Gedichtsammlung Trauer (DOCX | 57.1 KB) - Barbara Pachl

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Zu Dir (Joachim Ringelnatz)
Sie sprangen aus rasender Eisenbahn
und haben sich gar nicht weh getan.
Sie wanderten über Geleise,
und wenn ein Zug sie überfuhr,
Dann knirschte nichts. Sie lachten nur.
Und weiter ging die Reise.
Sie schritten durch eine steinerne Wand,
Durch Stacheldrähte und Wüstenbrand,
Durch Grenzverbote und Schranken
und durch ein vorgehaltnes Gewehr,
durchzogen viele Meilen Meer. –
Meine Gedanken, Ihr Kurs ging durch, ging nie vorbei.
und als sie dich erreichten,
Da zitterten sie und erbleichten
und fühlten sich doch unsagbar frei.
Barbara Pachl-Eberhart 2014 – www.barbara-pachl-eberhart.at
schöner tot sein (Elfriede Gerstl)
ein baum werden
vögel zu gast haben
das wär was
worauf man sich freuen könnte
eine sache weiterführen (Elfriede Gerstl)
eine sache weiterführen
heisst manchmal
das gegenteil machen
heisst manchmal
eine sache weiterführen
denkkrümel (Elfriede Gerstl)
was willst denn noch
bist eh schon mitten in der ewigkeit
Barbara Pachl-Eberhart 2014 – www.barbara-pachl-eberhart.at
Jeder der geht
Jeder der geht
belehrt uns ein wenig
über uns selber.
Kostbarster Unterricht
an den Sterbebetten.
Alle Spiegel so klar
wie ein See nach großem Regen,
ehe der dunstige Tag
die Bilder wieder verwischt.
Nur einmal sterben sie für uns,
nie wieder.
Was wüssten wir je
ohne sie?
Ohne die sicheren Waagen
auf die wir gelegt sind
wenn wir verlassen werden.
Diese Waagen, ohne die nichts
sein Gewicht hat.
Wir, deren Worte sich verfehlen,
wir vergessen es.
Und sie?
Sie können die Lehre nicht wiederholen.
Dein Tod oder meiner
der nächste Unterricht:
so hell, so deutlich,
dass es gleich dunkel wird.
Barbara Pachl-Eberhart 2014 – www.barbara-pachl-eberhart.at
Aufhebung (Erich Fried)
Sein Unglück
ausatmen können
tief ausatmen
so dass man wieder
einatmen kann
Und vielleicht auch sein Unglück
sagen können
in Worten
in wirklichen Worten
die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch
verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte
Und weinen können
Das wäre schon
fast wieder
Glück
Barbara Pachl-Eberhart 2014 – www.barbara-pachl-eberhart.at
Gene der guten Laune (Hans-Jürgen Heise)
Tomaten Lauch und Pfirsiche
der reichhaltige Wortschatz
des Sommers
Gene überall Gene
der guten Laune
Die Krone des Apfelbaums
ist die Beletage der Spatzen
Allmählich
werden die Gedanken reif
im Kerngehäuse der Saison
Joscha hängt ein Schild
vor die Tür: Das Universum
durchgehend geöffnet.
Barbara Pachl-Eberhart 2014 – www.barbara-pachl-eberhart.at
Ich will einen jungen, kräftigen Tod (Herman van Veen)
Ich will einen jungen, kräftigen Tod
und nicht einen zwischen-sauber-gemachten-Laken
geweihten, geölten Tod.
Nicht einen durch trostreiche letzte Worte.
so friedlichen-letzten -Atem-Tod.
Wenn ich dreiundsiebzig bin,
mit einem gesunden Gefühl für Tumor.
will ich bei Morgengrauen niedergemäht werden,
von einem roten Mercedes, auf dem Weg nach Hause,
von einem Fest, das die Nacht über dauerte.
Oder ich bin einundneunzig,
mit silbernem Haar,
und ich sitz im Stuhl bei 'm Friseur,
und dorthin kommen plötzlich verfeinde Mafiosi,
mir ihrem Maschinengewehren,
und machen aus mir ein Sieb.
Oder ich bin hundertundvier.
und aus den meisten Cafés 'rausgeflogen,
und meine letzte Liebe,
die mich bei ihrer Tochter ertrappte,
bei der sie ihren Sohn vermutete,
schneidet mich in kleine Stücke,
die sie wegwirft, bis auf ein Stück,
aus dem sie einen Tabaksbeutel macht.
Ich will einen jungen, kräftigen Tod.
Keinen auf-Socken-bei-verlöschenden-Kerzen
und Sünde-vergebenden-Tod.
Keine verschlossenen Gardinen, mit Engelchören:
'Wie -ist-er-friedlich-verschieden' -Tod.
Vollkommen idiotisch, so sterben zu müssen.
Okay, man muß damit leben
aber schön ist was anderes.
Und dann, du stirbst, du bist tod.
Was geschieht dann?
Wo fährst du dann hin:
zum Himmel,
in die Hölle?
Vielleicht gibt's noch andere Möglichkeiten?
MacDonalds?
Barbara Pachl-Eberhart 2014 – www.barbara-pachl-eberhart.at
ZWILLINGE UNTERHALTEN SICH (Henry Nouwen)
Im Mutterleib wuchsen Zwillinge heran. In dem Maße wie ihr Bewusstsein, stieg auch ihre Freude:
„Ist es nicht wunderbar, dass wir leben?“, sagte eines Tages der eine zum anderen.
„Oh ja“, meinte der Angesprochene, und plantschte ein wenig mit seinen kleinen Händchen durch
das Wasser, in dem sie schwammen, so dass es kleine Wellen schlug.
Die Zwillinge begannen im Laufe der Zeit ihre Welt zu entdecken. Dabei fanden sie auch die Schnur,
die sie mit ihrer Mutter verband und ihnen Nahrung gab.
Beglückt sagten sie: „Wie groß ist doch die Liebe unserer Mutter, dass sie ihr eigenes Leben mit uns
teilt!“ So vergingen die Wochen und sie bemerkten, wie sie sich veränderten.
„Was bedeutet es, dass wir uns im Laufe der Zeit so verändern?“ fragte der eine den anderen.
Der antwortete: „Das bedeutet, dass unser Aufenthalt in dieser Welt bald dem Ende zugeht.“
„Aber ich will doch gar nicht gehen,“ entgegnete der zweite, und fügte hinzu:
“Glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?"
“Ja, das gibt es. Unser Leben hier ist nur dazu gedacht, dass wir wachsen und uns auf das Leben nach
der Geburt vorbereiten, damit wir stark genug sind für das was uns erwartet."
“Blödsinn, das gibt es doch nicht. Wie soll denn das überhaupt aussehen, ein Leben nach der
Geburt?".
“Das weiß ich auch nicht so genau. Aber es wird sicher heller als hier sein. Und vielleicht werden wir
herumlaufen und mit dem Mund essen?".
“So ein Unsinn! Herumlaufen, das geht doch gar nicht. Und mit dem Mund essen, so eine komische
Idee! Es gibt doch eine Nabelschnur, die uns ernährt und die ist ja jetzt schon zu kurz zum
Herumlaufen.“
“Doch es geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders!".
„Wir werden unsere Lebensschnur verlieren. Wie aber sollen wir ohne sie leben? Vielleicht haben
andere vor uns schon diesen Mutterschoß verlassen, doch keiner von ihnen ist zurückgekommen und
hat uns gesagt, dass es ein Leben nach der Geburt gibt. Nein, die Geburt ist das Ende, da bin ich mir
ganz sicher!“
“Es ist noch nie einer zurückgekommen von “nach der Geburt“. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende,
danach ist alles dunkel und Quälerei“.
So fiel der eine, der Pessimistische von beiden, in einen tiefen Kummer und sagte: „Wenn die
Empfängnis mit der Geburt endet, welchen Sinn hat dann das Leben im Mutterschoß? Es ist sinnlos.
Vielleicht gibt es gar keine Mutter?“
„Aber sie muss doch existieren“, protestierte der andere, „wie sollten wir sonst hierher gekommen
sein? Und wie könnten wir am Leben bleiben?“
“Auch wenn ich nicht genau weiß, wie das Leben nach der Geburt aussieht, jedenfalls werden wir
dann unsere Mutter sehen und sie wird für uns sorgen“.
“Mutter? Du glaubst an eine Mutter? Sag mir, hast du je unsere Mutter gesehen?“ fragte der erste,
„Möglicherweise lebt sie nur in unserer Vorstellung, und wir haben sie uns bloß ausgedacht, damit
wir unser Leben dann besser verstehen können. Wo ist sie denn bitte?
“Na hier, überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie können wir gar
nicht sein“.
“Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht“.
Doch manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere
Welt streichelt…“
So waren die letzten Tage im Schoß der Mutter gefüllt mit vielen Fragen und großen Ängsten.
Schließlich kam der Moment der Geburt. Als die Zwillinge ihre Welt verlassen hatten, öffneten sie die
Augen und was sie sahen, übertraf ihre kühnsten Träume und Vorstellungen.
Barbara Pachl-Eberhart 2014 – www.barbara-pachl-eberhart.at
Märchen von der traurigen Traurigkeit (Inge Wuthe)
Es war einmal eine kleine Frau, die einen staubigen Feldweg entlanglief. Sie war offenbar schon sehr
alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten
Mädchens.
Bei einer zusammengekauerten Gestalt, die am Wegesrand saß, blieb sie stehen und sah hinunter.
Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Decke
mit menschlichen Konturen.
Die kleine Frau beugte sich zu der Gestalt hinunter und fragte: "Wer bist du?"
Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimme
stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.
"Ach die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch.
"Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal, hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
"Ja aber...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine
Angst?"
"Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden
Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?"
"Ich..., ich bin traurig", sagte die graue Gestalt.
Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit
dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt."
Die Traurigkeit seufzte tief.
"Ach, weißt du", begann sie zögernd und auch verwundert darüber, dass ihr tatsächlich jemand
zuhören wollte, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter
die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen
komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest."
Die Traurigkeit schluckte schwer.
"Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: 'Papperlapapp, das Leben
ist heiter.' und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: 'Gelobt sei, was
hart macht.' und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: 'Man muss sich nur
zusammenreißen.' und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: 'Nur
Schwächlinge weinen.' und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie
betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen."
"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir auch schon oft begegnet..."
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen.
"Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich
selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat
eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf, wie eine schlecht verheilte Wunde und
das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine
Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Stattdessen
schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus
Bitterkeit zu."
Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt.
Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und
sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel.
"Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln
kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die
Mutlosigkeit nicht noch mehr Macht gewinnt."
Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue
Gefährtin: "Aber..., aber – wer bist du eigentlich?"
"Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd. "Ich bin die Hoffnung."
Barbara Pachl-Eberhart 2014 – www.barbara-pachl-eberhart.at
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