichnete Raum gewichtiger als der regionale
im geographischen Sinn, dann wird deutlich, dass hier Translation für die
Entwicklung der Sprache und Kultur zu einem zentralen Medium in diesem
Prozess wird. Hierzu erarbeitet sich die Translationswissenschaft Positionen
und muss dies auch in naher Zukunft tun, etwa in der Auseinandersetzung um
Fragen sprachlicher und kultureller Dominanz. Darüber hinaus kann die
Translationswissenschaft durch rechnergestützte umfangreiche (Translations-)
Textkorpora vielleicht zum ersten Mal die Frage, wie sich Translation und
verwandte Prozesse auf den Sprachwandel auswirken, anders als nur
exemplarisch anzugehen. In diesem Arbeitszusammenhang kann die
Translationswissenschaft zunächst auf Verfahren der Korpuslinguistik
zurückgreifen, wird dann aber auch eigene Verfahren benötigen, etwa um die
grammatisch-strukturellen Kategorien der Korpuslinguistik in Beziehung zu
setzen zu den eigenen, eher semantischen Kategorien der Textanalyse. So
betrachtet ist es nicht Sinn der translatologischen Untersuchungen, dass sich
die Translationswissenschaft scharf abgrenzt zu den Prozessen von
14
Sprachkontakt, Sprachvariation und Sprachwandel (da diese ja alle auch zum
Gegenstandsbereich der Sprachwissenschaft gehören), sondern sich als Teil
und vielleicht auch als Medium dieser Prozesse versteht. Hierzu ist es
einerseits erforderlich, dass sich die Translationswissenschaft auf dem Gebiet
der Entwicklung eigener Methoden weitreichend spezialisiert, wobei
andererseits es jedoch auch unbedingt erforderlich ist, mit den anderen
genannten wissenschaftlichen Disziplinen (nicht nur Translationswissenschaft
und Sprachwissenschaft, sondern auch Sozial- und Kulturwissenschaften) zu
kooperieren. Daraus entstünde dann nicht Ab- und Ausgrenzung, sondern die
Verbreiterung der Dialogfähigkeit und die Fähigkeit zur themenorientierten
wissenschaftlichen Arbeit an gemeinsamen Projekten.
2. Evaluierung von Texten. Dies sollte vor allem insbesondere auf der
Grundlage eines Begriffes von funktionalen Varianten vorgenommen werden,
oder ´Register´. (Das Register bezeichnet in der Soziolinguistik eine
funktionale Sprachvariante, die verbunden ist mit unterschiedlichen
Berufsgruppen und sozialen Gruppierungen (d.h. z.B. naturwissenschaftliche
Register, Register der Piloten, religiöses Register usw.) vor allem bezogen auf
das distinkte Vokabular; in der Fachsprache: In der Tradition der Londoner
Schule steht der Terminus in Opposition zu Dialekt und Soziolekt, die den
Sprachbenutzer kennzeichnen, während Register »varieties according to use«
bezeichnet. Ein Register ist »what you are speaking« (zu einem bestimmten
Zeitpunkt), in Abhängigkeit von »what you are doing« als sozialer Aktivität.
Man unterscheidet nach field, mode und manner des Diskurses. Field bezieht
sich auf den institutionellen Rahmen, in dem diese Varietät gebraucht wird,
mode bezieht sich auf die durch den Kommunikationskanal bedingten
Unterschiede, wo nicht nur schriftlich vs. mündlich unterschieden wird,
sondern auch z.B. schriftliche Texte, die geschrieben wurden, um gelesen zu
werden (Vorträge usw.; Mündlichkeit); manner (Tenor oder Stil) bezieht sich
auf die Beziehung zwischen Sprachteilnehmern und den Stilunterschieden, die
diese Beziehung reflektiert. Register, Dialekt und Soziolekt sind überlappende
Termini. 8 Der Begriff des Registers hat im Bereich der Translatologie
mehrfach Anwendung gefunden, und zwar sowohl für die
8
Lexikon Sprache: Register, S. 2. Digitale Bibliothek Band 34: Metzler Lexikon Sprache, S. 7916 (vgl.
MLSpr, S. 571) (c) J.B. Metzler Verlag
15
übersetzungsbezogene Textanalyse, als auch für die Übersetzungsbewertung.
Das Konzept kann von zwei komplementären Seiten her begründet werden:
zum einen vom sprachlichen System her als kontextspezifische
Subgrammatiken der Lexika, und zum anderen von der sprachlichen Instanz,
also vom Text her, als Texttyp. Die Translatologie hat ein offenkundiges
Interesse an diesem Konzept, aber sie hat in ihrer Perspektive auch Besonderes
zu bieten für seine Weiterentwicklung: Einerseits können wir davon ausgehen,
dass die Translation an sich ein eigenständiges Register darstellt, dessen
Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen ist, dass es sich über viele
Textsorten und Typen hinweg erstreckt. Andererseits bietet die
translatologische Sicht eine aufschlussreiche Herangehensweise zu Fragen des
Textverständnisses an sich. Überaus wichtig für die Translatologie ist auch das
Problem der Bewertung von Texten, es wird also nicht nur nach der
Konstituierung von Bedeutung gefragt, sondern auch nach der
Angemessenheit des Translats in Bezug auf den zielsprachigen Kontext. Die
Linguistik bemüht sich seit langem, Verfahren der Registeranalyse und
Textklassifizierung zu entwickeln, aber daran anschließende Verfahren zur
Textbewertung, was in der Translationswissenschaft nicht erst seit heute auf
der Tagesordnung steht, stellen eine echte Neu- und Weiterentwicklung der
bisher vorhandenen theoretischen und praktischen Untersuchungen dar. Dies
bedeutet natürlich nicht, dass die vorhandenen Untersuchungen bereits in
ausreichendem Maße erschöpfend entwickelt worden sind. Es gibt jedoch
vielversprechende Ansätze in dieser Richtung.
3. Der menschliche Translationsprozess an sich. Hierzu können wir bereits
empirische Übersetzungsforschung mit reichhaltigen Ergebnissen vorweisen,
welche durchaus nicht als abgeschlossen betrachtet werden sollten, sondern
immer wieder Anlass für interessante Untersuchungen bieten. Diese
Untersuchungen sollten jedoch nicht einseitig als einziger Stützpfeiler der
Forschungen des Translationsprozesses sein. Entwickelt werden sollten
Verfahren, welche theoretisch motivierte Kategorien (z.B.
Übersetzungsmethode, Übersetzungsprozedur, sprachliche Ebenen,
Bewertungskategorien etc.) in Beziehung setzen zu psychologischen
Prozessen (erwähnenswert wäre hier vielleicht die Einbeziehung des
Sensitivitätsmodells Prof. Vester), unabhängig davon, ob sich die
16
Translatoren selbst der sich vollziehenden Prozesse bewusst sind oder nicht.
Viele dieser Ebenen der Sprachverarbeitung sind den Handelnden durchaus
nicht bewusst und die Translationswissenschaft könnte durch die Erarbeitung
von Methoden und Werkzeugen zu deren Erfassung dazu beitragen, über das
Verständnis des Translationsprozesses den Verstehensprozess in der
komplexen Sprachverarbeitung besser zu kennen. Diesbezügliche
Forschungen sind relativ neueren Datums und warten darauf, ausgebaut zu
werden.
4. Multilinguale und multifunktionale sprachliche Systemkomponenten und
die Begriffe der Generalisierung und Abstraktion im sprachlichen
System. Dieser Forschungsbereich ist in der jüngeren Vergangenheit durch
Verbindung von Linguistik und Computerlinguistik entstanden. Es stellt sich
hier die Frage, ob und wie man auch einzelsprachliche Systemfragmente so
generalisieren und abstrahieren kann, dass die entstehenden Fragmente
produktiv nutzbar werden für die multilinguale Sprachverarbeitung, z.B. die
maschinelle Übersetzung. Ein auf allgemeinerer Ebene bisher eher
programmatisch verwandter Terminus in diesem Zusammenhang aus dem
Bereich der Translation ist der Begriff der Übersetzungsgrammatik. Hier
könnte ein bedeutsames Forschungsfeld entstehen an einem Schnittpunkt von
Vergleichender Sprachwissenschaft, Sprachtypologie,
Translationswissenschaft und Computerlinguistik. Die
Translationswissenschaft könnte hier eine perspektivreiche Forschung zur
Problemlösung einbringen, indem sie nicht nur vergleichende Untersuchungen
anstellt, sondern auch eigenen Modelle davon entwirft, um welche
Informationstype es sich in bestimmten sprachlichen Systemen handelt, wenn
man diese Systeme als mehrsprachige begreift. Gibt es, mit anderen Worten,
ein Supersystem, das die Informationen, die in einzelsprachlichen Systemen
repräsentiert sind, generalisiert, oder aus ihnen eine gemeinsame Semantik
abstrahiert. Und vor allem, gibt es Verfahren, die uns systematische
Erkenntnisse darüber geben, welche dieser Informationsverbände, und damit
in der Realisierung Texte, unter welchen Bedingungen von Register und
Kultur ´äquivalent´ sind? Ein großer Vorteil der Translationswissenschaft bei
der Lösung dieses Problems ist, dass es sich bei diesbezüglichen
translatologischen Untersuchungen niemals um die Erarbeitung einseitiger
17
Modelle handeln kann, sondern dass immer multifunktionale Ansätze verfolgt
werden müssen.
5. Multilinguale Textverarbeitung, Textgenerierung und Maschinelle oder
maschinell gestützte Übersetzung. Diese eher technologisch ausgerichteten
Gebiete konnten bisher kaum von einer translationswissenschaftlichen
Perspektive profitieren. Eine Translationswissenschaft der Zukunft könnte hier
ihre Modelle des Translationsprozesses einbringen. Aus diesen wären
zunächst Rahmenbeschränkungen für Systemtypen zu entwickeln, die sich
positiv integrierend statt negativ fragmentierend in diesen Prozess einpassen.
Die Translationswissenschaft könnte dann wesentliche Beiträge zur
Systemarchitektur liefern, was gegenwärtig infolge eines Mangels an
expliziter Modellierung kaum der Fall ist. Es ist der Translationswissenschaft
trotz vielschichtiger Ansätze zur Erarbeitung eines Modells der Translation
nicht gelungen, die Abläufe bei der Translation derart zu formulieren, dass
man sie bei der Maschinellen Translation zufriedenstellend verwenden könnte.
6. Grammatische Metapher und Übersetzung. Grammatische Metapher
bezeichnet das Phänomen, dass innerhalb von Sprachen lexikalischgrammatische Konstruktionstypen in dem Sinn für andere stehen können, dass
relativ invariant bleibende logische Bedeutungen in verschiedenen
Konstruktionstypen entlang der grammatischen Rang-Skala auftreten können,
oder auch innerhalb desselben Ranges (Projektionsebene) auf
unterschiedlichen lexikalischen Klassen projiziert werden kann. So kann etwa
eine Bedeutung wie Vorzeitigkeit ausgedrückt werden durch parataktische
Kohäsion (Erst... dann...), durch Hypotaxe (Nachdem...), eine
Präpositionalphrase (vor a passierte B), eine Nominalphrase (Die Nachfolge
Bs), und auch durch die Tempora der Verben. Nun entsteht schon innerhalb
einer Einzelsprache das Problem, welche dieser Varianten unter welchen
Bedingungen zu präferieren ist und was dabei an Informationen gewonnen
wird bzw. verloren geht. Hier könnte die Translationswissenschaft im
zwischensprachlichen Vergleich einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, was
als Theorie des „Verstehens“ beschieben werden könnte.9
9
Steiner, Erich (2004): In Pöckl (Hrsg.): S. 351 - 357
18
Dieser Themenleitkatalog einer modernen Translationswissenschaft könnte sicher
noch erweitert werden, demonstriert jedoch bereits an dieser Stelle, dass die
Translatologie ein nicht wegdenkbarer Bestandteil der Geisteswissenschaften ist und
besonders für jüngere Wissenschaftler breite Perspektiven bereit hält. Sie hat längst
Einzug gehalten in alle seriöseren Ausbildungsstätten für Dolmetscher und
Übersetzer, da man sich der praktischen Tragweite einer fundierten translatologischen
Ausbildung durchaus bewusst ist. In der Praxis ist es in jedem Fall ein Unterschied,
ob jemand, der vielleicht bilingual ist bzw. „nur“ eine Fremdsprache studiert hat, ohne
sich mit den Gesetzmäßigkeiten der Translation auseinander zu setzen, oder ob sich
jemand nach der mehr oder weniger intensiven Beschäftigung mit der Translatologie
(im Rahmen eines Hochschulstudiums oder eines entsprechenden Fachkurses) in die
Berufspraxis als Dolmetscher oder Übersetzer begibt. Es ist ein wenig wie das
Steuern eines Autos: Gute Kenntnis der technischen Abläufe, Vorgänge und
Bestandteile im Motor und drum herum machen einen nicht unbedingt zum besseren
Autofahrer – in Momenten einer kritischen Situation jedoch, die eine schnelle
Reaktion verlangt, in Zweifelsfällen, welche eine Entscheidung herausfordern, einer
evtl. Panne, eines technischen Defekts befähigen einen die Kenntnisse, Situationen
richtig einzuschätzen, sich zurechtzufinden und mit geringstmöglichem Schaden und
größtmöglichem Erfolg aus der Situation herauszukommen.
Das nächste Kapitel soll dann auch einen Überblick geben über die verschiedenen
Einsatzmöglichkeiten eins Dolmetschers und Übersetzers in der Berufspraxis der
Gegenwart.
19
2. Die Berufspraxis von Dolmetschern und Übersetzern 2.1. Der Beruf des Dolmetschers und Übersetzers - sprachliche, fachliche und
kulturelle Kompetenz
Es wird hier viel gesagt werden zur Translation und zum Dolmetscher und
Übersetzer. Klar ist, dass theoretische Erkenntnisse keine fertigen Lösungen
präsentieren können, wohl aber Wege und Hilfestellungen bei der Tätigkeit des
Dolmetschens und Übersetzens sowie bei der Begründung der
Translationsentscheidungen.
„Was übersetzen auf sich hat, lässt sich mit demselben wort, dessen accent ich
blosz zu ändern brauche, deutlich machen: übersétzen ist ´übersetzen, wer nun
zur seefart aufgelegt, ein schif bemannen und mit vollem segel an das gestade
jenseits führen kann, musz dennoch landen, wo andrer boden ist und andre luft
streicht» - diese Worte äußert Jacob Grimm in dem Aufsatz „Über das pedentische
in der deutschen Sprache“.10
Es ist sicher der Wunsch eines jeden Auszubildenden, soviel verwertbare Kenntnisse
wie möglich aus der Universität mit ins Berufsleben zu nehmen. Leider bereitet ihn
das Studium nicht immer optimal auf seine spätere Tätigkeit vor. Es sollte
jedem/jeder Studierenden, der/die sich für diesen Weg entschieden hat, klar werden,
dass der Beruf eines Übersetzers und Dolmetschers ein sehr anspruchsvoller ist. Hier
sollte von Expertentätigkeit die Rede sein, wobei man von Experten nur dann
sprechen kann, wenn es sie auch gibt. Der Weg bis dahin ist weit, zumal die
praktische Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern nicht (mehr bzw. noch
nicht) überall ernsthaft betrieben wird: so stellte man z.B. an der HumboldtUniversität Berlin nach einer 120-jährigen Tradition die Ausbildung von
Dolmetschern und Übersetzern in Zeiten der globalen Finanzkrise ein, in Serbien
erfolgte sie entweder überhaupt nicht (es gibt derzeit keine Ausbildungsstätte für
Dolmetscher) oder aber wird (für Übersetzer) vom Berufsverband oder anderen
privaten Institutionen – gegen nicht zu knappe Bezahlung – übernommen. Dies mag
eher den Charakter einer praktischen Schulung haben, eine wirklich professionelle
10
Koller (2004): S.24
20
Ausbildung hat andere Ansprüche, besonders an die Verbindung von Theorie und
Praxis. Dies betrifft sowohl die Ausbildung von Übersetzern als auch Dolmetschern,
wobei die Situation bei der Translationsart Übersetzen ein wenig positiver zu
bewerten ist, da das Übersetzen doch während des Studiums häufiger geübt wird.
Anders beim Dolmetschen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und sollen an dieser
Stelle nicht erörtert werden. Sicher ist auch eine Seite davon die Tatsache, dass die
Dolmetschwissenschaft vergleichsweise jünger ist als die Übersetzungswissenschaft.
Eine der wichtigsten Fragen der Translationswissenschaft ist auch, was denn ein
Translator können muss? Daher soll hier darauf eingegangen werden, was als
Translatorkompetenz bezeichnet wird. Die Translatorkompetenz ergibt sich aus
Handlungswissen („Ich weiß, was ich tue und was von mir erwartet wird und wie ich
handeln soll“), vor allem aber aus Fähigkeiten und Fertigkeiten. Als
Voraussetzungen bzw. Bestandteile dieser komplexen Handlungsgrundlage sind eine
Reihe selbstständiger Kompetenzen anzusehen: muttersprachliche und
fremdsprachliche Kompetenz, Sachkompetenz und translatorische Kompetenz und
natürlich auch ethisch-moralische Kompetenz.
Jemand, der sich entschließt, Übersetzer oder Dolmetscher zu werden, muss sich
darüber im Klaren sein, dass er nie aufhören wird, sich weiterzubilden, dass es selbst
bei größter Routine nach vielen Jahren Berufserfahrung immer wieder Momente gibt,
die eine wahre Herausforderung darstellen, in denen man sich einfach zurechtfinden
und bisher erworbenes Wissen evtl. neu definieren und modifizieren muss.
Das Dolmetschen und Übersetzen ist in erster Linie eine Dienstleistung. Alle haben
persönliche Erfahrungen mit Vertretern verschiedener Dienstleistungsberufe, von der
Kaffee kochenden Hilfskraft bis zum Versicherungsagenten, vom Fast-Food-Service
bis zum Werbegrafiker oder Rechtsanwalt. Wie unterscheidet sich die Dienstleistung
eines Werbegrafikers qualitativ von der einer Reinigungskraft? Die Tätigkeit des
Werbegrafikers setzt eine fachliche Qualifikation voraus, welche an diejenige Person
gebunden ist, die diese Tätigkeit eigenverantwortlich ausübt, und diese Qualifikation
ist Voraussetzung für die Lösung komplexer Sachverhalte. Für die Tätigkeit der
Reinigungsfrau ist ein wesentlich geringeres fachliches Know-how erforderlich, und
die Personen, die diese Tätigkeit ausüben, sind eher austauschbar, die zu lösenden
21
Sachverhalte einfacherer Struktur. Wo sind nun in diesem Spektrum die Übersetzer
und Dolmetscher anzusiedeln?
Selbständige Übersetzer und Dolmetscher gehören in Deutschland nach dem
Einkommensteuergesetz zu den sogenannten Freien Berufen, die seit 1998 wie folgt
definiert werden: „Die Freien Berufe haben im allgemeinen auf der Grundlage
besonderer beruflicher Qualifikationen oder schöpferischer Begabung die persönliche,
eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Einbringung von Dienstleistungen
höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.“
(Partnerschaftsgesellschaftsgesetz § 1, Fassung vom 1. August 1998)
Das bedeutet also, dass die Qualifikation bei den freien Berufen eine ganz besondere
Rolle spielt und dass die Ausübung der Dienstleistung nicht einfach auf eine beliebige
andere Person übertragbar ist. Freiberufler sind Experten ihres Fachs, Übersetzer und
Dolmetscher sind Experten für fremdsprachliche Kommunikation. Voraussetzung
dafür sind ein hohes sprachliches Niveau der Arbeitssprachen (der Muttersprache
sowieso), ein grundlegendes Fachwissen, das ihn befähigt, zum einen den zu
vermittelnden Sachverhalt korrekt nachzuvollziehen und unter Berücksichtigung
situativer Besonderheiten unter bestimmten Vorlagen des Auftraggebers entsprechend
in die Zielsprache zu übertragen.
Grundlage der Tätigkeit als Dolmetscher und Übersetzer bilden natürlich die in einer
Ausbildung oder auf anderem Wege erworbenen oder vermittelten Sprach- und
Sachkenntnisse. Heutzutage reicht das jedoch nicht mehr aus. Davon können sich
diejenigen Studierenden überzeugen, die sich bereits während der Ausbildung darum
bemüht haben, ein berufsorientiertes Praktikum zu absolvieren.
Kaum ein Berufsbild hat sich in den letzten 10-20 Jahren so starke Veränderungen
erfahren wie das des Sprachmittlers. Hatte der Übersetzer in der Vergangenheit meist
eine Schreibmaschine und eine gut ausgestattete Privatbibliothek als Werkzeug und
konnte sich auf die Übertragung des Textes konzentrieren, so muss er heutzutage
auch Arbeitsabläufen beherrschen, die nicht unbedingt mit seinem Fachgebiet der
Translation zu tun haben. Heutzutage wird einfach vorausgesetzt, dass ein Übersetzer
mit einem Computer umgehen kann. Dazu gehört nicht nur die Bedienung eines
Textverbarbeitungsprogramms, sondern auch der Umgang mit und das Verständnis
für: Speichermedien, Verzeichnisstrukturen, Datensicherung, Datenbanken,
Terminologieverwaltungsprogrammen, Translations-Memory-Tools,
Präsentationsgrafikprogrammen, Tabellenkalkulation und nicht zuletzt
22
Hintergrundwissen um die Abläufe bei und den Aufbau von EDV-gestützten
Werkzeugen. Aber auch die Hardware spielt eine wichtige Rolle: Modem, Drucker,
Speichermedien. Zum Beispiel sollte der Umgang mit einem CD-Brenner, der
Anschluss eines Druckers an den PC u.ä. wenigstens im Ansatz bekannt sein. Wenn
z.B. eines der Geräte ausfällt, so muss sich der Übersetzer selbst zu helfen wissen.
Der Umgang mit Terminologieverwaltungssystemen und Translation-MemorySystemen11 verlangt mehr als bloße Anwendungskenntnisse. Hier sollte der
Übersetzer die Vor- und Nachteile dieses oder jenes Systems kennen, damit er evtl.
selber dieses oder jenes Gerät kaufen oder aber auch einen Auftraggeber, der einen
Übersetzerplatz einrichtet, kompetent beraten kann.
Eine grundlegende Forderung für einen Sprachmittler ist die Recherchekompetenz im
Internet, das ja als breite Quelle der Informationsbeschaffung dient. Das Internet
bietet einen schier unerschöpflichen Fundus an Lexika, Terminologiedatenbanken
sowie von Parallel- und Referenztexten. Recherchekompetenz bedeutet aber auch, die
unwesentlichen Informationsquellen von den wesentlichen unterschieden zu können,
denn allein die Tatsache, dass man etwas im Internet gefunden hat, bedeutet noch
lange nicht, dass das Gefundene auch die gesuchte Lösung ist. Man sollte unbedingt
bedenken, dass ebenso, wie jeder im Internet nach etwas suchen kann, einjeder auch
Informationen ins Internet setzen kann.
Immer populärer wird die Anwendung elektronischer Wörterbücher, anstatt ihrer
gedruckten Vorgänger. Es gibt auch immer mehr Wörterbücher auf CD-Rom, es ist
wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die Terminologierecherche nur noch
elektronisch oder online erfolgen wird. Große Firmen stellen ihre Terminologie
bereits online zur Verfügung. Die Terminologieverwaltungssysteme werden nach und
nach internetfähig gemacht. Terminologieverwaltungssysteme haben die
Karteikartensammlung längst abgelöst. Online gehaltene Terminologie kann natürlich
auch viel leichter aktualisiert werden als ein gebundenes Wörterbuch. Außerdem
muss es nicht gedruckt werden, was sich positiv auf die Kosten auswirkt.
Von Übersetzern heutzutage wird oft auch erwartet, dass sie einen Text nicht nur
übersetzen, sondern ihn nahezu druckfertig abgeben, d.h. auch formale, graphische
11
Translation-Memory-Programme (Übersetzungsspeicher) sind Werkzeuge, bei denen übersetzte
Textsegmente (in der Regel Sätze) zusammen mit den entsprechenden ausgangssprachlichen
Segmenten in einer Datenbank gespeichert werden. Diese Datenbank kann im Netzwerk abgelegt und
mehreren Übersetzern gleichzeitig zur Verfügung gestellt werden. – Freigang, Karl-Heinz/Schmitz,
Klaus-Dirk (2002): In:Best/Kalina: S.247
23
u.a. Gesichtspunkte berücksichtigen. Dies ist in der Praxis durchaus kein Einzelfall.
Hier sollen sog. „Markup-Languages“ verwendet werden, wobei die Formatierung
durch Formatbefehle gesteuert wird, weshalb sich Dokumente in mehreren Medien
veröffentlichen lassen (z.B. als PDF-Datei, als gedrucktes Dokument, als Online-Hilfe
etc.). Der Text muss dann nicht mehr für das entsprechende Medium umformatiert
werden. Dieses sog. Single-Source-Publishing (oder Cross-Media-Publishing)
rückt im Zeitalter der kurzlebigen Information, der schnellstmöglichen Bereitstellung
von Informationen und des immer stärkeren Kostendrucks zunehmend in den
Vordergrund.
Darüber hinaus ist es im Übersetzeralltag durchaus auch möglich, dass man nicht
mehr als Einzelkämpfer einen ganzen Großtext übersetzt, sondern im Team arbeiten
muss, d.h. dass ein zu übersetzender Text in kleinere Einheiten zergliedert wird, in
sog. Informationseinheiten. Dies verlangt noch tiefreifendere Fachkenntnisse, da die
Zusammenhänge, in die man als Übersetzer einen Gesamttext einordnet, um sein
richtiges Verständnis zu gewährleisten, verloren gehen oder viel schwerer
herzustellen sind. Auch ein Terminologieabgleich der einzelnen Textsegmente ist hier
erforderlich, um die Kohärenz des Gesamttextes nicht zu unterbrechen. Bei solchen
Übersetzungsaufträgen ist ein großer Teamgeist notwendig, obwohl gerade
freischaffende Sprachmittler es gewohnt sind, meist als Einzelkämpfer aufzutreten.
Auch wird hier ihre Leistung insgesamt beurteilt, was ein abgestimmtes Vorgehen
erforderlich macht.
Die Beurteilung der Qualität von Translationsleistungen überhaupt beschäftigt die
Translatologie nicht erst seit der ISO-Zertifizierungswelle (International
Organization of Standardization) Ende der 90er Jahre. Wie die Qualität einer
Translation zu messen, zu bezahlen und einem Auftraggeber gegenüber zu
rechtfertigen ist, ist eine Frage, die freiberufliche und angestellte Übersetzer und
Dolmetscher gleichermaßen betrifft. Die Translatologie argumentiert diesbezüglich
meist auf syntaktischer, lexikalischer, semantischer, textueller, situativer oder
kultureller Ebene. Dies ist für den in der Praxis tätigen Sprachmittler insofern
unerlässlich, als dass er seine Entscheidungen mit konkreten Argumenten gegenüber
seinem Auftraggeber oder evtl. seinen Teamkollegen rechtfertigen und verteidigen
muss, hat aber nichts direkt mit einer evtl. leistungsgerechten Bezahlung zu tun.
Die Aushandlung, Abwicklung und Überwachung von Rahmenbedingungen sowie
Qualitätskriterien, wozu auch der finanzielle Rahmen gehört, fällt in das Gebiet des
24
Projektmanagements. Jeder in der Praxis tätige Dolmetscher und Übersetzer,
insbesondere die freiberuflichen, haben also auch damit zu tun.
Frisch gebackene serbische Übersetzer und Dolmetscher haben jedoch meist keine
Kenntnisse über Projektmanagement. Während dieses Thema in der universitären
Ausbildung in den USA, in Österreich und z.T. auch in Deutschland bereits zum
Studienplan gehört, lernt man in Serbien in den einschlägigen Studiengängen nichts
darüber. So ist es keine Seltenheit, dass gerade Berufsanfänger sich von
Auftraggebern zu unrealistischen und somit nicht einzuhaltenden Fristen überreden
lassen, oder aber der Translation zu absoluten Dumping-Preisen zustimmen. Dies
trägt in keinem Fall zum Image eines professionellen Sprachmittlers bei. Bevor man
sich auf das glatte Eis dieses Marktes begibt, sollte man sich bei erfahrenen
Berufskollegen genau informieren, sowohl über die Rahmenkonditionen als auch über
die konkreten Abwicklungsschritte eines Dolmetsch- oder Übersetzungsauftrags.
Dabei sollten auch Nebenkosten, wie evtl. Gebühren oder Telefon-, Materialkosten
u.ä. berücksichtigt werden. Ein Berufsanfänger kann dies ohne Einweisung meist
nicht überblicken. Dazu dient das Projektmanagement.
Eine erste konkrete Hilfestellung findet der Übersetzer, zumindest für den deutschen
Markt, in der Norm DIN 2345 – Übersetzungsaufträge (1998, Deutsches Institut
für Normung e.V.). Dort kann man ersehen, welche Schritte der erste Kontakt
zwischen Auftraggeber und Übersetzer bis zur Lieferung an den Auftraggeber zu
durchlaufen hat, wer in diesem Prozess welchen Pflichten nachzukommen hat und
dass die Qualität einer Übersetzung nur durch die enge Kooperation zwischen
Übersetzer und Auftraggeber sichergestellt werden kann. Ein klar definierter
Translationsprozess gereicht beiden Partnern zum Vorteil: dem Sprachmittler und
dem Auftraggeber, durch Optimierung der Kosten und Einhaltung und Transparenz
des Preis-Leistungsverhältnisses.
Bereits angesprochen wurde gerade für Berufseinsteiger die Notwendigkeit, sich mit
anderen Kollegen zu konsultieren. Will man sich als Dolmetscher oder Übersetzer
selbständig machen, so ist berufliches Netzwerk unbedingt aufzubauen, nach
Möglichkeit in Ansätzen bereits vorher. Dies kann man z.B., indem man sich noch in
der Ausbildung um verschiedene Praktika bewirbt und auf diese Art sowohl
potentielle Auftraggeber als auch Berufskollegen kennen lernt. Der Rat von
erfahrenen Kollegen ist immer wieder hilfreich, was übrigens nicht nur für
Berufsanfänger gilt, sondern auch für Dolmetscher und Übersetzer, die schon lange
25
tätig sind. Hier sollte falsche Scham vom Tisch gewischt werden, es ist besser, einmal
mehr nachzufragen, um Fehler zu vermeiden, die Zeit und Geld kosten. Um als
Teampartner überhaupt in Frage zu kommen, muss man den Kontakt suchen und sich
die Mühe machen, sich bekannt zu machen. Wer nur allein zu Hause am Computer
sitzt und auf Aufträge wartet, wird in seinem Beruf wohl kaum Erfolg haben.
Zum Einstieg ist die Mitgliedschaft in Berufsverbänden eine gute Möglichkeit. Hier
sollte man darauf achten, dass man nicht mehr zur Kasse gebeten wird, als man
Nutzen aus der Mitgliedschaft hat (wenn z.B. der Beleg von bezahlten Kursen als
Bedingung gesetzt wird für die Mitgliedschaft oder wenn für die Vermittlung von
Aufträgen hohe prozentuale Anteile verlangt werden). Von solchen Praktiken sollten
sich auch Berufsanfänger abgrenzen. Gut nutzen zum Aufbau von Kontakten zu
Berufskollegen lassen sich Konferenzen, Seminare oder berufsbezogene Vorträge,
aber auch Messen o.a. Veranstaltungen. Hier sollte man darauf achten, dass der
ungehinderte Veranstaltungsverlauf durch den Versuch der Kontaktaufnahme nicht
gestört wird, dass man also möglichst erst nach dem offiziellen Teil das Gespräch
sucht.
Es ist oft nicht nur eine freiwillige Entscheidung, dass man sich in die wirtschaftliche
Selbständigkeit begibt. Gerade zu Zeiten der globalen Finanzkrise ergeben sich oft
auch wirtschaftliche Zwänge, diesen Schritt zu wagen. Nichts desto trotz sollte er gut
überdacht sein. Jeder sollte sich vorher genau überlegen, ob er/sie die
Voraussetzungen für eine Selbständigkeit erfüllt.
Nach Höflich (2002) sind wichtige Voraussetzungen:
-
die Fähigkeit zu eigenständigem Arbeiten, zur Selbstdisziplin und –
Organisation
-
eine gewisse Risikobereitschaft (Schwankungen der Auftragslage und
eigenen Absicherung)
-
die Bereitschaft zu überdurchschnittlichem Arbeitseinsatz, da
Wochenendarbeit nicht selten ist und keine geregelten Arbeitszeiten
vorhanden sind
-
eine stabile Gesundheit
-
die Fähigkeit zu unternehmerischem Denken
Wer direkt nach dem Studium den Schritt in die Selbständigkeit wagen will, sollte
damit rechnen, dass Aufträge gerade am Anfang rar sind und dass man evtl. gerade
26
zu Beginn nicht allein vom Übersetzen und Dolmetschen leben kann. Man sollte in
Eigeninitiative, z.B. durch die Kontaktaufnahme zu verschiedenen Übersetzerbüros,
Organisationen, Kollegen etc. versuchen, diesen Anfangszustand zu überwinden.
Leider sind die Berufsbezeichnungen „Übersetzer“ und „Dolmetscher“ im Gegensatz
zu den Titeln „Diplomübersetzer und Diplomdolmetscher“, „Staatlich geprüfter
Übersetzer“ oder „Diplomsprachmittler“ nicht geschützt. Das hat zur Folge, dass im
Prinzip jeder, der meint, eine Fremdsprache ausreichend zu beherrschen,
übersetzen/dolmetschen und sich Übersetzer/Dolmetscher nennen darf. Daraus
ergeben sich natürlich klare Nachteile für gut ausgebildete Dolmetscher und
Übersetzer: es gilt häufig, ein Negativimage durch die sich auf dem grauen Markt
tummelnden „Wald- und Wiesendolmetscher und -übersetzer“ zu überwinden und
sich auch gegen die Billigkonkurrenz zu behaupten. Hier sollte man ein positives
Selbstbewusstsein bewahren – Qualität hat eben auch seinen Preis. Sicher wird ein
Berufsanfänger beim ersten Auftrag nicht das Spitzenhonorar verlangen, aber
untertariflich muss er deswegen noch lange nicht arbeiten. Auch ein Auftraggeber ist
meist in der Lage zu erkennen, ob ein Auftrag professionell abgewickelt oder
stümperhaft mehr schlecht als recht erledigt wurde. Mit diesem Problem schlägt sich
nicht nur die Sprachmittlungs-Branche herum, dies gilt ja auch für andere Berufe.
Ausgebildete Sprachmittler mit Universitäts-, Fachhochschul- oder ähnlichem
Abschluss müssen immer wieder ihre Rolle als Sprachexperten und
Fachkommunikatoren in den Vordergrund stellen.12
Dies können sie in verschiedenen Bereichen der Berufspraxis tun, von denen einige
der interessantesten und am weitesten verbreiteten hier vorgestellt werden sollen.
2.2. Bereiche der Berufspraxis
2.2.1. Der Fachübersetzer
Ein Fachübersetzer, z.B. für Maschinenbau oder Medizin, ist ein Übersetzer, der sich
auf Texte eines bestimmten Fachgebietes spezialisiert hat. Hier stellt sich immer
wieder die Streitfrage, ob es besser ist, ein Fachmann mit Sprachkenntnissen zu sein,
der übersetzerisch tätig ist, oder ein gut ausgebildeter Übersetzer, der sich in einigen
12
Höflich, Isa (2002): In: Best/Kalina: Übersetzen und Dolmetschen, S. 219 - 226
27
Fachgebieten das Wissen aneignet und dann als Fachübersetzer arbeitet? Für den
Fachübersetzer sind Fachkenntnisse durch evtl. Fachstudium der Idealfall, aber im
Normalfall sollte sich auch ein gut ausgebildeter Übersetzer das entsprechende
Fachwissen so aneignen können, dass er nach entsprechender Vor- und Nachbereitung
(Recherchen, Konsultation und Beurteilung durch einen Fachmann etc.) eine
qualitativ hochwertige Übersetzung liefern kann. Eine enge fundierte Spezialisierung
rentiert sich meist nicht. Dies ist in der Praxis oft nur der Fall, wenn der Übersetzer
fest in einer Firma angestellt ist und nur für diese übersetzt und so über eine
langjährige Geschäftsbeziehung über die entsprechenden Kenntnisse verfügt. Schaut
man sich an, wie viele Seiten ein Übersetzer bewältigt, der kein Fachübersetzer ist
(das sind ca. 8 Normseiten pro achtstündige Arbeitszeit pro Tag), und vergleicht
dieses Pensum mit dem eines Fachübersetzers, nämlich ca. vier Seiten, so wird klar,
welcher Zeitaufwand mit der Anfertigung von Fachübersetzungen verbunden ist. Wer
schon einmal eine medizinische Diagnose übersetzt hat, kann dies sicher
nachvollziehen. Das zentrale Problem eines Fachübersetzers ist die
Terminologiearbeit, wozu an späterer Stelle noch einmal detaillierter die Rede sein
wird (Siehe Terminologieverwaltungssysteme).
2.2.2. Der literarische Übersetzer
Ein ganz anders gelagertes, aber ebenfalls hoch spezialisiertes Gebiet der
Übersetzungstätigkeit ist das literarische Übersetzen. Es ist für viele, die Literatur
mögen, sehr interessant und erstrebenswert und viele nehmen ein
Fremdsprachstudium auf mit dem Wunsch, einmal klangvolle Namen der Literatur
übersetzen zu können. Das Problem ist hier die schwierige Auftragslage. Kaum ein
Übersetzer kann davon leben, nur literarische Werke zu übersetzen, ungeachtet
dessen, dass dies eine höchst schöpferische und kreative Tätigkeit ist, deren
Gesetzmäßigkeiten im Rahmen dieser Darstellungen gesondert erörtert werden (Siehe
Kapitel Literaturwissenschaft und Translation). Es ist sicher leichter, in den sog.
kleinen Sprachen, zu denen ja auch das Serbische gehört, einen derartigen
Übersetzungsauftrag zu erhalten, in den „großen“ Sprachen (wie z.B. dem Deutschen)
gestaltet sich dies um vieles schwerer, da es hier viel mehr Übersetzer gibt. Hat man
dann einen Auftrag, so muss man auch für sich abwägen, ob man dieses Buch um
seiner selbst willen oder um des Übersetzens willen übersetzen möchte. Hier gilt,
28
gerade bei Gegenwartsliteratur: hat man erst einmal die erfolgreiche Zusammenarbeit
mit einem Verlag oder einem Autor hergestellt, so wird man in der Regel dann auch
immer wieder engeagiert. Kann man sich damit abfinden, nicht unbedingt immer
Weltliteratur zu übersetzen, sondern auch diesen oder jenen Trivialroman oder nicht
so tiefgreifenden Bestseller, so macht dann die Menge den Profit. Die Bezahlung des
Einzelwerks ist leider meist nicht so, dass man davon unbeschwert leben könnte. Als
Berufsanfänger sollte man darauf achten, dass man nie „blind“ aus Freude über den
Auftrag seine Zustimmung zum Projekt erteilt. Um seriös zu bleiben, sollte man nach
Möglichkeit für sich einige Seiten Probeübersetzen, um so zu sehen, wie schnell man
vorankommt. Daraus lassen sich dann evtl. realistische Fristen und auch eine
angemessene Entschädigung für den Zeitaufwand ableiten.
2.2.3. Die Softwarelokalierung
Ein weiteres, aktuelles und noch nicht so altes Aufgabengebiet für den Übersetzer ist
die Softwarelokalisierung. In den Anfängen der elektronischen Datenverarbeitung
wurden Computer und die darauf ablaufenden Programme fast nur von EDVFachleuten und speziell geschulten Anwendern benutzt. Programmoberflächen und
Benutzerschnittstellen lagen daher nahezu ausschließlich in englischer Sprache vor,
ebenso wie die mit den Systemen oder der Software gelieferte Dokumentation. Diese
Situation hat sich jedoch seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts geändert.
Computer haben in diesen Breitengraden längst in nahezu jeden Haushalt Einzug
gehalten und neben EDV-Fachleuten gehören nun auch Menschen jeden Alters, aller
Bildungsgrade und professioneller Orientierungen zu den Nutzern. Daher entstand die
Notwendigkeit, auch EDV-Laien mit ausführlicher Dokumentation zur Installation
und Benutzung der Hard- und Software zu versorgen. Ebenso müssen
Benutzeroberflächen (Menüs, Systemmeldungen etc). in der Sprache der Benutzer
vorliegen.
Die meist aus den USA stammenden Softwareentwickler gelangten recht bald zu
dieser Erkenntnis und wandte sich seit Anfang der 90er Jahre des vorigen
Jahrhunderts verstärkt nichtenglischsprachigen Märkten zu. Gesetze zur
Produkthaftung und EU-Richtlinien haben bewirkt, dass die Anpassung von
Softwareprodukten an regionale Märkte, d.h. die Softwarelokalisierung, zu einem
enormen Wirtschaftsfaktor in einem stark wachsenden Markt mit zweistelligen
29
Zuwachsraten geworden ist. Sieht man sich die serbischen Statistiken an, so kann man
ersehen (laut Angaben des Amtes für Statistik für das Jahr 2007), dass ca. ein Drittel
der serbischen Haushalte über einen Computer verfügt. In Belgrad sind es weit über
die Hälfte und es gibt in Serbien ein großes Gefälle bezüglich der Nutzung von
Computern in Stadt und Land. Hieraus kann geschlussfolgert werden, welche
Potenzen noch auf dem serbischen Markt für die Softwarelokalisierung vorhanden
sind. Die Scheu vor dem Neuen ließe sich sicher mit serbischen
Programmoberflächen viel leichter überwinden als mit englischen, berücksichtigt
man, dass englisch nicht unbedingt flächendeckend und durch alle Altersgruppen
hindurch gesprochen wird.
Voraussetzung für die Softwarelokalisierung ist deren Internationalisierung. Unter
Internationalisierung wird die Entwicklung von Softwareprodukten in Hinblick auf
die leichtere Anpassung an andere Märkte verstanden, d.h. an andere technische
Konventionen, kulturelle Gegebenheiten und Sprachen. Folgendes gehört laut
Freigang/Schmitz (2002) zum Aufgabengebiet eines Softwarelokalisierens:
-
Übersetzen der Benutzeroberfläche einschließlich der Online-Hilfe
-
Übersetzen der dazugehörigen Produktdokumentation
-
Übersetzen der sonstigen Begleitmaterialien (z.B.
Verpackungsaufschriften, Disketten/CD-Etiketten...)
-
Anpassen der im Originaltext gegebenen Kundendienst- bzw.
Kontaktadressen an lokale Adressen sowie der Lizenzbestimmungen an
die juristischen Gegebenheiten des Zielmarktes
-
Anpassen einzelner Formate/Felder der Software an die Gegebenheiten
des Zielsprachraums (Adressfelder, Maßeinheiten, Papierformate)
-
Anpassen der in den Handbüchern abgebildeten Bildschirmmasken an
die lokalisierte Software
Freigang/Schmitz betonen, dass in der Regel der Softwareentwickler ein spezielles
Lokalisierungsunternehmen mit der Durchführung eines Lokalisierungsprojekts
beauftragt, welches dann auch für das Projektmanagement und die Qualitätskontrolle
zuständig ist. Der Markt ist so umfangreich und wächst so schnell, dass ein
dringender Bedarf an Lokalisierungsexperten besteht. Dies ist eine große
Herausforderung und Chance für Übersetzer auch in Serbien, die sich aufgrund
technischen Interesses in diesem Bereich spezialisieren wollen. Dies ist aber
30
gleichzeitig eine Herausforderung an die Ausbildungsstätten, zunächst einmal auf die
Möglichkeit der Softwarelokalisierung hinzuweisen und so evtl. das Interesse der
angehenden Übersetzer für diesen Bereich zu wecken.13
Ein weiterer Bereich des Einsatzes von Dolmetschern und Übersetzern ergibt sich für
Serbien durch die Prozesse der europäischen Integration des Landes mit dem Fernziel
der Mitgliedschaft in der EU.
2.2.4. Dolmetscher und Übersetzer in der Europäischen Union
Der größte Dolmetscherdienst und Übersetzerdienst der Welt arbeitet in der
Europäischen Union. Täglich sind Hunderte von Dolmetschern im Einsatz, täglich
werden Tausende von Seiten übersetzt. Die EU ist eine Gemeinschaft von vielen
Völkern mit einer großen Vielfalt von Sitten, Bräuchen und Sprachen. Zu ihren
Grundregeln gehört, dass sie die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet, und
die Sprachen spielen hierbei natürlich eine entscheidende Rolle. Transparenz, offene
und bürgernahe Entscheidungen sind nur möglich, wenn alle Betroffenen die nötigen
Informationen in einer Sprache erhalten, die sie verstehen können. Mit den neuen
Mitgliedstaaten hat sich die Situation hier drastisch geändert, waren es 1958 nur
Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch, sind es heute viel mehr Amtsund Arbeitssprachen.
Dolmetschen und Übersetzen sind in den Organen der EU in jeder Hinsicht getrennte
Tätigkeiten, die dementsprechend auch in Dolmetscherdiensten einerseits und
Übersetzerdiensten andererseits ausgeübt werden. Wer für die EU dolmetschen oder
übersetzen möchte, muss zunächst in seiner Muttersprache kompetent sein. Er muss
im Team arbeiten können, sollte möglichst breit gefächerte Kenntnisse und Interessen
haben. Weiterhin ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit einer
Regelstudienzeit von mindestens vier Jahren erforderlich und für Dolmetscher eine
Ausbildung oder Erfahrung im Konferenzdolmetschen (Konsekutiv und Simultan).
Berufsanfänger müssen aus mindestens zwei Sprachen dolmetschen können,
erfahrene Kräfte aus mindestens drei. Übersetzer müssen aus mindestens zwei
Amtssprachen in ihre eigene übersetzen können. Im Gerichtshof müssen sie eine
13
Freigang/Schmitz (2002): In: Best/Kalina S.242 - 248
31
Ausbildung als Volljuristen haben. In der EU ist es immer wieder der Fall, dass einige
Sprachen als „Relaissprachen“ fungieren. Dies sind meist Englisch, Französisch und
Deutsch. Dies kommt vor, wenn z.B. gerade kein slowenischer Dolmetscher zur
Verfügung steht, der direkt aus dem Griechischen dolmetscht. Dann dolmetscht der
slowenische Dolmetscher aus der Relaissprache. Dies erfordert gerade beim
Dolmetschen besondere Aufmerksamkeit, damit die Zeitverzögerung nicht allzu groß
ist. Die EU beschäftigt ca. 40% fest angestellte Dolmetscher und 60% freiberufliche.
Eine Ausbildung bei den Organen der EU zum Dolmetscher/Übersetzer ist nicht
möglich, es wird jedoch die Möglichkeit von Praktika geboten, die man bei
entsprechendem Interesse durchaus wahrnehmen kann.14
Ebenso wie die EU verfügen viele größere Wirtschaftsunternehmen und Behörden
sowie internationale und übernationale Organisationen über hierarchisch und
funktional gegliederte Sprachendienste. Auch diese Tätigkeit ist sehr anspruchsvoll.
Am weitesten verbreitet in internationalen Organisationen ist das
Konferenzdolmetschen.
2.2.5. Der Konferenzdolmetscher
Auch hier ist der größte Arbeitgeber für Konferenzdolmetscher die EU. In alle
Gremien: die Kommission, den Ministerrat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss,
den Ausschuss der Regionen u. a. werden vom gemeinsamen Dolmetscher- und
Konferenzdienst der Kommission die entsprechenden Kräfte entsandt. Normalerweise
wird simultan in die Muttersprache gedolmetscht. Bei selteneren Sprachen kann
auch ein Retour in die B-Sprache infrage kommen. Natürlich gibt es auch Sitzungen,
in denen konsekutiv gedolmetscht wird, dies ist v.a. in kleinerem Rahmen der Fall,
z.B. bei Delegationsreisen oder bei Pressekonferenzen. Das Konsekutivdolmetschen
ist weltweit rückläufig und daher seltener als das Simultandolmetschen.
In den Tagungen haben die Redner häufig eine beschränkte Redezeit. Das bedeutet
für den Dolmetscher, dass die vom Redner in schriftlicher Form vorbereiteten Texte,
die der Dolmetscher nicht vorher erhält, meist in sehr hohem Tempo gelesen werden,
was für den Dolmetscher eine enorme Belastung darstellt. Aufgrund dessen, dass die
14
Hoheisel, Reinhard (2002): In: Best/Kalina, S.249 - 259
32
Sitzungen meist auch sehr lange dauern, werden im Idealfall zwei Teams eingesetzt,
die sich dann nach halber Arbeitszeit ablösen.
Neben der EU sind an größeren Organisationen der Europäische Gerichtshof, das
Europäische Patentamt, der Europarat, die Internationale Arbeitsorganisation,
Eurocorps, UNOV – United Nations Office at Vienna und das Eidgenössische
Parlament zu nennen. Man muss jedoch nicht in diesem großen Rahmen bleiben,
wenn es ums Konferenzdolmetschen geht. Auf jeglichen Konferenzen, Sitzungen, ja
sogar Versammlungen, kann bei internationaler Beteiligung ein Engagement zustande
kommen. Schon in der Ausbildung sollte als Ziel angestrebt werden, in Übungen ein
wenig die Spezifik der Situation nachzuempfinden und sich ein wenig an die
Standards (z.B. 7 Minuten Konsekutivdolmetschen in einer Richtung) anzunähern.
2.2.6. Der Gerichtsdolmetscher
Ein sehr interessantes und weites Feld des Dolmetschens ist das
Gerichtsdolmetschen. Das Gerichtsdolmetschen wird üblicherweise als eigene
Dometschart betrachtet, da es sich nach den Umständen bzw. dem Anlass und den
Schwerpunkten der Ausübung der Tätigkeit von anderen Arten des Dolmetschens,
etwa dem Konferenzdolmetschen oder dem sog. Community interpreting, von dem
nachstehend noch die Rede sein wird, unterscheidet.
Gerichtsdolmetscher arbeiten in erster Linie für nationale Gerichte und Behörden
(Polizei) und sind gegebenenfalls be- oder vereidigt. In Serbien können nur serbische
Staatsbürger beeidigt werden, in Deutschland ist dies nicht der Fall. Hier können auch
Ausländer bei Vorliegen eines zur Arbeitsaufnahme berechtigenden Aufenthaltsstatus
vor Gericht beeidigt werde. Im Unterschied zur nationalen Situation werden bei
internationalen Gerichtsbarkeiten immer Konferenzdolmetscher eingesetzt. Aufgrund
der verschiedenen Rechtssysteme und –Kulturen in den verschiedenen Ländern ist
eine allumfassende Charakterisierung des Gerichtsdolmetschers nicht möglich.
Die Situation in Deutschland ist vom Gesetzgeber recht eindeutig geregelt. § 184
GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) bestimmt, dass die Gerichtssprache in
Deutschland Deutsch ist. Das Heranziehen eines Dolmetschers ergibt sich aus dem
Grundrecht der Gleichstellung aller Menschen vor dem Gesetz. So soll erreicht
werden, dass niemand vor Gericht aus sprachlichen Gründen benachteiligt wird.
Jeder, der meint, in einer vor Gericht oder bei der Polizei vorgetragenen Sache nicht
33
über ausreichende Sprachkenntnisse zu verfügen, hat Anspruch auf einen
Dolmetscher, der von der Behörde bestellt wird. Dolmetscher werden gemäß dem
Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG)
entschädigt. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass der Gerichtsdolmetscher in
Deutschland als Sachverständiger gilt. Er ist kein Beweismittel und liefert keinen
Prozessstoff aus eigenem Wissen.
Zur Einhaltung der Grundrechte und zur Erleichterung des allgemeinen
Rechtsverkehrs sind allgemein beeidigte Dolmetscher jedoch nicht nur für Gerichte
tätig. Sie werden darüber hinaus auch von verschiedenen Behörden (Standesamt,
Finanzbehörden) und Notaren hinzugezogen, ebenso von Polizei und
Bundesgrenzschutz.
Einige Bestimmungen zeigen, dass der Gesetzgeber dem Berufsstand noch nicht den
entsprechenden Stellenwert zuerkennt: So kann z.B. auch ein Urkundsbeamter als
Dolmetscher herangezogen oder ein Notar als Übersetzer tätig sein.
Im Land Berlin ist es so, dass man zumindest eine Sprachkundigenprüfung ablegen
muss und mit einem polizeilichen Führungszeugnis dann beeidigt werden kann.
Diese Tätigkeit ist sehr vielfältig und manchmal stößt man hier auch an die Grenzen
der eigenen Belastbarkeit (wenn es z.B. um Dolmetscheinsätze bei erfolgten
Gewaltverbrechten geht). So kann man ruhigen Gewissens auch einen Auftrag
ablehnen, wenn er die eigenen Grenzen überschreitet.
2.2.7. Community interpreting
Ein erst in den letzten Jahrzehnten neu entdecktes Arbeitsfeld für
Dolmetschhandlungen ist CI = Community Interpreting. Der Ausdruck CI
bezeichnet Dolmetschhandlungen für Menschen, welche die Sprache eines Gastlandes
nicht oder nur unzureichend verstehen und meist einer anderen Kultur als der
sprachlichen Mehrheit des Gastlandes angehören. Diese Menschen sind nicht immer
ganz freiwillig in ihrem Gastland. Die Dolmetschsettings umfassen verschiedene
institutionelle und soziale Einrichtungen im Aufnahmeland wie etwa Schulen,
Krankenhäuser, Asylämter, Einwanderungsbehörden und andere Institutionen. Der
Menschenkreis, für den gedolmetscht wird, gehört meist zu der Gruppe der
Flüchtlinge, Asylanten, Migranten oder anderer Minderheiten und Randgruppen. Ein
trauriges Beispiel in nicht allzu ferner Vergangenheit war die große Welle an
34
Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in einer Welle u.a.
nach Deutschland gespült wurden, darunter Menschen unterschiedlicher
Nationalitäten, Bildungsgrades, Alters, Geschlechts, etc. Neben dem
Hochschulabsolventen und Kriegsdienstverweigerer kamen auch Roma, Menschen
aus schwach entwickelten ländlichen Gegenden ebenso wie solche aus Großstädten.
CI wird häufig auch als die „dritte“ Variante des Dolmetschens neben den zwei
etablierten Disziplinen Konferenz- und Gerichtsdolmetschen bezeichnet. In jüngerer
Zeit finden wir hierfür auch deutsche Lehnbezeichnungen wie
Kommunaldolmetschen oder die etwas umständliche Umschreibung für Dolmetscher
im medizinischen, sozialen und juristischen Bereich.
Die Wiege des CI befindet sich in traditionellen Einwanderungsländern wie den USA,
Australien, Kanada, Skandinavien. Dort erkannte man bereits früh die Notwendigkeit,
professionelle Dolmetschdienste für anderssprachige Zuwanderer zu etablieren. Die
prototypische Gesprächssituation im Bereich des CI ist nach Pöllabauer (2002) meist
eine trialogische Face-to-face- Interaktion mit drei primären Aktanten: ein
Dolmetscher vermittelt zwischen der Institution des Gastlandes und dem Klienten.
Kennzeichnend für den CI-Bereich ist meist der Einsatz von nichtqualifizierten
Laiendolmetschern nach dem Prinzip „Bolje išta nego ništa“ - „mehr schlecht als
recht“, in vielen Fällen sogar ad-hoc. Professionelle Dolmetscher und Berufsverbände
blicken oft mit leiser Arroganz auf die Laiendolmetscher herab und deklassieren sie
als Amateure, während sie von den Behördenvertretern oft mit leichtem Widerwillen
stillschweigend hingenommen und eher geduldet werden denn erwünscht sind.
Manchmal werden sogar Kinder zum Dolmetschen herangezogen. Dies ist ein völlig
unvertretbarer Zustand, der auf die Ignoranz der Behörden zurückgeht, die bei
Hinzuziehung professioneller Hilfe auch tarifgerecht bezahlen müssten.
Laiendolmetscher beschränken ihre Rolle auch häufig nicht auf die Funktion als
Dolmetschers, sondern wollen häufig als die Helfer der Schwächeren auftreten,
besonders, wenn sie demselben Kulturkreis wie die Klienten entstammen. Sicher ist
dies meist gut gemeint, es können sich jedoch auch Eigennutz, Egoismus und
Opportunismus hinter solchem Gebaren verbergen.
Die Klienten von Community Interpreters sind meist auch keine Experten,
Diplomaten, Konferenzdelegierte oder Geschäftsleute oder anderweitig für das
Aufnahmeland interessante Menschen. Seitens der Vertreter der Behörden herrschen
dann auch leider oft Vorurteile vor, welche nicht immer abgebaut werden können.
35
Sonst eingefahrene Mechanismen im bürokratischen Alltag müssen erläutert und evtl.
angepasst werden, was sicher nicht immer leicht ist und somit auch für die Vertreter
der Behörden eine Belastungsprobe darstellt. Für das CI ist nach Pöllabauer (2002)
ein starkes Machtgefälle kennzeichnend, einerseits der Klient, der ganz unten an der
sozialen Machtpyramide steht, auf der anderen Seite der Vertreter der Macht, welcher
ganz klar die als selbstverständlich vorausgesetzten Spielregeln festlegt, an die sich
Klienten und Community Interpreter zu halten haben. Dem Dolmetscher müssen
beide kulturellen Normen und Konventionen bekannt sein, damit er eine Brücke
zwischen den Kulturen schlagen kann. An Dolmetschtechniken kommt hier entweder
das Konsekutivdolmetschen oder Flüstersimultandolmetschen in Frage. Pöllabauer
(2002) betont, dass der Community Interpreter außer der sprachlichen Kompetenz
über zusätzliche Kompetenzen verfügen muss: Vertrautheit mit einem breiten
Spektrum an sprachlichen Registern, die Fähigkeit, in emotional belastenden
Situationen zu dolmetschen, der Umgang mit Klienten, die unter großem psychischen
Druck stehen oder traumatisiert sind, das Eingehen auf Rollenkonflikte.
CI ist in Deutschland vielerorts immer noch gekennzeichnet durch einen Mangel an
entsprechenden Ausbildungs- und Akkreditierungsmöglichkeiten, terminologisches
Chaos, schlechte Arbeitsbedingungen, inakzeptable Entlohnung und mangelnde
Anerkennung. Positiver als in Deutschland kann die Situation diesbezüglich in
Österreich bewertet werden, wo in speziellen Dolmetscher-Studiengängen gerade auf
Fragen des CI ganz besonders eingegangen wird.
Entgegen anderslautender Meinungen ist CI nach Pöllabauer (2002) jedoch nicht
weniger schwierig oder anspruchsvoll als Konferenzdolmetschen oder andere Arten
der Translation - CI kann lediglich weniger Prestige für sich beanspruchen.
CI ist in der translationswissenschaftlichen Diskussion vergleichsweise noch nicht
allzu lange vertreten. Das hingegen bedeutet nicht, dass es in Zukunft für uns von
geringerer Bedeutung sein wird. Auch wenn es in Serbien trotz der hohen
Flüchtlingszahl (aus den Bürgerkriegszeiten) keine Rolle spielt - da die Flüchtlinge
und Vertriebenen in Serbien sich in ihrer Muttersprache verständigen können, welche
sie im Prinzip nur zu dieser oder jener Region des Balkan zuordnet – in den Ländern
der EU wird CI zu Zeiten der Globalisierung und der globalen Finanzkrise eine immer
größere Rolle spielen. Von der Gesellschaft marginalisierte Randgruppen in den
Ländern der EU werden auch weiterhin aufgrund von Sprach- und Kulturbarrieren
von der Anteilnahme an wichtigen Bereichen des Lebens im Gastland ausgeschlossen
36
sein. Es werden durch Wirtschaftskrise, Krieg und Unruhen auch in Zukunft viele
Menschen ihre Heimat verlassen und in die Einwanderungsländer, die sich z.T. mit
einer solchen Kategorisierung immer noch schwer tun, einreisen. Deshalb muss und
wird CI auch im 21. Jahrhundert ein Thema in der Translationswissenschaft
bleiben.15
Soweit ein Überblick über das breite Spektrum der Einsatzmöglichkeiten nach einem
translatorisch ausgerichteten Studium bzw. im translatorischen Bereich.
15
Pöllabauer, Sonja(2002): IN: Best/ Kalina, S. 286 - 298
37
3. Übersetzer und ihre Theorien
3.1. Explizite und implizite Übersetzungstheorien
Seit jeher, seitdem übersetzt und gedolmetscht wird, gibt es auch Äußerungen über
das Dolmetschen und Übersetzen, wobei meist das Übersetzen im Zentrum der
Betrachtungen stand. Frühe Äußerungen zur Übersetzungstheorie dienten der
Rechtfertigung der eigenen Arbeit oder erläutern einzelne Übersetzungsprobleme. Die
ältesten erhaltenen Übersetzungen reichen bis ins 3. Jahrtausend vor unserer Zeit
zurück. Jahrtausendelang dominierte neben Texten wissenschaftlichen und
administrativen Charakters die Übersetzung religiöser Literatur.
Die Äußerungen über die Translation an sich, wobei, wie oben bereits angemerkt,
meist das Übersetzen betrachtet wurde, erfolgten auf verschiedene Weise.
1. aphorismenhaft-undifferenzierte, oft metaphorische Äußerungen zum
Übersetzen, die theoretisch meist von beschränktem Aufschlusswert sind,
jedoch den Hinweis auf Übersetzungsprobleme enthalten
2. Äußerungen, Reflexionen zum Übersetzen und ausführliche
Erörterungen der Übersetzungsproblematik von Übersetzern selbst, meist
in direktem Zusammenhang mit der Übersetzertätigkeit entstanden und somit
praxis- bzw. fallbezogen.
Von Bedeutung für die deutsche Translationstheorie sind die grundlegenden und
immer wieder diskutierten Beiträge von Martin Luther und Friedrich
Schleiermacher, von denen im Rahmen des Kapitels zur Geschichte der Translation
noch die Rede sein wird.
Man kann in den Äußerungen zum Dolmetschen und Übersetzen nach Koller (2004)
eine explizite und implizite Übersetzungstheorie unterscheiden.
Unter expliziter Übersetzungstheorie verstehen wir theoretische Äußerungen zu
Übersetzungsmethoden, -prinzipien und –verfahren, die von den Übersetzern selbst
zur Übersetzung vorgenommen werden. Das kann in Form von Vor- oder
Nachworten, Kommentaren, Anmerkungen, Essays geschehen.
Als implizite Übersetzungstheorie bezeichnen wir die Übersetzungsvorentscheidungen
und –prinzipien, die sich aus der Übersetzung selbst bzw. aus dem Vergleich von
Translat und Original ableiten lassen. Es ist Aufgabe der Übersetzungskritik, von der
im Rahmen der literarischen Übersetzung noch einmal die Rede sein wird, die
38
Prinzipien, von denen sich der Übersetzer in seiner Arbeit hat leiten lassen, durch
Vergleich von Original und Translat herauszuarbeiten.
Übersetzungstheorien können danach eingeteilt werden, welches Element des
Translationsprozesses im Mittelpunkt der Betrachtungen steht.
In Anlehnung an Stolze (2005) unterscheiden wir nach diesen Kriterien folgende
Theorien:
A Fokus auf das Sprachsystem
1. Verdeutschende Übersetzung (Luther)
2. Einheit von Sprache und Denken (Humboldt)
3. Verfremdendes Übersetzen (Schleiermacher)
4. Das linguistische Relativitätsprinzip (Sapir/Whorf-Hypothese)
5. Dekonstruktierende Wiederholung (Derrida)
6. Universalientheorie und generative Transformationsgrammatik
(Jakobson)
7. Maschinelles Übersetzen (Waever)
8. Translationslinguistik (Kade, Wilss, Jäger, Neubert)
9. Die Stilistique comparée (Vinay, Darbelnet, Malblanc)
10. Translation rules (Newmark)
B Fokus auf die Texte
11. Bibelübersetzung und Translationswissenschaft (Nida, Taber)
12. Textlinguistik und Translationswissenschaft (Reiß, Koller)
13. Aspektives Übersetzen (Gerzymisch-Arbogast)
14. Literarische Übersetzung (Levý, Popovic)
C Fokus auf Disziplin, Handeln und Übersetzer
15. Feldtheorie (Holmes)
16. Descriptive Translation Studies (Toury)
17. Schicht- und Stratifikationstheorie (Snell-Hornby)
18. Das Scene-and-Frame- Konzept (Vannerem, Snell-Hornby)
19. Skopostheorie (Reiß, Vermeer)
20. Faktoren der Translation (Reiß)
21. Translation als Expertenhandeln (Holz- Mänttäri)
22. Die Pariser Schule (Deverbalisierung) (Seleskovich, Lederer)
39
23. Die Relevanztheorie (Gutt)
24. Übersummativität, Multiperspektivität, Individualität von Texten,
Kategorien und Kreativität (Paepcke, Stolze, Kussmaul)
3.1.1. Sprachbezogene Betrachtungsweise
3.1.1.1. Verdeutschende Übersetzung - Martin Luther
Um ein wenig die Chronologie zu wahren, fangen wir mit der expliziten
Übersetzungstheorie Martin Luthers (1483 – 1546) an. Luther als der deutsche
Bibelübersetzer stand vor dem Dilemma, dass die Bibel einerseits ein unantastbares
Mysterium darstellte, andererseits jedoch in ein für das Volk verständliches Deutsch
übertragen werden musste. So entschied er sich für die freie Formulierung: “rem tene,
verba sequentur“ (Erfasse die Sache, dann folgen die Worte von selbst). In seinem
„Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530) verteidigt er sein Vorgehen mit vielen
Beispielen gegen Kritiker, die ihm eine zu freie Übersetzung vorwarfen. Von Luther
stammt auch die Bezeichnung „Verdeutschen“. Er umreißt sein Übersetzungsprinzip
folgendermaßen:
„Man mus die mutter jhm hause/ die kinder auff der gassen/ den gemeinen mann
auff dem marckt drumb fragen/ und den selbigen auff das maul sehen / wie sie
reden/ und darnach dolmetzschen/ so verstehen sie es den/ und mercken/ das
man Deutsch mit jn redet.“ (Luther: 1530)
Eine solche Auffassung von Übersetzung ist sinngemäß. Das kann man in Bezug auf
Luther und die Zeit, in welcher er lebte und wirkte, natürlich nicht an heutigen
Maßstäben messen. Es war für seine Zeit revolutionär, aber bei wesentlichen
theologischen Inhalten erfolgt seine Übersetzung dennoch Wort für Wort, um Gottes
Wort so genau wie möglich zu erhalten, was aber nicht unbedingt zugunsten der
Verständlichkeit des deutschen Zieltextes geschieht. Er stellt in seinem Sendbrief eine
grundlegende Tatsache dar, welche bis heute aktuell ist, nämlich dass Übersetzen
immer Verständnis zur Voraussetzung hat und auch immer Auslegung, d.h.
Interpretation, bedeutet. Dies erklärt auch, weshalb es von ein und demselben Werk
zu verschiedenen Zeiten durchaus unterschiedliche Übersetzungen geben kann. Die
40
Bibel, mit deren deutscher Übertragung Luther in die Annalen der Geschichte
eingegangen ist, stellt ein Paradebeispiel dafür dar.
Bis ins 19. Jahrhundert wurde im Prinzip auch nur das Übersetzen der Heiligen
Schrift und literarischer Kunstwerke als anspruchsvolle Tätigkeit angesehen, die eine
theoretische Erörterung überhaupt lohnt. Die Translation alltäglicher Texte wurde als
zu banal betrachtet, als dass man darüber auch noch sprechen sollte. In Äußerungen
über das Übersetzen wird meist als Hauptprämisse die Treue zum Original gesetzt.
Wir würden mit dem heutigen Begriffssystem von AT-orientierter Translation
sprechen.
3.1.1.2. Einheit von Sprache und Denken - Wilhelm von Humboldt
Wegweisend für die Einheit von Sprache und Denken war Wilhelm von Humboldt
(1767 – 1835), der in der Einleitung zu seiner Übersetzung von Aschylos
Agamemnon (1816) feststellt, dass ein solches Werk aufgrund seiner Eigenheiten im
Prinzip unübersetzbar sei. Humboldt sieht das Denken in Abhängigkeit von der
Muttersprache: „Die Sprache ist gleichsam die äußere Erscheinung des Geistes der
Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache, man kann sich beide
nicht identisch genug denken“.16 Will man sich eine Sprache aneignen und in eine
Kultur hineinwachsen, so bedeutet dies dann auch, die damit in Zusammenhang
stehenden Wirklichkeitsauffassungen und die Sprache, in der diese Kultur ansässig
ist, zu übernehmen. Humboldt sagt: „ Alles Übersetzen scheint mir schlechterdings
ein Versuch zur Auflösung einer unmöglichen Aufgabe. Denn jeder Übersetzer muss
immer an einer der beiden Klippen scheitern, sich entweder auf Kostens des
Geschmacks und der Sprache seiner Nation zu genau an sein Original oder auf
Kosten seines Originals zu sehr an die Eigentümlichkeiten seiner Nation zu halten.
Das Mittel hierzwischen ist nicht bloß schwer, sondern geradezu unmöglich.“17
3.1.1.3. Verfremdende Übersetzung - Friedrich Schleiermacher
16
W.v. Humboldt: Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die
geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. Hrg. V. H. Nette. Darmstadt, 1949, S.60
17
in: Koller, W. (1992): Einführung in die Übersetzungswissenschaft, 4. völlig neu bearbeitete
Auflage. Heidelberg/Wiesbaden: Quelle &Meyer (UTB819), S. 159
41
Der wohl bis heute bedeutendste theoretische Beitrag zum Übersetzen im 19.
Jahrhundert stammt von Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher (1768 – 1834). In
seiner Abhandlung: „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ von
1813 stellt er die Prinzipien dar, nach welchen er seine Platon-Übersetzung
vorgenommen hat. Laut Koller (1992) hebt er drei Unterscheidungen ab:
1. Er unterscheidet Texte, in denen einfaches Berichten über einen
Sachverhalt im Vordergrund steht, wie beispielsweise im Wirtschaftsleben, in
Zeitungsartikeln, in Reiseberichten, von solchen Texten, in denen man „des
Verfassers eigenthümliche Art“ ersehen könne, wie z.B. in
wissenschaftlichen Texten einerseits und künstlerischen andererseits. Bei
ersteren komme es in der „Übertragung auf bloßes Dolmetschen“ an und es
könne im Grunde nicht viel falsch gemacht werden. „Deshalb ist das
Übertragen auf diesem Gebiet fast nur ein mechanisches Geschäft, welches bei
mäßiger Kenntnis beider Sprachen jeder verrichten kann“.18 Das Übertragen
von Kunstwerken sei jedoch viel schwieriger und allein einer theoretischen
Betrachtung wert.
2. Die Gründe für die Zweiteilung der Textvorkommen liegen nach
Schleiermacher in verschiedenartigen Wörtern. Er unterscheidet zwischen
Ausdrücken, die sich in verschiedenen Sprachen genau entsprechen, da sie
sich auf genau eingrenzbare Gegenstände und Sachverhalte beziehen, und
anderen Wörtern, welche Begriffe, Gefühle, Einstellungen erfassen und sich
im Lauf der Geschichte verändern. In solchen Wörtern äußert sich der Geist
der Sprache und das Denken des Einzelnen.
3. In Bezug auf künstlerisch anspruchsvolles Übersetzen unterscheidet
Schleiermacher zwei Methoden:
-
bei der ersten Methode werde versucht, eine Übersetzung so zu gestalten, dass
sie wie ein Original wirkt und den Autor zu den Lesern hinbewegt. Ein
solches Vorhaben erweise sich aber angesichts der Einheit von Denken und
Reden in der Muttersprache als unmöglich.
-
Bei der anderen Methode des Verfremdens herrscht dagegen eine Haltung,
wo der Leser zum Autor hin bewegt wird. Nur so sei die treue Wiedergabe des
Originals in der Zielsprache gewährleistet.
18
Störig (1969): 38 - 79
42
Diese beiden Methoden lassen sich nach unserem heutigen Verständnis wieder so
formulieren: 1. AT-orientierte Transaltion und 2. ZT-orientierte Translation (mit
anderen Worten, auch in diesen Betrachtungen geht es um dieses Grundproblem
der Translation, das immer wieder die Gemüter erhitzt).
Durch verschiedene Sprachen entstehen verschiedene Weltansichten, ja aus dem
Blickwinkel des Einzelnen sogar unterschiedliche Wirklichkeiten. Stellvertretend für
eine solche Sprachauffassung ist neben Humboldt und Schleiermacher auch Leo
Weisgerber (1899 – 1985). Hier wird jede Sprache als ein relativ abgeschlossenes
System betrachtet, das zu einem anderen in Beziehung gestellt werden kann, wobei
sich nicht für jedes Wort in jeder Sprache ein genaues Äquivalent finden lässt.
3.1.1.4. Linguistisches Relativitätsprinzip - Benjamin Lee Whorf
Während Humboldt im Prinzip das Übersetzen aus sprachphilosophischen Gründen
für unmöglich hielt, sehen andere, nach dem linguistischen Relativitätsprinzip
(Benjamin Lee Whorf, 1956) Folgendes: „Menschen, die Sprachen mit sehr
verschiedenen Grammatiken benützen, werden durch diese Grammatiken zu typisch
verschiedenen Beobachtungen und verschiedenen Bewertungen äußerlich ähnlicher
Beobachtungen geführt. Sie sind daher als Beobachter einander nicht äquivalent,
sondern gelangen zu irgendwie verschiedenen Ansichten von der Welt..“19 Demnach
könnten fremde Texte immer nur annähernd übertragen werden.
Die Auffassung des Verfremdens im Übersetzen findet sich auch bei Walter
Benjamin (1892 – 1940), der sich in dem Aufsatz “Die Aufgabe des Übersetzers“
1923 als Dichter zur Übersetzung literarischer Kunstwerke geäußert hat. Er betont die
Selbstgeltung des Kunstwerks, unabhängig von dessen Rezeption: „Denn kein
Gedicht gilt dem Leser, kein Bild dem Beschauer, keine Symphonie der
Hörerschaft“20. Ihm kommt es darauf an, den Ausdruck des Originals, sein „Wie“ in
der Zielsprache nachzubilden, es geht also um formbetontes Übersetzen. Benjamins
Übersetzungstheorie hat vor allem im englischsprachigen Ausland bis heute stark
nachgewirkt. Aufgrund der starken formbetonten Orientierung wird Übersetzbarkeit
19
Benjamin Lee Whorf (1956): Language, Thought an Reality. Cambridge, Mass.- Dt. Von Peter
Krauser (1963): Sprache – Denken – Wirklichkeit, Hamburg, S. 20
20
Störig 1969: 155 -169
43
an sich in Frage gestellt, da keine Zielsprache, nicht einmal verwandte Sprachen, über
entsprechende Formmittel zum Ausdruck einer sprachlichen Erscheinung verfügen.
3.1.1.5. Die dekonstruierende Wiederholung - Derrida
Eine weitere, von der postmodernistischen Literaturtheorie und Philosophie geprägte
Auffassung zur Übersetzung beinhaltet, dass in der schriftlichen Sprache, im
Gegensatz zur mündlichen, immer eine Mehrdeutigkeit der Texte vorliegt, so dass sie
in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich gelesenen werden können. Die
Schrift bringe so den Zerfall der semantischen Identität des Zeichens mit sich. Diese
dekonstruierende Wiederholung wird auch als Iterabilität bezeichnet und hat die
Unübersetzbarkeit von Teilen von Texten zur Folge. Vertreter dieser Auffassung sind
Jaques Derrida (1967) und Paul de Man.
Zusammenfassend zu den relativistischen Übersetzungstheorien lässt sich feststellen,
dass hier häufig eher die Unübersetzbarkeit festgestellt wird, als dass eine Methode
zur Translation vorgeschlagen wird.
3.1.1.6. Universalientheorie und Generative Transformationsgrammatik - Jakobson
Anders gestalten sich die Betrachtungen, wenn man Sprache nicht als das Weltbild
muttersprachlich determinierende Kraft betrachtet, sondern als
Kommunikationsinstrument zum Ausdruck von Gedanken, d.h. also das Primat auf
den Inhalt setzt und nicht auf die Form. Die Universalientheorie 21 und die Generative
Transformationsgrammatik vermittelten wichtige Impulse für die
Übersetzungstheorie. Im Gegensatz zur von der Sprachinhaltsforschung festgestellten
Unübersetzbarkeit deutet sich hier eine prinzipielle Übersetzbarkeit an. Roman
Jakobson (1959) unterschiedet drei Arten der Übersetzung:
1. Intralinguale Übersetzung oder Umbenennung (rewording) ist eine
Interpretation sprachlicher Zeichen mit Hilfe anderer Zeichen derselben
Sprache (z.B. Soda – älterer Ausdruck, heute: Backpulver)
21
Universalienforschung: Erforschung und Beschreibung derjenigen Eigenschaften, die allen
natürlichen Sprachen gemeinsam sind
[Lexikon Sprache: Universalienforschung, S. 1. Digitale Bibliothek Band 34: Metzler Lexikon
Sprache, S. 10329 (vgl. MLSpr, S. 761) (c) J.B. Metzler Verlag]
44
2. Interlinguale Übersetzung (oder die eigentliche Übersetzung (translation
porper)) ist die Interpretation sprachlicher Zeichen mit Hilfe einer anderen
Sprache
3. Intersemiotische Übersetzung oder Transmutation (transmutation) ist die
Interpretation sprachlicher Zeichen mit Hilfe von Zeichen nichtsprachlicher
Zeichensysteme, Piktogrammen, Verkehrsschildern etc.
Schematisch ließe sich die Übersetzbarkeit, also die Möglichkeit des
Übersetzungsvorgangs wie folgt darstellen:
Sx  Dx/Zx

 Dy/Zy  Sy
t.c. (tertium comparationis)

Da sich das in Sprache x durch sprachliche Zeichen Dargestellte auf dasselbe t.c.
bezieht, ist also auch eine Übersetzbarkeit in Sprache y gewährleistet.
3.1.1.7. Die maschinelle Übersetzung - Weaver
Es gab in der jüngeren Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein immer wieder
Bestrebungen, Übersetzen nur als linguistisches Problem fassen zu wollen. Initiator
dieser Bestrebungen ist die Forschung zur Maschinellen Übersetzung (MÜ). Deren
offiziellen Auftakt kann man auf das Jahr 1948 datieren, als Warren Weaver in
einem berühmt gewordenen Briefwechsel mit Norbert Wiener seine
informationstheoretisch inspirierte Konzeption der MÜ vorlegt. Grundannahme ist
die, dass jede Sprache eine Art Geheimcode sei, den ein guter Computer „knacken“
könne.
Die Maschinelle Übersetzung ist jedoch ein Problem, das in der Gegenwart immer
noch nicht gelöst ist, nicht einmal für lexikalisch relativ überschaubare technische
Übersetzungen, ganz zu schweigen von komplizierteren Sachverhalten. Beim
Übersetzen spielen viel mehr Faktoren mit als der bloße Ersatz sprachliches Zeichen
./. sprachliches Zeichen.
3.1.1.8. Translationslinguistik (Kade, Wilss, Jäger, Neubert)
45
Als einer der ersten Vertreter einer linguistisch orientierten Übersetzungswissenschaft
im deutschen Sprachraum wird häufig Rudolf Jumpelt genannt (1961) , der die
Übersetzung als „Gegenstand der Sprachwissenschaft“ sieht. Seines Erachtens ist die
Textgattung der Hauptfaktor, welcher die Kriterien (d.h. Übersetzungsprinzipien und
– verfahren) bestimmt. Er unterscheidet verschiedene Übersetzungsgattungen, in
Abhängigkeit wovon dann auch die Übersetzungstheorie gesehen werden muss:
1. die künstlerisch-ästhetische Übersetzung
2. die religiöse Übersetzung
3. die pragmatische Übersetzung (Texte der Natur- und angewandten
Wissenschaften, Sozialwissenschaften, Presse Werbung etc.)
4. die ethnographische Übersetzung
5. die sprachwissenschaftliche Übersetzung
6. die geisteswissenschaftliche Übersetzung
Seiner Meinung nach werden die Übersetzungsprozeduren der Modulation und
Transposition in Abhängigkeit von den Gattungen unterschiedlich eingesetzt.
In der englischen Literatur, z.B. hauptsächlich bei Newmark, finden wir eher
Übersetzungsregeln unter der Bezeichnung Übersetzungsprozeduren (translation
procedures), also nicht deskriptiv wie Übersetzungstheorie, sondern präskriptiv, also
eher translation rules. Er stellt dann auch selbst einen Katalog mit 33 Regeln auf, die
insbesondere in der Lehre zur Anwendung kommen sollen. Unter translation theory
versteht Newmark dann auch eher eine anwendungsorientierte Beschreibung
praktischer Probleme.
Der Versuch, die Vorgänge bei der Translation nur linguistisch zu beschreiben, wird
auch als Translationslinguistik bezeichnet. Verantwortlich hierfür zeichnen die
Vertreter der „Leipziger Schule“ Otto Kade, Albrecht Neubert, Gert Jäger, Gert
Wotjak u.a.). Kade führt dann 1980 auch noch einen
kommunikationswissenschaftlichen Ansatz in seine Untersuchungen ein. Aus der
Kommunikationswissenschaft wurde der Terminus Kode /Kodewechsel
übernommen, indem man die Übermittlung einer Nachricht von einem Sender an
einen Empfänger wie folgt darstellt:
Enkodierung
Dekodierung
S ----------------------------------------N ----------------------------------E
46
Somit stellt dann das Übersetzen einen Sonderfall der Kommunikation dar:
zwischen Sender und Empfänger muss der Übersetzer (oder der Computer) treten,
weil ja der Empfänger des Textes nicht über den gleichen Kode wie der Sender
verfügt. Gesondert dazu im Kapitel zu den Übersetzungsmodellen.
Auch Wilss basiert seine Untersuchungen zur Translation auf
kommunikationswissenschaftlicher Grundlage. Er sieht es als Ziel der angewandten
Übersetzungswissenschaft an, durch die Beschreibung der Transferbedingungen eine
vielfach verwendete Transfermethodik zu entwickeln, die als
„Übersetzungsfertigkeit“ (Wilss, 1992) auch didaktisch gebildet werden sollte. Als
Ausgangspunkt hierfür sieht er bestimmte „Denkschemata“ an, als Bausteine der
kognitiven Weltpräsentation im Gedächtnis gespeichert.
Als Beispiel nennt er die mechanische Wortbildung mit dem Suffix – isation:
Africanisation(frz.) africanization (engl.) Afrikanisierung (dt.)afrikanizacija (srb.);
Decentralization (frz.) decentralization (engl.) Dezentralisierung (dt.)
decentralizacija (srb.)
Solche Übergangswahrscheinlichkeiten, also Übersetzungsprozeduren, die
erwartbarer sind als andere, entwickeln sich zu einem “Multioptionstyp”, den man in
allen möglichen Situationen einsetzen kann. Diese Fertigkeit des Einsatzes von
Schemata wäre dann auch didaktisch vermittel- und bewertbar. Bei den
übersetzungstheoretischen Betrachtungen zur Übersetzung als interlingualer Transfer
kommt jedoch die Beispielsdiskussion ein wenig zu kurz.
3.1.1.9. Die Stilistique comparée (Vinay, Darbelnet, Malblanc)
Die Vertreter der Stylistique comparée nehmen eine systematische Beschreibung von
Übersetzungsverfahren aufgrund des Vergleichs der Oberflächenstruktur von
Sprachen vor. Auf der Grundlage umfangreicher Beispieldiskussionen anhand
vorliegender Übersetzungen oder konstruierter Beispiele zu jeweils zwei
Sprachenpaaren (z.B. Vinay/Darbelnet 1958 zu Englisch-Französisch, Malblanc
1968 zu Deutsch- Französisch) schlussfolgern sie, dass übersetzte sprachliche
Einheiten in den genannten Sprachenpaaren immer in fünf, evtl. auch miteinander
kombinierten, Formen auftreten:
47
1. Direktentlehnung (small- talk, Meeting...). Sie erhalten im weiteren Verlauf
der Einbürgerung durch orthographische und lautliche Angleichung an
zielsprachliche Schreibmuster den Status von Lehnwörtern (escalation –
Eskalation)
2. Lehnübersetzungen, d.h. die von der zielsprachlichen Sprachgemeinschaft
geduldete lineare Einsetzung morphologisch analysierbarer
ausgangssprachlicher Syntagmen (vorwiegend SubstantivZusammensetzungen), z.B. market research – Marktforschung, birth control –
Geburtenkontrolle
3. Wörtliche Transferprozedur, d.h. die Ersetzung von ausgangssprachlichen
syntaktischen Strukturen durch formell entsprechende, inhaltlich sinngleiche
syntaktische Strukturen in der Zielsprache: He had stolen the money – Er hat
das Geld gestohlen.
4. Transposition (Wortartenwechsel), d.h. der Inhalt eines sprachlichen
Zeichens der AS wird bei Übertragungen sinngetreu auf sprachliche Zeichen
einer anderen Wortart in der ZS übertragen: His face was red with shame –
Ihm stand die Schamröte im Gesicht.
5. Modulation (Inhaltliche Perspektivenverschiebungen) - bewirken
unterschiedliche semantische Abstände zwischen dem AS- und ZSTextsegment (z.B. entspricht dem Deutschen „Guten Appetit“ im arabischen
Kulturraum: „Möge Gott Dich sättigen“ im Serbischen: „Prijatno“ - wörtlich
dt.; angenehm)
Diese sprachenpaarbezogene Übersetzungswissenschaft ist laut Stolze (2005)
mikrostilistisch orientiert und steht dem Sprachvergleich und der kontrastiven
Grammatik sehr nahe. Sie klassifiziert deskriptiv das Verhalten des Übersetzers und
verwendet die gewonnenen Kategorien dann präskriptiv für die Übersetzungsdidaktik.
Daher wird hier von einer Technik des Übersetzens anhand des Vergleichs von
Oberflächenstrukturen auf der Textebenen gesprochen, im Sinne erlernbarer
Prozeduren zur Herstellung einer inhaltlich genauen Übersetzung. Die
Strukturunterschiede im Sprachenpaar sowie die Interferenzproblematik können damit
48
sehr gut herausgearbeitet werden, und in der Übersetzerpraxis stellen sie oft auch das
Hauptproblem dar.22
Soviel zu den Übersetzungstheorien, die auf das Sprachsystem fokussiert sind.
3.1.2.
Textbezogene Übersetzungstheorien
Nach den Übersetzungstheorien, welche auf das Sprachsystem fokussiert sind, nun
solche, die primär die Texte in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen. Hier ist
insbesondere die Äquivalenzdiskussion auf Textebene, die textlinguistisch und
pragmatisch basierten Untersuchungen sowie die Sonderstellung der literarischen
Übersetzung hervorzuheben. Einiges soll an dieser Stelle nur erwähnt werden, da es
an anderer Stelle detaillierter behandelt wird, wie vor allem das Problem der
Äquivalenz.
3.1.2.1. Übersetzung der Bibel und Translationswissenschaft
Da als Text die Bibel als erstes Gegenstand der Übersetzung war, bot sich auch an, sie
als erstes übersetzungswissenschaftlich zu untersuchen. So waren dann auch die
Erfahrungen mit der Bibelübersetzung grundlegend für eine systematische
Übersetzungsforschung. Grundanliegen bei der Bibelübersetzung war ja, den Inhalt in
so viele Sprachen wie möglich unverändert zu übersetzen. Um eine wissenschaftliche
Grundlage für eine genaustmögliche Bibelübersetzung zu schaffen, versuchte Nida
1964 (Eugenen A. Nida) in seinem Buch Toward a Science of Translation, das
Übersetzen analytisch zu beschreiben. Gemeinsam mit Charles R. Taber erstellte er in
dem Buch The Theory and Practice of Translation (dt.: Theorie und Praxis des
Übersetzens, 1969), die Arbeitsgrundlage für die Bibelübersetzung. Nida interessiert
sich vor allem für das Funktionieren der Zeichen in der Zielsprache (die
Appellfunktion) und weniger für den Bedeutungsinhalt als solchen. Das Übersetzen
wird sowohl vom Aspekt der sprachlichen Formen heraus als auch unter Einbezug der
Reaktion der Empfänger und der Situation der Übermittlung betrachtet.
22
Stolze, Radegundis (2005): Übersetzungstheorien, S. 19 – 79
49
Als Übersetzungsmethode wird vor dem Hintergrund der Generativen
Transformationsgrammatik ein Verfahren empfohlen, das aus drei Phasen besteht:
einer Analyse, der Übertragung und dem Neuaufbau. Bei Nida entsprechen die
Tiefenstrukturen (kernels) denjenigen Einheiten, die in den unterschiedlichen
Sprachen ähnlich sind.
Es werden mittels intuitiv begründeter Rückführungen von Sätzen aus der
Oberflächenstruktur (A) in Elementarsätzen einfachere Strukturen gebildet (nearkernels), die in einem zweiten Schritt in einfachere zielsprachliche Strukturen
umgesetzt werden, aus denen dann in einem dritten Schritt die Übersetzung (B)
wieder aufgebaut wird. Nida/Taber verwenden folgende Darstellung:
A (Ausgangstext)
B (Endergebnis)
Analyse
Synthese


x  Übertragung  y
1. In der Analysephase bedient sich der Übersetzer der intuitiv umschreibenden
Rückumformung in Elementarsätze zum Zweck der Erhellung des inhärenten
Sinngehalts von Wortverbindungen (Syntagmen). Es geht Nida also um die
Suche nach der inhärenten Bedeutung syntaktischer Fügungen, im Unterschied
zum Vergleich der Syntax in der Stylistique comparée. Bei der Frage der
Wortbedeutung verweist er auf den Kontext, also auf die Kennzeichnung
durch Syntax und Sinnbeziehungen.
2. In der Transferphase sind dann die gewonnenen Elementarsätze in der
Zielsprache so zu bearbeiten, dass die Formulierungen für die anvisierten
Empfänger verständlich sind. Dabei werden viele Anpassungen nötig,
idiomatische Redewendungen gehen u.U. verloren, Bedeutungskomponenten
von Wörtern werden verschoben, oft müssen Erläuterungen in den Text
eingebaut oder dieser mit Fußnoten ergänzt werden.
3. Schließlich sind in der Synthesephase vor allem die stilistischen Unterschiede
und die Sprachebene zu beachten. Die Strukturgrundlage für die Vielfalt des
50
Stils bilden Umformungen, die alle auf einen Elementarsatz zurückgehen, wie
z.B.:
Judas verriet Jesus:
1. Judas verriet Jesus.
2. Jesus wurde von Judas verraten.
3. Judas´ Verrat an Jesus
4. Jesu Verratenwerden durch Judas
5. Der Verrat Jesu durch Judas
6. Der Verrat des Judas an Jesus
7. Das Verratenwerden Jesu durch Judas
8. Es war Judas, der Jesus verriet.
9. Es war Jesus, der von Judas verraten wurde.23
Bei der Frage nach dem Stil ist in diesem „funktionalen Ansatz“ v.a. rhetorisch auf
die Frage nach der Leistung von Stilelementen zu achten.
Stolze (2005) bemerkt, dass mit Nidas Ansatz der Grundstein für die moderne
Translatologie gelegt wurde. Das Problem, das sich hier ergibt, ist, dass man einen
Text nicht nur auf die syntaktischen Strukturen reduzieren kann und deren Beziehung
nicht nur intuitiv beschrieben werden kann. Somit beschränkt sich das Problem der
Äquivalenz, ein zentrales Problem in der Translatologie, auf die Wahrung von
Inhalts- und Wirkungsgleichheit in Bezug auf syntaktische Bedeutungen.
3.1.2.2. Textlinguistik und Translationswissenschaft
In den 70er Jahren wendet sich die Linguistik verstärkt satzübergreifenden Strukturen
zu, es entsteht die Textlinguistik. Und spätestens seit Nidas Untersuchungen zur
Bibelübersetzung wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass beim Übersetzen
nicht Wörter oder Sätze übertragen werden, sondern ganze Texte. Stolze (2005)
bemerkt weiter, dass es also nahe lag, dass sich die Übersetzungstheorien einer
textlinguistischen Perspektive öffneten. Die Textlinguistik fragt nach den
23
Nida/Taber 1969:47
51
Grundbedingungen der Textkonstitution, also den Prinzipien des Textaufbaus und der
Textkohärenz, der Textfunktion und Textwirkung.24
Besondere Resonanz hat die Entwicklung der Textlinguistik bei der Translatologin
Katarina Reiß gefunden. Ihr Grundgedanke ist, dass die Struktur des Textes die
Übersetzung beeinflusst.
Sie definiert nach Stolze (2005) auf Grundlage des Bühlerschen Organon-Modells
(Bezeichnung, Ausdruck, Appell) mit deren drei kommunikativen Zeichenfunktionen
1971 erst einmal drei Texttypen: den inhaltsbetonten, den formbetonten und den
appellbetonten (bei den appellbetonten ist ein Hauptmerkmal die Erzielung
außersprachlicher Effekte). So ergibt sich folgendes Schema der Zuordnung:
FunktionDarstellungAusdruckAppell
der Sprache



Dimensionlogischästhetischdialogisch
der Sprache



Texttypinhaltsbetontformbetontappellbetont
Als vierten Typ fügt sie später den audiomedialen Text hinzu, dessen Kennzeichen
das „Angewiesensein auf außersprachliche (technische) Medien und nichtsprachliche
Ausdrucksformen graphischer, akustischer und optischer Art ist“ (Reiß 1971:49).
Aus diesen Texttypbezeichnungen leitet sie die Textfunktionsbezeichnungen ab:
informativer Typ, expressiver Typ, operativer Typ. Sie geht davon aus, dass man
zunächst den Texttyp ermitteln soll, wobei dieser dann über die Übersetzungsmethode
entscheidet. In der Translation ist laut Reiß oberste Prämisse, die Textfunktion zu
erhalten.
In Abhängigkeit vom Texttyp beschreibt Reiß die Übersetzungsmethode wie folgt:
a) sachgerecht (bei informativen Texten)
b) autorgerecht (bei expressiven Texten)
24
An dieser Stelle sei eine kurze Zwischenbmerkung gestattet: Textlinguistik soll hier unbedingt
abgegrenzt werden von der Textgrammatik. Textgrammatik ist die Fortsetzung der Satzgrammatik auf
Textebene, der Textlinguistik liegt ein ganz anderes Konzept zugrunde, nämlich ein
handlungsorientiertes. Die Textgrammatik versteht den Text als Folge von Sätzen, die Textlinguistik
versteht den Text als Ausdruck von Sprechakten. Die Textlinguistik verfügt über einen anderen
Begriffsapparat als die Textgrammatik, wo dieser mit dem der Satzgrammatik identisch ist.
52
c) appellgerecht (bei operativen Texten)
d) suppletorisch (konkret: medien- oder verbundgerecht) (bei
audiomedialen Texten).25
Eine etwas andere Unterteilung von Texten nimmt Werner Koller (1992) vor. Er
unterscheidet zwei Hauptkategorien von Texten, und zwar Fiktivtexte und Sachtexte,
wobei er davon ausgeht, dass zwischen Fiktiv- und Sachtexten nicht nur graduelle,
sondern qualitative Unterschiede bestehen, worauf wir noch einmal Bezug nehmen
werden, wenn wir vom literarischen Übersetzen sprechen.
Sachtexte untergliedert Koller (1992) in drei Kategorien:
1. Sachtexte, die überwiegend allgemeinsprachlichen Charakter haben und die
primär der nicht-fachlichen Kommunikation dienen (Gebrauchstexte der
verschiedensten Art)
2. Sachtexte, die allgemeinsprachlichen und fachsprachlichen Charakter haben
und die der fachlichen Kommunikation mit und unter Nicht-Fachleuten, zum
Teil auch mit Fachleuten dienen (Beispiel: populärwissenschaftliche Schriften,
Einführungswerke in Fachgebiete) (=Fachtexte im weiteren Sinn)
3. Sachtexte, die spezifisch fachsprachlichen Charakter haben und die der
Kommunikation unter Fachleuten und Spezialisten dienen (Bsp.:
wissenschaftlich-technische Fachliteratur) (= Fachtexte im engeren Sinne)
Die Unterschiede zwischen den Texten werden seiner Meinung nach mittels vier
Kriterien erläutert:
1. Das Kriterium der sozialen Sanktion bzw. der praktischen Folgen besagt, dass
eine Textveränderung in der literarischen Übersetzung für den Leser keine
konkreten lebenspraktischen Folgen hat (auch wenn man sich darüber ärgern
mag), während die bei Sachtexten ganz anders aussieht, z.B. eine im ZT
veränderter Bedienungsanleitung für ein elektrisches Gerät kann durchaus
lebensbedrohlich sein...
2. Das Kriterium der Fiktionalität – bezieht sich auf die künstlerische
Wirklichkeit in diesen Texten: im literarischen Text stehen die dargestellten
25
Stolze 2005:184ff
53
Sachverhalte dem Leser anders gegenüber als etwa in einem Zeitungsbericht
oder in einer wissenschaftlichen Abhandlung
3. Das Kriterium der Ästhetizität – es besagt, dass literarische Texte unter
ästhetischem Aspekt rezipiert werden, und daher Abweichungen von
sprachlich-stilistischen Formen als Stilmittel gelten. Für den Übersetzer ergibt
sich daraus die Notwendigkeit, solche Sprachexperimente nachzuvollziehen.
4. Intralinguistische, soziokulturelle und intertextuelle Bedeutung als viertes
Kriterium bewirken nur einen „Graduellen Unterschied“ zwischen Fiktiv- und
Sachtexten26
Bewusst gibt Koller kaum konkrete Hilfestellungen für den Übersetzer, ist also
deskriptiv und nicht präskriptiv. Seiner Meinung nach sollte sich
„Übersetzungswissenschaft davor hüten, Anweisungen für die Praxis zu formulieren.
Als empirische Wissenschaft sollte sie vielmehr die angewendeten Verfahren, ihre
Funktionen, ihr Vorkommen und quantitative Verteilung in verschiedenen Textsorten,
ausgehend von konkreten Übersetzungsfällen beschreiben“ (Koller 1992:271)
3.1.2.3. Aspektives Übersetzen
Ein durchaus präskriptives Herangehen, also das Gegenstück zu Kollers deskriptivem
Blickwinkel, meint Heidrun Gerzymisch-Arbogast, welche 1994 ein
übersetzungswissenschaftliches Propädeutikum vorlegt. In diesem wird verlangt, dass
sich Übersetzen im Rahmen einer wiederholbaren regelgeleiteten Schrittfolge
vollziehen muss. Wenn übersetzerische Entscheidungen und vor allem die
Bewertungen von Übersetzungen intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden
sollen, dann müssen auch die Äquivalenzforderungen klar und einheitlich definiert
werden. Eine Übersetzung ist nicht gut oder schlecht an sich, sie kann nur als gut oder
schlecht in bezug auf bestimmte Aspekte charakterisiert werden. Es geht also darum,
übersetzerische Entscheidungen zu systematisieren im Spannungsfeld zwischen
verschiedenen Perspektiven hinsichtlich den Text betreffender Entscheidungen, und
zwar aus makrostruktureller und mikrostrukturelle Perspektive, sowie einer solchen,
die zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen vermittelt. Der Übersetzer soll eine
26
Koller (1992): S. 274 ff
54
sog. „Aspektliste“ erarbeiten, die mit ihren Prioritäten dann ein Programm zur
systematischen Gestaltung der Übersetzung darstellt. In makrostruktureller
Perspektive werden folgende Beschreibungsparameter aus einem Textbeispiel
abgeleitet: `Text- und Übersetzungstyp´, ´Textverständnis und Kohärenz`,
´Kulturspezifik`. In mikrostruktureller Perspektive werden, linear von der
Textebene ausgehend, folgende Beschreibungsparameter untersucht: ´kontrastive
Bedeutungsunterschiede´, ´Referenz`, `Hervorhebungsmuster und sprachliche
Progression´, ´Sprachvarietäten´ u.a. Diese Parameter sind in den Texten anhand
einzelner Aspekte aufzeigbar, mit denen dann die Charakteristik des Textes in einer
Matrix dargestellt werden kann. Ein Vergleich der Matrizen für den Ausgangstext und
für die Übersetzung zeigt Überreinstimmungen und Abweichungen mit
mathematischer Genauigkeit auf, so dass dann festgestellt werden kann, in Bezug auf
welche Aspekte die Übersetzung gut oder schlecht realisiert ist.
Dementsprechend soll auch der Übersetzungsprozess selbst auf einem „aspektiven
Lesen“ des Originals beruhen, wobei die ermittelten Aspekte in Form einer
Prioritätenliste gewichtet werden:
a) Aspektra (= einzelproblemorientierte Perspektive), erfasst
auffällige Einzelfälle, z.B. Metaphern, Hervorhebungen,
syntaktische Strukturen im Text, fragt vor dem Hintergrund
ihrer kontrastiven Kompatibilität nach ihrer prinzipiellen
Realisierbarkeit in der ZS und setzt diese unter Berücksichtigung
weiterer Zieltextdeterminanten (Übersetzungszweck, ZS-Norm,
ZS-Texttyp) in einen ZST um
b) Relatra (= musterorientierte Perspektive), erfasst auffällige
summativ analysierbare Muster (z.B. thematische oder isotopische
Muster im Text), fragt wiederum vor dem Hintergrund ihrer
kontrastiven Kompatibilität nach ihrer prinzipiellen
Realisierbarkeit in der ZS und setzt diese unter Berücksichtigung
weiterer Zieltextdeterminanten (Übersetzungszweck, ZS-Norm,
ZS-Texttyp) in einen ZST um
c) Holontra (= holistische (nicht additive, nicht teilbare, ganzheitlich
operierende) Perspektive), es werden ganzheitliche
Gesamtvorstellungen im Text (z.B. kulturspezifische oder
fachwissenschaftliche Gesamtstrukturen) analysiert, fragt vor
55
dem Hintergrund ihrer kontrastiven Kompatibilität nach ihrer
prinzipiellen Realisierbarkeit in der ZS und setzt diese unter
Berücksichtigung weiterer Zieltextdeterminanten
(Übersetzungszweck, ZS-Norm, ZS-Texttyp) in einen ZST um
Nach dieser aufwendigen Lektüre ergeben sich nach Gerzymisch-Arbogast (1998) für
das Übersetzen folgende 5 Schritte:
1. Festhalten der (inhaltlichen und formalen) Auffälligkeiten im Original
und Zuordnung zu den entsprechenden Textstellen im AT =
ERSTLEKTÜRE
2. AUFSTELLEN DER ASPEKTLISTE - es werden aus den zunächst
intuitiv notierten Auffälligkeiten Aspekte entwickelt (s. oben)
3. ASPEKTIVES LESEN – nun wird jede Textstelle unter jedem Aspekt
gelesen und der entsprechende Wert zugeordnet
4. ÜBERSETZUNGSBEZOGENES LESEN - die ermittelten Aspekte
werden in Bezug auf das Übersetzungsziel gewichtet, d.h. es wird eine
Prioritätenliste erstellt, welcher Aspekt in Hinblick auf die Übersetzung
am höchsten zu bewerten ist, welcher an zweiter Stelle kommt, so lange
bis eine vollständige Rangfolge hergestellt ist.
5. ASPEKTIVES ÜBERSETZEN – zu den einzelnen Textstellen werden
Übersetzungsvarianten erstellt, die wiederum nach der erstellten
Prioritätenliste gewertet werden kann. 27
Wegen der komplizierten Darstellung ergibt sich jedoch die Frage, ob eine
wissenschaftliche Aufbereitung dessen, was der Übersetzer und Leser aufgrund seiner
Textkompetenz und intuitiv feststellt, im Übersetzungsprozess wirklich praktikabel
und überhaupt möglich ist, berücksichtigt man vor allem den Zeitdruck, unter dem die
meisten Übersetzungen angefertigt werden.
Dennoch hat die textlinguistische Erweiterung der Übersetzungswissenschaft auf
wertvolle Aspekte der Textkonstitution, Kohärenz und Textgliederung von Textsorten
aufmerksam gemacht, die wissenschaftlich analysierbar sind. Mit ihrer Hilfe können
27
Heidrun Gerzymisch-Arbogast/Klaus Mudersbach (1998): Methoden des wissenschafltichen
Übersetzens. Tübingen
56
übersetzungspraktische Probleme eines Textes hinsichtlich ihres Gewichts im
Ausgangstext präzisiert werden und Charakteristika im kontrastiven Vergleich
aufgedeckt und bewertet werden. Außerdem trägt dieses Herangehen vor allem dem
Rechnung, dass ein Übersetzer niemals ein einfacher Rezipient eines Textes ist. Er
rezipiert diesen zwar auch, nie jedoch unbefangen. Er hat immer seinen
Übersetzungsauftrag im Kopf, um dessen bestmögliche Erledigung er bemüht sein
wird.
Es ist jedoch nicht nur die unterschiedliche Gewichtung innerhalb eines Textes, deren
der Translator Rechnung tragen sollte, es sind auch außersprachliche
Zusammenhänge, welche Berücksichtigung finden sollten. Dies kann mit der Theorie
des aspektiven Übersetzens leider nicht erfasst werden.
Diesen Mangel zu beseitigen galt es in der folgenden Zeit, als unmittelbar mit der
Entwicklung der Sprechakttheorie als Bestandteil der Textlinguistik nun auch
wesentliche Aspekte davon in die Translatologie Eingang fanden. So konnte in den
Übersetzungstheorien auch eine pragmatische Dimension mit eingeschlossen werden.
Viele Autoren untersuchen in ihren Arbeiten den Einfluss von Sprechakten auf die
Übersetzungstheorie und kommen zu dem Schluss, dass dieser größer ist als
angenommen. So ist es ein großer Unterschied, ob man sprecherorientiert informiert,
z.B. in einer Studie oder etwa partnerorientiert-auffordernd eine Bedienungsanleitung
übersetzt (sollte es zumindest sein), sowohl terminologisch als auch formal.
Wie wir an anderer Stelle noch sehen werden, findet auch ein anderer Aspekt der
syntaktischen Forschung Eingang in die Translatologie: die Untersuchung der
funktionalen Satzperspektive. Untersucht wird, inwiefern eine Veränderung der
Trema-Rhema-Gliederung (nach neuesten Erkenntnissen auch des Phemas) im
Ausgangs- und Zieltext zu semantischen Veränderungen führen kann. So stellen
einzelsprachlich unterschiedliche Formen der Betonung sowie rechtsseitig bzw.
linksseitig orientierte Strukturen ein Übersetzungsproblem dar. Hönig/Kussmaul
entwickelten diesbezüglich in ihrer Übersetzungstheorie den Terminus der Strategie
des Übersetzens, was wiederum insbesondere für die Entwicklung einer Theorie des
literarischen Übersetzens von Bedeutung ist.
3.1.2.4. Die Übersetzung literarischer Texte
57
Greiner (2004) berichtet, dass die Übersetzung literarischer Texte sowohl als
Prozess als auch als Produkt in deskriptiven Untersuchungen betrachtet wird .
Literarische Übersetzungen können seiner Meinung nach niemals losgelöst von einem
kulturellen und historischen Rahmen betrachtet werden, aus dem sich verschiedenen
Normen hinsichtlich der Übersetzungstheorie und auch verschiedene Wirkungen
literarischer Übersetzungen in der Zielkultur ableiten lassen. Er weist darauf hin,
dass es seit jeher in Bezug auf das literarische Übersetzen als problematisch gilt zu
ermitteln, was denn eigentlich ein literarisches Werk ausmacht, was die Invariante der
Übersetzung ist und was Spielraum für Interpretationen gibt. So werden meist
Textveränderungen durch den Übersetzer aufgezeigt und beurteilt, oft ohne in
Betracht zu ziehen, dass dem spezifische Interpretationsstrategien, andere
Übersetzernormen oder -traditionen, Verlagsvorgaben etc. zugrunde liegen können.
Literarisches Übersetzen ist immer äußerst subjektiv und intuitiv. Die
Translationwissenschaft wiederum forderte diesbezüglich in der Vergangenheit
immer wieder inhaltliche und formale Äquivalenz (eine sehr problematische und
kontroverse Forderung, wie wir an anderer Stelle noch sehen werden). Es sind vor
allem Probleme der sinnkonstituierenden Funktion der formalen Gestaltung
literarischer Texte, welche für die Forschung interessant sind.
Levý definiert (S.Greiner:2004) die literarischen Merkmale als Elemente eines
semiotischen Systems, in Relation zu anderen Textsegmenten (synchronisch) und zu
anderen Wörtern in Texten der literarischen Tradition (diachronisch). Jedoch kam
man in translationswissenschaftlichen Untersuchungen immer wieder zum Schluss,
dass sich gerade das literarische Übersetzen präziser wissenschaftlicher Untersuchung
immer wieder entzieht, trotz aller diesbezüglichen Versuche. Es erweist sich immer
als stark subjektiv geprägt. So drängt sich dann auch der Gedanke auf, von dem Ideal
einer objektiven Einschätzung Abstand nehmen zu müssen. Verschiedene
Wissenschaftler, u.a. auch Popovic (1975) konstatiert dann auch die Unmöglichkeit
des Erreichens eines voll äquivalenten Textes. Im Kapitel zum literarischen
Übersetzen und der Übersetzungskritik werden wir noch sehen, dass literarische
Übersetzungen nicht nur nach einem Äquivalenzmaßstab beurteilt werden können.28
3.1.3.
28
Disziplin-, Handelns- und übersetzerbezogene Übersetzungstheorien
Stolze, Radegundis: Übersetzungstheorien, S. 87 - 150
58
3.1.3.1. Feldtheorie (Holmes)
Spätestens seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wird das Bedürfnis, dass
sich die Translatologie als eigene Wissenschaft formieren und nicht mehr als
Teilgebiet der Sprachwissenschaft fungieren will, deutlich und eindeutig formuliert.
Es kommt diesbezüglich zu Bestrebungen, die bisherigen theoretischen Kenntnisse zu
systematisieren in ein deskriptives und ein angewandtes Feld (sog. Feldtheorie).
Besonderes Augenmerk wird dabei dem deskriptiven Feld gewidmet. Holmes
(1988)29 bezieht sich auf:
-
eine Theorie des Übersetzungsprozesses, d.h. die Theorie dessen, was
geschieht, wenn jemand übersetzen will
-
eine Theorie des Übersetzungsprodukts, d.h. was den übersetzten Text als
Text kennzeichnet;
-
eine Theorie der Übersetzungsfunktion, d.h. wie die Übersetzung in der
Empfängerkultur wirkt.
Dabei geht es auch um die Beziehung der einzelnen Bereiche untereinander. So
gilt, dass die intendierte Position einer Übersetzung im System einer Zielkultur
(Funktion) deren geeignete Oberflächenrealisation (Produkt) bestimmt, was
wiederum die Übersetzerstrategien (Prozess) regiert (Toury, 1995).
3.1.3.2. Deskriptive Translation Studies - DTS (Toury)
Als Untersuchungsgegenstand der DTS wird die Übersetzung im Rahmen ihres
Kontextes (also der Zielkultur) angesehen, wo sie in ihrer Position als Produkt
eines spezifischen Übersetzungsprozesses untersucht wird. Toury, als einer der
Hauptvertreter der DTS, stellt folgende Grundsätze der DTS vor:
1. Übersetzungen sind ein kulturelles Faktum und werden als geschichtliches
Objekt einer Zielkultur gesehen. Im Extremfall bedeutet dies, dass jeder Text,
der als Übersetzung eines anderen Textes bezeichnet wird, als eine solche zu
gelten hat.
29
Holmes, James (1988): Translated! Papers on Literary Translation and Translation Studies.Amsterdam: Rodopi, S. 67 - 80
59
2. Voraussetzung für eine deskriptive Untersuchung ist eine geeignete
Kontextualisierung, die sich wiederum erst im Laufe der wissenschaftlichen
Untersuchung ergibt. Dabei kann es ein Trugschluss sein zu meinen, man
kenne schon die Subkultur der Übersetzung, wenn man weiß, in welcher
Sprache diese formuliert ist, denn eine 1:1-Beziehung zwischen Sprache und
Kultur kann irreführend sein, zumal das Deutsche, Französische oder
Englische in vielen Ländern mit unterschiedlicher Kultur gesprochen wird.
3. Der Begriff eines „als Übersetzung fungierenden Textes“ (assumed
translation) ist für die DTS zentral.
4. Auch die Übersetzerstrategien bilden in Hinblick auf den
Übersetzungsprozess einen Forschungsgegenstand der DTS.
Die didaktische Frage nach der Richtigkeit der Übersetzung bleibt außerhalb der
Perspektive der DTS. Dies gehört im Rahmen der Feldtheorie zu den angewandten
Forschungsrichtungen.
Die Konzeption der Übersetzungsforschung als Feldtheorie deutet an, dass die
Übersetzungswissenschaft dann als eingeständige Disziplin Gestalt gewinnt, wenn sie
mehrere Teiltheorien in sich vereinigt, mit welchen das komplexe Gesamtphänomen
des Übersetzens differenziert beschrieben werden kann. D.h., dass die
Übersetzungstheorie auch im Sinne einer interdisziplinären Integration verschiedener
Methoden Profil gewinnen kann. Hier kommen erneut verschiedene
sprachwissenschaftliche Ansätze fürs Übersetzen zur Sprache.
3.1.3.3. Schicht- und Stratifikationstheorie (Snell-Hornby)
An die Vorstellungen eines Forschungsfeldes anknüpfend plädiert Mary SnellHornby (1988) in ihrem übersetzungstheoretischen Entwurf für ein Aufweichen
festgefahrener Systematiken in der Übersetzungstheorie, wie Greiner (2004) betont.
Snell-Hornby bemängelt an allen bisherigen Theorien, dass sie mehr oder weniger
stark an starren Kategorisierungen festhalten und somit den fließenden Übergängen
im Sprachlichen nicht Rechnung tragen können.
60
Solche starren Kategorisierungen könnten überwunden werden, indem z.B. gerade für
den Bereich der literarischen Übersetzung Anregungen aus der Literaturwissenschaft
übernommen werden. In diesem Sinne entwirft Snell-Hornby, ausgehend von
Textsorten und „übersetzungsrelevanten Gesichtspunkten“ eine Schicht- oder
Stratifikationstheorie, welche sich dann in einem gleichnamigen Modell der
Translation niederschlägt, das sich ohne scharfe Trennungslinien und mit fließenden
Übergängen von der Makroebene zur Mikroebenen bewegt. (Siehe vorstehende
Abbildung)
Ihre Theorie stellt eine Integration verschiedener linguistischer Theorien dar. Sie
integriert auch die „Scene-and-frame-semantics“ nach Fillmore (1977).
3.1.3.4. Scene- and Frame (Vannerem, Snell- Hornby)
61
Eine scene ist zu verstehen als eine Art „Abbild der Realität“ im Kopf eines
Menschen, frame hingegen als der dafür bereitstehende Ausdruck, laut Greiner
(2004) die sprachliche Kodierung als „Organisationsform für Wissen“, mit dem
Konzept als Bedeutungsinhalt. In der Kommunikation ordnen wir im
Verstehensprozess jeder sprachlichen Form (frame) zunächst auf Grundlage eigenen
Erlebens und Erfahrens eine Situation zu, die für uns persönlich von Bedeutung ist
(scene). Scenes und frames aktivieren einander wechselseitig und in unterschiedlicher
Komplexität, das heißt, eine bestimmte sprachliche Form ruft Assoziationen hervor,
diese wiederum aktivieren andere Formen bzw. erwecken weitere Assoziationen.
Stolze (2005) stellt fest, dass zu einem frame Lexeme gehören, die auf eine
prototypische komplexe Situation oder scene Bezug nehmen. Wörter wie studieren,
Student, Studentin, Universität, Stipendium, Hörsaal, Bibliothek, Buch, Mitschrift,
Prüfung Vorlesung, Seminar, Übung, interessant, langweilig z.B. heben jeweils
einen Aspekt einer bestimmten Situation dieses Ereignisses hervor. Ein Sprecher kann
laut Greiner (2004) normalerweise innerhalb desselben Kulturkreises davon ausgehen,
dass sein Hörer mit der Kenntnis eines Wortes auch das konventionelle Wissen über
die gesamte komplexe Situation verbindet; diese muss nicht in allen Einzelheiten
beschrieben werden. Greiner betont weiter, dass es genüge, im Text eine Komponente
zu aktualisieren und dem Hörer die Aktivierung anderer, im frame vorhandener,
spezifischer Komponenten zu überlassen (sicher werden die Erwartungen und
Erfahrungen eines jeden Belgrad-Touristen unterschiedlich sein; ebenso wie die
Vorstellungen von jemandem, der noch nie in diesem Teil Eurpoas war, im Vergleich
zu denen derer, die oft nach Belgrad reisen oder sogar hier leben.) Hier wird
Hintergrundwissen als Informationseinheit in Form von globalen Mustern oder
Schemata angesprochen. Aus dieser scene-and-frame-Semantik nun leiten
Vannerem/Snell-Hornby ein Konzept für die Übersetzungstheorie ab. Die
Anwendung des Scene-and-frames-Ansatzes auf die Übersetzung sieht den Übersetzer
als kreativen Empfänger, der zum einen die vom Text-frame gelieferte Information
verarbeitet, zum anderen sein eigenes prototypisches Weltwissen einbringt, um seine
eigene Szene hinter dem Text zu schaffen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, so
Greiner (2004) weiter, ein sehr dynamisches Konzept der Übersetzung. Die Szene
hinter dem Text besteht aus x kleinen scenes, die aber keine statische Hierarchie
aufbauen, sondern ein Gewebe aus einer großen Anzahl von sich gegenseitig
beeinflussenden Elementen bilden, in das auch das prototypische Wissen des
62
Übersetzers mit einfließt. Es geht also darum, die scenes-Struktur der Textvorlage zu
erhalten und sich andererseits zu vergewissern, ob die im Sprachbewusstsein von den
scenes aufgerufenen zielsprachlichen frames auch wirklich adäquat sind für die
scenes, die sie in der Übersetzung bei anderen Lesern hervorrufen sollen. Die
Übersetzungsstrategie, so Greiner (2004), läuft darauf hinaus, sich die scenes des
Ausgangstextes vorzustellen, um zielsprachlich ein geeignetes frame zu finden.
Snell-Hornby geht in ihren Überlegungen noch weiter. Sie versucht außerdem, die
Stiltheorie von Geoffrey N. Leech und Michael H. Short (1981) zu integrieren.
Beide gehen von einem breit angelegten Konzept des Stils als einem System der
Auswahl im Sprachgebrauch aus, wobei eine Pluralität semantischer, syntaktischer
und graphisch-phonlogischer Möglichkeiten im Text anzusetzen ist, gekoppelt mit der
Vielfalt der Textfunktionen. Stil kann quantitativ beschrieben werden, indem die
Frequenz bestimmter stilistischer Merkmale bestimmt wird.
Für die übersetzungsrelevante Textanalyse ergibt sich nach Snell-Hornby die
Aufgabe, stilistische Aspekte, z.B. Satzstrukturen, Länge, Frequenz von Adjektiven,
Verwendung bestimmter anderer stilistischer Elemente zu untersuchen, wobei Fragen
der Sprachnorm entscheidend sind.
Wichtig ist die Hinwendung zum Text als Ganzes, was die Bedeutung der einzelnen
Textsegmente relativiert.
Translation ist aber auch (erinnern wir uns an das eingangs Dargestellte) eine
Sondersorte des kommunikativen Handelns, welches natürlich auch immer
kulturspezifisch ist. Daher muss Übersetzen immer auch kultureller Transfer sein.
Diese kulturelle Komponente kann in rein linguistischen Theorien nicht ausreichend
berücksichtigt werden, dazu ist die Entwicklung einer Handlungstheorie nützlich.
3.1.3.5. Skopostheorie (Reiß/Vermeer)
Dies beabsichtigte Hans J. Vermeer (1978) mit der Entwicklung seiner Theorie.
Zunächst werden Übersetzen und Dolmetschen unter dem Oberbegriff der Translation
zusammengefasst (von Otto Kade 1968 geprägt). Die funktionale
Translationstheorie wird im Wesentlichen vorgestellt in dem Buch „Grundlegung
einer allgemeinen Translationstheorie“ Reiß/Vermeer 1984. Diese
Translationstheorie stellt einen deutlichen Abgrenzungsversuch von der traditionellen
linguistischen Übersetzungswissenschaft und die Formulierung eines neuen Ansatzes
63
dar. Begriffe werden geändert und es wird versucht, weitgehend integrativ zu
arbeiten.
Greiner (2004) stellt fest, dass die Bedeutung der Handlungstheorie für die
Translationstheorie noch einen weiteren Effekt hat. Texte werden zu einem
bestimmten Zweck und für jemanden produziert, sie sind „Handlungen“. Durch eine
solche Handlung tritt man mit anderen in Interaktion, in Kommunikation. Translation
ist eine Sondersorte interaktionalen Handelns. Daher gilt das Postulat: Die Dominante
aller Translation ist deren Zweck. Die Ausdrücke „Zweck“, „Ziel“, „Funktion“,
„Skopos“ werden synonym verwendet. In diesem Sinne heißt die funktionale
Translationstheorie Skopostheorie.
Wenn man davon ausgeht, dass der Skopos alles regiert, dann ist es wichtiger, dass
man mit dem ZT einen gegebenen Translationszweck erreicht, als dass die Translation
auf eine bestimmte Art und Weise erfolgt. Dabei ist es durchaus möglich, dass der
Skopos eines Translats von dem des Ausgangstextes abweichen kann, wir sprechen
dann von einer Funktionsänderung. Schließlich sollte ein Translat auch Ähnlichkeit
mit dem Ausgangstext aufweisen. Wir bezeichnen dies als intertextuelle Kohärenz.
Die Zusammenfassung der allgemeinen Translationstheorie sieht formelhaft laut
Vermeer dann so aus:
1. Ein Translat ist skoposbedingt. Trl. = f (Sk)
2. Ein Translat ist ein Informationsangebot in einer Zielkultur und –
sprache über ein Informationsangebot in einer Ausgangskultur und –
Sprache. Trl. = IAz (Iaa)
3. Ein Translat bildet ein Informationsangebot nichtumkehrbar eindeutig
ab. Trl.  IAz x IAa
4. Ein Translat muss in sich kohärent sein. N trl. k Sit r
5. Ein Translat muss mit dem Ausgangstext kohärent sein
N trl.
Pe
Fid
N trl.
Fid
N rd
R ipr
6. Die angegebenen Regeln sind untereinander in der angegebenen
Reihenfolge hierarchisch geordnet, verkettet.
64
Laut Greiner (2004) hat die funktionale Translationstheorie unter den Vertretern der
Praxis großen Anklang gefunden. So sind viele beispielorientierte Einzelstudien
entstanden. Bei anderen Translationswissenschaftlern hingegen stieß die
Skopostheorie jedoch auf Widerspruch. Das kann man so erklären, dass mit ihr
gewissermaßen das im Laufe der Geschichte meist „heilig“ gesprochene Original
„entthront“ wurde. Dagegen meldeten all jene Protest an, für die eine Bearbeitung,
eine zweckbestimmte Umformulierung, eine kulturelle Adaption, eine Erläuterung
von Textinhalten etc. keine Übersetzung mehr ist.
Didaktisch versucht Christiane Nord (1991) die Skopostheorie auf Texte
anzuwenden. Sie weist auf die Loyalitätsverpflichtung des Translators gegenüber den
Zieltextempfängern und dem Ausgangsautor hin. Diese Sicht stellt eine gewisse
Einschränkung der Skopostheorie dar, für die ja grundsätzlich jeder Skopos möglich
wäre, der sich in der Zielkultur verwirklichen lässt. Eine andere, vom Dolmetschen
ausgehende und ganz auf dem Verstehen basierte Theorie des Übersetzens entwickelt
die Pariser Schule.
3.1.3.6. Pariser Schule (Deverbalisierung) (Seleskovich, Lederer)
Nachdem die verschiedenen Faktoren des Übersetzungsprozesses analysiert wurden,
trat die Rolle des Translators verstärkt in den Mittelpunkt. Die am Pariser Institut für
Dolmetscher und Übersetzer (E.S.I.T.) von Danica Seleskovich begründete und von
Marianne Lederer weitergeführte Lehrrichtung hat in diesem Sinn entscheidende
Impulse verliehen. Sie grenzt sich ab vom Transkodieren und von der Stylistique
comparée und meint, dass die Translation als eine natürliche Wiedergabe des vom
Autor gemeinten Sinns definiert werden müsse. Dies beruht höchstwahrscheinlich
darauf, dass verstärkt das Dolmetschen in den Mittelpunkt der Untersuchungen rückt,
wo für den Translator der Rückgriff auf den Originaltext weitgehend unmöglich ist.
Jeder Text besteht aus einem Minimum expliziter Sprachelemente, hinter denen sich
Implizites verbirgt. Den Sinn übersetzen heißt dieses Implizite übersetzen. Den
sprachlichen Ausdruck als expliziten Teil des Sinns versteht Lederer (1994) als
„Synecdoque“, d.h. als ein Merkmal zur Bezeichnung eines Ganzen, als „pars pro
toto“. Als Sinneinheiten werden Satzteile definiert, die durch den Augenblick des
65
Verstehens begrenzt sind (Seleskovich/Lederer), und sie sind mehr als einzelne
Wörter mit ihrer Bedeutung, stellen aber noch nicht die ganze Kommunikation dar.
Der sprachliche Sinn ergibt sich als kognitive Reaktion aus dem Zusammentreffen der
sprachlichen Form auf der Textebene mit dem schon vorhandenen Wissen des
Lesers/Hörers. Eine linguistische Analyse wird laut Seleskovich/Lederer sogar als
hinderlich angesehen für ein angemessenes Verstehen in „Treue zum Autor“.
Dreh- und Mittelpunkt dieser Theorie ist die „Deverbalisierung“. Der Übersetzer
muss sich vom Wortlaut lösen und den Sinn übertragen, wie dies beim Dolmetschen
einsichtig ist. Der Dolmetscher kann sich ja nicht an eine schriftliche Vorlage halten,
er übersetzt den Sinn. Dies wird durch sein kognitives Gedächtnis ermöglicht: Er
merkt sich nicht Wörter, sondern Sinneinheiten. Diesen Sinn erfasst man nicht in zwei
Etappen (1. Verstehen der Sprache des Textes, 2. Herleiten des Sinnes), sondern
gleichzeitig, gleichzeitig fallen dem Dolmetscher dazu spontan die passenden
sprachlichen Formulierungen ein (was natürlich große sprachliche Kompetenz
voraussetzt). Wichtig ist die Trennung von Verstehen und Sprachform. Es kommt
nicht auf die einzelnen Wörter an, sondern auf das, was der Redner gemeint hat.
Immer wieder wird auf die Unterscheidung von langue und parole hingewiesen, denn
die Übersetzungen erfolgen ja nicht auf der Ebenen des Sprachsystems, sondern der
Rede.
Der Translationsprozess, der beim Dolmetschen quasi automatisch, eben simultan und
damit im Sinnerfassen und Wiedergeben spontan abläuft, wird nun auf das
schriftliche, also das Übersetzen überragen. Auch der Übersetzer darf sich nicht von
einzelnen Textstrukturen binden lassen, sonst verliert er den Gedankenfluss. Der
Ausdruck sollte spontan aus dem Gedanken fließen, sonst wird dieser nicht wirklich
in seiner Tiefe wiedergegeben, sondern statt dessen „wortgetreu“ irgend etwas
ausgesagt. Der Übersetzer soll sich überlegen, wie ein bestimmter Gedanke in der
Zielsprache normalerweise ausgedrückt wird, betont wird also der Sinn der Mitteilung
in natürlicher Ausdrucksweise. Die in den Sprachzeichen wirksamen Merkmale sind
von Sprache zu Sprache verschieden. Dieser mangelnde Isomorphismus von
expliziter „Synecdoque“ und impliziten Referenten stellt die Problematik der
Übersetzung dar.
Eine unnatürliche, fremdartige Formulierung würde nicht nur
Verständlichkeitsprobleme schaffen, sondern auch den Gedanken als solchen
verfälschen.
66
Die Deverbalisierung stellt eine ganz andere, vom Dolmetschen beeinflusste Sicht des
Übersetzens dar (Im Unterschied zu den Translation Studies, wo gerade die
Beeinflussung der ZS durch Fremdes aus der AS untersucht wird).
Eine weitere Perspektive des Übersetzens, diesmal nicht die Kommunikations- oder
Handlungstheorie, stellt die Erkenntnistheorie30 dar (Ladmiral, 1988). Dieser
Gedanke kam bisher in den unterschiedlichen Theorien nicht vor. Anlehnend an die
Jahrhunderte alten Dichotomie zwischen „Treue“ und „Freiheit“ unterscheidet
Ladmiral zwischen sourciers, welche vorrangig ausgangssprachlich orientiert sind
und Form und Inhalt des AT erhalten wollen, sowie ciblistes, welche sich an der
Zielsprache ausrichten und dem Geist der Textvorlage nachspüren. Vorrang hat für sie
vor allem Verständlichkeit und leichte Lesbarkeit.
Der Bezugspunkt dieser Alternative ist weiterhin die Sprache, nicht etwa
Außersprachliches. Ladmiral sieht in jener unentrinnbaren Grundalternative ein
Theorem des Übersetzens, wobei er eindeutig für die ciblistes plädiert, denn die
Utopie der Souciers sei im Grunde eine Wiederholung des Ausgangstextes in der
Zielsprache.
Ladmiral übernimmt die Theorie der „Deverbalisierung“ von der Pariser Schule, doch
geht er von philosophischen und literarischen Texten aus. Das Wesentliche sei hier
die durch Worte erschaffene Welt. Auch wenn er in seiner Darstellung vorwiegend
wort- und satzorientiert ist, argumentiert er auf jeden Fall aus dem Blickwinkel des
Übersetzers. Sein zielsprachenzugewandtes Übersetzen trifft sich mit dem der
Funktionalisten, die gleich falls eine strikte Orientierung am AT ablehnen.
3.1.3.7. Relevanztheorie (Gutt)
In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entsteht ein weiterer Ansatz: die
Relevanztheorie. Verantwortlich dafür zeichnet Ernst August Gutt (2000), der
30
Epistemologie:griech. epistnmn (episteme) 'Kenntnis, Wissen'. Auch: Erkenntnistheorie.
Bezeichnung für die philosophische Disziplin, die die Logik des Wissens (und des Glaubens) zu ihrem
Gegenstand hat. Die traditionelle Erkenntnistheorie bestimmt das Wissen einer Person nach drei
Bedingungen: (a) die als Wissen formulierte Aussage muß wahr sein, (b) die Person muß von der
Wahrheit überzeugt sein, (c) sie muß für diese Überzeugung ausreichende und zwingende Gründe
haben.
[Lexikon Sprache: Epistemologie, S. 1. Digitale Bibliothek Band 34: Metzler Lexikon Sprache, S.
2697 (vgl. MLSpr, S. 188) (c) J.B. Metzler Verlag]
67
versucht, die Relevanztheorie von Sperber/Wilson (1986) für das Übersetzen
fruchtbar zu machen.
Ausgangspunkt ist laut Greiner (2004) der Gedanke, dass die Menschen fähig sind,
aus dem Verhalten ihres Gegenübers Schlüsse zu ziehen, ihn zu „verstehen“. Verbale
Ausdrucksformen gelten dabei als semantische Repräsentationen mentaler
Propositionen, also gespeicherter Gedanken. Sprachliche Bedeutungen und kognitive
Propositionen sind jedoch nicht immer identisch, daher ist der Kontext der Deutung
sehr wichtig. Der Kontext als psychologisches Konstrukt sei eine Subform der
Weltannahme seines Hörers. Gutt formuliert nun, dass ein Translat für die Empfänger
relevant sein soll. Das Relevanzprinzip erscheint als die Annahme „optimaler
Ähnlichkeit“ zwischen beiden Texten, wobei jene sich vor allem auf die Aspekte der
angemessenen Relevanz für Adressaten bezieht.
Die Einsicht, dass die kognitive Umgebung die Angemessenheit von Aussagen für
Empfänger determiniert, führt über die reine Sprachbildung des Übersetzens hinaus
und öffnet den Blick für den außersprachlichen Kontext, d.h. für das hermeneutische
Denken. Die Hermeneutik reflektiert den Umgang des Übersetzers mit Welt, Sprache
und Texten. Sie betrachtet nicht eine Relation zwischen den Kulturen oder Sprachen,
sondern zwischen dem Translator und dem Text. Übersetzungstexte sind
übersummative, multiperspektivische Ganzheiten, die zuerst verstanden werden
müssen, bevor eine Übersetzung formuliert wird. Die Übersetzungslösungen können
dann anhand der translatorischen Kategorien erläutert werden.
So bezeichnet Manfred Frank (1987)31 die Sprache als das individuelle Allgemeine
unter Berufung auf Schleiermacher. Damit ist an Texten auch immer beides gültig:
Analyse/Kritik und Verstehen/Intuition. Beides ist nicht zu trennen. Kritische
Textstrukturierung (Analyse) und verstehende Auslegungen (Interpretation) ergänzen
und korrigieren einander. Diese zweifache Sicht ist Grundlage des hermeneutischen
Ansatzes im Übersetzen. Diese stellt sich die Aufgabe einer möglichst genauen
Wiedergabe der vorgefundenen Textmitteilung, in für die Adressaten funktional
angemessener Form. Weder reine Ausgangsbezogenheit noch ausschließliche
Adressatenorientierung gilt hier als erstrebenswert. Spontanes Formulieren
individuellen Textsinns muss dialektisch gekoppelt sein an rhetorisch/stilistische
Aspekte der Verständlichkeit.
31
deutscher Philosoph der Gegenwart (kein Translatologe)
68
Das Textverstehen ist nach hermeneutischen Vorstellungen ein Vorgang, bei dem das
vorhandene Wissen in einem Lernprozess mobilisiert und bereichert wird. Aufgrund
der Individualität von Texten kann der Übersetzer den Einzelfall nicht so entscheiden,
wie er vergleichbare andere Fälle entscheiden würde. So bemerkt Greiner (2004), dass
aus dieser Perspektive eine Übersetzungslösung nur im Rahmen des betreffenden
Textes bindend ist. Eine solche Sicht der Dinge macht jegliche Aufstellung
vergleichender Stilistiken auf der Basis potentieller Entsprechungen sinnlos und steht
in diametralem Gegensatz zu Wilss Vorstellung einer Schemabasierung des Transfers
als Fertigkeit. Demgegenüber versucht der hermeneutische Ansatz die
unterschiedlichen Fähigkeiten des Menschen ergänzend einzubeziehen.32
3.1.3.8. Übersummativität, Multiperspektivität, Individualität von Texten, Kategorien
und Kreativität (Paepcke, Stolze, Kussmaul)
Paepcke vergleicht dieses Ringen um ein Maximum mit dem Speerwurf: Jeder
Sportler entwickelt intuitiv seine eigene Methode. Im Zusammenwirken
sporttechnischer Regeln mit der freien Gestaltung der Körperkräfte stellt ein
gelungener Wurf eine befriedigende Höchstleistung dar und birgt dennoch in sich
immer die Potentialität einer weitern Verbesserung. Damit gehört zum Begriff des
Übersetzens ganz wesentlich die Dynamik. Übersetzungen können ihr Ziel immer nur
„optimal“ erreichen, es gibt keine Musterübersetzung.
Radegundis Stolze (2005) geht von dem Gedanken aus, dass der Übersetzer,
aufgrund seiner besonderen Verantwortung gegenüber dem Ausgangtext wie
gegenüber den Empfängern, sich sein Handeln bewusst machen und es kritisch
reflektieren müsse. Das Wissen um Maßstäbe dieser Reflexion sieht sie als Teil der
Übersetzungskompetenz. Weil das Übersetzen aber, trotz aller Situationsgebundenheit
und Zweckorientierung, ein Handeln in und mit Sprache ist, können Kategorien aus
der Linguistik herangezogen werden, um die Übersetzungslösungen zu begründen
oder zu beurteilen. Stolze betrachtet den Text als Ganzes. Um aber nicht an
Textstrukturen kleben zu bleiben, verneint Stolze ausdrücklich die Textanalyse und
plädiert vielmehr für eine Textexegese (im Sinne einer Darstellung des eigenen
32
in Stolze 2005: 180 - 220
69
Textverständnisses als Vorbereitung für das Übersetzen). Hier müssen linguistische
Kategorien genannt werden, die für alle Textsorten anwendbar sind.
Die Hermeneutik argumentiert aus der Sicht des Übersetzers selbst und eröffnet
dadurch neue Denkansätze. Nicht das Verhältnis zwischen Text und Übersetzung oder
die Faktoren des Übersetzungsprozesses werden diskutiert, sondern die Probleme des
Übersetzers bei seinem Umgang mit Texten. Ein solcher Ansatz appelliert an die
Kreativität des Übersetzers und zwingt ihn zu eigenem Nachdenken. Mit
translatorischen Kategorien wie Kontext, Diskursfeld, Begrifflichkeit, Aussagemodus,
Medialität, Stilistik, Kohärenz und Textfunktion, wird versucht, ein Instrumentarium
zu schaffen, anhand dessen die Übersetzungsentscheidungen begründet bzw.
überprüft werden sollen.
In dem Anspruch, sich vom Ausgangstext zu lösen und eine zielsprachig kohärente
und kulturspezifisch adäquate Übersetzung zu gewinnen, trifft sich die Hermeneutik
mit der funktionalen Translationstheorie und der französischen Übersetzerschule. Der
Übersetzungsprozess wird als dynamischer Vorgang angesehen. Der hermeneutische
Ansatz vermeidet es jedoch, Übersetzungskritik vorzunehmen oder
Übersetzerstrategien zu ermitteln, wie dies etwa in den deskriptiven
Übersetzungstheorien der Fall ist.
Nachdem in den 90er Jahren die Kognitionsforschung starken Aufschwung
genommen hat, wirkt sich dies auch auf die Übersetzungsforschung aus. Greiner
(2004) stellt fest, dass das translatorisch wichtige Verstehen kognitiv untersucht
werden soll. Er bemerkt weiter, dass neuere Forschungen z.B. gezeigt haben, dass
menschliches Verstehen nicht Informationen addiert, sondern in vorhandenen
Wissensschemata integriert. Dieser neue prozessanalytische Ansatz lässt sich seiner
Meinung nach in folgenden Thesen zusammenfassen:
1. die mentalen Prozesse, die beim Übersetzen in den Köpfen der Übersetzer
ablaufen, sind ein zentraler Bestandteil der übersetzerischen Wirklichkeit und
gehören somit zum Gegenstandsbereich der Translatologie
2. Gegenstand des übersetzungsprozessualen Ansatzes sind dabei alle kognitiven
Prozesse, die zur Entstehung eines Übersetzungsprodukts führen, von der
ersten Recherche bis zum letzten Korrekturlauf.
3. eine solche auf den Übersetzungsprozess bezogene
übersetzungswissenschaftliche Forschung ist grundsätzlich empirisch-induktiv
70
4. Im Gegensatz zu den ebenfalls zahlreichen normativen Ansätzen in der
Übersetzungswissenschaft ist der übersetzungsprozessuale Ansatz
grundsätzlich deskriptiv, er beschreibt das konkrete übersetzerische Vorgehen
der Übersetzer
5. Ziel des übersetzungsprozessualen Ansatzes ist der graduelle Aufbau eines
differenzierten Modells des Übersetzungsprozesses und die Klärung des
Einflusses der prozessrelevanten Variablen. 33
Interessant sind auch Untersuchungen zum Verstehensprozess, die sich damit
auseinandersetzen, wie Textverstehen funktioniert. Frank G. Königs (1993) z.B.
stellt fest, dass der übersetzungsbezogene Verstehensprozess des Ausgangstextes
nicht bei Sätzen oder ganzen Texten ansetzt, sondern bei Wörtern. Was den Vertretern
der textlinguistisch orientierten Translationswissenschaft im Nachhinein Recht gibt,
ist der Fakt, dass hier Nomina stärker verstehensfördernd sind als andere Wortarten.
Diese Erkenntnis lässt sich für translationswissenschaftliche Untersuchungen sehr gut
verwerten, z.B. dadurch, dass man bei Übersetzungskritik und Übersetzungsanalyse
durchaus bei der Untersuchung der Isotopie ansetzen kann. Dies ist ein Indiz für die
wichtige Rolle von Isotopie und Topikketten bei der Textkonstitution. (Siehe Nagorr:
1992)
Erst sehr spät wurde also in der Übersetzungswissenschaft erkannt, dass der
Übersetzer als das erkennende Subjekt in die Textanalyse integriert werden muss und
dass es nicht ausreicht, „objektive“ linguistische Oberflächenstrukturen und
Texttypen zu beschreiben.
Folgerichtig sieht G. Hönig (1995) die Übersetzungskompetenz als wichtigen
Forschungsgegenstand. Verstehen ist ein Sinngebungsprozess, der grundsätzlich
graduell fortschreitet und dessen Ende niemals objektiv, sondern immer nur subjektiv,
nämlich aus dem Verstehensinteresse der rezipierenden Person, definiert werden
kann. Nicht alles an einem Text Beobachtete ist für dessen Übersetzung relevant.
Vielmehr ist es Teil der Übersetzerkompetenz, dass der Übersetzer selbst beurteilen
kann, ob seine sprachliche und kulturelle Kompetenz ausreicht oder ob er noch
recherchieren muss. Die translatorische Kompetenz eines professionellen Translators
manifestiert sich eher darin, dass aufgrund einer übersetzungsrelevanten Textanalyse/-
33
Stolze 2005: 220 - 245
71
synthese mit negativem Ergebnis (unter Berücksichtigung aller Rahmenfaktoren wie
z.B. Fristen und Entlohnung) ein Übersetzungsauftrag abgewiesen wird, im
Unterschied zu der gerade bei Anfängern verbreiteten Einstellung, dass man auf jeden
Fall jeden Auftrag annehmen müsse und es sich nicht leisten könne, wählerisch zu
sein, ganz gleich, ob man etwas davon versteht oder nicht.
Hönig plädiert für konstruktives Übersetzen, das dann möglich wird, wenn die
Beteiligten über den Vorgang Bescheid wissen (er betont also Handlungswissen als
Teil der translatorischen Kompetenz). Nur wer die Konstruktionsprinzipien versteht,
kann Konstruktives leisten.
Kußmaul (1993) entwickelt dann auch eine Übersetzungstheorie auf Basis der
Kreativität, wobei er Kreativität als Abweichung vom Ausgangstext definiert, wobei
er sich auf seine Vorstellung vom Übersetzer als einem planvoll, bewusst und
verantwortlich handelnden Subjekt stützt.
Soweit der Überblick über die verschiedenen Übersetzungstheorien.
Am Ende dieser Darlegungen soll noch einmal unterstrichen werden, dass wir in
unseren translatologischen Betrachtungen (auch im Unterschied zu andere
Translatologen) zwischen Übersetzungstheorie und Übersetzungsmodell
unterscheiden.
Die Allgemeine Translationstheorie gibt die Bedingungen und Regeln an, unter denen
die Translationshandlung abläuft. Jede Theorie schlägt sich in einem Modell nieder.
Hierzu werden verschiedene Translationsmodelle erstellt, welche im Rahmen der
Übersetzungsmodelle an anderer Stelle detaillierter untersucht werden.
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