Predigt von Bischof Fabiny

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Predigt von Bischof Dr. Tamás Fabiny
Daugavpils, den 29. April 2012
Johannes 21, 1-14
Liebe Schwestern und Brüder!
Es ist mir eine große Ehre, dass ich am heutigen Sonntag hier
in Daugavpils als Gast des Bistums Daugavpils der
Evangelische-Lutherischen Kirche Lettlands predigen kann.
Vor allem möchte ich die herzlichen Grüße der EvangelischLutherischen Kirche in Ungarn, die etwa 300 000 Mitglieder
zählt, euch übergeben.
Im Leben unserer Nationen und unserer Kirchen gibt es – trotz
der großen Entfernung – etliche gemeinsame Züge. Es gab
eine kurze Zeit, als wir unter einem Herrscher gelebt hatten:
im Jahr 1575 hat der Sejm den ungarischen István Báthory
den siebenbürgischen Fürsten (Siebenbürgen ist heute in
Rumänien, auf dessen Gebiet viele Ungarn leben) zum
polnischen König gewählt, der in seinen Feldzügen den
russischen Herrscher, Ivan den IV. besiegt hat und von ihm
Livland – wenn meine Kenntnisse mich nicht täuschen – das
heutige Süd-Estland und Lettland zurückerobert hat.
Der katholische Báthory hat die Protestanten gerade nur
geduldet, so konnten unsere evangelischen Ahnen bald
erfahren, was es bedeutet, für ihren Glauben tapfer
einzutreten. Diese tapfere Haltung haben unsere Vorgänger
auch in der Sowjetzeit sehr gebraucht, denn das Leiden wegen
des christlichen Glaubens hat viele Opfer gekostet.
Unser Land, Ungarn war zwar nicht Teil der Sowjetunion, wir
gehörten aber – nicht aus eigener Wille – zum Interessenkreis
dieses Reiches. Es ist sehr wichtig, dass ihr wisst: in Ungarn
beteten für euch, unterstützten euch sehr viele Menschen, als
ihr am Anfang der 90-er Jahre eure Unabhängigkeit
heldenhaft erkämpft habt.
Wenn ein alltäglicher Mensch in Ungarn über Lettland gefragt
wird, dann weiß man meistens von zwei Sachen: das eine ist,
daß Lettland während des Sozialismus sehr viele ungarische
Ikarus Autobusse gekauft hat, die Verkehrsverbindung eurer
Hauptstadt, Riga wurde mit diesen Bussen gelöst. Das andere
ist, dass auch in den ungarischen Lebensmittelgeschäften euer
köstlicher Fisch, die Sprotte zu finden ist.
Ich werde in meiner Predigt nicht von Autobussen sprechen,
von Fischen aber viel mehr. Ihr werdet sehen, dass – zwar
etwas versteckt – es wird aber auch die Sprotte angesprochen,
ähnlich zu einem der köstlichsten Fische in Ungarn, zum
Balatoner Zander.
Im Interesse der Fische gehen wir aber zweitausend Jahre in
der Zeit zurück, und wir versuchen wachzurufen, was am See
Tiberias passiert ist.
I.
Es ist eine bekannte Geschichte.
Wen sehen wir hier an diesem Morgen? Sieben Maenner,
jüngere und aeltere. Breite Schultern, raue Hände, kräftige
Muskeln, wettergegerbte rote Gesichter und ungepflegte lange
Brte. Aber mit düsteren, stumpfen Blicken. Auf ihren Gesicht
liegt eine besondere Traurigkeit .Sie sind nur zu siebt. Wo
sind die anderen geblieben? Vor kurzem waren sie noch 12.
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Einer ist weggeflohen, weil er Angst hatte vor
Verfolgung.
Einer hat sich erhaengt.
Einer hat sich wieder voll ins Leben gestürzt.
Sieben müde, bittere Maenner im Niemandsland.
Sie sind keine Jünger mehr, aber auch noch keine
Apostel.
Sie leben zwischen Ostern und Pfingsten.
Petrus sagt zu den anderen: „Ich gehe fischen.” Ein
erschreckender Satz aus dem Mund von Petrus. Vor gar nicht
langer Zeit hatte er den Fischfang um Jesu willen aufgegeben.
Er war Menschenfischer geworden, aber nur für kurze Zeit.
Jetzt scheint es so, als ob der Auftrag ein Irrtum gewesen
wäre. Ein flüchtiges Abenteuer mit Jesus. „Ich gehe
fischen…” Es scheint so, als ob er sein Diplom zurückgeben
würde, welches er in der Schule von Jesus erworben hatte.
Oder als ob er zurücktreten würde oder sein Mandat
zurückgäbe. Petrus flieht zurück in sein Privatleben. Der
Felsen hat eine Spalte bekommen. Man kann darauf nicht
mehr bauen. Seine Worte sind auch deshalb so schmerzhaft,
weil wir schon in der Zeit nach Ostern sind. Unter der
Führung des Petrus kehren die Jünger zum Fischfang zurück.
Aber sie arbeiten die ganze Nacht umsonst. Sie fangen nichts.
Der Misserfolg verstärkt ihre Kraftlosigkeit.
Leer sind ihre Boote, leer sind ihre Blicke und leer sind
ihre Herzen.
Irgendwo tief in ihrem Inneren trauern sie noch um Jesus,
mit lautlosem Seufzen.
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Der Gedanke an die Auferstehung scheint ihnen so
unwahrscheinlich.
War es nicht nur die Einbildung einiger Frauen?
Hatte eine unverschaemte Vision mit ihnen nur einen
grausamen Scherz gespielt?
Die durch Jesus verbliebene Lücke konnte noch niemand
füllen.
II. Uns geht es doch sicher auch oft so.
Wir arbeiten, wir ermüden, werfen immer wieder unsere
Netze aus, aber umsonst. Wir fangen nichts. Unsere Netze
bleiben leer, es ist kein müder Karpfen oder Hering drin.
Umsonst mühen wir uns die ganze Nacht ab, wir fangen
nichts.
Umsonst lassen wir unsere Netze ins Wasser, umsonst
ziehen wir sie wieder heraus, umsonst betrachten wir mit
Argusaugen die Wasseroberf1aeche, umsonst halten wir uns
wach.
Umsonst!
Unseren verschiedenen Arbeitsfeldern und Bereichen
kennen wir dieses Wort nur zu gut: Umsonst.
Im Zimmer des Altenheims sitzen wir bei einer alten Frau
auf ihrem Bett. Sie hat vielleicht nur noch eine kurze Zeit zu
leben. Sie fragt nur: „Wann kommen meine Kinder?” Wir
möchten helfen, vermitteln. Aber alles Bemühen ist umsonst.
Der so innig ersehnte Gast tritt nie ins Zimmer ein
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Gymnasiasten nehmen Drogen. Eltern und Lehrer, Pfarrer und
Religionslehrer versuchen gemeinsam zu helfen und doch
gelangen die Jugendlichen nur noch weiter in den Abgrund.
Alles umsonst.
Studenten lernen die ganze Nacht bis ihnen die
Buchstaben vor den Augen verschwimmen und nach der
Prüfung schreibt der Professor mit unbewegtem Gesicht das
Ungenügend auf. Alles Bemühen war umsonst.
Das Presbyterium bemüht sich seit Tagen den
Haushaltsplan der Gemeinde aufzustellen. Sie suchen nach
finanziellen Mitteln, wie die Kirche renoviert werden kann?
Wie könnte man mit diesem Projekt beginnen? Die
Forderungen kommen von überall her, aber es gibt keine
finanzielle Quelle. Alles umsonst.
In der Gemeinde gibt es immer mehr Arbeitslose. Die
jungen Ingenieure schreiben immer wieder ihre Lebensläufe
und Bewerbungen. Ein Vorstellungsgespraech folgt dem
anderen. Aber die Antwort ist immer wieder dieselbe: „Es tut
uns Leid, Ihnen mitteilen zu müssen. Ihre Suche nach Arbeit
bleibt erfolglos...”
Der Pfarrer kommt mit blassem Gesicht vom Dienst
zurück. Er zieht sich aus seinem Talar langsam aus und legt
ihn auf den Stuhl und er denkt darüber nach, dass er wieder
irgendwo zu spät angekommen ist. Er konnte nicht mehr
helfen. Er wurde zurückgewiesen. Alles umsonst. Und so
haben die Fischer am Ufer des Sees ihre Netze gewaschen.
III. Auf einmal steht jemand am Ufer.
Er gibt ihnen einen Rat. Nicht hier, sondern dort sollen
sie die Netzte auswerfen. Zuerst aergern sie sich vielleicht.
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Warum mischt sich dieser Fremde ein? Was hat er damit zu
tun? Warum kommt er sich so klug vor? Wir sind die
Fachleute. In der Nacht kann man besser fischen. Was für eine
Idee hat dieser Laie? Wir sollen es jetzt am frühen Morgen
versuchen.
Aber dann gehorchen sie ihm doch. Sie werfen das Netz
an der rechten Seite des Bootes aus. Dann können sie es
wegen der grossen Menge der Fische kaum heraus ziehen. Der
Evangelist sagt auch mit genauen Zahlen, wie viele Fische im
Netz zappelten: insgesamt 153.
Nach den Schriftauslegern deutet diese Zahl auf die
Mission, denn in der damaligen Zeit wurden 153 Nationen auf
der Welt offiziell in Erinnerung gehalten oder „registriert“.
Diese Zahl bedeutet also, dass wir alle Völker der Welt in
missionarischer Verantwortung tragen sollen. Und hier
kommt, die am Anfang meiner Predigt erwähnte lettische
Sprotte und der ungarische Zander. Betrachten wir diese
Geschichte so, dass im Netzt beide Fische, sowohl euer
Sprotte, als auch unser Zander zusammen zappeln. Das
bedeutet, dass der auferstandene Herr mit unseren beiden
Nationen Pläne hat. Er will uns Beide in der Mission
verwenden, deshalb müssen wir unsere Netze auswerfen.
Denn nicht ein „Jedermann“ uns das befehlt, sondern selbst
der auferstandene Jesus Christus.
Einem der jungen Fischer geht langsam ein Licht auf.
Zuerst murmelt er es nur vor sich hin, doch dann sagt er es
laut: Es ist der Herr! Daraufhin stürzt sich der aufgeregte
Petrus ins Wasser und versucht so schnell wie möglich an den
Ufer zu gelangen. „Als sie ans Land kamen sahen sie dort
Glut. Darauf lagen Fische und Brot.(21,9)
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Und Jesus. Aus dem geheimnisvollen Fremden ist ein
Gastgeber, oder sogar Hausvater geworden. Besser gesagt, er
tut wie eine Mutter mit ihren Kindern beim Frühstück:
„Kommt und esst!” lautet die Einladung. Brot und Fisch. Zwei
Symbole mit tiefer Bedeutung. Es erinnert sie an das
Brotwunder, an die fünf Brote und die zwei Fische. Und es
erinnert sie auch an das letzte Abendmahl. Aber das hier ist
nicht das letzte Abendmahl, sondern das erste Frühstück.
Jesus, der gute Gastgeber wartet schon auf sie und genauso
wartet er auf uns, hier.. Das Brot und die Fische zeigen an,
dass wir uns nicht umsonst bemühen. Endlich können wir
unsere Sorgen ablegen und uns an Jesu Tisch setzen und mit
anderen Gemeinschaft haben. Wir können uns das Brot und
die Fische teilen, wie damals beim Brotwunder.
Diese Tischgemeinschaft ist ein Zeichen für die
Verbindung zwischen unseren Kirchen. Egal wo wir uns
treffen, wir sind immer Gaeste, denn Jesus ist der eigentliche
Hauswirt. Die von ihm erhaltenen Gaben, das Brot und die
Fische, können wir miteinander teilen. Das letzte Abendmahl
fand in einem geschlossenen Raum statt, im oberen Zimmer.
Dort hat der Tod seine Schatten geworfen. Jesus musste
sterben, damit wir leben können. Durch ihn werden wir
gerettet. Und so erzählt das erste Frühstück vom Leben.
Es findet nicht in einem geschlossen Raum, sondern unter
freiem Himmel statt. Dies bietet ganz andere Möglichkeiten,
so wie unser Zusammensein neue Möglichkeiten schafft. Es ist
gut, dass wir zusammen gehören. Diese Zusammenarbeit ist
eine Freude. Wenn wir zusammenhalten, können auch wir
Wunder am frühen Morgen entdecken. Wir sollten diese
Erfahrung der Gemeinschaft mitnehmen, weil wir daraus
lernen, dass unser Mühen nicht umsonst ist.
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Das Netz ist nicht leer. Dies ist das Geschenk Jesu. Denn
er ist der Gastgeber. Denn wir alle durften seine Gaeste sein.
Und wir bleiben seine im Laufe unseres ganzen Lebens.
Amen.
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