Exzerpt_Graf (I) - Friedrich-Schiller

Werbung
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fakultät für Sozial-und Verhaltenswissenschaften
Institut für Soziologie
Seminar: Einführung in die Medizinsoziologie
Dozent: Tobias Franzheld (M.A.)
Mareike Graf
Lehramt JM Sozialkunde/Englisch
Matr.-Nr.: 120740
Exzerpt zu: VOGD, Werner (2002): Die Bedeutung von Rahmen in der Arzt-PatientenInteraktion, Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung (2002),
S. 321 – 346.
Werner Vogt befasst sich in dem oben angegebenen Abschnitt mit der Bedeutung von
sogenannten „Rahmen“ (frames) für die Arzt-Patienten-Interaktion. Hierbei soll eine Studie in
gewöhnlichen Krankenhäusern zeigen, wie Aushandlungsordnungen oder Rahmen zwischen
Arzt und Patient gefasst werden können.
1. Fragestellung zur Studie
Zunächst bildet die Arzt-Patienten-Beziehung ein Kernthema der medizinsoziologischen Forschung. Trotz des Fokus auf dieses Thema, werden Kontext und Bedingungen des Inhalts
ärztlichen Arbeitens nur wenig beachtet. Denn dieser Bereich kommt neben Organisation,
Formularoptionen, Finanzen usw. viel zu kurz (umgangssprachlich). Als Resultat zeigt sich
das eben diese sozialen Konstituenten der ärztlichen Praxis verschleiert bleiben.
Im Gegensatz zum Mangel an rekonstruktiver Forschung gibt es eine Vielzahl von theoretischen Modellen in der Literatur. Diese stellen allerdings eine enorme Diskrepanz zwischen
Theorie und Praxis dar, da die praktische Umsetzung oft fragwürdig ist und ein Idealtyp des
Patienten konstruiert wird.
So liegen die Anforderungen vor allem darin, erfüllbare Ansprüche an die Medizin zu stellen
und diese dann zu erfüllen.
2. Methode zur Studie
Die Studie wird durch die dokumentarische Methode gestützt. Diese Methode hat den Vorteil,
dass sie die Differenz zwischen Theorie über Handlungspraxis und die Handlungspraxis sel-
ber zum Ausgangspunkt nimmt. Wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen immanentem Sinngehalt (rational nachvollziehbare Handlungsentwürfe) und dem dokumentarischen
Sinngehalt (Modus der Sozialität). Erst durch diese Unterscheidung ergibt sich die nötige
Spannung zwischen den normativen und zweckrationalen Aspekten gegenüber den
systemrationalen und habituellen Aspekten der Arzt-Patienten-Beziehung.
So erfüllt das Konzept der „Orientierungsrahmen“, als sogenannte Wirklichkeitssicht oder
Perspektive auf ein Problem, die nötigen Voraussetzungen der Studie. Bedeutsam ist hierbei
das die Rahmen jederzeit moduliert werden können.
3. Datengrundlage und Auswertung der Studie
Als Datengrundlage werden drei Feldforschungsaufenthalte in unterschiedlichen Kliniken
verwendet.
Die Auswertung erfolgt in den Schritten „formulierende Interpretation“, „reflektierende
Interpretation“ und „komparative Analyse“.
4. Ergebnisse der Studie
Beispiel: Geeignete Entlassungstermine und soziale Indikation
Der Rahmen der Entscheidung über den geeigneten Entlassungstermin liegt hier in der
Beziehungsgestaltung zu den Krankenkassen. Ihr Zweck liegt vor allem in der
Konfliktvermeidung und die Funktion in der Abwehr von Fremdeinflüssen. Besonders kritisch liegt der Fall aber zum Beispiel in der Notaufnahme, wo moralische Konflikte der Ärzte
keine Seltenheit sind. So werden aktive Täuschungen vorgegeben um den Entlassungstermin
anzupassen und den Rahmen ihrer eigenen Spielräume zu vergrößern. Die ökonomische Frage,
als für die Entscheidung primären Rahmen, verborgen zu halten, suggeriert dem Patienten
sogar Handlungsfreiheit, wahrt aber den medizinischen Rahmen nach außen. Der primäre
Rahmen des Problems des geeigneten Entlassungstermins ist unumstritten ökonomischer Natur und der Patient wird aus diesem Problem ausgeschlossen.
Beispiel: Suizidalität und Psychose
Verhaltensauffällige Patienten im Krankenhaus werden im organisatorisch möglichen Rahmen, in einer anderen Institution behandelt um dieses Problem im Krankenhaus zu lösen. Hier
wird ein medizinischer Rahmen vorgetäuscht um sich vor möglichen Konsequenzen zu schützen. Der Zweck der Täuschung des Arztes liegt in der Abwehr von Risiko und Überforderung.
Die Funktion dagegen im Erhalt der Stationsordnung. Bei suizidgefährdeten Patienten liegt
der Zweck der Entscheidung über die Einweisung in eine Psychiatrische Anstalt, in der
Herstellung eines guten therapeutischen Settings. Die Organisation der Entscheidung findet in
der Zurechnung der Einzelpersonen statt, die formell die Verantwortung tragen.
Auch hier lässt sich mit der Rahmenanalyse feststellen, dass die Patienten nicht in die
Entscheidung mit einbezogen werden.
Beispiel: Behandlung unbehandelbarer Patienten
Hier stellt sich die Frage der Weiterprozessierung, in dem Sinn, dass ein neuer Rahmen
gefunden werden muss, in dem entschieden und gehandelt werden kann. Der Behandlungsrahmen ist in erster Linie diffus. Die Diffusität ist insofern gut, dass dem Arzt in seinem Handeln immer ein „Hintertürchen“ offen steht und ihm Handlungsspielräume eingeräumt werden
können. Er täuscht eine Beziehung zwischen Arzt und Patienten vor, um aufwendige Wege in
Form einer realen Beziehung zu umgehen. Stattdessen wird ein bestimmter Typus des Patienten erstellt, der dann im medizinisch-diagnostischen Rahmen behandelt wird. Auch der
organisatorische, sowie der ökonomische Rahmen treten in den Vordergrund. Denn die Gefahr eines Dauerpatienten muss gebannt werden. Auch wenn der primäre Rahmen der
legitimatorischen Absicherung besteht, ist immer noch im Sinne traditioneller ärztlicher Ethik
der Auftrag erkennbar, Leiden bei Patienten zu vermeiden und ein würdiges Ableben zu
ermöglichen.
5. Diskussion zur Studie
Abschließend lässt sich feststellen, dass Ärzte nach ihrer eigenen Rationalität handeln und
nicht nach der Logik von Krankenkassen oder politischen Vorgaben. Den juristischen Vorgaben muss nur formal und in der Außendarstellung Folge geleistet werden. Täuschungen mit
guten und nachvollziehbaren Motiven und Absichten sind Alltag im Krankenhaus und gestalten den Rahmen für die Arzt-Patienten-Beziehung maßgeblich.
Die Modulation der Rahmen erlaubt ein gewisses Maß an Diffusität und erzeugt einen
bestimmten Freiheitsgrad für ärztliches Handeln. Auch Täuschungen konstituieren die ärztliche Autonomie gegenüber äußeren Zwängen.
So sind „Rahmen“ als ein dynamisches Wirklichkeitskonstrukt anzusehen, die hochsensitiv
auf soziale Interaktionen reagieren.
Herunterladen