Predigt Röm 12,17-21 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« 20Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). 21Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Soweit der Predigttext. Liebe Gemeinde, es war der 1. Advent 1978, als in der Landeskirche eine neue Perikopenordnung eingeführt worden ist. Diese Ordnung regelt die Predigttexte Jahraus und Jahrein. Alle sechs Jahre beginnt diese Reihe wieder von vorne – aktuell befinden wir uns übrigens in der letzten, also 6. Reihe. Und diese beschert uns für heute eben den Abschnitt aus Röm 12. Und wieder einmal finde ich, dass der Text wie ausgesucht für den heutigen Tag wirkt. Faszinierend! Ich weiß nicht, ob es Ihnen ähnlich geht, aber ich habe oftmals das Gefühl, dass die Predigttexte sehr gut zur aktuellen Situation unseres Lebens passen. Manchmal vielleicht sogar zu gut. Denn dass der Predigttext aus dem Röm ausgerechnet auf den 13.7.2014 fällt, das entbehrt nicht einer gewissen Ironie – einer passenden Ironie. Schließlich steht ES heute an – das WM-Finale. Es ist ein Spiel, das zwar keine Feinde zusammenbringt – so wie es im Abschnitt aus Röm 12 heißt – , das aber dennoch von großer Rivalität geprägt ist. Jeder will gewinnen. Und letztlich kann es natürlich nur einen geben. – Und für diesen Tag nun also dieser Predigttext. Spannend. Wie aber würde das Spiel ausgehen, wenn heute sich alle an die Anweisungen des Apostels Paulus halten würden? Machen wir doch mal zwei Szenarien auf: Ein Spieler wird im Strafraum gelegt – klare Sache: Elfmeter! Doch der vermeintliche Schütze winkt schnell ab: ich will doch keine Rache nehmen für das Foul! Lassen wir den Elfmeter! Spielen wir einfach weiter! Oder wie ist es bei einer Tätlichkeit? Der Schiri greift in die hintere Hosentasche. Die rote Karte ist schon in der Hand. – Doch wieder wird abgewehrt: der gefoute Spieler bittet den Schiedsrichter, die Karte wieder einzustecken. „Kein Rot – keine Vergeltung. Bitte!“ Liebe Gemeinde, natürlich sind diese Beispiele mehr als überzogen. Nicht wirklich real. Oder doch? Naja, zwei Gegenbeispiele fallen mir sofort ein. Nürnberg, also der Club, gegen Werder Bremen. Letzte Saison. Angriff Werder. Und im Strafraum fällt Aaron Hunt. Der Schiedsrichter pfeifft. Doch Hunt winkt tatsächlich ab: das war kein Foul. Spielen wir weiter. Oder Stuttgart, der VfB, gegen die Bayern. Irgendwann in den 80ern. Rote Karte soll es geben. Foul eines Bayernspielers. Doch der heutige US-Coach Klinsmann winkt ab. Ich wurde nicht getroffen. Und das Spiel geht weiter: 11 gegen 11. Der Unterschied zwischen den Beispielen aus der Realität und der Fiktion von vorhin ist allerdings augenfällig. Bei Hunt und Klinsmann lag der Schiedsrichter falsch und beide korrigierten ihn, wenn auch zum eigenen Nachteil. Fairplay! In meinem Szenario für heute Abend allerdings würden die Spieler aus Güte auf den gerechten Lohn verzichten. Alles, nur keine Rache bitte! Liebe Gemeinde, es wäre eine absolut skurrile Situation, träte dies auch nur ansatzweise ein. Aber gerade diese überzogene Vorstellung macht deutlich, was Paulus von uns verlangt. Er will nämlich nichts anderes, als dass wir auf unser vermeintliches Recht verzichten. Das Recht, Vergeltung oder Genugtun zu erhalten. Warum aber ist Paulus das so wichtig? Was ist der Anlass? Schauen wir vielleicht zunächst einmal auf die Lesung, die wir vorhin gehört haben. Dann wird manches vielleicht deutlicher. Die Lesung aus dem Evangelium hält uns nämlich vor Augen, dass es einen wirklichen Grund zur Rache, zur Vergeltung, aber auch zu Schimpf und Schande anderer nicht gibt. Denn: wir alle haben unsere Fehler. Wir alle haben die sprichwörtlichen Balken im Augen, auch wenn wir die gerne mal übersehen und den Splitter beim Nächsten suchen. In der Fußballsprache: jeder, der sich über ein Foul beschwert, das tatsächlich an ihm begangen worden ist, der wird auch wissen, dass er schon das eine oder andere Mal abgehoben ist – und zwar ganz ohne Berührung eines Gegenspielers. Schwalbe also! Hier sagt man dann im Fußball immer: alles gleicht sich aus. Im Laufe einer Saison – oder im Laufe einer WM. Deswegen aber sollte man nie zuviel lamentieren, sondern wissen: Fehler geschehen überall. Beim Schiri, beim Gegenspieler – aber eben auch bei mir selbst. Und das gilt eben auch für uns Menschen allgemein. Und das ist auch der eine Grund, warum Paulus zur Mäßigung ruft. Ein zweiter Grund ist ihm im Predigttext aber wohl noch etwas wichtiger. Und der ist – ähnlich, wie wir es schon in der letzten Woche bedacht haben – die Wirkung nach außen. Für die frühen Christen war es nicht leicht, sich in der Gesellschaft zu behaupten. Ihre einzige Chance war es daher, durch ein anderes, besonderes Verhalten aufzufallen. Und das gelang tatsächlich. Im Verzeihen, im Miteinander von Arm und Reich und vor allem auch in der würdevollen Bestattung Verstorbener waren die Christen bald ein Vorbild – und sie hatten eine große Anziehungskraft. Durch kräftezehrende Gerichtsprozesse hätten sie das nicht erreicht. Aber, sie wollten ja anziehend sein für andere – und schafften das auch! Auch wieder auf den Fußball bezogen: ein Team, das nicht ständig lamentiert, sich beschwert oder unzufrieden ist, dafür aber das Publikum mit Spielspaß erfreuen will, ist natürlich sehr beliebt – keine Frage! Und zieht Fans an. Doch so wichtig das auch ist – die Anziehung nach außen – , der eigentliche Grund für Paulus, zur Mäßigung und Rücksicht aufzurufen, liegt noch einmal wo anders, so vermute ich. Denn Paulus wusste, dass alles menschliche Feilen und Ringen letztlich bedeutungslos ist. Natürlich kann man kleine Erfolge erzielen. Gegner ausschalten oder ärgern. Aber macht einen das wirklich glücklich? Führt das zur Ruhe und zur Seligkeit? Nicht wirklich. Es ist so, als wollte eine Mannschaft mit aller Macht und Gewalt ein Freundschaftsspiel gewinnen. Doch entscheidend ist etwas anderes. Im Fußball etwa die Weltmeisterschaft. Und im Alltag das wahre Leben. Für Paulus aber ist dieses wahre Leben eben nicht von Gott loszulösen. Gott aber ist ein Gott des Friedens. Ein Gott der Liebe und ein Gott des Miteinanders. Streit auf Erden? Ein eher unbedeutender Randaspekt. Wichtig ist nur, wie stehe ich zu meinem Gott? Gottes Antwort ist dabei ganz klar. Er steht zu uns. Aus dieser Kraft und diesem Wissen heraus, können wir es aber wagen, zurück zu ziehen. Nicht immer den eigenen Vorteil oder das eigene Recht zu suchen, sondern vielmehr die Einheit und den Frieden. Das heißt nun natürlich nicht, sich nur passiv dem Leben gegenüber zu verhalten. Das wäre so, als würden die Teams heute Abend nicht wirklich gewinnen wollen. Aber ein Sieg um jeden Preis, das muss nicht sein. Im Fußball nicht, und auch nicht im Leben. Denn nach dem Spiel ist immer vor dem Spiel. In vier Jahren werden die Teams wieder ihre Chance haben. Und wir alle, wir bekommen die Chance sogar täglich neu. Denn Gott ist mit uns. Kleine Ungerechtigkeiten können wir deswegen auch mal gnädig übersehen. Und die großen: die dürfen wir vor Gott ablegen. Denn er will unser Friede sein. Somit: genießen wir heute Abend das Spiel. Aber freuen wir uns auch, denn uns ist der Sieg schon verheißen. Es ist der Sieg der Liebe. Gottes Liebe. In alle Ewigkeit. Ja, der Abschnitt Röm 12 aus Perikopenreihe 6 passt für heute wunderbar. Vielleicht denken wir beim Finaleschauen daran. Amen.