Grippe-Impfung 21.02.2016

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Grippeimpfung: Bei 9 von 10 Oldies wirkungslos
Ältere Menschen sollten sich gegen die saisonale Influenza schützen – Impfempfehlungen
gibt es Jahr für Jahr aufs Neue. Handelsübliche Vakzine wirken bei Senioren jedoch
schlecht. Alternativen kommen nun aus der Forschung.
Alle Jahre wieder: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wird nicht müde,
Risikopatienten über Vorteile einer Grippeschutzimpfung zu informieren. „Noch lohnt sich insbesondere
für Schwangere, Senioren, chronisch Erkrankte und medizinisches Personal eine Grippeimpfung“, sagte
BZgA-Chefin Dr. Heidrun Thaiss Ende Januar. Etwa 73 Prozent aller Senioren kennen ihre Empfehlung.
Trotzdem wird die von der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Europäischen Kommission
empfohlene Durchimpfungsrate von 75 Prozent bei Menschen über 60 nicht erreicht. Dem
„Versorgungsatlas“ zufolge geht der Trend klar nach unten, von 47 Prozent (2009/2010) auf 38
Prozent (2013/2014). Während sich im Osten 54 Prozent aller Senioren für die Nadel entschieden,
waren es im Westen lediglich 33 Prozent. Dabei haben alle Beteiligten einen entscheidenden Aspekt
übersehen.
Gespritzt, nicht geschützt
Amerikanische Forscher um Helder Y. Nakaya, Atlanta, fanden heraus, dass der ältere Körper anders
auf handelsübliche Vakzine reagiert als zu erwarten war. Für ihre Studie haben sie über fünf Jahre
hinweg 210 Probanden verschiedenen Alters geimpft und untersucht, wie der Körper reagiert. Bei
jüngeren Menschen beobachteten sie – wie zu erwarten – eine adaptive Immunantwort. Senioren
reagierten öfter mit einer ungerichteten Entzündungsreaktion, die von selbst wieder abklang.
Neutralisierende Antikörper entstanden jedoch nicht. Biologische Besonderheiten kommen beim Thema
Impfung erschwerend mit hinzu. Aufgrund der Antigendrift veränderte sich das Influenza-A-Virus H3N2
so stark, dass Monate zuvor produzierte Impfstoffe nicht mehr richtig wirkten. Wissenschaftler fanden
heraus, dass es sich zuletzt um eine Punktmutation im Hämagglutinin-Gen handelte. Sie führen aktuell
sechs von zehn Grippeerkrankungen auf H3N2 zurück.
Nach Angaben der US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) betrug die Schutzwirkung
zuletzt weniger als 20 Prozent; im Vorjahr waren es noch 60 Prozent. Bei Kindern mag das unkritisch
sein. Ihr Immunsystem produziert Antikörper mit einer gewissen Bandbreite, die leicht veränderte
Viren erkennen. Professor Dr. Alexander S. Kekulé zufolge „liegt die Effektivität der Impfung bei über
65-Jährigen, deren Immunsystem nur noch wenige Antikörper-Varianten hervorbringt, bei maximal
zehn Prozent“. Kekulé lehrt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und ist Direktor des
Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale).
Impfempfehlungen umgestoßen
Kekulé schreibt weiter: „Der beste Schutz für alte Menschen wäre deshalb eine generelle Impfung für
Kinder, wie sie in den USA praktiziert wird.“ Auch die Stiftung Warentest stellt klar: „Die
Grippeimpfung aller Kinder ist erwägenswert (…). Viele Impfstoffe sind für Babys ab sechs Monaten
zugelassen.“ Sie argumentiert mit hohen Erkrankungsraten, aber auch mit engen sozialen Kontakten
beim Nachwuchs. Offizielle Stellen bleiben trotzdem skeptisch.
So empfielt die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut Influenza-Impfungen wie gehabt ab
dem 60. Lebensjahr. Um bei dieser Zielgruppe die Immunantwort zu verbessern, gibt es aus
medizinisch-wissenschaftlicher Sicht mehrere Möglichkeiten, etwa chemische Adjuvantien oder
intrakutane Injektionen. Virosomen, sprich künstliche Liposomen, zeigen ähnliche Effekte.
Entsprechende Partikel bestehen aus Phospholipiden, in die Antigenstrukturen eingebaut werden –
speziell Influenzavirus-A-Hämagglutinin und Neuraminidase. Erste Studien verliefen vielversprechend.
Bis zur Marktreife wird aber noch Zeit vergehen.
Plan B mit Macken
Dabei gibt es kaum nenneswerten Alternativen zur Impfung. Auf pharmakologische Hilfe brauchen
Senioren nicht zu hoffen, wie neue Veröffentlichungen zeigen. Paracetamol steht als OTC zwar hoch im
Kurs. Der Arzneistoff zeigt bei Influenza jedoch keinen Mehrwert, berichtet Irene Braithwaite vom
Medical Research Institute aus Wellington/Neuseeland. Zusammen mit Kollegen hat sie Ergebnisse
einer randomisierten Doppelblindstudie mit 80 Patienten zwischen 18 und 65 Jahren veröffentlicht. Bei
allen Teilnehmern zeigte ein Schnelltest auf Influenza positive Resultate. In 46 Fällen gelang es Ärzten,
Influenzaviren per PCR zu bestimmen. Erkrankte erhielten randomisiert insgesamt vier Gramm
Paracetamol oder Placebo pro Tag. Paracetamol hatte auf die Viruslast oder die Symptomatik keinen
Einfluss – im Verum-Arm war die Viruslast geringfügig, wenn auch statistisch nicht signifikant höher.
Zu Neuraminidase-Hemmern liegen nach jahrelangen Kontroversen methodisch hochwertige Daten
vor. Arnold S. Monto von der University of Michigan School of Public Health veröffentlichte jetzt eine
Metaanalyse. Oseltamivir verkürzte die Erkrankungsdauer signifikant (97,5 Stunden versus 122,7
Stunden bei Placebo). Gleichzeitig kam es seltener zu Hospitalisierungen beziehungsweise zu
Sekundärinfektionen, die eine Antibiotikatherapie erforderlich machten. Patienten litten jedoch häufiger
an Übelkeit und Erbrechen. Bleibt als weiterer Nachteil, dass die Pharmakotherapie 36 bis 48 Stunden
nach Auftreten erster Grippesymptome erfolgen muss. An Impfstoffen führt deshalb kein Weg vorbei.
So lange Behörden in ihren Kampagnen für ältere Menschen schlecht wirksame Vakzine propagieren,
wird die Entwicklung innovativer Präparate kaum vorankommen.
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