1. Opfer Nummer

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1. Opfer Nummer Zwei_________________________________________________________
„Notrufzentrale. Was für ein Notfall haben sie?“, fragte die Dame von Rettungsdienst.
Nach einigen Sekunden Stille am anderen Ende der Leitung, ertönte schließlich eine verängstigte
weibliche Stimme: „Mein Freund. Ich…ich glaube er ist tot!“
„Wie ist ihr Name Madam?“
„Jocelin Jacobs.“
„Gut, Ms Jacobs. Können sie mir sagen, wo sie sich befinden?“, Mrs Crawl hatte diese Situation schon
oft genug durchgespielt. Immer wieder, teilweise sogar mehrmals am Tag gingen solche Notrufe bei
ihr ein. Daran musste man sich einfach gewöhnen, wenn man Polizeibeamtin in New York war.
„Was haben wir?“, fragte Agent Jonathan Taylor.
Der afro-amerikanische Gerichtsmediziner sah auf und zog das Thermometer aus der Leber. Er kniete
neben dem Opfer auf dem Parkettboden eines Appartements. Der Pathologe seufzte „Bis jetzt nicht
wirklich viel. Das Opfer heißt Martin King, 33 Jahre alt. Der Tot ist vor drei bis vier Stunden
aufgetreten. Keine äußerlichen Verletzungen. Nur ein kleines Einstichloch in Arm. Näheres kann ich
erst nach der Autopsie sagen.“
Das war wirklich nicht viel. Vielleicht war es diesmal nur ein Herzinfarkt? Taylor schob den Gedanken
bei Seite, bedankte sich bei dem Pathologen, der gleichzeitig ein recht guter Freund von ihm war. Die
beiden hatten sich sofort nach der Einstellung von Jonathan vor zehn Jahren kennengelernt und da
sie fortan miteinander arbeiten, ein immer enger werdendes Verhältnis aufgebaut.
Da noch keiner seiner beiden Ermittler am Tatort eingetroffen war, begann SSA Taylor schon mal
damit, sich den Tatort näher anzuschauen.
Doch auch daran war nichts Ungewöhnliches zu entdecken; es waren keine Schubladen
aufgebrochen und keine Bilder mitgenommen worden. Auch die wenigen Wertsachen, die auf einer
Kommode lagen, waren unberührt. Auf den Ersten Blick war das Verbrechen also kein Raubüberfall
gewesen. Ebenso gab es keine Anzeichen für einen Kampf und auch keine Einbruchsspuren an der
Tür. Das Opfer musste den Täter also gekannt, oder zumindest soweit vertraut haben, dass er ihm
bereitwillig die Tür öffnete und an sich rankommen ließ.
„Schon was entdeckt, Chef?“, fragte einer von Agent Taylors Ermittlern, die gerade am Tatort
eingetroffen waren.
Jonathan schüttelte den Kopf und fasste seine Gedanken zusammen: „Nein. Weder an der Leiche,
noch in der Wohnung, Donnelly. Das Opfer muss, wenn es denn Mord war, den Täter freiwillig in die
Wohnung gelassen haben.“
Agent Christopher Donnelly sah seinen Chef an. „Das kann ja was werden…“
Der Agent war Mitte zwanzig, und war recht gut gebaut. Die etwas längeren blonden Haare, die
immer ein bisschen ungeordnet waren, und die grasgrünen Augen ließen den jungen Mann sofort
sympathisch erscheinen, zumal er nicht, wie die meisten Agents immer in Anzug herumlief, sondern
sich meisten mit Jeans, T-Shirt und Sakko begnügte.
Nun mischte sich auch Theresa Franklin ein: „Hast du vorhin angedeutet, dass es eventuell gar kein
Mord war?“
Diesmal nickte der Chef-Ermittler. „Richtig. Martin King hat keine äußerlichen Verletzungen. Es kann
einfach ein Herzinfarkt gewesen sein.“
„Mit 33 Jahren? Eher unwahrscheinlich.“, gab Donnelly zu bedenken.
„Irgendwann trifft es jeden. Und mit jeder Sekunde rücken wir unserem Ende ein Stück näher.“
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„Nun sei mal nicht immer so negativ eingestellt!“, meinte Agent Franklin, während sie sich die glatten
Schulterlangen schwarzen Haare hinter die Ohren strich.
Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: „Warum haben wir eigentlich den Fall bekommen? Ich
meine, warum interessiert sic h denn das FBI für einen Typen, der zu 99% an einem Herzinfarkt
gestorben ist?“
„Weil das schon der Zweite ist. Vor drei Tagen wurde Bliss Rosenberg gefunden. Auch sie hatte, dem
ersten Anschein nach, keine äußerlichen Verletzungen. Die Todesursache war jedoch etwas
Außergewöhnliches.“ Taylor sah in die Runde. „Na, irgendwelche Vermutungen? Nein? Mrs
Rosenberg wurde Luft in die Vene gespritzt. Eine Mordmethode, die fast keine Spuren hinterlässt.“
„Richtig.“, ertönte auf einmal eine Stimme von hinten.
Die Ermittler drehten sich um und sahen in das freundliche und rundliche Gesicht von Eddy Johnson,
dem Gerichtsmediziner. „Diese, zugegebener weise etwas verwunderliche Art einen Menschen
loszuwerden, ist verdammt schwer nachzuweisen. Man kann die Bewiese schnell vernichten, wenn
man nicht weiß, wonach man sucht. Wollt ihr wissen, wie man es feststellt? Wahrscheinlich nicht,
aber ich erzähl‘s euch trotzdem. Man muss alle Zugänge zum Herzen luftdicht verschließen. Dann das
Herz entfernen und in ein mit Wasser gefülltes Gefäß geben. Danach werden die Verschlüsse
entfernt. Wenn Luft in dem Herz ist, dann blubbert es.“
Mit einem Grinsen auf dem Gesicht drehte Eddy sich um und ließ die erstaunten Ermittler in der
Wohnung stehen. Der nette Mediziner beeindruckte die Agents immer wieder mit seiner
unbeschwerten und freundlichen Art, obwohl er so nah mit dem Tod arbeitete.
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2. Zwei Mr. James? __________________________________________________________
Als die Bundesbeamten wieder im Hauptgebäude des FBI eingetroffen waren, verdonnerte, der doch
eigentlich recht liebenswürdige, Taylor seine Agents dazu, schon mal zu sehen, ob es irgendwelche
Parallelen zwischen den beiden Fällen gab. Er selbst ging runter in die Autopsie, wo er von dem
Kreischen einer Säge begrüßt wurde.
„Ed! ED!! Hey! Mach die Säge aus“, schrie er den Pathalogen an.
Dieser machte, nach einer Geste kurz zu warten, unbeirrt mit seiner Arbeit weiter. Jonathan blieb
also nichts anderes übrig, als dem Wink zu folgen, bis Dr. Johnson den y-förmigen Schnitt quer über
den Torso fertig hatte.
„So, John. Bist du nur hier um mir zuzugucken, oder könntest du mir eventuell behilflich sein?“
Agent Taylor grinste den Gerichtsmediziner mit seinen tadellosen Zähnen an. „Aber immer doch,
Ed.“
„Na schön. Dann kannst du mir schon mal zwei Klammern holen und den Wasserbehälter füllen.“,
meinte Eddy, ohne den Blick von der Leiche zu wenden.
Als Jonathan die gewünschten Sachen auf den, aus Metall gefertigten silbern-glänzenden Tisch
stellte, hatte Dr. Johnson schon das Herz freigelegt.
„Gib mir doch bitte die beiden Klammern. Gut. Und nun das Skalpell neben dir. Danke.“ Er hatte die
Klammern befestigt und schnitt die Venen und Arterien hinter diesen ab. Das luftdicht verschlossene
Herz tauchte der Mediziner in das mit Wasser gefüllte Gefäß.
„Bereit für den großen Moment?“, mit diesen Worten nahm Eddy die Klammern ab – aus dem
Herzen stiegen kleine Luftblasen auf und zerplatzten an der Wasseroberfläche.
Agent Taylors Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Dann haben wir es jetzt mit einem Serienmörder
zutun und haben keinerlei Hinweise, außer das er medizinische Fachkenntnisse hat.“
„Naja, dann verdächtigt ihr zumindest nicht mehr ganz New York…“
Als Agent Taylor aus dem Fahrstuhl stieg, warteten Theresa und Christopher schon.
„Was gibt’s? Irgendwelche Parallelen?“
Alle beide schüttelten den Kopf.
„Keine. Absolut nichts. Sie kauften nicht einmal in demselben Laden ein.“, berichtete Theresa.
„Was ernsthaft? Irgendetwas muss es doch geben? Gemeinsame Freunde, Sport, irgendetwas.“,
hakte Jonathan nach.
„Nein. Gar nichts. Die beiden Opfer verbindet nichts außer dass sie in derselben Stadt leben, und das
ist nicht gerade unwahrscheinlich.“, wiederholte Donnelly.
„Da hast du allerdings recht. Schade, ich hatte eigentlich erwartet, dass wir den Mörder schnell
dingfest machen. Das wird wohl nichts.“
„Na klasse, das bedeutet jede Menge Überstunden...“, murmelte Agent Donnelly.
Teresa lächelte: „Kopf hoch Chris, dann bist du weniger Stunden alleine.“
„Ach und du nicht, oder was?“
Während sich die beiden Agents weiterhin neckten, war es diesmal Taylors Part den Kopf zu
schütteln.
„Wenn wir uns dann mal wieder dem Fall zuwenden könnten…“
„Natürlich, `tschuldigung Chef“
Mittlerweile hatten sie ihren Bürotrakt erreicht und setzten sich an ihre Computer.
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„Wehe ich finde doch irgendeine Parallele“, grinste Jonathan, kleine Lachfältchen bildeten sich dabei
in seinem sonst so makellosen, sonnengebräunten Gesicht. Die Sorge, die sonst so oft in seinen
hübschen stahlblauen Augen stand, passte eigentlich gar nicht zu seinen Charakter; er war Optimist
und, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, ein leichter Workaholic. Seit er mit
fünfundzwanzig die Arbeit beim FBI angefangen hatte, war er immer weniger zu Hause und immer
auf der Suche nach neuen Fällen. Er war süchtig nach Arbeit geworden, aber diese Verbissenheit, so
sagte er sich, zeichnete einen guten Agent eben aus.
„Sie war unschuldig! Sie hat nichts getan! Du hast sie umgebracht!“, rief die verzweifelte Stimme.
Alan James flehte um sein Leben. „Nein, Sir! Bitte, Sie verstehen nicht! Es war nicht meine
Entscheidung! Ich musste mich beugen. Natürlich war sie unschuldig!“
Ein verächtliches Schnaufen war zu hören. Dann: „Zu feige um zu gestehen. Zu feige um zuzugeben,
dass du dafür gestimmt hast. Du verdienst es nicht zu leben!“
„Sir, bitte ich…. ich…“
Jonathan raufte sich die braunen Haare. Das gab es doch gar nicht. Keinerlei Verbindungen zwischen
zwei Menschen. Vielleicht übersahen sie etwas? Nein, dafür waren sie zu trainiert. Vielleicht…
Agent Taylor wurde durch das Klingeln seines Handys aus den Gedanken gerissen.
„SSA Taylor? Gut, ich verstehe. Ja. Okay. Sind auf dem Weg.“
Theresa blickte auf. „Neuigkeiten?“
„Ja, packt eure Sachen.“
Keine fünf Minuten später betraten die Agents die Eingangshalle eines großen Hotels.
„Ihr geht vor, Zimmer 173, ich rede schon mal mit dem Pförtner.“
Agent Donnelly nickte und schaute Theresa, welche recht zierlich aber groß und sportlich war,
bettelnd an. „Nehmen wir den Fahrstuhl?“
„Nein.“
Als auch endlich Donnelly die Stufen in den vierten Stock erklungen hatte, und seiner Kollegin in die
Suite gefolgt war, trafen sie Dr. Johnson an.
„Schon was gefunden Ed?“
„Na ja, eigentlich würde ich sagen nein, aber bei diesem Fall… ja. Das Opfer hat ein Einstichloch im
Arm. Ich könnte jetzt behaupten, das könnte von einer Impfe sein, aber ich denke ihr wisst selbst,
wie unwahrscheinlich das ist.“, antwortete der Gerichtsmediziner.
„In der Tat, ja. Wer hat das Opfer gefunden?“, fragte Christopher, der mittlerweile wieder bei Atem
war.
Nun mischte sich ein Officer ein; „Die Putzfrau da vorne.“ Er deutete auf eine kleine, rundliche Frau,
die mit ihrem Putzwagen neben einem Polizisten stand, der sie befragte. „Sie sagt, sie wollte das
Zimmer reinigen, als sie den Mann - Alan James - gefunden hat. Ihre Aussage scheint zu stimmen.
Mr. James hatte heute Morgen schon ausgecheckt.“
„Halt, heißt das, dass dies nicht Alan James ist?“, fragte Theresa verwirrt.
Der Officer schüttelte den Kopf. „Doch, ist es. Der Mann der ausgecheckt hat, muss sich für ihn
ausgegeben haben. Die Angestellten haben nicht auf das Gesicht geachtet, können und wollen also
auch kein Phantombild erstellen. Die Unachtsamkeit der Leute ist schon erschreckend…“
Agent Donnelly, der alles sorgfältig mitgeschrieben hatte, blickte auf. „Na ja, Sie haben recht, aber
überlegen Sie mal, Sie sehen jeden Tag tausende von Gesichtern, und hören tausende von Namen.
Glauben Sie es würde Ihnen auffallen, wenn da jemand mit dem falschen Namen zum passenden
Gesicht auschecken würde? Und das womöglich noch Tage nach der Anreise?“
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Bevor der verdutzt blickende Officer etwas erwidern konnte, kam Jonathan in den Raum, welcher die
Spannung in der Luft sofort spürte. Er ließ seinen Blick durch das Zimmer wandern und ließ ihn
schließlich auf seinem Agent ruhen.
Ohne weiter auf den Zwischenfall einzugehen, nahm der Chief Agent den Notizblock von Donnelly in
die Hand und überflog die angefertigten Notizen.
„Mmh, nicht gerade viel, aber es sagt uns mehr als die Jas und Neins die mir der Pförtner gegeben
hat. Nicht mal auf Standardfragen hat er präzise geantwortet, immer nur ja oder nein, oder er wurde
aufbrausend. Na ja, mit der Zeit gewöhnt man sich dran.“
Der Polizist, der mit der Putzfrau geredet hatte, gesellte sich nun zu ihnen.
„Die Reinigungskraft, die den Toten gefunden hat, konnte keine genauen Angaben machen, sie steht
unter Schock. Sie hat ihn auf dem Stuhl gefesselt vorgefunden, als sie das Zimmer säubern wollte,
man hatte ihr mitgeteilt, dass Mr. James das Hotel bereits verlassen hatte. Sie rief sofort Polizei und
Notarzt, der aber nur noch den Tod feststellen konnte.“
Theresa nickte: „Danke, Officer.“, dann wandte sie sich ihren Kollegen zu, „Na klasse, das sind nicht
gerade die besten Information um den Fall, Schrägstrich die Fälle, aufzuklären.“
Agent Donnelly steckte seinen Notizblock wieder weg. „Wann wird es uns schon mal leichtgemacht?“
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3. Die Parallele_______________________________________________________________
Am nächsten Morgen wurde sofort weiter gearbeitet, die Agents wollten die Mordfälle so schnell wie
möglich aufklären. Dementsprechend schnell gab SSA Taylor die ersten Anweisungen: „Okay, Leute,
wir wollen den Täter so schnell wie möglich fassen, bevor er noch mehr unschuldige Menschen
umbringt. Auch wenn es die Medien noch nicht wissen, New York hat einen neuen Serienmörder.
Also, wer waren die Opfer?“
Theresa nahm sich eine der Akten, die auf ihrem Schreibtisch lagen und schlug sie auf. „Bliss
Rosenberg, 34 Jahre alt, Büroangestellte. Keine Kinder, nicht verheiratet, nicht vorbestraft. Wurde
tot in ihrem Appartement aufgefunden, keine Abwehrspuren, keine Anzeichen von sexuellem
Missbrauch.“
„Zweites Opfer, Martin King, 23 Jahre alt, Student an der NYU. Ebenfalls keine Kinder, hatte eine
Freundin, die ihn auch aufgefunden hat, keine Vorstrafen, hat aber in der letzten Woche zweimal
falsch geparkt. Er wurde ebenfalls in seiner Wohnung gefunden, hatte keine Abwehrspuren, auch er
wurde zu nichts genötigt.“, fuhr Donnelly fort.
„Über das dritte Opfer wissen wir noch nicht viel Chef, aber nach ersten Nachforschungen heißt er
Alan James, ist 54 und in Frührente nach einem Arbeitsunfall. Er war Mechaniker. Seine Frau ist
letztes Jahr gestorben. Wo und wie er gefunden wurde wissen wir ja. Über den körperlichen Zustand
können wir erst nach Eddys Bericht sagen. Seiner ersten Vermutung nach, wurde das Opfer aber
ebenfalls durch Luft ermordet.“, berichtete Agent Franklin.
Sie stützte sich mit den Händen auf ihren Schreibtisch und sah ihre Kollegen aus den dunklen Augen
an. Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Ach ja, die ersten beiden Toten wohnten in New York.
Alan James war hier im Urlaub, er ist letztes Jahr weggezogen.“
Jonathan stemmte sich von seinem Stuhl hoch und ging zum Fahrstuhl. Im Gehen drehte er sich noch
einmal um und sah seine Agents an: „Gute Arbeit, aber sucht weiter nach Parallelen.“
Christopher und Theresa tauschten einen Blick aus dann setzte sich Theresa an den Computer,
während Donnelly sich umdrehte um Kaffe zu holen. „Das wird ein langer Tag.“, stöhnte er.
Ed hatte Agent Taylor gerade die absehbaren Ergebnisse der Autopsie mitgeteilt als dessen Handy
klingelte.
„SSA Taylor. Ich komme.“ Er sah den Gerichtsmediziner an. „Wir haben endlich eine Parallele.“
Bevor Eddy noch etwas sagen oder fragen konnte, waren die Türen der Gerichtsmedizin schon
wieder geschlossen und Jonathan war fort.
Der Agent drückte auf den Knopf des Fahrstuhls, entschied sich aber nach kurzem Warten für die
Treppen. Jede Sekunde war wertvoll und konnte Leben retten, da war es sogar zu lange auf den
Fahrstuhl zu warten. Als er die Treppen hochgesprintet war, sein Anzug war komischerweise immer
noch wie frisch gebügelt, warteten seine Agents vor dem Fahrstuhl.
„He, ich bin hier! Na los, guckt nicht zwei wie so nasse Kamele, sondern sagt mir, was die Parallele
ist!“, rief Jonathan während er auf seinen Platz zuging.
Theresa und Christopher zuckten zusammen und eilten ihrem Chef hinterher.
„Äh, ja natürlich, John, Chef, wie auch immer.“, stammelte Theresa, die als erste ihre Sprache
wiedergefunden hatte „Also, die Opfer waren alle Geschorenen bei einem Gerichtsverfahren. Sie
stimmten für die Todesstrafe von Vivian Adams. Sie war wegen Mordes in drei besonders schweren
Fällen angeklagt. Es war eine lange Verhandlung mit einigem hin und her, vielen Zeugenaussagen die
sich widersprachen und so weiter. Also alles in allem ein ziemlich komplexer Fall. Letztendlich wurde
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Ms Adams dann nach langer U-Haft der Gar ausgemacht. Alan James ist nach diesem Fall umgezogen,
weil er seine Frau wenige Wochen nach der Verurteilung tot aufgefunden hat. Rate mal, an was sie
gestorben ist.“
Jonathan legte den Kopf schief. „Herzinfarkt, klar. Vielleicht hat der Täter Mr. James nicht erwischt
und musste, zumindest vorerst, sich mit der Frau begnügen. Habt ihr die anderen Geschworenen des
Falles ausfindig machen können? Wir müssen sie so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. Wenn
wir richtig liegen, sind sie in größter Gefahr. Holt euch Officer zur Hilfe und klappert die Wohnungen
ab. Jede Sekunde zählt! Ich kümmere mich um den Richter. Los jetzt!“
Agents Franklin und Donnelly hatten bereits die Telefone an Ohr, forderten Verstärkung an und
gaben die neun Adressen durch. Als dies erledigt war, sprangen sie auf, und diskutierten schon im
Gehen den Fahrer aus. Diese Frage wurde von Jonathan durch packen des Autoschlüssels schnell
geklärt.
„‘Tschuldigung Chef.“, japste Donnelly während sie die Treppen runter sprintete.
Als die drei unten angekommen waren und sich in ein Auto schmeißen wollten, hielt Jonathan sie
auf. „Leute, hey! Wir haben zehn Adressen und es wäre besser, wenn ihr jeweils mit einen Officer
fahrt.“
Theresa und Christoph sahen ihren Chef an und schüttelten die Köpfe.
„Und du fährst allein, oder wie? Kommt gar nicht in die Tüte, wir sind ein Team, also kommen wir
auch mit.“, diese Aussage kam von Donnelly, der schon die Beifahrertür aufgemacht hatte.
Als ihm jedoch klar wurde, was er gerade zu seinem Chef gesagt hatte, ließ er die Tür wieder zufallen.
„Jetzt mach die Tür schon wieder auf uns steig ein, flott. Du hast ja Recht.“, sagte Agent Taylor zur
Erleichterung von Donnelly.
Als Jonathan das Mienenspiel auf dessen Gesicht sah, musste er grinsen. Dass ihn auch immer alle für
so hart halten mussten…
Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, fuhr er mit quietschenden Reifen los.
„Legt schon mal die schusssicheren Westen an. Wer weiß was uns erwartet.“
Als sie vor dem Haus des Richters gehalten hatten und ausgestiegen waren, entsicherten die
Bundesagenten ihre Waffen: alles Neunmillimeter der Marke Glock. Über Zeichensprache
verabredeten die Agents, dass Donnelly die Hintertür sichern sollte und Taylor zusammen Theresa
durch die Vordertür eintreten würde.
Als alle in Position waren, hämmerte Agent Taylor gegen die Tür.
„FBI! Richter Wood, öffnen Sie bitte die Tür. Richter Wood? Hier spricht Supervisory Special Agent
Jonathan Taylor, öffnen Sie die Tür! Sir, wir kommen jetzt rein!“, da er immer noch keine Antwort
erhielt, trat Jonathan ein Schritt zurück und trat die Tür ein, während er Donnelly über Funkanwies,
ebenfalls in das Haus zu kommen.
Schon in der ersten Sekunde wusste Agent Taylor, dass etwas mit dem Richter passiert war.
Die Kommode im Eingangsbereich war abgeräumt und die Gegenstände lagen alle auf dem Boden.
Dem konnte er aber zunächst keine Beachtung schenken; zuerst mussten sie die Räume sichern. Also
stürmten sie durch das Haus, jedoch ohne Richter Wood zu finden.
Donnelly kam seinen Kollegen durch die Küche entgegen: „Hier hinten ist er nicht. Habt ihr ihn
gefunden?“
Theresa schüttelte den Kopf: „Nein, dafür ist hier aber alles verwüstet, scheint so als hätte ein Kampf
stattgefunden. John ruft gerade Verstärkung“
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4. Der Brief_________________________________________________________________________
Während die Agents weiter die Wohnung durchsuchten, saß der Mörder und Entführer nicht weit
entfernt von ihnen in einem Auto. Der Richter lag gefesselt und bewusstlos im Kofferraum.
„Ach Wood, wenn die wüssten, wo du dich jetzt befindest. Armselig in einem Kofferraum
eingepfercht. Unter deiner Würde so etwas, nicht war? Denkst du jetzt an Hilfe? Denkst du, sie
retten dich? Tut mir Leid dich enttäuschen zu müssen. Sie werden dich nicht finden, und wenn sie
sich doch finden sollten, dann ist es bereits zu spät. Doch keine Angst, ein bisschen Zeit bleibt dir
noch. Schließlich war es für Vivian auch nicht sofort vorbei, oder? Weißt du, welche Qualen sie
durchstehen musste? Aber du beschäftigst dich sicherlich nicht mit sowas. Warum sollte sich ein
großartiger Richter mit Abschaum wie Vivian abgeben? Aber soll ich dir was verraten? Vivian war
nicht schuldig! Sie hat diese Menschen nicht ermordet! Aber jetzt ist es zu spät, sie ist tot! Du hast sie
ermorden lassen!“
Das Richter Lucas Wood entführt worden war, blieb an dem Tag nicht die einzige Hiobsbotschaft;
eine weitere Frau – Hayley Davis - war ermordet worden, das vierte Opfer.
Zudem hatte auch die Presse Wind von den Ermordungen gekriegt, schon in den Abendnachrichten
war der ‚Luftmörder‘, wie ihn die Presse nannte, Thema Nummer Eins.
Die Agents standen noch fassungslos über den Bericht vor dem Fernseher in ihrem Büro, als der Chef
des FBIs hineinplatzte. Der kleine, etwas dickliche Mann hatte einen Brief in seinen Händen und die
rote Gesichtsfarbe ließ auf nichts Gutes schließen.
„Taylor, dieser Brief ist gerade reingekommen. Er ist von dem Luftmörder. Ich habe der Presse
gesagt, dass ich mein bestes Team auf den Fall angesetzt habe, also machen Sie was draus. Finden Sie
diesen Mörder! Sie haben meinen Ruf zu verteidigen!“
Mit diesem Worten drehte er sich um, und war schon halb zur Tür raus, als Jonathan noch einmal
zurückrief. „Sir, Sie sollten den Brief auch hierlassen, damit wir ihn uns anschauen können, meinen
Sie nicht?“
Der Teint des Direktors wurde noch eine Nuance dunkler als er sich den Agents zuwandte.
„Natürlich, Taylor. Das hatte ich vor. Geben Sie ihn nach ihrer ‚Begutachtung‘ aber doch bitte sofort
zu Mr.Haddix, ja?“ Der freundliche Ton gelang ihm nur teilweise, während die Sätze vor Sarkasmus
nur so trieften.
Als er diesmal das Büro endgültig verlassen hatte, atmeten die Agents einmal tief durch.
„Mann, der war nicht grad gut zufrieden“, seufzte Christopher und fuhr sich durch die Locken.
Theresa nickte. „Ein Grund mehr, Vollgas zu geben und den Brief sofort unter die Lupe zu nehmen.“
Bevor noch jemand ein weiteres Wort sagen konnte, hatte sich der Teamchef schon
Latexhandschuhe übergestreift und den Brief aus seinem Umschlag genommen. „ ‚An ihre Mörder‘
steht auf dem Umschlag. Hat er mit ‚ihre‘ wohl Vivian gemeint? Also, ich les euch den Brief mal vor:
‚Endlich
habt ihr es verstanden. Endlich habt ihr verstanden, hinter wem ich her bin. Herzlichen
Glückwunsch. Das FBI ist also doch nicht so unfähig, wie ich bisher immer gedacht habe. Na ja, ein
Fehler kann ja mal passieren, nicht wahr? Soll ich euch die Antwort geben? So etwas darf nicht
passieren! Ihr habt Vivian umgebracht, aber sie war nicht schuldig! Aber die Vier, die waren es. Sie
haben die andren Geschworenen von ihrer Schuld überzeugt. Also hat es eigentlich doch einen Vorteil,
dass ihr zu dumm wart, sie zu beschützen. Vier verlogene Mörder weniger. Aber aus dieser Sicht seht
ihr es nicht, oder? Ihr seht nur das, was ihr wollt, nur das was in eure Theorie passt. Ihr verdreht
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die Fakten, damit sie zur Theorie passen, anstatt die Theorie den Fakten anzupassen. Wählt immer
den leichten Weg. Damit ihr nicht auf Abwege kommt, habe ich Vorkehrungen getroffen, sozusagen
Straßenschilder gebaut. Ich habe es euch leichter gemacht. Der Richter ist in meiner Gewalt, er soll die
Gelegenheit haben, Vivians Leid nachzuempfinden. Strengt eure Gehirnzellen an, na los. Wie lange hat
er noch zu leben? Wie viel Essen bekommt er? Wird er es überhaupt bis zu seiner Hinrichtung
schaffen? Was meint ihr? ‘ Damit endet der Brief. Was meint ihr dazu?“
Chris, der sich inzwischen auch Handschuhe angezogen hatte, besah sich den Brief nun genauer und
überflog ihn nochmal. „Ich denke er wurde von einem Lover geschrieben; er schreibt von ‚ihrem
Leid‘ als wisse er genau was sie durchgemacht hat, gibt uns die Schuld an ihrem Tod. Er stellt das FBI
als unfähig da und fordert uns heraus. Ich denke, mit ihm ist nicht zu scherzen, wir sollten ihn extrem
ernst nehmen.“
Theresa lächelte. „Da kommt der Profiler in dir zum Vorschein.“, dann wurde sie wieder ernst, „Nein,
ehrlich, du hast recht. In allen Punkten.“
„Vielen Dank, Resa. Ich bring den Brief dann mal runter zu Damon und warte noch kurz auf die
Ergebnisse.“, meinte Donnelly lächelnd und ging aus dem Büro.
Er eilte die Treppen zu dem Forensiker herunter und betrat das Labor.
„Hey Damon! Ich hab hier ein Brief für dich, von unserem sehr geehrten Luftmörder. Könntest du den
bitte auf Fingerabdrücke und DNA untersuchen? Wenn es dir nichts ausmachst, warte ich hier bis die
Ergebnisse da sind.“
Damon drehte sich um und sah ihn an. „Klar. Du hast grad, Glück, nicht viel zu tun hier unten.“
Er nahm den Brief entgegen und hing ihn, nachdem er ihn mit einem speziellen Spray eingesprüht
hatte, in einen gläsernen Kasten. Dann stellte Damon noch eine kleine Schale mit einer
durchsichtigen Flüssigkeit in das Behältnis, schloss den Kasten und drückte ein paar Knöpfe. Nach
kurzer Zeit entnahm er den Brief wieder - und schüttelte den Kopf.
„Tut mir Leid, Chris. Nichts. Kein Fingerabdruck. Wenn der Brief mit der Post geschickt worden wäre,
dann könnte ich noch die Unterseite der Briefmarke untersuchen, aber so…“
Die letzten Worte hatte Christopher schon gar nicht mehr mitbekommen. Wie hatten sie das nur
übersehen können? Der Brief war abgegeben worden! Der Täter war hier gewesen, hier beim FBI,
zwar nur draußen, am Briefkasten, aber er war hier gewesen, hier bei den Kameras.
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5. Nachmache________________________________________________________________
Chris stürmte wieder die Treppen hinauf. Als er in das Büro platze sah man ihm die Aufregung
deutlich an.
„Leute, ich glaub wir haben unseren Täter auf Band. Er muss den Brief abgegeben haben, also war er
hier. Ich weiß nicht, wie wir das übersehen konnten.“
Theresa schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf. „Natürlich.“
In dem Moment waren auch schon die Bilder der Überwachungskamera auf dem Bildschirm; Agent
Taylor hatte die Bänder bereits hochgeladen.
Als er nach kurzem Spulen die Abgabe des Briefes gefunden hatte, ließen die Agents entmutigt die
Köpfe hängen. Der Täter hatte vorgesorgt; der dunkelblaue Kapuzenpulli verdeckte das Gesicht des
Mannes und durch dünne Handschuhe war nicht einmal die Hautfarbe zu erkennen.
„Es war eine gute Idee, Chris, aber leider hilft sie uns nicht viel weiter. Ich gib das Band zu den
Technikern, damit die Größe und Gewicht berechnen.“, sagte Jonathan und vergrub das Gesicht in
den Händen, nachdem er es sich auf seinem Stuhl bequem gemacht hatte.
Theresa atmete einmal tief durch und schöpfte neue Hoffnung. „Okay. Machen wir trotzdem mit
dem Täter weiter.“
Chris, der sich inzwischen auch niedergelassen hatte, stand wieder auf und goss sich einen Kaffee ein.
„Wollt ihr auch einen?“, fragte er in die Runde und schenkte dann zwei weitere Becher ein.
„Also, wir meinen, nein, wir sind der Überzeugung, dass es ein Lover oder Verehrer von Vivian ist.
Wir sollten nochmals ihre Familie befragen, ob es vielleicht doch einen Freund gab.“
Jonathan nickte und nahm den letzten Schluck von seinem Kaffee. Dann sah er auf die Uhr und
schüttelte den Kopf. „So spät schon?“ Die Zeiger standen auf halb elf Uhr. „Die Familien befragen wir
morgen. Aber wir müssen mit Hochdruck arbeiten, ich muss euch nicht erzählen, dass die meisten
Entführungsopfer die ersten 24 Stunden nicht überleben.“
Theresa legt die Stirn in Falten. „Er schon.“ Sie eilte zu ihrem Schreibtisch und kramte hektisch nach
der Akte von Vivian Adams.
„Theresa? Was suchst du?“, fragte Donnelly, doch seine Kollegin reagierte gar nicht.
Sie blätterte nun fieberhaft in den Blättern, bis sie endlich fand, was sie gesucht hatte.
„Richter Wood wird zwei Monate haben, zwei Monate voller Qualen, er wird gefoltert und
gedemütigt werden. Wenn ich richtig liege, dann wird er einmal mit Decken fast stranguliert und halb
verhungern.“ Theresa fuhr sich durch die Haare. „Scheiße.“
Chris grüne Augen sahen sie besorgt an. Eigentlich war seine Kollegin stark und ließ nichts an sich
heran, aber zu wissen, was mit dem Opfer passieren wird, schien ihr an die Nerven zu gehen.
Wie gerne wäre er jetzt zu ihr gegangen und hätte den Arm um sie gelegt, gesagt, dass alles gut
werden würde? Stattdessen fragte er nur: „Woher weißt du das, Resa?“
Die Angesprochene hob den Kopf und sah erst ihm in die Augen, dann in die ihres Chefs.
„Wisst ihr noch, was in dem Brief stand? ‚Er soll die Gelegenheit haben, Vivians Leid
nachzuempfinden‘. Ich denke, das ist wörtlich gemeint. Ich denke der Täter will, dass Richter Wood
wirklich alles fühlen soll, was das Mädchen durchgemacht hat. Er wird alles nachstellen.“
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6. Zusammenbruch____________________________________________________________
Lucas Wood erwachte mit pochenden, stechenden Kopfschmerzen. Er kniff die Augen zu, selbst das
wenige Tageslicht, das in der kleinen Zelle schien, in der er sich befand, tat in seinen Augen weh.
Richter Wood fragte sich was passiert war. Dann schossen die Erinnerungen durch seinen Kopf, dass
es fast wehtat. Es hatte an der Tür geklingelt und ein Mann hatte im Rahmen gestanden. Er war
reingekommen und hatte einige unschöne Beleidigungen gemurmelt. Was war dann passiert?
Der Täter hatte sich auf den Richter gestürzt, es hatte einen kleinen Kampf gegeben und dann… dann
war nichts mehr. Das nächste an was er sich erinnern konnte, war, dass er hier aufgewacht war.
Lucas packte sich an den schmerzenden Kopf und stellte staunend fest, dass er nicht gefesselt war
und auf einer Pritsche saß. Einer Pritsche? Welcher Entführer stellte seinem Opfer schon eine
Pritsche bereit? Als sich der Richter weiter in der vielleicht zehn Quadratmeter großen Kammer
umsah, realisierte er wo er war. Er befand sich in einer nachgebildeten Gefängniszelle.
„Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Vivian keinen festen Freund hatte?“, fragte Theresa zum
wiederholten Male.
„Wenn ich ihnen doch sage. Sie hatte keinen festen Freund und auch aus ihrem Freundeskreis
machte keiner der jungen Männer den Eindruck, dass er in sie verliebt ist.“, antwortete Mr. Adams.
„Okay. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Mr. Adams. Falls Ihnen doch noch etwas
einfallen sollte, Sie haben ja meine Karte“, Theresa erhob sich und begleitete ihren Gesprächspartner
zur Tür. Als der Vater der Todeskandidatin zur Tür hinaus war, vergrub Agent Franklin das Gesicht in
den Händen. Mr. Adams war die fünfte Person, die sie befragt hatte - ohne Ergebnis. Niemand war
augenscheinlich in Vivian verliebt gewesen.
Im Nebenraum stellte Jonathan die Selben Fragen der Mutter von Vivian, jedoch mit dem gleichen
ernüchternden Ergebnis und auch Chris biss sich an der Schwester die Zähne aus.
„Das gibt’s doch gar nicht! Sie hatte einen Lover, ohne, dass einer davon wusste? Das könnt ihr mir
nicht erzählen.“, meinte Chris genervt. Die Agents hatten jetzt fast drei Stunden lang die ganze
Familie und unzählige Freunde von Vivian befragt und waren keinen Schritt weiter.
„Vielleicht konnte sie einfach verdammt gut dichthalten.“, antwortete Theresa ohne selbst davon
überzeugt zu sein. „Möchtest du auch noch einen Kaffee?“
Agent Donnelly nickte, nahm den heißen Becher dankbar entgegen und schnaufte einmal. Er hatte
diese Nacht nicht geschlafen und war einfach nur kaputt. Trotzdem entging ihm nicht, dass seine
Kollegin in ihrer Tasche wühlte und sich eine kleine weiße Tablette in den Mund schob.
„Hey. Alles klar mit dir?“
Theresa guckte ihn aus ihren dunklen Augen an – sie sahen müde aus. „Ist schon okay. Ich hab
einfach nur tierische Kopfschmerzen.“
„Der Fall scheint dir näher zu gehen, als die anderen. Wenn du reden willst, ich bin da, okay?“, sagte
Chris und setzte sich neben sie. Er sah ihr ins Gesicht und meinte leichte Verlegenheit darin lesen zu
können. Theresa war nun mal nicht die Person, die gerne über ihre Probleme und Gefühle sprach.
Als die die leichte Röte der Verlegenheit verschwunden war, wurde ihr Gesicht blass.
„Sicher, dass es dir gut geht?“, fragte Donnelly abermals und musterte sie besorgt.
Theresa stützte ihrem Kopf auf die Hände und murmelte: „Ich hab das öfter mal, ist schon okay.
Könntest du John sagen, dass ich mich kurz hinlege? Ich weiß auch nicht, was los ist. Eigentlich hab
ich das nicht so heftig.“
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Chris nickte und als seine Kollegin aufstand, legte er einen Arm um ihre Hüfte und begleitete sie zu
dem Ruheraum für die Agents. Er hatte sie noch nie so gesehen. Resa war immer stark und konnte
immer alles allein. Umso mehr Sorgen machte er sich jetzt.
„Soll ich nicht lieber bei dir bleiben Resa? Du siehst wirklich nicht gut aus.“
Doch sie schüttelte den Kopf. „New York hat einen Serienkiller, also kümmer dich auch um den und
nicht um mich. Der ist wichtiger als meine Kopfschmerzen.
„Dann schick ich dir zumindest Eddy rauf, dass er nach dir sieht.“
Nachdem Chris dann leise den Raum verlassen, und alle dazu aufgefordert hatte, ja nicht herein zu
gehen, eilte er zu dem Bürotrakt, indem sie arbeiteten. Dort traf er glücklicherweise auch sofort auf
John. „Hey, wo hast du Theresa gelassen?“ Nachdem er den Ausdruck auf Christophers Gesicht
gesehen hatte, fügte er hinzu: „Ist etwas passiert?“
Chris blieb stehen und sah seinen Chef mit den grünen Augen an. „Ich muss runter zu Eddy, er muss
sich Resa ansehen. Wir haben Kaffee getrunken und sie nahm eine Tablette, dann sagte sie mir sie
hätte Kopfschmerzen. Kaum eine Minute später war sie leichenblass und konnte sich kaum noch auf
den Beinen halten. Ich hab sie in den Ruheraum gebracht und ihr versprochen, dass ich Eddy hohle.“
Während Chris die Geschichte zusammenfasste, wurde der Gesichtsausdruck von Jonathan immer
besorgter. „Okay. Lauf du runter zu Ed, und ich geh zu ihr.“
Nachdem Agent Donnelly Eddy das gleiche wie seinem Chef erzählt hatte, liefen die beiden die
Treppen wieder rauf, um nach wenigen Sekunden wieder bei der Kranken angelangt zu sein.
„Lass mich sie eben untersuchen, okay?“, fragte Eddy und ging in den Raum.
Als er wenige Minuten später wiederkam, war seine Miene relativ entspannt.
Chris und John starrten ihn an. „Und?“
„Sie hat eine doch recht heftige Migräneattacke. Ich hab ihr noch Schmerzmittel gegeben. In ein paar
Stunden ist sie wieder auf dem Damm, wird aber noch angeschlagen sein. Sie braucht erst einmal
Ruhe.“
„Danke Ed.“, sagte Jonathan und nickte seinem Freund zu.
„Kein Problem. Wenn noch was sein sollte, ihr wisst ja wo ich bin.“, mit den Worten drehte er sich
um und ging wieder runter in die Abteilung für Gerichtsmedizin.
Chris atmete einmal tief durch und ließ sich an der Wand entlang nach unten gleiten.
„He. Ihr geht’s gut. Mach du mir jetzt nicht auch noch schlapp.“, meinte der Chef Ermittler in einem
sanften Ton, nachdem er sich zu seinem Agent gesetzt hatte. „Du magst sie, nicht wahr?“ Das war
mehr eine Feststellung als eine Frage gewesen.
Christopher schaute auf und sah seinem Chef in die blauen Augen. „Sie ist mir ans Herz gewachsen.“
John fing an zu lachen und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Ach, erzähl mir doch nicht einen vom
Pferd. Wenn ich zusammengebrochen wäre, hättest du nicht so reagiert. Aber ich hoffe, dass ich dir
auch ans Herz gewachsen bin…“
Nun war es Donnelly, der lachte. „Natürlich. Aber ja, du hast recht. Ich mag sie, okay? Das ist aber
egal, weil ich nicht weiß was sie für mich empfindet und es sowieso nicht erlaubt ist.“
Bei den letzten Worten hatte seine Stimme einen leicht wehmütigen Ton angenommen.
Nachdem kurz Stille herrschte, meinte Jonathan: „Na ja, es müsste ja keiner wissen… Geh schon rein,
recherchieren und die Techniker nach den Ergebnissen fragen, kann ich schon alleine.“
Chris sah seinen Chef dankbar ins Gesicht und erhob sich bevor er leise in dem Raum verschwand.
„Resa?“
Chris erhielt keine Antwort, also schlich er sich weiter in den abgedunkelten Raum.
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Er lauschte auf die langsamen, gleichmäßigen Atemzüge seiner Kollegin und setzte sich neben sie auf
die weichen Matratzen, mit denen der Raum ausgelegt war. Während er da so saß und versuchte,
sich jede Einzelheit aus dem Gesicht von Theresa zu merken, gelang es ihm für ein paar Minuten
nicht an den Killer zu denken. Stattdessen dachte er über die Worte seines Chefs nach; es muss ja
keiner wissen. Ob es wirklich so einfach war? Er wusste es wirklich nicht. Und wie würde Theresa
reagieren? Auch darauf wusste er keine Antwort.
Die Minuten verstrichen und irgendwann nahm Chris die Hand von der Schlafenden und bettete sie
in seine. Ein gutes Gefühl.
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7. Opfer Nummer Fünf; Christopher Donnelly_______________________________________
Nach gut einer Stunde ging Agent Taylor zu dem Ruheraum und klopfte leise an die Tür bevor er
eintrat.
„Chris? Theresa?“, fragte er in die Stille hinein.
Als er keine Antwort bekam schlich er sich weiter voran, zu der Stelle, wo er die Schemen von seinen
Agents glaubte ausmachen zu können. Theresa lag noch genauso da, wie er sie verlassen hatte, nur
dass ihre Hand in der von Chris lag. Dieser jedoch befand sich in einer ganz anderen Position als
vorher. Es hatte den Anschein, als wäre er nach einiger Zeit ebenfalls eingeschlafen. Die blonden
Locken lagen wirr in seinem Gesicht, das einen friedlichen Ausdruck hegte.
Jonathan gönnte ihm wirklich seinen Schlaf, aber es gab wichtige Neuigkeiten über den Täter. Die
Techniker waren endlich mit ihren Berechnungen fertig. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als
Christopher zu wecken.
Er ging in die Hocke und rüttelte den Agent sachte an der Schulter. „Christopher. Hey, wach auf, wir
haben Neuigkeiten.“
Bei den letzten Worten riss Donnelly die Augen auf. „Bin schon wach. Schon wach. Tut mir Leid, Chef,
ich muss eingenickt sein. Hab seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen.“, murmelte er verschlafen und
setzte sich auf. Die grünen Augen wanderten über Jonathans Gesichtsausdruck und blieben an
einem kleinen Lächeln hängen.
Chris strich sich die Haare aus dem Gesicht und sagte: „Müssen ja großartige Erkenntnisse sein, wenn
du so grinst.“
„Sind sie wohl. Komm mit raus, dann erzähl ich sie dir.“, meinte Jonathan mit einem Seitenblick auf
die schlafende Theresa.
Christopher nickte und erhob sich. Dann strich er die Hose glatt und zupfte an dem T-Shirt, bis er
fand, dass er nicht mehr ganz so verschlafen aussah.
Als die beiden Agents vor der Tür standen und Donnelly seinem Chef einen fordernden Blick zuwarf
fing dieser an zu erzählen: „Die Techniker sind endlich tu Ergebnissen gekommen. Der Täter ist
wahrscheinlich männlich, zirka ein Meter neunzig groß. Das Gewicht ist aufgrund des weiten Pullis
schwer zu schätzen, liegt aber wahrscheinlich bei gut achtzig Kilo. Noch was Gutes? Ach ja, meine
beiden Agents fangen bald was miteinander an….“
Chris wurde rot und meinte nur: „Das sind ja gute Neuigkeiten, vor allem das letzte. Wer sind denn
die beiden glücklichen?“
„Hallo? Ist da wer? Bitte, wenn sie mich hören, lassen sie mich hier raus!“, so schrie Richter Wood
schon seit einer ganzen Weile. Bis auf ein kleines Tablett mit einem kleinen Stück Brot und einem
Krug Wasser hatte er nichts von seinem Entführer gesehen oder gehört. Soweit er es ausmachen
konnte, musste gut ein Tag vergangen sein, seit er hier her gebracht worden war. Die Nacht auf der
Pritsche war unbequem und sehr kurz gewesen. Alles hatte geknarrt und die Bettwäsche war kratzig.
Die Zeit seit dem Aufstehen hatte er damit verbracht sich zu überlegen, wer ihn entführt haben
könnte – und war zu einem ernüchternden Ergebnis gekommen. Lucas Wood war nun mal Richter
und konnte seine Feinde nicht mit den Fingern zählen. Alle Verwandten und Freunde von
Verurteilten hatten ein Motiv ihm etwas zu tun. Das war nun wirklich eine große Auswahl. Aber
dieses Gesicht des Mannes, er kannte es irgendwo her. War er ein Zeuge gewesen? Lucas konnte sich
auf Teufel komm raus nicht mehr erinnern. Just als er nochmals rufen wollte, hörte er Schritte, die
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sich seiner Zelle näherten und er war sich sicher, das verräterische Klicken des Entsicherns einer
Waffe zu hören.
„Hey Leute. Schon was rausgefunden?“ Mit diesem Worten kam Theresa Franklin in das Büro ihrer
Einheit gelaufen.
„Theresa! Alles wieder gut?“, fragte Jonathan seine Ermittlerin als sie auf ihn zukam.
„Ja, es geht schon wieder. Is‘ alles noch ein bisschen wattig, aber sonst, ja, alles gut.“, antwortete sie
und fügte kurz darauf hinzu: „Wo ist Chris?“
„Der ist schnell Kaffee holen. Der Ärmste muss erst mal wieder wach werden. Er ist bei dir
eingeschlafen.“, meinte Jonathan grinsend.
„Er war bei mir?“
„Ja, fast die ganze Zeit über. Er hat sich furchtbare Sorgen gemacht.“
Gerade als Agent Franklin etwas erwidern wollte, kann Chris zur Tür herein. „Resa!“
Er stellte seinen Kaffee ab und umarmte seine Kollegin flüchtig. „Jag mir bloß nicht nochmal so ein
Schrecken ein.“
Sie lächelte und meinte: „Ich versuch‘s. Versprochen.“
Jonathans Blick wanderte zwischen den Agents hin und her, bis er schließlich sagte: „Na dann. Wir
sind wieder zu dritt, also, ran an die Arbeit. Ich würde sagen, ihr seht euch nochmal in der Wohnung
von Richter Wood um und ich gehe nochmal die Akten von Vivian durch.“
„Geht klar, Boss.“
Als Theresa und Christopher gut fünf Minuten später in Auto saßen, fragte Theresa verstohlen: „Du
warst also wirklich die ganze Zeit bei mir?“
Chris startete den Wagen und nickte. „Jap. Muss dann wohl irgendwann eingenickt sein. War recht
peinlich als John mich geweckt hat.“
Theresa lachte – da waren sie wieder, die hübschen Lachfältchen. „Ach, quatsch nicht. Man hat dir
doch angesehen, dass du dringend mal Schlaf brauchtest. Er versteht das schon.“
„Na, ich hoffe doch.“, grinste Chris zurück und streifte sie mit einem Seitenblick.
Um das Thema zu wechseln und nicht auf das Warum er da geblieben war zukommen, fragte er:
„Willst du von vorne rein, oder soll ich?“
Theresa sah ihn an und überlegt kurz. Dann antwortete sie: „Geh du vorne rein, warst letztes Mal ja
schon an der Hintertür.“
Donnelly nickte und parkte den SUV auf dem Hof des Richters. Als er sich kurz umsah runzelte er die
Stirn. Hatte der rote Wagen nicht letztes Mal auch schon auf der anderen Straßenseite gestanden?
Vielleicht war es ja nur ein Nachbar. Trotzdem machte er seine Kollegin per Handzeichen darauf
aufmerksam, bevor sie sich trennten.
Christopher wartete bis er Theresa nicht mehr sehen konnte und zerschnitt dann das Siegel an der
Tür bevor er eintrat. Er fing an die Kommode noch mal genauestens zu untersuchen, als er etwas
rascheln hörte. Komisch, wie kommt Theresa so schnell in den Eingangsbereich?, war das Letzte was
er dachte, bevor ihm schwarz vor Augen wurde.
Theresa umrundete das Haus und wollte gerade auf die Hintertür zugehen, als ihr ein
eingeschlagenes Fenster auffiel. Das war gar nicht gut. Ob noch jemand im Haus war? Sie zog ihre
Glock und trat leise in das Haus ein. Kaum dass sie in der Küche stand, hörte sie ein dumpfes
Geräusch. War Chris etwas runtergefallen? Dann schlug eine Tür zu. Was war dort hinten los?
Sie schlich weiter, in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war. Plötzlich fuhr ein Auto mit
quietschenden Reifen davon. Theresa kam eine schreckliche Ahnung. Sie stürmte zur Vordertür und
sah noch so gerade eben, wie der rote Wagen davonbrauste.
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„Chris?“, rief sie mit ängstlicher Stille.
Als sie keine Antwort erhielt, drehte sie sich um und entdeckte fast augenblicklich kleine rote Spritzer
auf dem Boden.
„Nein, bitte nicht, bitte nicht.“, murmelte sie und rief Verstärkung.
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8. Der Plan___________________________________________________________________
„SSA Taylor? Was?! Bin schon unterwegs. Ja. Bleib ganz ruhig Theresa. Wir finden ihn.“, Jonathan
legte auf und stürmte aus seinem Büro. „Alle mal herhören! Agent Christopher Donnelly ist entführt
worden. Wir brauchen alle Hilfe die wir kriegen können. Paul, du kommst mit mir.“
Keine fünf Minuten später war Jonathan mit Agent Paul Werth bei dem Haus von Richter Wood
angelangt. Paul war früher ebenfalls bei Jonathan im Team gewesen, bevor er zur Abteilung fürs
Organisierte Verbrechen gewechselt hatte. Diese Abteilung war nun so freundlich gewesen, Paul als
Ersatz für Donnelly zur Verfügung zu stellen.
Werth ging an den Kofferraum und holte die silbernen Koffer heraus, in denen sie alles für die
Spurensicherung aufbewahrten.
„Ich seh‘ mir den Tatort mal genauer an.“, meinte er zu John und ging ins Haus, wo er fast mit
Theresa zusammenstieß.
„Hi, Resa! John steht draußen. Wir finden ihn, okay?“, sagte er beruhigend.
Theresa nickte nur, stürmte nach draußen und ging zu ihrem Chef.
„Alles wird gut, Theresa. Sag mir nochmal, was passiert ist.“
„Chris…..wach auf…..Christopher….“
Die Stimme drang langsam in sein Bewusstsein. Christopher kniff die Augen zusammen, in der
Hoffnung, dass die Kopfschmerzen verschwinden würden. Leider taten sie es nicht. Es blieb ihm also
nichts anderes über, als die Augen langsam zu öffnen.
„Na endlich bist du wach. Ich dachte schon, ich hätte dich zu früh getötet, das wäre wirklich zu
schade gewesen.“
Diese Kopfschmerzen! Konnte der Mann nicht einfach aufhören zu reden? Als wenn das helle Licht
nicht schon genug wehtun würde.
„Sie mich an!“, schrie die Stimme.
Also hob Donnelly langsam den Kopf – um nur Schatten sehen zu können.
„Wo sind Sie?“, nuschelte er und wollte sich an den Kopf packen, als er feststellte, dass er gefesselt
war. „Wo sind wir?“
„Weit genug weg, dass man dich nicht findet. Weit genug weg, dass niemand deine Schreie hört.“
Na klasse, ein Psychopath.
„Hören Sie. Sie kennen meinen Namen, also wissen Sie, dass ich Bundesbeamter bin. Sie wissen, was
das heißt. Sie sind nicht dumm. Man wird mich suchen und dann haben sie ein Problem.“ Als nichts
erwidert wurde, fuhr Christopher fort: „Sie haben auch den Richter entführt, richtig? Lassen Sie ihn
gehen. Nehmen sie mich. Ich bin mehr wert. Der Richter wird bestraft und er wird Sie nicht verraten,
das verspreche ich Ihnen. Bitte.“
Nun bewegte sich der Mann auf ihn zu. „Sie wissen, was er gemacht hat? Sie haben nicht die leiseste
Ahnung! Er hat sie zum Tode verurteilt! Sie war unschuldig!“, schnaufte er wütend.
Donnelly versuchte den Täter so weit es ging zu analysieren. Schließlich kam er zu dem Entschluss,
dass er das Spiel mitspielen sollte.
„Sie war unschuldig, ja. Vivian war nicht schuldig, das weiß ich und meine Kollegin wissen es auch.
Lassen sie mich meinen Chef anrufen. Ich sage ihm, dass der Richter verurteilt werden muss. Ich sage
ihm, dass er sterben muss. Und Sie können mich bis zu dem Tod des Richters hierbehalten.“
Nun kam der Mann noch ein Stück näher. „Ja, er muss sterben! Er hat meine Vivian ermordet! Wir
haben uns doch geliebt!“
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Christopher nickte. „Ich weiß. Sie lieben sie über alles. Lassen Sie es uns so machen, wie ich es gesagt
habe, okay?“
„Wenn du Scheiße baust, bringe ich dich um, klar?“
Christopher nickte wie wild. „Das ist nur gerecht. Lassen Sie mich telefonieren.“
Der Entführer drehte sich um und Christopher wartete bis seine Schritte wieder zu hören waren.
„Dein Handy. Die Nummer.“
„Erste Kurzwahl, das ist mein Chef.“
Er hörte ein Klicken, dann wurde ihm das Telefon an das Ohr gepresst.
„Chef, ich bin’s…. Wir haben den Richter, das elende Schwein. Wir geben ihn dir, und sobald er tot
ist, werde ich laufen gelassen. Ihr bringt in nicht nach Europa, und gebt ihm keine neue Identität. Ihr
bringt ihn um.“ Chris lauschte auf eine Antwort und sah dann seinen Entführer an. „Wann?“, fragte
er. „Chef? Morgen Mittag, Punkt ein Uhr in der Wall Street. Bis dann.“
„Es ist Chris! Gespräch aufzeichnen und zurückverfolgen!“, rief Jonathan und ging an sein Handy.
„Christopher! Geht’s dir gut? Verstanden. Wann treffen wir uns? Geht klar.“
Theresa kam ins Büro gestürmt und sah ihren Chef an. „Was hat er gesagt?“
„ Wir treffen uns morgen um ein Uhr an der Wall Street. Wir sollen nicht eingreifen und es geht ihm
gut.“
Die Ermittlerin atmete erleichtert aus. „Die Notfallcodes?“
Jonathan nickte. „Ja. Gott sei Dank konnte er sie benutzen, ohne, dass es auffällig wurde. Chris
meinte: Ihr bringt in nicht nach Europa, und gebt ihm keine neue Identität. Es ist also alles klar. Wir
haben bis morgen um ein Uhr Zeit, alles vorzubereiten.“
Dann drehte er sich um und sah in das Büro. „Konnten wir den Anruf zurückverfolgen?“
Zu seiner Enttäuschung schüttelte der Technikexperte den Kopf. „Tut mir Leid, nein. Die
Gesprächsdauer hat nicht zum Triangulieren gereicht. Ich kann ihnen nur sagen, dass er sich nicht
bewegt hat und sich irgendwo in Manhattan befindet.“
„Er ist einverstanden. Morgen Mittag, Wall Street. Geht klar.“, sagte Chris und spukte auf den Boden.
Er spukte Blut, was ihn nicht gerade wunderte. Als der Täter ihn niedergeschlagen hatte, war er mit
der Lippe auf der Kommode gelandet.
„Mit was haben sie mich eigentlich k.o. geschlagen? Mein Schädel brummt ganz schön.“, fragte Chris
und verzog das Gesicht. Sein Kopf pochte, als hätte man Reiszwecken hineingetan und dann
geschüttelt.
„Der gute alte Baseballschläger. Der Richter hatte praktischerweise einen an der Garderobe stehen.“
„Glück für sie, Pech für mich.“
Was sollte Chris jetzt machen? Er musste irgendwie einen Plan aushecken, um morgen Informationen
weitergeben zu können. Er brauchte Ruhe, um nachdenken zu können. Als er darüber nachgrübelte,
wie er es schaffen konnte, sich loszubinden, hatte er einen Geistesblitz.
„Wie heißen Sie eigentlich? Ich will nicht immer ‚Täter‘ denken müssen. Außerdem, hey, wem sollte
ich’s schon verraten? Den Wänden?“, fragte Christopher seinen Entführer.
Nach kurzem Zögern antwortete der Mann: „Mike Kingsley.“
Chris nickte. „Mike Kingsley. Klingt gar nicht nach einem Verbrecher. Sagen Sie Mike, Sie haben nicht
zufällig ein Aspirin? Ich habe wirkl…“
Agent Donnelly brach ab und verdrehte die Augen, bevor sein Kopf leblos auf seine Brust fiel.
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Langsam öffnete Chris wieder die Augen. Sein Plan hatte funktioniert. Mike hatte ihn, nach dem
gespielten Zusammenbruch, in eine Zelle gebracht, wo er dann die Handfesseln durchgeschnitten
hatte. Der Geräuschkulisse nach zu urteilen, war noch jemand im Zimmer.
Chris setzte sich leise und langsam auf, da ihm nun wirklich schwindelig war.
„Geht’s wieder?“, fragte eine Stimme, die nicht Mike Kingsley gehörte.
Er fuhr zusammen und drehte sich ruckartig um. Ein Fehler, da er kurzzeitig Sternchen sah.
„Ja. Nein. Geht so. Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“, stöhnte Chris und ließ sich wieder auf die
harte Pritsche sinken.
„Mein Name ist Lucas Wood.“
„Ach, das trifft sich ja gut, ich suche sie nämlich. Special Agent Christopher Donnelly. Schön zu sehen,
dass Sie wohlauf sind. Morgen Mittag sind Sie hier raus.“, stellte Christopher sich vor und erklärte
dem Richter schnell die Fakten.
Als er fertig war, setzte er sich wieder auf und sah dem Richter ins Gesicht. „Alles klar? Sie sagen
meinem Chef, dass es mir gut geht und dass der Täter Mike Kingsley heißt. Ich wette, Ihnen wird auf
der Fahrt die Augen verbunden, also versuchen Sie sich die Strecke zu merken. Achten Sie auf die
Zeit, Gerüche, Unebenheiten in der Straße, einfach alles. Können sie das machen?“
Lucas Wood nickte und deutete auf den Kopf von Christopher. „Hat er Sie niedergeschlagen? Die
Wunde sieht nicht gut aus.“
Diesmal war es der Agent, der nickte, was die Kopfschmerzen nur noch schlimmer machten.
„Der hat ganz schön hart zugeschlagen. Sagen Sie meinen Kollegen also auch, dass Sie sich beeilen
sollen. Ich weiß nicht, wie lange ich durchhalte, wenn sich das entzündet.“
„Geht klar. Ich glaube, Sie sollten versuchen die Wunde etwas zu reinigen. Dort drüben ist ein
Waschbecken.“, meinte der Richter und wies auf ein kleines metallenes Becken an der kürzeres
Wand der Kammer, wo auch ein Spiegel hang.
Abermals nickte Chris und stand langsam auf und ging zum Waschbecken. Als er in den Spiegel sah
erschrak er vor sich selbst. Die Lippe war blau und aufgeschlagen und die blonden Locken waren rot
und starr von getrocknetem Blut. Er zog sein T-Shirt aus, welches eigentlich nur noch ein Fetzen Stoff
war, und tränkte es in das Wasser um sich zumindest etwas sauber zu machen.
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9. Die Übergabe______________________________________________________________
„Okay, stellt alle Männer in Position. Ich will auf jedem Parkplatz, in Parkhäusern und alle Bänder von
allen Kameras auf der Straße, um zu sehen von wo sie kommen!“, erteilte Jonathan letzte
Anweisungen, bevor er sich den kleinen Stöpsel in Ohr steckte und wartete, bis eine Antwort kam.
Der sonst so relaxte Agent war sichtlich angespannt und nervös.
„In Position.“, knisterte es in seinem Ohr, die Funkverbindung stand also.
„Gut. Ihr wisst was zu tun ist? Nur beobachten, nicht schießen. Richter Wood könnte verletzt
werden.“ Agent Taylor sah sich nervös um. Er stand mitten in der Wall Street und obwohl die Rush
Hour noch nicht angebrochen war, wirkt die Straße unheimlich voll und unübersichtlich.
Wie sollte er hier jemals den Täter oder den Richter ausfindig machen?
Jonathan war so in Gedanken versunken, dass er leicht zusammenzuckte, als er Theresas Stimme
vernahm. „Chef? Ich habe Richter Wood im Visier. Er nähert sich dir auf elf Uhr.“
„Verstanden.“
Ein Piepen seiner Armbanduhr verriet, dass es Punkt Eins war. Der Entführer musste verdammt gut
organisiert sein, um so pünktlich zu erscheinen. Der Special Agent sah sich um. Elf Uhr hatte seine
Kollegin gesagt – und tatsächlich, da kam der Richter auf ihn zugelaufen.
„Leute, von wo kam er? Was ist mit dem Täter?“, fragte Jonathan angespannt.
„Er kam aus einem Geschäft, John. Alleine.“
„Verdammt nochmal, ich will die Bänder aller Kameras haben! Ich brauche den Täter!“, rief er
aufgebracht und wütend. John atmete einmal tief durch und lief dem Richter entgegen.
„Richter Wood? Supervisory Special Agent Jonathan Taylor. Kommen Sie mit mir, bitte.“
Er brachte das Entführungsopfer in den in der Nähe geparkten SUV und schloss die Tür hinter ihnen.
„Ihr Kollege hat mir einige Sachen gesagt, die ich Ihnen weiterleiten soll.“, begann Richter Wood und
als sein Gegenüber nur nickte, fuhr er fort: „Der Täter heißt Mike Kingsley … und ich kenne ihn
irgendwo her, er muss einmal bei Gericht gewesen sein. Zudem sagte Ihr Kollege, ich solle Ihnen so
weit wie möglich die gefahrene Strecke erklären. Also…“
Während Lucas Wood den Weg beschrieb, fertigte Jonathan Notizen an, die er dann weiterleitete an
Kollegen, im FBI-Gebäude saßen. Sie sollten versuchen, die Strecke zurückzuverfolgen. Das war
natürlich nicht leicht, aber mit ein bisschen Heimatkunde und Trigonometrie nicht ein Ding der
Unmöglichkeit.
Chris war auf der harten Pritsche schließlich doch eingeschlafen. Oder war er ohnmächtig geworden?
Er wusste es nicht mehr. Eigentlich war es ihm auch egal, Hauptsache, er konnte sich wenigstens
etwas erholen. Nachdem Mike den Richter aus der kleinen Zelle geholt hatte, war Christopher eine
Menge Zeit geblieben, um über sein weiteres Verbleiben nachzudenken. Wenn Theresa Recht gehabt
hatte, und er war sich sicher, das hatte sie, würde ihm eine ziemlich qualvolle Zeit bevorstehen.
Aber was sollte er schon tun? An Fliehen war nicht zu denken, schließlich waren alle Wände
gemauert und die Tür bestand aus Stahl, das hatte er sofort überprüft. Es blieb ihm also nichts
anderes übrig, als auf seine Kollegen zu warten und die Spielchen von seinem Entführer mitzuspielen.
Kurz hatte er überlegt, ob es möglich war, dass Mike ihn einfach gehen lassen würde, wenn er darum
bitte. Doch obwohl er mit seinem Chef hatte telefonieren dürfen, war ihm klar, dass Mr. Kingsley ihn
nicht gehen lassen würde. So leichtgläubig und naiv war er nun auch wieder nicht. Der Täter hatte
eingesehen, dass das Telefonat zu seinem Besten war, da er auf diese Weise seine Geliebte rächen
konnte. Aber was würde es für einen Sinn haben, Christopher laufen zu lassen? – gar keinen.
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Alle Möglichkeiten aus seiner düsteren Unterkunft zu kommen, waren also zunichte gemacht
worden. Chris schlug die Augen wieder auf und lauschte in die Dunkelheit. Hatte er Schritte gehört,
oder gaukelte sein Gehirn ihm etwas vor? Als er nochmals leise Schritte vernahm, war er sicher, dass
es keine Halluzination gewesen war. Chris setzte sich leise auf und zog sein mittlerweile trockenes
T-Shirt wieder an. Dann legte er sich mit geschlossenen Augen auf die Pritsche, bevor kurze Zeit
später die Tür geöffnet wurde.
„Christopher… Christopher… Bist du mir etwa schon gestorben?“, vernahm Chris eine Stimme bevor
er zwei Finger an seiner Halsschlagader spürte. „Na, Gott sei Dank. Du hast noch gut zwei ein halb
Monate, weißt du?“ Mikes leises Flüstern wurde plötzlich laut und aggressiv „Mach die Augen auf!“,
schrie er.
Als Chris langsam, wie aus einer Ohnmacht erwachend, die Augen öffnete, erschrak er fast, da Mike
Kingsleys Gesicht so nah vor seinem schwebte.
„Weißt du, was Vivian in der zweiten Woche gemacht hat? Nein?“
Christopher reagierte zu spät. Er wollte sich gerade von der Peitsche rollen, als ihn Mikes Faust
mitten ins Gesicht traf - er meinte Knochen knacken zu hören. Der Schlag hatte ihn fast ins Reich der
Träume geschickt und so konnte Chris sich nicht gegen die Hände wehren, die ihn eine Schlinge um
seinen Hals legten und ihm die Hände fesselten. Er spürte, wie er hochgehoben wurde.
„Stell dich auf den Stuhl. Stell dich hin!“
Chris‘ Füße tasteten nach einem Boden, bis er schließlich einen kleinen festen Untergrund fand.
Wenn er doch bloß nicht so benommen wäre! Er spürte, wie sein Entführer an der Schlinge zupfte.
„Ich hoffe, ich kann dich schnell genug befreien…“, meinte Mike höhnisch, bevor er den Stuhl unter
Christophers Füßen wegtrat und genüsslich zusah, wie sich schlagartig die Schlinge um dessen Hals
zusammenzog.
Theresa Franklin hatte die ganze Nacht in ihrem Büro verbracht. Sie konnte den Gedanken nicht
ertragen, nichts zu tun und Chris im Stich zu lassen. Mittlerweile war wegen ihr der Kaffeevorrat
erschöpft und die Birne ihrer Schreibtischlampe durchgebrannt. Mehrere Kollegen hatten sie davon
überzeugen wollen nach Hause zu gehen, doch sie hatte nicht gehört. Als John schließlich um vier
Uhr Nachts ging, mit dem Versprechen um sechs Uhr mit Frühstück wieder da zu sein, und Theresa
ganz allein in dem riesigen Bürotrakt saß, kullerte ihr eine einzige Träne die Wange hinunter, welche
sie sich hastig wieder abwischte. Die Bundesbeamtin schaute auf ihre Uhr, dann auf das Telefon vor
ihr. Sie rechnete jede Minute damit, dass es klingelte und ihr Agents mittteilten, sie hätten das Haus
von dem Täter gefunden. Konnte es denn so schwer sein?
Theresa stütze den Kopf in die Hände, wobei ihr Blick auf den großen Wandkalender fiel.
Ihre Augen weiteten sich kurz, bevor sie in den Akten blätterte. Nach kurzem Suchen fand sie die
benötigte Information und griff hastig nach dem Telefon.
„John? Ich bin’s, Theresa. Habe ich dich geweckt? Gut. Hör mal, wir müssen uns beeilen. Wenn Mike
Kingsley wirklich alles nachstellen will, dann hängt Chris jetzt mit einer Schlinge um den Hals
irgendwo an einer Decke! Gut. Bis gleich.“
Sie atmete einmal tief durch. Jetzt hieß es, nicht die Nerven zu verlieren. Ihr Chef war auf dem Weg
und sie würden sich sofort daran machen, alles zu tun, um Chris zu finden.
Dieser hing so ruhig wie möglich an dem Seil, das Mike ihn um den Hals gebunden hatte. Christopher
hatte seinen Nacken so gut wie es ging angespannt, als die Schlaufe sich zusammengezogen hatte.
Die Aktion hätte leicht ins Auge gehen können, denn der Trick hätte gegen einen Genickbruch auch
nichts genützt. Nun erinnerte sich der Agent an den Inhalt von irgendeinem Buch, dass jede
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Bewegung die Schlinge nur noch enger zusammenzog. Also versuchte der seinen Instinkten so gut
wie möglich zu widerstehen, und flach zu atmen und vor allen sich nicht einen Millimeter zu
bewegen, was an einem freihängenden Seil nicht ganz einfach war.
Als Chris schluckte, spürt er, wie sein Adamsapfel an dem rauen Hanf entlang schrappte. Konnte er
sprechen, ohne eine Gefahr einzugehen? Er musste Mike Kingsley davon überzeugen, dass er ihn von
der Decke holen musste. Was konnte schon schiefgehen? Wenn Chris doch sowieso bis zur
Ohnmacht in seiner Zelle hängen sollte, dann konnte er sich die Zeit bis dahin auch mit reden
vertreiben.
„Mike? Mike, hören sie mir zu. Meine Kollegen haben mittlerweile Richter Wood vernommen und
wissen sicher schon, wo wir sind. Bitte holen Sie mich hier runter, das hilft Ihnen doch nichts.“
Der Angesprochene hielt sich die Ohren zu. „Sei ruhig!“
Chris runzelte die Stirn. Etwas an Mike war komisch. Er hatte Charaktereigenschaften, die einfach
nicht zueinander passten; mal ging er auf Forderungen ein, dann wollte er nichts von Christopher
hören. Mal war er fast verschüchtert, um dann jähzornig zu werden.
Chris, der Vorher in der Verhaltensanalyse Einheit gearbeitet hatte, war zunächst von einer
dissoziativen Persönlichkeitsstörung, also von zwei Persönlichkeiten ausgegangen, hatte dies aber
schnell wieder verworfen. Er nahm keine sichtbare Veränderung der Körperhaltung wahr, und auch
die Stimme blieb gleich. Plötzlich fiel ihm etwas ein.
Mit sanfter Stimme fragte er: „Mike, nehmen Sie Medikamente? Gegen die Stimme, die Ihnen sagt,
was Sie tun sollen?“
Plötzlich sah Mike ihn an. „Woher wissen Sie das?“, fragte er drohend.
Der Agent zuckte mit den Schultern – keine gute Idee. Die Schlinge zog sich um einiges enger und
Chris bekam immer schlechter Luft.
„Holen Sie mich hier runter, und stellen Sie sich, dann bekommen Sie Hilfe.“, keuchte Chris und
japste nach Luft.
Sterne fingen an, vor seinen Augen zu tanzen und er sah benommen, wie Mike mit sich rang. Bevor
die Dunkelheit ihn mit sich zog, merkte Chris noch, wie sein Entführer aus der Tür eilte. Er hoffte, um
eine Schere zu besorgen.
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