lesen - Landesprogramm für die gute gesunde Schule Bayern

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen und
Kolleginnen!
Unsere Schule, das Jack-Steinberger-Gymnasium Bad
Kissingen war drei Jahre in dem Modellprojekt Anschub.de der
Bertelsmann – Stiftung. Das war eine lange, interessante und
erfahrungsreiche Zeit.
1. Was blieb uns aus dieser Zeit? Uns blieben wesentliche
Erfahrungen:
Es blieb z. B die Erfahrung, dass es uns als Schulen in Bayern
sehr gut geht. Das zeigte uns der Vergleich mit den zwei
anderen Modellregionen – Berlin und MecklenburgVorpommern. Wir werden als Lehrer besser bezahlt, haben
mehr Aufstiegschancen, haben die besseren und gepflegteren
Schulen und eine meist vernünftige Schulpolitik. Nicht umsonst
stehen bayerische Schulen - von der Hauptschule bis zum
Gymnasium - im bundesweiten und auch internationalen
Vergleich sehr gut da.
Es blieb die Erfahrung, dass es uns als Schulen schlecht geht.
Das zeigte uns der Vergleich mit den finanziellen
Möglichkeiten der Bertelsmann –Stiftung. Es gibt einen
Industrie-Standard und einen Schulstandard. Wir leisten für
unsere Gesellschaft sehr viel. Wir sind aber die ärmeren
Verwandten, die staunen, wie es am Tisch der Reichen zugeht.
Eine zweite Erfahrung ist, dass die gesunde Schule ein
Widerspruch in sich ist. Warum? Wir erfüllen für unsere
Gesellschaft eine zentrale Aufgabe: Wir machen aus Lauftieren
Sitztiere. Unser verborgenes Ausbildungsziel ist es, aus dem
Homo erectus den Homo sedens zu machen. Und wir sind
erfolgreich darin: Selbst wenn wir sitzen, sparen wir auch noch
Bewegung und betreiben am Esstisch die Pfeffermühlen
elektrisch. In unserer Gesellschaft ist das Leben auf möglichst
wenig Bewegung ausgerichtet und wir Schulen bereiten darauf
vor.
Es blieb die dritte Erfahrung, dass wir als Gymnasium zu spät
kommen. Die wesentlichen Weichen werden in den ersten sechs
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Lebensjahren gestellt. Der Großteil des Verhaltens unserer
Schüler ist schon festgelegt: Isst er lieber Pizza oder Salat?
Bewegt er sich gerne oder ist er schon couch potato? Ist er
bereit sich anzustrengen oder gibt er bei einer Steigung gleich
auf? Wie viel können wir eigentlich noch verändern?
Es blieb die wesentliche Erfahrung, dass wir als Schule ohne die
Eltern sehr wenig erreichen. Wenn Eltern ihr Kind täglich bis
kurz vor die Schultür fahren, werden wir dieses Kind schwer
dazu bringen, sich mehr zu bewegen. Wenn die Eltern nur
fernsehen, ist die Chance gering, dass deren Kind freudig liest.
Es blieb aber auch die beruhigende Erfahrung, dass wir doch
etwas bewegen können.
Das Modellprojekt hieß Anschub.de. Es wollte eine Initiative
sein, die etwas in Bewegung setzt, eine Initiative, die den
anfänglichen Trägheitsmoment überwindet und eine Initiative,
die den Blick auf das halb gefüllte Glas verändert: Wir sehen
unser Glas nicht halb leer, sondern halb voll. Und wir bemühen
uns, das Glas weiter zu füllen.
2. Was wurde? Was hat sich verändert?
Sehen wir uns zuerst den Raum des Körpers an: Bewegung
und körperliche Belastung der Schüler
Wir fahren Fahrrad, auch die Lehrer: Wir haben eine wachsende
Gruppe von Lehrern, die mit dem Fahrrad in die Schule kommt;
auch ich fahre mit dem Fahrrad in die Schule und im
Fitnesszentrum kann ich immer wieder kleine
Dienstbesprechungen ansetzen.
Bewegung ist gut: Deswegen haben wir neben der bewegten
Pause die bewegte Vertretungsstunde: Es gilt in der
Vertretungsstunde die Parole: Raus auf den Hartplatz, und wenn
der besetzt ist, kann die Klasse auch im Kurpark spazieren
gehen. Denn: wenn die Schüler sich bewegen, können sie klarer
denken.
Unser Wissen darum, was gesund ist hat sich geändert: Ein
kleines Beispiel: das Gewicht der Schulranzen: Kinderärzte
warnen vor den schlimmen gesundheitlichen Folgen schwerer
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Schulranzen, die nicht schwerer sein sollten, als 10% des
Körpergewichts; so die DIN-Norm 58124. Forscher der
Universität Saarbrücken haben diese Norm untersucht und
kamen zu dem Ergebnis, dass diese Norm nicht haltbar ist.
Ein kurzfristig getragener schwerer Ranzen kann vielmehr die
Rumpfmuskulatur bewegungsarmer Kinder trainieren und das
ist hoch erwünscht. Die Forscher fragten sich auch, woher die
Norm des 10% Ranzengewichts gekommen ist: die Antwort war
verblüffend: Die Norm kommt aus der Zeit vor dem 1.
Weltkrieg. Sie bezieht sich darauf, wie schwer der Tornister
eines Rekruten sein sollte, damit bei Langzeitbelastungen keine
muskulären Ermüdungen auftreten. Damit waren allerdings
Märsche ab 20 Kilometern gemeint. Wir raten deshalb den
Eltern: Gönnen Sie Ihrem Kind einen schweren Ranzen: Er
trainiert.
Und noch etwas zur Diskussion zur Diskussion um das gesunde
Schulessen in der Mensa: Es gibt nur drei empirisch handfest
bestätigte Regeln für das gesunde Essen:
Die erste Regel lautet: Man soll sich mehr bewegen. Die zweite
Regel lautet: Man soll weniger essen. Die dritte Regel lautet:
Man soll mehr Obst und Gemüse essen.
Auch die Schule als baulicher Raum hat sich verändert :
Als wir mit Anschub begannen, hatten unsere Klassenzimmer
die akustische Anmutung von Kapellen, alle hatten sich daran
gewöhnt und das Hochbauamt sagte mir, keiner hätte sich je
darüber beklagt. Es ließ sich sehr schön in den Klassenzimmern
singen, der Nachhall war wunderbar, das Verstehen der
Hörverständnisübungen in den Fremdsprachen aber furchtbar.
Bei Generalsanierung war die Akustiksanierung deshalb ein
wesentlicher Punkt. Unsere Klassenzimmer sind jetzt akustisch
hervorragend, die Verständlichkeit im Klassenzimmer hat sich
dramatisch verbessert.
Einen weitaus stärkeren Wandel nehmen wir ab dem nächsten
Schuljahr bei der Organisation der Unterrichtsräume vor. Wir
Lehrer verbringen immer mehr Zeit in der Schule. Wir haben
aber keine ausreichenden Arbeitsplätze in unseren
Zwischenstunden. In den Raumprogrammen für Schulen
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kommen Arbeitsplätze, die über die einen halben Quadratmeter
Tischanteil im Lehrerzimmer hinausgehen, nicht vor: die
Lehrerintensivhaltung ist die Regel. Ein normal ausgestatteter
Schreibtischarbeitsplatz wäre allerdings das gute Recht jeden
Lehrers. Der Hinweis, dass in der Schule ja immer
irgendwelche Zimmer leer sind, erklärt den Lehrer zum
Büronomaden, der für seine Arbeit nur das braucht, was er
tragen kann.
Wir haben ab dem nächsten Schuljahr Lehrerklassenzimmer,
mit einem Arbeitsplatz für jeden Lehrer und einem technisch
verlässlichen Präsentationsmedium: einem großen
Flachbildschirm. Dieses Medium wird auch benutzt, weil der
Kollege nicht in jedem Klassenzimmer andere technische
Probleme vorfindet. Er arbeitet mit seinem Gerät, das ihm
vertraut ist. Im Lehrerzimmer stehen Sofas zur Kommunikation
und Entspannung. So wird der Arbeitsplatz des Lehrers
gesünder und gleichzeitig können wir die Unterrichtsräume
technisch besser ausstatten.
Auch die Schule als sozialer Raum hat sich verändert.
Die Schule ist ein Gebäude Stein und Beton. Schule braucht
materielle Voraussetzungen. Aber in erster Linie ist Schule
durch die Art der sozialen und intellektuellen Beziehungen
definiert, die in ihr stattfinden: zwischen Lehrkräften, Schülern,
Schulleitung und Eltern und jeweils auch untereinander. Die Art
dieser Beziehungen kann Lernen und Gesundheit fördern und
hemmen. Eine Möglichkeit, das Störungsrisiko für diese
komplexe Beziehungsgeflecht zu verringern, besteht darin,
Regeln und Rituale zu vereinbaren, wie miteinander
umgegangen wird.
Wenn zum Beispiel Lehrer solidarisch zusammenarbeiten, muss
die Forderung von Selbstverständlichkeiten wie Pünktlichkeit,
Einhaltung von Gesprächsregeln, Mitbringen der
Unterrichtsmaterialien oder der höfliche Umgang miteinander
nicht zum täglichen einsamen Einzelkampf werden. Ein
Kollegium kann zusammen mit Schülern und Eltern ein Bündel
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von einfachen Regeln, einen Minimalkonsens des
Erziehungsverhaltens formulieren, der uns allen erleichtert
zusammenzuarbeiten.
Classroom Management: Lehrerverhalten verändert das
Verhalten der Schüler
Als meine Tochter Corinna in der 11. Klasse war, jammerte sie
einmal im Auto: Weißt du, was mein größter Wunsch ist? Ich
würde gerne im Physikunterricht etwas verstehen. Du bist doch
gut in Physik, sagte ich. Ich meine nicht inhaltlich verstehen,
sondern akustisch, sagte sie, es ist einfach zu laut im
Klassenzimmer.
Mein ältester Sohn war ein Jahr in Kanada in der Schule. Ich
fragte ihn, was die größten Unterschiede zwischen Kanada und
Deutschland seien. Er meinte, dass der inhaltliche Anspruch des
Unterrichts in Deutschland viel größer sei, in Kanada aber die
Schüler viel aufmerksamer und ruhiger dem Unterricht folgen
würden. (Beispiel Treisch/Eber?)
Erfolgreiches Classroom-Management ist eines der
Hauptqualitätsmerkmale für guten Unterricht. Kein anderes
Merkmal ist so eindeutig mit den Leistungsniveau und dem
Lernfortschritt der Schulklasse verknüpft wie die
Klassenführung. Erfolgreiches Classroom-Management ist auch
die Voraussetzung für ein gesundes Unterrichtsklima, gesund
für Lehrer und Schüler, da es eine Arbeitsatmosphäre schafft, in
der man ungestört lernen und ungestört unterrichten kann.
Als ich Referendar war, war es wohl gottgegeben, ob man mit
einer Klasse zurechtkam oder nicht. Heute wissen wir, dass die
Persönlichkeit etwas ausmacht, dass es aber auch erlernbare
Techniken gibt. An unserer Schule gibt es auch ein
Studienseminar. Gutes Classroom-Management ist eines der
zentralen Bestandteile der Ausbildung der jungen Kollegen und
auch im Kollegium ist Classroom-Management ein Thema, das
aber in meinen Augen noch ausgebaut werden muss.
Lions Quest darf in diesem Rahmen nicht unerwähnt bleiben, in
dem erfolgreich die sozialen Kompetenzen von Schülern
gefördert werden, das Selbstvertrauen der Schüler gestärkt wird
und ihre kommunikativen Fähigkeiten gestärkt werden, so dass
sie Konflikt- und Risikosituationen im Alltag erfolge
bewältigen können. Lions Quest Ausbildungen von Kollegen
wurden auch an unserer Schule durchgeführt.
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Schule als sozialer Raum: Elternverhalten verändert das
Verhalten der Schüler: KissP@d: Elterntraining
Ich habe oben gesagt, dass eine Erfahrung unserer Zeit im
Modellprojekt Anschub.de war, dass die wesentlichen Weichen
bei unseren Schülern schon gestellt waren. Und eine
wesentliche Erfahrung war, dass die verschiedenen Schularten
gut zusammenarbeiten können und wir hatten auch gesehen,
dass die wesentlichen Weichen schon sehr früh gestellt werden.
Deshalb kam bei uns die Idee auf, uns auch für die Kindergärten
und Grundschulen in der Region zu engagieren. Denn was die
Kinder dort Positives lernen, kommt uns als weiterführenden
Schulen auch zugute.
Die Idee eines Bad Kissinger Erziehungsmodells wurde
geboren: Nicht nur einzelnen Schulen erziehen, sondern eine
Region erzieht.
Und eine zweite Idee steckt dahinter: Der wichtigste Ort der
Erziehung ist die Familie. Was dort verpasst wird, kann schwer
aufgeholt werden. Wir müssen die Familien in der Erziehung
stärken. Denn: Was im Elternhaus versäumt wurde, können wir
Schulen nicht mehr aufholen. Erziehung kann aber nur
gelingen, wenn Elternhaus und Schule zusammenarbeiten.
Wir arbeiten mit unseren Eltern zusammen, indem wir als
Schule unsere Erziehungserfahrung mit den Eltern teilen.
Die oben angesprochene Erfahrung, dass die Weichen für das
Verhalten der Kinder sehr früh gestellt werden , berücksichtigen
wir auch: Eltern müssen sehr früh in ihrer Erziehungsarbeit
gestärkt werden; schon in der Grundschule, im Kindergarten
und schon vor der Kindergartenzeit.
Um diese Zusammenarbeit zu organisieren, haben wir einen
eigenen Verein gegründet: KissP@d, der die
Elterntrainingsabende und andere Aktionen organisiert.
Im In vier Trainingsabenden werden mit den Eltern die
Grundregeln eines guten Erziehungsstils eingeübt. Diese
Trainings führen wir in Kindergärten, Grundschulen und auch
am Gymnasium durch. Trainer sind unter anderem unsere
Seminarlehrerinnen Pädagogik und pädagogische Psychologie,
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die abgeordnete Grundschullehrkraft, die
ehemalige
Elternbeiratsvorsitzen und Elternbeiratsmitglieder. Wir als
Gymnasium engagieren uns auch für die Kindergärten und
Grundschulen
Das Elterntraining basiert auf dem autoritativen Erziehungsstil.
autoritativen Erziehungsstil werden liebevoll Grenzen gesetzt;
Liebe + Strenge + Unterstützung, das ist die goldenen Regel
einer erfolgreichen Erziehung. Wissenschaftliche Untersuchung
zeigen, dass sich ein Erziehungstraining positiv auf die Kinder
und ihre Schulleistungen und auch positiv auf die Gesundheit
der Eltern auswirkt.
Wir vermitteln an den Trainingsabenden die fünf wichtigsten
Verhaltenskriterien für die Erziehung unserer Kinder, im
Elternhaus und in der Schule
1. Emotionale Wärme. Emotionale Wärme zeigt sich
darin, dass Eltern sich dem Kind zuwenden. Sie machen
ihm das „Geschenk der reinen Aufmerksamkeit“ , wie
Martin Buber es nenn. Sie hören das Kind in einer
wohlwollenden Atmosphäre an und nehmen es
wertschätzend als Person wahr. Dem Kind wird mit
echter Anteilnahme begegnet.
2. Achtung und Respekt. Eltern wenden sich dem Kind in
voller Aufmerksamkeit zu, aber sie erkennen an, dass das
Kind anders ist als wir selbst; aber: die ihnen fremden
Anteile werden akzeptiert. Sie trauen dem Kind eigene
Wege zu und halten es für fähig, selbst Lösungen zu
finden.
3. Kooperation. Hier geht es um das Miteinander, um
Gespräche und Erklärungen, wechselseitiges Verstehen
und Um-Verständnis-Ringen in der Erwachsenen-KindBeziehung. Eltern sollen ihren eigenen Standpunkt
vertreten und sie hören sich die Meinung des Kindes an.
Das Kind wird in Entscheidungen einbezogen. Eltern soll
es auf die Teilhabe und Teilnahme des Kindes
ankommen.
4. Struktur und Verbindlichkeit. Verbindlichkeit bedeutet
hier, dass es Regeln gibt, die allen bekannt und einsichtig
sind. Absprachen werden von beiden Seiten konsequent
eingehalten. Werden abgesprochene und begründete
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Regeln nicht befolgt, hat das erwartbare Konsequenzen,
die durchgeführt und nicht nur angedroht werden. Die
Grenzen sind Markierungen zur Orientierung. Neben
solchen Regeln geben auch Rituale des Alltags und
Gewohnheiten in der Lebensführung Strukturen vor. Dies
sind zum Beispiel Zubett-Geh-Rituale und die
gemeinsamen Mahlzeiten. Das schafft Verlässlichkeit
und Kontinuität, die dem Kind Handlungssicherheit gibt.
5. Allseitige Förderung. Eltern sorgen für eine
anregungsreiche und interessante Umgebung und sie
machen das Kind bekannt mit Natur, Wissenschaft,
Technik, Religion und Kosmos. Eltern schaffen eine
positive und anregende Lernatmosphäre. Wir antworten
auf Fragen, unterstützen das Neugierverhalten und
ermöglichen dem Kind intellektuelle, sprachliche,
motorische und sinnliche Erfahrungen
Das Elterntraining ist ein Aspekt der Elternarbeit von KissP@d:
Wir haben aber noch drei andere Säulen: die Werteerziehung,
die Gesundheitserziehung und die Lesekultur.
Als Schule holen die Eltern aber
auch ins Boot über das
Elternkolleg, in dem wir bei
Elternabenden auf die
Jahrgangsstufen abgestimmt
Informationen zu Schule und
Erziehung geben, und über das
Elternforum, einem
Debattenforum, in dem über
Schulprobleme diskutiert wird.
Wir nehmen die Eltern als die ersten und wesentlichen Erzieher
der Kinder ernst und unterstützen sie dabei. Das gelingt uns
über KissP@d, das Elterntraining, das Elternkolleg und das
Elternforum.
Anschub.de hat uns erfolgreich angeschoben. Nicht immer war
vorhersehbar wohin. Manchmal es der glückliche Zufall, der
uns den Neubau und die Generalsanierung bescherte und oft die
Erfahrungen, die wir in drei Jahren Anschub.de machten. Wir
waren mal erfolgreich unterwegs, manches gelang uns nicht so
gut. Aber wir können sagen, wir haben uns, nachdem wir
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einmal angeschoben wurden, immer bemüht, auf dem Weg zu
bleiben.
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