2 Arbeitslosigkeit und Gesundheit bei älteren Menschen

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Ältere Menschen: Arbeit, Teilhabe und gesundheitliche
Ungleichheit
Studienbrief zum Modul O 10.1 des Studiengangs
Bachelor of Arts: Soziale Sicherung, Inklusion, Verwaltung (BASS)
Autorin
Prof. Dr. Dr. Ilse Heberlein
Inhaltverzeichnis
Inhaltverzeichnis ............................................................................................ 1
1
Arbeit und Gesundheit bei älteren Menschen ........................................ 4
1.1
Teilhabe und soziale Anerkennung vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels ........................................................................... 4
1.2
Empowermentprozesse im Kontext von Arbeit und Gesundheit ... 6
1.3
Modelle zur Erklärung des Zusammenhangs von Arbeit und
Gesundheit................................................................................................ 10
1.3.1
Anforderungs-Kontroll-Modell ............................................ 10
1.3.2
Modell der beruflichen Gratifikationskrisen ........................ 11
1.3.3
Belastungs-Beanspruchungs-Modell .................................... 12
1.4
Arbeitsbelastungen
und
subjektive
Wahrnehmung
der
Gesundheitsgefährdung ............................................................................ 14
1.5
Körperliche und Umgebungs-Belastungen .................................. 17
1.5.1
Arbeitsunfälle,
arbeitsbedingte
Erkrankungen
und
Berufskrankheiten ................................................................................ 19
1.5.2
1.6
Gesundheitsprobleme bei Nacht- und Schichtarbeit ............ 22
Psychosoziale Belastungen .......................................................... 24
1.6.1
Mobbing .............................................................................. 27
1.6.2
Berufsbedingte räumliche Mobilität ..................................... 31
1.7
Gesundheitsprobleme durch psychosoziale Belastungen und
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit ................................................... 33
1.7.1
Burnout ................................................................................. 34
1.7.2
Psychische Störungen und Arbeitsunfähigkeit ..................... 38
1.8
2
Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand .......................... 42
1.8.1
Erwerbstätigkeit 50+ ............................................................ 43
1.8.2
Frühberentung ...................................................................... 46
Arbeitslosigkeit und Gesundheit bei älteren Menschen ....................... 49
2.1
Subjektiver Gesundheitszustand Arbeitsloser .............................. 50
2.2
Gesundheitsverhalten und Risikofaktoren.................................... 51
2.3
Erkrankungen und Mortalität bei Arbeitslosen ............................ 53
2.3.1
Depressive Störungen ........................................................... 56
2.3.2
Posttraumatische
Verbitterungsstörung(Posttraumatic
Embitterment Disorder, PTED)............................................................ 57
2.3.3
Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit ........................... 58
2.3.4
Mortalität .............................................................................. 62
2.4
Dauer der Arbeitslosigkeit und Gesundheit ................................. 62
2.5
Modelle des Zusammenhangs von Arbeitslosigkeit und Krankheit .
...................................................................................................... 64
2.5.1
Kausalitätshypothese ............................................................ 64
2.5.2
Selektionshypothese, Drifthypothese ................................... 64
2.5.3
Circulus vitiosus von Krankheit und/oder Behinderung und
Arbeitslosigkeit .................................................................................... 65
3
Medizinische Klassifikationssysteme................................................... 66
3.2
Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung
und Gesundheit (ICF) ............................................................................... 67
3.2.1
Konzept der funktionalen Gesundheit .................................. 68
3.2.2
Konzept der Körperfunktionen und -strukturen ................... 68
3.2.3
Konzept der Aktivitäten ....................................................... 69
3.2.4
Konzept der Teilhabe ........................................................... 69
3.2.5
Konzept der Kontextfaktoren ............................................... 69
3.2.6
Das
bio-psycho-soziale
Modell
von
Gesundheit
und
Krankheit .............................................................................................. 70
3.2.7
3.3
Anwendung der ICF ............................................................. 71
Internationale Klassifikation der Prozeduren in der Medizin
(ICPM; OPS-301)..................................................................................... 71
4
Sozialmedizinische Begutachtung........................................................ 72
4.1
Grundlagen ärztlicher Begutachtung ............................................ 72
4.2
Beteiligte und Begutachtung ........................................................ 73
4.3
Finale versus kausale Betrachtung bei medizinischen Gutachten 76
2
4.4
Begutachtungsrelevante rechtliche Begriffe ................................ 79
4.4.1
Grad der Schädigung (GdS) und Grad der Behinderung
(GdB)
.............................................................................................. 79
4.4.2
Minderung
der
Erwerbsfähigkeit
(MdE)
und
Erwerbsminderung (EM)...................................................................... 80
4.5
Sozialmedizinische Begutachtung bei der Bundesagentur für
Arbeit ...................................................................................................... 81
5
Sozialmedizinische
Leistungsdiagnostik
und
Beurteilung
der
Leistungsfähigkeit ........................................................................................ 83
5.1
Leistung im sozialmedizinischen Sinn ......................................... 83
5.2
Grundlagen
der
sozialmedizinischen
Beurteilung
der
Leistungsfähigkeit .................................................................................... 85
5.3 Diagnostik der erwerbsbezogenen Leistungsfähigkeit ....................... 86
5.3.1
Spezielle Leistungsdiagnostik: arbeitsbezogene Assessments .
.............................................................................................. 88
5.3.2
Work Ability Index (WAI) ................................................... 89
5.3.3
Erfassung
von
arbeitsbezogenen
Verhaltens-
und
Erlebensmustern ................................................................................... 90
5.4
Abschließende
Beurteilung
des
erwerbsbezogenen
Leistungsvermögens in der sozialmedizinischen Begutachtung .............. 91
5.4.1
Qualitatives Leistungsvermögen .......................................... 92
5.4.2
Quantitatives Leistungsvermögen ........................................ 92
5.5
6.
Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer ...................................... 94
Literaturverzeichnis .............................................................................. 95
Anhang ....................................................................................................... 107
3
1 Arbeit und Gesundheit bei älteren Menschen
Erwerbstätigkeit ist ein grundlegendes soziales Bedürfnis. Arbeit „prägt
entscheidend die Beziehungen der Menschen untereinander wie auch die
Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen. Über ihre gesellschaftliche Anerkennung bilden sich individuelle Identität und Selbstwertgefühl. Arbeit bedeutet ökonomische Sicherheit und die Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung durch finanzielle Mittel, damit auch Teilhabe an kulturellen Aktivitäten
und Freizeitaktivitäten. Arbeit bedeutet Strukturierung des Tages und der
Woche, Möglichkeiten zu sozialen Kontakten und zur Außenwelt“ (Blättner
2011, S. 97). In Abhängigkeit verschiedener Faktoren wie Zeitumfang, Leistungsanforderungen, Handlungsspielräume, Kontrollmöglichkeiten, Betriebsklima, Arbeitsplatzgestaltung etc. können Arbeitsbedingungen einen
positiven oder negativen Einfluss auf die Gesundheit von Beschäftigten haben.
In Anbetracht der demografischen Entwicklung und der Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre ist es von hoher Relevanz, gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Potenziale älterer erwerbstätiger Menschen zu erhalten und auszubauen. Vor diesem Hintergrund erhielt die Sachverständigenkommission für den 5. Altenbericht von der Bundesregierung
den Auftrag, Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft aufzuzeigen und politikrelevante Handlungsempfehlungen daraus abzuleiten
(BMFSFJ 2006). Auf individueller Ebene geht es darum, auch älteren Menschen die Verwirklichung persönlicher Ziel- und Wertvorstellungen im Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit zu ermöglichen und Altersdiskriminierung zu vermeiden. Auf gesellschaftlicher Ebene stellt sich die Frage, inwieweit ältere Menschen in der Lage sind, einen Beitrag zum Wohl der Solidargemeinschaft zu leisten.
1.1
Teilhabe und soziale Anerkennung vor dem Hintergrund
des demografischen Wandels
Die Berufsrolle stellt im frühen und mittleren Erwachsenenalter eine zentrale
soziale Rolle dar. Für viele Menschen dieser Altersgruppe ist Erwerbsarbeit
die wichtigste Quelle zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Gleichzeitig ist sie eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe.
Durch ihre Arbeit sind Erwerbstätige in von Familie und Freunden unabhängige soziale Beziehungsnetzwerke eingebunden. Unter guten Bedingungen
4
wird Erwerbstätigkeit als sinnstiftend erlebt und geht mit sozialem Ansehen
einher.
Die Chance, einen angestrebten beruflichen Status zu erreichen, diesen solange wie gewünscht zu erhalten und gegen Konkurrenz zu verteidigen, wird
als Statuskontrolle bezeichnet. Eine hohe Statuskontrolle ist mit einer gesundheitsfördernden Wirkung verbunden, während sich eine bedrohte oder
niedrige Statuskontrolle negativ auf die Gesundheit auswirkt (Siegrist 2005).
In Anbetracht des demografischen Wandels gewinnt die Nutzung des Erwerbspersonenpotentials Älterer an Bedeutung und gleichzeitig wird es mit
zunehmendem Lebensalter
häufig schwieriger in einer verlängerten Er-
werbsphase eine hohe Statuskontrolle aufrecht zu erhalten. Gute Voraussetzungen für eine hohe Statuskontrolle sind z. B. Bildung, Qualifikation,
Selbstwirksamkeit sowie ein positives Selbstwertgefühl.
Demografischer Wandel: Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2050:

kontinuierliche Alterung der Bevölkerung

Zunahme der Zahl älterer Menschen mit überproportionaler Zunahme der Hochaltrigen (80 Jahre und älter)

Abnahme der Gesamtbevölkerung mit prozentual stärkerer Abnahme der Bevölkerung im Erwerbsalter (BMFSFJ 2006)
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung haben sich die EU-Staaten im
Rahmen der sog. Lissabon-Strategie im Jahr 2000 darauf geeinigt, die Erwerbsquoten älterer Arbeitnehmer zu erhöhen. Mit der letzten Rentenreform
wurde in Deutschland außerdem das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre angehoben. Die Umstellung erfolgt ab 2012 in Stufen und soll 2029 abgeschlossen sein.
Obwohl die Erwerbstätigenquote älterer Menschen in den vergangenen Jahren angestiegen ist, liegt die Rate der 55 bis 64-Jährigen, die nicht mehr an
einer Erwerbsarbeit teilhaben mit über 40% immer noch hoch.
5
Abb. Entwicklung der Erwerbstätigenquoten (Quelle: statistisches Bundesamt 2011)
Frauen im Alter von 55 bis 64 Jahren sind mit 49% immer noch seltener
erwerbstätig als Männer mit 64% (Statistisches Bundesamt 2011). Diese
Zahlen machen deutlich, dass weitere Anstrengungen notwendig sind, um
die Ressourcen älterer, insbesondere weiblicher Arbeitnehmer zu stärken
und ihnen einen längeren Verbleib in Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.
Im Folgenden sollen zunächst die allgemeinen Zusammenhänge von Arbeit
und Empowerment sowie von Arbeit und Gesundheit näher betrachtet werden.
A1
1.2
Empowermentprozesse im Kontext von Arbeit und Ge-
sundheit
Das Konzept des Empowerment stammt aus der amerikanischen Gemeindepsychologie. Es bezeichnet Strategien und Maßnahmen, die es Individuen
oder Gruppen ermöglichen, „ihre soziale Lebenswelt sowie ihr Leben selbst
zu gestalten und sich nicht gestalten zu lassen“ (Gutzwiller und Paccaud
2007). Empowerment bedeutet Stärkung der Eigenverantwortlichkeit, Entwicklung oder Verbesserung eigener Fähigkeiten sowie Gestaltung und Kontrolle der eigenen sozialen Lebenswelt, also auch der Erwerbstätigkeit.
6
Nach Siegrist (2005) ermöglicht das soziale Handeln im Medium zentraler
Rollen wie der des Erwerbstätigen neben einer sozialen Nutzenproduktion
immer auch eine personale Nutzenproduktion. Die personale Nutzenproduktion beinhaltet die Befriedigung basaler Bedürfnisse des physischen und
psychischen Wohlbefindens und der sozialen Wertschätzung und ist bei gutem Gelingen mit positiven Selbsterfahrungen verbunden.
Abb. Positive Selbsterfahrungen im Kontext von Erwerbstätigkeit
Positive Selbsterfahrungen
Selbstwirksamkeitsgefühl:
Erfahrung von Autonomie und Erfolg eigenen
Handelns
Selbstwertgefühl:
Erfahrung von Anerkennung der eigenen Person und
Leistung
Zugehörigkeitsgefühl:
Erfahrung des Eingebundenseins in eine Gemeinschaft
Eine Erwerbsarbeit, die positive Selbsterfahrungen ermöglicht, kann somit
zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit beitragen.
Zu den Merkmalen einer Erwerbstätigkeit, die mit positiver Selbsterfahrung,
Empowerment und Ressourcenstärkung verbunden sind, gehören z. B.:

angemessene Bezahlung

Sicherheit des Arbeitsverhältnisses

angemessene Arbeitsanforderungen (weder Über- noch Unterforderung)

Anerkennung der Arbeitsleistung

ausreichende Beteiligung an der Gestaltung von Arbeitsprozessen

gutes Betriebsklima

gute Weiterbildungsmöglichkeiten
Im Jahr 2004 wurden Beschäftigte im Auftrag der Initiative „Neue Qualität
der Arbeit“ (INQA) nach ihren Vorstellungen von „guter Arbeit“ befragt.
Für die meisten war ein gesichertes Arbeitsverhältnis mit einem festen, verlässlichen Einkommen das wichtigste Merkmal. Außerdem sollte die Arbeit
7
Spaß machen und die Beschäftigten wollten von ihren Vorgesetzten „als
Mensch“ behandelt werden (Fuchs 2006).
Tab. Anforderungen an „Gute Arbeit“ aus der Sicht von Arbeitnehmer_innen: die 10 wichtigsten Punkte (Fuchs 2006)
1
Festes, verlässliches Einkommen
92%
2
Sicherheit des Arbeitsplatzes
88%
3
Arbeit soll Spaß machen
85%
4
Behandlung „als Mensch“ durch Vorgesetzten
84%
5
Unbefristetes Arbeitsverhältnis
83%
6
Förderung der Kollegialität
76%
7
Gesundheitsschutz bei Arbeitsplatzgestaltung
74%
8
Arbeit soll als sinnvoll empfunden werden
73%
9
Auf Arbeit stolz sein können
73%
10
Vielseitige/abwechslungsreiche Arbeit
72%
Erwartungsgemäß sind Empowermentprozesse und positive Selbsterfahrungen in Berufen mit einer hohen Qualifikation häufiger. Eine 2006 gemeinsam vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) und der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführte Erwerbstätigenbefragung zeigt, dass höher Qualifizierte über mehr Planungskompetenz bezüglich der eigenen Arbeit verfügen und eher von Vorgesetzten unterstützt
werden. Außerdem haben Erwerbstätige mit einer höheren Qualifikation
eher das Gefühl, dass ihre Arbeit wichtig ist und dass die Zusammenarbeit
mit Kollegen gut ist.
8
Abb. Psychische Arbeitsbedingungen in Abhängigkeit der beruflichen
Qualifikation
–
prozentuale
Anteile
(Quelle:
BiBB-BAuA-
Erwerbstätigenbefragung 2006)
Eine Erwerbstätigkeit, die sowohl innerbetrieblich als auch gesellschaftlich
mit Anerkennung verbunden ist, wird als sinnstiftend erlebt und wirkt sich
positiv auf das subjektive Wohlbefinden aus. Dies wird durch Statistiken zu
Arbeitsunfähigkeitsdaten bestätigt. Die niedrigsten Fehlzeiten fanden sich im
Jahr 2010 bei pflichtversicherten Frauen aus freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen, insbesondere bei Naturwissenschaftlerinnen, Apothekerinnen, Ärztinnen, Wirtschaftsprüferinnen und Steuerberaterinnen sowie Publizistinnen. Bei Männern waren die Fehlzeiten am geringsten bei Hochschullehrern und Dozenten an höheren Fachschulen und
Akademien sowie bei Juristen und Naturwissenschaftlern (BKK 2011).
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Erkrankungs- und vorzeitiges Sterberisiko umso niedriger sind, je höher die berufliche Stellung in der
Hierarchie einer Organisation ist. So zeigte sich in der Whitehall-Studie,
einer Untersuchung britischer Regierungsangestellter, dass das relative Risi9
ko für eine koronare Herzkrankheit innerhalb von zehn Jahren bei hohen
Verwaltungsangestellten und leitenden Angestellten deutlich niedriger lag
als bei Boten und Reinigungspersonal, selbst dann, wenn bekannte Risikofaktoren wie Alter, Rauchen, Blutdruck etc. kontrolliert wurden (Marmot et
al. 1984). Ein entsprechender Zusammenhang zwischen hohem beruflichen
Status und koronarem Risiko konnte sowohl für Männer als auch für Frauen
nachgewiesen werden (Marmot et al.1997, Wamala et al. 2000).
Die beschriebenen Studienergebnisse machen deutlich, dass eine effektive
Prävention am Arbeitsplatz nicht nur auf die Vermeidung von Schäden ausgerichtet sein darf, sondern Hand in Hand mit einer gesundheitsförderlichen
Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen gehen muss.
1.3
Modelle zur Erklärung des Zusammenhangs von Arbeit
und Gesundheit
Zur Erklärung, wie Arbeit die Gesundheit beeinflusst, können verschiedene
medizinsoziologische Modelle herangezogen werden, insbesondere das Anforderungs-Kontroll-Modell, das Modell der Gratifikationskrisen und das
Belastungs-Beanspruchungs-Modell.
1.3.1
Anforderungs-Kontroll-Modell
Nach dem Anforderungs-Kontroll-Modell von Karasek und Theorell (1990)
führt ein hohes Ausmaß quantitativer Arbeitsbelastungen zu umso höherem
Distress (negativem Stress) und damit zu einem erhöhten Krankheitsrisiko,
je geringer der Entscheidungsspielraum über die Arbeitsaufgabe und damit
die Kontrollmöglichkeiten einer Person sind. Ein geringer Grad der Selbstbestimmung in der Erledigung von Aufgaben und wenig Möglichkeiten,
persönliche Kompetenzen zu entwickeln und anzuwenden, lösen unangenehme Gefühle aus und führen zu anhaltenden psychophysischen Spannungszuständen. Ein klassisches Beispiel für solche gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen ist die Fließbandarbeit. Aber auch in statusniedrigen Dienstleistungstätigkeiten (z. B. Reinigungskräfte) ist meist eine Kombination aus hohen Anforderungen und niedriger Kontrollierbarkeit von
Arbeitsinhalt und Arbeitsablauf gegeben. Durch eine geringe psychosoziale
Unterstützung werden die negativen Auswirkungen solcher Arbeitsbedingungen noch verstärkt.
10
Umgekehrt sind geringere bzw. angemessene quantitative Anforderungen
bei hohem Entscheidungsspielraum und guter sozialer Unterstützung mit
niedriger Belastung verbunden. Arbeit wird dann zu einer gesundheitlichen
Ressource.
Kritik wurde vor allem deshalb an diesem Modell geübt, weil weder individuelle Bewältigungsstrategien belastender Arbeitsbedingungen noch andere
Rahmenbedingungen der Arbeit wie z. B. Sicherheit des Arbeitsplatzes,
Betriebsklima, unangemessene Bezahlung etc. berücksichtigt werden.
1.3.2
Modell der beruflichen Gratifikationskrisen
Nach demModell der beruflichen Gratifikationskrisen von Siegrist (1996)
wird ein Arbeitsvertrag als gesellschaftliches Tauschverhältnis von Leistung
und Belohnung (Gratifikationen) betrachtet. Es werden drei Arten von Gratifikationen unterschieden: 1. finanzielle Belohnungen (Lohn, Gehalt), 2.
Wertschätzung und Anerkennung und 3. Belohnung durch Aufstieg und/oder
Arbeitsplatzsicherheit. Ein ausgeglichenes Verhältnis von Leistung und Belohnung (Reziprozität) wirkt sich gesundheitsförderlich aus. Ein Ungleichgewicht von hohem Arbeitseinsatz und niedriger Belohnung (Gratifikationskrise) führt zu negativen Gefühlen und körperlicher Anspannung, d. h. zu
Stressreaktionen.
Siegrist (2005) unterscheidet drei Bedingungen, unter denen zu erwarten ist,
dass sich Erwerbstätige einem ungünstigen Verhältnis von Verausgabung
und Belohnung aussetzen:

Soziale Zwänge, die einen Wechsel in eine günstigere Tätigkeit
nicht zulassen wie geringe Mobilität, geringe Qualifizierung („lieber
eine schlechte Arbeit als gar keine“)

Berufsbiografisch-strategische Erwägungen, z. B. Erwartung einer
späteren Honorierung von Vorleistungen (Beförderung)

Psychische Disposition: übersteigerte berufliche Verausgabungsneigung
Bei anhaltendem Stress durch ein Missverhältnis von Verausgabung und
Belohnung können sich daraus sowohl körperliche (z. B. Bluthochdruck,
11
Adipositas) als auch seelische Gesundheitsprobleme (z. B. Burnout, depressive Störungen) entwickeln.
1.3.3
Belastungs-Beanspruchungs-Modell
Da die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen in den vergangenen
Jahren deutlich angestiegen sind, werden zunehmend psychische und psychosomatische Prozesse in die Gefährdungsbeurteilung und den Gesundheitsschutz miteinbezogen. Das Belastungs-Beanspruchungsmodell dient in
der Arbeitsmedizin als Grundlage für Messinstrumente psychosozialer Belastungen und deren Bewertung durch die Betroffenen. In Abhängigkeit von
den persönlichen und sozialen Dispositionen und Rahmenbedingungen bewirkt eine Belastung eine individuelle Beanspruchung. Diese äußert sich in
Reaktionen auf verschiedenen Ebenen: im Denken (positive - negative Assoziationen, Wertungen, Kognitionen), Fühlen (positive - negative Emotionen), vegetativen Nervensystem (Aktivierung - Dämpfung), in der Muskulatur (Anspannung - Entspannung) und/oder im Verhalten einer Person (Nagel
et al. 2011).
Nach DIN EN 10075-1 „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer
Arbeitsbelastung” werden psychische Belastungen definiert als:
„die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken” (DGUV 2010).
Diese Definition ist etwas irritierend, da der Begriff „Belastung“ im allgemeinen Sprachgebrauch per se negativ konnotiert ist (z. B. „Ich fühle mich
durch etwas belastet.“ „Das ist eine Belastung für mich.“)
Auch in Studien wird der Begriff häufig nicht als neutrale äußere Einwirkung definiert.
Nach dem Belastungs-Beanspruchungsmodell geht jede Erwerbstätigkeit mit
psychischen Belastungen einher. Diese können sowohl mit positiven Folgen
(Anregungs-, Lern- und Trainingseffekte) als mit negativen Folgen (verringerte Leistungsfähigkeit, psychische Sättigung, Ärger, Ermüdung, Suchtmittelmissbrauch) verbunden sein.
Messung der Belastung: Bestimmung von Belastungshöhe und Belastungsdauer
12
Belastungen führen zu individuell unterschiedlichen Beanspruchungen.
Beanspruchung = Reaktion des Menschen auf arbeitsbedingte Belastungen
Messung der Beanspruchung:

Messung von Aktivitätsparametern (z. B. Pulsfrequenz, Atemfrequenz)

Erfassung von Veränderungen der Leistung (z. B. Menge, Qualität)

Messung des subjektiven Befindens (z. B. Ermüdung)
Verschiedene Personen sind bei gleicher Belastung in der Regel nicht gleich
beansprucht. Belastungen sind immer zusammengesetzt aus physischen,
psychomentalen und psychosozialen Komponenten sowie dem Umweltbereich (Groner 2012). Zwischen Belastung und Beanspruchung besteht kein
linearer Zusammenhang, sondern eine U-förmige Beziehung, d. h. sowohl
eine Unterforderung als auch eine Überforderung können zu einer Überbeanspruchung mit negativen körperlichen und/oder seelischen Folgen führen.
Im Leitfaden für Betriebsärzte zu psychischen Belastungen und den Folgen
in der Arbeitswelt wurde das Belastungs-Beanspruchungsmodell erweitert,
indem nicht nur die lineare Reaktionskette Belastungen – Beanspruchungen
– Folgen betrachtet wird, sondern zusätzlich Rückkopplungsprozesse einbezogen werden: sowohl infolge der Fehlbeanspruchung entstandene als auch
parallel vorhandene psychische und somatische Erkrankungen beeinflussen
arbeitsbezogene Belastungen und zwar sowohl positiv als auch negativ
(DGUV 2010).
13
Abb. Das erweiterte Belastungs- und Beanspruchungsmodell
(modifiziert nach DGUV 2010)
Rückkopplungsprozesse
Arbeitsbedingte
Belastungen
Externe
Ressourcen
Arbeitsumgebung
Soziales Klima
Arbeitsaufgabe
Arbeitsorganisation
unmittelbare
Reaktion
Persönliche
Ressourcen
Private Belastungen
1.4
Beanspruchung
individuell unterschiedlich
postiv
positiv
Kurzfristige
Folgen
Langfristige
Folgen
negativ
negativ
Rückkopplungsprozesse
Arbeitsbelastungen und subjektive Wahrnehmung der
Gesundheitsgefährdung
„Es gibt das Menschenrecht auf Arbeit und angemessene und befriedigende
Arbeitsbedingungen, sogar das Menschenrecht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit – festgelegt in Artikel 23 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen von 1948. Für viele Menschen scheint
dieses Recht aber nicht zu gelten – auch nicht in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den beruflichen Stress zu „einer der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts“ erklärt. Die daraus resultierenden gesundheitlichen und gesellschaftlichen Probleme sind auch in Deutschland zu
gravierend, um sie als vermeintlich unabänderliche Kollateralschäden des
Wirtschafts- und Finanzsystems zu tolerieren.“ (Hölzinger 2011)
Hohe Belastungen am Arbeitsplatz, die die individuelle Leistungsfähigkeit
der Erwerbstätigen übersteigen, können zu Beanspruchungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Berufskrankheiten führen mit erhöhten
Fehlzeiten, einem erhöhten Risiko für Fehlhandlungen oder Arbeitsunfälle,
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit oder einem vorzeitigen Renteneintritt.
14
Belastungen durch Erwerbstätigkeit können aus körperlichen oder geistigen
Tätigkeiten, aus der Arbeitsorganisation, der Arbeitsumgebung oder den
sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz entstehen. Erwerbstätigkeit in
Deutschland ist auf der einen Seite gekennzeichnet durch eine hohe Zahl
hochqualifizierter und sozial abgesicherter Arbeitsplätze sowie durch starke
Interessenvertretungen der Arbeitnehmer. Andererseits gibt es eine steigende
Anzahl von Arbeitsplätzen in gering regulierten Bereichen des Arbeitsmarktes mit unzureichender Bezahlung (z. B. 1-Euro-Jobs, Praktika). Wird das
eigentliche Ziel dieser Beschäftigungsverhältnisse, der (Wieder)einstieg in
den ersten Arbeitsmarkt, nicht erreicht können daraus erhebliche psychosoziale und finanzielle Belastungen resultieren.
Arbeitsbelastungen können unterteilt werden in Umgebungsbelastungen (z.
B. Lärm, extreme Temperaturen), körperliche Belastungen (z. B. schweres
Heben und Tragen) sowie psychische und soziale Belastungen (z. B. Zeitdruck, Konflikte am Arbeitsplatz) (Statistisches Bundesamt 1998).
In den Jahren 2009/2010 führte das Robert Koch-Institut einen Interviewsurvey zu Arbeitsbelastungen und gesundheitlichen Folgen durch. Im Rahmen
der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA 2010)“ wurden
20.050 erwerbstätige Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt (Kroll
et al. 2011).
Ein Siebtel der befragten erwerbstätigen Frauen und ein Fünftel der Männer
sah die eigene Gesundheit als stark oder sehr stark durch ihre Arbeit gefährdet. Die Mehrheit der erwerbstätigen Frauen und Männer gab an, dass ihre
Gesundheit durch die eigene Arbeit „gar nicht“ oder nur „mäßig“ gefährdet
sei. Im Vergleich der Altersgruppen „Berufseinstieg“, „Hauptphase der Erwerbstätigkeit“ und „späte Phase des Berufslebens“ zeigten sich aber – vor
allem bei erwerbstätigen Männern – deutliche Unterschiede in der subjektiv
wahrgenommenen Gesundheitsgefährdung durch die eigene Arbeit (Kroll et
al. 2011).
15
Tab. Subjektiv wahrgenommene Gesundheitsgefährdung durch die eigene Arbeit (Datenbasis GEDA 2010, Kroll et al. 2011)
Gesundheitsgefährdung durch die eigene Arbeit
gar nicht
mäßig
stark
sehr stark
18-29 Jahre
44,2%
42,1%
11,8%
1,8%
30-44 Jahre
44,1%
41,0%
12,2%
2,7%
45-64 Jahre
44,9%
41,8%
11,0%
2,3%
44,5%
41,6%
11,6%
2,3%
18-29 Jahre
39,5%
44,6%
12,4%
3,4%
30-44 Jahre
26,3%
50,2%
18,6%
4,9%
45-64 Jahre
34,4%
46,4%
15,7%
3,5%
32,4%
47,5%
16,1%
4,0%
Frauen
Frauen gesamt
Männer
Männer
gesamt
Die
häufigsten
Arbeitsbelastungen
waren
„Arbeit
unter
Zeit-
/Leistungsdruck“ mit 40,4%, „Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege“ mit 34,6%) und „Lärm, Kälte, Hitze usw.“ mit 34,2% (Kroll et
al. 2011).
Analysen des Zusammenhangs zwischen Arbeitsbelastungen und wahrgenommener Gesundheitsgefährdung zeigten, dass Frauen „Beeinträchtigungen im Arbeitsklima“ und „Arbeit unter Zeit-/Leistungsdruck“ als wichtigste
Risikofaktoren für eine Gesundheitsgefährdung einschätzten. Männer maßen
den Belastungsfaktoren „Beeinträchtigungen im Arbeitsklima“ und „Lärm,
Kälte, Hitze usw.“ die größte Bedeutung für eine Gesundheitsgefährdung zu
(Kroll et al. 2011).
Die subjektiv empfundene gesundheitliche Belastung (Beanspruchung)
durch die eigene Arbeit hängt nicht nur von der Art der Belastung ab. Weitere Einflussfaktoren sind insbesondere der Umfang der Erwerbstätigkeit und
der mit der Tätigkeit verbundene soziale Status. Vollzeiterwerbstätige schätzen ihre gesundheitliche Belastung durch die eigene Arbeit deutlich höher
16
ein als Teilzeiterwerbstätige oder geringfügig Beschäftigte. 17% der vollzeitbeschäftigten Frauen und Männer sahen eine starke Belastung ihrer Gesundheit durch die eigene Arbeit, 21% eine sehr starke. Im Vergleich dazu
nahmen nur 5% der geringfügig Beschäftigten eine starke und 12% eine sehr
starke Belastung wahr (Kroll et al. 2011).
Im Branchenvergleich findet sich eine starke oder sehr starke subjektive
gesundheitliche Belastung vor allem bei Frauen, die in der Gesundheitsbranche beschäftigt sind und bei männlichen Beschäftigten im Baugewerbe sowie im Güter- und Personenverkehr (Kroll et al. 2011).
Frauen und Männer, die als Arbeiter_innen beschäftigt sind, sehen deutlich
häufiger eine Gesundheitsgefährdung durch ihre Arbeit als Angestellte oder
Freiberufler_innen und Selbständige. Diese Unterschiede zeigen sich auch
nach statistischer Kontrolle des Alters, des Umfangs der Erwerbstätigkeit
und der Dauer der Betriebszugehörigkeit (Kroll et al. 2011).
A2
1.5
Körperliche und Umgebungs-Belastungen
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen körperlichen Belastungen (z. B.
langes Stehen, schweres Heben), Umgebungsbelastungen (z. B. Hitze, Kälte,
Lärm) und psychischen Belastungen (z. B. fehlende Anerkennung, mangelnde Kommunikation), wobei von Wechselwirkungen auszugehen ist.
Psychische Belastungen durch Zeitdruck und Arbeitsintensität haben in den
vergangenen Jahren in allen Branchen zugenommen. Körperliche Belastungen sind bei einem Drittel der Beschäftigten geringer geworden, bei einem
Drittel angestiegen (Ahlers u. Brussig 2004 zit. in Groner 2012). Auch die
Daten der GEDA-Studie machen deutlich, dass trotz der zunehmenden Entwicklung einer Dienstleistungsgesellschaft noch ein erheblicher Anteil der
Beschäftigten in Deutschland eine gesundheitliche Gefährdung durch körperliche und umgebungsbezogene Arbeitsbelastungen empfindet (Kroll et al.
2011).
17
Nach der BiBB-BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2006 übt etwa ein Viertel
der Befragten (7,6 Millionen) eine mit Heben und Tragen schwerer Lasten
verbundene Tätigkeit aus. 52% fühlen sich dadurch belastet.
Abb. Arbeitsbedingungen schweres Heben, Vibration, Schmutz; Mehrfachnennungen möglich (Quelle: BiBB-BAuA-Erwerbstätigenbefragung
2006)
8 Millionen Erwerbstätige führen Arbeiten unter Lärm aus. Mehr als die
Hälfte fühlt sich dadurch belastet (BAuA 2006).
Abb. Arbeitsbedingungen: Umgebungsfaktoren (Quelle: BiBB-BAuAErwerbstätigenbefragung 2006)
18
1.5.1
Arbeitsunfälle,
arbeitsbedingte
Erkrankungen
und
Berufskrankheiten
Durch den Aufbau eines umfassenden Arbeitsschutzsystems auf der Basis
des Staatlichen Arbeitsschutzrechts der Bundesrepublik Deutschland und der
16 Länder sowie des Autonomen Arbeitsschutzrechts der gesetzlichen Unfallversicherungsträger und einen Trend zur Dienstleistungsgesellschaft sind
die Zahlen der gemeldeten Arbeitsunfälle ebenso wie die Berufskrankheiten
in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Von 1992 bis
2003 haben sich die Arbeitsunfälle in Deutschland um ca. 45% verringert
(BAuA 2011, Seidel et al. 2007).
Die Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit sind im gleichen Zeitraum
von 260.000 auf 65.000 zurückgegangen (Seidel et al. 2007). Berufskrankheiten gehören zu den arbeitsbedingten Erkrankungen.
Arbeitsbedingte Erkrankungen sind Erkrankungen, die durch Arbeitsbedingungen ganz oder teilweise beeinflusst werden oder deren Verlauf durch
die Arbeitsbedingungen ungünstig beeinflusst wird. Arbeitsbedingte Erkrankungen sind sehr viel häufiger als Berufskrankheiten, da hierzu auch Erkrankungen zählen, die durch die Arbeit mitbedingt sind, für deren Entstehung
aber die strengen Kausalvoraussetzungen der Berufskrankheiten nicht gegeben sind. Die WHO empfiehlt, für diese Untergruppe arbeitsbedingter Erkrankungen den Begriff „arbeitsbezogene Erkrankungen“ (work related
diseases) zu verwenden.
Nach dem BKK-Gesundheitsreport 2010 sind aus Sicht der Beschäftigten
vor allem Beschwerden des Muskel- und Skelettsystems und psychische
Probleme arbeitsbedingt. Als (mit)verursachende Faktoren spielen dabei
häufig sowohl körperliche und Umgebungs- als auch psychosoziale Belastungen eine Rolle. Dafür sprechen auch die Daten des
BKK-
Gesundheitsreports, die zeigen, dass sechs von zehn Personen mit Muskelund Skelett-Beschwerden gleichzeitig auch psychische Probleme haben.
19
Regelungen zur Prävention von arbeitsbedingten Erkrankungen finden sich
sowohl im SGB VII als auch im Arbeitsschutzgesetz (§ 2: Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren).
Definition Berufskrankheit nach §9 Abs. 1 SGB VII:
Berufskrankheiten = Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates in die sog. Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat.
Für die gelisteten Berufskrankheiten ist ein kausaler Zusammenhang zwischen schädigender Einwirkung einer Berufstätigkeit und Krankheitsentstehung nachgewiesen. In Einzelfällen können gemäß §9 Abs. 2 SGB VII
Krankheiten, die nicht in der BK-Liste aufgeführt sind, anerkannt werden,
wenn neue, gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse den Zusammenhang
mit der beruflichen Tätigkeit belegen.
Für die Anerkennung einer Berufskrankheit müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1.
Zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung
muss ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang bestehen.
2.
Zwischen der Einwirkung und der Erkrankung muss ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang gegeben sein.
Abb. Anerkennung einer Berufskrankheit
Versicher-
Schädigen-
te
de
Tätigkeit
Einwirrechtlich wesentlicher ursächlicher
Zusammenhang kung
Erkrankung
Anerkannte Berufskrankheit
Nachweis von Beschäftigungszeiten
unter schädigender Einwirkung
Anerkennung im
individuellen Fall
20
Die Anerkennung einer Berufskrankheit im individuellen Fall setzt voraus,
dass Beschäftigungszeiten in einem Beruf mit schädigenden Einflüssen (Exposition) nachgewiesen werden. Die Anzeige einer Berufskrankheit kann
durch Ärzte (Anzeigepflicht nach §202 SGB VII), Unternehmer (Meldepflicht nach §4 BKV), Versicherte, Krankenkassen und andere Stellen erfolgen. Sowohl bei Arbeitsunfällen als auch bei Berufskrankheiten ist es die
Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherungen, Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Versicherten wieder herzustellen und die Betroffenen bzw. im
Todesfall ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen (§1
SGB VII).
Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die Zahl der angezeigten
und anerkannten Berufskrankheiten in den vergangenen Jahren.
Abb. Berufskrankheitenzahlen 1960 bis 2010 (Quelle: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit
2010)
Im Jahr 2003 betrafen die häufigsten Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit Hauterkrankungen (26%), Lärmschwerhörigkeit (17%) und bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (12%). Die häufigste
anerkannte Berufskrankheit war die Lärmschwerhörigkeit (40%), gefolgt
von Asbest-bedingten Berufskrankheiten (21%) (Seidel et al. 2007). Ähnli21
che Daten zeigen sich in der Dokumentation der Gesetzlichen Unfallversicherung für das Jahr 2010.
Abb. Am häufigsten angezeigte Berufskrankheiten und Anerkennung
(Quelle: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2010)
1.5.2
Gesundheitsprobleme bei Nacht- und Schichtarbeit
Nach der Leitlinie „Nacht- und Schichtarbeit“ der Deutschen Gesellschaft
für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM 2006) ist Schichtarbeit „eine
Form der Tätigkeit mit Arbeit zu wechselnden Zeiten (Wechselschicht) oder
konstant ungewöhnlicher Zeit (z. B. Dauerspätschicht, Dauernachtschicht).“
Da alle Körperfunktionen mehr oder weniger ausgeprägt einem tagesperiodischen Wechsel unterliegen, kann eine biologische Desynchronisation durch
Schichtarbeit zu gesundheitlichen Störungen führen. Schichtarbeiter leiden
häufig unter Schlafstörungen, die sich längerfristig psychosomatisch auswirken können. Das sogenannte Schichtarbeiter-Syndrom ist eine von etwa 80
in der Internationalen Klassifikation der Schlafstörungen (International Classification of Sleep Disorders, ICSD-2) aufgeführten Schlafstörungen. Es
gehört zur Gruppe der Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen.
Nachtarbeiter, die tagsüber schlafen müssen, sind vielfältigen Störfaktoren
ausgesetzt wie Helligkeit, höheren Temperaturen, vor allem aber einem hö22
heren Geräuschpegel. Die Prävalenz schichtarbeitsassoziierter Schlafstörungen nimmt mit steigendem Lebensalter zu.
Ein Schlafdefizit ist häufig mit Befindlichkeitsstörungen verbunden, d. h.
mit eher unspezifischen „funktionellen“ gesundheitlichen Beschwerden (z.
B. Appetitlosigkeit, Magenbeschwerden, innere Unruhe, Nervosität).
Neben der Verschiebung des biologischen Rhythmus besteht bei Schichtarbeit in der Regel auch eine soziale Desynchronisation. Schichtarbeit erfordert eine zeitliche Veränderung der Lebensweise, die die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt. Unternehmungen mit Partner_innen
und Familie, die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung, die Ausübung von
Hobbys oder der Kontakt zu Freunden sind erheblich erschwert. Die daraus
resultierenden psychosozialen Belastungen können ebenfalls zu gesundheitlichen Folgestörungen führen.
Inwieweit die mit der Schichtarbeit verbundenen Veränderungen des Lebensrhythmus zu gesundheitlichen Problemen führen, hängt auch von der
persönlichen Situation des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin ab, insbesondere von der eigenen Akzeptanz der Schichtarbeit und der Einstellung von
Partner_innen und Familie zu dieser. Schicht arbeitende Frauen müssen
meist zusätzlich die Hausarbeit erledigen und deutlich mehr Zeit für die
Kinderbetreuung aufbringen als Männer. Diese Kumulierung sozialer Rollen
und die daraus resultierenden schlechteren Ausgleichsmöglichkeiten stellen
einen erheblichen gesundheitlichen Risikofaktor bei Schicht und Nacht arbeitenden Frauen dar.
Die gesundheitlichen Auswirkungen von Schichtarbeit werden zusätzlich
durch den sozialen Status von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen beeinflusst. Schichtarbeit wird umso eher akzeptiert, je stärker individuelle Bedürfnisse bei der Gestaltung von Arbeitsplänen Berücksichtigung finden
(DGAUM 2009).
Studien, die Arbeitstätigkeiten zu verschiedenen Tageszeiten untersucht
haben, ergaben ein Leistungstief zwischen 0.00 und 6.00 Uhr. Das relative
Unfallrisiko nimmt dementsprechend von der Früh- über die Spät- bis zur
Nachtschicht zu. Auch eine über acht Stunden andauernde Arbeitszeit geht
mit einem erhöhten Unfallrisiko einher. Untersuchungen zu täglichen Arbeitszeiten von neun, zehn oder zwölf Stunden haben gezeigt, dass mittelund langfristig überdurchschnittliche Ermüdung, Schläfrigkeit, schlechtere
23
Leistungen und ein erhöhtes Unfallrisiko bei den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auftreten (DGAUM 2009).
In Anbetracht der demografischen Entwicklung wird die Besetzung von
Arbeitsstellen mit Schichtarbeit immer mehr zu einem Problem, da mit zunehmendem Alter die Schichtverträglichkeit abnimmt (Reik 2011). In
Deutschland sind über zwei Millionen Nacht- und Schichtarbeiter_innen
bereits über 50 Jahre alt (Statistisches Bundesamt 2011).
Da auf Nacht- und Schichtarbeit in Bereichen wie z. B. Pflege, Rettungsdienst, Polizei nicht verzichtet werden kann, ist es notwendig präventive und
kompensatorische Maßnahmen zur Minderung der erhöhten Beanspruchung
anzubieten. Nachtarbeitern ab dem 50. Lebensjahr steht jährlich eine arbeitsmedizinische Untersuchung zu. Prävention von Gesundheitsstörungen
durch Schichtarbeit sollte aber bereits früher beginnen und wegen der komplexen Wechselwirkungen von physischen, psychischen und sozialen Belastungen multimodal ansetzen. Zur Wirksamkeit von multimodalen Interventionen zur Verbesserung der Gesundheit bei Schichtarbeier_innen liegen
bisher zwar nur wenige Studien vor, eine Kohortenstudie von Ott et al.
(2009) konnte aber z. B. zeigen, dass durch ein Gesundheitsschutzprogramm
die Rate der Arbeitsunfälle bei Schichtarbeitern signifikant reduziert werden
konnte (Ott et al. 2009).
A3
1.6
Psychosoziale Belastungen
Bedingt durch technische Fortschritte und einen verbesserten Arbeitsschutz
auf der einen Seite und erhöhte Arbeitsanforderungen und Zeitdruck auf der
anderen Seite hat sich der Schwerpunkt der Arbeitsbelastungen in den modernen Industrienationen aus dem physikalischen und chemischen Bereich in
den psychosozialen Bereich verschoben.
Ob Arbeitsanforderungen oder soziale Interaktionen am Arbeitsplatz von
einer Person als negativ (Stress, Distress) empfunden werden hängt nicht nur
von den Arbeitsbedingungen ab. Persönlichkeitsfaktoren, Stressbewälti24
gungsstrategien (Coping), psychosoziale Unterstützung, Belastungsquellen
im privaten Bereich (Familie, Freunde, Freizeit etc.) sind in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung.
Psychosoziale Arbeitsbelastungen können in mentale und emotionale Belastungen unterteilt werden (Siegrist 2005).
Mentale Belastungen
Emotionale Belastungen
Arbeitsanforderungen, die durch soziale Interaktionen am ArHäufigkeit, Dauer, Intensität oder beitsplatz, die durch die beSchwierigkeit das kognitive Leis- schäftigte Person negativ betungsvermögen* der beschäftig- wertet werden (mangelnde Anten Person überfordern oder be- erkennung,
Gruppendruck,
einträchtigen (Zeitdruck, Über- Mobbing etc.)
forderung, Unterforderung etc.)
*kognitive Leistungen = Wahrnehmung, Erkennen, Vorstellen, Wissen, Denken, Kommunikation, Handlungsplanung (Birbaumer &
Schmidt 2006)
10 bis 30% aller abhängig Beschäftigten in Vollzeitarbeitsverhältnissen sind
von krankheitswertigen psychosozialen (mentalen und/oder emotionalen)
Belastungen betroffen (Siegrist 2005).
Durch chronische Stressreaktionen können sich aus psychosozialen Arbeitsbelastungen psychosomatische Störungen und körperliche Erkrankungen
entwickeln.
Stress ist ein unspezifisches Reaktionsmuster auf erhöhte Beanspruchungen
(Stressoren). Es wird unterschieden zwischen positivem Stress (Eustress),
z. B. angemessene Herausforderungen oder interessante Aufgaben und negativem Stress (Distress), z. B. anhaltende Überforderung oder Unterforderung.
25
Stressoren (= Stressreize) können körperlicher Art (z. B. schwere Erkrankung, schwere körperliche Arbeit), psychischer Art (z. B. Prüfungsängste)
oder sozialer Art (z. B. Isolation) sein.
Nach der Dauer ihres Vorkommens können Stressoren unterteilt werden in:
akute Stressoren: traumatische Erlebnisse (z. B. Überfall)
subakute Stressoren: kritische Lebensereignisse, die über Wochen oder
Monate andauern (z. B. schwere Erkrankung, psychosoziale Belastungen am
Arbeitsplatz)
chronische Stressoren: über Jahre andauernde psychosoziale Belastungen
(z. B. Arbeitsbelastungen) (Siegrist 2005)
Die Wirkung von aversiven Stressreizen hängt von verschiedenen Faktoren
ab, die miteinander interagieren:

objektive, physikalische Intensität

subjektiv-psychologische Intensität (Bewertung)

Vermeidungs- und Bewältigungsmöglichkeit (Coping)

Vorerfahrungen mit Stress (Lerngeschichte)

Dauer und Häufigkeit von Stressreizen

konstitutionelle Faktoren (Stressempfindlichkeit, Vulnerabilität, Persönlichkeit)

soziale Unterstützung

motorische „Abfuhrmöglichkeiten“ (Sport) (Birbaumer & Schmidt
2006)
Beim Versuch der Anpassung (Adaptation) des Organismus an physische,
psychische und/oder soziale Stressoren kommt es zu einer Aktivierung des
sympathischen Nervensystems sowie zur Ausschüttung von Stresshormonen
(Katecholamine, Cortisol) durch die Nebenniere. Langzeitstress ohne erfolgreiche Bewältigung führt zu einem Zusammenbruch der homöostatischen
Gegenregulation. Es kommt zu krankheitswertigen Fehlreaktionen und
strukturellen Schädigungen von Organsystemen.
Am besten belegt ist der Zusammenhang von chronischem Stress und
Krankheitsentstehung
für
affektive
Störungen
und
Herz-
Kreislauferkrankungen (Marmot et al. 1997).
Auch wenn durch psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz nur ein Teil
der Varianz dieser Krankheitsbilder zu erklären ist, sind die empirisch beleg26
ten Zusammenhänge von großer Bedeutung für die Arbeitsmedizin und die
betriebliche Gesundheitsförderung.
Im Folgenden sollen einige häufig vorkommende psychosoziale Arbeitsbelastungen näher betrachtet werden.
1.6.1
Mobbing
Mobbing am Arbeitsplatz stellt eine erhebliche psychosoziale Belastung dar
und ist immer mit Ausgrenzung verbunden.
Definition
Der Begriff leitet sich von dem englischen Wort „to mob = über jemanden
herfallen“ ab. Eine einheitliche, international anerkannte Definition gibt es
bisher nicht. Die Gesellschaft gegen psychosozialen Stress und Mobbing
(GPSM) gibt folgende Definition:
„Mobbing ist eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter
Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während langer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des
Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird
und dies als Diskriminierung empfindet“ (Schwickerath et al. 2004).
Auch in der Rechtsprechung wurde der Begriff „Mobbing“ verschiedentlich
definiert, z. B. in einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen vom
10.4.2001 – 5SA403/00:
„Im arbeitsrechtlichen Verständnis erfasst der Begriff Mobbing fortgesetzte,
aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung,
Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach Art
und Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht
gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das
allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie
die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen. Ein vorgefasster
Plan ist nicht erforderlich. Eine Fortsetzung des Verhaltens unter schlichter
Ausnutzung der Gelegenheiten ist ausreichend“ (zit. in: Weber et al. 2007a).
Epidemiologie
27
2002 lieferte der Mobbing-Report der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) erstmals repräsentative Daten zur Häufigkeit in
Deutschland. Danach war im Jahr 2000 von insgesamt etwa 38 Millionen
Erwerbstätigen 1 Million von Mobbing betroffen. Die 12-Monatsprävalenz
lag bei 5,5%. Neue Mitarbeiter_innen scheinen ein höheres Mobbing-Risiko
zu haben als langjährige Mitarbeiter_innen, ebenso Frauen im Vergleich zu
Männern. Nach dem deutschen Mobbing-Report ist das Risiko für Frauen
um 75% höher als das für Männer. Die am stärksten betroffenen Altersgruppen sind mit 3,7% die unter 25-Jährigen und Auszubildende sowie mit 2,9%
die über 55-Jährigen. Kollegen-Mobbing (gleiche Hierarchieebene) ist mit
einer Prävalenzrate von 50% am häufigsten, gefolgt von Mobbing durch
Vorgesetzte („Bossing“) mit etwa 40% (Weber et al. 2007a).
Häufig betroffene Berufsgruppen fanden sich im Gesundheits- und Erziehungsbereich, in der öffentlichen Verwaltung sowie bei Banken. Im Gesundheits- und Sozialwesen wurden Mobbing-Raten von bis zu 30% angegeben (Weber et al. 2007a).
Ätiopathogenese
Mobbing ist ein multifaktoriell verursachter Prozess und wird sowohl durch
die Verhältnisse und Bedingungen im Arbeitsumfeld als auch durch Verhalten und Einstellungen sowie Persönlichkeitsmerkmale von Opfern und Tätern beeinflusst. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz differenziert zwischen zwei Mobbing-Varianten:
Mobbing als „Folge eines eskalierenden Konfliktes“
„Mobbing-Fälle, in denen Täter ihre Aggressionen ausleben (Suche nach
einem Sündenbock) und die Opfer primär nicht in einen Konflikt verwickelt
waren“ (zit. nach Weber et al. 2007a).
Mobbing-begünstigende Faktoren der Arbeitswelt sind nach Weber et al.
(2007a) z. B.:

Arbeitsverdichtung – Überforderung – chronischer Stress

verschärfter Wettbewerb

Unterforderung, Langeweile

Perspektivlosigkeit
28

unklare Arbeitsorganisation

Arbeitsplatzunsicherheit

schlechtes Betriebsklima

innerbetriebliche Veränderungen

defizitäre Führungskompetenz

fehlende gemeinsame Werte
Mobbing-Handlungen
Mobbing –Handlungen sind sehr vielfältig. Sie können das soziale Ansehen,
die Qualität der Arbeit sowie die Entfaltungs- und Mitteilungsmöglichkeiten
betreffen oder direkt auf die Schädigung der Gesundheit ausgerichtet sein.
Typische Mobbing-Handlungen sind z. B.
•
Jemanden wie Luft behandeln
•
Jemanden lächerlich machen
•
Gerüchte verbreiten
•
Jemanden ständig unterbrechen
•
Verteilung sinnloser Arbeitsaufgaben
•
Zwang zu gesundheitsschädlichem Arbeiten
Gesundheitsprobleme durch Mobbing
Mobbing-Opfer sind einem gesundheitsschädigenden Stress ausgesetzt und
klagen infolgedessen über vielfältige unspezifische Symptome wie Selbstzweifel, Ohnmachtsgefühle, Gereiztheit, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen,
Schlafstörungen,
Schwindel,
Bluthochdruck,
Magen-
Darmbeschwerden, Rückenschmerzen bis hin zu schweren seelischen Beeinträchtigungen (depressive Störungen, posttraumatische Belastungsstörungen,
Suchterkrankungen) (Jaggi 2008, Weber et al. 2007a). Nach dem MobbingReport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz litten 44% der betroffenen Personen unter stärkeren gesundheitlichen Einschränkungen bzw. manifesten
Erkrankungen. Bei jedem sechsten war deswegen eine stationäre Behandlung notwendig (Schwickerath et al. 2004).
Eine Kohortenstudie aus Finnland, die 5000 Beschäftigte des Gesundheitswesens untersuchte, konnte einen Zusammenhang zwischen Mobbing am
29
Arbeitsplatz und dem Auftreten depressiver Störungen und kardiovaskulärer
Erkrankungen belegen (Kivimäki et al. 2003).
Mobbing-Folgen und Verlauf
Mobbing hat nicht nur individuelle gesundheitsschädigende Folgen, sondern
auch betriebliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Durch reduzierte
Arbeitsleistungen und vermehrte Fehlzeiten von Mobbing-Opfern können
erhebliche betriebswirtschaftliche Kosten entstehen. Mit zunehmender Mobbing-Dauer wird eine für alle Beteiligten erfolgreiche Beendigung immer
unwahrscheinlicher. 50% der im Mobbing-Report berichteten Fälle endeten
mit einer Kündigung des Arbeitsvertrags (Schwickerath et al. 2004).
Gerade bei älteren Erwerbstätigen ist nach längerer Krankschreibung wegen
psychischer Störungen damit ein generelles Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verbunden, da ein beruflicher Wiedereinstieg nicht mehr gelingt (Weber et al. 2007a).
Abb. Mobbing-Verlauf (modifiziert nach Leymann 2000)
Ungelöster Konflikt
Schuldzuweisungen, persönliche Angriffe
Psychoterror – Etablierung von Mobbing
Ausgrenzung/Isolation, abnehmendes Selbstwertgefühl
Eskalation – Verschlechterung der
Arbeitsleistung
Psychische Erkrankung, vermehrte Fehlzeiten, Abmahnung, Versetzung, Kündigung,
Ausschluss – Verlust des Arbeitsplatzes
Psychische Erkrankung, Arbeitsunfähigkeit, Frühverrentung, Arbeitslosigkeit, sozialer Abstieg, Suizid – vorzeitiger Tod
30
Prävention von Mobbing
Die Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen bzw. Interventionen gegen
Mobbing wird zunehmend erkannt. Der erste Schritt ist eine Sensibilisierung
und Aufklärung über die Problematik. Dabei sollten sowohl Führungskräfte
und Personalrat als auch Mitarbeiter eines Betriebs einbezogen werden. Die
Thematik sollte in das betriebliche Gesundheitsmanagement eingebaut werden. Der Umgang mit Mobbing im Betrieb sollte einheitlich geregelt werden, z. B. über Dienstvereinbarungen, Einrichtung klarer Beschwerdewege
etc. (Meschkutat et al. 2002).
1.6.2
Berufsbedingte räumliche Mobilität
Berufsbedingte Mobilität ist kein neues Phänomen der heutigen Arbeitswelt,
aber die Mobilitätsanforderungen haben in den letzten Jahrzehnten zugenommen (Ruppenthal u. Lück 2009). Mobilität ist häufig nicht nur für Wirtschaft und Unternehmen von Nutzen (z. B. Austausch von Wissen und Erfahrung), sondern auch für den einzelnen Beschäftigten von Vorteil (z. B.
höheres Einkommen, beruflicher Erfolg). Für die Beschäftigten kann eine
erwerbsbedingte räumliche Mobilität aber auch mit negativen Konsequenzen
verbunden sein, z. B. mit Vereinsamung, Entwurzelung, Zerbrechen sozialer
Beziehungen
Es können zwei Formen der berufsbedingten räumlichen Mobilität unterschieden werden:
residenzielle Mobilität: Umzugsmobilität innerhalb eines Landes oder über
Landesgrenzen hinweg
zirkuläre Mobilität: Pendeln
Bezüglich des Pendelns ist noch einmal zu unterscheiden zwischen Fernpendlern und Wochenendpendlern (sog. Übernachtern). Nach dem Forschungsprojekt „Job Mobilities and Family Lives in Europe“ sind die Mobilitätsformen wie folgt definiert:
31
residenzielle Mobilität: Umzug in einen mindestens 50 km entfernten Ort
Fernpendler: für den Weg zur Arbeit und zurück werden mindestens zwei
Stunden benötigt; Pendeln an mindestens drei Tagen pro Woche
Wochenendpendler, Übernachter: Übernachtung außer Haus mindestens
60 Mal in den letzten 12 Monaten (Ruppenthal u. Rüger 2011)
Jeder zweite Erwerbstätige in Deutschland zwischen 25 und 54 Jahren hat
bereits einmal Erfahrungen mit berufsbedingter räumlicher Mobilität gemacht. Etwa drei Viertel sind zirkulär mobil, ein Viertel residenziell. Besonders mobil sind jüngere Erwerbstätige zu Beginn ihrer Berufstätigkeit und
Erwerbstätige mit Hochschulabschluss (Ruppenthal u. Rüger 2011).
Auswirkungen einer berufsbedingten räumlichen Mobilität auf Wohlbefinden und Gesundheit
Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht, Schulbildung, Erwerbsumfang und
Familienform klagten Fernpendler gegenüber nicht mobilen Erwerbstätigen
über einen schlechteren Gesundheitszustand und gaben vermehrt eine starke
generelle Stressbelastung und eine depressive Verstimmung an (Ruppenthal
u. Rüger 2011).
Abb. Belastungsprofile mobiler und nicht-mobiler Erwerbstätiger in
Deutschland, adjustierte Odds Ratios
(Quelle: Ruppenthal u. Rüger 2011, Daten für Deutschland aus dem
Projekt „Job Mobility and Family lives“, modifiziert nach Schneider et
al. 2009)
*p </= .10; ** p</= .05
32
Ursachen für die stärkere Stressbelastung von Fernpendlern dürften vor allem Zeitmangel und Zeitdruck sein sowie Belastungen durch hohes Verkehrsaufkommen und Kontrollverlust bei Verspätungen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Fernpendler vermehrt über psychosomatische Beschwerden klagen, häufigere Fehlzeiten aufweisen und ein höheres Unfallrisiko haben (Häfner et al. 2001, Nitsche et al. 2009). Übernachter zeigen tendenziell einen schlechteren Gesundheitszustand und ein geringeres psychisches Wohlbefinden. Umzugsmobile Erwerbstätige weisen vor allem in den
ersten anderthalb Jahren nach dem Umzug vermehrt psychosoziale Belastungen auf (Ruppenthal u. Rüger 2011).
Der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK 2012) berichtet,
dass mit einem Wohnkreiswechsel assoziierte Risiken für psychische Störungen vor allem ältere Versicherte betreffen. Personen im Alter von 25 bis
29 Jahren hatten im Vergleich zu Personen mit konstantem
Wohnkreis allenfalls geringfügig erhöhte AU-Raten unter der Diagnose psychischer Störungen. In einem höheren Erwerbsalter waren ein oder mehrere
Wohnortwechsel dagegen, gemessen an AU-Tagen wegen entsprechender
Diagnosen, deutlich mit psychischen Belastungen assoziiert (TK 2012).
1.7
Gesundheitsprobleme durch psychosoziale Belastungen
und Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit
In einer Befragung der DAK von 3.000 Berufstätigen im Alter von 25 bis 65
Jahren berichtete knapp jeder Zehnte von beruflichen Gratifikationskrisen.
Männer und Frauen waren gleichermaßen betroffen. Besonders häufig waren
Gratifikationskrisen bei Facharbeitern und in der Altersgruppe der 45- bis
59-Jährigen. 11,2% der Facharbeiter und 10,8% der Arbeiter klagten über
Gratifikationskrisen, während Selbständige und Freiberufler nur in 3,9% und
Beamte in 6,7% der Fälle betroffen waren.
Erwerbstätige mit einer Gratifikationskrise beurteilen ihren Gesundheitszustand im Vergleich zu Personen ohne Gratifikationskrise häufiger als
schlecht (50% versus 17%). Beschäftigte mit Gratifikationskrisen haben
häufiger auch objektivierbare Gesundheitsprobleme, insbesondere Ängste
oder Gefühle der Hilflosigkeit (73,8% versus 23,9%). Auch Kopfschmerzen
und Schlaflosigkeit treten bei Personen mit Gratifikationskrisen häufiger auf
(DAK-Gesundheit 2012).
33
Kopfschmerzen und Schlafstörungen sowie andere psychosomatische Beschwerden können Ausdruck eines Burnout Syndroms sein. Da Krankschreibungen wegen eines Burnout in den vergangenen Jahren zugenommen haben, soll im Folgenden auf dieses Syndrom näher eingegangen werden.
1.7.1
Burnout
Burnout ist nach ICD-10 kein eigenständiges Krankheitsbild mit eindeutig
zuzuordnenden diagnostischen Kriterien. Burnout wird dort unter den „verwandten Gesundheitsproblemen“ im Abschnitt Z73 „Probleme und Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0 als
„Ausgebranntsein“ und „Zustand der totalen Erschöpfung“ erfasst. Im Jahr
1974 schrieb der amerikanische Psychoanalytiker H. Freudenberger:
„Was wir aufbauen, sind unsere Talente und Fähigkeiten, was wir einbringen, sind Überstunden für ein Minimum an finanziellem Ausgleich. Wir
arbeiten zu viel, zu lange und zu intensiv. Wir fühlen einen inneren Druck,
zu arbeiten und zu helfen, und wir fühlen einen Druck von außen zu geben…
Aber genau wegen dieses Engagements tappen wir in die Burnout-Falle“
(Freudenberger 1992).
1982 gab es bereits über 50 verschiedene Definitionen von Burnout mit über
100 unterschiedlichen psychischen und physischen Symptomen. Bis heute
gibt es keine einheitliche Definition. Nach Jaggi (2008) ist Burnout „eine
körperliche, emotionale und geistig Erschöpfung aufgrund beruflicher Überlastung. Dabei handelt es sich nicht um eine Arbeitsmüdigkeit, sondern um
einen fortschreitenden Prozess, der mit wechselhaften Gefühlen der Erschöpfung und Anspannung einhergeht.“ In der Anfangsphase findet sich häufig
ein Überengagement. Bei anhaltendem Stress, der nicht mehr bewältigt werden kann, kommt es zunehmend zu einem Gefühl des Ausgebranntseins bis
hin zur Entwicklung einer Depression mit Hoffnungslosigkeit und Suizidgedanken.
Der Schriftsteller Eugen Roth hat den Verlauf eines Burnout Syndroms treffend in einem Gedicht formuliert:
„Ein Mensch sagt, und ist stolz darauf,
er gehe ganz in seiner Arbeit auf.
bald aber, nicht mehr ganz so munter,
34
geht er in seiner Arbeit unter.“
Eugen Roth
Typische Symptome bei zunehmendem Burnout sind:
•
in der Anfangsphase: Überengagement
•
zunehmende psychische Erschöpfung
•
Abnahme der Arbeitslust, „innere Kündigung“
•
Gefühle des Versagens
•
aggressive Verhaltensweisen
•
Vorwurfshaltung
•
destruktives Kritikverhalten
•
negativistische Einschätzungen
•
psychosomatische Symptome: Verspannungsgefühl der Muskulatur,
Kopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden (Übelkeit, Krämpfe),
Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Schlafprobleme
•
erhöhte Anfälligkeit gegenüber Infekten
•
Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Gefühl der Sinnlosigkeit, Suizidgedanken
In einer Untersuchung von Rösing (2003) fanden sich die höchsten Prävalenzraten für Burnout bei Pflegekräften:
Häufigkeit von Burnout (Rösing 2003)
Deutsche Lehrer
30-35%
Deutsche Pflegende
40-60%
Deutsche Ärzte
15-30%
Auslöser eines Burnout-Syndroms sind häufig äußere Stressoren (z. B.
Lärm) oder innere Stressoren (z. B. Gefühl der Überforderung). Psychologischer Stress bezieht sich auf eine Beziehung mit der Umwelt, die vom Individuum im Hinblick auf sein Wohlergehen als bedeutsam bewertet wird,
aber zugleich Anforderungen an das Individuum stellt, die dessen Bewältigungsmöglichkeiten beanspruchen oder überfordern (Lazarus 1991).
Faktoren in der Arbeitswelt, die mit negativem Stress verbunden sind und
somit ein erhöhtes Risiko für Burnout darstellen, sind nach Jaggi (2008):
35
•
Langzeitarbeitslosigkeit
•
übermäßiger Leistungsdruck
•
geringe soziale Unterstützung im beruflichen und privaten Umfeld
•
hohe Wochenarbeitszeiten
•
extrem unregelmäßige Arbeitszeiten
•
destruktive Konflikte mit Vorgesetzten und Kollegen (Mobbing)
•
Druck durch fordernde Kunden
•
Unsicherheit betr. Arbeitsplatz
Stressempfinden und körperliche Beschwerden nehmen in Abhängigkeit des
geforderten Arbeitstempos zu. Nach der 3. Europäischen Befragung zu Arbeitsbedingungen in 27 Ländern berichteten 56% der Erwerbstätigen, dass
ihre Tätigkeit mit einem sehr hohen Arbeitstempo verbunden sei und 28%
empfanden eine hohe Stressbelastung (Paoli u. Merllié 2001). Ähnliche Daten erbrachte die 4. Europäische Befragung zu Arbeitsbedingungen (ParentThirion et al. 2007)
Tab. Rücken- und Muskelschmerzen in Abhängigkeit von berichtetem
Stress (Parent-Thirion et al. 2007 in: Fourth European Working
Conditions Survey)
Angaben
Stress
Kein Stress
zu
Rückenschmerzen
11,2%
Muskelschmerzen
Stress
71,1%
68,4%
Gesamt
25,6%
23,8%
9,1%
Mit der Zunahme von Arbeitstempo und Zeitdruck hat in den vergangenen
Jahren in Deutschland auch die Prävalenz von Burnout zugenommen (BPtK
2012).
36
Abb. Burnout (Z73): AU-Fälle pro 100 Versichertenjahre (BPtK 2012)
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK 2012) hat die Daten der großen gesetzlichen Krankenkassen zur Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen psychischer Erkrankungen analysiert. Danach haben sich die AU-Fälle wegen
Burnout von 2004 bis 2011 verachtfacht. Allerdings ist die Zahl der Krankschreibungen wegen Burnout im Vergleich zur Rate der AU-Fälle wegen
anderer psychischer Störungen vergleichsweise niedrig (siehe Kapitel 1.7.2).
Obwohl Burnout nach ICD-10 kein eigenständiges Krankheitsbild ist, wird
die Diagnose von den Ärzten in den letzten Jahren häufiger gestellt. Das
dürfte Ausdruck einer gestiegenen Sensitivität der Ärzte für berufliche Belastungen und Beanspruchungen und deren psychische Folgen sein (BPtK
2012).
37
1.7.2
Psychische Störungen und Arbeitsunfähigkeit
Die Analyse der Daten der gesetzlichen Krankenkassen durch die Bundespsychotherapeutenkammer zeigt, dass sich die Zahl der Krankschreibungen
wegen psychischer Störungen von 2000 bis 2010 verdoppelt hat. Sowohl die
AU-Fälle als auch die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen haben
insgesamt deutlich zugenommen (BPtK 2011).
Auch 2011 hat sich dieser Trend fortgesetzt (BPtK 2012).
Abb. Psychische Erkrankungen und Arbeitsunfähigkeit: Fehltage pro
100 Versicherte in den angegebenen Jahren (Quelle: BPtK 2011)
Da sich die Dauer der Krankschreibung über die Jahre hinweg nur wenig
geändert hat, geht die Zunahme der Fehltage auf eine Zunahme der AU-Fälle
zurück.
38
Abb. Durchschnittliche Dauer einer Krankschreibung aufgrund psychischer Erkrankungen in Tagen (Quelle: BPtK 2012)
Durchschnittlich beträgt die Krankschreibung bei psychischen Erkrankungen
drei bis sechs Wochen und liegt damit deutlich höher als bei den meisten
körperlichen Erkrankungen. Beispielsweise fällt ein Arbeitnehmer wegen
einer Atemwegserkrankung im Schnitt nur etwa eine Woche aus.
Während sich die Zahl der AU-Fälle mit psychischen Erkrankungen in verschiedenen Altersgruppen nur geringfügig unterscheidet, nimmt die Anzahl
der Fehltage mit zunehmendem Alter deutlich zu (BPtK 2011).
39
Abb. AU-Tage/100VJ durch psychische Erkrankungen nach Altersgruppe für das Jahr 2009 (Quelle: BPtK 2011)
Die häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankungen sind bei allen Krankenkassen Depressionen und Anpassungsstörungen. Im Vergleich dazu ist die Zahl der Krankschreibungsfälle wegen Burnout relativ niedrig: auf 2,1 AU-Fälle wegen Depression kommen 0,4 Fälle
wegen Burnout (BPtK 2012).
Die mittlere Dauer der Krankschreibungen wegen Burnout entspricht aber
der AU-Dauer bei psychischen Erkrankungen insgesamt. Sie beträgt 26 Tage, bei Depressionen 39 Tage und bei Anpassungsstörungen 22 Tage (BPtK
2012).
Anpassungsstörung: gestörter Anpassungsprozess nach einer einschneidenden Lebensveränderung (schwere Krankheit, Flucht, chronische Überforderung im Beruf) oder nach einem belastenden Lebensereignis (Scheidung,
Tod eines nahen Angehörigen); affektive Symptome wie Ängste, depressive
Verstimmung, Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit; Dauer meist nicht
länger als sechs Monate.
40
Abb. Durchschnittliche Dauer einer Krankschreibung in Tagen bei
Burnout, Depressionen und Anpassungsstörungen: AU-Tage/100 Versichertenjahre (Quelle: BPtK 2012)
Eine Krankschreibung ausschließlich wegen Burnout erfolgt selten. Bei etwa
der Hälfte aller AU-Fälle aufgrund von Burnout lag zusätzlich eine psychische Erkrankung vor, am häufigsten eine Depression oder eine Belastungsreaktion/Anpassungsstörung. Bei weiteren 36% der Krankschreibungsfälle
aufgrund von Burnout wurde zusätzlich eine andere Diagnose gestellt, die
nicht (eindeutig) dem Bereich psychischer Erkrankungen zuzuordnen war.
Meist handelte es sich um unspezifische Beschwerden wie Unwohlsein und
Ermüdung, Rückenschmerzen, Schlafstörungen u. a. (BPtK 2012).
Grund der Krankschreibungen ausschließlich wegen Burnout könnte die
Vorbeugung schwerwiegender psychischer Erkrankungen sein. Nach der
Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses haben Ärzte nicht nur bei
einer behandlungsbedürftigen Erkrankung die Möglichkeit einer Krankschreibung, sondern auch dann, wenn „aufgrund eines Krankheitszustandes“
(hier Burnout) abzusehen ist, dass durch eine Fortführung der Berufstätigkeit
Arbeitsunfähigkeit eintreten würde (Gemeinsamer Bundesausschuss 2006).
41
Auf der anderen Seite wäre es auch möglich, dass bei den AU-Fällen mit
ausschließlicher Burnout-Diagnose keine zusätzliche psychische Erkrankung
diagnostiziert wurde, um eine Stigmatisierung zu vermeiden.
Zusammenfassend macht die Zunahme der Fehlzeiten und der AU-Fälle
aufgrund psychischer Erkrankungen deutlich, dass ein Ausbau präventiver
Maßnahmen vor allem im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung
unabdingbar ist, zumal psychische Erkrankungen auch immer häufiger
Grund für eine vorzeitige Berentung sind. In einigen Betrieben wird inzwischen neben der Beurteilung der Gefährdung durch körperliche und Umweltfaktoren auch eine Beurteilung psychischer Belastungen und Fehlbeanspruchungen vorgenommen.
Der Leitfaden der DGUV für Betriebsärzte (2010) nennt folgende Indikatoren für psychische Belastungen und Fehlbeanspruchungen:
„1. Hohe Unfallzahlen/hohe Arbeitsunfähigkeit/hohe Fluktuation
2. Geringe Qualität der Produkte oder Dienstleistungen/zunehmende Kundenbeschwerden
3.
Häufige
Störungen
des
betrieblichen
Ab-
laufs/Terminschwierigkeiten/häufige Überstunden
4. Reizbare Stimmung im Betrieb / Unzufriedenheit/ Nervosität /Sich „ausgebrannt“ fühlen / Burnout-Syndrom
5. Disziplinarprobleme/Kompetenzgerangel/ aggressives Verhalten /
Mobbing /Gewalt“ (DGUV 2010).
A4
1.8
Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand
Eine Analyse der Beschäftigungssituation von Menschen im Alter zwischen
50 und 64 Jahren in verschiedenen europäischen Ländern hat gezeigt, dass
die Rate der berenteten Personen dieser Altersgruppe erheblich variiert: von
8,4% in den Niederlanden bis 47,8% in Österreich (Alavinia u. Burdorf
2008).
42
1.8.1
Erwerbstätigkeit 50+
In Deutschland waren 2009 noch 64% der Männer und 49% der Frauen im
Alter von 55 bis 64 Jahren erwerbstätig. Für 95% der erwerbstätigen Männer
dieser Altersgruppe und für 85% der Frauen ist Arbeit die Haupteinnahmequelle für den eigenen Lebensunterhalt (Statistisches Bundesamt 2011).
Die Mehrheit der älteren Erwerbstätigen war 2009 in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt. Die Rate der Teilzeitbeschäftigten lag mit 28% nur
geringfügig über der Teilzeitquote aller Erwerbstätigen (26%). Der Anteil
geringfügig oder kurzfristig Beschäftigter unter den älteren Erwerbstätigen
entsprach mit 9% dem Durchschnitt. Allerdings zeigten sich sowohl hinsichtlich Teilzeitarbeit als auch hinsichtlich geringfügiger Beschäftigung
deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen arbeiteten mit
50% häufiger als Männer (10%) in Teilzeit. Mit 15% waren sie auch deutlich
häufiger geringfügig oder kurzfristig beschäftigt als Männer (4%) (Statistisches Bundesamt 2011).
Von den 65- bis 74-Jährigen waren 2009 in Deutschland noch 6% erwerbstätig. Für etwa 40% dieser Menschen war die ausgeübte Erwerbstätigkeit die
Hauptquelle ihres Lebensunterhalts, für die Übrigen ein Zuverdienst. Jeder
zweite Erwerbstätige dieser Altersgruppe war selbstständig oder mithelfender Familienangehöriger. 69% der Erwerbstätigen im Rentenalter übten ihre
Tätigkeit in Teilzeit aus (Statistisches Bundesamt 2011).
In Anbetracht der demografischen Entwicklung ist davon auszugehen, dass
im Jahr 2015 über 30% der Erwerbspersonen 50 Jahre oder älter sein werden
(Buck et al. 2002).
Tab. Demografische Entwicklung der Erwerbspersonen in 10erKohorten bis 2020 (nach Buck et al. 2002)
bis 29-Jährige
30- bis 39-Jährige
40- bis 49-Jährige
50-Jährige und älter
1979
32%
23%
24%
21%
1984
33%
21%
23%
22%
1989
32%
24%
22%
22%
1996
25%
29%
24%
22%
2005
21%
25%
30%
23%
2010
21%
21%
31%
27%
2015
21%
21%
27%
31%
Nach dem DAK-Gesundheitsreport 2012 ist die Erkrankungshäufigkeit bei
älteren Erwerbstätigen kaum höher als bei jüngeren, aber die Krankheitsdauer ist deutlich länger. In der Altersgruppe der über 60-Jährigen nimmt die
43
2020
20%
23%
23%
34%
Erkrankungshäufigkeit ab. Wahrscheinlich ist dies durch den sog.
„healthyworker-effect“ zu erklären: gesundheitlich stark beeinträchtigte
ältere Arbeitnehmer scheiden über Frühverrentung häufig vorzeitig aus der
Erwerbstätigkeit aus, während gesündere länger im Beruf verbleiben (DAKGesundheit 2012).
Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit waren 2011 Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems sowie Atemwegserkrankungen. Aber auch Krankschreibungen wegen psychischer Störungen haben zugenommen (BPtK
2011, 2012, DAK-Gesundheit 2012). Bei älteren Erwerbstätigen sind vor
allem Erkrankungen des Muskel-Skelettsystems von Bedeutung. Hier ist ein
kontinuierlicher Anstieg von 9% bei den 15- bis 19-Jährigen auf 29% bei
den über 60-Jährigen zu beobachten (DAK-Gesundheit 2012).
Diese Daten machen deutlich, dass es unabdingbar ist, effiziente Präventionsstrategien zu entwickeln, welche die Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer_innen nachhaltig fördern und erhalten.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die im Alter verfügbaren Ressourcen sowohl durch die frühere Erwerbs- und Bildungsbiografie als auch durch die
soziale Herkunft und Rollenvorstellungen geprägt sind. Die Lebenssituationen älterer Menschen in Deutschland sind durch große soziale Ungleichheiten geprägt, da sowohl Vorteile als auch Nachteile im Laufe des Lebens
kumulieren. Gegenwärtig finden sich bei geschiedenen und verwitweten
Frauen die höchsten Armutsquoten, vor allem dann, wenn geringe Bildungschancen und eine lückenhafte Erwerbsbiografie zusammenkommen.
Unabhängig vom Geschlecht sind sowohl in Deutschland als auch in anderen
Ländern der EU ältere Menschen mit einem hohen Bildungsabschluss häufiger erwerbstätig als Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss (Brussig
2010, Statistisches Bundesamt 2011). Ältere Hochqualifizierte sind öfter
auch vollzeitbeschäftigt als Ältere mit mittlerer oder niedriger beruflicher
Qualifikation (Brussig 2010).
44
Abb. Erwerbstätigenquote der 55- bis64-Jährigen 1991 bis 2007 nach
Qualifikation (Quelle: Brussig 2010, Berechnung für verschiedenen
Jahre nach Mikrozensus)
Studien haben auch gezeigt, dass bei Fortsetzung des Bildungsniveaus und
der Bildungsaktivitäten bis ins hohe Alter die geistigen Fähigkeiten erhalten
werden können. Beschäftigte mit vielen Anregungen zum Lernen und häufiger Konfrontation mit Problemlösungen behalten ihre geistige Flexibilität bis
ins Rentenalter (Gatzke 2007). Entsprechende betriebliche Weiterbildungsangebote können somit zum Erhalt einer längeren Beschäftigungsfähigkeit
älterer Arbeitnehmer_innen beitragen.
Allerdings stellt das Konzept des „Lebenslangen Lernens“ nur einen Baustein zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit dar.
Eine Analyse von Praxisbeispielen mit dem Ziel der Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer_innen in verschiedenen europäischen Ländern hat
gezeigt, dass folgende Faktoren bei der Umsetzung einer alternsgerechter
Personalpolitik von Bedeutung sind:

Altersstrukturanalysen im Betrieb, um die eigene Situation besser
einschätzen und entsprechende Maßnahmen ableiten zu können
45

Sensibilisierung aller relevanten Akteure für das Thema Altern (Management, Führungskräfte, Betriebsrat, Beschäftigte)

Aktive Eibindung der Beschäftigten zur Erhöhung der Veränderungsbereitschaft

Gestaltung alternsgerechter Arbeitsbedingungen auf der Basis etablierter Instrumente + Entwicklung neuer, auch ungewöhnlicher Lösungen

Nachhaltige Gestaltung von Veränderungen z. B. durch Betriebsvereinbarungen (Nägele u. Sporket 2007)
1.8.2
Frühberentung
Psychische Erkrankungen sind inzwischen der häufigste Grund für krankheitsbedingte Frühberentungen. Seit den 80er Jahren hat sich die Gewichtung verschiedener Krankheitsgruppen für das Frühberentungsgeschehen
verschoben. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist der Anteil an Frühberentungen wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich zurückgegangen.
Im Jahr 2003 wurden Männer wie Frauen am häufigsten wegen psychischer
Krankheiten früh berentet. Bei Männern ist der Anteil der Frühberentungen
wegen psychischer Erkrankungen von etwa 8% im Jahr 1983 auf rund 24%
im Jahr 2003 angestiegen, bei Frauen von knapp 10% auf über 35%. Zweithäufigster Grund für Frühberentungen sind sowohl bei Männern als auch bei
Frauen Erkrankungen des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes
(Rehfeld 2006).
In den vergangenen Jahren ist der Anteil an Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen weiter gestiegen.
46
Abb. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei Männern und
Frauen nach ausgewählten Diagnosegruppen (Quelle Hoffmann &
Hofmann 2008)
Im Jahr 2007 stellten psychische Erkrankungen mit einem Anteil von 28,7%
bei Männern und 38,7% bei Frauen die häufigste Diagnosegruppe für die
Frühberentung dar. Die steigenden Anteilswerte ergeben sich, bei relativ
geringen Schwankungen in den absoluten Zahlen der Frühberentung wegen
psychischer Störungen, aus einer rückläufigen Entwicklung der absoluten
Fallzahlen für die Erwerbsminderungsrenten insgesamt (Hoffmann & Hofmann 2008).
Affektive Störungen sind bei Männern mit 7,7% und bei Frauen mit 16,6%
die wichtigste Untergruppe innerhalb der psychischen Erkrankungen, die zur
Frühberentung führen. Am zweithäufigsten waren bei Männern die Suchterkrankungen mit 5,8%.
47
Hauptursache für die zunehmende Bedeutung psychischer Erkrankungen für
die Frühberentung dürfte die Zunahme psychosozialer Belastungen in der
Arbeitswelt sein. Daneben könnte auch die zunehmende Enttabuisierung
affektiver Störungen eine Rolle spielen, insofern, dass bei vorliegender Erwerbsminderung als Hauptdiagnose heutzutage eher eine „Depression“ angegeben wird (Hoffmann & Hofmann 2008, Rehfeld 2006)
Nach aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung wurden im Jahr
2010 bundesweit fast 71.000 Männer und Frauen wegen psychischer Erkrankungen vor Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren berentet. 39,3%
der insgesamt 181.000 Fälle verminderter Erwerbsfähigkeit waren durch
seelische Störungen verursacht.
Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen erfolgen zunehmend
in einem jüngeren Alter. Während 1980 das Durchschnittsalter aller erwerbsund berufsunfähigen Neurentner 56 Jahre betrug, lag es 2010 bei 50 Jahren
und bei denjenigen, die wegen einer psychischen Erkrankung vorzeitig berentet wurden, bei 48,3 Jahren (Deutsche Rentenversicherung 2012).
Entsprechend dem Grundsatz „Reha vor Rente“ hat auch bei ambulanten und
stationären Rehabilitationsmaßnahmen der Anteil psychisch Kranker in den
vergangenen Jahren zugenommen. 2010 erhielten fast eine Million Menschen von der Rentenversicherung Reha-Maßnahmen. Bei etwa 177.000
Männern und Frauen war der Grund für diese Maßnahme eine psychische
Erkrankung. Gegenüber dem Vorjahr waren es 11.000 Personen mehr.
Bei Frauen sind psychische Erkrankungen mit 20% die dritthäufigste Ursache für eine stationäre medizinische Rehabilitation. Bei Männern ist der
Anteil mit 11% geringer, aber stationäre Entwöhnungsbehandlungen wegen
einer Suchterkrankung sind mit 9% gut viermal so häufig wie bei Frauen
(Deutsche Rentenversicherung 2012).
84% der psychisch Erkrankten schaffen es durch Rehabilitationsmaßnahmen, ihre Leistungsfähigkeit wieder zu verbessern und ins Berufsleben zurückzukehren (Deutsche Rentenversicherung 2012).
A5
48
2
Arbeitslosigkeit und Gesundheit bei älteren Menschen
Nach § 16 SGB III sind Arbeitslose Personen, die

„vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen
(Beschäftigungslosigkeit)

eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den
Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung
stehen (Verfügbarkeit) und

sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben“ (Weber
et al. 2007b)
Langzeitarbeitslose sind nach § 18 SGB III Personen, die mindestens ein
Jahr arbeitslos sind.
In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit um etwa ein Fünftel gesunken. Der Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit war im gleichen Zeitraum mit zwei Fünfteln noch deutlicher (Bundesagentur für Arbeit 2012). Im Jahr 2012 sank die
durchschnittliche Zahl der Erwerbslosen auf den niedrigsten Stand seit 20
Jahren, allerdings ging die Zahl der offenen Stellen Ende des Jahres zurück
(Bundesagentur für Arbeit 2013).
Das Risiko für Langzeitarbeitslosigkeit wird vor allem durch ein Alter über
50 Jahre und eine fehlende Berufsausbildung erhöht. 2011 waren nur acht
Prozent der arbeitslosen Jugendlichen, aber 45 Prozent der arbeitslosen Älteren langzeitarbeitslos (Bundesagentur für Arbeit 2012)
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein Zusammenhang zwischen
Arbeitslosigkeit und vermehrten Gesundheitsproblemen beschrieben.
1933 veröffentlichte die Soziologin Marie Jahoda-Lazarsfeld die Daten ihrer
Untersuchung zum Gesundheitszustand bei Langzeitarbeitslosen in Marienthal. Ihre Untersuchungsergebnisse machen deutlich, dass Arbeitslosigkeit
nicht nur zu finanziellen Einbußen führt, sondern erhebliche negative Auswirkungen auf Gesundheit und soziale Beziehungen hat (Jahoda-Lazarsfeld
et al. 1975). Mit dem Verlust der Arbeit gehen Verluste fester Zeitstrukturen
49
und außerfamiliäre Kontakte zu Kollegen und Kolleginnen verloren. Das an
den Beruf gebundene soziale Prestige verringert sich, vor allem dann, wenn
über eine längere Zeit keine Wiedereingliederung gelingt. Diese psychosozialen Belastungen können zu gesundheitsriskantem Verhalten und zu Gesundheitsproblemen führen.
Die Arbeitslosenquote lag zwar 2011 in Deutschland mit 7,1% niedrig, aber
auch Personen mit einer prekären Beschäftigung leiden unter erhöhten psychosozialen Belastungen und Gesundheitsrisiken.
Prekäre Beschäftigung = Arbeitsverhältnisse mit niedrigen Löhnen, die
meist nicht auf Dauer und Kontinuität angelegt sind, keine Absicherung
durch die Sozialversicherung aufweisen und nur geringe arbeitsrechtliche
Schutzrechte beinhalten.
2.1
Subjektiver Gesundheitszustand Arbeitsloser
Arbeitslose Männer und Frauen schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand häufiger als „weniger gut“ oder „schlecht“ ein (23%) als Berufstätige
(11%) (Grobe u. Schwartz 2003). Das psychische Wohlbefinden von prekär
beschäftigten und arbeitslosen Frauen und Männern liegt deutlich unter den
altersspezifischen Referenzwerten einer psychisch gesunden Bevölkerung
von 50 Punkten (Kroll 2011).
Abb. Vitalität und psychisches Wohlbefinden (SF-36) nach Erwerbssituation und Geschlecht (Kroll 2011: Datenbasis GEDA 2010)
50
Arbeitslose und prekär Beschäftigte leiden auch häufiger als Gesunde unter
körperlichen und seelischen Beschwerden und sind dadurch bei Alltagsaktivitäten beeinträchtigt. Bei arbeitslosen Frauen, die weniger als ein Jahr arbeitslos sind, ist die Anzahl der Tage mit körperlichen Beschwerden im
Vergleich zu sicher beschäftigten Frauen um 63% erhöht, bei arbeitslosen
Männern um 83% (Kroll 2011: Datenbasis GEDA 2010).
2.2
Gesundheitsverhalten und Risikofaktoren
Das Robert Koch Institut führte 1998 eine Bevölkerungsbefragung zum Gesundheitszustand durch, in die Frauen und Männer im Alter von 20 bis 59
Jahren einbezogen waren, die zum Zeitpunkt der Befragung mindestens 15
Stunden wöchentlich berufstätig oder arbeitslos gemeldet waren. Arbeitslose berichteten deutlich schlechtere Lebensbedingungen als Berufstätige
(Grobe u. Schwartz 2003).
Tab. Lebensbedingungen bei Arbeitslosen und Berufstätigen (Grobe u.
Schwartz 2003)
Haushalte mit einem monatlichen
Nettoeinkommen unter 2000 DM
vormals als ungelernte oder angelernte Arbeiter tätig
Hauptverdiener:
Männer
Frauen
dezentrale Kohle- oder Holzbehei-
Arbeitslose
Berufstätige
40%
7%
25%
12%
53%
27%
82%
35%
51
zung
Lärmbelastung in Wohnung oder
Haus
Wohnen an stark befahrener Straße
8,7%
4,5%
45%
34%
37%
22%
Bei Arbeitslosen findet sich häufiger ein ungesunder Lebensstil als bei Beschäftigten. Insbesondere länger andauernde Arbeitslosigkeit ist häufig verbunden mit körperlicher Inaktivität, ungesundem Ess- und Schlafverhalten,
einem verstärkten Alkohol- und Nikotinkonsum sowie einem sozialem
Rückzug (Turtle und Ridley 1984). Sowohl arbeitslose Männer als auch
arbeitslose Frauen rauchen häufiger und stärker als Vollzeitbeschäftigte.
Nach dem Bundesgesundheitssurvey 1998 rauchten arbeitslose Männer mit
49% deutlich öfter täglich als berufstätige Männer (34%). Bei den Frauen
zeigten sich dagegen nur geringe Unterschiede: 31% der arbeitslosen und
28% der berufstätigen Frauen gaben an, täglich zu rauchen (Grobe u.
Schwartz 2003).
Auch nach den aktuellen Daten zur Gesundheit in Deutschland (GEDA
2010) rauchen Arbeitslose häufiger und häufiger stark als Erwerbstätige,
während das Rauchverhalten von prekär Beschäftigten mit dem der Erwerbstätigen vergleichbar ist (Kroll 2011).
Abb. Rauchquote nach Erwerbsstatus und Geschlecht (Kroll 2011: Datenbasis GEDA 2010)
52
Der Anteil von Personen, die Alkohol in potentiell schädigenden Mengen
tranken, war dagegen bei Arbeitslosen und Berufstätigen vergleichbar. Die
Angaben zu Ernährungsgewohnheiten deuten auf eine preisbewusste Ernährung bei Arbeitslosen hin, ohne dass sich daraus konkrete Hinweise auf erhöhte gesundheitliche Risiken ableiten lassen. Arbeitslose gaben im Vergleich zu Berufstätigen einen höheren Konsum von kohlehydratreichen
Grundnahrungsmittel an (gekochte Kartoffeln, Graubrot, Weißbrot) sowie
von fettreduzierten Brotaufstrichen und Margarine. Keine Unterschiede fanden sich bezüglich des Konsums von Milchprodukten, Fleisch, rohem Gemüse und Obst (Grobe u. Schwartz 2003).
Sowohl arbeitslose Frauen als auch arbeitslose Männer gaben seltener an,
mindestens eine Stunde pro Woche Sport zu treiben als Berufstätige (30%
versus 40%). Bezüglich des Körpergewichts zeigten sich dagegen deutliche
Geschlechtsdifferenzen: Arbeitslose Männer sind mit 4,9% häufiger untergewichtig als berufstätige (1,1%). Arbeitslose Frauen sind dagegen häufiger
stark übergewichtig bzw. adipös als berufstätige (23% versus 15%).
2.3
Erkrankungen und Mortalität bei Arbeitslosen
In den vergangenen Jahrzehnten haben viele Studien belegt, dass Arbeitslose
im Vergleich zu Erwerbstätigen einen schlechteren Gesundheitszustand haben (Berth et al. 2009, Brenner 1979, Elkeles u. Seifert 1993, Grobe u.
Schwartz 2003, Hollederer u. Brand 2006, Lampert 2011, Paul et al. 2006,
Rose u. Jacobi 2006, Weber u. Lehnert 1997).
Nach dem Bundesgesundheitssurvey 1998 waren arbeitslose Männer häufiger erkrankt als berufstätige. Statistisch signifikante Unterschiede ergaben
sich bei ambulanten Behandlungen für folgende Erkrankungen:
-
Durchblutungsstörungen des Gehirns mit Lähmungen oder Gefühlsstörungen
-
Durchblutungsstörungen der Beine
-
chronische Bronchitis
-
Leberzirrhose
-
Epilepsie
-
Psychische Erkrankungen
-
Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen
53
Abgesehen von der chronischen Bronchitis lagen die Häufigkeitsraten jedoch auch bei den stärker von Krankheit betroffenen Arbeitslosen jeweils
unter 10%. Arbeitslose Frauen in ambulanter ärztlicher Behandlung waren
lediglich von „Durchblutungsstörungen der Beine“ häufiger betroffen als
berufstätige (Grobe u. Schwartz 2003).
Die Auswertung von Routinedaten der Gmünder Ersatzkasse (GEK) ergab,
dass Arbeitslosigkeit mit einer deutlich erhöhten Inanspruchnahme stationärer Krankenhausleistungen, insbesondere wegen psychischer Störungen,
einhergeht. Arbeitslose Männern verbringen etwa siebenmal mehr Tage zur
Behandlung einer psychischen Störung im Krankenhaus als berufstätige.
Von besonderer Bedeutung sind dabei Behandlungen im Zusammenhang mit
Alkoholmissbrauch: 14,3% aller Krankenhaustage arbeitsloser Männer entfallen auf die Diagnose „Verhaltensstörungen durch Alkohol“. Des Weiteren
finden sich auch Schizophrenien, Belastungsreaktionen sowie Depressionen
bei arbeitslosen Männern häufiger als bei berufstätigen (Grobe u. Schwartz
2003).
Auch arbeitslose Frauen zeigen im Vergleich zu Berufstätigen eine höhere
Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen. Für Krankenhaustage bedingt
durch psychische Störungen beträgt das Verhältnis von arbeitslosen zu berufstätigen Frauen etwa 3:1. Diagnosen im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch sind für etwa 12% der Differenz zu den Berufstätigen verantwortlich. Von Bedeutung sind außerdem Ess- und Persönlichkeitsstörungen.
Im Vergleich zu Berufstätigen finden sich bei arbeitslosen Frauen außerdem
doppelt so viele schwangerschaftsbedingte Krankenhaustage (Grobe u.
Schwartz 2003).
Auch die Daten des BKK-Gesundheitsreports zeigen, dass arbeitslose Männer und Frauen deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen leiden als
beschäftigte (BKK 2009).
Abb. Krankenhausfälle nach ICD-Hauptgruppen (Quelle BKK Gesundheitsreport 2009)
54
Mit 20% haben Arbeitslose eine deutlich höhere Depressionsprävalenz als
Vollzeitbeschäftigte mit 9,1% (Jacobi et al. 2004). Arbeitslose Frauen erhalten die meisten Antidepressiva (BKK Gesundheitsreport 2009, Techniker
Krankenkasse 2010).
Da die Prävalenz von depressiven Störungen und Alkoholproblemen bei
Arbeitslosen hoch ist, soll im Folgenden auf diese Erkrankungen näher eingegangen werden.
55
A6
2.3.1
Depressive Störungen
Depressionen gehören zu den affektiven Störungen. Das ist eine Gruppe
psychischer Erkrankungen, die durch Störungen von Stimmung und Gefühlen (Emotionalität) sowie abnorme Affekte charakterisiert sind.

Stimmung: Gesamtlage des Gefühlszustandes über einen längeren
Zeitraum

Affekte: kurzdauernde, umschriebene Gefühle (Gefühlswallungen)
wie Ärger, Wut, Begeisterung

Gefühle (Emotionen): einzelne länger anhaltende Gefühle wie Trauer, Zuneigung, Wohlbehagen, Erschöpfung
Hauptsymptome depressiver Störungen sind eine über einen längeren Zeitraum anhaltende gedrückte Stimmung mit Interessenlosigkeit und Antriebsminderung. Das Denken ist verlangsamt und häufig kreisen die Gedanken
immer wieder um belastende Themen (Grübelneigung). Aufmerksamkeit
und Konzentration sind vermindert. Depressive Menschen leiden meist auch
unter starken Selbstzweifeln sowie ausgeprägten, unangemessenen Schuldgefühlen. Es können wiederkehrende Gedanken an den Tod oder Suizid auftreten bis hin zu suizidalem Handeln.
Zusätzlich zu psychischen Symptomen treten häufig verschiedene körperliche Beschwerden auf wie Schlafstörungen, Appetitverlust oder gesteigerter
Appetit mit entsprechender Gewichtsveränderung (DGPPN 2012).
Nach ICD-10 (siehe Kapitel 3.1 ) wird eine leichte depressive Episode von
einer mittelgradigen und einer schweren depressiven Episode abgegrenzt.
Menschen mit einer mittelgradigen oder schweren depressiven Episode gelingt es kaum oder gar nicht, ihre alltäglichen Aufgaben zu bewältigen.
Therapie
Zur Behandlung depressiver Störungen werden vor allem psychotherapeutische Verfahren und medikamentöse Therapien mit Antidepressiva eingesetzt.
56
Epidemiologie
Nach einer Studie der WHO zählen depressive Störungen zu den wichtigsten Volkskrankheiten und werden in den nächsten Jahren noch deutlich an
Bedeutung zunehmen (Lopez et al. 2006). Etwa 15 bis 20% der Gesamtbevölkerung erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Depression (Lebenszeitprävalenz), wobei Frauen häufiger als Männer betroffen sind.
Ätiologie und Pathogenese
Zwillingsstudien sprechen dafür, dass genetische Faktoren für die Entstehung depressiver Störungen eine mitverursachende Rolle spielen. Neuere
Untersuchungen weisen darauf hin, dass Gene, die die Ausschüttung von
Botenstoffen (Neurotransmitter) im Gehirn, insbesondere den Serotoninstoffwechsel, steuern, zu einer Prädisposition für die Entstehung depressiver
Störungen führen. Nach dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell tritt die Erkrankung aber erst im Zusammenspiel mit Auslösefaktoren wie körperlichen
Erkrankungen oder psychosozialen Faktoren (z. B. Verlust naher Angehöriger, Trennungen, berufliche Enttäuschungen, Überforderungen, interpersonelle Konflikte, mangelnde soziale Unterstützung usw.) auf (DGPPN 2012).
Verlauf und Prognose
Depressive Störungen verlaufen häufig in Phasen, können aber auch chronifizieren. Prognostisch ungünstig sind psychiatrische oder somatische Begleitkrankheiten (Komorbidität), junges Alter bei Ersterkrankung, weibliches
Geschlecht sowie ein Mangel an sozialer Integration oder Unterstützung
(DGPPN 2012).
2.3.2
Posttraumatische Verbitterungsstörung(Posttraumatic Embit-
terment Disorder, PTED)
Die Posttraumatische Verbitterungsstörung zählt zu den Anpassungsstörungen, die nach einschneidenden, belastenden Lebensereignissen auftreten
können. Sie wurde erstmals von M. Linden, einem Psychiater an der Berliner
Charité, als eigenständiges Krankheitsbild beschrieben. Charakteristisch für
die Störung ist eine bleibende Verbitterung nach einem kränkenden Erlebnis,
das wesentliche Sinn stiftende Grundanschauungen einer Person grob verletzt. Verbitterung entsteht dabei meist aus Gefühlen und Gedanken der Ungerechtigkeit, Herabwürdigung, Enttäuschung und Benachteiligung zusammen mit dem Impuls sich zu rächen. Die Symptomatik ähnelt der einer De57
pression, aber im Gegensatz zu dieser ist bei der PTED die affektive
Schwingungsfähigkeit nicht gestört. Die häufigsten Auslöser für eine PTED
sind Arbeitsplatzverlust (38%) und Konflikte am Arbeitsplatz (25%) (Linden
2004).
Kernkriterien für eine PTED sind nach Linden (2004) die folgenden Merkmale:
„1. Es ist ein einmaliges schwerwiegendes negatives Lebensereignis zu identifizieren, in dessen Folge sich die psychische Störung entwickelt hat.
2. Dem Patienten ist dieses Lebensereignis bewusst, und er sieht seinen Zustand als direkte und anhaltende Konsequenz aus dem Ereignis.
3. Der Patient erlebt das kritische Lebensereignis als “ungerecht”.
4. Wenn das kritische Ereignis angesprochen wird, reagiert der Patient mit
Verbitterung und emotionaler Erregung.
5. Der Patient berichtet wiederholte intrusive Erinnerungen an das Ereignis.
Teilweise ist es ihm sogar wichtig, nicht zu vergessen.
6. Die emotionale Schwingungsfähigkeit ist nicht beeinträchtigt. Der Patient
zeigt normalen Affekt, wenn er abgelenkt wird oder kann beim Gedanken an
Rache lächeln.
7. Es trat keine manifeste psychische Störung im Jahr vor dem kritischen
Lebensereignis auf. Der gegenwärtige Zustand ist kein Rezidiv einer vorbestehenden psychischen Erkrankung.“
Viele Patienten und Patientinnen mit einer posttraumatischen Verbitterungsstörung zeigen ein Vermeidungsverhalten (81%), d. h. sie meiden Ort
und/oder Situationen, an denen das kränkende Lebensereignis aufgetreten
ist. Falls sie noch erwerbstätig sind, zeigt sich meist eine Beeinträchtigung
der Arbeit, außerdem finden sich Beeinträchtigungen im Freizeitverhalten
(65%) und in ihren familiären Beziehungen (57%) (Linden 2004).
2.3.3
Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit
Alkohol ist die am häufigsten missbrauchte Substanz, da er zu den legalen
Drogen gehört und leicht zu beschaffen ist. Gesundheitsprobleme durch
übermäßigen Alkoholkonsum können akut auftreten (Rausch, Intoxikation)
oder sich chronisch entwickeln (Alkoholabhängigkeit mit Folgeerkrankungen).
58
Nach dem Drogenbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung
(2012) trinken ca. 9,5 Millionen Menschen in Deutschland Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. „Etwa 1,3 Millionen gelten als alkoholabhängig
und jedes Jahr sterben über 73.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholmissbrauchs“ (Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2012). Etwa ein Drittel der Alkoholabhängigen sind Frauen, zwei Drittel Männer (Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2011).
In Konflikt- oder Belastungssituationen wird Alkohol nicht selten zur Spannungsreduktion eingesetzt. Insbesondere Männern dient der Alkoholgebrauch als Stimulations- und Kompensationsmittel gegenüber Leistungsanspruch sowie Kampf- und Konkurrenzbereitschaft. Nach Stöver (2006) dient
Alkoholgebrauch als „Coping-Strategie traditioneller Männlichkeit: Verdrängen, Abspalten und Abschotten“.
Coping = adaptives Verhalten, abgeleitet von dem englischen Begriff „to
cope with“ = „bewältigen, überwinden“
Coping-Strategien = Bewältigungsstrategien
Ob sich aus einem Alkoholgebrauch als Bewältigungsverhalten eine Abhängigkeit entwickelt hängt von multiplen Faktoren ab: genetischen Prädispositionen, dem materiellen und sozialen Umfeld, einem geringen Selbstwertgefühl und einer verminderten Frustrationstoleranz.
In einer Studie von Möller-Leimkühler et al (2002) wurden ausgeprägte Depressivität, geringes Selbstwertgefühl, geringe Anpassungsfähigkeit und
geringe Lebenszufriedenheit als spezifische Risikofaktoren für Alkoholabhängigkeit identifiziert.
Eine wichtige Rolle spielt auch das Eingebundensein in Subkulturen oder
bestimmte Peergroups, die ihren Mitgliedern substanzfreundliche Normen
vermitteln sowie Gruppenkohäsion und eine stützende Identität.
Nach ICD-10 liegt ein Abhängigkeitssyndrom vor, wenn drei oder mehr der
folgenden Kriterien mindestens seit einem Monat bestehen:

starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren

verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch
59

körperliche Entzugssymptome, wenn die Substanz reduziert oder
abgesetzt wird

Toleranzentwicklung, Steigerung des täglichen Konsums

Einengung der Interessen auf den Substanzgebrauch, Vernachlässigung sozialer Kontakte

anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen
Jellinek (1952) beschreibt die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit in
vier Phasen:
Präalkoholische Phase: Spannungsreduktion durch Alkohol, häufiges Trinken, leichte Toleranzerhöhung ohne Abhängigkeit
Prodromalphase: regelmäßiges Erleichterungstrinken, Räusche mit Erinnerungslücken, heimliches Trinken, dauerndes Denken an Alkohol, Toleranzsteigerung, noch kein Kontrollverlust
Kritische Phase: vergebliche Versuche der Abstinenz, Toleranzabnahme,
Kontrollverlust, soziale Folgen (Verlust von Freunden, Verlust des Arbeitsplatzes), Interessenverlust, Stimmungsschwankungen, Selbstvorwürfe, Verminderung des Sexualtriebs; zunächst psychische Abhängigkeit, später auch
physische Abhängigkeit
Chronische Phase: tagelange Räusche, Denkbeeinträchtigungen, psychomotorische Störungen, Trinken auch mit Personen eines niedrigen Sozialstatus
Behandlung
Ziel der Behandlung von Alkoholabhängigen ist die Abstinenz. Kontrolliertes Trinken ist in der Regel wegen des Kontrollverlusts nicht dauerhaft zu
erreichen. Die Therapie beginnt mit der Entzugsbehandlung (meist stationär), an die sich eine Entwöhnungsbehandlung anschließt, die meist mehrere
Wochen oder Monate dauert. In der Nachsorgephase erfolgt häufig eine Unterstützung der Betroffenen durch Selbsthilfegruppen (Anonyme Alkoholiker, Blaues Kreuz, Guttempler) oder Suchtberatungsstellen.
Alkoholkonsum und Erwerbstätigkeit
In bestimmten Tätigkeitsfeldern bzw. Berufen kommt der Konsum von
Suchtstoffen, insbesondere von Alkohol besonders häufig vor. Dies sind
60
nach Feuerlein (1995) „Berufe mit spezifischer Belastung in verschiedener
Hinsicht:

instrumentell (z. B. Arbeitsanfall, Arbeitstempo, Schichtarbeit)

sozioemotional (Kontrolle, Konkurrenz, Eintönigkeit)

frustrierend (geringer Verdienst, schlechte Aufstiegschancen)

fehlende „Dispositionsspielräume“ bei der Arbeit

Umfang und Art sozialer Kontakte bei der Arbeit.“
Die besondere Gefährdung bestimmter Berufe kann auch nach dem Konzept
der Berufe mit „hohem Opportunitätsbudget“ erklärt werden (Gundel 1980).
Danach besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit in Tätigkeiten oder Berufen, die durch folgende Merkmale charakterisiert sind:

relativ niedriges Qualifikationsniveau

traditioneller Alkoholkonsum während der Arbeit

hohes Maß an Verhaltensautonomie

Rollenunterlastung

Inkompetenz von Kontrollinstanzen
Zusammenfassend können negative Bedingungen und Lebensereignisse im
Arbeitsumfeld wie Mobbing, Überforderung, Unterforderung, oder (drohende) Entlassung einen verstärkten Alkoholkonsum begünstigen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass häufig zirkuläre Probleme bestehen.
Durch eine bereits bestehende Alkoholabhängigkeit wird die berufliche Situation in vielerlei Hinsicht ungünstig beeinflusst. Mit zunehmender Dauer der
Alkoholsucht kommt es zu Hirnschädigung und Wesensänderung, die zu
einer Verlangsamung der Psychomotorik, zu einer Beeinträchtigung des
Denkvermögens und zu Konzentrationsstörungen führen. Dadurch kommt es
sowohl zu qualitativen als auch zu quantitativen Leistungseinbußen. Gleichzeitig entwickelt sich ein erhöhtes Unfallrisiko und die Betroffenen bleiben
vermehrt unentschuldigt der Arbeit fern. Daraus ergeben sich häufig zwischenmenschliche Spannungen und Konflikte. Über einen meist kaskadenförmig fortschreitenden Desintegrationsprozess kommt es zum beruflichen
und sozialen Abstieg (Feuerlein 1995).
61
A7
2.3.4
Mortalität
Auch unter gleichzeitiger Kontrolle für Alter und Geschlecht lassen sich
signifikante Einflüsse der Arbeitslosigkeit auf die Mortalität nachweisen.
Bereits bei Kurzzeitarbeitslosigkeit von weniger als sechs Monaten innerhalb von drei Jahren fand sich in den Folgejahren eine 1,4-fach erhöhte Mortalität (OR = 1,39; 95%-Konfidenzintervall: 1,14-1,69). Bei Arbeitslosigkeit
von einem bis unter zwei Jahren war das Mortalitätsrisiko zweifach und bei
Arbeitslosigkeit von zwei oder mehr Jahren 3,8-fach erhöht (OR = 3,8; 95%Konfidenzintervall: 3,26-4,50) im Vergleich zu Beschäftigten (Grobe 2006).
2.4
Dauer der Arbeitslosigkeit und Gesundheit
Untersuchungen haben gezeigt, dass die Zeiten mit Beeinträchtigung der
körperlichen Gesundheit, des seelischen Befindens und der Ausübung der
Alltagsaktivitäten mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zunehmen (Kroll u.
Lampert 2012).
Langzeitarbeitslosigkeit führt nicht nur zu finanziellen Einbußen, sondern
auch zu sozialer Ausgrenzung, d. h. zu Deklassierung und Isolation. Anhaltende Arbeitslosigkeit geht mit einer zunehmenden Verschlechterung von
Teilhabechancen einher. Neben einer starken materiellen Benachteiligung
kommt es dadurch zu Identitätsverlust und mangelnder Wertschätzung mit
erhöhtem Krankheitsrisiko.
Abb. Psychisches Leid und soziale Erfahrungen (nach Mirowsky & Ross
1989)
Soziale Position
Einkommen
Auskommen
Beschäftigung
Geschlecht
Rasse
Ethnizität
Ehestand
Entfremdung
Autoritarismus
Machtlosigkeit
Isolation
Selbst-Entfremdung
Sinnlosigkeit
Inflexibilität
Misstrauen
Ungerechtigkeit
62
Viktimisierung
Ausbeutung
Leid
Depression
Angst
Metaanalysen zu Querschnittserhebungen bei Langzeitarbeitslosen zeigen,
dass diese eine stärker eingeschränkte psychische Gesundheit haben als
Kurzzeitarbeitslose (Paul et al. 2006). Eine Längsschnittuntersuchung ergab,
dass eine Kurzzeitarbeitslosigkeit nur für Männer einen signifikanten negativen Einfluss auf die Gesundheitszufriedenheit hatte. Eine Dauer der Arbeitslosigkeit von zwei Jahren oder länger wirkte sich dagegen sowohl für Frauen
als auch für Männer negativ auf die Gesundheitszufriedenheit aus. Ein höheres Alter verstärkt den negativen Effekt der Arbeitslosigkeit auf die Gesundheitszufriedenheit: Personen über 50 Jahre beurteilen die Folgen von Arbeitslosigkeit als schwerwiegender. Das dürfte mit den schlechteren Perspektiven älterer Arbeitsloser zusammenhängen (Gordo 2006).
Menschen im Alter von 55 bis 64 Jahren sind nicht wesentlich häufiger erwerbslos als Angehörige anderer Altersgruppen. Dieser Personengruppe fällt
es jedoch schwer, eine neue Beschäftigung zu finden. In einer Befragung
gaben 62% der älteren Erwerbslose an, dass sie bereits mehr als 12 Monate
auf Arbeitssuche seien. Insgesamt waren von allen befragten Erwerbslosen
nur 46% schon so lange arbeitssuchend (Statistisches Bundesamt 2011).
63
2.5
Modelle des Zusammenhangs von Arbeitslosigkeit und
Krankheit
Zum Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit gibt es zwei
Hypothesen:

die Kausalitätshypothese, die Arbeitslosigkeit als Ursache für
Krankheit betrachtet,

die Selektionshypothese oder soziologische Drift-Hypothese, die
Krankheit als Ursache für Arbeitslosigkeit sieht.
2.5.1
Kausalitätshypothese
Die Kausalitätshypothese geht davon aus, dass Arbeitslosigkeit eine
(Mit)Ursache von Krankheit darstellt. Die Gültigkeit dieser Hypothese lässt
sich nur schwer überprüfen. Man müsste eine Gruppe von Arbeitslosen mit
einer Gruppe von Beschäftigten über einen längeren Zeitraum bezüglich der
Inzidenzraten von Erkrankungen vergleichen. Aussagekräftige Ergebnisse
würde man nur erhalten, wenn der Gesundheitszustand beider Gruppen vor
Eintritt der Arbeitslosigkeit keine signifikanten Unterschiede zeigte. Zusätzlich müssten beide Gruppen bezüglich anderer Faktoren wie Alter, Bildung,
Lebensstil etc., die neben der Arbeitslosigkeit einen Einfluss auf die Krankheitsentstehung oder den Verlauf bereits bestehender Erkrankungen haben
könnten, vergleichbar sein.
Ein weiteres Problem betrifft die zeitliche Verzögerung möglicher Auswirkungen von Arbeitslosigkeit. Soziale Auswirkungen, psychische Reaktionen,
Verhaltensänderungen und Befindlichkeitsstörungen treten meist relativ
kurzfristig nach Beginn der Arbeitslosigkeit auf. Bei somatischen Erkrankungen wie z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist dagegen von einer Entwicklungsdauer über Jahre auszugehen.
2.5.2
Selektionshypothese, Drifthypothese
Die Selektionshypothese nimmt an, dass kränkere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unter den Wettbewerbsbedingungen einer freien Marktwirtschaft eher entlassen und seltener wieder eingestellt werden. Hinweise auf
derartige Selektionseffekte ergeben sich aus mehreren Längsschnittstudien
(z. B. Elkeles 2001, Müller u. Heinzel-Gutenbrunner 2001).
64
2.5.3
Circulus vitiosus von Krankheit und/oder Behinderung und Ar-
beitslosigkeit
Insgesamt betrachtet ist von einem zirkulären Zusammenhang auszugehen,
d. h. es besteht ein Teufelskreis zwischen Krankheit und/oder Behinderung
und Arbeitslosigkeit. Arbeitsplätze mit hohen physischen und/oder psychomentalen Belastungen erhöhen die subjektiv empfundenen Beanspruchungen
und stellen somit langfristig ein Risiko für Gesundheitsschäden dar. Gesundheitliche Einschränkungen oder Behinderungen sind wiederum mit einem erhöhten Risiko verbunden, den Arbeitsplatz zu verlieren. Arbeitslose,
die bereits Gesundheitsprobleme haben, weisen eine höhere Vulnerabilität
gegenüber den Stressoren der Arbeitslosigkeit auf. Als Folgen ergeben sich
eine Verschlimmerung der Gesundheitsprobleme und eine Verzögerung des
Wiedereinstiegs in eine Erwerbstätigkeit. Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit verschlechtern sich wiederum die Chancen auf einen neuen
Arbeitsplatz
Im Jahr 2009 betrug der Anteil von schwerbehinderten Personen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Deutschland 5,8%. Der Anteil
schwerbehinderter Menschen an Arbeitslosen lag 2011 bei 6,1%. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwerbehinderung nimmt mit dem Alter zu. Entsprechend betrug der Anteil schwerbehinderter Menschen an Arbeitslosen der
Altersgruppe 55-59 Jahre 12,0%. Bei 60 bis 65-jährigen Arbeitslosen lag der
Anteil Schwerbehinderter bei 13,1 % (Bundesagentur für Arbeit 2012).
Abb. Schwerbehindertenquote: Anteil der schwerbehinderten Menschen an der jeweiligen Altersgruppe, 31. 12. 2009 in % (Quelle: Statistisches Bundesamt 2011)
65
Behinderung: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion,
geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“ (SGB IX § 2).
Schwerbehinderung: „Menschen sind … schwerbehindert, wenn bei Ihnen
ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt…“ (SGB IX § 2).
Auch wenn die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung
durch gesetzliche Regelungen erleichtert ist, sind die Arbeitslosenzahlen
unter den älteren Schwerbehinderten in den letzten Jahren um etwa 7% angestiegen. Das dürfte vor allem mit dem Auslaufen vorruhestandsähnlicher
Regelungen seit Januar 2008 (insbesondere nach § 428 SGB III) zusammenhängen (Bundesagentur für Arbeit 2012).
A8
3
Medizinische Klassifikationssysteme
Um medizinisches Wissen systematisch zu ordnen und eine Vergleichbarkeit
von Angaben zu Diagnosen oder therapeutischen Maßnahmen zu erreichen,
wurden unter verantwortlicher Federführung der World Health Organisation
(WHO) internationale medizinische Klassifikationssysteme eingeführt. In
der Bundesrepublik Deutschland werden die gültigen amtlichen Klassifikationen durch das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), eine nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums
für Gesundheit (BMG), übersetzt und herausgegeben.
3.1 Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwand-
ter Gesundheitsprobleme (ICD-10)
Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases
66
and related health problems, ICD) ist die bedeutendste international standardisierte Diagnosen-Klassifikation der Medizin. Sie wurde ursprünglich 1893
für eine weltweit standardisierte Todesursachenstatistik entwickelt und wird
seit 1948 für die Dokumentation von Krankheitsdiagnosen und gesundheitsbezogenen Problemen genutzt. Etwa alle zehn Jahre erfolgt eine Überarbeitung. Aktuell liegt die ICD in der 10. Revision vor.
Bei der ICD handelt es sich um eine einachsige Klassifikation, die sich in 22
Krankheitskapitel gliedert. Die Notation ist alphanumerisch, d. h. an erster
Stelle steht ein Buchstabe für die jeweiligen Krankheitskapitel (z. B: F Psychische und Verhaltensstörungen) gefolgt von zwei bis maximal vier Ziffern
für Krankheitsgruppen und Krankheitsklassen.
Beispiel:
F30-F39 Affektive Störungen
F33.1 rezidivierende depressive Störung
aktuell leichte depressive Episode
Die ICD-10 wird sowohl für die Dokumentation und Kommunikation in der
ambulanten und stationären individuellen medizinischen Versorgung als
auch für die Evaluation im Gesundheitswesen (quantitative Auswertungen,
Statistiken, Vergleiche, Analysen) eingesetzt.
3.2
Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Be-
hinderung und Gesundheit (ICF)
Da die ICD lediglich Krankheitsdiagnosen verschlüsselt und keine Aussagen
über Auswirkungen der Erkrankungen auf Funktionsfähigkeit, Leistungsbeeinträchtigung und Teilhabe am sozialen Leben zulässt, wurde von der WHO
zusätzlich eine Klassifikation für Behinderungen entwickelt.
Nach dem deutschen Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX-Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen) können Leistungen zur Teilhabe für Personen nur dann erbracht werden, wenn deren Teilhabe am Erwerbsleben oder
am sozialen Leben erheblich gefährdet oder bereits gemindert ist. Dieser
Leistungsanspruch ist mit dem Teilhabekonzept der ICF und dem dahinter
stehenden bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell eng verbunden.
67
Die ICF ermöglicht eine umfassende Klassifikation der Auswirkungen einer
Krankheit bzw. Behinderung auf die Lebenssituation der Betroffenen. Sie
sieht die Beschreibung von Beeinträchtigungen körperlicher und mentaler
Funktionen vor, die Erfassung von Aktivitäten und Teilhabe (Partizipation)
in verschiedenen Lebensbereichen unter Berücksichtigung von Kontextfaktoren, d. h. von Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren. Neben
krankheitsbedingten Defiziten werden auch die noch vorhandenen Ressourcen von Personen erfasst.
3.2.1
Konzept der funktionalen Gesundheit
Im Fokus der ICF steht das Konzept der funktionalen Gesundheit. Danach
gilt eine Person als funktional gesund, wenn:

„ ihre körperlichen Funktionen (einschließlich des geistigen und seelischen Bereichs) und ihre Körperstrukturen allgemein anerkannten
(statistischen) Normen entsprechen (Konzept der Körperfunktionen
und -strukturen),

sie all das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem (ICD) erwartet wird (Konzept der Aktivitäten),
und

sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der
Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen
ohne Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder -strukturen oder
der Aktivitäten erwartet wird (Konzept der Teilhabe/Partizipation an
Lebensbereichen)“ (BAR Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2006 ).
3.2.2
Konzept der Körperfunktionen und -strukturen
Das Konzept der Körperfunktionen und -strukturen bezieht sich auf den
menschlichen Organismus und zwar sowohl auf den körperlichen als auch
auf den mentalen Bereich.
Körperfunktionen = physiologische Funktionen
von Körpersystemen (z. B. Sinnesfunktionen, Funktionen des Verdauungssystems, psychologische Funktionen)
Körperstrukturen = anatomische Teile des Körpers (z. B. Auge, Ohr, Magen, Nervensystem)
68
Schädigungen = Beeinträchtigungen einer Körperfunktion oder -struktur (z.
B. wesentliche Abweichung oder Verlust.
3.2.3
Konzept der Aktivitäten
Das Konzept der Aktivitäten bezieht sich auf die Handlungen von Menschen.
Aktivität = die Durchführung einer Handlung oder Aufgabe Beeinträchtigungen einer Aktivität = Probleme, die eine Person bei der Durchführung
einer Handlung oder Aufgabe hat
Das Aktivitätskonzept umfasst zwei Sachverhalte, nämlich Leistungsfähigkeit und Leistung.
Leistungsfähigkeit = das maximale Leistungsniveau einer Person bezüglich
einer Aufgabe oder Handlung unter Test-, Standard- oder hypothetischen
Bedingungen ( „maximal“ abhängig von der Fragestellung, z. B. Dauerleistungsfähigkeit, Spitzenleistungsfähigkeit)
Leistung = tatsächliche Durchführung einer Aufgabe oder Handlung einer
Person unter den Gegebenheiten ihres Kontextes (z. B. Gehen bei unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit
3.2.4
Konzept der Teilhabe
Das Teilhabekonzept befasst sich mit dem Menschen als Subjekt in Gesellschaft und Umwelt (Zugang zu Lebensbereichen, gleichberechtigte Teilhabe,
erlebte gesundheitsbezogene
Lebensqualität, erlebte Anerkennung und Wertschätzung in den Lebensbereichen).
Teilhabe = Einbezogensein einer Person in eine Lebenssituation oder einen
Lebensbereich
Beeinträchtigungen der Teilhabe = Probleme, die eine Person beim Einbezogensein in eine Lebenssituation oder einen Lebensbereich hat
3.2.5
Konzept der Kontextfaktoren
Das Konzept der Kontextfaktoren umfasst die Gegebenheiten des gesamten
Lebenshintergrundes einer Person. Dazu gehören Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren.
69
Umweltfaktoren = die materielle, soziale und einstellungsbezogene
Umwelt, in der Menschen leben (Wohnung, Straße, Hilfsmittel, Medikamente, Familie, Arbeitgeber, Einstellungen anderer Personen, Gesundheits- und
Sozialsystem)
personbezogene Faktoren = individueller Hintergrund des Lebens und der
Lebensführung einer Person, ihre Eigenschaften und Attribute (z. B. Alter,
Geschlecht, Persönlichkeitsmerkmale, Lebensstil, Beruf, Coping)
Umweltfaktoren sind in der ICF bereits klassifiziert. Dabei ist immer anzugeben, ob die beschriebenen Umweltfaktoren Ressourcen darstellen oder
Barrieren bilden. Die Klassifikation für personenbezogene Faktoren ist noch
in der Entwicklung (BAR 2006, Schuntermann o. Jahr).
Ziel ist es, mit den personenbezogenen Faktoren auch die personale Ebene
zu erfassen und die subjektive Sicht der Betroffenen mit einzubeziehen. Die
Erfassung individuell erlebter gesundheitlich bedingter Beeinträchtigung der
Alltags- und beruflichen Aktivitäten chronisch kranker und behinderter
Menschen ist vor allem wichtig für eine gemeinsame Entwicklung von Rehabilitationszielen. Nur durch einen gemeinsam von Betroffenen und Therapeuten erstellten Rehaplan können eine hohe Eigenverantwortung und eine
motivierte Mitarbeit erreicht werden. Dadurch können Compliance und
Rehaergebnisse sowie deren Nachhaltigkeit verbessert werden (Deck et al.
2012).
3.2.6
Das bio-psycho-soziale Modell von Gesundheit und Krankheit
Grundlage der ICF ist das bio-psycho-soziale Modell von Gesundheit und
Krankheit, das von folgenden Annahmen ausgeht:
•
Gesundheitliche Probleme lassen sich physiologischen, psychischen
und sozialen Systemebenen zuordnen, die miteinander kommunizieren und untrennbar biopsychosozial verwoben sind.
•
Physiologische Vorgänge können psychosoziale Auswirkungen haben.
•
Psychosoziale Vorgänge können physiologische Wirkungen haben.
70
Abb. Das bio-psycho-soziale Modell der ICF (BAR 2006)
Eine Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit einer Person ist nach
diesem Modell das Ergebnis der negativen Wechselwirkungen zwischen
dem Gesundheitsproblem (klassifiziert nach ICD) einer Person und ihren
Kontextfaktoren. Beispielsweise kann eine Person mit mangelnder psychosozialer Unterstützung Probleme am Arbeitsplatz mit erhöhtem Alkoholkonsum bewältigen und dadurch eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Erwerbsleben erleiden.
3.2.7
Anwendung der ICF
Die ICF findet in Deutschland vor allem im Bereich der medizinischen Rehabilitation (Erstellung von Reha-Plänen, Begutachtung für das SGB IX,
Rehabilitationsrichtlinien nach SGB V) Anwendung.
Da die ICF sehr komplex und umfangreich ist, werden derzeit von der ICF
Research Branch sog. ICF-Core-Sets entwickelt und in verschiedenen Projekten erprobt. Dabei handelt es sich um ICF-Kodelisten, die sich nur auf
umschriebene und abgegrenzte Gesundheitszustände oder Versorgungszusammenhänge beziehen (DIMDI 2012).
3.3
Internationale Klassifikation der Prozeduren in der Medi-
zin (ICPM; OPS-301)
Hierbei handelt es sich um eine uniaxiale Klassifikation mit bis zu 6 Ebenen.
Auf der obersten Ebene liegen 5 Kapitel:

diagnostische Maßnahmen

bildgebende Diagnostik
71

Operationen

nicht operative therapeutische Maßnahmen

ergänzende Maßnahmen
Diese Klassifikation findet vor allem bei der Dokumentation und Abrechnung stationärer Leistungen in Krankenhäusern Anwendung.
A9
4
Sozialmedizinische Begutachtung
Ärztliche Begutachtung ist nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Sozialrecht von hoher Bedeutung. Sozialrechtliche Gutachtenfragestellungen umfassen vor allem Fragen der Behandlungsbedürftigkeit gesundheitlicher Einschränkungen sowie der medizinischen und beruflichen Rehabilitationsbedürftigkeit. Für die Begutachtung im Rahmen der Rentenversicherung sowie
der Kranken- und Arbeitslosenversicherung ist die Beurteilung der Leistungsfähigkeit von zentraler Bedeutung. Im Wesentlichen bezieht sich sozialmedizinische Begutachtung auf folgende Bereiche:

Beurteilung der Einsatzfähigkeit im Erwerbsleben (Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung)

Bewertung von gesundheitlichen Einschränkungen in der Folge eines schädigenden Ereignisses; Beurteilung der Ursächlichkeit (soziales Entschädigungsrecht, Unfallversicherung)

Feststellung und Bewertung des Status der gesundheitlichen Einschränkung als Grundlage für die Gewährung von Hilfen (Schwerbehindertenrecht, Pflegeversicherung).
4.1
Grundlagen ärztlicher Begutachtung
Gutachten werden angefordert, wenn Gerichte, Institution oder Personen zu
einem Sachverhalt eine Entscheidung treffen müssen, aber nicht über die
erforderliche Sachkunde verfügen. Deshalb werden Gutachtenaufträge an
Experten erteilt, die über das notwendige Wissen verfügen. Das Gutachten
dient dem Auftraggeber als wichtige Entscheidungshilfe.
72
In Deutschland werden jährlich – vor allem im Auftrag von Sozialleistungsträgern und Sozialgerichten – mehrere Millionen medizinische Gutachten
erstellt. Ziel jeder Begutachtung ist es, mit Hilfe des Sachverstands eines
Experten (Sachverständigen) einen Sachverhalt zu klären.
4.2
Beteiligte und Begutachtung
Immer gibt es drei Hauptbeteiligte: den Probanden oder die Probandin, den
Auftraggeber oder die Auftraggeberin des Gutachtens und den Gutachter
oder die Gutachterin. In (sozial)medizinischen Gutachten wird in der Regel
nicht der Begriff „Patient“ sondern der Begriff „Proband“ angewandt, da
sich die betroffene Person in der Begutachtung einer Prüfung unterzieht (lat.
probare = prüfen) und keiner ärztlichen Behandlung. Es kommt auch vor,
dass es sich bei zu Begutachtenden nicht um Patienten handelt oder dass
dieser Sachverhalt im Begutachtungsverfahren erst zu klären ist. In der
Rechtssprache werden auch Begriffe wie „der Versicherte“, „die versicherte
Person“, „der Antragsteller“ oder „der Kläger“ verwendet. In der folgenden
Abbildung ist der Prozess einer Begutachtung dargestellt.
Abb. Das Dreieck der Kommunikation und Kooperation im Begutachtungsprozess (modifiziert nach Gebauer 2012a)
Proband
Antrag
Bescheid
Mitwirkung
Einladung
Gutachten
Untersuchung
Vorbereitung
Entscheidung
Auswertung
Erstellung
Auftraggeber
Gutachter
Gutachtenauftrag und Gutachten
73
In der Sozialmedizinischen Begutachtung sind Probanden häufig Langzeiterkrankte, die im Laufe einer mehrjährigen Krankengeschichte zahlreiche
Erfahrungen mit gesundheitlichen Einschränkungen und sozialen Veränderungen gemacht haben. Neben der Untersuchung umfasst die Begutachtung
eine eingehende Sozialanamnese, die den individuellen Lebenslauf sowie die
Krankheitsentwicklung und Teilhabestörungen vor dem Hintergrund spezieller soziokultureller Aspekte wie Herkunft und Sprache erfasst.
Der Auftraggeber eines Gutachtens ist in der Regel auch Entscheider des
Verfahrens. Er stellt die Indikation für eine medizinische Sachaufklärung
und legt durch Aktenvorbereitung, Formulierung der Fragestellung und
Auswahl des medizinischen Sachverständigen den Grundstein für ein qualifiziertes Gutachten.
Ärztliche Gutachter und Gutachterinnen haben eine Doppelrolle inne. Auf
der einen Seite müssen sie sich wie ärztliche Behandler eingehend mit dem
Probanden bzw. dem medizinischen Sachverhalt des Gutachtenauftrags befassen. Auf der anderen Seite müssen sie sich auch mit Denkweise und
Begrifflichkeiten des Entscheiders auseinandersetzen, damit im Begutachtungsprozess eine gute Kommunikation und Kooperation gelingt. Gleichzeitig sind die medizinischen Gutachter konträren Erwartungen von Personen
und Institutionen (Probanden und dessen Rechtsvertreter, Auftraggeber,
Solidargemeinschaft der Versicherten, Sozialstaat) ausgesetzt: es ist Aufgabe
des medizinischen Sachverständigen, die Bedürfnisse des einzelnen Mitglieds der Solidargemeinschaft der Versicherten abzuwägen, aber vor dem
Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen der sozialen Versicherungssysteme soll das sozialmedizinische Gutachten auch dazu dienen, eine Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Grundsätzlich gilt, dass die medizinische
Befundermittlung und Beurteilung auf der Basis größtmöglicher Objektivität
und sachlicher Neutralität zu erfolgen hat. Subjektivität ist auch in einer
Begutachtungssituation immer vorhanden, da persönliche Erfahrungen, Gefühle, Wahrnehmungen und Wertungen nicht einfach abgeschaltet oder ausgeblendet werden können. Wichtig ist, dass diese Subjektivität erkannt, reflektiert und ggf. offen thematisiert wird.
Nach Gebauer (2012a) hat ein medizinischer Gutachter folgende Grundsätze
der Begutachtung und Ethik zu beachten:
74
-
„Qualifizierte Arbeit leisten, Fortbildung betreiben, berufsrechtlich
gebotene Sorgfalt
-
Nach „bestem Wissen und Gewissen“ begutachten
-
Wahrhaftigkeit und Charakterstärke, keine Beeinflussbarkeit in der
Urteilsbildung durch Dritte
15 Proband erhält Bescheid
-
Jedem Probanden mit menschlicher Wertschätzung zu begegnen; ihn als
ein Du und nicht als ein Es behandeln
-
Nihil nocere (keinem Probanden Schaden zufügen)
-
Kollegialität gegenüber anderen Gutachtern und Behandlern
-
Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
-
Schutz des Eigentums der Solidargemeinschaft vor unberechtigtem
Begehren.“
Wenn ein Gutachter befangen ist (z. B. Verwandtschaft mit dem Probanden)
oder wenn die Fragestellung einen Sachverhalt umfasst, für dessen Beurteilung keine ausreichenden Kompetenzen erworben wurden, ist der Gutachtenauftrag mit entsprechender Begründung an den Auftraggeber zurückzugeben.
In der folgenden Abbildung sind die Teilschritte des Begutachtungsprozesses von der Antragstellung bis zum Bescheid zusammengestellt.
Abb. Die Treppe der Begutachtung (modifiziert nach Gebauer 2012a)
75
14 Verwaltung entscheidet
13 Verwaltung wertet Gutachten aus
12 Gutachtenstelle versendet Gutachten
11 Gutachter liest, unterschreibt Gutachten
10 Gutachter plant, formuliert, diktiert Gutachten
9 Gutachter reflektiert, ergänzt, bewertet
8 Gutachter befragt, untersucht Probanden
7 Gutachtenstelle lädt Probanden ein
6 Gutachter sichtet Unterlagen, plant Begutachtung
3 Gutachtenauftrag geht in Gutachtenstelle ein
4 Verwaltung bereitet Gutachtenauftrag vor
3 Verwaltung prüft Bedarf für medizinische Begutachtung
2 Verwaltung prüft versicherungsrechtliche Voraussetzungen
1 Proband beantragt Sozialleistung
Aus richterlicher Sicht ist ein gutes Gutachten durch folgende Merkmale
gekennzeichnet:
-
Erstellung in angemessener Zeit
-
Erstattung durch den Sachverständigen persönlich
-
Vollständige, schlüssige, überzeugende und richtige (vom Gericht für
richtig befundene) Beantwortung der gestellten Beweisfragen
-
für die Beteiligten verständliche Formulierung
-
angemessene Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beteiligten
und dem Inhalt vorhandener Vorgutachten (Schmidt 2005).
4.3
Finale versus kausale Betrachtung bei medizinischen Gut-
achten
Bei der gutachterlichen Beurteilung von Gesundheitsstörungen ist eine finale
Betrachtung von einer kausalen zu unterscheiden. Bei der finalen Betrachtung geht der Gutachter von der Frage nach den Auswirkungen einer Krankheit für den Probanden aus (finalis = endgültig). Da die Bewertung eines
Krankheitszustands und seiner Folgen für Leistungsfähigkeit, berufliche und
soziale Teilhabe im Vordergrund der Untersuchung stehen, wird auch von
Zustandsgutachten gesprochen.
76
Eine kausale Betrachtung geht der Frage nach ob eine vorliegende Krankheit
ursächlich (kausal; causa = Ursache) auf ein schädigendes Ereignis (z. B.
Arbeitsunfall) oder eine schädigende Einwirkung (z. B. berufliche Exposition gegenüber Lärm) zurückzuführen ist. Diese Gutachten werden Kausalitätsgutachten oder Zusammenhangsgutachten genannt.
Bei medizinischen Begutachtungen zu Fragen der sozialen Sicherung geht es
in erster Linie um eine finale Betrachtung Dem Gutachter stellt sich hier die
Frage: „Wie wirkt sich die Krankheit für den Probanden oder die Probandin
aus?“
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über finale und kausale Betrachtungsweisen in Begutachtungsverfahren für verschiedene Träger der sozialen
Sicherung.
Tab. Finale und kausale Betrachtungsweisen in Begutachtungsverfahren für verschiedene Träger der sozialen Sicherung
Gutachtenarten:
Recht/Träger
Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)
Arbeitsförderung
Gesetzliche Unfallversicherung (GUV)
Gesetzliche Rentenversicherung (GRV)
Pflegeversicherung (PV)
Thema/Frage
AU: Liegt (weiterhin) Arbeitsunfähigkeit vor?
Einsatzfähigkeit/Verfügbarkeit
Kausalität, Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
Liegt eine teilweise oder vollständige
Erwerbsminderung (EM) vor?
Pflegestufe
Betrachtung
Final
Kausal
+
+
(+)
+
+
+
Rehabilitationsrecht (alle Liegt Rehabilitationsbedürftigkeit vor?
Träger)
Schwerbehindertenrecht
Grad der Behinderung (GdB)
(SchwbR)
Soziales Entschädigungs- Kausalität, Grad der Schädigung (GdS)
recht (SER)
+
+
(+)
Für die gutachterliche Bewertung der Auswirkungen einer Krankheit (finale
Betrachtung) ist die Benennung der vorliegenden Krankheit (ICD-Diagnose)
nicht ausreichend, da sie keine Aussagen zu Schweregrad und Funktionsbeeinträchtigungen beinhaltet. Zwei Personen, die an der gleichen Krankheit
leiden, können in Abhängigkeit vom Verlauf und Schweregrad unterschiedliche Funktionsstörungen aufweisen und entsprechend unterschiedlich in
ihrer Teilhabe am sozialen Leben beeinträchtigt sein. Für das Ausmaß der
Teilhabeeinschränkungen sind zusätzlich personen- und umweltbezogene
77
+
Kontextfaktoren von Bedeutung. In der sozialmedizinischen Begutachtung
sind diese vor allem auch im Hinblick auf die Prognose und Wiedereingliederung in die Berufstätigkeit zu betrachten. Eine Orientierung der Befunderhebung an der ICF mit Feststellung der Funktionsbeeinträchtigungen ebenso
wie der noch vorhandenen Ressourcen und der Kontextfaktoren ist deshalb
unumgänglich (vergl. Kapitel 3.2).
Häufig erfordern Gutachtenaufträge sowohl eine finale als auch eine kausale
Betrachtungsweise. Beispielsweise kann in Zustandsgutachten für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) oder die Rentenversicherung (RV)
die Frage eine Rolle spielen, ob für die Leistungspflicht u. U. eine Krankheit
ursächlich ist, deren Folgen von einer anderen Institution (z. B. Unfallversicherung) abgedeckt werden. Bei entsprechenden Hinweisen kann gemäß §
102 SGB X ein Erstattungsantrag gestellt werden.
Beispiel:
Die Krankenkasse bezahlt für Frau Müller einen Krankenhausaufenthalt in
einer HNO-Klinik und Krankengeld. Aus der Anamnese ergibt sich der Verdacht auf eine berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit. Daraufhin wird bei der
zuständigen Berufsgenossenschaft (BG) ein Antrag auf Anerkennung einer
Berufskrankheit gestellt. Nachdem die Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit anerkannt worden ist, macht die Krankenkasse bei der BG einen
Erstattungsanspruch für die aufgewendeten Leistungen geltend.
Ergibt sich in Kausalitätsgutachten ein kausaler Zusammenhang zwischen
Krankheit und schädigendem Ereignis, wird der Gutachter zusätzlich beauftragt, den Schweregrad der gesundheitlichen Beeinträchtigung einzuschätzen. Handelt es sich um ein Gutachten für die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV), erfolgt die Festlegung der Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) bedingt durch die Unfallfolgen. Im Zusammenhang mit einer Begutachtung im Rahmen des Sozialen Entschädigungsrechts wird der Grad der
Schädigung (GdS) abgeschätzt.
78
4.4
Begutachtungsrelevante rechtliche Begriffe
Das Ausmaß von Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen sowie
die Erwerbsfähigkeit müssen im Rahmen sozialmedizinischer Gutachten
immer im Kontext des jeweiligen Rechtsgebietes beurteilt werden. Da je
nach Rechtsgebiet unterschiedliche Begriffe verwendet werden, sollen die
wichtigsten im Folgenden kurz besprochen werden.
4.4.1
Grad der Schädigung (GdS) und Grad der Behinderung (GdB)
Der Grad der Schädigung (GdS) ist ein Begriff des sozialen Entschädigungsrechts (SER §30 Abs. 1 BVG). Mit dem GdS wird das Ausmaß der Auswirkungen einer – kausal im leistungsrechtlichen Rahmen des SER entstandenen – Gesundheitsstörung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
angegeben. Im Schwerbehindertenrecht (SGB IX, Teil 2) wird das Ausmaß
der Beeinträchtigung durch den Grad der Behinderung (GdB) bemessen. Der
Begriff der Behinderung ist vor allem für den Bereich der Rehabilitation von
Bedeutung. Nach SGB IX §1 erhalten Behinderte oder von Behinderung
bedrohte Menschen Rehabilitationsleistungen, „um ihre Selbstbestimmung
und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern,
Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.“ Dies gilt
insbesondere auch für die Teilhabe am Arbeitsleben.
Definition Behinderung nach SGB IX § 2
„(1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als
sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen
und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie
sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“
Begrifflich zu unterscheiden sind:
Schwerbeschädigte
Schwerbehinderte
Grad der Schädigung (GdS) = 50 Grad der Behinderung (GdB) = 50
oder höher
oder höher
Zur Sicherstellung, dass Beeinträchtigungen bundesweit einheitlich bewertet
werden, wurden Begutachtungs-Richtlinien erstellt. Diese Richtlinien heißen
„Versorgungsmedizinische Grundsätze" nach der VersorgungsmedizinVerordnung vom 10. Dezember 2008. Danach werden GdS und GdB nach
den gleichen Grundsätzen bemessen.
79
„Beide Begriffe unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der GdS nur auf
die Schädigungsfolgen (also kausal) bezogen ist, der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Beide
Begriffe haben die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen
Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt. GdS und GdB sind ein Maß für die körperlichen,
geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens“
(Versorgungsmedizinische
Grundsätze 2008).
4.4.2
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und Erwerbsminde-
rung (EM)
Bei der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) handelt es sich um einen
Begriff der GUV (§56 Abs. 2 SGB VII): für die Feststellung der Höhe der
MdE ist das Ausmaß zu beurteilen, um das die bisherige Einsatzfähigkeit auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt (= 100%) durch die Schädigung (Unfallfolgen, Berufskrankheit) eine Minderung erfahren hat. Der Begriff der MdE ist
zu unterscheiden von der Erwerbsminderung (EM). Dieser Begriff ist der
gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) zuzuordnen und wird im §43 SGB
VI des Rentenrechts in der ab 1.1.2001 geltenden Fassung zweistufig definiert: 1. teilweise erwerbsgemindert, 2. voll erwerbsgemindert.
Begrifflich zu unterscheiden sind:
Minderung der Erwerbsfä- Erwerbsminderung (EM)
higkeit (MdE)
nach dem Recht der GRV (SGB VI)
nach dem Recht der GUV
(SGB VII)
Ausmaß, um das die bisheri- Teilweise EM
Volle EM
ge Einsatzfähigkeit auf dem irgendeine Erwerbs- irgendeine Erwerbsallgemeinen
Arbeitsmarkt tätigkeit auf dem tätigkeit auf dem
durch Unfallfolgen oder Be- allgemeinen
Ar- allgemeinen
Arrufskrankheit gemindert ist
beitsmarkt kann auf beitsmarkt kann auf
nicht absehbare Zeit nicht absehbare Zeit
nicht mindestens 6 nicht mindestens 3
Stunden täglich aus- Stunden
täglich
geübt werden
ausgeübt werden
80
4.5
Sozialmedizinische Begutachtung bei der Bundesagentur
für Arbeit
Im ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind in den verschiedenen Agenturen derzeit über 400 Ärztinnen und Ärzte verschiedener
Fachrichtungen beschäftigt. Im Jahr2011 wurden bundesweit ca. 550.000
Aufträge an den Ärztlichen Dienst der BA vergeben. Kern der Tätigkeit des
ärztlichen Dienstes ist die „Eignungsfeststellung“ gemäß § 32 SGB III. Soweit dies für die Feststellung der Berufseignung oder Vermittlungsfähigkeit
erforderlich ist, wird der ärztliche Dienst danach mit der Begutachtung von
Kundinnen und Kunden der BA beauftragt. Zusätzlich erstellt der Ärztliche
Dienst bei Beauftragung auch sozialmedizinische Gutachten im Rahmen des
SGB II für Jobcenter (Bundesagentur für Arbeit 2012).
Die wesentliche Aufgabe der Sozialmedizin im Rahmen des SGB II ist nach
Toumi (2006) die Mitwirkung bei:

der Feststellung der Erwerbsfähigkeit (Leistungsfähigkeit, Verfügbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt)

der Umsetzung des Grundsatzes des Forderns bei gegebener Erwerbsfähigkeit (§2 SGB II) (Eingliederung, Mitwirkungsbereitschaft)

der Umsetzung des Grundsatzes des Förderns (§§ 14 und 16 SGB II)
(Beratung, Integration, Qualifizierung, Rehabilitation, Fallmanagement)
Die Begutachtung durch den Ärztlichen Dienstes der BA erfolgt nach einem
Stufenkonzept, d. h. in der Regel wird auf der Basis der vom Kunden vorgelegten ärztlichen Unterlagen nach Aktenlage ein Gutachten erstellt. Ein umfassendes sozialmedizinisches Gutachten mit Untersuchung des Kunden
wird nur bei komplexen Fragestellungen notwendig.
Ziel der sozialmedizinischen Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst der
BA sind möglichst objektive Aussagen zur individuellen Leistungsfähigkeit.
Das Gutachten dient als Entscheidungsgrundlage für Vermittlungsbemühungen, Gewährung von Förderleistungen oder Geldleistungen.
Die Begutachtung der Leistungsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit bezieht sich,
je nach Fragestellung des Auftraggebers, entweder auf die Beurteilung der
Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, also die Erwerbsfä81
higkeit allgemein oder auf die Leistungsfähigkeit in einem bestimmten Tätigkeitsfeld oder einem speziellen Beruf.
Ist das Leistungsvermögen so erheblich eingeschränkt, dass eine Erwerbstätigkeit auf Dauer weniger als drei Stunden täglich ausgeübt werden kann,
steht der Kunde dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung.
Ggf. sind die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente abzuklären.
Die abschließende Entscheidung, ob Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente besteht, wird vom zuständigen gesetzlichen Rentenversicherungsträger
getroffen.
Bei gesundheitlich eingeschränktem Leistungsvermögen einer Kundin oder
eines Kunden nimmt der Ärztliche Dienst in seiner Begutachtung Stellung
zu der Frage, ob durch medizinische und/oder berufliche Rehabilitationsmaßnahmen die Teilhabe am Arbeitsleben wieder hergestellt bzw. verbessert
werden kann. Entsprechend der ICF geht es dabei nicht nur um die Feststellung von Leistungseinschränkungen sondern auch um die Erfassung noch
vorhandener Ressourcen des Kunden.
Folgende Fragen sind in diesem Zusammenhang zu klären:

„Sind Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe erforderlich? (Rehabilitationsbedürftigkeit)“

„Welche Maßnahmen sind erforderlich? (Rehabilitationsbedarf)“
(Arbeitsagentur 2012)

Wird eine Rehabilitation mit hoher Wahrscheinlichkeit die Leistungsfähigkeit verbessern? (positive Rehaprognose)

Welche Ressourcen sind noch vorhanden, an die in der Rehabilitation angeknüpft werden kann?
A10
82
5
Sozialmedizinische Leistungsdiagnostik und Beurtei-
lung der Leistungsfähigkeit
In der Sozialversicherung werden zwei Bereiche von Leistungen unterschieden:
-
Eine Leistung im leistungsrechtlichen Sinn wird einem Versicherten
von einem Sozialleistungsträger als Sach-, Dienst- oder Geldleistung
bewilligt/erbracht (z. B. Krankengeld, Rentenleistung, RehaLeistung).
-
Eine Leistung im sozialmedizinischen Sinn ist eine Arbeitsleistung
mit bestimmten Anforderungen, die von einer gesundheitlich beeinträchtigten Person vor dem Hintergrund der personen- und umweltbezogenen Kontextfaktoren erbracht/bewältigt werden kann.
Im Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit ist die zweite Definition von Bedeutung, die im Folgenden näher betrachtet wird.
5.1
Leistung im sozialmedizinischen Sinn
Leistungen in der Arbeitswelt sollen bestimmte Anforderungen erfüllen und
zu Ergebnissen führen, die für Arbeitgeber, Kunden und/oder Gesellschaft
nützlich sind. Das heißt, dass Arbeitsleistungen in einer adäquaten Zeit erbracht und die Ergebnisse bestimmten Quantitäts- und Qualitätsvorgaben
entsprechen sollten. Voraussetzung für die Beurteilung menschlicher Leistungen bzw. der Fähigkeit, eine definierte Leistung zu erbringen, ist deshalb
die Orientierung an bestimmten Maßstäben.
Die Beurteilung der erwerbsbezogenen Leistungsfähigkeit ist in vielen Bereichen ärztlicher Tätigkeit von Bedeutung. Von kurativ tätigen Ärztinnen
und Ärzten wird beispielsweise erwartet, dass sie Patienten mit chronischen
Erkrankungen beraten, welche Belastungen vermieden werden sollten. In der
sozialmedizinischen Begutachtung ist die Beurteilung der individuellen Leistungsfähigkeit gesundheitlich beeinträchtigter Menschen notwendig, um
Entscheidungen zu Arbeits-, Berufs- und Dienstunfähigkeit sowie Erwerbsminderung treffen zu können. Eine wichtige Rolle spielt die Leistungsdiagnostik und -beurteilung auch für die Arbeitsvermittlung, die Ermittlung von
Rehabilitationsbedarf sowie die berufliche (Wieder-) Eingliederung ein83
schließlich der Anpassung eines Arbeitsplatzes an behindertengerechte Kriterien.
Tab. Beurteilung der Leistungsfähigkeit als ärztliche Aufgabe
Modifiziert nach Gebauer (2012c)
Anlässe für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Arbeits- und Erwerbsleben
Gutachter
Alle kurativ tätigen Arbeitsmediziner, Amtsärzte
Ärzte
Begutachtungsanlässe im Sozialrecht:
Beratung der Pati- Ärztliche Untersuchungen im Ar- Arbeitsunfähigkeit (SGB V)
ent_innen zu Belast- beitsverhältnis:
- Erwerbsminderung (SGB VI)
barkeit
- Personalärztliche Untersuchun- Leistungsfähigkeit/Einsatzfähigkeit (SGB
gen auf Verlangen des ArbeitgeII und III)
bers
- Erwerbsminderung im Alter (SGB XII)
- Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen
- Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz
Begutachtungsanlässe im Beamtenrecht:
Vertragsärzte
Reha-Mediziner
- Eignung/Dienstunfähigkeit
Begutachtungsanlässe im Privatversiche- Feststellung von AU
Beurteilung der Leistungsfähigkeit
rungsrecht:
in Einrichtungen der medizinischen
- Berufsunfähigkeit
(private
BUund beruflichen Rehabilitation
Versicherung)
- AU (PKV)
Die Begriffe Leistungsvermögen und Leistungsfähigkeit werden in der
neueren Literatur zur sozialmedizinischen Begutachtung synonym verwendet (DRV 2009). Unter Leistungsfähigkeit wird in der Begutachtungsmedizin die Fähigkeit einer Person verstanden, eine bestimmte Leistung zu erbringen, also eine definierte Aufgabe zu bewältigen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Leistungsfähigkeit unter Realbedingungen und der
Leistungsfähigkeit unter Test- oder Idealbedingungen. Unter Realbedingungen soll Leistung nicht nur einmalig, sondern über einen längeren Zeitraum
stabil erbracht werden können. Im Gegensatz dazu wird bei der Beurteilung
der Leistungsfähigkeit unter Ideal- oder Testbedingungen die maximale
Leistungsfähigkeit einer Person unter standardisierten Bedingungen eingeschätzt (vgl. Kap. 3.2).
Leistungsfähigkeit unter Realbedingungen (performance)
Fähigkeit, eine Leistung langfristig
und stabil zu erbringen
Leistungsfähigkeit unter Idealbedingungen (capacity)
Maximale Leistungsfähigkeit unter
Testbedingungen
84
Jede Arbeitsleistung ist abhängig von sachlichen Vorbedingungen und
menschlichen Voraussetzungen. Zu den sachlichen Vorbedingungen gehören
zum einen organisatorische Faktoren wie Arbeitszeit, Arbeitssicherheit oder
Entlohnung und zum anderen technische Faktoren wie Aufgabenschwierigkeit, Arbeitsmittel oder Umgebungsbedingungen (Groner 2012). Bei den
menschlichen Voraussetzungen ist zu differenzieren zwischen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft.
Tab. Menschliche Voraussetzungen für Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft (modifiziert nach Groner (2012))
Einflussfaktoren für Leistungsfä- Einflussfaktoren für Leistungsbereithigkeit (Beispiele)
schaft (Beispiele)
- Konstitution
- Interesse
- Geschlecht
- Selbstverständnis
- Alter
- Stimmungslage
- Bildung
- Arbeitsbedingungen
- Kognitive Fähigkeiten
- Betriebsklima
- Sensorische Fähigkeiten
- Finanzielle Anreize
5.2
Grundlagen der sozialmedizinischen Beurteilung der Leis-
tungsfähigkeit
Bei der sozialmedizinischen Beurteilung der Leistungsfähigkeit hat der Gutachter die Aufgabe, die gesundheitlich bedingte bzw. die durch Krankheit
und/oder Behinderung beeinträchtigte Leistungsfähigkeit mit seinem Expertenwissen und dem Einsatz validierter Messinstrumente zu beurteilen. Die
Beurteilung der Leistungsfähigkeit für Aktivitäten der Arbeitswelt und des
täglichen Lebens erfolgt auf der Grundlage der ICF unter Berücksichtigung
bio-psycho-sozialer Wechselwirkungen sowie positiver und negativer Kontextfaktoren (vgl. Kap. 3.2).
„Leistungsfähigkeit = störungsbedingte Leistungsminderung +/- Kompensation“ (Gebauer 2012c)
Grundlage der sozialmedizinischen Beurteilung der Leistungsfähigkeit ist
außerdem das Belastungs-Beanspruchungskonzept (vgl. Kap. 1.3.3).
85
Die Beurteilung der Gesamtleistungsfähigkeit einer Person erfolgt in der
sozialmedizinischen Begutachtung in Teilschritten, wobei je nach Gutachtenauftrag weitere Professionen (z. B. Psychologen) für Zusatzgutachten
herangezogen werden.
Beurteilung der Gesamtleistungsfähigkeit in Teilschritten:

körperliche Leistungsfähigkeit,

sensorische Leistungsfähigkeit

geistige (mentalen) Leistungsfähigkeit

psychosoziale Leistungsfähigkeit
Die Gesamtleistungsfähigkeit wird in der Begutachtung nicht als eine allgemeine Größe (z. B. gesundheitliche Fitness) aus den genannten Teilbereichen zusammengefasst, sondern immer in Relation zu einem bestimmten
Aufgabenbereich mit definierten Anforderungen beurteilt. D. h. die Beurteilung der Gesamtleistungsfähigkeit erfolgt im Hinblick auf gewisse Anforderungen, wobei u. U. einzelne Teilbereiche der Leistungsfähigkeit unterschiedlich zu gewichten sind.
Bezugssysteme sind hierbei z. B.:

der aktuell vorhandene Arbeitsplatz

der überwiegend ausgeübte oder erlernte Beruf

eine vom Auftraggeber benannte Verweisungstätigkeit

der allgemeine Arbeitsmarkt

bestimmte Aktivitäten des täglichen Lebens
5.3 Diagnostik der erwerbsbezogenen Leistungsfähigkeit
Die Begutachtung der erwerbsbezogenen Leistungsfähigkeit orientiert sich
an drei Komponenten:
Begutachtung der Leistungsfähigkeit im Arbeits- und Erwerbsleben
(nach Gebauer 2012c)
Komponenten der Diag- Fragestellung an die Ärztin oder den Arzt
nostik und Beurteilung
1. Medizinische Kom- „Liegt eine gesicherte Störung von Körperfunkponente
tionen und Aktivitäten als Folge von Krank86
heit/Behinderung vor? Welche? Wie schwergradig sind diese Auswirkungen?“
2. Erwerbsbezogene
Ergeben sich aus der Störung Konsequenzen für
Komponente
die Leistungsfähigkeit am bisherigen Arbeitsplatz, im erlernten Beruf…? Positives/negatives
Leistungsbild? Qualitative und quantitative
Leistungsfähigkeit?
Bei Vorliegen eines konkreten präzisen beruflichen Anforderungsprofils: „Passt das ermittelte
Fähigkeitsprofil zum geforderten Arbeitsprofil?“
3. Zeitliche Komponen- Seit wann besteht die Leistungsminderung?
te
Therapie/Rehabilitation ausgeschöpft?
Prognose: Wie lange wird die Leistungsminderung voraussichtlich/mit überwiegender Wahrscheinlichkeit andauern? „Besserung (un)wahrscheinlich?“
Die Untersuchung der erwerbsbezogenen Leistungsfähigkeit stützt sich auf
die Erhebung der Arbeits- und Sozialanamnese, eine klinische und apparative Funktionsdiagnostik sowie auf eine arbeitsbezogene Diagnostik.
Wichtige Themen der Arbeits- und Sozialanamnese sind:

die subjektive Einschätzung der Leistungsfähigkeit durch den Probanden mit Angaben zu Arbeitsunfähigkeit, Angaben zu Schwerbehinderung, Verlust des Arbeitsplatzes etc.,

die Beschreibung des aktuellen Arbeitsplatzes durch den Probanden, Angaben Arbeitszeiten, zu qualitativen und quantitativen Belastungen, körperlichen wie psychosozialen Belastungen, Exposition gegenüber besonderen Gefahrenstoffen etc.

Berufs- und Sozialanamnese (beruflicher Werdegang, finanzielle
Absicherung, persönliche Lebenssituation etc.)

Bedeutung und Auswirkungen der Erkrankung sowie Ressourcen
des Probanden.
Hilfreich für den Gutachter ist eine Arbeitsplatzbeschreibung durch den Betrieb z. B. in Form von Videosequenzen.
Klinische Funktionstests, die in der Begutachtung eingesetzt werden, sind
z. B. Beweglichkeitsprüfungen, Belastungs-EKG, Lungenfunktionsprüfung,
Seh- und Hör-Tests sowie neuropsychologische Tests zur Prüfung der kogni87
tiven Funktionen wie Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis- und
Lernleistungen.
Durch spezielle arbeitsbezogene Leistungstests können verschiedene Tätigkeitsmerkmale aus der Arbeitswelt geprüft werden. Grundsätzlich gilt
dabei: je näher sich die Testung der Leistungsfähigkeit an den zu beurteilenden konkreten Anforderungen des Arbeitsplatzes orientiert, umso sicherer
kann die gutachterliche Beurteilung sein. Deswegen wurden in den vergangenen Jahren umfassende arbeitsbezogenen Assessments entwickelt.
5.3.1
Spezielle Leistungsdiagnostik: arbeitsbezogene Assessments
Spezielle arbeitsbezogene Assessments sind Instrumente zur Prüfung verschiedener Tätigkeitsmerkmale (to assess = engl. beurteilen, bewerten Die
bisher entwickelten Instrumente beziehen sich überwiegend auf körperliche
Leistungen. Zu diesen Assessments gehören die sog. FCE- Verfahren (Functional Capacity Evaluation):

Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit nach Isernhagen
(EFL)

Arbeitssimulationsgerät ERGOS
Abb. Einschätzung körperlicher Leistungsfähigkeit (Gebauer 2012c)
FCE-Verfahren im Kontext der ICF
Körperfunktionen
und Strukturen
Aktivitäten
Funktions- und
Strukturdiagnostik
Aktivitätsdiagnostik
ursächlich
orientiert
Teilhabe/Partizipation
Partizipationsdiagnostik
anforderungskontextorientiert
orientiert und
und situationsabhängig
situationsunabhängig
arbeitsplatzbezogenes
Assessment
88
Die arbeitsbezogenen Assessments konzentrieren sich auf die Aktivitätsebene. Sie liefern Zusatzinformationen z. B. für die berufliche Wiedereingliederung von Probanden, bei denen mehr Wissen über Einzelfähigkeiten oder
Ausdauerbelastung benötigt wird oder wenn Diskrepanzen zwischen klinischem Befund und subjektiven Angaben von Probanden bestehen. Inzwischen bieten manche Rehabilitationskliniken auch die Erprobung der Belastbarkeit in einer beruflichen Werkstatt an (Buchard 2009).
Eine Reihe weiterer Assessmentinstrumente erfassen die Selbsteinschätzung
der Leistungsfähigkeit. Es handelt sich dabei um standardisierte Fragebögen,
die von den Probanden auszufüllen sind. Hierzu gehören z. B. der vor allem
in der Rehabilitation eingesetzte IRES-Fragebogen (Indikatoren des RehaStatus) und der Work Ability Index (WAI). In seiner neuesten Version wurde der IRES-Fragebogen (IRES 3) dem Konzept der ICF angepasst. Neben
der Einschätzung somatischer Symptome und Funktionen erfasst er auch
psychisches Befinden, Bewältigungs- bzw. Kontextfaktoren und berufsbezogene Funktionsfähigkeit.
5.3.2
Work Ability Index (WAI)
Der WAI wurde in Finnland als Konzept zur Bestimmung der körperlichen
und geistigen Leistungsfähigkeit entwickelt. Es handelt sich um ein Messinstrument zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit von Erwerbstätigen. Der WAI
wird auch als Arbeitsfähigkeitsindex oder Arbeitsbewältigungsindex bezeichnet. Der Fragebogen, kann entweder von den Befragten selbst oder von
Dritten, z.B. Betriebsärzt/innen bei der betriebsärztlichen Untersuchung,
ausgefüllt wird. Ziel der Anwendung des WAI ist die Förderung bzw. Erhaltung
der
Arbeitsfähigkeit
der
Beschäftigten.
Mit dem Fragebogen werden sieben Dimensionen erfasst:

derzeitige Arbeitsfähigkeit im Vergleich zur besten jemals erreichten
Arbeitsfähigkeit

Arbeitsfähigkeit im Vergleich zu den Anforderungen der Arbeitstätigkeit

Anzahl der aktuellen vom Arzt diagnostizierten Erkrankungen

geschätzte Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch die Erkrankungen
89

Arbeitsunfähigkeitstage während der letzten 12 Monate

subjektive Prognose der Arbeitsfähigkeit in den nächsten beiden
Jahren

psychomentale Ressourcen zur Bewältigung der Arbeitsanforderungen
Aus den Antworten ergibt sich der WAI-Wert, der mit Referenzdaten verglichen wird. Ziel ist es, über die betriebsärztliche Betreuung oder die betriebliche Gesundheitsförderung frühzeitig Präventionsmaßnahmen anzubieten, um
die Arbeitsfähigkeit zu erhalten (WAI Netzwerk o. Jahr)
In Deutschland wurde 2003 das WAI-Netzwerk von der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) initiiert. Aktuell wird es von der
Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) finanziert.
Da psychische Erkrankungen immer häufiger Ursache einer Frühberentung
sind, gewinnt die Erfassung psychomentaler Belastungen und (Fehl-) Beanspruchungen insbesondere in der Rehabilitation und in der beruflichen Wiedereingliederung zunehmend an Bedeutung. In der Diagnostik von beruflichen Beanspruchungen wird z. B. der AVEM, ein Fragebogen zur Erfassung
von arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern eingesetzt.
5.3.3
Erfassung von arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmus-
tern
Schaarschmidt und Fischer (2006) haben einen standardisierten Fragebogen
zur Erfassung persönlicher Ressourcen entwickelt, die in der Auseinandersetzung mit beruflichen Anforderungen von Bedeutung sind (Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster, AVEM). Der Fragebogen erlaubt Aussagen über gesundheitsförderliche und gesundheitsgefährdende Verhaltensund Erlebensmuster bei der Bewältigung von Arbeits- und Berufsanforderungen. Somit kann er zur Früherkennung gesundheitlicher Risiken und zur
Begründung und Ableitung von präventiven Maßnahmen eingesetzt werden.
Es handelt sich um ein mehrdimensionales persönlichkeitsdiagnostisches
Verfahren mit Selbsteinschätzungen auf elf Dimensionen: „Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit, Beruflicher Ehrgeiz, Verausgabungsbereitschaft,
Perfektionsstreben, Distanzierungsfähigkeit, Resignationstendenz bei Misserfolg, Offensive Problembewältigung, Innere Ruhe und Ausgeglichenheit,
Erfolgserleben im Beruf, Lebenszufriedenheit, Erleben sozialer Unterstüt90
zung“. Aus der Fragebogenauswertung lassen sich sowohl positive als auch
negative arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster erkennen.
Negativen Mustern mit einem erhöhten Risiko für Gesundheitsprobleme
werden von den Testautoren spezifische Interventionsmaßnahmen zugeordnet (Schaarschmidt u. Fischer 2006), z. B.:
Selbstüberforderung
Nein-Sagen lernen
Veränderung der individuellen Arbeitsorganisation und des Zeitmanagements
Koordinierung und Ausbalancierung von beruflichen Anforderungen, häuslichen Pflichten
und Freizeitaktivitäten
Eingeschränkte kommu- Kommunikations- und Konfliktbewältigungsnikative
Kompetenz, training, Förderung offensiven Kommunikatidefensive Problembewäl- ons- und Konfliktlöseverhaltens
tigung
Das Verfahren kann zur genaueren Abklärung berufsbezogener gesundheitlicher Risiken genutzt werden sowie zur individuellen Abstimmung von rehabilitativen Maßnahmen und zur Verlaufs- und Erfolgskontrolle des Rehabilitationsprozesses.
A11
5.4
Abschließende Beurteilung des erwerbsbezogenen Leis-
tungsvermögens in der sozialmedizinischen Begutachtung
Auf der Basis der Sozialanamnese und der Untersuchungsbefunde beurteilt
der Gutachter die erwerbsbezogene Leistungsfähigkeit in enger Orientierung
an der Fragestellung des Gutachtenauftrags. Dabei ist zu berücksichtigen, ob
nach dem Leistungsvermögen bezüglich einer konkreten beschriebenen Tätigkeit gefragt ist oder nach dem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt. In beiden Fällen muss sowohl das qualitative als auch das
quantitative Leistungsvermögen beurteilt werden.
91
5.4.1
Qualitatives Leistungsvermögen
Es ist zu beurteilen, welche Anforderungen aufgrund der ermittelten Fähigkeiten vom Probanden noch oder nicht mehr geleistet werden können bezüglich der

Arbeitsschwere: körperlich leichte, mittelschwere, schwere Arbeiten

Arbeitshaltung: im Stehen, Gehen, Sitzen, gebückt etc.

Arbeitsorganisation: Tagesschicht, Spätschicht etc.
Zusätzlich sind spezielle qualitative Leistungsmerkmale zu berücksichtigen
(z. B. Verantwortung für Personen, Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge,
Sehvermögen, Gebrauchsfähigkeit der Hände etc.). In die Beurteilung der
Leistungsfähigkeit ist außerdem die subjektive Beanspruchung des Probanden einzubeziehen. Entsprechend dem Belastungs-Beanspruchungskonzept
stellen gleiche Belastungen für verschiedene Menschen unterschiedliche
Beanspruchungen dar (vgl. Kap. 1.3.3).
5.4.2
Quantitatives Leistungsvermögen
In verschiedenen Rechtsbereichen werden drei quantitative Stufen der Leistungsfähigkeit unterschieden:

unter 3 Stunde pro Tag

bis unter 6 Stunden pro Tag

6 und mehr Stunden pro Tag
Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einer Leistungsminderung auf unter
drei Stunden für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit noch eine Leistungsfähigkeit
für drei bis unter sechs Stunden für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt gegeben sein kann. Daraus wird auch deutlich, dass sich eine
gutachterliche Stellungnahme zur Leistungsfähigkeit nicht auf die Defizite
beschränken sollte, sondern auch das Restleistungsvermögen bzw. das, was
durch eine weitere Förderung noch zu erreichen ist, beschreiben sollte (Ressourcenorientierung).
Eine Leistungsfähigkeit unter drei Stunden pro Tag bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt entspricht einer vollen Erwerbsminderung. Sie ist bei
schwerer dauernder oder länger anhaltender Leistungseinschränkung, z. B.
infolge einer unheilbaren Krebserkrankung gegeben. Die Feststellung einer
92
vollen Erwerbsminderung setzt voraus, dass die üblichen Therapie- und
Rehabilitationsmaßnahmen ausgeschöpft sind (Gebauer 2012c).
Grundlage der abschließenden Beurteilung der erwerbsbezogenen Leistungsfähigkeit in sozialmedizinischen Gutachten ist der Vergleich des Fähigkeitsprofils eines in seinen Funktionen eingeschränkten/behinderten Menschen
mit dem Anforderungsprofil des vorgesehenen Arbeitsplatzes.
Abb. Vergleich als Entscheidungshilfe (Gebauer 2012c)
Behinderter Mitarbeiter
Arbeitsplatz
Ergebnisse von
Arbeitsplatzanalysen
Medizinischer Befund
Fähigkeiten
Möglichkeiten zur
Verbesserung der
Fähigkeiten?
Vergleich
Anpassung Mensch,
Arbeit notwendig/
möglich?
Arbeitsanforderungen
Möglichkeiten zur
Veränderung der
Anforderungen?
Entscheidung über
geeigneten
Arbeitsplatz
Behindertengerechte
Gestaltung des
Arbeitsplatzes
Einarbeitung am
gestalteten
Arbeitsplatz
93
5.5
Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer
Einschränkungen der erwerbsbezogenen Leistungsfähigkeit im Alter sind
meist nicht primär durch das Alter bedingt, sondern durch chronische Erkrankungen. Der Höhepunkt körperlicher Leistungsfähigkeit liegt für Männer ungefähr bei 25 Jahren, für Frauen bei ca. 22 Jahren. Erwerbstätige ab
dem 45. Lj. Werden in die Kategorie der älteren Arbeitnehmer eingeordnet.
Während körperliche Leistungsfähigkeit, geistige Beweglichkeit, Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, Kurzzeitgedächtnis und Risikobereitschaft mit zunehmendem Alter abnehmen, kommt es zu einer Zunahme von
Lebens- und Berufserfahrung, Urteilsfähigkeit, Expertenwissen, Zuverlässigkeit, Kooperationsfähigkeit und Pflichtbewusstsein. Ältere Arbeitnehmer
sind seltener krankheitsbedingt arbeitsunfähig als jüngere, aber aufgrund
chronischer Erkrankungen fallen sie meist länger aus (Bangali u. Schmid
2006, BAuA 2011, DAK-Gesundheit 2012).
Nach Groner (2012) sind dementsprechend folgende Tätigkeitsmerkmale für
ältere Arbeitnehmer ungünstig:

starker Zeit- und Leistungsdruck

hohe körperliche Belastungen

hohe Anforderungen an Feinmotorik, Aufmerksamkeit, Reaktionsschnelligkeit

Nacht- und Schichtarbeit

ungewohnte Arbeitsaufgaben
Günstige Arbeitsanforderungen für ältere Arbeitnehmer sind dagegen:

Autonomie

Sorgfalt und Erfahrung

Nutzung vorhandenen Wissens

soziale Kompetenz

selbstbestimmtes Lerntempo

Anknüpfungsmöglichkeiten an Bekanntes (Groner 2012).
A12
94
6.
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106
Anhang
Aufgaben, Vertiefungsliteratur und weiterführende Links
A1
Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf den Arbeitsmarkt?
A2
Was versteht man unter Empowerment?
Unter welchen Bedingungen wirkt sich Arbeit positiv auf Selbstwertgefühl
und Gesundheit aus?
Erläutern Sie den Zusammenhang zwischen Bildung, Teilhabe am Erwerbsleben und Gesundheit.
Stellen Sie die wichtigsten Modelle zur Erklärung der Zusammenhänge von
Arbeit und Gesundheit dar und diskutieren Sie ihre Stärken und Schwächen.
A3
Beschreiben Sie den Wandel der Arbeitsbedingungen und –belastungen in
den vergangenen Jahrzehnten.
Definieren Sie die Begriffe „arbeitsbedingte Erkrankungen“ und „Berufskrankheit“.
Welche kausalen Zusammenhänge müssen erfüllt sein, damit eine Berufskrankheit anerkannt wird?
Welches sind die häufigsten anerkannten Berufskrankheiten?
107
Welche Gesundheitsprobleme sind häufig mit Nacht- und Schichtarbeit verbunden?
Vertiefungsliteratur
Seidel D, Solbach T, Fese R, Donker L, Elliehausen HJ (2007) In: RKI
(Hrsg.) Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Gesundheitsberichterstattung
des
Bundes,
Heft
38,
Berlin
http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichter
stattung/GesundAZ
A4
Was versteht man unter Stress?
Erklären Sie die Zusammenhänge von Stress und Gesundheit bzw. Krankheit.
Was versteht man unter Mobbing? Nennen Sie typische MobbingHandlungen.
Wie wirkt sich Mobbing am Arbeitsplatz auf die Gesundheit der Betroffenen
aus?
Wie wirkt sich berufsbedingte räumliche Mobilität auf die Gesundheit älterer
Arbeitnehmer aus?
Was versteht man unter Burnout?
Welche Bedeutung haben psychische Störungen und Erkrankungen für Arbeitsunfähigkeit, insbesondere bei älteren Erwerbstätigen
Vertiefungsliteratur
Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) (2012) BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit.
Psychische
Erkrankungen
und
Burnout.
http://www.bptk.de/uploads/media/20120606_AU-Studie-2012.pdf
108
A5
Welche Veränderungen haben sich in den letzten Jahren bezüglich des
Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand ergeben? Nennen Sie die
Hauptgründe für Frühberentungen.
Was versteht man unter dem „healthyworker-effect“?
Welche Interventionsansätze gibt es, um einen längeren Verbleib älterer
Arbeitnehmer im Berufsleben zu erreichen? Welche Faktoren sind bei solchen Interventionen zu berücksichtigen?
Vertiefungsliteratur
Rehfeld UG (2006) In: RKI (Hrsg.) Gesundheitliche Frühberentung. Gesundheitsberichterstattung
des
Bundes,
Heft
30,
Berlin
http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichter
stattung/GesundAZ
A6
Wie ist Arbeitslosigkeit/Langzeitarbeitslosigkeit definiert?
Welche Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheitsverhalten bzw. Lebensstilfaktoren werden beschrieben?
Welche Erkrankungen sind besonders mit Arbeitslosigkeit assoziiert? Welche Unterschiede finden sich für Männer und Frauen?
A7
Was versteht man unter einer „posttraumatischen Verbitterungsstörung“?
Wodurch unterscheidet sich dieses Störungsbild von einer Depression?
Welche Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und Alkoholabhängigkeit werden diskutiert?
109
Welche Zusammenhänge zwischen Erwerbstätigkeit und Alkoholabhängigkeit werden diskutiert? In welchen Berufen besteht eine besondere Gefährdung?
A8
Wie unterscheiden sich Kurzzeit- und Langzeitarbeitslose unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht hinsichtlich ihres Gesundheitszustands?
Erläutern Sie mögliche kausale Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit und
Krankheit und diskutieren Sie verschiedene Erklärungsmodelle.
Schildern Sie ein Fallbeispiel aus Ihrer beruflichen Praxis, was eher die Kausalitätshypothese oder die Selektionshypothese belegt.
Vertiefungsliteratur
Kroll LE, Lampert T (2012) Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und
Gesundheit. Hrsg. Robert Koch-Institut Berlin, GBE kompakt 1(3)
www.rki.de/gbe-kompakt (Stand: 18.10.2012)
A9
Welches sind die wichtigsten international gebräuchlichen medizinischen
Klassifikationssysteme? Wo werden sie eingesetzt?
Warum wurde zusätzlich zur ICD die ICF entwickelt?
Welche Dimensionen werden in der ICF klassifiziert?
Welches Modell von Gesundheit und Krankheit steht hinter der ICF?
110
A10
Nennen Sie Beispiele für Bereiche der sozialmedizinischen Begutachtung.
Beschreiben Sie die Kommunikationsprozesse der (sozial)medizinischen
Begutachtung.
Erläutern Sie die Begriffe „finale“ und „kausale Betrachtung“ im Zusammenhang mit medizinischen Gutachten und nennen Sie Beispiele entsprechender Begutachtungsbereiche
Wie sind die Begriffe „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ und „Erwerbsminderung“ definiert und welchen Sozialleistungbereichen sind sie zuzuordnen?
Wie sind die Begriffe „Grad der Schädigung“ und „Grad der Behinderung“
definiert und welchen Sozialleistungsträgern sind sie zuzuordnen?
Welche Aufgaben hat der ärztliche Dienst der Agenturen für Arbeit?
A11
In welchen Bereichen der sozialmedizinischen Begutachtung ist die Beurteilung der erwerbsbezogenen Leistungsfähigkeit von Bedeutung?
Wie sind die Begriffe „Leistungsfähigkeit unter Realbedingungen“ und Leistungsfähigkeit unter Idealbedingungen“ definiert?
Welche Faktoren beeinflussen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft
und müssen entsprechend bei der Beurteilung berücksichtigt werden?
Was versteht man unter dem Work Ability Index?
Informieren Sie sich unter folgendem Link über das arbeitsbezogenen Assessment ERGOS:
http://www.youtube.com/watch?v=_fXmXgpibwY
111
A12
Nennen Sie Merkmale des qualitativen/quantitativen Leistungsvermögens.
Wodurch unterscheidet sich die erwerbsbezogene Leistungsfähigkeit von
jüngeren und älteren Arbeitnehmer_innen?
Welche Tätigkeitsmerkmale sind für ältere Erwerbstätige eher günstig, welche eher ungünstig?
112
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