Executive Summary Direkte Demokratie: Referenden aus

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Executive Summary
Direkte Demokratie:
Referenden aus demokratietheoretischer und sozialdemokratischer Sicht
Wolfgang Merkel et al.
Ausgangspunkt
Obwohl nie verstummt, hat die Kritik an der repräsentativen Demokratie seit der
Jahrtausendwende wieder verstärkt Fahrt aufgenommen. Neben der Herausforderung der
Globalisierung werden insbesondere Defizite in der demokratischen Partizipation und
Repräsentation wahrgenommen. Die Rede von der Postdemokratie macht die Runde.
Deshalb verwundert es nicht, dass die Debatte um mehr direkte Demokratie wieder in Fahrt
gekommen ist. Dies gilt insbesondere für jene Länder, die wie Deutschland auf
Bundesebene nicht über direktdemokratische Instrumente der Volksabstimmung verfügen.
Der Ruf wird lauter, das Volk stärker und direkter an der Gesetzgebung zu beteiligen.
In der Studie haben wir geprüft, inwieweit Volksabstimmungen die Malaisen der
repräsentativen Demokratie lindern können und ob sich über die Ausdehnung der
Mitentscheidungsrechte progressive oder linke Politikmuster durchsetzen. Die Studie basiert
auf theoretischen Überlegungen, aber insbesondere auf empirischen Analysen. Untersucht
wurden die Erfahrungen in der Schweiz, Italien, Polen, Kalifornien sowie Bayern Und
Hamburg.
Die ideale Welt positiver Erwartungen
Die wichtigsten Erwartungen sind:
-
Der Volkswille kann sich direkt und ungebrochen ausdrücken.
Die Gesetzesergebnisse entsprechen stärker den individuellen Präferenzen der
Bürger, je mehr direktdemokratische Verfahren ein Land hat.
Die Identifikation mit dem demokratischen Gemeinwesen steigt an.
Die politische Beteiligung nimmt zu.
Das Sozialkapital in der Gesellschaft steigt.
Volksabstimmungen sind innovativ und brechen Politikblockaden.
Volksabstimmungen heben das politische Informationsniveau, sie sind „Schulen der
Demokratie“.
Volksabstimmungen erhöhen die Gesetzestreue und Folgebereitschaft der Bürger.
Die Staatsverschuldung wird von den Bürgern selbst begrenzt.
„Direct democracy raises happiness“ (B. Frey)
Die reale Welt (nicht nur) voller Ernüchterungen
Ein empirisches Fazit lässt sich aus drei Perspektiven ziehen: der wirtschaftlichen, der
demokratischen und der (partei-)politischen Perspektive.
Wirtschaftliche Perspektive: weniger Staat
1. Die konservativen Befürchtungen, dass Volksabstimmungen zu einer
Anspruchsinflation und einem Überbietungswettbewerb im wirtschafts- und
sozialpolitischen Bereich führen könnten, lassen sich empirisch nicht erhärten. Das
Gegenteil ist eher der Fall. Volksabstimmungen in der Schweiz führen in der Regel zu
Steuer- und Ausgabensenkungen.
2. Die von der Politökonomik durchgeführten ökonometrischen Untersuchungen
stützen diese Thesen insbesondere für die Schweiz und zum Teil auch für Kalifornien.
3. In der Schweiz gibt es einen leichten positiven Zusammenhang von
Volksabstimmungen und geringerer öffentlicher Verschuldung.
4. Die Steuermoral ist umso höher, je mehr die Bürger selbst über Steuern und Abgaben
entscheiden dürfen.
5. Ob direkte Demokratie auch das subjektive Glücksempfinden steigert, harrt noch
einer soliden Überprüfung.
Demokratietheoretische Perspektive: soziale Schieflage
1. Die Vorstellung, dass das Volk entscheidet, erweist sich in statistischen und
sozialstrukturellen Analysen als Schimäre. Es ist häufig nur der kleinere Teil des
Volkes, der abstimmt.
2. Volksabstimmungen weisen im Vergleich zu Parlamentswahlen in der Regel eine
höhere soziale Selektivität auf. Die Mittelschichten und oberen Schichten
dominieren, die unteren Schichten bleiben weg. Nicht das Volk, sondern eine soziale
Schrumpfversion des Volkes stimmt ab.
3. Je häufiger Abstimmungen, umso geringer die Wahlbeteiligung. Die Vorstellung, dass
die Existenz von Volksabstimmungen fördere generell die Wahlbeteiligung, trifft
nicht zu. Die beiden Referendumsdemokratien par excellence, Schweiz und
Kalifornien, weisen im internationalen Vergleich extrem niedrige Wahlbeteiligungen
auf.
4. In der Schweiz führen Volksabstimmungen dennoch zu einer höheren Identifikation
mit ihrem Gemeinwesen und tragen zu einer größeren politischen Stabilität bei. Die
konservativen Befürchtungen, dass Referenden zur Destabilisierung der Demokratie
beitragen, entbehren in stabilen Demokratien jeder Grundlage.
5. Problematisch sind hingegen die Beteiligungsquoren. Setzt man sie zu hoch an,
werden nur wenige Volksabstimmungen Aussicht auf Geltung erreichen. Werden sie
zu niedrig angesetzt, gerät man in eine Legitimitätsfalle. Dann werden
Abstimmungsergebnisse zu Gesetzen, die eventuell von weniger als 25 Prozent der
stimmberechtigten Bevölkerung gebilligt wurden. Hinter solchen Gesetzen stehen
viel geringere Teilmengen des Volkes als in der repräsentativen Demokratie.
6. Eine niedrige Quorumsschwelle begünstigt die Herrschaft gut organisierter
Minderheiten. Werden dabei Minderheitenrechte eingeschränkt, können solche von
aktivistischen (u.a. rechtspopulistischen) Minderheiten vorgetragenen Mehrheitsvorstellungen auch tyrannischen Charakter tragen.
Parteipolitische Perspektive: konservative Muster
1. Linke Parteien befürworten häufig die Einführung von Volksabstimmungen.
Basisdemokratische Wurzeln, Werte und Ideale kommen hier zum Tragen.
Konservative stehen außerhalb der Schweiz und Kalifornien, insbesondere aber in
Deutschland, der Ausbreitung von Volksentscheiden auf nationaler Ebene skeptisch
gegenüber.
2. Die linke Position ist in der Theorie stimmig, in der Realität aber ein Paradox. Es ist
wie mehrfach gezeigt nicht das Volk, das in Referenden abstimmt, sondern es sind
die Informierten und Bessersituierten der Gesellschaft. Diese bilden mehrheitlich
eher nicht das klassische Wählerklientel der Linken.
3. Die Politikergebnisse sind in zentralen Politikfeldern konservativ. Das gilt für die
Fiskal- und Sozialpolitik, aber nicht selten auch für minderheitensensible kulturelle
Themen. Diese sind weiter von sozialdemokratischer Programmatik entfernt als
parlamentarisch verfasste Gesetze.
4. Sozialstruktur und Interessenlage des Abstimmungsvolkes (die besser Gestellten
einer Gesellschaft) stimmen mit den Politikmustern der Entscheidungen in
Volksabstimmungen überein.
5. Es bleibt ein Rätsel, warum die Sozialdemokratie sich dennoch für die Etablierung
nationaler Volksentscheide einsetzt. Sozialdemokraten sind Idealisten und setzen auf
Aufklärung ist die eine Erklärung. Die andere ist das schon zitierte Fazit aus Anna
Christmanns Survey-Studie (2009: 97): „Es bestätigt sich also, dass die
Bundestagsabgeordneten schlichtweg schlecht über praktische Erfahrungen mit
direkter Demokratie informiert sind.“
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