Jung - Reformation und konfessionelles Z[...] - EKHN

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Martin H. Jung - Reformation und Konfessionelles Zeitalter (1517-1648)
Einleitung: Reformation und Konfessionelles Zeitalter
als Epochen der Kirchen-, Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte
-Reformation als wichtigste Epoche der KG für evangelische Christen
-Mit der Reformation endet das Mittelalter und beginnt die Neuzeit
-Reformation ist nicht nur eine Epoche, die durch die Jahre 1517 („Thesenanschlag“) und
1555 (Religionsfriede) abgegrenzt wird, sondern auch eine Epoche der Theologie- und
Frömmigkeitsgeschichte
-anders als die ev. KGschreibung blicken katholische Kirchenhistoriker und Profanhistoriker
auf die Reformation und weisen ihr nicht unbedingt epochale Bedeutung zu
-Begriff Reformation fand schon zur Zeit der Reformation Verwendung (lat.
reformare=zurückformen)
-Heinrich Bullingers Definition von Reformation: „Reformation bedeutet eine Sache
in ihre frühere, verloren gegangene Form zurückzuführen.“
-auf die Reformation folgte als nächste Teilepoche der Neuzeit das Konfessionelle Zeitalter,
eine Epoche, die von Konfessionen - Bekenntnissen (lat.: confessiones) beherrscht wurde
-Konfessionelles Zeitalter erstreckt sich bis 1648 (Friede von Münster und
Osnabrück); Ausläufer der Epoche reichen bis ins 18. Jh.
-Bezeichnungen und Begriffe rund um die Reformation:
 reformatorisch: Bezeichnung für alles, was zur Reformation gehört und auf die
Reformation zurückgeht
 evangelisch: am Evangelium Jesu Christi orientiert (als Grundanliegen der
Reformation)
 protestantisch: Bezeichnung für die Anhänger der Reformation (zurückgehend auf die
Protestation auf dem Reichstag zu Speyer 1529)
 lutherisch: Bezeichnung für den an Luther orientierten Flügel der Reformation
 calvinistisch: Bezeichnung für den an Calvin orientierten Flügel der Reformation
 reformiert: Bezeichnung für die auf die Reformation Calvins ausgerichteten Kirchen
in Deutschland sowie für die auf die Reformationen Zwinglis, Oekolampads und
Hallers zurückgehenden Kirchen der Schweiz
 reformerisch: allg. Bezeichnung für alle auf Erneuerung und Veränderung abzielenden
Kräfte und Bewegungen in allen Kirchen
 neugläubig: ursprünglich polemische Bezeichnung für die Anhänger der Reformation
 papistisch: polemische Bezeichnung für päpstliche Dinge und die vom Papst geleitete
katholische Kirche
-Pietismus, eine Frömmigkeitsbewegung in der Frühen Neuzeit, begann damit,
Konfessionsgrenzen zu relativieren und in den Kirchen die Laien zu aktivieren. Sie studierten
die Bibel, sammelten sich in Hauskreisen und traten ihren Pfarrern selbstbewusst gegenüber.
Evangelisches Christentum gewann so allmählich seine heutige Gestalt
-Aufklärung hinterfragte, was zuvor nicht in Frage gestellt werden durfte. Nicht nur die
Lehren und Bekenntnisse, sondern Gott selbst kam auf den Prüfstand
-hier setzte sich die hist.-kritische Methode durch
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1. Voraussetzungen, Rahmenbedingungen, Hintergründe
-Reformation entwickelte sich unter konkreten gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen
Rahmenbedingungen
1.1. Das Reich
-politische Verhältnisse um das Jahr 1500 hatten großen Einfluss auf das Zustandekommen
und den Ablauf der Reformation
-das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ nahm seinen Anfang im 8.Jh. Ein Markstein
war die Kaiserkrönung Karls des Großen im 8.Jh.
-Reich wollte die Tradition des antiken Römerreiches fortsetzen; gelenkt wurde es von
einem Kaiser
-Reich war ein Dachverband von Territorien
-Machthaber der Territorien waren die Territorialherren. Sie erstarkten im Laufe der
Geschichte, nicht ohne Zutun der Reformation, und nachdem das Reich im Jahre 1806 durch
die militärische Gewalt Napoleons unterging, taten sie sich zusammen und schufen 1815
Deutschland als Bundesstaat („Deutscher Bund“) und 1871 ein neues, deutsches Kaiserreich,
das „Deutsche Reich“.
-zu den mächtigsten Territorien gehörte durch die Geschichte hindurch Sachsen, das
Land, in dem Luther lebte und das ihn schützte
-Kurfürst von Sachsen war einer der mächtigsten Männer des Reiches
1.2. Die Kirche
-Kirche um das Jahr 1500 ist nicht identisch mit der katholischen Kirche heute
-Charakteristika der Kirche um 1500:
 ungeistliches Papsttum
 Bischöfe, die ihre Amtspflichten gering schätzten
 ein Heer von Klerikern und Mönchen, die sich mehr von ihrer Kirche versorgen
ließen, als dass sie ihr dienten
 intensive Frömmigkeit (mit Betonung auf Reliquien- und Wallfahrtswesen)
-Päpste wurden zwar gewählt, sie entstammten aber meist reichen italienischen Familien; bei
den Wahlen flossen häufig Bestechungsgelder
-Päpste des 15. und 16. Jhs. hatten keine theologische Ausbildung und kaum geistliche
Interessen. Sie führten Kriege, umgaben sich mit Frauen, zeugten Söhne und Töchter und
förderten die Kunst
-Kirche wurde vom Papst und den Bischöfen regiert; diese Leitungsstruktur bildete sich im
Mittelalter heraus (Bischof leitet eine „Diözese“; Papst regiert Weltkirche)
-in Deutschland hatten Bischöfe auch politische Macht, denn sie standen im Rang von
Reichsfürsten
-Verbindung von politischer und kirchlicher Macht in der Person und im Amt des
Bischofs bestimmte die deutsche Geschichte vom 10.Jh. an bis 1803
-Basis der Kircheninstitution bildeten die Kleriker (die das Zöllibat nicht ernst nahmen, sich
für alles bezahlen ließen)
-gesellschaftlich entwickelte sich ein Antiklerikalismus
-viele Männer und Frauen lebten als Mönche und Nonnen in Klöstern; Kloster war eine
privilegierte Lebensform, die eine Rundumversorgung garantierte
-zwar legten viele ein Gelübde der Armut ab, in Wirklichkeit waren viele Klöster reich
-Kirche versprach den Menschen das Heil, ein auf den Tod folgendes ewiges Leben in
Gottesgemeinschaft
-Heilige waren hier Fürbitter, die sich bei Gott für die Menschen einsetzten. In allen größeren
und kleineren Nöten des Lebens, bei Krankheit und bei Missernten, aber auch, wenn man
etwas verloren hatte, konnte man sich an die Heiligen wenden und sie anrufen
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-einen vergleichsweise geringen Stellenwert in der Frömmigkeit hatte in dieser Zeit die Bibel.
Sie lag in lateinischer Sprache vor und wurde an Universitäten studiert, aber in der Gemeindeund Alltagsfrömmigkeit spielte sie kaum eine Rolle
-auch der Predigt kam im Vergleich zu heute eine wesentlich geringere Bedeutung zu. Im
Zentrum der Gottesdienste stand das Abendmahl (Priester empfingen Brot und Wein,
Gläubige nur Brot)
-Heilsverlangen im Spätmittelalter war groß. Die Menschen quälten sich mit dem Gedanken,
nach dem Tod einem strengen Richtergott gegenüberstehen zu müssen und nichts vorweisen
zu können
-jede böse Tat zog unvermeidlich eine göttliche Strafe nach sich
-die meisten Strafen wurden nicht im Diesseits, sondern erst im Jenseits, im Fegefeuer
(schmerzvoller Reinigungsort zwischen Erde und Himmel) vergolten
-Kirche bot den Menschen hierfür den Ablass an; wer ihn empfangen wollte,
musste an einem Kreuzzug teilnehmen oder eine Pilgerfahrt durchführen
-Im späten Mittelalter konnten die Gläubigen überall Ablass erwerben. Hiermit
finanzierte die Kirche Projekte wie den Bau des Petersdoms. Der Ablasshandel
boomte. Die Kirche bot sogar an, Ablass zu gewähren für zukünftige Sünden
und für Sünden von bereits verstorbenen Angehörigen
1.3. Das Bildungswesen
-nicht nur die Frömmigkeit erlebte um 1500 einen Aufschwung, sondern auch die Bildung
-seit dem 12. Jahrhundert gab es Universitäten
-reformerische Gelehrte orientierten sich neu an der Antike und deren Bildungstraditionen
und wollten in allen Wissensgebieten zurück „zu den Quellen“ (lat. ad fontes). Auf das
Bildungswesen des Mittelalters wurde verächtlich herabgeblickt und seine Theologie als
„scholastisch“, d.h. schulisch disquaifiziert
-Später hat man das Bildungswesen des 15. und 16.Jh. als Humanismus bezeichnet, weil es
ihr um die Entfaltung des Humanen ging
-bedeutendster Vertreter: Erasmus von Rotterdam (1466/1469-1536)
-er editierte erstmals ein gr. NT (Novum instrumentum) sowie zahlreiche
Schriften von Kirchenvätern
-zu prominenten Humanisten zählt auch Johannes Reuchlin; er verfasste Lehrbücher
des Griechischen und Hebräischen
-trotz allen Lobes war der Humanismus elitär
-zielte nicht auf Breitenbildung
-erst die Reformation und die wenig später beginnende Katholische Reform suchten
mit ihren Bildungsbemühungen nicht nur Männer, sondern auch Frauen, und nicht nur
Städte, sondern auch Dörfer zu erreichen
-Bildungselite des Mittelalters war nicht national begrenzt; im Konfessionellen Zeitalter aber
war die Mobilität vergleichsweise begrenzt
1.4. Die Entdeckungen
-1492: Christoph Kolumbus entdeckt Amerika
-1497: Vasco da Gama entdeckt Indien
-Islam stellte eine militärische Bedrohung dar
-1453 war Konstantinopel, das wichtigste Zentrum der Christenheit neben Rom, von
den Türken erobert und in Istanbul verwandelt worden
-1510: Nikolaus Kopernikus stellt das biblische Weltbild infrage
-Reformatoren weisen ebenso wie die Päpste das heliozentrische Weltbild zurück
-um 1450: Erfindung des Buchdruckes durch Johannes Gutenberg
-Reformation hätte ohne den (günstigen) Buchdruck nicht stattfinden können
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2. Luther und die frühe Reformation in Wittenberg
-Luther ist ein Beispiel dafür, wie ein Einzelner - mit seinen Ideen und seinem Charisma
sowie aufgrund seines Lebensgeschicks - Geschichte prägen kann
-Vielleicht wäre es auch ohne Luther zu einer Reformation gekommen, sicher aber nicht zu
der Reformation, die wir kennen.
Kurzbiographie: Luther
1483 (?) - Geburt in Eisleben (10.11)
1505 - Klostereintritt in Erfurt
1506 - Priesterweihe
1510 - Romreise
1512 - Promotion und Professur in Wittenberg
1517 - 95 Thesen zu Ablass und Buße
1518 - Heidelberger Disputation
1519 - Leipziger Disputation
1520 - Androhung des Banns
1521 - Worms (Reichstag) und Wartburg (Versteck)
1522 - Rückkehr nach Wittenberg
1525 - Heirat mit Katharina von Bora
1529 - Reise nach Marburg (Religionsgespräch)
1530 - Reise zur Coburg (Reichstag in Augsburg)
1537 - Reise nach Schmalkalden (Bundesversammlung)
1546 - Reise nach Eisleben und Tod (18.2)
2.1. Luthers Entwicklung zum Reformator
-Martin Luther war Sohn eines reichen Bergbauunternehmers aus Thüringen
-Eltern lebten zuletzt in Masnfeld
-Geburt vermutlich im Jahre 1483
-Luther sollte in Erfurt studieren (Jura nach dem Willen seines Vaters)
-1505 im Frühsommer änderte Luther sein Leben und trat ins Kloster in Erfurt ein und lebte
dort als Mönch und Priester
-Gewitter bei Stotternheim (Bitte an die Heilige Anna, sie möge ihn schützen;
Gelübde, dann ins Kloster zu gehen)
-Luther selbst hat dieses Ereignis bei einer seiner Tischreden (1539) erzählt
-Luther schildert im Hinblick auf sein Gelübde: „Nachher reute mich das Gelübde
und viele rieten mir ab. Ich aber beharrte dabei und am Tag vor Alexiustag lud ich die besten
Freunde zum Abschied ein, damit sie mich am folgenden Tag ins Kloster geleiteten [...] Auch
der Vater war sehr zornig über mein Gelübde, doch ich beharrte bei meinem Entschluss.
Niemals dachte ich das Kloster zu verlassen. Ich war der Welt ganz abgestorben.“
-Luther lebte als Augustiner-Eremit
-von seinem Orden wurde Luther ein Theologiestudium ermöglicht (in Erfurt; 1508 auch in
Wittenberg)
-1510: Romreise im Auftrag des Ordens; Eindrücke der Reise waren zwiespältig
-1511: Luther in Wittenberg; Erwerb des Doktorgrades 1512
-Professur in Wittenberg; Fachgebiet: Exegese
-1515-1518: Auslegung der Paulusbriefe Röm, Gal und Hebr; zuvor Psalmen in Vorlesungen
2.2. Die reformatorische Entdeckung
-Luther rang um die Frage, wie die in den Psalmen und bei Paulus vorkommende Rede von
der „Gerechtigkeit Gottes“ zu verstehen sei
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-Antwort und damit Erkenntnis, die fortan sein Leben prägte und zum Auslöser der
Reformation wurde: Die Gerechtigkeit Gottes kann auch so verstanden werden, dass
Gott gerecht ist, indem er den Menschen gerecht macht, als einen Gerechten ansieht
-Luther begriff nun die schenkende und befreiende Gerechtigkeit Gottes: Gott
macht den Sünder zu einem Gerechten, indem er ihn trotz seiner Sünden
annimmt und liebt. Dies wurde der Ausgangspunkt seiner Theologie
-dieses Ereignis wird „Turmerlebnis“ genannt, weil Luther im Turm
seines Klosters in seinem Arbeitszimmer hatte
-Inhalt wird systematisch-theologisch als „reformatorische
Rechtfertigungslehre“ definiert
-aus Luthers Bericht (1545) über seine reformatorische Entdeckung:
-„Inzwischen war ich [...] zu einer zweiten Auslegung des Psalters zurückgekehrt [...] Denn ich war von
einer ganz wunderbaren Glut ergriffen gewesen, Paulus im Römerbrief zu verstehen, aber es war mir
[...] ein einziges Wort im Wege (Röm 1,17): „Die Gerechtigkeit Gottes wird darin offenbart.“ Ich hasste
nämlich diesen Begriff „Gerechtigkeit Gottes“, weil ich nach Brauch [...] aller Kirchenlehrer
unterwiesen worden war, ihn philosophisch zu verstehen von der sogenannten formalen oder aktiven
Gerechtigkeit, wonach Gott gerecht ist und die Sünder und die Ungerechten straft. Ich aber liebte den
gerechten und den die Sünder strafenden Gott nicht, ja ich hasste ihn [...] Solange bis ich endlich unter
Gottes Erbarmen [...] meine Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang der Worte richtete, nämlich: „Die
Gerechtigkeit Gottes wird darin offenbart, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus dem Glauben“.
Da begann ich die Gerechtigkeit Gottes verstehen zu lernen als die Gerechtigkeit, in welcher der
Gerechte durch Gottes Geschenk lebt, und zwar aus dem Glauben, und ich fing an zu verstehen, dass
dies meint, es werde durch das Evangelium die Gerechtigkeit Gottes offenbart [...] Da fühlte ich mich
völlig neu geboren [...] So groß vorher mein Hass war, mit dem ich das Wort „Gerechtigkeit Gottes“
gehasst hatte, so groß war jetzt die Liebe, mit der ich es als allersüßestes Wort rühmte.
-Ereignis selbst wird von vielen Forschern um das Jahr 1514 datiert; das ist aber strittig
-es gibt Forscher, die vermuten, die Entdeckung der Glaubensgerechtigkeit habe erst nach den
Thesen, im Jahre 1518 stattgefunden („Spätdatierung“
-einige wenige Forscher meinen, das von Luther geschilderte Ereignis habe es in dieser Weise
nie gegeben und die reformatorische Entdeckung sei ein längerer Prozess der
Gedankenentwicklung gewesen
2.3. Thesen zu Ablass und Buße (1517)
-unstrittig ist, dass Luther im Herbst 1517 Thesen zum Ablass schrieb und bekannt machte
-Anlass war eine große Ablasskampagne, die Erzbischof Albrecht von Mainz
durchführte
-er brauchte Geld um einen Kredit zurückzahlen zu können (Jakob Fugger hatte
ihm das Geld geliehen, damit Albrecht sich die Berechtigung kaufen konnte,
gleich drei Bistümer regieren zu können)
-Ende Oktober schrieb Luther in lateinischer Sprache 95 Thesen nieder, schickte sie am 31.
Oktober an Albrecht und möglicherweise auch an andere Bischöfe und gab sie Freuden
-ob er sie an die Tür der Wittenberger Schlosskirche nagelte, ist strittig, aber denkbar
-bei Disputationen wurde als „Schwarzes Brett“ die Tür der Schlosskirche
genutzt
-Originalthesen Luthers sind nicht mehr vorhanden, nur frühe Drucke derselben
-in den Thesen erinnert Luther daran, dass Buße nicht einfach ein sakramentaler Akt ist,
sondern das ganze Leben des Christen umfassen muss. Er zweifelt an der Existenz des
Fegefeuers und übt - vorsichtig - Kirchenkritik. Den Ablass lehnt er nicht völlig ab, verurteilt
aber viele damit zusammenhängende Positionen und Praktiken
-Luther verwandte das erste Mal im Brief an Albrecht von Mainz statt des Familiennamens
„Luder“ die Namensform „Luther“ (gr. eleutheros - frei, erleuchtet)
-Thesen erregten Aufsehen; ohne Luthers Zutun wurden sie gedruckt und im In- und Ausland
und auch in deutscher Sprache verbreitet
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-v.a. in Humanistenkreisen stießen sie auf positives Echo
-erregte aber auch heftigen Widerspruch bei Albrecht und in Rom (Ketzerverdacht)
-1518: Luther wurde nach Augsburg eingeladen, um vor einem päpstlichen Gesandten
(Dominikaner-Theologe und Kardinal Thomas de Vio aus Gaeta, genannt Cajetan)
Rechenschaft abzulegen.
-Luther wurde zum Widerruf seiner Thesen aufgefordert
-Wegen der Verweigerung Luthers dies zu tun, wandte sich Cajetan brieflich an
Kurfürst Friedrich III., genannt Friedrich der Weise, und forderte ihn auf, Luther nach
Rom auszuliefern oder des Landes zu verweisen
2.4. Disputationen in Heidelberg und Leipzig
-Aufsehen erregten Luthers Thesen auch innerhalb seines Ordens
-im April 1518: Reise nach Heidelberg, um vor Funktionsträgern der Augustiner-Eremiten
Rede und Antwort zu stehen
-Luther verfasste hierzu eine Reihe von Thesen und stellte sie zur Disputation
-hierin übte er Kritik an der Abhängigkeit der Theologie von der Philosophie des
Aristoteles und behauptete, dass der Mensch Gott ggü. ganz und gar passiv wäre und
ihm ggü. keinen freien Willen habe
-aus seinen Heidelberger Thesen: „2. Noch viel unrichtiger ist die Behauptung, häufige
Wiederholung menschlicher Werke mit Hilfe des natürlichen Gebots verhelfe zur Gerechtigkeit [...] 13.
Der freie Wille nach dem Sündenfall besteht nur noch dem Namen nach. Wenn er tut, was an ihm ist,
begeht er eine Todsünde.“
-im Sommer 1519: Luther stellt sich abermals einer universitären Disputation in Leipzig;
Johannes Eck, Theologieprofessor aus Ingolstadt, verteidigte den Standpunkt der Kirche und
verführte Luther zu weiteren steilen Behauptungen.
-Luther: Päpste und kirchliche Konzilien können irren und haben oft geirrt
-Gegner Luthers: Luther ist ein Ketzer, da er die gleichen Thesen wie zuvor
Johannes Hus, der 1415 durch ein Konzil in Konstanz verurteilt und verbrannt
worden war, behauptete
-Da Luther in Leipzig bereits viele Anhänger mitgebracht hatte, bürgerte sich hier die
Bezeichnung „Lutheraner“ ein
2.5. Reformatorische Hauptschriften (1520)
-1518-1520: mehrere „Sermone“, das sind kleinere Erbauungsschriften in dt. Sprache zu
zentralen Themen wie Taufe, Abendmahl und Sterben
-1520: „An den christlichen Adel deutscher Nation“, „De captivitate Babylonica ecclesia
(Über die babylonische Gefangenschaft der Kirche)“, „Von der Freiheit eines
Christenmenschen“
-Adels- und Freiheitsschrift erlebte hohe Auflagen; lateinisches Buch war für die
Gelehrten geschrieben (hier übte Luther Kritik am Gottesdienst)
-Sakramente sollten Reduziert werden (auf die, die durch Jesus eingesetzt sind und ein
Zeichen hatten)
-An den christlichen Adel: Lehre vom allgemeinen Priestertum; um die Bibel lesen und
verstehen zu können ist kein Theologiestudium nötig; Taufe macht alle Christen fähig die
Schrift zu verstehen; Adlige sollten die Reform der Kirche in die Hand nehmen
-Luther entfaltete ebenso weitere zentrale theologische Gedanken:
 sola scriptura (allein die Schrift)
 solus Christus (allein Christus)
 sola gratia (allein durch die Gnade)
 sola fide (allein durch den Glauben
-Schriftprinzip: Allein die Heilige Schrift soll in Glaubensfragen entscheidend sein
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-Christus allein soll Herr der Gemeinde, Grund der Rechtfertigung und Maßstab der
Ethik sein
-Gnade allein verdankt der Mensch (als Sünder) seine Seligkeit; allein durch den Glauben
wird der Mensch gerettet (nicht durch Werke) - Ablehnung der Werkgerechtigkeit
-Kernsatz seines Freiheitsverständnisses: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und
niemandem untertan, ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
-gerade in seiner totalen Abhängigkeit von Gott sieht Luther die radikale Freiheit des
Menschen begründet
2.6. Wormser Reichstag (1521)
-schon 1518, spätestens 1519 hätte Luther kirchlicherseits formell zum Ketzer erklärt werden
können
-Kaiserwahl sorgte dafür, dass dies nicht schon geschah
-hierdurch gewann die Reformation mehr und mehr Anhänger und wuchs
-Karl V. wurde zum neuen Kaiser gewählt; er erhielt am 24. Februar 1530 vom Papst die
Kaiserkrone; am Reichstag von Augsburg 1555 nahm er nicht mehr teil und verzichtete im
folgenden Jahr auf die Kaiserwürde
-Kaiserkrönung der den Papst unterblieb fortan, weil Päpste keine Kaiser krönen
wollten, die lutherische „Ketzer“ im Reich tolerierten
-Anfang 1520: Fortsetzung des Prozesses gegen Luther
-15. Juni 1520: Bannandrohungsbulle „Exurge Domine (Erhebe dich, Herr)“
-hierin wurde Luther ein „törichter Mensch“ genannt, der als Fuchs, Wildschwein und
wildes Tier den Weinberg Gottes verwüstete
-Bedingung: Widerruf seiner Schriften innerhalb von 60 Tagen, ansonsten
Exkommunikation
-Ende November 1520 war Luther damit faktisch zum Ketzer erklärt worden
-3. Januar 1521: förmlicher Bann mit einer weiteren Bulle des Papstes
-10. Dezember 1520: von Dozenten und Studenten durchgeführte öffentliche
Bücherverbrennung; Luther wirft die Bannandrohungsbulle ins Feuer
-Luthers Landesherr Friedrich der Weise bestand darauf vor einer Ächtung vom Kaiser
persönlich gehört zu werden
-Einladung Luthers auf den Reichstag zu Worms im April 1521
-17./18. April 1521: Luther wurde verhört und zum Widerruf seiner Schriften aufgefordert
-Rede endete mit den Worten: „Gott helfe mir, Amen.“ Die bekannten Worte: „Hier
stehe ich, ich kann nicht anders.“ finden sich erst in späteren Überlieferungen
-26. Mai 1521: durch das Wormser Edikt verhängt der Kaiser über Luther die Reichsacht,
erklärt ihn für vogelfrei und ordnet seine Gefangennahme und Bestrafung an
2.7. Auf der Wartburg
-4. Mai 1521: Im Thüringer Wald wird Luther von bewaffneten Reitern „überfallen“ und auf
eine Burg verschleppt
-Friedrich der Weise ließt Luther auf die Wartburg bei Eisenach bringen
-in der Öffentlichkeit machte das Gerücht die Runde, Luther sei tot
-Luther lebte als „Junger Jörg“ inkognito in den Wirtschaftsgebäuden der Wartburg in einer
Kammer
-berühmt geworden sind die Teufelskämpfe, die Luther auf der Wartburg
durchgestanden haben soll (Tintenfass an der Wand etc.)
2.8. Bibelübersetzung
-auf der Wartburg entstand die Übersetzung des gr. NT ins Deutsche (sog.
„Septembertestament“ im Jahr 1522)
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-1534 hatte Luther dann die gesamte Bibel (mithilfe weiterer Professorenkollegen) übersetzt
-Luther unterschied in den Vorreden zur Bibel zwischen Gesetz und Evangelium, d.h.
zwischen Gottes Geboten und seinen Verheißungen
-Das Gesetz ist dazu da, den Sünder seiner Sünden zu überführen. Das Evangelium ist
die Botschaft von Gottes gnädiger Zuwendung
-Luther war kein Biblizist, sondern sah als Maß von Gottes Heilszusagen im Zentrum das,
„was Christus treibet“
-dem Jakobusbrief widersprach Luther, weil dieser die Notwendigkeit von guten
Werken betonte
2.9. Reformen und Unruhen in Wittenberg
-Kollegen Luthers (v.a. Andreas Bodenstein von Karlstadt) suchten aus den theologischen
Erkenntnissen Luthers praktische Konsequenzen abzuleiten
-Entfernung der Heiligenbilder; Neuordnung der Armenfürsorge
-Weihnachten 1521: Karlstadt feiert das Abendmahl „in beiderlei Gestalt“ (lat.:
sub utraque specie), mit Brot und Wein
-Winter 1521/1522: sog. Zwickauer Propheten sorgten für großes Aufsehen: sie beriefen sich
auf Offenbarungen, Träume und Visionen
-sie kritisierten die Kirche heftig und lehnten die Säuglingstaufe ab
-praktische Veränderungen führten zu Unruhen in der Bevölkerung
-diese Maßnahmen gingen Luther zu weit
-Luther verließ Anfang März 1522 die Wartburg, eilte nach Wittenberg und hielt eine Reihe
von Predigten, die nach Sonntag Invokavit als „Invokavit-Predigten“ bekannt wurden
-hierin warnt Luther vor schnellen praktischen Umgestaltungen und forderte
Rücksichtnahme auf die „Schwachen“, die AnhängerInnen der alten Kirche
-„Wittenberger Unruhen“ fanden ein Ende
-Zwickauer und Karlstadt überwarfen sich mit Luther und suchten das Weite
-erst 1523 veröffentlichte Luther eine eigene neue Gottesdienstordnung mitsamt des
Abendmahls in beiderlei Gestalt, das auch die Laien mit einschloss
-erst zwei Jahre später sprach er sich mit seinem Werk, der „Deutschen Messe“ für
einen Gottesdienst auf Deutsch aus
-große Bedeutung erlangten die 1529 veröffentlichten Katechismen
-Luther nahm persönlich in diesen Jahren Abschied vom Mönchtum; bei seiner Rückkehr
1522 hatten bereits 15 von 40 Mönchen das Kloster verlassen; 1523 hatte er nur noch einen
Mitbruder und schließlich war Luther allein
-anschließend Heirat der Nonne Katharina von Bora, der heute bekanntesten
Frauengestalt der Reformationszeit
-Kloster der Augustiner-Eremiten wurde zum Wohnhaus der Familie Luther
-Tischreden: Sammlungen von Erzählungen und Aussprüchen Luthers, in denen sich manch
Amüsantes, aber auch viele derbe Worte finden
-als Ehemann und Familienvater gab Luther das asketische Leben auf
-Der energische Mönch des Jahres 1520 war ein ganz anderer als das
gestandene Familienoberhaupt des Jahres 1546, wie die erhalten gebliebenen
Bilder zeigen
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2.10. Ritterfehde gegen die alte Kirche (1522/1523): Franz von Sickingen
Kurzbiographie: Franz von Sickingen
1481 - Geburt auf der Ebernburg
1519 - Militärische Absicherung der Kaiserwahl in Frankfurt
1520 - Asylangebot für Anhänger der Reformation
1522/1523 - Trier Fehde
1523 - Tod auf der Burg Nanstein
-Anhänger Luther verbreiteten Bilder, auf denen Papst und Kardinäle am Galgen hängen
-Ulrich von Hutten engagierte sich für Luther und wurde ebenfalls vom Bann 1521 erfasst
-Hutten (ein Ritter) verbündete sich mit Franz von Sickingen
-beide begannen 1522 mit einem Krieg gegen den altgläubigen Kurfürsten und
Erzbischof von Trier, Richard von Greifenklau
-sog. Trier Fehde endete mit einer Niederlage der Reformatoren; von Sichingen
fiel im Kampf; Hutten floh und starb 1523
2.11. Bauernkrieg (1424/1425) und Thomas Müntzer
-Luther heiratete, als gerade der Bauernkrieg tobte
-Reformation begann in Städte und wurde deshalb gerne als „städtisches Ereignis“ (Bernd
Moeller) betrachtet. Doch die Reformation fand auch auf dem Lande statt, wo die große
Mehrzahl der Menschen lebte. Hierfür wurde der Begriff „Gemeindereformation“ (Peter
Blickle) geprägt
-Bauern als Leibeigene lebten in Abhängigkeit; Krieg um Freiheit
-Bauernkrieg war nicht nur mit der Reformation verknüpft, auch wenn man sich auf
die Bibel berief
-1523/1524 gab es einen lokalen Bauernaufstand im südlichen Schwarzwald
-Anfang 1525: Aufstand im Allgäu
-hier bildeten sich mehrere Bauernvereinigungen, u.a. der Baltringer Haufen
-März 1525: Laienprediger Sebastian Lotzer und Prädikant Christoph Schappeler verfassten
einen Forderungskatalog, die sog. Zwölf Artikel
-Forderungen:
 Beseitigung verschiedener Abgaben
 Zweckbestimmung des Zehnten für die Pfarrer und die Armen der Gemeinden
 freie Pfarrerwahl durch Gemeinden
-die Bauern waren bereit, die Forderungen fallen zu lassen, wenn sich aus der Heiligen Schrift
das Gegenteil beweisen ließe; hiermit schlossen sie sich der reformatorischen Bewegung an
und argumentierten wie Luther in Worms
-Obrigkeit stellte Truppen zusammen und bereitete militärische Maßnahmen gegen die
Bauern vor
-Ende März 1525 kam es durch die Bauern zu ersten Plünderungen von Schlössern,
Burgen und Klöstern
-Aufstand breitete sich nach Franken und Thüringen aus; hierbei begingen die Bauern
teilweise schwere Gewalttaten
-Luther gefiel nicht, dass die Bauern die Bibel als Norm für die Gestaltung der Welt
verwenden wollten. In der Welt hatten für ihn andere Gesetze zu gelten als unter der
Herrschaft Christi.
-April 1525: „Ermahnung zum Frieden auf die Zwölf Artikel der Bauernschaft in
Schwaben“
-zweite Bauernkriegs-Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der
Bauern“ forderte zur Gewaltanwendung gegen die Bauern durch die Obrigkeit auf
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-12. Mai 1525 - Schlacht bei Böblingen, in der die Bauern vernichtend
geschlagen wurden
-in der Schlacht von Frankenhausen am 15. Mai 1525 ließen 6000 Bauern ihr Leben
-insgesamt wurden im Bauernkrieg rund 70.000 Bauern getötet
-es gab aber auch territorial verschiedene Erfolge für die Bauern
-in Tirol erlangten die Bauern sogar den Status von Landständen und
damit politischen Einfluss; dennoch blieb die Leibeigenschaft faktisch
bis zu Beginn des 19.Jhs. bestehen
-Bauernkrieg wurde zu einer reformationsgeschichtlichen Wende
-Erasmus und andere Humanisten gaben Luther die Schuld an den Tumulten und
distanzierten sich deshalb immer deutlicher von der Reformation
-Reformation als Laien- und Basisbewegung endete hiermit, sie wurde zu einer Sache
der Obrigkeit, zu einer „Fürstenreformation“
Kurzbiographie: Thomas Müntzer
1489 - Geburt in Stolberg/Harz
1506 - Studium in Leipzig
1512 - Studium in Frankfurt/Oder
1520 - Prediger in Zwickau
1521 - Prag
1523 - Prediger in Allstedt
1524 - Predigt vor Johann von Sachsen
1524 - Mühlhausen, Bebra, Nürnberg, Basel, Waldshut
1525 - Mühlhausen
1525 - Hinrichtung in Görmar
-Müntzer stellte sich auf die Seite der Bauern
-Luther empfahl Müntzer 1520 auf eine Predigerstelle in Zwickau
-hier begann Thomas Müntzers Radikalisierung
-Zwickauer Propheten gehörten zu seinem Umfeld; wegen scharfer Predigten wurde
Müntzer aus der Stadt verwiesen
-in Prag versuchte er vergeblich, die aus der hussitischen Bewegung entstandene Kirche der
Böhmischen Brüder für seine Lehre zu gewinnen
-Müntzer sah sich als Werkzeug Gottes bei der „Ernte“
-Forderung: Klerus muss vernichtet werden
-Müntzer kritisierte Luther als Schriftgelehrten, der sich zwischen Gott und Mensch stelle wie
der alte Klerus
-Forderung: Ein Pfarrer darf nicht trösten, sondern muss betrüben (nur durch das Leiden und
Kreuz wird man wahrhaft gläubig)
-Berühmte Fürstenpredigt Müntzers über Dan 2 - den Traum Nebukadnezars von einem Stern,
der Königreiche zermalmt - zwang ihn zur Flucht aus Allstedt
-Luther beobachtete Müntzer und seine Pläne mit großer Sorge und verfasste einen „Brief an
die Fürsten zu Sachsen“, Müntzer reagierte mit „Wider das geistlose, sanft lebende Fleisch in
Wittenberg“ und beschimpfte Luther hierin als „Bruder Sanftleben“, „Doktor Lügner“ und
„Vater Leisetritt“
-Mai 1525: Schlacht von Frankenhausen; Hinrichtung Müntzers durch Enthauptung
-einer der letzten Sätze Müntzers: „Das Volk wird frei werden und Gott will allein der
Herr darüber sein.“
2.12. Streit mit Erasmus
-Erasmus war weder Anhänger noch Gegner der Reformation
-Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens beschäftigte ihn in Abgrenzung zu Luther
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-zu wissen, ob der menschliche Wille frei sei oder nicht, sei nicht notwendig für den
Christen
-1524 Veröffentlichung der lateinischen Streitschrift „De libero arbritrio“ (Über den
freien Willen)
-Wille ist eine eigenständige Kraft; Ohne göttliche Gnade zwar kein Heil, aber
die Gnade ist nicht unwiderstehlich und die Gnade ist nicht ausreichend;
Mensch kann sich dem Heil widersetzen
-Luther veröffentlicht 1525 „De servo arbitrio“ (Über den geknechteten Willen)
-Der Wille des Menschen ist nicht frei, sondern versklavt; nur Gott selbst hat
einen freien Willen
-Bestreitung des freien Willens (nach Luther) führt automatisch zur Frage nach der
Prädestination
-ausführlich äußerte sich Luther hierzu und entfaltete seine Lehre vom „verborgenen
Gott“ (deus absconditus“)
-Gott lenkt und bestimmt alle Dinge, aber auf eine Weise, die den Menschen
nicht einsichtig ist. Warum Gott einige Menschen zum Heil bestimmt und
andere nicht, sei in dieser Welt und in diesem Leben nicht zu erklären. Der
Christ soll sich deshalb an den „offenbarten Gott“ (deus revelatus) halten.
-De servo arbitrio war ein Höhepunkt von Luthers Theologie. Es ist auch unter systematischtheologischen Gesichtspunkten eines der interessantesten Werke Luthers
-Luthers und Erasmus‘ Verhältnis war durch den Streit endgültig zerbrochen
Überblick: Ursachen und Hintergründe der Reformation:
-Martin Luther allein hätte keine Reformation zustande gebracht. Günstige Umstände trugen
dazu bei, dass sich seine Ideen verbreiteten und die Reformation zum Durchbruch kommen
konnte
 kirchliche Missstände im
o Papsttum, Mönchtum, Klerus
 mentale Umstände
o antiklerikale Stimmung, zunehmendes Nationalbewusstsein, Verlangen nach
Heilsgewissheit, Wunsch nach gehaltvollen Predigten, Hinwendung zum
Einzelnen
 politisch Umstände
o erstarkende Territorialstaaten, Wahl des neuen Kaisers, Türkengefahr
 wissenschaftliche Entwicklung
 technische Entwicklungen (v.a. Buchdruck)
 taktische Fehler Roms
o Verschleppung des Prozesses gegen Luther, Ignoranz ggü. Luthers Theologie,
verspätete Einberufung eines Konzils, mangelhafte Reformbereitschaft
2.13. Ausstrahlungen der Wittenberger Reformation
-immer mehr Territorien und Städte entschieden sich für den neuen Glauben (Nürnberg durch
Andreas Osiander; Straßburg durch Matthäus Zell/Martin Bucer; Konstanz durch Rat der
Stadt; Osnabrück durch Gerhard Hecker/Adolf Clarenbach)
-wichtig wurde auch der Territorialstaat Hessen (Philipp von Hessen)
-bereits ab Mitte der zwanziger Jahre des 15.Jh. war die Reformation nicht mehr (ganz)
Luthers Reformation. In Wittenberg wurde Melanchthon zum zweiten führenden Mann.
Wittenberger Reformation hatte von 1521-1546 eine Doppelspitze
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3. Melanchthon und der Fortgang der Reformation in Wittenberg
-Philipp Melanchthon war neben Luther der zweite große Wittenberger Reformator
-er gestaltete das reformatorische Kirchen-, Schul- und Universitätswesen, weshalb ihm noch
zu Lebzeiten der Ehrentitel „Lehrer Deutschlands“ (Praeceptor Germaniae) beigelegt wurde
3.1. Melanchthon - mehr als ein Konreformator
Kurzbiographie: Philipp Melanchthon
1497 - Geburt in Bretten (16.2)
1509 - Studium in Heidelberg
1512 - Studium in Tübingen
1518 - Griechischprofessor in Wittenberg
1521 - Loci communes rerum theologicarum
1530 - Reise nach Augsburg (Reichstag) mit Vorstellung der CA
1540/1541 - Reise nach Worms und Regensburg (Religionsgespräche)
1560 - Tod in Wittenberg (19.4)
-als Kind erlebte Melanchthon Krieg und sein Vater starb an den Folgen des Kriegshandwerks
(Vergiftung, er war Schmied)
-besuchte die Pforzheimer Lateinschule und hatte hier erstmals Kontakt mit Johannes
Reuchlin
-eigentlicher Name: Philipp Schwarzerdt, der durch Reuchlin gräzisiert wurde
-Entfaltete in seiner Antrittsrede „Über die Notwendigkeit, die Studien der Jugend neu zu
gestalten“ zu seiner Professur in Wittenberg ein humanistisches Bildungsprogramm, das alle
Wittenberger - inkl. Luther - sofort begeisterte
-später in seinem Leben sagte Melanchthon: „Ich habe von Luther das Evangelium
gelernt“
-An der Seite Luthers trat Melanchthon erstmals 1519 in Leipzig auf (sog. Leipziger
Disputation). Hier steckte er Luther und Karlstadt immer wieder Argumente zu
-kannte die Geschichte des Papsttums besser als die beiden Doktoren der Theologie
-während Luthers Wartburgaufenthaltes war Melanchthon gefragt; er wirkte im Hintergrund
mit, da Melanchthon wesentlich besser Griechisch konnte als Luther
-in Wittenberg war Melanchthon an der Umgestaltung der Kirche beteiligt
-war einer der Ersten, die es wagten, das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu
feiern
-seine „Hauptpunkte der Theologie“ veröffentlichte er 1521 in seinem Werk „Loci communes
rerum theologicarum“. Es gilt als das erste Lehrbuch der evangelischen Theologie überhaupt
-Melanchthon entfaltete hier - im Ggs. zu Luther - eine Dogmatik/Systematik
-Luther schrieb: „Dieser kleine Grieche übertrifft mich sogar in der Theologie.“
-Loci bieten eine Anthropologie, eine Rechtfertigungslehre, eine Hermeneutik und
eine Sakramentenlehre im reformatorischen Geist
-ließ bewusst Themen wie Gotteslehre, Christologie, Schöpfungslehre etc. weg,
damit Studenten angeregt wurden, sich über diese Themen Gedanken zu
machen
-„Die Geheimnisse der Gottheit sollten wir lieber anbeten als
erforschen.“
-Melanchthon schuf weitere Lehrbücher außerhalb der Theologie (Latein, Griechisch,
Rhetorik, Dialektik, Ethik, Geschichte, Anthropologie)
-manche seiner Werke waren sogar an römisch-katholischen Bildungseinrichtungen in
Gebrauch
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3.2. Der erste Reichstag von Speyer (1526)
-Durchsetzung des Wormser Edikts erfolgte nur halbherzig wegen interner und externer
Bedrohungen für den Kaiser
-25.6-27.8.1526: Erster Reichstag ohne Kaiser
-hier wurde einstimmig beschlossen, jeder Reichsstand solle es bis zum allgemein
erhofften Konzil oder einer Nationalversammlung in der seit dem Reichstag von
Worms 1521 im Raum stehenden Religionsfrage so halten, wie er es vor Gott und dem
Kaiser verantworten könne
-Beschluss führte zu einem Aufschwung der Reformation, da die ev. Landesherren nun
dachten, sie könnten die reformatorische Umgestaltung ihrer Gemeinwesen durchführen
 Nürnberg: Kirchenvisitation, bei der die theol. Überzeugung der Pfarrer erhoben
wurde (1528)
 Straßburg: Neuordnung des Schulwesens und des Klosterguts; Abschaffung der Messe
(1529)
 Konstanz: Auflösung der Klöster; Neuregelung der Armenversorgung; Entfernung
aller Bilder aus Kirchen (1528)
 Hessen: neue Kirchenordnung (in Homberg/Efze) beschlossen; Gründung der ersten
evangelischen Hochschule - Universität Marburg --- das Universitätsstudium für
Pfarrer wurde so verpflichtend (im Ggs. zu früherer Zeit); Einrichtung eines
Stipendienwesens (1529); Schulunterricht sollte überall gewährleistet werden
3.3. Visitationen in Kursachsen, Aufbau evangelischer Gemeinwesen
-Einführung der Reformation geschah durch Beschluss des jeweiligen Landesherrn
-bei der Umsetzung nutzten die Obrigkeiten das Instrument der Visitation
-Juristen und Theologen besuchten die Gemeinden im Auftrag des Landesherrn; der
Landesfürst wurde somit zum „Notbischof“
-diese Etablierung des „landesherrlichen Kirchenregiments“ blieb bis 1918 bestehen;
die einzelnen Territorien waren somit Staatskirchen
-Ziel der Pfarrerbegutachtung während der Visitation war ihre theologische Einstellung, ihren
Bildungsstand und ihre Lebensführung zu prüfen. Sie mussten sich ausdrücklich zur
Reformation bekennen
-Folge der Visitationen: Reduzierung des kirchlichen Personalbestandes; Ämterkumulation
war nicht mehr erlaubt; Pfarrer mussten eine akademische Ausbildung haben; Neuordnung
der Pfarrerbesoldung; Neugestaltung der Gottesdienste; Neuordnung der Sakramente (zwei
statt bisher sieben)
-Predigt und Abendmahl als zentrale Elemente des Gottesdienstes
-Frömmigkeitspraxis bekam eine neue Gestalt. Es war nicht mehr üblich, den Kirchen viel
Geld zu stiften im Glauben, sich dadurch einen Platz im Himmel zu sichern. Es gab keine
Wallfahrten und keine Anrufung der Heiligen mehr. In den Familien wurden Andachten
gehalten. Das Gebet stand im Zentrum der neuen evangelischen Frömmigkeit
-Klöster wurden aufgelöst und teilweise in Schulen umgewandelt (Luthers Schrift
hierzu: „De votis monasticis“ (Über die Mönchsgelübde)
-Konkrete Empfehlung Melanchthons an die Pfarrer: Zehn Gebote sollen in der Predigt sehr
häufig zum Thema werden; Verkündigung des richtenden Gottes an den Anfang stellen
-Melanchthon zu den „guten“ Werken: Der Mensch kann sich dadurch zwar nicht das Heil
verdienen, aber wer keine guten Werke tut, wird von Gott „hart“ gestraft
-Melanchthons Freiheitsverständis baut auf drei Aspekten auf:
1. Christ erlangt Freiheit durch Christus, ohne eigenen Verdienst und Zutun
2. Christ ist nicht mehr an die Zeremonialgesetze des AT gebunden
3. Christ ist frei von kirchlichen Ordnungen
-Freiheit hatte für Melanchthon - wie für Luther - also einen rein religiösen Charakter
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3.4. Der zweite Reichstag von Speyer und der Protest (1529)
-außenpolitische Lage verbesserte die Situation für die Reformation
-Kaiser griff die Heilige Stadt an und nahm Papst Clemens VII. gefangen
-solange das Papsttum und der Kaiser sich bekriegten, konnte ein entschlossenes Vorgehen
gegen die Evangelischen in Deutschland nicht auf der Tagesordnung stehen
-1527/1528: Paksche Händel
-Otto von Pack war der Auslöser, der Vizekanzler Herzog Georgs von Sachsen
-er berichtete Philipp von Hessen, dass Ferdinand von Österreich und die Länder
Brandenburg, Mainz, Bayern und andere ein Kriegsbündnis gegen die Evangelischen
geschlossen hätten, was aber nicht der Fall war
-Philipp begann mit Johann von Sachsen einen Krieg gegen Mainz und
Würzburg zu führen. Dann stellte sich aber heraus, dass alles erfunden war
-15.3-22.4.1529: Zweiter Reichstag in Speyer
-wieder ohne den Kaiser
-Hauptthema war die Türkenfrage unter militärischen und finanziellen Aspekten
-Beschlüsse im Hinblick auf die Religionspolitik:
 Reichstagsbeschluss von 1526 wurde zurückgenommen
 alle Neuerungen in den Ländern (Einführung des Protestantismus) wurden
verboten
 Messe sollte wieder überall geduldet werden; bei Zuwiderhandlung wurde mit
der Reichsacht gedroht
-im Hinblick auf diese Beschlüsse legten die evangelischen Stände am 25.4.1529 eine
Protestation vor, in der sie erklärten, in Glaubenssachen dürfe nicht durch
Mehrheitsvoten entschieden werden
-Reichstag habe grundsätzliche keine Kompetenz, über Fragen des Glaubens zu
urteilen
-Protest hatte keinen Erfolg, die Beschlüsse von Speyer wurden aber auch nicht
umgesetzt
-neue Bündnispläne wurden geschmiedet (etwa Hessen mit den Eidgenossen der Schweiz)
-hierzu lud Philipp von Hessen im Oktober nach Marburg zum Marburger
Religionsgespräch ein (es sollte die Differenzen theologischer Natur klären, um
danach politisch gemeinsam agieren zu können; dies scheiterte)
Kerndaten der Reformationsgeschichte
1517 - Thesen-„Anschlag“
1521 - Reichstag von Worms: Luther geächtet
1526 - 1. Reichstag von Speyer
1529 - 2. Reichstag von Speyer: Protestation
1530 - Reichstag von Augsburg: Confessio Augustana
1546/47 - Schmalkaldischer Krieg
1552 - Fürstenkrieg
1555 - Reichstag von Augsburg: Religionsfriede
3.5. Augsburger Reichstag und Augsburger Bekenntnis (1530)
-Religionsfrage sollte endgültig auf einem neu einberufenen Reichstag 1530 in Augsburg
entschieden werden
-Kaiser forderte die Evangelischen dazu auf, ihren Glauben darzulegen
-als Gemeinsames Glaubensbekenntnis entstand das Augsburger Bekenntnis, die sog.
Confessio Augustana (CA)
-Melanchthon trug hier die Hauptverantwortung, weil es für Luther zu gefährlich war,
nach Augsburg zu kommen
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-Kaiser lehnte das Bekenntnis ab, wollte zum „alten“ Glauben zurück und verbot
evangelische Predigten
-Melanchthon arbeitete mit anderen ev. Theologen am Text des Bekenntnisses
-Inhalt der CA
 Erster Teil: Themen wie Gotteslehre, Sündenverständnis, Kirche (CA VII:
Evangelium rein gepredigt/Sakramente recht verwalten), Sakramente (21 Punkte), in
denen - angeblich - Übereinstimmung mit der katholischen Kirche herrschte
 Zweiter Teil: Differenzen in strittigen Fragen wie Laienkelche, Zölibat,
Messopferlehre (die Lehre, bei der Messe werde das Opfer Christi wiederholt),
Mönchsgelübde
-CA wurde zwar verlesen, aber die altgläubigen Theologen und ihnen folgend der Kaiser
gaben den Evangelischen in ihrer Confutatio (Widerlegung) nur in einigen Punkten Recht,
insgesamt lehnten sie das Bekenntnis ab und bekräftigten die Verurteilung Luthers und seiner
Anhänger
-Evangelische reagierten mit einer Apologie (Verteidigung) der CA, die aber kein
Gehör fand
-Evangelische waren in Augsburg schon „gespalten“: Reichsstädte Konstanz, Memmingen
Lindau und Straßburg legten ein eigenes Bekenntnis (Confessio Tetrapolitana) vor. Die CA
wurde v.a. von Kursachsen, Hessen und Nürnberg verantwortet sowie einigen weiteren
Markgrafen, Herzögen und Städten
-Melanchthon formulierte im Anschluss an die CA das sog. forensische Verständnis der
Rechtfertigung
 Gott rechtfertigt den Menschen, indem er ihn gerecht spricht, wie ein Richter einen
Angeklagten frei spricht (lat. forum=Gerichtsplatz). Rechtfertigung ist also ein
Wortgeschehen, bei dem Gott an dem sündigen Menschen gnadenhaft eine
„Anrechnung der Gerechtigkeit Christi“ (lat.: imputatio iustitiae Christi) vollzieht.
-sola gratia und solus Christus wurden hier bewahrt, ein Verdienst des Menschen ist
bei diesem Geschehen ausgeschlossen
3.6. Schmalkaldischer Bund und Schmalkaldische Artikel
-Evangelische fürchteten, dass Kaiser und altgläubige Fürsten mit Waffengewalt gegen sie
vorgehen würden
-Schmalkaldischer Bund wurde geschlossen
-Luther und Melanchthon waren die militärischen Bündnispläne nicht recht, schließlich war
seit den Unruhen von Wittenberg 1521/1522 klar, dass mit dem Wort, nicht mit Händen und
Waffen gekämpft werden solle
-auch war generell die Obrigkeit von Gott eingesetzt und jedes Widerstandsrecht
abzulehnen, selbst gegen Tyrannen
-Luther und Melanchthon ließen sich überzeugen, da es sich bei dem Bündnis „nur“ um ein
Notwehrbündnis handeln sollte
-Außenpolitik (Bedrohung durch die Türken etc.) nahm wieder Fahrt auf und so konnte die
reformatorische Bewegung erneut erstarken
-Reichstag in Nürnberg 1532: Einigung zwischen den Evangelischen und dem Kaiser;
Das Wormser Edikt und die mit ihm verbundene Bedrohung der Evangelischen wurde
ausgesetzt („Nürnberger Anstand“)
-im Frühjahr 1535 kündigte Papst Paul III. die Einberufung eines Konzils nach Mantua an,
das die Glaubensfrage behandeln und lösen sollte
-Luther und Melanchthon waren hinsichtlich des Erfolges skeptisch
-Februar 1537: Luther legt ein Privatbekenntnis vor, das die evangelische Lehre pointiert und
- v.a. ggü. dem Papsttum - unversöhnlich formulierte, die später sog. Schmalkaldischen
Artikel
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-Melanchthon hat damals, Luther widersprechend, erklärt und zu Papier gebracht, er
könne einen Papst als Oberhaupt der Kirche akzeptieren, wenn dieser evangelische
Lehre zulasse
3.7. Luthers letzte Jahre
-in Wittenberg ging Luther über die Jahre hinweg seinen Lehrverpflichtungen nach und legte
die Bibel aus, predigte und griff in reformatorische Auseinandersetzungen noch hier und da
durch Schriften ein
Wichtigste Schriften Luthers
1517 - Thesen zu Buße und Ablass
1519/20 - Sermone (Erbauungsschriften)
1520 - An den christlichen Adel deutscher Nation
1520 - Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche
1520 - Von der Freiheit eines Christenmenschen
1522 - Das Neue Testament Deutsch („Septembertestament“)
1525 - De servo arbitrio
1529 - Katechismen
-von Krankheiten gezeichnet, in seinem Wesen ungeduldig und jähzornig geworden, starb
Luther am frühen Morgen des 18. Februar 1546 in Eisleben
-begraben wurde Luther in der Wittenberger Schlosskirche
-Melanchthon hielt eine Begräbnisrede, in er Luther in eine Reihe mit großen
Gestalten der Kirchengeschichte wie Augustin, Bernhard von Clairvaux stellte.
-Luther war eine prägende Gestalt, prägender als alle anderen großen Reformatoren, er war
aber auch eine ambivalente Gestalt, ambivalenter als alle anderen Reformatoren
-als Reformator war er zu Beginn noch Mönch, in seiner Mentalität war er mitunter
sehr monastisch geprägt
-strikte Bußtheologie, rigorose Trennung zwischen Welt und Gottesreich, die
„Realpräsenz“ von Leib und Blut Jesu Christi betonende
Abendmahlsfrömmigkeit, zynische Frauenfeindlichkeit, Judenhass
3.8. Die Verbreitung des Luthertums
-im Jahr 1530 gehörten der Reformation Kursachsen, Hessen, Preußen, BraunschweigLüneburg, Brandenburg-Ansbach und Pfalz-Zweibrücken sowie die Städte Magdeburg,
Stralsund, Celle, Goslar, Braunschweig, Göttingen, Bremen, Hamburg, Riga, Nürnberg,
Straßburg, Reutlingen, Kempten, Memmingen, Konstanz, Lindau und einige weitere an
-Württemberg wurde 1534 evangelisch
-Brandenburg schloss sich 1535 der Reformation an
-Herzogtum Sachsen wurde 1539 evangelisch
-in der Schweiz: Basel, Zürich, Bern, Genf
-in Österreich konnte die Reformation Fuß fassen, blieb aber immer in der Minderheit
-In Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland ließ sich ebenfalls ein reformatorischer
Einfluss feststellen
Überblick: Erfolge und Folgen der Reformation:
 dauerhafte Spaltung der abendländischen Christenheit, organisatorisch-institutionelle
und theologische Spaltung
 Wiederherstellung einer unmittelbaren Gottesbeziehung des Einzelnen, der keine
Heiligen und keine Priester benötig
 jeder konnte und durfte die Bibel lesen
16







umfassende Erneuerung der abendländischen Kirchen im Hinblick auf Organisation,
Theologie, Dogma, Liturgie und Frömmigkeit
Aufschwung des Bildungswesens; Pfarrerausbildung an Universitäten
Stärkung und Vereinheitlichung der Territorialstaaten; Schwächung des Reiches
enges Bündnis zwischen Staat und Kirche in den ev. Territorien
Schwächung des Papsttums (politische und geistliche Bedeutung nahmen ab)
Aufschwung von Frömmigkeit in beiden Konfessionen
Pluralisierung der Kirche
o Entstehung von weiteren Kirchen:
 lutherische
 reformierte/calvinistische
 unierte
 anglikanische
 Täuferkirchen (u.a. Mennoniten, Baptisten)
 evangelische Freikirchen (Methodisten, Pfingstkirchen)
4. Zwingli und die Reformation in Zürich
-das in der Reformationszeit weitere bedeutende Zentrum war neben Wittenberg Zürich
-diese Reformation wurzelte nicht wie die Wittenberger in den Gewissensnöten eines
um sein Heil ringenden Mönches, sondern in den Sorgen eines Gemeindepfarrers, der
sich für seine Gemeinde verantwortlich wusste.
4.1. Zwinglis Entwicklung zum Reformator
Kurzbiografie: Ulrich Zwingli
1484: Geburt in Wildhaus (1.1.)
1506: Leutpriester in Glarus
1516: Leutpriester in Einsiedeln
1519: Leutpriester am Großmünster Zürich
1523: Sieg in beiden Zürcher Disputationen
1529: Teilnahme am Marburger Religionsgespräch
1531: Tod in Kappel (11.10.)
-Schriften Luthers - v.a. seine Thesen - fanden auch rasch in der Schweiz Verbreitung (Druck
in Basel 1518)
-Huldrych (eigentlich: Ulrich) Zwingli kam mit ihnen ebenfalls in Berührung
-Zwingli stammte aus Wildhaus und wurde am 1.1.1484 geboren; er sollte von Anfang an
eine kirchliche Laufbahn einschlagen
-Zwingli wuchs in einem humanistischen Bildungsmilieu auf
-Studium: Zuerst Wien, dann Basel (dort 1506 M.A.)
-danach Studium der Theologie, nach einem Semester Abbruch
-Priesterweihe und Pfarramt in Glarus (1506)
-1516 wurde Zwingli Priester in Einsiedeln, wo er ebenfalls an der Benediktinerabtei
„Leutpriester“ wurde
-widmete sich privat dem theologischen Studium; für ihn wurde - wie für Luther Augustin sehr bedeutsam
-Dezember 1518: Ruf nach Zürich (Großmünster)
-1.1.1519: Amtsantritt Leutpriester am Großmünster Zürich
-hielt sich nicht mehr an die Perikopenordnung, sondern wählte eigenständig Texte
aus; das gab keine Konflikte
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-1522: Zwingli bekennt sich offen zur Reformation
-Wann wurde Zwingli Reformator?
 in der Forschung umstritten
 er selbst behauptet, schon 1516 durch eigenes Schriftstudium zu den selben
Erkenntnissen wie Luther gelangt zu sein
 Zwingli erkrankte 1519 an der Pest; dies könnte auch seinen Lebenswandel verändert
haben
 1519/1520 las er mit großem Eifer Luthers Schriften
-1521 begann Zwingli kirchenkritisch zu predigen. Er setzte sich mit dem Mönchtum, der
Heiligenverehrung, der Messe und dem Fegefeuer auseinander, aber auch mit dem Zehnten
-aus dem Humanisten wurde ein Reformator, der sich in erster Linie als Prophet
verstand
-er verwandte dann den Namen „Huldrych“ und gab sich damit als „reich“ an
göttlicher „Huld“, d.h. Gnade, aus
4.2. Disputationen in Zürich und Baden
-Frühjahr 1522: kirchliches Fastengebot wurde von angesehen Persönlichkeiten der Stadt
übertreten; Zwingli verteidigte das „Zürcher Wurstessen“ in einer kleinen Schrift über die
„Freiheit der Speisen“ (original: Von Erkiesen und Fryheit der Spysen)
-Monate später forderte Zwingli die Aufhebung des Zölibat
-Zürich nahm keine Rücksicht und ludt zu einer Disputation
-29. Januar 1523: Disputation in Zürich; Zwinglis 67 Thesen (Schlussreden)
-sog. „Erste Zürcher Disputation“
-Beschluss: alle Predigten sollen schriftgemäßg sein
-Teilerfolg für die Zürcher Reformation, aber noch kein Gesamtsieg
-Thesen behandelten das Papsstum, Messe, Heilige, Fastenregeln, Feiertage...
-in den Monaten nach der Veröffentlichung von Zwinglis Thesen arbeitete er an einem
grundlegenden theologischen Werk, der „Auslegung und Begründung der Thesen“ (original:
Ußlegen und gründ der schlußreden...“
-erschien im Juli 1523
-Zwinglis Theologie:
 Betonung des Gegensatzes zwischen Gott und Mensch
 absolute Souveränität Gottes
 Mensch hat keinen freien Willen
 Christus hat die Distanz zwischen Mensch und Gott überbrückt und dadurch von der
Sünde befreit
o diese Befreiung wird im Glauben Wirklichkeit
 Taufe und Abendmahl haben - im Ggs. zu Luther - keine Sünden vergebende Kraft;
Abendmahl als Gedächtnismahl
 Gott kann auch durch seinen Geist am Menschen handeln (unabhängig vom Wort der
Bibel und Predigt)
-weil Zwingli mit dem Wirken des Heiligen Geistes rechnete, hat Luther ihn als Spiritualisten
(lat. spiritus=Geist) gesehen und als „Schwärmer“ verunglimpft
-Zwingli legte beim Aufbau seiner Gemeindearbeit großen Wert auf das korrekte, sittliche
christliche Leben
-Oktober 1523: Zweite Zürcher Disputation
-führte zum endgültigen Durchbruch der Reformation
-Beziehungen zum Konstanzer Bischof wurden abgebrochen; Altgläubige verließen
die Stadt
-Folgen: Bildersturm; Entfernung von Kreuzen, Altären und Orgeln;
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Klosterschließungen
-April 1524: Heirat Zwinglis mit der Witwe Anna Reinhart
-Mai 1526: Johannes Eck lud zur Disputation nach Baden ein, der Zwingli fernblieb
-stattdessen: Johannes Oekolampad, der jedoch Eck unterlegen war
-Beschluss: Verurteilung Zwinglis als Ketzer
-mit dieser Disputation wurde die konfessionelle Spaltung der Schweiz zementiert
4.3. Ausstrahlungen der Züricher Reformation
-Basel: Johannes Oekolampad reformierte die Stadt, nachdem er sich schon 1520 öffentlich
durch sein Werk „Stellungnahme zu Luther“ zur Reformation bekannt hatte
-1525 trat er mit einer Abendmahlsschrift an die Öffentlichkeit
-Bern: Reformation setzte sich hier 1528 mit der Berner Disputation durch
-hier war es Berchtold Haller, der wichtigen Einfluss auf die Reformation der Stadt
nahm
-Glarus: 1525 wurde Glarus evangelisch
-traditionsreiche Landeswallfahrt nach Einsiedeln wurde im gleichen Jahr eingestellt
-Schaffhausen: Durchbruch der Reformation durch Beschluss des Rates erst 1529
-Graubünden: Chur war Bischofsstadt; 1523 erkannte der Bundestag Graubündens das
Schriftprinzip an; 1524 Beschluss der sog. Ilanzer Artikel; Beschränkung der Rechte
des Bischofs; 1527 endgültiger Durchbruch der Reformation
-Zürich: 1524-1529 entstand die Zürcher Bibel; noch vor Wittenberg besaß Zürich eine
komplette Bibel in neuer Übersetzung; erste Druckausgabe erschien 1531
4.4. Abendmahlsstreit und Marburger Religionsgespräch
-über das Abendmahl kam es in den 1520er Jahren zum Streit
-bei der näheren theologischen Bedeutung und der praktischen Durchführung
existierten verschiedene Meinungen
Zwingli: beim Abendmahlsbrot handelt es sich nicht um den wirklichen Leib Christi und beim
Wein nicht um sein Blut, sondern jeweils um Symbole
-Das „ist“ in „das ist mein Leib“ sei im Sinne von „bedeutet“ (lat.: significat) zu
verstehen
-Abendmahl als Gedächtnismahl
Luther: Realpräsenz; reale, wirkliche Gegenwart Christi, mit Leib und Blut in Brot und Wein
-reale Gegenwart im Sakrament bedeutete für Luther Hilfe und Trost
-Streit der beiden Reformatoren missfiel den Politikern, die ein Interesse an Einheit hatten
-Philipp von Hessen lud deshalb 1529 beide zu einem Religionsgespräch nach Marburg ein
-Ergebnis: 15 Marburger Artikel; letzter Artikel befasst sich mit dem Abendmahl; hier
keine Einheit
-weiteres Ergebnis: Verdikt Luthers, er könne Zwingli und die Schweizer nicht mehr
als christliche Brüder ansehen
-Straßburg und Wittenberg gelang es immerhin 1536 mit der sog. Wittenberger Konkordie
eine Kompromissformel zu finden, der Bucer wie Luther zustimmen konnten
-statt „Speisung der Ungläubigen“ (lat. manducatio impiorum) wies die
Kompromissformel die „Speisung der Unwürdigen“ aus (lat. manducatio indignorum)
-Calvin nahm später eine vermittelnde Position ein: Gegenwart des Auferstandenen als durch
den Geist vermittelt (Spiritualpräsenz)
-erst 1973 wurde der die reformatorischen Kirchen spaltende Abendmahlsstreit durch die sog.
Leuenberger Konkordie endgültig ausgeräum
-Zwingli legte ebenfalls (neben CA und dem Straßburger Confessio Tetrapolitana) ein
Privatbekenntnis als „Rechenschaft über den Glauben“ (Fidei ratio) beim Kaiser vor; dieses
fand aber keine Beachtung
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4.5. Schlacht von Kappel und Tod Zwinglis (1531)
-Zwingli legte seine einstigen pazifistischen Überzeugungen 1525/26 in seinem „Plan zu
einem Feldzug“ ab und beführwortete kriegerische Maßnahmen zur Durchsetzung der
Reformation
-1529: „Ratschlag über den Krieg“
-April 1531: Angriffskrieg
-11. Oktober 1531: Schlacht bei Kappel am Albis-Pass, südöstlich von Zürich
-Zwingli war dabei, nicht als Feldprediger, sondern mit dem Schwert in der Hand
-Zwingli kam ums Leben, sein Leichnam wurde geschändet und verbrannt
-Luther interpretierte das Ereignis als gerechte göttliche Strafe für einen mann,
der die Christenheit verführt habe
4.6. Bullinger als Nachfolger Zwinglis
-Nachfolge Zwinglis trat Heinrich Bullinger an
Kurzbiografie: Heinrich Bullinger
1504: Geburt in Bremgarten
1519-1522: Studium in Köln
1523-1529: Lehrer an der Klosterschule Kappel
1528: Teilnahme an der Berner Disputation
1529-1531: Pfarrer in Bremgarten
1531: Vorsteher (Antistes) der Züricher Kirche
1575: Tod in Zürich
-theologiegeschichtlich bedeutsam ist Bullingers Bundestheologie: Heilshandeln Gottes als
eine Abfolge verschiedener Bundesschlüsse
-so wurde die Geschichte Israel; neuer Bund und Verbindung AT/NT deutlich
-Taufe in Beziehung zur Beschneidung
-Abendmahl in Beziehung zum Passahmahl
-durch den Bund verpflichtet sich Gott zur Gemeinschaftstreue, während der Mensch
durch Gebote und Sakramente in die Pflicht genommen wird
-Bullinger formulierte zwei wichtige reformatorische Bekenntnisse:
 Confessio Helvetica Prior (1536)
 Confessio Helvetica Posterior (1566)
5. Calvin und die Reformation in Genf
-mit Blick auf die gesamte Reformationsepoche gebührt Genf neben Wittenberg der Rang des
bedeutendsten Reformationszentrums
-Anfänge der Genfer Reformation verbinden sich mit dem Namen Johannes Calvin
-er war ein Reformator der zweiten Generation
-beeinflusst von Luther, Melanchthon, Zwingli
5.1. Calvins Entwicklung zum Reformator
Kurzbiografie: Johannes Calvin (franz. Jean Cauvin)
1509: Geburt in Noyon (10.7)
1535/1536: Aufenthalt in Basel
1536-1538: Reformator Genfs an der Seite Wilhelm Farels
1538-1541: Leitung der französischen Gemeinde in Straßburg
1541-1564: zweite Genfer Periode
1564: Tod in Genf (27.5)
-Vater war Sekretär des örtlichen Bischofs
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-zunächst sollte Calvin Kleriker werden, nach einem Streit des Vaters mit seinem Arbeitgeber sollte dieser jedoch Rechtsgelehrter sein
-Calvin studierte Jura und schloss mit Promotion ab
-um 1532 erfuhr Calvin eine „unerwartete Bekehrung“, wie er selbst formulierte
-diese Bekehrung war „zur Gelehrigkeit“
-möglicherweise hatte Calvin die Schriften Luthers gelesen
-1533/1534: Flucht Calvins aus Paris
-König ordnete die Unterdrückung der „lutherischen Sekte“ an
5.2. Basel: Institutio (1535/1536)
-wegen der „Plakataffäre“ (man hatte in Paris Plakate aufgehangen, auf denen stand, dass die
Messe als Missbrauch des Abendmahls Christi zu verstehen sei) verließ Calvin dauerhaft
Frankreich
-in Basel kam er mit Bucer, Bullinger und Farel in Kontakt
-Calvin verfasst ein Lehrbuch des christlichen Glaubens - erschienen 1536 im Druck:
„Unterricht in der christlichen Religion“ (Christianae Religionis Institutio)
-inspiriert war dieses Werk von den Katechismen M. Luthers
-Inhalte: Sakramente, Gesetz (10 Gebote), Glaube (Apostolikum), Vater-Unser,
christliche Freiheit, Kirchenverständnis
5.3. Genf: Reformator an der Seite Farels (1536-1538)
-Wilhelm (franz.: Guillaume) Farel war der erste Reformator Genfs
-1536: Calvin wollte nach Aufenthalten in Ferrara zurück nach Basel und weiter nach Paris,
musste aber einen Umweg über Genf einschlagen
-hier traf er im Juli Farel, der ihn bat, fortan als Lektor der Heiligen Schrift tätig zu
sein
-hier war aus dem Humanisten Calvin endgültig ein Reformator geworden
-Calvin verfasste eine Gottesdienstordnung, einen Katechismus, ein Glaubensbekenntnis
-Rat der Stadt geriet in Konflikt mit Farel/Calvin
-Frühjahr 1538: Ausweisung der Reformatoren aus der Stadt Genf
5.4. Straßburg: Reformator an der Seite Bucers (1538-1541)
-Calvin übernahm in Straßburg die Leitung der franz. Flüchtlingsgemeinde
-bis 1541 blieb er in Straßburg, lernte auf Reisen Melanchthon kennen und unterzeichnete die
Confessio Augustana
-Luther ist er nie persönlich begegnet
-Martin Bucer gebührt der Rang als drittem deutschem Reformator (nach Luther und
Melanchthon)
Kurzbiografie: Martin Bucer
1491: Geburt in Schlettstadt (11.11)
1518: Besuch der Heidelberger Disputation
1521: Flucht aus dem Kloster
1524: Pfarrer in Straßburg
1536: Wittenberger Konkordie
1549: Flucht aus Straßburg
1551: Tod in Cambridge (28.2)
-Schlüsselrolle in seiner Entwicklung hatte der Besuch von Luthers Heidelberger Disputation
am 26.4.1518 gespielt
-bevor 1521 ein Ketzerprozess (er war entlaufener Mönch) starten konnte, holte er
einen päpstlichen Dispens ein und wurde Weltpriester
21
-Bucer wurde in den 1530er und 1540er Jahren zum führenden protestantischen
Vermittlungstheologen Deutschlands
-Bucer wirkte bei der Kölner Reformation mit
-der Erzbischof von Köln, Hermann von Wied, sympathisierte als erster Bischof
überhaupt offen mit der Reformation
-dieser lud Bucer ein
-Juli 1543: Abendmahl in Köln wurde evangelisch, unter beiderlei Gestalt gefeiert
-1546: Rom exkommunizierte den Bischof von Köln
-Köln blieb altgläubig
-für Bucer war die Kirchenzucht ein weiteres wichtiges Thema. Dieses entfaltete er in der
Schrift „Von der wahren Seelsorge“ (1538)
-obwohl Bucer nicht selbst konfessionsbegründend war und auch keine systematische
Darstellung der Theologie vorgelegt hat, kommt ihm dennoch eine eminente
theologiegeschichtliche Bedeutung zu
-Calvin übernahm von ihm wesentliche Inhalte der Lehre
-beide teilen das aus der humanistischen Orientierung entstammende ethische
Interesse; Erwählung und Geistwirken Gottes als die entscheidenden
Ausgangspunkte des Heilsgeschehens ebenfalls gleich
-Kontinuität von Altem und Neuem Bund sowie die positive Aufnahme des atl.
Gesetzes; Anlehnungen in der Ämterlehre, der Liturgie, der Betonung der
Pflicht der Obrigkeit, für die rechte Gottesverehrung zu sorgen
5.5. Ausbau Genfs zur Gottesstadt (1541-1564)
-1541: Rat von Genf rief Calvin zurück
-anders als Luther legte Calvin viel Wert auf ein sittliches Leben der Christen
-vier verschiedene kirchliche Ämter wurden geschaffen; Laien stärker in die
Gemeindeleitung einbezogen
 Hirte/Pastor - Verkündigung des Wortes, Sakramentsverwaltung, Seelsorge
 Gelehrte/Doktoren - Unterricht in Schulen
 Älteste - Aufsicht über das Leben der Gemeindeglieder
 Diakone - Geldsammlung, Armenfürsorge, Krankenhaus und Kinderheim
-1559: Gründung der Genfer Akademie
-Titel Universität konnte nicht geführt werden, da sie keine päpstliche und kaiserliche
Genehmigung hatte
-Calvin selbst hielt Vorlesungen im AT; Genfer Akademie wurde bis 1590 führend
unter den reformierten Hochschulen und Keimzelle der heutigen Uni Genf
-1559: Neuausgabe (in großem Umfang - ähnlich den Loci Melanchthons) der Institutio
-1561: Genf als christliche Modellstadt (sah sich als Neues Jerusalem)
-Theologie Calvins:
 Gotterkenntnis und Selbsterkenntnis stehen im Zusammenhang
o Quelle der Gotteserkenntnis: Heilige Schrift
 im Rahmen der Gotteslehre: striktes Bilderverbot (mit Zwingli; gegen Luther)
 Prädestinationslehre löste viele Diskussionen aus
o Glaube im Menschen als von Gott gewirkt
o Gott traf vor aller Zeit einen unbegründbaren Ratschluss, aus der Masse der
dem Sündenleben verfallenen Menschen einige auszuwählen und ihnen den
Glauben und damit das Heil zu schenken
o mit diesem Ratschluss hatte Gott einige andere Menschen bewusst nicht
erwählt
22
5.6. Ausstrahlungen der Genfer Reformation
-Calvins Lehre hatte eine große Ausstrahlung, besonders auf Frankreich, die Niederlande und
England; diese orientieren sich an seiner Theologie
-Entstehung des Calvinismus als weitere Richtung evangelischer Theologie und
Frömmigkeit neben Luthertum und Zwinglianismus
-im Laufe der Geschichte überflügelten sich dann Luthertum und Calvinismus
-als brieflicher Seelsorger, Berater und Fürsprecher engagierte sich Calvin v.a. für die
französischen Protestanten
-unter dem Einfluss Genfs schlossen sich auch die Waldenser in ihren norditalienischen
Alpenländern der Reformation an
-die von dem Lyoner Kaufmann Waldes in der zweiten Hälfte des 12.Jhs. gegründete
Armuts- und Nachfolgebewegung war von der Kirche verketzert und verfolgt, aber
nicht ausgelöscht worden
5.7. Calvins letzte Jahre
-1557: Psalmenkommentar
-theologisch beschäftigte sich Calvin mit dem Antritrinitarismus; Calvin stimmte der
Verbrennung des Spanischen Ketzers Michael Servet zu, nachdem dieser sein Buch „Sieben
Bücher gegen die trinitarischen Irrtümer“ veröffentlicht hatte
-dies war die erste Ketzerverbrennung der Reformation
-Calvin wurde anonym bestattet. Kein Grabstein zierte sein Grab und so ist der Ort, wo er
liegt, unbekannt
-Calvin hat um seine Person kein großes Aufsehen erregt
-er diente immer nur der Sache
5.8. Beza als Nachfolger Calvins
-Theodor von Beza, ein Schüler Calvins, trat dessen Nachfolge an
-zuvor Rektor der Genfer Akademie
-Beza verfasste eine erste Calvin-Biographie und baute Calvins Theologie zu einem System
aus, insb. im Hinblick auf die Prädestinationslehre
Kurzbiografie: Theodor von Beza
1519: Geburt
1549: Griechischprofessor in Lausanne
1559: Theologieprofessor in Genf
1564: Nachfolger Calvins
1605: Tod in Genf (13.10)
5.9. Der Siegeszug des Calvinismus, auch in Deutschland
-es entstanden im Laufe der Zeit viele Flügel der Reformation, obgleich alles von Luther
ausging
-Wittenberg und Genf waren die Zentren; Luther und Calvin die Persönlichkeiten
-Luthertum und Calvinismus existieren bis heute, auch wenn sich im 19.Jh. viele
Unionskirchen gebildet haben
-im 16.Jh. wurden Calvinisten in Deutschland schon als „Reformierte“ bezeichnet
-lutherische Reformation breitete sich in Teilen Deutschlands und in den Ländern
Skandinaviens aus
-Calvinismus hatte in der Schweiz die Oberhand und verbreitete sich in Frankreich und den
Niederlanden; auch die Kirche Englands wurde calvinistisch - so fasste der Calvinismus auch
in Nordamerika Fuß
-Unterschiede zwischen Luthertum und Calvinismus:
 Abendmahlsverständnis
23
 Prädestinationsverständnis
 Aufbau und Organisation des Kirchenwesens
 Ethik
-Bezeichnung des Calvinismus als „zweite Reformation“ ist problematisch; besser:
innerprotestantischer Konfessionswechsel
-erstes größeres Territorium des Calvinismus war die Kurpfalz
-dennoch sah sich der Landesherr der Confessio Augustana invariate (von 1540)
verpflichtet
6. Täufer und Schwenckfelder
-Bezeichnung für extreme Gruppen in der Reformationszeit: radikale Reformation oder linker
Flügel der Reformation
-„links“ deshalb, weil sie stärker als Luther auch soziale Veränderungen wollten
-da der Begriff politisch konnotiert ist, spricht man heute besser von
„Außenseitern“ der Reformation
-Beispiele: Andreas Bodenstein von Karlstadt, Thomas Müntzer, Täuferführer wie
Kaspar von Schwenckfeld
-Taufer: evangelische Christen, die die Kindertaufe ablehnten und konsequent die
Erwachsenen- oder Glaubenstaufe praktizierten
-sie hielten die mittelalterliche Taufpraxis für antiquiert
-Kinder durften nicht getauft werden, weil sie vom Glauben noch nichts wissen
-Wiedertäufer wurden diejenigen genannt, die schon als Kinder getaufte Erwachsene
nochmals tauften; Synonym: Anabaptisten
-Frage nach der Berechtigung der Kindertaufe entwickelte sich - neben dem Abendmahl zum Hauptdiskussionsthema der Reformationszeit
6.1. Das Sakrament der Taufe
-Taufe galt als gültig, wenn sie korrekt vollzogen wurde, selbst dann, wenn der Taufende ein
„Ketzer“ war
-Elemente waren die Anrufung des dreieinigen Gottes und das dreimalige
Untertauchen oder Übergießen mit Wasser
-zwischen Protestanten und Ältgläubigen gab es anfangs keinen Dissens hinsichtlich der
Taufe. Ein Dissens entstand innerhalb der evangelischen Bewegung und hat Folgen bis heute
6.2. Evangelische Kritik an der Kindertaufe
-Reformation förderte die Mündigkeit des Einzelnen vor Gott; dies geriet in Konflikt mit der
Taufe unmündiger Kinder
-infrage wurde dies von Karlstadt in Wittenberg und Zwingli in Zürich gestellt
-Luther sprach sich immer entschieden für die Kindertaufe aus und auch Melanchthon und
Zwingli schlossen sich dieser Meinung später an
-biblische Begründung: „Lasset die Kinder zu mir kommen und währet ihnen nicht.“
(Mt 19,14)
-Glaube als Geschenk Gottes, der auch in unmündigen Kindern bereits vorhanden sein
könne
-Den Argumenten der Täufer suchten einige Reformatoren ferner durch die an das alte, von
der Reformation abgeschaffte Sakrament der Firmung anknüpfende Konfirmation zu
begegnen
-1539: Einführung der Konfirmation in Hessen
-durchgesetzt hat sich Konfirmation erst im 17.Jh. durch den Pietismus
24
-Bewegung der Anabaptisten nahm rasch zu; bedeutende Persönlichkeiten hier waren
Balthasar Hubmaier, Melchior Hoffman und Menno Simons
-Täuferbewegung stellte ebenfalls die volkskirchlichen Strukturen in Frage
-mit Einführung der Erwachsenentaufe ging die Freiwilligkeit der
Kirchenmitgliedschaft automatisch einher
-Reformatoren wollten aber an der im Mittelalter herrschenden geschlossenen Kirchlichkeit
festhalten; jeder sollte der Kirche und der christlichen Religion angehören
6.3. Anfänge der Täuferbewegung und erste Wiedertaufen
-Anfänge liegen in Zürich und bei Zwingli, der anfangs selbst die Kindertaufe infrage stellte
-später sah er in der Taufe lediglich ein Zeichen für die Aufnahme in die Gemeinde,
weswegen er sie schon im Kindesalter gutheißen konnte
-andere Gruppen verbanden die Kritik an der Kindertaufe mit einem Antiklerikalismus und
mit einer Kritik an der Zürcher Obrigkeit
-Zwingli versuchte der Lage Herr zu werden und lud zu einer Disputation ein, die sich
mit der Taufthematik befassen sollte
-15.1.1525: Disputation führte zu keiner Klärung
6.4. Täufer-Bekenntnisse und Täufer-Verfolgungen
-Nierderlage der Bauern im Bauernkrieg 1524/1525 schwächte die gerade erst entstandene
Täuferbewegung
-wurde aber auch zum Sammelbecken für radikale Reformatoren
-Zunehmende Distanz zu Luther; Sympathie für Müntzer und Karlstadt
-Febraur 1527: Gründung der „Brüderlichen Vereinigung“ in Schleitheim
-im Rahmen des Zürcher Täufertums entstand so eine erste reformatorische Freikirche
-Grundsätze legten sie in den sieben sog. Schleitheimer Artikeln fest
 strenge Bannpraxis innerhalb der Gemeinde
 Kriegsdienstverweigerung
 gemäß der Bergpredigt leben
 weltliche Obrigkeit wurde abgelehnt
 Pfarrer - als Hirten bezeichnet - sollten frei gewählt werden
 Abendmahl als Ausdruck christlicher Gemeinschaft
-in der Folge bildeten sich das südwestdeutsche und das Schweizer Täufertum
-1529: Reichstag zu Speyer beschließt, „Wiedertäufer“ und „Wiedergetaufte“ mit dem Tod zu
bestrafen ebenso wie alle, welche die Taufe von Kindern verweigerten
6.5. Täuferreformationen in Waldshut und Nikolsburg
-in Waldshut am Hochrhein, in Nikolsburg in Mähren und in Münster/Westfalen erlangen
Täufer auch politische Macht
-Balthasar Hubmaier, der sich offen als Täufer bekannter, später jedoch widerrief
-Jakob Huter (Hut’sches Täufertum): Tiroler Täuferführer; Gemeinschaft der
Hutterischen Brüder entstand, die es in den USA und in Kanada noch heute gibt
6.6. Hoffman und das Münsteraner Täuferreich
-im niederdeutsch-niederländischen Raum etablierte sich ein Täufertum, dessen
Wirkungslinien bis in die Gegenwart reichen
-Melchior Hoffman (ca. 1500-1543) als Hauptrepräsentant; war zunächst erfolgreich als
lutherischer Laienprädikant; es kam zum Bruch mit den Wittenberger Reformatoren
-Taufe als Akt, die Menschen in die endzeitliche Gemeinde der Heiligen einzugliedern
-1530: Gründung einer größeren Täufergemeinde in Emden
25
-in Münster war Anfang der 1530er Jahre die Reformation eingeführt worden
-unter Bernhard Rothmann, einem Kaplan, nahm sie schnelle eine radikale
Entwicklung
-Gemeinwesen wurde radikal umgestaltet und der Holländer Jan Bockelson regierte
als „König Israels“ im „Neuen Jerusalem“
-Mehrehe wurde eingeführt
-Täufer wurden seitens der evangelischen und katholischen Mehrheiten mit Gewalt
vernichtet
-Wiedertäufertum wurde ein Synonym für Anarchie, Aufruhr und Unzucht
6.7. Menno und die Mennoniten
Kurzbiographie: Menno „Simons“
1496: Geburt
1531: Priesterweihe
1536: Anschluss an die Täufer
1539: Fundamentbuch
1561: Tod
-Menno „Simons“ (ist Bei-, nicht Nachname) begann im Jahr 1531 an der Kindertaufe zu
zweifeln; ging auf Distanz zur Kirche
-innerlich brach er mit der Kirche, war äußerlich aber noch mit ihr verbunden
-1536: Niederlegung seines Priesteramtes; Taufe; Heirat
-Trotz permanenter Flucht gelang es Menno wesentliche Themen seiner Theologie und seiner
pastoralen Praxis zu entfalten (u.a. im sog. Fundamentbuch)
-Streit innerhalb der Täufergemeinden ob des Banns aus den Gemeinden (Stichwort:
„Reine Gemeinde“ brach aus)
-Theologie: Die allen Menschen innewohnende Sündennatur muss überwunden werden, wenn
Erlösung und Heil konkret geschehen und erfahren werden sollen; Sieg über die Sünde ist im
Leben der Menschen möglich
-Menno ist von seinem modernen Anhängern bisweilen als vierter Reformator nach
Luther, Zwingli und Calvin. Hiermit wird seine Bedeutung aber bei weitem
überschätzt. Er war kein Mann der ersten Stunde, kein Pionier und kein origineller
Denker
-obwohl nicht ihr Gründer ist er der Namenspatron der Mennoniten geworden (etwa 1 Mio.
Anhänger weltweit; Deutschland 60.000)
-in den Niederlanden, der Heimat Mennos spricht man nicht von Mennoniten, sondern
von „Doopsgezinden“ (Taufgesinnten) und entspricht damit der Aufforderung
Mennos, sich nicht nach Menschen zu richten, sondern allein auf Christus
6.8. Baptisten - eine täuferische Freikirche
-Frage nach der Berechtigung der Kindertaufe ist auch in der späteren KG nicht abgerissen.
Mennoniten und Hutterer sind aber die einzigen Gruppen, die direkt auf die Reformation
zurückgehen
-Die in der Gegenwart größte Täuferkirche bildet mit weltweit ca. 40. Mio Anhängern die
Baptisten
-ca. 1640: Spaltung der Baptisten in zwei Gruppen; Streitpunkt: Prädestinationslehre
-in Deutschland gibt es etwa 20.000 Baptisten, die keine geschlossene kirchliche
Organisationsstruktur haben, sondern als unabhängige Gemeinden in verschiedenen „Bünden“
zusammengeschlossen sind
26
6.9. Schwenckfeld und die Schwenkfelder Church
-Kaspar von Schwenckfeld (1489-1561) war zu Beginn ein Anhänger Luthers
-nach dem Reichstag zu Worms (1521) wurde er zum Führer der „Martianer“
genannten Reformationsanhänger in Schlesien
-entwickelte eine eigene Abendmahlstheologie, die bei Luther auf Ablehnung stieß
-nach seinem Tod hatte die Bewegung noch viele Anhänger, wurde aber durch lutherische wie
altgläubige Obrigkeiten verfolgt und infolge dessen stark dezimiert
-Theologie: scharfe Trennung zwischen altem und neuem Menschen bzw. zwischen Geist und
Kreatur; Frage nach der Würdigkeit der Teilnehmer im Abendmahl und dem Stand ihres
Glaubens  der sog. „Stillstand“, das Aussetzen der Abendmahlsfeiern bei Schwenckfeld
war die Folge; Unterscheidung in rechte und falsche Christen; Kirche als unsichtbare Größe,
Ablehnung der Volkskirche; sog. Lehre von der Deifikation: allmähliche Entwicklung im
irdischen Leben zur „Vergöttlichung“, die ihren Abschluss mit der Auferstehung und
Himmelfahrt bildete; Differenzierung zwischen innerlichem und äußerlichem Wort in der
Predigt (innerliches Wort durch Gott in den Menschen gewirkt)
-in Pennsylvanien gibt es bis heute eine „Schwenkfelder Church“, die heute aber nur noch
2500 Mitglieder zählt und aus fünf Gemeinden besteht
[Kap. 7 - Frauen in der Reformationszeit sowie Kap. 8 - Reformation
in England, Frankreich, Polen wurden ausgelassen]
9. Religionsgespräche, Religionskrieg, Religionsfriede
-als sich in Zürich und Genf die Verhältnisse stabilisierten, geriet die Reformation in
Deutschland in große Gefahr
-Doppelehe Philipps von Hessen stürzte die Reformation in eine moralische und politische
Krise und ermöglichte dem Kaiser, militärisch gegen ihre Anhänger vorzugehen
-Schmalkaldische Krieg (s.u.) endete mit einer Niederlage der Evangelischen
-durch ein Interimsgesetz begann der Kaiser die alte Kirche wiederherzustellen
-eine Wende fand die Religionsfrage in einem zweiten Krieg (1552); der Kaiser wurde
geschlagen, dankte ab
-auf dem Reichstag in Augsburg wurde 1555 der Religionsfriede beschlossen, der 63 Jahre
(bis 1618) Bestand hatte, 1648 erneuert wurde und die deutsche Geschichte bis ins frühe 19.
Jahrhundert prägte
9.1. Die Reichsreligionsgespräche (1540/1541)
-Versuch einer friedlichen Einigung; treibende Kraft war der Kaiser Nicolas Perrenot de
Granvelle
-April 1539: Bundestag der Schmalkaldener in Frankfurt am Main
-Ergebnis: sog. Frankfurter Anstand wurde unterzeichnet
-Protestanten wurde ein befristeter Religionsfriede gewährt
-Im Laufe der Religionsgespräche wurde Bucer zum führenden Vermittlungstheologen; er
wurde zum wichtigsten Ansprechpartner des Kaiser, seines Reichskanzlers und der
katholischen Reformtheologen
-Juni 1540: Erstes Reichsreligionsgespräch in Hagenau/Elsass
-Winter 1540/1541: Zweites Reichsreligionsgespräch in Worms
-Melanchthon bearbeitete die Confessio Augustana zur sog. Confessio Augustana
variata
-Frage entstand, ob die Version invariata oder variata Gültigkeit besitze, v.a. im
Hinblick auf das Abendmahl
-April 1541: Drittes Reichsreligionsgespräch in Regensburg
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-Ergebnis: Regensburger Buch, das 1997/1999 als Vorlage zur Gemeinsamen
Erklärung zwischen Evangelischer und katholischer Kirche zur Rechtfertigungslehre
diente
-„Allein aus Gnade und im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres
Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere
Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken.“
-weitere (unbedeutende) Religionsbespräche folgten in Speyer, Worms und wieder
Regensburg
9.2. Die Doppelehe Philipps von Hessen (1540)
-Neben dem Kurfürstentum Sachsen war die Landgrafschaft Hessen das wichtigste Land der
Reformation
Kurzbiographie: Philipp von Hessen, der Großmütige
1504 - Geburt in Marburg (13.11)
1518 - Mündigerklärung
1521 - Gespräch mit Luther
1523 - Ehe mit Christina von Sachsen
1524 - Hinwendung zur Reformation
1526 - Religionsgespräch in Homberg
1527 - Gründung der Universität Marburg
1529 - Religionsgespräch in Marburg
1540 - ehe mit Margarete von der Saale
1541 - Unterwerfung unter den Kaiser
1547 - Gefangenschaft
1552 - Freilassung
1567 - Tod
-Philipp war aus innerer Überzeugung evangelisch; seine kriegerischen Ambitionen waren
Melanchthon aber nie geheuer
-Philipps großes Ziel war ein Bündnis aller evangelischen Kräfte
-er war einer der erfolgreichsten Politiker der Reformation; dennoch war er
mitverantwortlich dafür, dass der Kaiser gegen die Protestanten Krieg führen konnte
-Grund: Philipp hatte neben seiner Ehefrau - wie damals üblich - noch weitere
Geliebte; dies brachte ihn in große Gewissensnot, sodass er nicht mehr am
Abendmahl teilnahm
-er fühlte sich immer mehr zur Hofdame Margarete von der Saale
hingezogen. Sie zur Mätresse zu nehmen kam für ihn ebenso wenig wie
eine Ehescheidung in Frage; deshalb kam er auf die Idee einer
Doppelehe und wandte sich an Bucer, Melanchthon und Luther
-diese billigten die Lösung in einem Gutachten und akzeptierten
die von ihm vorgeschlagene biblische Begründung, dass Jesus
Christus die Vielehe nicht ausdrücklich verboten habe
-Philipp war erleichtert und heiratete im Geheimen, um Unruhe und Nachteile für die
Evangelischen zu vermeiden
-auf Bigamie stand nach Reichsrecht jedoch die Todesstrafe, und der Kaiser strengte
einen Prozess gegen den politisch führenden Mann der Reformation an; Skandal war
offenkundig und unermesslich
-während Luther die Sache leicht nahm, bekam Melanchthon so heftige
Gewissensbisse, dass er schwer erkrankte, dem Tod ins Auge sah und auch
selbst zu sterben wünschte
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-13. Juni 1541: Philipp unterwarf sich dem Kaiser und versprach, gegen ihn keine Bündnisse
mehr einzugehen; der Hauptmann des bislang so erfolgreichen Schmalkaldischen Bundes war
kaltgestellt; der Kaiser konnte den Krieg wagen und startete damit 1546
9.3. Der Schmalkaldische Krieg (1546/1547)
-Juni 1546: Beginn des Schmalkaldischen Krieges (Name aufgrund der Gegnerbezeichnung
„Schmalkaldischer Bunde“ - Staatenbund evangelischer Territorien)
-Kaiser kämpfte gemeinsam mit Altgläubigen und sogar mit dem evangelischen
Herzogtum Sachsen unter der Führung von Landesherr Moritz von Meißen (er
versprach sich einen politischen Gewinn)
-Evangelische titulierten ihn als „Judas von Meißen“
-24. April 1547: Sieg in der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe und Niederlage der
Evangelischen
-Kaiser ließ Philipp von Hessen gefangen nehmen (entgegen seines Versprechens); 5 Jahre
Gefangenschaft für Philipp folgten
9.4. Das Interim (1648-1552)
-September 1547-Juni 1548: Reichstag in Augsburg, der sog „geharnischte Reichstag“
-Kaiser setzte ein Religionsgesetz durch, das den Evangelischen katholisches
Brauchtum und katholische Lehre vorschrieb sowie die Unterwerfung unter den Papst
-Zugeständnisse waren lediglich Laienkelch und Priesterehe
-da auf die Lösung durch ein Konzil spekuliert wurde, nannte man den
Beschluss das „Augsburger Interim“
9.5. Der Fürstenkrieg (1552)
-Moritz von Sachsen (der frühere von Meißen, zwischenzeitlich zum Kurfürsten ernannt)
führte 1552 erneut einen Krieg, diesmal aber gegen den Kaiser
-der zweifache Verräter stand nach dem „Fürstenkrieg“ nun als doppelter Sieger da
und die Reformation war gerettet
-Moritz von Sachsen hatte die ständige Gefangenschaft Philipps von Hessen, seines
Schwiegervaters - verärgert
-Moritz erweiterte sein Heer, nahm Kontakt mit Frankreich auf, und trat an den
Fürstenbund heran
-Ziele des Krieges: Bewahrung der CA und die Befreiung Philipps
-Trotz der Niederlage war der Kaiser nicht bereit, den Protestanten den von ihnen geforderten
Religionsfrieden zuzugestehen
-dennoch wurde der „Passauer Vertrag“ geschlossen; er gewährte den Protestanten bis
zum nächsten Reichstag Religionsfrieden
9.6. Augsburger Reichstag und Augsburger Religionsfriede (1555)
-1555: Reichstag zu Augsburg
-Ergebnis: Religionsfriede wurde beschlossen, der die Angehörigen der CA den
Anhängern des alten Glaubens gleichstellte und ausdrücklich bestimmte, dass jeder
Landesherr das „Reformationsrecht“ habe (lat. ius reformandi)
-Wer regierte, bestimmte die Religion, lat.: cuius regio, eius religio
-falls die Untertanen anders dachten, wurde ihnen das Grundrecht der Emigration
eingeräumt (lat.: beneficium emigrandi)
-Sonderbestimmung: „geistlicher Vorbehalt“: Klöstern und Bischöfen wurde das
Reformationsrecht nicht zugestanden; Ziel: aus geistlichen Fürstentümern sollten
keine weltlichen werden
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-in den meisten Reichsstädten gab es sowohl Evangelische als auch Katholiken und das
änderte sich fortan auch nicht. Der Fachbegriff hierfür lautet Parität (lat. par=gleich)
-Der Religionsfriede von Augsburg hatte Bestand und bescherte Deutschland eine lange
Friedensperiode bis 1618 (Beginn des 30-jährigen Krieges)
-Melanchthons CA variata (1540) war streng genommen in den Rang eines
Verfassungsdokument des Reiches erhoben worden
-Der Relgionsfriede regelt die religiösen Angelegenheiten im Reich klar und dauerhaft. Er
bildete die Basis für die weitere Ausgestaltung der Reformation in den Gebieten, wo sie Fuß
gefasst hatte; dieser Prozess wird als Konfessionalisierung bezeichnet
-Mit dem Religionsfrieden endete die Reformation in Deutschland
-katholische Kirche reagierte auf die Reformation nicht nur mit Aus- und Abgrenzungen,
sondern auch mit einer inneren Erneuerung; sie wird als Katholische Reform (s.u.) bezeichnet
10. Das Konzil von Trient (1545-1563) und die Katholische Reform
-in den ersten Jahren der Reformation riefen Luther und die Reformatoren zu einem Konzil
-hier sollten die strittigen Fragen geklärt werden
-weil sich im 15. Jahrhundert in zwei großen Konzilien (Konstanz (1414-1418) und Konzil
von Basel/Ferrara/Florenz) gezeigt hatte, dass sich die Bischöfe auch notfalls gegen den papst
durchsetzten, sollten die Päpste der Reformationszeit kein Konzil
 Leo X. (1513-1521) sträubte sich ebenso vehement wie
 Clemens VII. (1523-1534)
-als die Päpste schließlich, unter dem Druck des Kaisers, später auch aus eigener Einsicht,
ein Konzil anberaumten, verweigerten die Evangelischen die Teilnahme
-Konzil von Trient, lat. Tridentinum wurde zu einer rein innerkatholischen Angelegenheit
-Konzil mündete in die Katholische Reform
10.1. Konzilsgedanken bei den Reformatoren
-im 16. Jahrhundert lag es nahe, die Klärung der durch die Reformation aufgeworfenen
Fragen und die Beseitigung der allenthalben beklagten kirchlichen Missstände durch ein
Konzil zu klären
-Luther forderte ein solches, kritisierte 1520 aber schon die Auffassung der Päpste, nur sie
könnten ein Konzil einberufen
-Luther liebäugelte wohl mit einem kaiserlich einberufenen Konzil, einem
Nationalkonzil
-Zwingli misstraute Konzilien generell; 1522: keine Lehrautorität von Konzilien
-Calvin war weder Anhänger noch Gegner des Konzilsgedankens, vertrat jedoch die Position,
nicht der Papst, sondern die Schrift habe das letzte Wort über ein Konzil
-im Laufe der Jahre trat der Konzilsgedanke immer weiter in den Hintergrund; immer mehr
klar wurde, dass ein Konzil nur „frei“ und „christlich“ sein konnte, wenn es nicht unter der
Macht und dem Einfluss des Papstes stehen würde
10.2. Mühsame Wege zum Konzil
-katholischen Kirche gelang es nicht, die Reformation zu besiegen, weil die Päpste zu
verhalten auf Luther reagierten, die katholischen Theologen ihm zu wenig entgegensetzten
und die Bischöfe zu spät mit den von allen für notwendig erachteten innerkirchlichen
Reformen begannen
-als das Konzil endlich einberufen wurde, hatten sich die protestantischen Auffassungen
schon so gefestigt, dass eine Teilnahme an jenem grundsätzlich abgelehnt wurde
-Papst Paul III. berief das Trienter Konzil ein; Spannungen mit dem Kaiser kennzeichneten es
-13. Dezember 1545: Eröffnung des Konzils (ohne evangelische Beteiligung)
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10.3. Trienter Konzil: 1. Phase (1545-1547)
-erste Konzilsphase fand noch unter Papst Paul III. statt
-Evangelische verweigerten geschlossen die Teilnahme
-Beschlüsse:
 katholische Kirche grenzt sich von der Reformation ab
 Bekenntnis zur Vulgata als gültiger Übersetzung der Bibel
 neben der Heiligen Schrift werden die kirchliche Tradition zur verbindlichen
Grundlage des kirchlichen Lebens und zu einer Quelle der göttlichen Offenbarung
erklärt
 Rechtfertigung: Der Mensch wird nicht allein durch Glauben von Gott als Gerechter
angesehen, sondern muss durch gute Werke zu seinem Heil beitragen
 Lehren Martin Luthers wurden verurteilt
-erst in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. konnten sich Repräsentanten der katholischen Kirche
dazu durchringen, von den Trienter Verdammungsurteilen abzurücken
-Konzil von Trient wurde nach Bologna verlagert und schließlich ganz eingestellt, weil es
infolge der Niederlage der Evangelischen im Schmalkaldischen Krieg nicht mehr nötig zu
sein schien.
10.4. Trienter Konzil: 2. Phase (1551-1552)
-zweite Konzilsphase fand unter Papst Julius III. statt
-Inhalt war die Sakramentenlehre
-in der katholischen Kirche gibt es sieben Sakramente (neben Eucharistie und Taufe
sind dies: Buße, Firmung, Ehe, Krankensalbung, Weihesakrament)
10.5. Protestanten auf dem Weg nach Trient
-zu allen Sitzungsperioden des Konzils wurden Protestanten ausdrücklich eingeladen
-nur an der zweiten Sitzungsperiode nahmen Vertreter der Evangelischen - unter kaiserlichem
Zwang - teil
-Johannes Brenz war einer der Teilnehmer
-die nach Trient gereisten Evangelischen kamen verschiedentlich zu Wort, fanden aber kein
Gehör
-Militärschlag des Moritz von Sachsen (s.o.) gegen den Kaiser zerstörte das keimende
Vertrauen restlos. Wieder kam es zu einem Abbruch der Verhandlungen infolge des
neuerlichen Krieges
10.6. Trienter Konzil: 3. Phase (1562-1563) und Abschluss (1564)
-dritte Phase tagte unter Pius IV., einem Papst, der deutlicher als seine Vorgänger nicht nur
das Konzil, sondern auch die Reform der Kirche wirklich wollte
-Reformdekrete:
 Ausbildung der Geistlichen wurde verbessert (Seminardekret)
 Kontrolle der Gemeinden durch Visitationen
 Bischöfe müssen sich in ihrem Bistum niederlassen (Residenzpflicht)
 Laien sollte bei der Eucharistie der Kelch auch weiterhin versagt bleiben
 Lehre vom Fegefeuer wurde dogmatisiert
 Ablass wird weiterhin angeboten, aber nicht mehr gegen Geld
-neben den Evangelischen waren in dieser Phase auch keine katholischen Bischöfe aus
Deutschland mehr anwesend. Sie blieben dem Konzil fern, um in ihrer Heimat nicht in den
Verdacht zu geraten, sie würden den Augsburger Religionsfrieden verletzen.
-Beschlüsse des Trienter Konzils prägten die katholische Kirche dauerhaft, weswegen das
Konzil zu den bedeutendsten Ereignissen der Kirchengeschichte gehört
31
10.7. Die Katholische Reform
-nicht Reformation, aber Reform lautete die Devise führender katholischer Theologen und
Kirchenmänner
-Reformation hat folglich nicht nur neue Kirchen hervorgebracht, sondern indirekt auch die
katholische Kirche verändert
-Individualisierung und Spiritualisierung des religiösen Lebens nahm zu
-neue Ausrichtung an der Bibel fand katholischerseits statt
10.8. Die Jesuiten im Dienst der Reform
-während die Reformation in Deutschland und der Schweiz ihre Triumphe feierte, entstand in
Italien ohne direkten Bezug hierzu ein neuer katholischer Mönchsorden, der später zum
entscheidenden Opponenten des Protestantismus werden sollte: der Orden der Jesuiten
(Gründer: Ignatius von Loyola)
-neuer Orden nannte sich „Gesellschaft Jesu“ (Societas Jesu, abgekürzt SJ), Kurzform
Jesuiten hat sich aber eingebürgert
-Orden wurde zum Träger der Gegenreformation
-wichtige Rolle spielte für Ignatius die Beschäftigung mit der Lebensgeschichte Jesu,
insbesondere mit seiner Leidensgeschichte
-Der Orden hat auch die kath. Theologie geprägt. An zahlreichen Hochschulen, besonders
1551 am „Collegium Romanum“, haben die Jesuiten zur Ausbildung des kath. Klerus
beigetragen
-Jesuiten wurden zu einem Wegbereiter der Moderne, allerdings wider Willen; im 18.Jh.
begann der Niedergang des Ordens mit dem Beginn der Aufklärung; es kam zu ersten
Verboten des Ordens
-1773 wurde der Jesuitenorden vom Papst aufgelöst, 1814 wieder hergestellt
-1872 begann ein Verbot in Deutschland, das bis 1917 dauerte.
-Seine alte Bedeutung hat der Orden anschließend nie wieder erlangt.
11. Anfänge des Konfessionellen Zeitalters
-erst im Reformationsgeschehen begannen sich die neu entstehenden Kirchen durch
Bekenntnisse zu definieren
-auf diesem Hintergrund bürgerte es sich im 19.Jh. ein, die einzelnen christlichen
Kirchen als Konfessionen zu bezeichnen
-Ernst Troeltsch führte den Begriff des „Konfessionellen Zeitalters“ ein
-dieses endete für ihn offiziell mit dem Jahr 1648
-inoffiziell begann es erst im 18.Jh. zu schwinden und löste sich erst im frühen
19.Jh. wirklich auf
11.1. Konfessionsbildung, Konfessionalisierung, Konfessionalismus
-„Konfessionelles Zeitalter“ ist ein statischer Begriff für eine Epoche, die eigentlich durch
Dynamik gekennzeichnet war
 Konfessionen waren geschaffen, mussten aber erst noch zur Geltung gebracht und
durchgesetzt werden
o sog. Konfessionalisierung
-Auf die Konfessionsbildung folgte die Konfessionalisierung und schuf ein Konfessionelles
Zeitalter, dessen Konfessionalismus weit über dieses Zeitalter hinaus wirkte
-Kirchen der Reformationszeit hatten eine gemeinsame Basis in den drei altkirchlichen
Bekenntnissen (Apostolikum, Nizänum, Athanasium)
-Entstehungshintergrund der altkirchlichen Bekenntnisse waren Lehrstreitigkeiten im
3.-4.Jh. sowie im 5.Jh. (vorwiegend Trinität und Christologie)
32
-Lehrstreitigkeiten im Luthertum brachten abschließend 1577 die „Konkordienformel“
hervor
-„Schmalkaldische Artikel“ waren ein Privatbekenntnis Luthers, das erst
nachträglich offiziellen Rang erhielt
-Reformierte Bekenntnisse waren u.a. 1536 die Confessio Helvetica Prior/1566
Confessio Helvetica Posterior, 1563 der Heidelberger Katechismus
-Auf das Konfessionelle Zeitalter und den Konfessionalismus folgte eine Epoche der
Entkonfessionalisierung
-parallel zum allgemeinen Bedeutungsverlust keimte jedoch im 19.Jh. unter
Lutheranern wie unter Reformierten eine neue Wertschätzung der Bekenntnisse
-im Jahr 1934 entstand mit der Barmer Theologischen Erklärung ein neues, lutherischen und
reformierten Christen gemeinsames, auf aktuelle Herausforderungen und Bedrohungen
reagierendes Bekenntnis, das in kurzer Zeit annähernd so viel Gewicht erhielt wie die
Confessio Augustana
11.2. Lehrkonflikte im Luthertum
-es ging bei den Konflikten um das Abendmahl, die Christologie und die Ethik, aber auch um
die Handauflegung bei der Ordination
-erster innerlutherischer Streit war der sog. antinomistische Streit, der nach einem Vorspiel
1527 im Jahr 1537 erneut entflammte
-Urheber war Johann Agricola
-Inhalt: Buße sei Folge der Predigt des Evangeliums, nicht der Predigt des
göttlichen Gesetzes
-Luther veröffentlichte in Reaktion hierauf 1537 Thesen gegen die „Antinomer“
(Gesetzesfeinde)
-Inhalt: Heilige Schrift sowie die menschliche Erfahrung beweisen, dass der
Mensch zur Buße angetrieben wird, wenn er sich die Gebote Gottes vor Augen
stellt
-1542 entbrannte der sog. Höllenstreit
-Johannes Aepinus/Inhalt: der vom NT erwähnte und im Glaubensbekenntnis
formulierte Höllenaufenthalt Christi ist Ausdruck seiner Erniedrigung und als
Strafersatzleistung zu verstehen
-Melanchthon sah die Höllenfahrt Christi aber als dessen Sieg über die Hölle an.
-Später kam es zu einem Gegensatz zwischen Lutheranern und Reformierten in dieser Frage,
weil die reformierte Theologie mit Aepinus die Höllenfahrt nicht als Sieg, sondern als
Erniedrigung, als tiefste seelische Qual der Gottverlassenheit am Kreuz ansah
-1547: Ordinationsstreit
-Frage, ob evangelische Pfarrer ordiniert werden müssen und ob der Ritus des
Handauflegens hier angewandt werden soll
-1548 begann der interimistische oder adiaphoristische Streit
-Bezeichnung „interimistisch“ nennt den hist. Anlass, die Bezeichnung „adiaphorisch“
nennt das Thema: angebliche Nebensächlichkeiten oder Mitteldinge (adiaphora gr.)
und der Umgang mit ihnen im Konfliktfall
-Beispiel: Ist das Tragen eines katholischen Messgewandes für einen ev.
Pfarrer unproblematisch oder ist es in einer Situation, in der wie 1547-1552 der
ev. Glaube als solcher bedroht war, verwerflich?
-erst in der Konkordienformel 1570 gelang es den Konflikt zu beruhigen
-1549: Streit um die Herausgabe von Luthers Werken zwischen Jena und Wittenberg
-es entstanden so eine Wittenberg und eine Jenaer Ausgabe der Werke M. Luthers
33
-1556: synergistischer Streit
-griff das zwischen Luther und Erasmus 1524/1525 umstrittene Thema der
Willensfreiheit auf
-Inhalt: Mitwirkung (gr. synergeo) des menschlichen Willens bei der Erlangung des
Heils
-1559 wurde der Streit beigelegt; einer der Kontrahenten (Victorin Strigel), der
behauptete, dass der menschliche Wille mitwirken müsse, wurde verhaftet
-Reformation wurzelte in einer theologischen Erkenntnis und hat von Anfang an dezidiert
theologisch argumentiert und die Relevanz der Theologie für die christliche Religion auch
dadurch verstärkt, dass sie die Zahl der Theologen erheblich vermehrt hat. Mit einer stärkeren
Betonung der Lehre musste eine Zunahme theologischer Streitigkeiten zwangsläufig
einhergehen
11.3. Konkordienformel und Konkordienbuch
-beigelegt wurden manche Streitigkeiten erst in der Konkordienformel (Formula Concordiae)
1577
-sie bildet eine abschließende lutherische Bekenntnisschrift und markiert
dogmengeschichtlich betrachtet das Ende der lutherischen Reformation
-Formel besteht aus drei Teilen: Vorrede, Epitome (Kurzfassungen), Solida Declaratio
(ausführliche Fassung)
-Themen: Erbsünde, Willensfreiheit, Glaube und Werke, Gesetz und Evangelium,
Abendmahl, Christologie, Kirchengebräuche, Prädestination
-zur Höllenfahrt Christi: Es reiche aus zu wissen, dass Christus in die Hölle gefahren ist und
diese für die Gläubigen zerstört und die Gläubigen von Tod, Teufel und Verdammnis befreit
habe
-Christus ist als Ganzer - Gott und Mensch - in die Hölle gefahren und hat dort den
Teufel besiegt
-Konkordienformel wurde 1580 mit der CA invariata von 1530 sowie weiteren im Luthertum
hoch geachteten Texten (Apologie zur CA, Schmalkaldische Artikel, Melanchthons Traktat
„Über die Macht des Papstes“, Katechismen) in einem Sammelband, dem sog.
Konkordienbuch, zusammengefasst und veröffentlich
11.4. Philippisten, Gnesiolutheraner, Kryptocalvinisten
-schon gleich nach Luthers Tod formierten sich die Anhänger und Nachfahren der
Wittenberger Reformation in theologisch und kirchenpolitisch unterschiedlichen Fraktionen
-im Kern ging es um die Frage nach dem Abendmahl, aber hiermit hingen auch Fragen
der Christologie zusammen, weil die Anhänger einer strengen Realpräsenzlehre diese
christologisch fundierten, indem sie in Erweiterung der altkirchlichen Zweinaturenlehre der menschlichen Natur des Auferstandenen kraft ihrer Teilhabe an der
göttlichen Natur und des damit verbundenen „Austausch der Eigenschaften“ (lat.:
communicatio idiomatum) Allgegenwart (Ubiquität) zubilligten
-Gruppen nach dem Tod Luthers:
 Philippisten
o waren Männer, die zwischen 1520 und 1540 geboren und von Melanchthon
beeinflusst, aber nicht unbedingt Theologen waren
o in Kursachsen war noch zu Lebzeiten Melanchthon eine Sammlung seiner
Schriften zur Lehrnorm erhoben worden: das sog. Corpus Doctrinae
Christianae (auch Corpus Doctrinae Philippicum)
o Philippisten wollten die Bildung fördern und die Welt erneuern
34


Gnesiolutheraner (von gr. gnesios=ehelich, echt, recht)
o wollten das unverfälschte Erbe Luthers bewahren
o Repräsentanten dieser Gruppe waren überwiegend Theologen
Kryptocalvinisten (von gr. kryptos=verborgen, geheim)
o Philippismus geriet in den Verdacht, eigentlich Calvinismus zu sein
Kerndaten des Konfessionellen Zeitalters:
1555 - Augsburger Religionsfriede
1577 - Konkordienformel
1580 - Konkordienbuch
1598 - Edikt von Nantes
1613 - Konfessionswechsel des Kurfürsten von Brandenburg
1618/1619 - Synode von Dordrecht
1618-1648 - Dreißigjähriger Krieg
1648 - Friede von Münster/Osnabrück
1685 - Aufhebung des Edikts von Nantes
11.5. Lutherische Orthodoxie
-kirchengeschichtlich folgt auf die Reformation das Konfessionelle Zeitalter,
theologiegeschichtlich das Zeitalter der Orthodoxie
-auf der Basis der Konkordienformel entstand die lutherische Orthodoxie mit einer streng
konfessionsgebundenen Theologie
-Begriff Orthodoxie meint wörtlich Rechtgläubigkeit (gr. orthos=gerade, richtig; gr.
dokeo=glauben)
-unterschieden wird die lutherische von der reformierten Orthodoxie
-gemäß des reformatorischen Schriftprizips wurde fast ausschließlich mit der Bibel
argumentiert, was durch Theorien über die Verbalinspiration der Bibel abgesichert wurde.
Das einstmals so befreiende reformatorische Schriftprinzip nahm damit Züge der Unfreiheit
und Enge an
-Sitz im Leben dieser Theologie war die Universität, nicht die Gemeinde
-Repräsentant war der an der Universität Wittenberg lehrende Leonhard Hütter; sein Lehrbuch
„Compendium locorum theologicorum (1610)“ gilt als Grundlage lutherischer Orthodoxie
-zu einer weiteren Hochburg lutherischer Theologie entwickelte sich die 1607 gegründete
Universität Gießen
-zwischen dem lutherischen Gießen und dem lutherischen Tübingen entstand 1619 ein
Lehrkonflikt um die Frage der Christologie, der als Kenosis-Krypsis-Streit in die
Geschichte eingegangen ist
-Frage, ob Jesus Christus als Mensch seine göttlichen Eigenschaften und
Befähigungen nur verborgen (gr. krypto=verbergen) - so die Tübinger Position
- oder ob er sie entäußert (gr. kenoo=ausleeren) - so die Gießener Position hat.
-bekanntester orthodoxer Theologe des Luthertums war Johann Gerhard; Hauptwerk „Loci
theologici“ (1610)
-auch bekannt ist Paul Gerhard als Repräsentant, durch seine Lieder hat er nachhaltig die
evangelische Geschichte geprägt (1647 erste Lieder bspw. „Ein Lämmlein geht und trägt die
Schuld“)
-Das orthodoxe Denken versiegte im Laufe des 18.Jhs. Doch im 19.Jh. kam es zu einem
überraschenden Neubeginn. Um die Orthodoxie des 16.-18.Jhs. von der des 19.Jhs. zu
unterscheiden, spricht man einerseits von der altprotestantischen, andererseits von der
neuprotestantischen Orthodoxie. Beide Spielarten gab es sowohl bei den Lutheranern als auch
bei den Reformierten
35
11.6. Reformierte Orthodoxie
-wichtige Zentren waren Leiden, Saumur, Herborn, Basel, Genf
-reformierte Theologen besaßen ein ausgeprägtes exegetisches Interesse
-Repräsentanten: Gisbert Voetius, Johannes Coccejus
-Entstehung der Föderaltheologie: Theologie, welche die Geschichte Israels und der Kirche
unter dem Aspekt des von Gott mit dem Menschen geschlossenen Bundes (lat. foedus=Bund)
betrachtete.
-Coccejus beschreibt die Heilsgeschichte durch die Aufeinanderfolge verschiedener
Bundesschlüsse
 Werkbund - verheißt das ewige Leben aufgrund der Erfüllung des Gesetzes
 Gnadenbund - verheißt das ewige Leben aufgrund des Glaubens an Christus
11.7. Die Synode von Dordrecht (1618/1619) und der Arminianismus
-bleibende Herausforderung für die reformierte Theologie war die Prädestinationslehre
-Theodor Beza sprach dezidiert von einer doppelten Prädestination: Gott hat schon vor der
Grundlegung der Welt einen Teil der späteren Menschen zur Seligkeit und den anderen zur
Verdammnis bestimmt
-Buße, Glaube, Rechtfertigung und Heiligung als Kennzeichen der Erwählten
-in der Folge bemühten sich die Menschen darum, sich selbst - und anderen durch Taten zu beweisen, dass sie zu den Erwählten gehörten. Die „Werke“
wurden plötzlich wieder wichtig, zwar nicht, um Gerechtigkeit vor Gott zu
erwerben, aber als Nachweis, dass man zu den aus Gnade Gerechtfertigten
gehörte
-Jacobus Arminius relativierte die Lehre von der göttlichen Vorherbestimmung, indem er den
Menschen die Möglichkeit einräumte, Gottes Gnade anzunehmen oder abzulehnen. Die
Gegner beschimpften diese Position als Arminianismus
-den Regierenden der Niederlage missfiel der Konflikt; sie beriefen eine Synode zusammen
(1618/1619 in Dordrecht)
-theologische Erklärung einer strengen Prädestinationslehre: Gottes Gnade kann der
Mensch nicht widerstehen, Gottes Erwählungshandeln geschah schon vor dem
Sündenfall und war unabhängig vom Glauben der Menschen, Christus ist nur für die
Erwählten gestorben
-Beschlüsse der Synode bekamen später Bekenntnisrang
12. Barockscholastik, romanische Mystik, Jansenismus
-in der katholischen Kirche kam es auf dem Hintergrund der Reformation und auf der Basis
der Beschlüsse der Trienter Konzils in Theologie und Frömmigkeit zu neuen Entwicklungen:
 Barockscholastik: mittelalterliche Theologie in neuem Gewand
 Romanische Mystik: neue Frömmigkeitsformen und neue Orden
 Jansenius und der Jansenismus: Augustin-Renaissance im Katholizismus
13. Dreißigjähriger Krieg (1618-1648) und Westfälischer Friede (1648)
-nach Passauer Vertrag und Augsburger Religionsfriede brach (nach 66 Jahren Friedenszeit)
ein Krieg aus
-Deutschland und halb Europa erfasste eine Kirchenspaltung und führte in Verbindung mit
machtpolitischem Interesse zu einem gewaltsamen Konflikt
-30 Jahre Kampf, am Ende gab es keinen Sieger
-Friedensschluss von 1648 bestätigte den Augsburger Religionsfrieden und hatte für die
europäische Geschichte eine ebenso große Bedeutung wie dieser
36
13.1. Konfessionalisierung, Rekatholisierung, Gegenreformation
-in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. standen sich ein durch Religionsfrieden gesicherter
Protestantismus und ein durch das Konzil gefestigter Katholizismus gegenüber
-ein Prozess der Zurückdrängung des Protestantismus begann
-sog. Gegenreformation
-die für den Katholizismus wiedergewonnenen Gebiete wurden konsequent nach den in Trient
definierten kirchlichen Normen zurückgeprägt
-für diesen Formierungsprozess hat sich der Name „Konfessionalisierung“ eingebürgert
-Gegenreformation ging einher mit einer katholischen Konfessionalisierung
-lutherische Konfessionalisierungen gab es bereits 1552 in Württemberg, 1568 in
Braunschweig
-Vorreiter der Gegenreformation, Träger der Katholischen Reform waren in erster Linie die
Jesuiten
-besonders Petrus Canisius
-spielte bei der Niederschlagung der Kölner Reformation bedeutende Rolle
-1568: Gründung einer speziellen Einrichtung zur Unterstützung der Arbeit der Jesuiten im
Reich, die sog. Congregatio Germanica
-dies zeigte Erfolg; sowohl moderate innere Erneuerung der kath. Kirche wie die
äußere Rückgewinnung katholischer Gebiete und ihre Konsolidierung
-1600: katholischer Übergewicht im Reichstag
-von 1582 an: Katholische und Evangelische lebten nach einem unterschiedlichen Kalender
13.2. Der Dreißigjährige Krieg und seine Folgen
-Kriegsbeginn 1618 in Böhmen
-zwei kaiserliche Räte und einer ihrer Sekretäre wurden in Prag von Protestanten aus
dem Fenster des Hradschin (Prager Burg) geworfen - sog. Prager Fenstersturz
-1629: Kaiserliches Restitutionsedikt, das besagte, dass alle seit dem Passauer Vertrag 1552
eingezogenen geistlichen Güter der Evangelischen wieder zurückgegeben werden müssten
(lat.: restituere)
-das den Protestanten entzogene Kirchengut wurde den Jesuiten zugespielt
-in diese Situation griff Gustav II. Adolf von Schweden in den Krieg ein
-er errang große Erfolge, fiel aber später auf dem Schlachtfeld
-1635: katholisches Frankreich tritt in den Krieg ein - spätestens hier wird der Krieg
„europäisch“
-Schlachten forderten Menschenleben, er war aber auch begleitet von Seuchen,
Fluchtbewegungen und Hungersnöten
-Plünderungen von Dörfern, Kirchen und Klöstern
-für die Bevölkerung machte es keinen Unterschied, ob kaiserliche oder schwedische
Truppen das Land durchzogen
-Christen suchten das Geschehen religiös zu deuten als göttliche Strafe
13.3. Der Friede von Münster und Osnabrück
-die am Krieg beteiligten strebten erst von 1640 an nach einer Verhandlungslösung
-1644: Aufnahme konkreter Friedensverhandlungen
-1648: Friede von Münster und Osnabrück
-sog. Westfälischer Friede, der bis 1806 im Reich im Rang eines Grundgesetzes stehen
sollte
-Ergebnisse des Friedensschlusses:
 Sicherung des Augsburger Religionsfriedens von 1555
 Ausdehnung des Religionsfriedens auf den Calvinismus
37



wenn ein Landesherr seine Konfession veränderte, durfte die Bevölkerung nicht mehr
zum Wechsel gezwungen werden (verändertes ius reformandi)
getrennte Verhandlungsgremien der evangelischen und katholischen Reichsstände an
Reichstagen
Anerkennung der Unabhängigkeit der Niederlande und der Schweiz - sie gehörten
fortan nicht mehr zum Reich
-„Den Augsburgerischen Konfessionsverwandten, die im Besitz von Kirchen waren,...soll in kirchlichen
Dingen der Zustand des Jahres 1624 erhalten bleiben, und den übrigen, die es wünschen werden, soll die
Ausübung der Augsburgerischen Konfession sowohl öffentlich in Kirchen zu festgesetzten Stunden als auch
privat in eigen oder fremden hierzu bestimmten Häusern durch ihre oder benachbarte Diener des göttlichen
Wortes freigestellt sein.“
-1648 war ein wichtiges Jahr der Toleranz und wird deshalb als der eigentliche Beginn der
Neuzeit angesehen
-dennoch war es eine begrenzte Toleranz
-gegen den Frieden protestierten einige strenge Lutheraner sowie engstirnige Jesuiten
-auch Papst Innozenz X. protestierte gegen den Frieden von Münster/Osnabrück im
September 1650
13.4. Krieg als Gericht, Friede als Geschenk, Reform als Konsequenz
-Als Folge des Krieges und seiner Deutung als göttliches Strafgericht, das zu Buße und
Umkehr rufe, wurde in vielen Regionen Deutschlands schon in der Mitte des 17.Jhs. über die
Reform von Kirche und Gesellschaft nachgedacht
-Theologieprofessor in Straßburg (Johann Schmidt u.a.) forderten eine verstärkte
katechetische Unterweisung der Jugend; englische Erbauungsliteratur
-im Herzogtum Sachsen-Gotha engagierte sich der Landesherr, Ernst der Fromme, für die
Erneuerung der Kirche und des gesellschaftlichen Lebens
-Thema Bildung wurde wichtig; alle Kinder sollten ab dem 6. Lebensjahr eingeschult werden
-konkrete Einigungspläne der drei geduldeten Religionen wurden ebenfalls formuliert
-Wittenberg opponierte gegen die Ideen (als Hochburg des strengen Luthertums) und erhob
v.a. gegen Georg Calixt (der um den Ausgleich der Religionen bemüht war) den Vorwurf des
Kryptocalvinismus und den neuen des Synkretismus. Es kam zu einer Auseinandersetzung,
die als synkretistischer Streit in die Geschichte Eingang gefunden hat
-Calixt hatte mit seinen Ideen keinerlei Erfolg. Er fand auch nur wenig Anhänger. Er
war ein einsamer Vorläufer der ökumenischen Bewegung des 20. Jhs.
-weitere Initiativen, Lutheraner und Reformierte durch Religionsgespräche
zusammenzubringen gab es u.a. in Leipzig, Kassel und Berlin; sie scheiterten
14. Juden und Christen im 16. und 17. Jahrhundert
-Einbeziehung der jüdischen und jüdisch-christlichen Geschichte in Darstellungen der
Kirchen-, Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte muss geboten sein.
-durch das Ereignis der Schoah, in der 6 Millionen Juden ihr Leben ließen, werden gerade die
Kirchen und die Theologie in Deutschland dazu gezwungen, nach der eigenen
Mitverantwortung an diesen Verbrechen zu fragen
14.1. Erwartungen der Juden an die Reformation
-im späten Mittelalter fanden bereits viele Judenvertreibungen statt (Thüringen, Trier, Köln,
Bern, Mainz, Württemberg, Ulm, Brandenburg, Hessen u.v.m)
-Juden sahen deutliche Gemeinsamkeiten zwischen sich und den Reformatoren: die
Zentralstellung der Bibel im Gottesdienst, die Ablehnung der Heiligenverehrung, die
Verurteilung des Bilderkults, die Mündigsprechung der Laien
-auch die Distanzierung vom Mönchtum ließ die Reformation als judaisierte Form des
Christentums erscheinen
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-Hoffnung, Christen würden sich nunmehr dem jüdischen Glauben zuwenden; Luther
selbst schien ein heimlicher Jude zu sein
-verschiedene Altgläubige gaben den Juden sogar die Schuld an der Reformation und Luther
haben sie als Halbjuden diffamiert
-von Luther selbst kamen 1523 zunächst judenfreundliche Signale; Schrift „Dass Jesus
Christus ein geborner Jude sei“
-Forderung, die Juden nicht als Hunde und Unmenschen zu behandeln, ihnen Liebe zu
erweisen
-es kam in der Folgezeit zu Kontaktaufnahmen jüdischerseits mit Luther
-Die Erwartungen der Juden an die Reformation wurden in vielerlei Hinsicht enttäuscht. Die
Reformation war kein judaisierendes Christentum, Luther kein heimlicher Jude, die erhoffte
Zeitenwende trat nicht ein
-als Luther 1546 starb, wünschte ihm Josel (Joseph von Rosheim) er möge „mit Seele
und Leib“ in der Hölle schmachten
-Grund waren Luthers Judenschriften der vierziger Jahre
14.2. Luthers Judenfeindlichkeit und ihre Folgen
-von 1538 an trat Luhter mit judenfeindlichen Schriften an die Öffentlichkeit
-„Brief wider die Sabbater“, nachdem Luther erfahren hatte, dass sich Christen in Mähren
beschneiden ließen und die jüdischen Ritualgesetze beachteten
-Jahreswechsel 1642/1543: „Von den Juden und ihren Lügen“
-Luther distanziert sich vom Judentum
-es steht fest, „dass die Juden gewisslich von Gott verworfen und nicht mehr sein Volk
sind, er auch nicht mehr ihr Gott sei.“
-zur jüdischen Messiashoffnung führte er aus: „Wenn mir Gott keinen anderen
Messias geben wollte, als wie die Juden ihn begehren und hoffen, so wollte ich viel,
viel lieber eine Sau, denn ein Mensch sein.“
-Luther forderte die Niederbrennung der Synagogen und Vernichtung jüdischer
Wohnhäuser
-1543: „Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi“
-Luther warnt hierin die Christen vor den Juden
-Juden sind der „der Teufel selbst“
-Juden sind „giftige, böse Würmer“; auch begegnet bei ihm der Begriff „Sau-Juden“
-zwischen Luthers Position 1523 (judenfreundlich) und den späteren Äußerungen
(judenfeindlich) liegen Welten
-Gründe für den Umschwung könnten sein:
 Nicht eingetretene Judenbekehrung
 Krankheit Luthers
 sich verändernde Persönlichkeitsstruktur Luthers
 biographischer Hintergrund (Bettelorden der Augustiner waren im Mittelalter
die Speerspitze des Antijudaismus)
-frühere Forschung maß den Texten Luthers zu den Juden kaum Beachtung bei
-neuere Forschung zeigt, dass nicht alle Gelehrten des frühen 16. Jhs. judenfeindlich
eingestellt waren und sich einer aggressiven Sprache bedienten, dass die Verbindungslinien
vom Antijudaismus zum Antisemitismus groß und deutlich waren und dass Luthers Schriften
gelesen und in handfesten praktischen Konflikten verwendet wurden
-in den Kirchen der Reformation herrschte eine judenfeindliche Grundstimmung
[14.3. Philosemiten in Holland und England - ausgelassen]
39
14.4. Judenmission und Judentaufen
-auch ohne kirchliche Missionsbemühungen gab es immer wieder auch Juden, die von sich
aus begehrten, Christen zu werden
-Motive der Taufbewerber im 16. und 17.Jh. lassen sich nur schwer ergründen
-die Kirchen empfingen jüdische Taufbewerber nicht mit offenen Armen
-Taufbegehren wurde oft abgeschlagen
-erfolgte eine Taufe, so musste der Bewerber im Gottesdienst dem Judentum abschwören
-sie wurden auch nach der Taufe nie vollständig Christen, sondern blieben im Status eines
Proselyten („Hinzugekommene“
-da die Taufe bzw. der Katechismusunterricht die Kirche in die Pflicht nahm, für die
Bewerber finanziell zu sorgen, war ein Taufbetrug (mehrmaliges Taufen) für manche von
Armut betroffene Juden gang und gäbe
15. Pietismus, Aufklärung und das Ende des Konfessionellen Zeitalters
-Das Ende des Konfessionellen Zeitalters war eher ein Prozess als das fixe Datum 1648
-Schlusspunkte waren ungefähr 1789 - franz. Revolution; 1815 - Wiener Kongress
-Friede von Münster und Osnabrück gewährte mehr politische und religiöse Freiheit, beendete
aber nicht das konfessionelle Denken
-1685 - Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich
-1689 - Verbot des Katholizismus in England
-1731/1732 - Vertreibung der Protestanten aus Salzburg
-1744/1745 - Vertreibung der Juden aus Prag
-für den Sieg über den Konfessionalismus sollten zwei Bewegungen entscheidend werden,
nämlich
 die Aufklärung (mit Wurzeln in der franz. Revolution)
 Pietismus (Beginn ca. 1675 mit „Pia Desideria“ - Spener)
15.1. Frömmigkeitskrisen und Frömmigkeitsbrüche
-um 1600 war der reformatorische Elan verflogen
-nahezu alles war nun geregelt, und die Pfarrer waren gut situierte staatliche Beamte
-selbst strenge Kirchenzucht konnte die Menschen in calvinistischen Gemeinden nicht davon
abhalten, zu sündigen
-politisch folgte auf eine lange Phase des Aufschwungs eine Periode der Depression
-untere Schichten verarmten
-Länder- und konfessionsübergreifend erhoben im ausgehenden 16. und beginnenden 17.Jh.
prophetische Mahner ihre Stimme
-manche erwähnten das Ende der Welt und das Jüngste Gericht
-andere forderten zur Buße auf
15.2. Weigel und Böhme: Mystik im Protestantismus
-im deutschen Luthertum dominierte im Konfessionellen Zeitalter das orthodox-lehrhafte
Denken, aber es gab auch spiritualistisch und mystische Einzelgänger und Außenseiter
-bekannt waren Valentin Weigel und Jacob Böhme
-Valentin Weigel (1533-1588):
 wirkte äußerlich als normaler lutherischer Pfarrer bei Chemnitz
 seine Schriften zeigen aber mystische und spiritualistische Elemente
 wahre Kirche war für ihn eine unsichtbare Größe
40
-Jacob Böhme (1575-1624):
 Laientheologe, Mystiker, Theosoph und Esoteriker
 Ehrentitel „Philosophus teutonicus“, deutscher Philosoph
 lehnte das gelehrt-akademische Wissen abgelehnt und bezeichnete sich selbst als
„Philosoph der Einfältigen“
 visionäre Erlebnisse und Erleuchtungen durchdringen seine Biographie
 seine Schriften haben teilweise einen philosophisch-spekulativen Charakter, teilweise
sind es aber auch Anleitungen zum geistlichen Leben, darunter viele Gebetstexte
o Inhalte: Natur und Kosmos, Himmel und Erde, Licht und Dunkel, Gut und
Böse, Sterben und Leben usw.
15.3. Arndt und das „Wahre Christentum“
-von höchster Bedeutung für die Frömmigkeitsgeschichte des Protestantismus im 17. und
18.Jh. war der lutherische Theologe Johann Arndt
Kurzbiographie: Johann Arndt
1555 - Geburt
1583 - Pfarrer in Ballenstedt
1590 - Entlassung
1590 - Pfarrer in Quedlinburg
1599 - Pfarrer in Braunschweig
1605 - „Von wahrem Christentum“
1609 - Pfarrer in Eisleben
1611 - Generalsuperintendent in Celle
1612 - „Paradies-Gärtlein”
1621 - Tod
-Arndt studierte an unterschiedlichen Orten, was zu dieser Zeit recht ungewöhnlich war
-normalerweise pflegte man - anders als im Mittelalter - an nur einer Universität des
Heimatlandes zu studieren
-theologisch war Arndt, geprägt vom Studium in Wittenberg, strenger Lutheraner
-Hauptwerk: „Vier Bücher vom wahren Christentum“
-Inhalt: heilsame Buße, herzliche Reue, vom Leid über die Sünde,
-Forderung: Erneuerung des Menschen durch wahre Buße, Abwendung von der Welt,
einem Leben in der Liebe
-Rechte Lehre reicht nicht, hinzu muss das rechte Leben kommen
-Kritiker beschuldigten Arndt einer Theologie, in welcher der Mensch nicht allein durch
Gottes Gnade gerecht werde, sondern durch Werke.
-Folge: strenge Zensur seiner Schriften
-dennoch wurde das Werk „Wahres Christentum“ zum erfolgreichsten Erbauungsbuch
der lutherischen Kirche
-theologiegeschichtliche bedeutsam war sein Werk durch
 die Forderung zur Erneuerung des Lebenswandels
 die Forderung zur Erneuerung der Frömmigkeitspraxis
 Arndts Beschäftigung mit den katholischen Quellen des Mittelalters
-es gab im Protestantismus offenbar ein unbefriedigtes Bedürfnis nach religiöser Innerlichkeit,
nach unmittelbarer religiöser Erfahrung
-hieran knüpfte der Pietismus später an
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15.4. Descartes und die „Grundlage der Philosophie“
-was Arndt für den Pietismus war, war Descartes (1596-1650) für die Aufklärung
-„Cogito, ergo sum“ begründete erstmals, nach Jahrhunderten der Abhängigkeit der
Philosophie von der Theologie, eine Eigenständigkeit der philosophischen Lehre
-katholische Kirche setzte Descartes 1663 auf den Index der verbotenen Bücher
15.5. Pietismus und Aufklärung als Bahnbrecher der Moderne
-Geistesbewegung der Aufklärung und die Frömmigkeitsbewegung des Pietismus bekämpften
und beendeten das konfessionelle Denken und Handeln und bahnten der Moderne den Weg
-Aufklärung war keine christliche Bewegung, entfaltete sich aber auf der Basis einer vom
Christentum geprägten Kultur
-Kernsatz: „Der Weg des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“
(Immanuel Kant)
-Forderung nach Bildung und Toleranz kennzeichnen die Aufklärung
-auch für die Theologie hatte die Aufklärung Folgen:
 Wissenschaften befreiten sich von der Vorherschaft der Theologie
 Biblisches Weltbild wurde nachhaltig bestritten
 Naturwissenschaft brachte neue Erkenntnisse von Welt und Mensch
-parallel zu Jansenismus und romanischer Mystik im Katholizismus (s.o.) entwickelte sich im
Protestantismus der Pietismus
-als Erneuerungsbewegung war er verwandt mit der Reformation
-als Frömmigkeitsbewegung war er verwandt mit dem Puritanismus
-Wurzeln bei Arndt, eigentlicher Beginn bei Spener
-Philipp Jakob Spener:
 gilt als Begründer des Pietismus
 lat.: pietas - Frömmigkeit, das Haupanliegen der Bewegung
 1675: Schrift „Pia desideria“
o Entfaltung der Reformvorschläge: Verbreitung und Lektüre der Bibel,
Verwirklichung des allgemeinen Priestertums
-August Hermann Francke, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (Herrnhuter
Brudergemeine), Johann Albrecht Bengel als weitere Vertreter (siehe Neuzeit - Hauschild)
-Mit seiner Ausrichtung auf die praktische Frömmigkeit reduzierte der Pietismus die Relevanz
der kirchlichen Bekenntnisse und der theologischen Lehre für das Christsein und bereitete der
Entkonfessionalisierung den Weg
Überblick: Gemeinsamkeiten von Pietismus und Aufklärung
 fortschrittlicher Charakter: Streben nach Weiter- und Fortentwicklung des Denkens
 optimistischer Charakter: Welt und Mensch sind verbesserbar; Glaube an bessere
Zukunft
 subjektivistischer Charakter: Mensch als Subjekt im Vordergrund
 praktischer Charakter: zielten auf die Auswirkungen der Lehre im Leben der
Einzelnen
 irenischer Charakter: Gegen Polemik und Streitsucht; Toleranz ggü. Religionen,
anderen Völkern und Ländern
 populärer Charakter: Protest gegen eine Theologenherrschaft in der Kirche; Erhöhung
des allgemeinen Bildungsniveaus
-Weil sich wahres Christentum für den Pietismus nicht durch die Bindung an Bekenntnisse
erwies, sondern in der Heiligung, in der Nachfolge Jesu, wurden die traditionellen
Konfessionsgrenzen durch eine Nachfolge-Jesu-Ekklesiologie nachhaltig relativiert und dem
Konfessionellen Zeitalter die letzten Stützen entzogen.
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