Hauptseminar-Handout Satzaufbau und Satzkomplexität

Werbung
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 1
Sommersemester 2016 (LMU München)
Hauptseminar: Satzaufbau und Satzkomplexität
I Worum geht es?
Das Folgende ist eine programmatische Skizze, welche der Anregung dient. Sie müssen
nichts genauso machen. Eigene Ideen, die sich in den Rahmen fügen, sind willkommen!
1
Zum Thema Satzkomplexität ein Beispiel:
1
Im magischen, mythischen West Point, wo es ihm an jenem Tag schien, als wäre in je-
2
dem Quadratzentimeter der am Fahnenmast flatternden Fahne mehr von Amerika als in
3
jeder anderen Fahne, die er je gesehen hatte, und wo die eisernen Gesichter der Kadetten
4
für ihn erfüllt waren von einer überwältigenden heroischen Bedeutung, selbst hier, im pa-
5
triotischen Mittelpunkt, im Mark des unzerbrechlichen Rückgrats seines Landes, wo die
6
Phantasien eines Sechzehnjährigen deckungsgleich waren mit den offiziellen Phantasien,
7
wo alles, was er sah, ihn mit einer ekstatischen Liebe nicht nur zu sich selbst, sondern zu
8
allem, was er sah, beseelte, als wäre die ganze Natur eine Manifestation seines eigenen
9
Lebens – als wären die Sonne, der Himmel, die Berge, der Fluß, die Bäume nichts ande-
10 res als ein millionenfach vergrößerter Coleman Brutus „Silky“ Silk –, selbst hier kannte
11 niemand sein Geheimnis, und so ging er in die erste Runde und boxte nicht wie Mac
12 Machrones ungeschlagener Konterboxer, sondern schlug mit aller Kraft zu.
2
Wo ist der Kern dieses Satzes? Als eigener Satz formuliert: Niemand kannte sein Geheimnis,
abstrakter: niemand Geheimnis kenn- (oder ähnlich). Und wie wird vom Kern ausgehend
weiter ausgebaut? Wie entsteht diese Satzperiode? Was wird an Inhalten (wir konzentrieren
uns auf Semantisches, Pragmatisches wäre natürlich ebenfalls betrachtenswert)
eingebracht?
Dieses Hauptseminar nimmt sich vor:
 erstens, den Satzaufbau im Groben formal-syntaktisch zu studieren und die formalen
Verfahren der Erzeugung zunehmender Phrasen- bzw. Satzkomplexität bis hin zur
Satzperiode nachzuvollziehen
1
2
Aus: Roth, Philip (2004). Der menschliche Makel. 7. Aufl. Reinbek bei Hamburg, S. 119.
Ohne sein wäre der Minimalsatz ungrammatisch, doch das Possessivpronomen sein ist bereits
eine Ausbaustufe der Objekts-NP (Determination). In diesem Fall ist sein (oder ein anderes
„Artikelwort“) gefordert, weil Geheimnis syntaktisch ein Substantiv ist, das im Singular ein
„Artikelwort“ benötigt. Vergleichen Sie dagegen Niemand kannte Kuno (Eigenname, EN)/ Butter
(Stoffname, SN). Geheimnis verhält sich syntaktisch wie ein Gattungsname (common noun, CN),
vgl. Niemand kannte *Buch (CN)/das Buch/jenes Buch etc.
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 2
 zweitens, parallel zu erstens zu fragen, welche semantischen Entsprechungen man zu den
3
formalen Operationen formulieren kann
 drittens, ausgehend von zentralen Inhaltskategorien wie ‚Modalität‘ oder ‚Possession‘ zu
fragen, an welchen Stellen des Satzaufbaus mit welchen Mitteln diese Inhalte integriert
werden kann.
 viertens können wir Skizzen der jeweiligen Inhaltsdifferenzierung entwerfen. So kann man
Modalität in epistemisch (Er dürfte im Kino sein), deontisch (Er darf im Kino sein) und evtl.
noch feiner (Er ist bedauerlicherweise/verbotenerweise im Kino) unterteilen (nicht zu fein
bitte). Besonders wünschenswert wäre es, wenn wir zeigen könnten, dass sich bestimmte
semantische Unterscheidungen in unterschiedlichem grammatischem Verhalten
widerspiegeln. Es könnte sein, dass sich unterschiedliche Modalisierungsarten
unterschiedlich realisieren lassen. Vielleicht kann ‚Sprecher bedauert den Inhalt der
Proposition‘ zwar durch Satzadverbien/Modalwörter, aber nicht durch Modalverben
ausgedrückt werden, während epistemische Modalität „durch alles Mögliche“ ausdrückbar
ist? Vielleicht drücken wir inalienable Possession zwar durch Pias Arm, der Arm von Pia, der
Pia ihr Arm (geht das?) oder Kuno hat der Pia den Arm eingegipst aus, alienable Possession
jedoch nicht genauso: Der Motor des Autos/von dem Auto / ?dem Auto sein Motor (ist mir
unklar, da ich diese Konstruktion nicht aktiv verwende) / *Er hat dem Auto den Motor
repariert.
Wir wollen versuchen, zu beschreiben, was parallel zur Erzeugung komplexer Sätze an
4
inhaltlichen Funktionen in den Satz eingebracht wird. Wo wir (noch) keine verwendbare
Fachliteratur finden, müssen wir selbst uns heranarbeiten, wie wir das beschreiben wollen
5
bzw. können. Das folgende Zitat entwirft das erstrebenswerte Ziel:
Es dürfte nicht genügen, von einfachen „semantischen Feldern“ (z. B. der Zeit = Temporalität/des
Grundes = Kausalität oder der Art und Weise = Modalität) auszugehen und ihnen die entsprechenden
formalen Ausdrucksmittel katalogartig zuzuordnen. Vielmehr bedarf es u. a. einer präzisen Strukturierung
dieser Felder (mit jeweiligen Zentren und Peripherien, abhängig vom Grad der Grammatikalisierung der
betreffenden Ausdrucksmittel).
aber wir werden es nicht gleich und nicht in jedem Teilbereich erreichen. Wenn wir
syntaktische Prozesse bzw. Verfahren und semantische Funktionen parallelisieren können,
ist das schon einmal gut. Detailskizzen sind natürlich ebenfalls erstrebenswert.
Wenn Sie bei Ihrem Thema steckenbleiben und keinen klaren Weg sehen sollten, wenden Sie
sich bitte an mich, dann versuchen wir, das zusammen voranzubringen!
3
4
5
Beispiel: Die Attribution beim NP-Ausbau dient der ‚Spezifikation‘, ‚Präzisierung‘,
‚Teilmengenbildung‘ (Film > teurer Film), ‚Referenzfestlegung‘ bzw. ‚Begriffsbildung‘? Zudem
kann eine zentrale Inhaltskategorien realisiert werden wie ‚Possession‘, vgl. Pias Hand, Fuß von
Zidane.
Es geht also nicht bzw. allenfalls peripher darum, was in der Lexik oder in der Wortbildung
möglich ist, sondern es geht um syntaktische Möglichkeiten des Ausbaus bzw. der Abänderung!
Zitat aus: Helbig, G. et al. (Hgg.) (2001): Deutsch als Fremdsprache - ein internationales
Handbuch. Erster Halbbd. Berlin; New York, Kap. Linguistischer Ansatz (Götze/Helbig), S.27.
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 3
Ich zeige nun eine Skizze des Satzkerns des komplexen Satzes oben (aus Roth 2004) im
Format einer Dependenzstruktur (angelehnt an Mel’cuk 2009):
kannte
subj
dir-obj
niemand
advb
Geheimnis
hier
det
restr
sein
selbst
und in einer X-Bar-Darstellung (ohne die Fokuspartikel):
CP
Cˈ
AdvP
IP
C°
NP
Iˈ
niemand
VP
VP
I°
Vˈ
kannte
NP
NP
AdvP
Hier
kannte
hier
niemand
V°
sein Geheimnis
kenn
-t -e
In einer älteren Version der Konstituentenstrukturgrammatik sieht der Satz so aus:
S
VP
AdvP
VK
NP
Adv
Hier
VV
kannte
Pron
niemand
NP
Pron
sein
N
Geheimnis
Die Keimzelle ist kenn(en). Kennen ist ein zweiwertiges Zustandsverb. Durch seine Valenz
(SUBJ: NPnom (niemand)/freier W-RelSatz, AKKO: NPakk ((sein) Geheimnis)/freier W-RelS))
und der Vergabe der thematischen Rollen (welche? Zustandsträger und Thema?) bildet sich
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 4
der Minimalsatz und durch den Ausbau der Objekt-NP entsteht sein Geheimnis
(Determination, inhaltlich ‚Possession‘ + ‚definit‘, Possessum: Geheimnis, Possessor = C. B.
Silk).
Durch die Wahl der Flexionsform des Verbs kenn > kann-t-e erfolgt eine personale (quasi
‚weder Produzent noch Rezipient‘), temporale (Präteritum = temporale Verschiebung in die
Vergangenheit bzw. ‚Ereignis-/Zustandszeit vor Sprechzeit‘) und eine modale (unmarkierter
Indikativ, also ‚faktisch‘) Spezifikation. (Also nicht: Ich + hier + jetzt, sondern „Dritte“ + hier +
damals oder so ähnlich.)
Hier als lokale Adverbiale ordnet den Sachverhalt lokaldeiktisch-anaphorisch ein: ‚in West
Point‘. Insgesamt kommt etwas heraus wie
‚dass <-in West Point<- niemand definit+poss(C.B.S.)+Geheimnis kenn+vorÄußerungszeit+faktisch‘
Ich würde gerne noch eine halbwegs anschauliche Beschreibungsform finden, durch die wir
den syntaktisch-semantischen Ausbau darstellen könnten. Das Folgende ist tentativ und
„muss“ im Laufe unseres HS präzisiert werden:
Zustand
Zustandsträger
(1) Niemand
Thema
kann-
-t
-e
1
2
vermutlich sein
3
Geheimnis
4
1: PRÄT: temporale Verschiebung; Aktzeit vor Sprechzeit
2: 3PS: ‚Dritter (weder Produzent noch Rezipient)‘
3: Modalwort, epistemische Modalität: ‚Der Produzent steht zum Satzinhalt so, dass er
ihn für möglich, aber nicht für sicher hält‘ (?)
4: Posspron, DET: Possession, Possessum = Geheimnis, Possessor = …
Was wir auch probieren könnten, ist, dass wir die Sätze in Einzelaussagen zerlegen, die
zeigen, wie der Satz semantisch zusammengesetzt ist (wobei das untere nicht immer „gut“
klingt), und zwar noch weiter als man dies ohnehin tun kann. Ein Versuch:
Vermutlich kannte niemand sein Geheimnis
- Ein Zustand (kenn-) besteht zwischen einem Zustandsträger (niemand) und einem
Thema/Inhalt (Geheimnis)
- Es geht weder um Produzent noch Rezipient (3SG)
- Der Zustand liegt vor der Sprechzeit, also in der Vergangenheit (-t, PRÄT)
- Der Zustand wird faktisch ausgesagt (behauptet, festgestellt, ...? IND)
- Die Aussage ist als Vermutung modalisiert (vermutlich)
- Das Geheimnis gehört zu/betrifft C.B. Silk (sein, alienable Possession)
II Generelles zum Ablauf des Hauptseminars
 Alle Teilnehmer/inn/en halten ein Referat, jede/r ca. 20-30 min. Ich will das aber nicht
rigoros handhaben, weil die benötigte Zeit stark themenabhängig ist und wir das gerne im
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 5
Einzelfall variabel handhaben. Leitlinie: In der Kürze liegt die Würze! Versuchen Sie, neben
den nötigsten Grundlagen (knapp bitte, wir sind im Hauptseminar) zum Thema „das
Wesentliche“ konzentriert herauszuarbeiten! Sie müssen nicht alle möglichen Punkte
berühren, es geht nicht um Vollständigkeit, sondern um Erkenntnis und darum, selbst ein
bisschen zu forschen! Es genügt, wenn Sie uns ein paar spannende Erkenntnisse, ggf.
Forschungsfragen, weiterführende Fragen oder Probleme vermitteln. Ein Gespräch bzw. eine
Diskussion soll nach dem Vortrag unbedingt stattfinden!
Sollten Sie bei Ihren Recherchen auf andere Dinge stoßen als diejenigen (Termini, ...), die ich
bisher fand, können Sie dies gerne einbringen. In allen Zweifelsfällen besprechen wir uns (EMail, Sprechstunde)!
Ich möchte das Seminar dialogisch angehen und hätte es gerne, wenn während Ihres
Vortrags Zwischenfragen zugelassen sind. Ich werde darauf achten, dass die Vortragslinie
nicht zu sehr unterbrochen wird. Jeder (auch ich) muss lernen, auf Zwischenfragen flexibel
zu reagieren und Fachgespräche zu führen. Sollten Sie Ihren Vortrag dennoch erst einmal
komplett halten wollen, so sagen Sie das bitte zu Beginn Ihres Vortrags, dann wird hinterher
gefragt. – Ich erwarte keinesfalls, dass Sie „alles“ wissen, denn ich weiß auch nicht alles.
Bitte lesen Sie Ihr Referat nicht weitgehend oder vollständig vom Blatt ab! Gut wäre es,
wenn Sie sich an einer Stichwortliste, am Begleitpaper oder einer Overhead-Vorlage
orientieren und halbfrei bis frei vortragen. Das Vorlesen einiger Passagen ist völlig in
Ordnung. Achten Sie darauf, dass Sie ggf. immer wieder ein Signal geben, wo wir uns gerade
befinden (z. B. „wir sind jetzt bei Beispiel Nummer ...“).
 Bitte laut und deutlich sprechen! Bitte denken Sie daran, dass überzeugende
Präsentationen zu ihrem Berufsleben gehören werden. Tragen Sie nur Argumentationen,
Erkenntnisse etc. vor, die Sie durchschauen. Markieren Sie Unklares deutlich, damit wir
darüber diskutieren können! Sie dürfen dem Seminar (auch direkt mir) gerne Fragen stellen,
das gehört zum wissenschaftlichen Gespräch dazu.
 Wünschenswert: eine klare Darstellung, ggf. mit Übersichten, mit Hervorhebung der
interessanten/kritischen Punkte und mit Konzentration auf das Wesentliche. Wo man sie
einbringen kann, sollten Sprachbeispiele Ihre Ausführungen begleiten. Interessieren Sie vor
allem Ihre Mit-Student/inn/en für Ihr Thema!
 Falls Sie ein Begleitpaper verteilen, wäre es schön, wenn wir dies vorab ansehen könnten.
Ich schlage vor, es in der Woche vor Referattermin auszuteilen (Sitzungsanfang) oder ca.
zwei Tage vor der Sitzung online zur Verfügung zu stellen o. Ä. Handouts sollten nicht mehr
als zwei Blätter (man kann verkleinern/zwei Seiten auf ein Blatt kopieren) umfassen. Neben
obligatorischem Kopf (LMU München … Veranstaltung etc.) und einer klaren Gliederung
führen Sie bitte die verarbeitete Literatur am Ende alphabetisch an. – Sie können aber auch
Overhead-Folien einsetzen oder kombinieren. Ich werde einen Seminarraum mit Beamer
anfordern, also wird auch „Beamen“ möglich sein. (Ich habe einen eigenen Laptop am
Institut, den ich Ihnen ggf. zur Verfügung stellen kann.)
 Vergessen Sie bitte bei Ihrer Hauptseminararbeit die übliche „Obligatorische Erklärung
zu Seminararbeiten im Department I“ (Link auf meiner Info-Seite) nicht!
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 6
Bitte beachten Sie die vereinbarten Abgabetermine für die HS-Arbeiten! Denken Sie
unbedingt daran, parallel eine Dateifassung (Format: doc oder docx oder rtf oder pdf, bitte
nicht odt) und am Institut eine Druckfassung einzureichen!
„Stilblätter“ finden Sie auf meiner Seite Infos/Informationen unter I.3. Lesen Sie unbedingt
mein Stilblatt, vor allem den Teil „Häufige Fehler ...“!
Zur äußeren Form der Hauptseminararbeit siehe
http://wolfgang-schindler.userweb.mwn.de/infos.html, dort Punkt I.3.
Sie sollen zeigen, dass sie wissenschaftlich beschreiben und argumentieren können. Ansätze
zu eigener Stellungnahme, zu kritischem Vergleichen und Erörtern von Positionen müssen
sichtbar werden! Günstig ist es, sich mit einem Detailproblem zu befassen, über das noch
nicht „alles“ (vielleicht überhaupt nichts) geschrieben wurde. Erwartet wird, dass Sie auch
Spezialliteratur zu Ihrem Thema verarbeiten. Die reine Wiedergabe von Fachliteratur reicht
für eine gute Note nicht aus. Nicht für den Seminarleiter schreiben (nicht allzu viel als selbstverständlich behandeln), sondern für einen interessierten Laien mit linguistischer
Grundausbildung! Zeigen Sie vor allem, was Sie und warum Sie etwas Bestimmtes tun.
Anschauliche, gute Sprachbeispiele sind wichtig!
III Orientierung und anregende Literatur
Es gibt wenig, woran wir uns orientieren können, aber Folgendes ist für die Orientierung
ansehen:
- Ungefähr können wir uns am Ansatz von Polenz („Satzsemantik“, 2008) orientieren! Ich
möchte sein Vorgehen aber mehr als Anregung verstehen, nicht als Vorlage zur konkreten
Ausarbeitung.
- Die Forderung nach einer Inhaltsgrammatik und eine erste Skizze finden Sie in Heidolph/Flämig/Motsch (1981) in Kap. 1.2. Rohe Teilskizzen finden Sie dort im Kap. zu
Tempus/Modus, Kap. 3.1.
- Die dreibändige Grammatik von Zifonun et al. (1997) enthält Ausführungen zu
inhaltlichen/funktionalen Aspekten der Grammatik/Syntax. Beispielsweise zur Deixis (C4),
zur Quantifikation (D4), zu Diktumserweiterungen (D5) etc.
- Aus sprachtypologischer Perspektive finden sich auf den Webseiten von Prof. emer.
Christian Lehmann unter „Semantik der Grammatik (Semantosyntax - Funktionale
Grammatik)“, online hier: http://www.christianlehmann.eu/ling/lg_system/sem/index.html,
Ausarbeitungen (von ‚Possession‘ etc.), die wir berücksichtigen könnten.
- Folgender Sammelband enthält einige Elemente einer funktionalen Syntax/Grammatik, wie
sie in diesem HS thematisiert werden soll: Hoffmann, Ludger (Hg.) (2003): Funktionale
Syntax. Berlin; New York
- Semantische Grammatikfelder wie ‚Feld der Absicht‘ (ebd. 273 f.), Feld der ‚Aufforderung‘,
‚Feld des Bittens‘ (ebd. 277) finden Sie skizziert in Freudenberg-Findeisen (1999)!
Weitere Literatur finden Sie am Ende dieses Handouts. – Mir ist klar, dass wir uns ein
„großes“ Programm vornehmen und alle Aspekte und Bezüge sich in einem Semester nicht
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 7
ergründen lassen. Aber ein ungefähres Bild – das ist das Ziel! – und einige
Detailausarbeitungen sollten sich mit der (Semester-)Zeit ergeben!
IV Themen, Arbeitsgruppen, Referate
Ich skizziere im Folgenden mögliche Vortragsthemen. Das ist teilweise noch „experimentell“,
weil ich selbst noch nicht genau weiß, worauf das HS hinauslaufen wird. Haben Sie aber
keinen Bammel, denn ganz im Gegenteil eröffnet uns dies Raum für eigenes Herantasten
und Forschen!
Was jemand einzeln vortragen möchte und was eventuell zu zweit oder als Gruppe
angepackt wird, verhandeln wir unter uns. Schauen Sie das Folgende in Ruhe durch. Halten
Sie für sich fest, was Sie interessiert, gleichgültig (was ist das eigentlich für ein syntaktischer
Anschluss?), ob das genau einem formulierten Vorschlag, Absatz etc. entspricht oder ob es
weniger (oder mehr) als dieses ist. Wir zimmern das ggf. gemeinsam zurecht. Schreiben Sie
mir eine Mail oder schauen Sie bei mir im Büro vorbei!
IV.1 Themenkomplex 1: Syntaktischer Satzaufbau, Erzeugung von Satzkomplexität
Hier geht es im Wesentlichen darum, zu zeigen, wie wir formal im Deutschen vom Satzkern
(das ist wohl etwas wie ein Subjekt-Prädikat-Kern oder Prädikat-Komplemente-Kern?) zum
Aufbau einer Satzperiode kommen.
Dabei sollte darauf Wert gelegt werden, dass wir syntaktische Modelle studieren, die auf der
Basis nachvollziehbarer Prinzipien strukturerzeugend beziehungsweise strukturerläuternd
sind. Die nachfolgend vorgeschlagenen Ansätze sollen nicht bis ins Detail behandelt werde,
sondern soweit, dass wir mit ihnen als Mittel die Erzeugung von Satzkomplexität
nachvollziehen und Generalisierungen etc. erkennen können.
Infrage kommen vor allem eine stringente Dependenzsyntax, wie sie von Igor Mel’cuk und
anderen Wissenschaftlern (z. B. Mel’cuk, Igor & A. Polguère (2009): Dependency in Linguistic
6
Description. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins) vertreten wird, oder die X-BarSyntax (einführend etwa Truckenbrodt & Eichler 2010), eventuell noch die funktionale
Grammatik (z. B. „Syntax: ...“ von Van Valin, R./LaPolla, R. 1997, Cambridge) oder auch eine
oberflächengrammatische
Beschreibung
mittels
einer
traditionellen
Konstituentenstruktursyntax.
Wichtig sollte es uns sein, dass wir nicht allzu zersplittert oder allzu vereinfachend vorgehen
und darüber erkennbare Generalisierungen in der Strukturbildung vernachlässigen. Wir
wollen verstehen, wie wir formal-syntaktisch vom Satzurknall zum Satzuniversum gelangen.
Auch eine deskriptive Schritt-für-Schritt-Beschreibung nützt uns schon (aber lieben wir
Wissenschaftler nicht Modelle?), denn wir wollen zu den formalen Schritten die
semantischen Operationen parallelisieren.
6
Bitte nicht die „klassische“ Tesnière-Dependenz oder deren „deutsche Derivate“; das ist z. T.
nicht scharf genug und es werden bisweilen morphologische, semantische und syntaktische
Dependenzen vermischt, wogegen das Mel’cuk und Kolleg/inn/en klar trennen.
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 8
IV. 1.1 Die Struktur eines deutschen Satzes im Rahmen von Syntaxtheorien:
- X-Bar-Struktur (anregend und lesbar z. B. http://www.zas.gwz-berlin.de/fileadmin/mitarbeiter/truckenbrodt/Research_HT/morphosyntax.html)
- Dependenzstruktur nach Mel’cuk (2009) oder andere Präsentationen dieses Ansatzes
- Konstituentenstruktur
Man könnte evtl. den Satz aus „Der menschliche Makel“ von P. Roth hernehmen, um eine
dieser Strukturen vorzuführen, aber gerne auch andere (evtl. auch einfachere) Beispiele.
dazu der Wortgruppenausbau bei VP, NP, PP, AdjP:
- Komplementation (Argumente): findet (+ es), wütend (+ auf jmdn.), Lust (+ auf etw.)
- Modifikation (Adjunkte): findet (auf der Straße), (ziemlich) wütend, (gestrige) Lust
Bei den Adjunkten an die V-Projektion (an Vˈ), anders gesagt, bei den valenzfreien
Adverbialen wäre es interessant, das semantische System über das bekannte Grundschema
lokal - temporal - kausal - modal (+ Satzadverbiale) hinaus anzusehen (z. B. Finanziell/Gesundheitlich geht es Kuno gut, Das hat er für die Kinder gekauft). Feindifferenzierung, evtl.
weniger beachtete Unterklassen (wo hinein gehören die?).
- Spezifikation (Determinatoren, Spezifikatoren): (diese) Lust, (drei Meter) vor der Tür ...
- (evtl.) bei der NP: lockere Apposition (Adjunktion?)
Diese Dreiteilung finden wir in modernen Syntaxtheorien öfters. Die lockere Apposition
könnte da herausfallen und gehört eventuell zur „Abteilung Parenthese/Einschaltungsmuster“.
1.2 Klärung von Grundbegriffen: PROPOSITION; SATZ; ÄUSSERUNG
Was ist ein minimaler Satz/ein Satzkern?
Stillgestanden! Es regnet, Kimba schläft, Pia überreicht es ihm etc.
7
Wie kommt ein Minimaler Satz/Satzkern zustande (Valenz ...)?
Der Satzkern: Sachverhalt(smodel), Proposition oder ‚der objektive Teil der Vorstellung einer
Situation‘ (subjektive Teile können evtl. noch hinzukommen)? Stichworte: Valenz, Prädikat,
Prädikation, Argumente/Referenzstellen (evtl. Subkategorisierung, thematische Rollen), …
Hierzu passt die Ausarbeitung des Begriffs Situation und eines Situationsmodells (das
brauchen wir) von Prof. emer. Christian Lehmann:
http://www.christianlehmann.eu/ling/lg_system/sem/index_part.html (linke Kolumne!)
Ein Einblick hierein:
7
Hierzu evtl. auch Smirnova/Mortelmans (2010), Kap. 2 (nuclear, core, extended predication etc.).
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 9
Ebenen der Satzbedeutung
Sprechakt
modalisierte Proposition
Proposition (Sachverhalt)
Situation
Situationskern
Illokution
Modalität
Temporalität
Partizipanten
(Quelle: http://www.christianlehmann.eu/ling/lg_system/sem/index_part.html, 22.02.16)
Uns interessiert dieser Aufbau bis zur modalisierten Proposition. Pragmatisches wie
Sprechakte wollen wir nicht behandeln.
Also: (dass) Pia das Buch kauf(en)
Situation
Partizipanten Situationskern
(dass) Pia das Buch kauf-t(-e)
Proposition
(dass) wahrscheinlich Pia das Buch kauft-e
modalisierte Proposition
1.3 Weiterer Einzelsatzausbau (ohne klare Zuordnung zu Teilphrasen):
- Fokuspartikeln
- Negation(spartikel) (Wahrheitswertumkehrung)
- Abtönungspartikeln
Was wird hier an inhaltlichen Beiträgen geleistet? Lassen sich die inhaltlichen Beiträge an
diejenigen anderer Ebenen anschließen (z. B. die der Negationspartikel nicht an die
Satzadverbiale?)?
Beispiel Abtönungspartikeln (oberflächlich, als Anreiz)
(1) Deutsch ist schwer
(2) Deutsch ist eben schwer ‚das steht fest, so ist es nun mal‘
(3) Deutsch ist aber schwer ‚das habe ich so nicht erwartet‘
Abtönungspartikeln scheinen funktional mit dem vermuteten beziehungsweise
produzentenseitig vorausgesetzten Verhältnis zwischen Produzent, Rezipient und
Redegegenstand zu tun zu haben. Man könnte bei Hoffmann (Hg.) (2007) anfangen und auch
mal sehen, was Zifonun et al. (1997) schreiben, sollte aber speziellere Literatur zur
Semantik/Pragmatik/Funktion von Abtönungspartikeln wie aber, doch, eben, halt, ja, mal mit
einarbeiten!
1.4 Die Bildung komplexer Sätze durch
- SUBORDINATION
- KOORDINATION
- PARENTHESE
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 10
In Hansjakob Seiler & Waldfried Premper (Hgg.) (1991): Partizipation. Das sprachliche
Erfassen von Sachverhalten. Tübingen findet sich ein bisschen was unter dem Terminus
NEKTION in Gunter Brettschneiders Beitrag (21., 658 ff.).
1.4.1 Die Satzverknüpfungen durch KONNEKTOREN (hier z. B. eine Webseite des IdS Mannheim,
bearbeitet von Eva Breindl, Elke Donalies: http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/sysgram.ansicht?v_id=1182) und das semantische System der Konnektoren. Welche inhaltlichen
Bereiche decken Konnektoren ab? Ist ein homogenes semantisches System zu erkennen
oder fransen die Bereiche in den Details/an den Rändern(?) aus? Uns interessiert nicht nur
8
das bekannte Grobschema: kausal, lokal, modal, temporal, sondern auch das, was darüber
hinaus ginge bzw. was an feineren bzw. spezielleren Relationen auch noch ausdrückbar ist
(beispielsweise je mehr X ... desto Y, X geschweige denn Y)!
1.4.2 Die Syntax der Koordination
Die Struktur von Phrasen mit Koordination ist ein Problem. Strukturen wie die linke
CoP [NP]
Pia
NP
Coˈ
NP
Pia
und
NP
und
Kuno
NP
Pia
Co°
und
NP
Kuno
Kuno
sind X-Bar-theoretisch unbefriedigend, weil der obersten NP kein Kopf(-Nomen) zugeordnet
ist. Neuerdings wird vorgeschlagen eine Co(njunction)-Phrase anzusetzen. Dabei übernimmt
die Gesamtphrase die Eigenschaften des ersten (linken) Konjunkts (vgl. Pia und wer sonst
noch Lust hat). Ganz rechts sehen wir eine Dependenzstruktur. Dependenzgrammatisch
explizieren wir die syndetische Koordination (nach Mel’cuk 2009) als eine Kombination der
Dependenzrelationen coord(inative) (Pia  und) und coord-conj(unction) (und  Kuno).
IV. 2 Themenkomplex 2: Semantik im Kernsatz
IV. 2.1 Die deutsche Verbflexion (Ind. 1/2, Konj. 1/2; Arbeiten v. U. Bredel & H. Lohnstein)
Da ein finites Verb zum Kern des Satzes gehört, ist zu erwarten, dass die verbale
Finitheitsflexion interessante semantische Kategorien einbringt!
Nach Bredel und Lohnstein (2001; 2003) bringt die Verbalmorphologie „Deiktisches“ zum
Ausdruck. Ausgehend von der klassischen Ich-hier-jetzt-Origo wird im Dt.
Personaldeiktisches und Temporaldeiktisches (PRÄT) ausgedrückt sowie „modale
Verschiebung“.
2.2 MODALITÄT
8
Die Satzadverbiale sind ohnehin semantisch anderswo anzusiedeln (Modalität).
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 11
Eine Proposition wie dass Pia Jazz hör oder HÖR (pia, musik) kann auf verschiedene Weise
modalisiert werden, z. B. Pia hör-t Jazz (faktisch, Wirklichkeitsbehauptung, Feststellung o.
Ä.), Pia hört wahrscheinlich Jazz, Pia hört glücklicherweise Jazz oder Pia soll Jazz hören
(ambig) etc.
Was ist Modalität und welche Ausdrucksmittel (Verbmodus? MV? Modalwörter? Explizite
syntakt. Konstruktionen/Obersätze?) gibt es? Ist Modalität ein Verhältnis der Aussage zur
Wirklichkeit oder ein Verhältnis des Sprechers zum Satzinhalt oder ein Verhältnis des
Sachverhalts der Aussage zur Wirklichkeit und das Verhältnis des Sprechers zum Satzinhalt?
Oder etwas anderes?
Welche relevanten Subtypen von Modalität gibt es? Wie könnte eine Subkategorisierung
aussehen, die sich im sprachlichen Möglichkeiten widerspiegelt? Oder spiegelt sich ein
unklares, zu vielfältiges Bild wider? Vorgeschlagen wurden u. a. EPISTEMISCHE (notwendig oder
möglich mit Bezug auf die Erwartungen, die Sprecher/innen aufgrund ihres
Erfahrungswissens haben, z. B. Es könnte Sturm geben), DEONTISCHE (notwendig/geboten oder
möglich/erlaubt mit Bezug auf ein System von Rechtsnormen, von sozialen Regeln,
moralischen Normen oder individuellen Überzeugungen, z. B. Erwachsene dürfen nicht auf
dem Gehsteig mit dem Fahrrad fahren), BULETISCHE (notwendig oder möglich mit Bezug auf
die Wünsche einer Person, z. B. Pia will das Rennrad fahren), ALETHISCHE (logisch notwendig
oder logisch möglich, z. B. Ein Körper muss eine Ausdehnung haben) und
PHYSISCHE/DISPOSITIONALE (notwendig oder möglich mit Bezug auf die physischen Umstände
oder das Können einer Person, z. B. Kuno kann den Rückwärtssalto) Modalität.
Evtl. bei Polenz (2008) anfangen, dort 2.23. Propositionale Einstellungen. Dann selbst
sehen, welche sprachlichen (v. a. syntaktisch relevanten) Verfahren im Deutschen zur
Verfügung stehen.
2.3 NP und Semantik
Semantik in der Nominalphrase
Determination, Quantifikation und …?
(Nominal,
Nominalsyntagma):
Begriffsbildung,
2.3.1 DETERMINATION und Semantik
Was ist eigentlich „Determination“?
- Was leisten unsere beiden Artikel (enger Artikelbegriff)?
- Was leisten darüber hinaus „Determinatoren“/Artikelwörter?
Als erstes Herangehen z. B. Lehmann (11/09/2013 10:03:00; mein Abruf: 01.02.2016):
http://www.christianlehmann.eu/ling/lg_system/sem/index.html (dort weiter >> Semantik
der Grammatik >> Determination).
Zum Beitragen der Artikel evtl. auch Leiss (2000).
2.3.2 Attribution und Semantik
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 12
Lässt sich ein semantisches System der nicht-satzförmigen adnominalen Attribute (wie AdjA,
GA, PA) skizzieren? Und wie teilt sich das auf? Feinsäuberlich separiert oder mit
Überschneidungen? Was also leisten semantisch (Sie müssen nicht alle Typen behandeln;
behandeln Sie das, was Sie interessiert!)
- Genitivattribut (Possession? ...?)
- Präpositionalattribut (wirklich „alles Mögliche“?)
- Adjektivattribut (Eigenschaften, Zustände, Herkunft (Münchn-er), ...?)
- enge Apposition (komplexe Namen und was noch?)?
Vgl. etwa Pias Auto, Auto von Pia und ein Glas kühler Wein/(?)kühlen Weines/?von kühlem
Wein/mit kühlem Wein. Was ist akzeptabel, welche Konstruktion transportiert welche
Bedeutungsnuancen?
IV. 3 Semantik: übergreifende Themen
3.1 Possession
Unter dem Begriff Possession werden Spielarten von Zugehörigkeitsbeziehungen
eingeordnet, in denen prototypischerweise die beiden Beteiligten (Possessor, Possessum) in
einer Weise aufeinander bezogen werden, die man als „asymmetrische Kontrolle“
bezeichnen kann. Die Körperteil-von- oder die Besitz-Relation sind jeweils nur ein Aspekt von
Possession (wie auch Zustände, etwa der Zorn des Khan). Im Deutschen haben wir z. B.
dem
Relator (DAT)
Nachbarn
sein
Possessor
(?)9
Auto
Possessum
das Auto
des
Nachbarn
(Relator: GEN)10 Possessor
Zudem finden sich (referenzierende) Konstruktionen wie sein Auto, das Auto von meinem
Nachbarn oder der Nachbar mit dem Auto, evtl. auch der Pertinenzdativ (der Arzt hat dem
Kranken den Blinddarm (den Blinddarm des Kranken) operativ entfernt). Zudem gibt es
Possession in prädikativen Konstruktionen: Das Auto (Poss’um) gehört dem Nachbarn
(Poss’or).
Possession wird in der Regel zweigeteilt in inalienable (unveräußerliche, strikt relationale)
und alienable (veräußerliche, nicht strikt relationale). Inalienabilität liegt z. B. vor in Pias
Vater oder Pias Hand, anders z. B. Pias Hund, Pias Hut. Unumstritten ist diese Zweiteilung
9
10
So etwas wie die Spiegelung bzw. Verdoppelung des Possessors? Das Possessivpronomen wäre
in sein Auto selbst Anzeiger des Possessors. Oder sein als Teil des komplexen Relators [[d-DAT X]
Posspron Y]
Die Konstruktion „attributiver Genitiv“ dient allerdings nicht nur dem Ausdruck possessiver
Beziehungen! Vgl. eine Herde wilder Pferde, der Beginn des Unterrichts. Es sind auch
kollektivierende (messende, …) Verhältnisse möglich.
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 13
nicht. Interessant ist jedoch, dass es Sprachen gibt, die hier Markierungsunterschiede
machen.11
Das Thema wird hier sprachtypologisch behandelt (erste Orientierung, auch zur Definition
einer prototypischen possessiven Relation): http://www.christianlehmann.eu/ling/lg_system/sem/index.html?http://www.christianlehmann.eu/ling/lg_system/sem/possession.php.
Interessant könnten sein (ich habe nicht in jede der folgenden Arbeiten hineinsehen können,
eventuell ist nicht alles passend):
- Heine, Bernd 1997, Possession. Cognitive sources, forces and grammaticalization. Cambridge: Cambridge University Press.
- König, Ekkehard & Haspelmath, Martin 1998, "Les constructions à possesseur externe dans
les langues de l'Europe." Feuillet, Jack (ed.), Actance et valence dans les langues de l'Europe.
Berlin & New York: Mouton de Gruyter (Empirical Approaches to Language Typology, EUROTYP, 20-2); 525-606.
- Nourelhoda Elkady (2001): Ausdrucksweisen der Possessivität im Deutschen und im
Arabischen. Diss. Univ. Siegen, online: http://d-nb.info/961113065/34.
- Seiler, Hansjakob 1983, POSSESSION as an operational dimension of language. Tübingen: G.
Narr (Language Universals Series, 2).
- Velazquez Castillo, Maura (1996): The Grammar of Possession. Amsterdam; Philadelphia
3.2 Zeit
Wir haben bereits bei der Bildung finiter Verbformen den Unterschied zwischen PRÄS und
PRÄT (lach-t vs. lach-t(-)e, liegst vs. lagst) kennengelernt, der die Zeit hinsichtlich ‚deiktisches
Zentrum (= jetzt) wird (nicht) verlassen‘ spezifiziert (oder ein unterschiedliches Verhältnis
zwischen Aktzeit und Sprechzeit und ggf. Betrachtzeit bewirkt). Das ist weiter auszubauen,
indem man Syntaktisches wie temporale Verbalkomplexe betrachtet, z. B. hat/hatte
geschrieben oder wird geschrieben haben. Auch Beispiele wie In dem Augenblick fühlte er
sich am linken Arm ergriffen und zugleich einen sehr heftigen Schmerz. Mignon hatte sich
versteckt gehabt, hatte ihn angefasst und ihn in den Arm gebissen (Goethe, Wilhelm
Meisters Lehrjahre). Warum bauen wir unsere Möglichkeiten, Zeitliches auszudrücken, aus
(Ultra(plusquam)perfekt!)? (Die Frage ist vielleicht zu spekulativ, eine erste Beschreibung
dessen, „was geht“, wäre schon einmal gut.) Warum bauen wir Ausdrucksmöglichkeiten ab
bzw. verwenden sie kaum (Futur II)?
Literatur: Welke (2005), der frühere Darstellungen zu Tempus etc. bespricht, so dass
man über die Bibliographie eventuell weiterkommen kann.
11
Das Maltesische erlaubt reine Juxtaposition (ähnlich: „enge Apposition“) bei inalienabler
Possession, bei Alienabilität setzt man eine Präposition dazwischen, im Deutschen nachgeahmt:
Haar Pia, Vater Pia aber Schuhe/Hut von Pia. Entsprechende Hinweise entnehme ich: Stiebels,
Barbara (2002): Typologie des Argumentlinkings, Berlin, 144 f.
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 14
Das ist allerdings nicht der einzige Punkt, an dem ‚Zeit‘ eine Rolle spielt. Temporale
Adverbiale (Ich sehe jetzt/gerade einen Adler, ich sehe morgen meine Tante - oder: Im Jahre
981 sieht Olaf der Kühne ein Seeungeheuer … ) und Konstruktionen wie das PROGRESSIV (ich
bin am staubsaugen/Staubsaugen - wie schreiben wir das?) spielen ebenso eine Rolle. Dann
gibt es auch Konstruktionen wie letztes Jahr am 23. Mai am späten Vormittag, als ich gerade
beim Abspülen war, klingelte ...
3.3 Quantifikation
Auf welchen Ebenen wird was quantifiziert? Vgl. jede Katze, alle Katzen, einige Katzen, etwas
Tee, drei Katzen, dreimal miauen, manchmal miauen, dreimaliges Miauen; zehn Meter weit
(werfen), die Hälfte des/von etw. etc.
Quantifizieren auch Artikel (gelegentlich)?
Komplexere Quantifikationen: fast alles, sehr viel, ungefähr zehn, weniger als fünf etc.
‚Zählen‘: drei Äpfel, drei Schafe (anders auch z. B. im Vietnamesischen ba con trau ‚drei
Büffel‘, genauer: ba ‚3‘, con ist ein Klassifikator für ‚Lebewesen‘, trau ‚Büffel‘)
‚Messen‘: drei Kilo (‚Quantität‘) Äpfel (‚Stoff‘), drei Glas Bier, eine Maß Bier, zwei Humpen mit
Bier/?*Bieres, drei Löffel Zucker
‚Kollektion‘: eine Gruppe Studenten, ein Schwarm Bienen, eine Herde Schafe
Phasenquantifikation? Was liegt vor in: Das Licht ist noch/schon/noch nicht/nicht mehr an?
Anfangen vielleicht mit Zifonun et al. (1997: D.4, 2.4.2) zur nominalen Quantifikation. Dann
weiter nach verbaler Q. schauen (selten/manchmal/oft regnen etc.). – Die Beiträge aus
„Apprehension“ (H. Seiler et al.) kommen aus der Sprachtypologie, aber man könnte mal
hineinsehen, was man in der deutschen Syntax anwenden kann; einiges wird auch an
deutschen Beispielen gezeigt, da
s könnten wir direkt „ausbeuten“.
Versuchen könnte man:
- Katz, Elisabeth (1982): Zur Distribution von Kompositum und Nominalgruppe im Deutschen.
In: Seiler & Lehmann (Hgg.) (1982), 112-129 [zu Meß-, Zähl- und Kollektivkonstruktionen]
- Kuhn, W. (1982): Kollektiva und die Technik K o l l e k t i o n am Beispiel des Deutschen. In:
Seiler & Lehmann (Hgg.) (1982), 84-111
- Seiler, H. (1986): Apprehension. Language, Object, and Order. Part III. Tübingen [da steht
immer wieder zwischendrin etwas zu Quantifikation, Kollektion, ...]
- Seiler, Hansjakob & Christian Lehmann (Hgg.) (1982): Apprehension. Das sprachliche
Erfassen von Gegenständen. Teil I. Tübingen
3.4 Aspektualität
ASPEKTUALITÄT ist ein Oberbegriff dafür, wie sprachlich die zeitliche (Binnen-)Struktur von
Ereignissen, Situationen etc. erfasst bzw. präsentiert wird. Kodiert das die Verbflexion
(anderer Sprachen als Deutsch, etwa slawische Sprachen), dann spricht man von ASPEKT.
Kodiert es die Derivation (im Deutschen eher Ansätze als System: blühen > er-blühen
‚inchoativ‘, verblühen ‚terminativ, egressiv‘), dann sagt man öfters AKTIONSART, wobei
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 15
Aktionsart bisweilen auch das bezeichnet, was nicht durch Aspekt abgedeckt wird. Uns
interessieren vor allem die syntaktischen Mittel, mit denen wir der Aspektualität Ausdruck
12
verleihen können. Das könnten das Progressiv (Pia war am Arbeiten/arbeiten ), aber auch
gewisse Funktionsverbgefüge (in Bewegung kommen ‚inchoativ‘, in Bewegung
bringen/setzen ‚kausativ‘) sein - und vielleicht auch noch etwas mehr? Ob bzw. wieviel zum
Thema zusammenkommen kann, lässt sich für mich momentan schwer abschätzen.
Interessant sind etwa die von Leiss (1992) beschriebenen und z. B. von Thiel (2008)
aufgenommenen Betrachtungen zu (In-)Definitheit und (Im-)Perfektivität, zu Aspekt und
Artikeln und zur Entwicklung des Progressivs, vgl. etwa Er hat Holz/das Holz gespalten oder
Sie sind gerade am G/gewinnen.
Vielleicht versuchen wir, die Möglichkeiten der Darbietung/Perspektivierung von Zuständen,
Handlungen etc. zu erfassen. Das könnte beispielsweise sein: innenbetrachtend als im
Verlauf befindlich ohne Fokussierung von Anfang und Ende (Holz hacken, im Wald laufen,
am Holz hacken/holzhacken/laufen sein), außenbetrachtend als zielendes, abgeschlossenes
Geschehen (das Holz hacken, in den Wald laufen), den Beginn/das Ende fokussierend
((?)unter Kontrolle kommen, außer Kontrolle geraten), ein Bewirken fokussierend (unter
Kontrolle bringen)?
3.5 Konversen, Diathesen und Perspektivierung
Es geht um syntaktische Möglichkeiten, die das Geschehen bzw. den Sachverhalt
unterschiedlich perspektivieren und die Aktanten als in unterschiedlicher Weise involviert zu
präsentieren. Das hat mit verbaler Valenz zu tun und den Möglichkeiten, ein lexikalisches
Valenzgrundtableau syntaktisch abzuwandeln. Klassisch die Diathesen: Die Jury-Vorsitzende
überreichte den Gewinnern den Sowieso-Preis  Den Gewinnern wurde der Sowieso-Preis
überreicht, Die Gewinner bekamen den Sowieso-Preis überreicht. Aber u. a. auch
Reflexivkonverse (Lachsäcke verkaufen sich gut) oder Kausativkonstruktion (Underwood ließ
den Fahrer den Wagen in die Werkstatt bringen).
Was für Konversen (z. B. gibt es und welche Funktionen lassen sich erkennen?
Vielleicht noch, sofern es auf syntaktischen Verfahren beruht und nicht auf Morphologie wie in
sauschlecht, stockdumm oder auf lexikalischen Mitteln wie wahnsinnig/irre/furchtbar schlecht
(allerdings können wir beim Thema Attribution vermerken, dass auch Graduierung ausgedrückt
werden kann):
3.6 Graduierung, Steigerung, Wertung
Ich weiß nicht, inwiefern sich das syntaktisch (!) lohnt und wieviel da zusammenkommt,
wenn man mal herumstöbert. Spontan fällt mir auf:
X ist nicht der schlechteste/dümmste ... ‚X ist ganz gut, recht intelligent ...‘
X ist nicht der schlechtesten/dümmsten einer (sofern das geläufig ist)
12
Ist hier Großschreibung (substant. Inf.) oder Kleinschreibung (verbale Form) angezeigt?
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 16
X ist voll der Durchblicker/Dummbeutel ...
Es fällt aber auch auf, dass das wohl (Phraseo-)Konstruktionen sind, d. h. keine rein regelbzw. baukastenmäßigen Erzeugungen.
Inwieweit Folgendes geht, wäre noch zu ermitteln: Das ist mords der Aufwand.
Und natürlich dann Attributionen wie furchtbar umständlich, schrecklich nett, fürchterlich
regnen.
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 17
V Bibliographie
- Bredel, U. & Lohnstein, H. (2003): Die Verankerung von Sprecher und Hörer im verbalen
Paradigma des Deutschen. In: Hoffmann, Ludger (Hg.), Funktionale Syntax. Berlin; New
York, 122-154.
- Freudenberg-Findeisen, Renate (1999): Feldergrammatik: Ergänzender Grammatikansatz in
Theorie und Praxis. In: Freudenberg-Findeisen, R. (Hg.) (1999): Ausdrucksgrammatik
versus Inhaltsgrammatik. München, 269-285.
- Heidolph, K. E./Flämig, W./Motsch, W. (1981): Grundzüge einer deutschen Grammatik.
Berlin.
- Hoffmann, Ludger (Hg.) (2003): Funktionale Syntax. Berlin; New York
- Hoffmann, Ludger (Hg.) (2007). Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin; New York
- Leiss, Elisabeth (1992): Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der
sprachlichen Kategorisierung. Berlin
- Leiss, Elisabeth (2000): Artikel und Aspekt. Berlin
- Lohnstein, H. & Bredel, U. (2001): Zur Ableitung von Tempus und Modus in der deutschen
Verbflexion. In: ZfS 20.2, 218-250.
- Mel’cuk, Igor (2009). Dependency in Natural Language. In: Polguère, A./Mel’cuk, I. (Hgg.)
(2009), Dependency in Linguistic Description. Amsterdam; Philadelphia, 1-110.
- Nourelhoda, Elkady (2001): Ausdrucksweisen der Possessivität im Deutschen und im
Arabischen. Diss. Univ. Siegen, online: http://d-nb.info/961113065/34
- Polenz, Peter von (2008): Deutsche Satzsemantik. Berlin; New York
- Smirnova, Elena/Mortelmans, Tanja (2010): Funktionale Grammatik. Konzepte und
Theorien. Berlin; New York
- Thiel, Barbara (2008): Das deutsche Progressiv: neue Struktur in altem Kontext. In: Zs. f.
Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 13:2. Online: http://tujournals.ulb.tudarmstadt.de/index.php/zif/article/view/236/228, 21.02.16
- Truckenbrodt, Hubert & Kathrin Eichler (2010): Einführung in die moderne
Sprachwissenschaft. Ms., ZAS Berlin und DFKI Saarbrücken, 2010 [Online:
http://www.zas.gwz-berlin.de/fileadmin/mitarbeiter/truckenbrodt/Research_HT/morphosyntax.html, 6 Kapitel, letzter
Aufruf 19.02.16]
- Velazquez Castillo, Maura (1996): The Grammar of Possession. Amsterdam; Philadelphia
- Welke, Klaus (2005): Tempus im Deutschen. Berlin
- Zifonun, Gisela/Hoffmann, Ludger/Strecker, Bruno et al. (1997): Grammatik der deutschen
Sprache. Berlin: de Gruyter. 3 Bde.
 Ich habe die folgende Serie „Language Universals Series“ noch nicht durchgesehen, aber
dort finden sich möglicherweise Beiträge zu unserem Thema. Im Internet (Gunter Narr
Verlag, Tübingen):
PD Dr. W. Schindler. HS Satzaufbau und Satzkomplexität. Informationen und Themen (V. 22.02.16). Seite 18
http://narr-starter.de/magento/index.php/catalogsearch/result/?cat=0&q=language+universals+series
und dann … Recherche (wir müssten die Bände in der IB oder UB haben).
Falls da aber nichts Passendes aufzufinden ist: weglassen.
Herunterladen