Seite - beim Kanton Aargau

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GROSSER RAT
WORTPROTOKOLL
63. Sitzung vom 18. August 2015 von 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr (Art. 0971-0993)
Vorsitzender:
Dr. Markus Dieth, Wettingen
Protokollführung:
Rahel Ommerli-Peyer, Ratssekretärin
Präsenz:
Anwesend 134 Mitglieder
Abwesend mit Entschuldigung 6 Mitglieder
Entschuldigt abwesend: Adrian Ackermann, Kaisten; Flurin Burkard,
Waltenschwil; Kurt Emmenegger, Baden; Renate Gautschy, Gontenschwil; Maya Meier, Auenstein; Gottlieb Trachsler, Gontenschwil
Die Protokolle der 48. bis 56. Sitzung wurden vom Büro genehmigt.
Behandelte Traktanden
Seite
0971 Mitteilungen
2733
0972 Daniel Urech, SVP, Sins (anstelle von Benjamin Brander, Muri); Inpflichtnahme als Mitglied
des Grossen Rats
2734
0973 Daniel Frautschi, SVP, Wettingen (anstelle von Eugen Frunz, Nussbaumen); Inpflichtnahme
als Mitglied des Grossen Rats
2734
0974 Neueingänge
2734
0975 Antrag auf Direktbeschluss der SVP-Fraktion (Sprecher Thomas Burgherr, Wiliberg) vom 18.
August 2015 betreffend einer Standesinitiative zur Aussetzung des Schengen/DublinAbkommens: Wiedereinführung eigenständiger Grenzkontrollen; Einreichung und schriftliche
Begründung
2734
0976 Motion der Fraktion der Grünen und der SP-Fraktion vom 18. August 2015 (Sprecherin Kathrin
Fricker, Baden) betreffend Schaffung einer rechtlichen Grundlage in Bezug auf
Mutterschaftsurlaub für Behördenmitglieder auf kommunaler und kantonaler Ebene;
Einreichung und schriftliche Begründung
2735
0977 Postulat Walter Deppeler-Lang, SVP, Tegerfelden (Sprecher), Patrick Gosteli, SVP, Böttstein
(Sprecher), und Hansjörg Erne, SVP, Leuggern, vom 18. August 2015 betreffend Stipendien /
zinslose Darlehen für Ausbildungsbeiträge im Tertiärbereich; Einreichung und schriftliche
Begründung
2736
0978 Postulat Christoph Riner, SVP, Zeihen, vom 18. August 2015 betreffend Information und
Organisation bei Miete von Liegenschaften für die Unterbringung von Asylbewerbern;
Einreichung und schriftliche Begründung
2737
0979 Interpellation Dr. Marcel Bruggisser, BDP, Aarau, vom 18. August 2015 betreffend
Massnahmen der Kantonalen Verwaltung, mehr inländisches Personal einzustellen und die
Wiedereingliederung arbeitsloser Personen zu fördern; Einreichung und schriftliche
Begründung
2737
2731
0980 Interpellation Daniel Hölzle, Grüne, Zofingen, vom 18. August 2015 betreffend E-Voting;
Einreichung und schriftliche Begründung
2738
0981 Interpellation Martin Keller, SVP, Obersiggenthal, vom 18. August 2015 betreffend Fragen
zum Verwaltungsrat der BDWM Transport AG; Einreichung und schriftliche Begründung
2739
0982 Interpellation Martin Keller, SVP, Obersiggenthal, vom 18. August 2015 betreffend Fragen zur
Geschäftstätigkeit der Axpo; Einreichung und schriftliche Begründung
2740
0983 Simone Kiefer, Olten, Fachrichterin am Verwaltungsgericht für die laufende Amtsdauer bis 31.
Dezember 2018; Wahl
2741
0984 Gesundheitsgesetz (GesG); Änderung vom 23. Juni 2015; redaktionelle Überprüfung gemäss
§ 35 Geschäftsverkehrsgesetz (GVG) und § 56b Geschäftsordnung (GO)
2742
0985
Gesetz über die Aargauische Kantonalbank (AKBG); Änderung vom 30. Juni 2015; Gesetz
über die Finanzierung der Sonderlasten (G Sonderlasten); Änderung vom 30. Juni 2015;
redaktionelle Überprüfung gemäss § 35 Geschäftsverkehrsgesetz (GVG) und § 56b
Geschäftsordnung (GO)
2742
0986 Unterrichtssprache an der Volksschule; Schulgesetz; Änderung; Bericht und Entwurf zur 1.
Beratung; Eintreten, Detailberatung und Gesamtabstimmung
2743
0987 Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt; Änderung; Bericht und
Entwurf zur 2. Beratung; Eintreten, Detailberatung und Schlussabstimmung; fakultatives
Referendum
2750
0988 Motion Renate Gautschy, FDP, Gontenschwil (Sprecherin), Bruno Gretener, FDP, Mellingen,
Josef Bütler, FDP, Spreitenbach, Andreas Senn, CVP, Würenlingen, René Bodmer, SVP,
Arni, Wolfgang Schibler, SVP, Buchs, Ruedi Weber, Grüne, Menziken, und Rosmarie Groux,
SP, Berikon, vom 3. März 2015 betreffend Teilrevision des Einführungsgesetzes zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (EG SchKG); Überweisung an den
Regierungsrat
2753
0989 Motion der BDP-Fraktion (Sprecherin Maya Bally, Hendschiken) vom 24. März 2015
betreffend Leumund von Personal bei privaten Sicherheitsdiensten; Umwandlung in ein
Postulat; Überweisung an den Regierungsrat
2762
0990 Interpellation Clemens Hochreuter, SVP, Aarau, vom 13. Januar 2015 betreffend Kriminalität
von Asylbewerbern im Kanton Aargau; Beantwortung und Erledigung
2766
0991 Interpellation Clemens Hochreuter, SVP, Aarau, vom 3. März 2015 betreffend
ausreisepflichtige, sprich abgewiesene Asylbewerber und Asylbewerber mit
Nichteintretensentscheid im Kanton Aargau; Beantwortung und Erledigung
2774
0992 Postulat der SP-Fraktion (Sprecherin Viviane Hösli, Zofingen) vom 24. März 2015 betreffend
Weiterbildungsoffensive während Kurzarbeitsperiode im Kanton Aargau, insbesondere für
Arbeitnehmende, welche stark gefährdet sind, arbeitslos zu werden; Rückzug
2787
0993 Interpellation FDP-Fraktion (Sprecher Herbert H. Scholl, Zofingen) vom 3. März 2015
betreffend Bewilligungspraxis für ausländische Arbeitnehmende, insbesondere qualifizierte
Fachpersonen; Beantwortung und Erledigung
2789
2732
0971 Mitteilungen
Vorsitzender: Ich begrüsse Sie zur 63. Sitzung der Legislaturperiode 2013/2016.
Heute darf ich gleich drei Ratsmitgliedern Glückwünsche zur Geburt eines Kindes aussprechen! Unser Grossratsvizepräsident 2, Benjamin Giezendanner, ist Vater geworden. Seine Tochter trägt den
Namen Sophia. Ebenfalls herzlich gratulieren wir Dr. Marcel Bruggisser zur Geburt seines Sohnes
Linus Oliver. Herzliche Gratulation den frischgebackenen Vätern!
Unsere Ratskollegin Maja Meier ist im Juli Mutter einer Tochter geworden. Das Mädchen heisst Elin.
Wir haben Maja Meier bereits gratuliert! Sie ist für heute entschuldigt.
Zu entschuldigen habe ich für heute Herrn Regierungsrat Stephan Attiger sowie für die Morgensitzung unsere Ratskollegin Renate Gautschy. Die beiden vertreten heute Morgen die Interessen des
Kantons Aargau in Bern bei der Behandlung der "Standesinitiative zum 6-Spurausbau der A1" in der
ständerätlichen Verkehrskommission.
Wie Sie der Traktandenliste entnehmen konnten, lädt uns Herr Regierungsrat Alex Hürzeler heute
um 12.00 Uhr zu einem kleinen Apéro ein. Der erfreuliche Grund: Alex Hürzeler hat im Juli geheiratet. Ich danke für die grosszügige Geste und gratuliere Alex und Ursula Hürzeler herzlich zur Vermählung.
Die Aargauer Umweltverbände BirdLife, Fischereiverband, Jagdschutzverband, Pro Natura und
WWF haben heute Morgen eine Petition mit dem Titel "Die Natur braucht unsere Unterstützung" mit
3'240 Unterschriften eingereicht. In der Petition wird gefordert, die Mittel für das Vorhaben Natur
2020, 2. Etappe, zu verdoppeln. Wir werden Gelegenheit haben, diese Anregung im Rahmen der
entsprechenden Geschäftsbehandlung zu diskutieren.
Die Traktandenliste wird stillschweigend genehmigt.
Regierungsrätliche Vernehmlassung an Bundesbehörden
1. Änderung der Verordnung über die Gewährung von Steuererleichterungen im Rahmen der Regionalpolitik; Vernehmlassung zuhanden des Staatssekretariats für Wirtschaft vom 8.7.2015
2. Entwurf "Vereinbarung zur Harmonisierung der Informatik der Strafjustiz (HIS) zwischen dem
Bund und den Kantonen"; Stellungnahme zuhanden der Konferenz der Kantonalen Justiz- und
Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) vom 10.7.2015
3. Verordnung des Bundesrates über Massnahmen zur Verhütung von Straftaten im Zusammenhang mit Prostitution; Vernehmlassung zuhanden des Bundesamts für Polizei vom 12.08.2015
4. Gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege; Vernehmlassung zuhanden der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats vom 12.08.2015
5. Teilrevision der Verordnung über die Unfallversicherung; Vernehmlassung zuhanden des Bundesamts für Gesundheit vom 12.08.2015
6. Finanzausgleich 2016 zwischen Bund und Kantonen; Anhörung zum Bericht der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV); Vernehmlassung zuhanden der Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK) vom 12.08.2015
Die Staatskanzlei stellt auf Verlangen die Vernehmlassungen samt den Unterlagen des Bundes zur
Verfügung. Die Vernehmlassungen können auch im Internet (www.ag.ch) abgerufen werden.
18. August 2015
Art.-Nr. 0971
2733
0972 Daniel Urech, SVP, Sins (anstelle von Benjamin Brander, Muri); Inpflichtnahme als Mitglied des Grossen Rats
Vom Grossen Rat wird gemäss § 5 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) folgendes neues Ratsmitglied in Pflicht genommen:
-
Daniel Urech, SVP, Sins (anstelle von Benjamin Brander, Muri)
0973 Daniel Frautschi, SVP, Wettingen (anstelle von Eugen Frunz, Nussbaumen); Inpflichtnahme als Mitglied des Grossen Rats
Vom Grossen Rat wird gemäss § 5 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) folgendes neues Ratsmitglied in Pflicht genommen:
-
Daniel Frautschi, SVP, Wettingen (anstelle von Eugen Frunz, Nussbaumen)
0974 Neueingänge
1. Steuerung und Finanzierung der subventionierten nichtkantonalen Berufsfachschulen; Gesetz
über die Berufs- und Weiterbildung (GBW); Änderung; Bericht und Entwurf zur 2. Beratung (Zuweisung: Kommission BKS)
2. Optimierung Aufgabenteilung Kanton – Gemeinden und Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen den Gemeinden; Gesetz über den Ausgleich der Aufgabenverschiebungsbilanz sowie
über die Übergangsbeiträge (AVBiG); Gesetz über den Finanzausgleich zwischen den Gemeinden (Finanzausgleichsgesetz, FiAG); Bericht und Entwurf zur 1. Beratung (Zuweisung:
Kommission AVW)
3. Dekret über die Löhne der Lehrpersonen (Lohndekret Lehrpersonen, LDLP); Änderung; Nachtragskredit; Zielanpassung (Zuweisung: Kommission BKS)
4. Gesetz über den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz im Kanton Aargau (Bevölkerungs- und
Zivilschutzgesetz Aargau, BZG-AG); Änderung; Bericht und Entwurf zur 1. Beratung (Zuweisung:
Kommission SIK)
5. Gesetz über Raumentwicklung und Bauwesen (Baugesetz, BauG); Änderung; Teilrevision Umsetzung des "Gewässerraums" gemäss Bundesrecht; Bericht und Entwurf zur 2. Beratung (Zuweisung: Kommission UBV)
6. Programm Natur 2020; Zwischenbilanz 1. Etappe 2011–2015; Handlungsschwerpunkte und Ziele 2. Etappe 2016–2020; Verpflichtungskredit (Zuweisung: Kommission UBV)
0975 Antrag auf Direktbeschluss der SVP-Fraktion (Sprecher Thomas Burgherr, Wiliberg) vom
18. August 2015 betreffend einer Standesinitiative zur Aussetzung des Schengen/DublinAbkommens: Wiedereinführung eigenständiger Grenzkontrollen; Einreichung und schriftliche
Begründung
Von der SVP-Fraktion wird folgender Antrag eingereicht:
Text:
Wir beantragen, dem Grossen Rat eine Standesinitiative zur vorübergehenden Aussetzung der
Schengen/Dublin-Abkommen und der Wiedereinführung von Personenkontrollen an den Landesgrenzen der Schweiz zu unterbreiten.
18. August 2015
Art.-Nr. 0972-0975
2734
Begründung:
Zurzeit findet eine massive illegale Einwanderung in die Schweiz durch Kriminaltouristen und illegale
Migranten, teilweise auch unter dem Deckmantel Asyl, statt. Das Grenzwachkorps hat an der Südgrenze eine sehr grosse Anzahl von Personen festgestellt, die sich ohne Aufenthaltsbewilligung in
unserem Land befinden. Die Asylzahlen sind seit Anfang 2015 geradezu explodiert. Der Unmut in
der Bevölkerung steigt täglich.
Die Aussetzung von Schengen anlässlich des diesjährigen G-7-Gipfels in Bayern hat gezeigt, dass
sehr viele illegale und kriminelle Personen den dortigen Grenzwachorganen ins Netz gingen, welche
ansonsten unbehelligt nach Deutschland eingereist wären. Dies wäre bei uns nicht anders. Gerade
in einer Grenzregion wie der Nordwestschweiz, aber auch an der Südgrenze braucht es dringend
wieder Grenz- und Personenkontrollen, um das Asyl- und Migrationschaos in den Griff zu bekommen. Angesichts der zahlreichen illegalen Grenzübertritte, der illegalen Einwanderung, der missbräuchlichen Asylanträge und des Kriminaltourismus in unserer Region ist die Wiedereinführung der
schweizweiten Landesgrenzkontrollen und die Aussetzung von Schengen per Notrecht ein Gebot der
Stunde.
Gleichzeitig nimmt das Asylchaos kein Ende, hier in der Schweiz und im benachbarten Ausland
nicht. Die Zollbehörden sind schon jetzt am Anschlag und die Zahl der Flüchtlinge wird weiter rasant
zunehmen. Gleichzeitig haben die französischen Behörden die Grenzübergänge bereits geschlossen, weil der Flüchtlingsstrom kein Ende nimmt. Damit verstossen sie zwar gegen das SchengenAbkommen, welches aber offensichtlich zusammen mit dem Dublin-Abkommen gescheitert ist. Im
europaweiten Kontext ist auch zu erwähnen, dass in Osteuropa bereits einige Staaten ihre Grenzen
nach Süden schliessen und die Sicherheitsmassnahmen verstärken. Auch der englische Premierminister David Cameron fordert mehr Sicherheit am Eingang zum Eurotunnel, schärfere Einwanderungsgesetze, und Abschreckung. Darüber hinaus wird Österreich keine Asyl- Gesuche mehr bearbeiten. Die EU findet keine Lösung für ihr Asylproblem. Der Kanton Tessin ist somit mittlerweile das
einzige Tor, das von Italien aus noch offen ist. Die Bevölkerung lokaler Grenzdörfer verlangen ebenfalls bereits aus Sicherheitsgründen in Folge der anhaltenden Kriminalität, dass die Grenze zum
Nachbarland zumindest in der Nacht geschlossen wird.
Das Chaos im Asylwesen nimmt bereits bedenkliche Züge an. Die Kosten steigen und steigen. Weil
die internationale Kooperation diesbezüglich keine Linderung bringt, muss die Schweiz, wie andere
EU-Staaten auch, die souveräne Kontrolle über ihre Grenzen zum Schutz der eigenen Bevölkerung
wieder in die eigene Hand nehmen. Das Schengen-Dublin-System ist faktisch am Boden und verlangt nach einer eigenständigen Kontrolle der Zuwanderung. Die Schweizer Regierung muss in Anbetracht der europaweiten Flüchtlingsnotlage ihre Verantwortung übernehmen und Massnahmen für
die Sicherheit von Land und Leuten ergreifen. Eine vorübergehende Grenzschliessung und die Aussetzung der Schengen/Dublin-Abkommen ist momentan die einzige Lösung.
Der Kanton soll daher eine Standesinitiative vorbereiten, um die Wiedereinführung von Grenz- und
Personenkontrollen und die gleichzeitige Aussetzung der Schengen/Dublin-Abkommen zu gewährleisten.
0976 Motion der Fraktion der Grünen und der SP-Fraktion vom 18. August 2015 (Sprecherin
Kathrin Fricker, Baden) betreffend Schaffung einer rechtlichen Grundlage in Bezug auf Mutterschaftsurlaub für Behördenmitglieder auf kommunaler und kantonaler Ebene; Einreichung
und schriftliche Begründung
Von der der Fraktion der Grünen und der SP-Fraktion wird folgende Motion eingereicht:
Text:
Der Regierungsrat wird aufgefordert, eine gesetzliche Grundlage für die Regelung des Mutterschaftsurlaubes für Behördenmitglieder auf kommunaler und kantonaler Ebene zu schaffen.
18. August 2015
Art.-Nr. 0976
2735
Begründung:
In der Schweiz hat jede Mutter, vom Tag der Niederkunft an das Recht auf einen 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub. Neben dem Recht auf Lohnfortzahlung (80 % des aktuellen Lohnes) beinhaltet
dieses Gesetz das grundlegende Recht auf eine 14-wöchige und auch entsprechend nach Innen und
Aussen kommunizierte Absenz von der Arbeitsstelle/Tätigkeit.
Behördenmitglieder auf kommunaler und kantonaler Ebene sind dieser Regelung nicht unterstellt.
Für Gemeinderätinnen fehlen jegliche gesetzliche Grundlagen für die Regelung eines Mutterschaftsurlaubes. Weder im kantonalen Recht noch in der Praxis finden sich dazu einschlägige Normen oder
Hinweise. Wir können nur annehmen, dass sie als Amtsträgerinnen im Nebenamt keinen Anspruch
auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub haben, gesetzlich geregelt ist es nicht. Dies hat zur Folge,
dass eine Gemeinderätin, wenn sie Mutter wird, voll und ganz vom Wohlwollen der anderen Gemeinderatsmitglieder abhängig ist.
Für Grossrätinnen in diesem Parlament ist die Anstellung soweit definiert, dass sie gemäss kantonalem Personalrecht (PersG) per Definition in § 3 nicht als Angestellte des Kantons gelten und somit in
Bezug auf einen Mutterschaftsurlaub nicht dem kantonalen Gesetz unterstellt sind. Eine klar definierte gesetzliche Grundlage in Bezug auf einen Mutterschaftsurlaub fehlt jedoch auch hier. Die aktuelle
Handhabung ist, dass die Grossrätin sich für die Sitzungen beim Parlamentsdienst einfach abmeldet.
Dies mag den Anschein einer niederschwelligen und unkomplizierten Lösung erwecken, hat für die
betroffene Person jedoch zur Folge, dass sich ihre Absenzen, aufgrund der fehlenden Kommunikation nach aussen hin, anhäufen. Diese willkürliche Handhabung ist im Jahr 2015 nicht mehr zeitgemäss sondern ein "alter Zopf".
Die Frauen sind in politischen Funktionen nach wie vor untervertreten. Die politische Teilhabe von
Frauen, insbesondere von solchen im gebärfähigen Alter, wird dadurch alles andere als gefördert.
Genau dies wäre jedoch ein wichtiger demokratiepolitischer Aspekt.
Das Bewusstsein des Grossen Rats für die fehlende rechtliche Grundlage scheint bis jetzt nicht vorhanden gewesen zu sein, was aktuell zu einer ungewollten rechtlichen Diskriminierung von Amtsträgerinnen führt. Es ist somit höchste Zeit diese Situation zu ändern.
0977 Postulat Walter Deppeler-Lang, SVP, Tegerfelden (Sprecher), Patrick Gosteli, SVP, Böttstein (Sprecher), und Hansjörg Erne, SVP, Leuggern, vom 18. August 2015 betreffend Stipendien / zinslose Darlehen für Ausbildungsbeiträge im Tertiärbereich; Einreichung und schriftliche Begründung
Von Walter Deppeler-Lang, SVP, Tegerfelden, Patrick Gosteli, SVP, Böttstein, Hansjörg Erne, SVP,
Leuggern, und 40 mitunterzeichnenden Ratsmitgliedern wird folgendes Postulat eingereicht:
Text:
Wir laden den Regierungsrat ein, im Rahmen der vorgesehenen Revision des geltenden Stipendiengesetzes folgenden Vorschlag zu prüfen:
Der Kanton Aargau bildet einen Rotationsfonds analog der Aargauischen Landwirtschaftlichen Kreditkasse (ALK).
In den Rotationsfonds werden Stipendiengelder einbezahlt. Aus diesem Fonds werden bis zu einem
Drittel der Ausbildungsbeiträge (im Tertiärbereich) als zinslose Darlehen ausbezahlt. Nach der abgeschlossenen Ausbildung des Empfängers wird dieses zinslose Darlehen in Etappen wieder zurückbezahlt.
Das zurückbezahlte zinslose Darlehen fliesst in den Rotationsfonds zurück und kann wiederum als
Darlehen an neue Empfänger ausbezahlt werden.
Die Verwaltung des Rotationsfonds ist so schlank und einfach wie möglich zu gestalten.
18. August 2015
Art.-Nr. 0977
2736
Begründung:
Nachdem am 14. Juni 2015 die Stipendien-Initiative vom Schweizer Stimmvolk sehr deutlich abgelehnt wurde, liegt wie bis anhin die Verantwortlichkeit für Ausbildungs-Beiträge bei den Kantonen.
Der Kanton Aargau ist dazu der interkantonalen Vereinbarung zur Harmonisierung von Ausbildungsbeiträgen (kurz Stipendien-Konkordat) beigetreten.
Das heutige kantonale Stipendiengesetz muss bis 2018 dem Stipendienkonkordat angepasst werden. Gemäss Stipendienkonkordat können für Ausbildungen der Tertiärstufe Stipendien bis zu einem
Drittel durch Darlehen ersetzt werden.
Heute gibt der Kanton Aargau 97 % Stipendiengelder und nur 3 % Darlehen (mit Zins nach abgeschlossener Ausbildung) an Ausbildungsbeiträgen aus.
Ab dem Zeitpunkt der Rückzahlungen der zinslosen Darlehen kann der Kanton Aargau mit einem
jährlichen Spareffekt von 3–5 Millionen Franken rechnen.
In Anbetracht der bevorstehenden Anpassung des kantonalen Stipendiengesetzes macht eine Überprüfung dieser neuen Verteilung Sinn.
0978 Postulat Christoph Riner, SVP, Zeihen, vom 18. August 2015 betreffend Information und
Organisation bei Miete von Liegenschaften für die Unterbringung von Asylbewerbern; Einreichung und schriftliche Begründung
Von Christoph Riner, SVP, Zeihen, und 33 mitunterzeichnenden Ratsmitgliedern wird folgendes Postulat eingereicht:
Text:
Der Regierungsrat wird eingeladen, Massnahmen zu ergreifen, damit Gemeindebehörden vorgängig
der Vertragsunterzeichnung informiert und involviert werden, wenn der Kanton bei Privatpersonen
oder juristischen Personen die Miete von Liegenschaften für die Unterbringung von Asylbewerbern
plant.
Begründung:
Wenn der Kanton Aargau mit Privatpersonen oder juristischen Personen die Miete von Liegenschaften für die Unterbringung von Asylbewerbern plant, sind die betroffenen Gemeindebehörden vor
Vertragsunterzeichnung zu informieren und involvieren. Damit können Fragen vorgängig geklärt und
allfällige Bedenken berücksichtigt und vorgängig besprochen werden. Es gibt keinen Grund, Gemeindebehörden nicht rechtzeitig und vorgängig zu informieren und anzuhören. Information erst
nach Vertragsunterzeichnung kann als Misstrauensvotum gegenüber den Gemeindebehörden interpretiert werden. Auch schafft man damit Misstrauen und Unmut in Gemeindebehörden aber auch bei
der Bevölkerung.
In diesem Zusammenhang gilt das Sprichwort "reden ist Silber, Schweigen ist Gold" nicht.
Aktuellstes Beispiel für die zu späte Involvierung und Information von Gemeindebehörden bezüglich
Unterbringung von Asylbewerbern in einer Privatliegenschaft ist die Gemeinde Laufenburg.
0979 Interpellation Dr. Marcel Bruggisser, BDP, Aarau, vom 18. August 2015 betreffend Massnahmen der Kantonalen Verwaltung, mehr inländisches Personal einzustellen und die Wiedereingliederung arbeitsloser Personen zu fördern; Einreichung und schriftliche Begründung
Von Dr. Marcel Bruggisser, BDP, Aarau, und 5 mitunterzeichnenden Ratsmitgliedern wird folgende
Interpellation eingereicht:
18. August 2015
Art.-Nr. 0978-0979
2737
Text und Begründung:
Seit dem 1. Juli 2015 werden alle ausschreibepflichtigen Stellen der Bundesverwaltung mindestens 7
Tage vor der öffentlichen Ausschreibung den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) zugänglich gemacht. Damit erhalten die Stellensuchenden einen Informationsvorsprung. Mit dieser Massnahme will der Bundesrat vermehrt inländische Arbeitskräfte einstellen und die Wiedereingliederung
von arbeitslosen Personen in den Arbeitsmarkt verbessern. Gemäss einer Medienmitteilung haben
mehrere Firmen ihr Interesse angemeldet, ihre offenen Stellen ebenfalls vorzeitig den RAV zur Verfügung zu stellen.
In diesem Zusammenhang bitte ich den Regierungsrat um die Beantwortung folgender Fragen:
1. Wie viele Stellen schreibt die Kantonale Verwaltung pro Jahr durchschnittlich aus?
2. Kann sich der Regierungsrat vorstellen, die offenen Stellen der Kantonalen Verwaltung ebenfalls
mit einem zeitlichen Vorlauf den RAV zuzustellen?
3. Beurteilt der Regierungsrat die Einführung einer solchen Massnahme für die Stellen der Kantonalen Verwaltung als ein wirkungsvolles Instrument um die erwähnten Ziele zu erreichen? Wäre
eine Zusammenarbeit mit kantonsnahen Institutionen oder Firmen der Privatwirtschaft diesbezüglich möglich?
4. Werden vom Kanton Aargau andere spezielle Massnahmen getroffen, um mehr inländische Arbeitskräfte bei der Besetzung von öffentlichen Stellen zu gewinnen?
0980 Interpellation Daniel Hölzle, Grüne, Zofingen, vom 18. August 2015 betreffend E-Voting;
Einreichung und schriftliche Begründung
Von Daniel Hölzle, Grüne, Zofingen, und 2 mitunterzeichnenden Ratsmitgliedern wird folgende Interpellation eingereicht:
Text und Begründung:
Der Bund lehnte vor kurzem das Gesuch des Consortiums Vote electronique zur Anwendung des EVoting Systems für die Nationalratswahlen ab. Grund dafür ist eine Sicherheitslücke. Der Regierungsrat warnte in der Botschaft von Geschäft 14.84, das bei Nichtbewilligung einer Verplichtungskrediterhöhung die Auslandschweizer ab dem Jahr 2015 nicht mehr per E-Voting abstimmen dürfen.
Dies ist nun trotz gesprochenem Kredit der Fall. Obwohl der Regierungsrat immer wieder die Sicherheit des Systems betonte, ist diese nun offensichtlich nicht gegeben. Es stellen sich nun daher Fragen zu Weiterentwicklungskosten und zum Fahrplan E-Voting.
Gleichzeitig stellen sich generelle Fragen zu den Kosten von E-Voting. Der Stimmrechtsausweis mit
Rubbelfeld für E-Voting ist deutlich teurer als der bisherige Stimmzettel. Somit erhöhen sich die Kosten bei einer allgemeinen Einführung des E-Votings, sofern nicht das Porto und die Kosten für Stimmenzähler eingespart werden können. Untersuchungen aus anderen Kantonen zeigen, dass das
Angebot des E-Voting gerade mal von 20 % der Abstimmenden genutzt wird. Es stellt sich da die
Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis von E-Voting, gerade auch dadurch, dass durch E-Voting
keine Zunahme der Stimmbeteiligung beobachtet werden kann.
Der Interpellant bittet daher den Regierungsrat um die Beantwortung folgender Fragen:
1. Wie beeinflusst der Entscheid des Bundesrats den Zeitplan der E-Voting-Pilotprojekte im Kanton
Aargau?
2. Werden durch diesen Entscheid zusätzliche Kosten für den Kanton Aargau anfallen?
3. Ist der Regierungsrat bereit, bei zusätzlich anfallenden Kosten das Projekt E-Voting aufgrund der
angespannten Finanzsituation einzustellen?
4. Welche Kosten fallen für einen neuen Stimmzettel für E-Voting an, welche für den alten?
18. August 2015
Art.-Nr. 0980
2738
5. Kann man bei einer E-Voting-Beteiligung von 20 % überhaupt mit geringeren Kosten für eine Abstimmung rechnen, solange die bisherigen Stimmkanäle offenbleiben?
6. Wie will der Regierungsrat in Zukunft ein sicheres E-Voting-System garantieren, bei welchem
nicht immer wieder Kosten zur Ausmerzung von Fehlern anfallen?
0981 Interpellation Martin Keller, SVP, Obersiggenthal, vom 18. August 2015 betreffend Fragen zum Verwaltungsrat der BDWM Transport AG; Einreichung und schriftliche Begründung
Von Martin Keller, SVP, Obersiggenthal, und 37 mitunterzeichnenden Ratsmitgliedern wird folgende
Interpellation eingereicht:
Text und Begründung:
Die BDWM Transport AG entstand im Jahr 2000 aus der Bremgarten-Dietikon-Bahn und der 1997
auf Busbetrieb umgestellten Wohlen-Meisterschwanden-Bahn.
Gemäss Geschäftsbericht 2014 gehört die BDWM Transport AG zu 51.84 % dem Kanton Aargau, zu
30.28 % dem Bund sowie dem Kanton Zürich (7.87 %), diversen Gemeinden (7.44 %), diversen Privaten (2.00 %) und der BDWM selber (1.00 %).
Das Leistungsangebot wird zwischen dem Leistungserbringer BDWM und dem Kanton Aargau als
Leistungsbesteller besprochen, jährlich definiert und die Abgeltung festgelegt. Dabei ist die direkte
Verbindung und Zusammenarbeit zwischen der Abteilung Verkehr des Kantons Aargau und des
CEO der BDWM von entscheidender Bedeutung.
Die Statuten sehen einen fünf- bis siebenköpfigen Verwaltungsrat vor und ermöglichen, dass die
meisten Kompetenzen des Verwaltungsrats an die Geschäftsleitung delegiert werden. Weiter decken
die Statuten der BDWM Transport AG die Verwaltungsratsmitglieder gegen alle denkbaren Risiken
ab (via Kostengutsprache und/oder Haftpflichtversicherung). Der 6-köpfige Verwaltungsrat ist faktisch ein Alibi-Gremium, welches in keiner Weise die wirtschaftliche Verantwortung trägt und kaum
unternehmerische Entscheide fällt. Daher ist auch das persönliche Risiko jedes einzelnen Verwaltungsrats gegen Null.
Dagegen ist das Honorar für den Verwaltungsrat überdurchschnittlich stark gestiegen (neue Zahlen
siehe www.bdwm.ch):
2001*
(CHF)
2015 *
(CHF)
Steigerung
(CHF / %)
Verwaltungsratsmitglied
1'600
10'000
+8'400 / +525 %
VR-Vize-Präsident
2'600
14'000
+11'400 / +438 %
VR-Präsident
8'600
32'000
+23'400 / +272 %
* berechnet für jeweils 4 Sitzungen pro Jahr
Für weiteren ausserordentlichen Zeitaufwand werden die Verwaltungsräte mit CHF 200 pro Stunde
entschädigt, was dem Ansatz der Bankräte der AKB entspricht.
Zusätzlich zu den Verwaltungsratssitzungen existieren noch 2 Ausschüsse, der Prüfungs- und Risikoausschuss sowie der Nominations- und Vergütungsausschuss, welche zusätzlich mit nochmals
CHF 6'000 pro Person und Ausschuss vergütet werden. Da die Fluktuationsrate von Kaderleuten
äusserst gering ist (sogar beinahe NULL), besteht überhaupt keine dienstliche Tätigkeit für den Nominationsausschuss. Auch der Risikoausschuss ist sehr fragwürdig, da das Risiko vor allem durch
das Bundesamt für Verkehr wahrgenommen wird.
Der Protokollführer eines Ausschusses erhält zusätzlich pro Jahr CHF 3'000 bzw. CHF 2'000 je nach
Ausschuss.
18. August 2015
Art.-Nr. 0981
2739
Ein kompetenter Verwaltungsrat der BDWM Transport AG könnte die Aufgaben der beiden Ausschüsse ohne weiteres bewältigen, ohne Ausschüsse zu bilden. Daher scheinen die beiden Ausschüsse als Türöffner zur Selbstbedingung der Verwaltungsräte.
Aus diesen Überlegungen – auch mit Sicht, dass keine einschneidenden grossen betrieblichen
Mehrverkehrsleistungen zwischen 2001 und 2014 bestellt wurden – drängen sich folgende Fragen
auf, die ich den Regierungsrat höflich bitte, zu beantworten:
1. Wie viele Verwaltungsräte muss die BDWM Transport AG von Gesetzes wegen aufweisen?
2. Warum setzt sich der Kanton Aargau als Hauptaktionär nicht für das Minimum der Anzahl Verwaltungsräte ein?
3. Welche Aufgaben haben die beiden Ausschüsse des Verwaltungsrats? Wieso kann der Gesamtverwaltungsrat nicht die Aufgaben der Ausschüsse übernehmen?
4. Hat der Kanton Aargau als Hauptaktionär die überdurchschnittlich stark gestiegenen Honorare
der Verwaltungsräte bewilligt?
a) Wenn Ja: Auf welcher Grundlage basiert die Vergütung (Stundenansatz)? Und wie rechtfertigt sich dies mit der Sorgfaltspflicht von Steuergeldern?
b) Wenn Nein: Wie kontrolliert der Hauptaktionär die beiden Ausschüsse?
5. Wie rechtfertigt sich das Anrecht auf ein kostenloses VöV GA 1. Klasse? (VöV = Verband öffentlicher Verkehr) für die Mitglieder des Verwaltungsrats, welches gemäss Corporate Governance
als Ersatz der Reisespesen an die 4 Verwaltungsratssitzungen gilt?
6. Wieso hat die BDWM Transport AG die Altersguillotine in Art. 19 der Statuten wieder aufgeweicht, nachdem diese Bestimmung vor wenigen Jahren mit Pensionsalter 65 verschärft wurde?
7. Ist es richtig, dass die BDWM Transport AG für Ihre Verwaltungsräte eine Organhaftpflichtversicherung abgeschlossen hat?
a) Wenn Ja: Wieviel kostet diese Organhaftpfiichtversicherung und wer übernimmt diese Kosten?
8. Wie hoch war der gesamte Kostenaufwand (Honorare, Ausschüsse, Vergütungen, Sitzungsgelder, Spesen, Essen, Versicherungen, kostenloses VöV GA 1. Klasse etc.) der 6 Verwaltungsratsmitglieder im Jahr 2014 insgesamt und im Vergleich zum Jahr 2001?
9. Wie schätzt der Regierungsrat das Synergiepotential bei den Verwaltungsräten der Privatbahnen
betreffend Know-how-Transfer und Honorarsenkung ein? Wie kann dies kurz- und mittelfristig
umgesetzt werden?
0982 Interpellation Martin Keller, SVP, Obersiggenthal, vom 18. August 2015 betreffend Fragen zur Geschäftstätigkeit der Axpo; Einreichung und schriftliche Begründung
Von Martin Keller, SVP, Obersiggenthal, und 32 mitunterzeichnenden Ratsmitgliedern wird folgende
Interpellation eingereicht:
Text und Begründung:
Die Axpo Holding AG (kurz: Axpo) gehört zu 100 % den Nordostschweizer Kantonen. Der Kanton
Aargau ist mit 13.975 % und die AEW mit 14.026 % beteiligt und sind zusammen hinter dem Kanton
Zürich und den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (zusammen 36.752 %) der zweitgrösste Aktionär.
Die Erfolgsgeschichte Axpo, welche stark mit der Wasser- und Kernkraftenergie verbunden war, hat
mit den staatlich völlig überrissenen und wettbewerbsverzerrenden Subventionen der Solar- und
Windenergie in der Schweiz, aber auch im Ausland (v. a. Deutschland) sowie der demokratisch noch
nicht legitimierten Energiestrategie 2050 ein abruptes Ende gefunden
Es scheint, dass die Axpo verzweifelt versucht im Solar- und Windenergiesektor ebenfalls Fuss zu
fassen. So hat die Axpo mit Medienmittelung vom 16.07.2015 die Übernahme der Volkswind GmbH,
eines in Deutschland und Frankreich führenden Windparkentwicklers und -betreibers, publiziert. Es
18. August 2015
Art.-Nr. 0982
2740
ist davon auszugehen, dass man in Deutschland erkannt hat, dass die eigene und nicht mehr finanzierbare Subventionspolitik gescheitert ist und man sich möglichst schnell von solchen Assets trennen will, solange man noch einen Käufer findet.
Das klassische Energieproduktions- und Energieversorgungsgeschäft ist in der Schweiz wegen der
verfehlten Subventionspolitik nicht mehr rentabel (Zitat Regierungsrat S. Attiger, AZ v. 13.08.2015).
Auch deshalb versucht die Axpo über die 100%ige Tochter Axpo Trading AG in ganz West-, Mittelund Südost-Europa mit hunderten von Mitarbeitern den Energiehandel auszubauen. Dabei setzt die
Axpo auf die Origination-Dienstleistungen, die für Grosskunden und Stromproduzenten individuelle
Lösungen für die Vermarktung und Beschaffung von Strom, Gas und Energiezertifikate anbietet.
Neben dem in Europa schon betriebenen Originations-Geschäft, welches gemäss Regierungsrat S.
Attiger, AZ v. 13.08.2015, per 30.09.2014 im Vergleich zum Vorjahr um 40 % gewachsen, ist hat der
Verwaltungsrat der Axpo nun beschlossen, auch in den USA ins Originations-Geschäft einzusteigen.
Während die beiden schweizerischen Grossbanken dieses Geschäft offenbar eher meiden, ist es
umso erstaunlicher, dass die Axpo in einen vom europäischen, physisch getrennten Markt einsteigt.
Dies erinnert stark an die verheerenden Investment-Banking-Strategien.
Viele ausländische Firmen haben die Risiken der US-Bundessteuerbehörde IRS (Internal Revenue
Service) mit zum Teil schmerzlichen Folgen unterschätzt. Aus diesen Überlegungen drängen sich
folgende Fragen auf, die ich den Regierungsrat höflich bitte, zu beantworten:
1. Ist sich der Regierungsrat des Kantons Aargau bewusst, dass das Originations-Geschäft enorme
Risiken für die Steuerzahler des Kantons Aargau in sich birgt und dessen Ausübung für ein
100%iges Staatsunternehmen höchst problematisch ist?
2. Haben die Vertreter des Standes Aargau im Verwaltungsrat der Axpo angeregt, das internationale Geschäft der Axpo in eine von der Axpo getrennte und neu zu gründende Gesellschaft auszulagern und zu privatisieren? Wenn nicht, warum?
3. Welche Treiber haben den Axpo-Verwaltungsrat bewogen, aufgrund des derzeit sehr schwierigen Marktumfelds ins hochriskante internationale Originations- und Stromderivate-Geschäft einzusteigen?
4. In welchem Umfang gehören das Energieproduktionsgeschäft (derzeitiges Volumen und Anteil
an Gewinn und Umsatz) und das Originations-Geschäft (derzeitiges Anteil an Umsatz und Gewinn) zum engeren Tätigkeitsgebiet der Axpo?
5. Wie wird den Risiken des Originations-Geschäfts Axpo-intern Rechnung getragen (Berechnung
der Risikobewertung)?
6. Wird das Handels- und Originations-Geschäft in der Schweiz und im Ausland durch eine Aufsichtsbehörde bzw. einen Regulator überwacht?
7. Mit wie vielen Mitarbeitern wird das Energiehandels-, das Derivate- und das Originations- Geschäft betrieben (Aufgliederung nach Ländern, Konzerngesellschaften und Tochtergesellschaften)?
8. In welcher Form und mit welchen finanziellen Auswirkungen wird das Risiko eines Verfahrens
der US-Bundessteuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) eingeschätzt?
9. Ist es richtig, dass die Axpo für ihre Verwaltungsräte eine Organhaftpflichtversicherung abgeschlossen hat? Wenn Ja:
Wieviel kostet diese Organhaftpflichtversicherung und wer übernimmt diese Kosten? Welche Risiken und Beträge beinhaltet diese Organhaftpflichtversicherung?
0983 Simone Kiefer, Olten, Fachrichterin am Verwaltungsgericht für die laufende Amtsdauer
bis 31. Dezember 2018; Wahl
Der Rat behandelt den Antrag der Kommission für Justiz (JUS) vom 10. Juli 2015. Gestützt auf Bericht und Antrag der JUS sei Simone Kiefer, Olten, als Fachrichterin am Verwaltungsgericht für den
Rest der Amtsperiode 2013/18 zu wählen. Aufgrund des ausserkantonalen Wohnsitzes sei eine Ausnahmebewilligung gemäss § 16 Abs. 2 lit. a GOG zu erteilen. Gleichzeitig wird stille Wahl gemäss
18. August 2015
Art.-Nr. 0983
2741
§ 62a der Geschäftsordnung beantragt.
Das Büro hat den Anträgen der JUS mit Stellungnahme vom 30. Juni 2015 zugestimmt.
Sowohl die stille Wahl von Simone Kiefer, Olten, als Fachrichterin am Verwaltungsgericht wie auch
die Erteilung der Ausnahmebewilligung für einen ausserkantonalen Wohnsitz bleiben unbestritten.
Beschluss
Für den Rest der Legislaturperiode 2013–2018 wird als Fachrichterin am Verwaltungsgericht in stiller
Wahl gemäss § 62a der Geschäftsordnung gewählt:
-
Simone Kiefer, Olten
Die Ausnahmebewilligung für einen ausserkantonalen Wohnsitz gemäss § 16 Abs. 2 lit. a GOG wird
erteilt.
0984 Gesundheitsgesetz (GesG); Änderung vom 23. Juni 2015; redaktionelle Überprüfung
gemäss § 35 Geschäftsverkehrsgesetz (GVG) und § 56b Geschäftsordnung (GO)
Der Rat unterzieht die in der Sitzung vom 23. Juni 2015 verabschiedete Vorlage der Redaktionslesung. Den Ratsmitgliedern liegt der Bericht und Antrag des Regierungsrats vom 12. August 2015
vor.
Keine Wortmeldungen.
Abstimmung
Der Antrag des Regierungsrats wird mit 125 gegen 0 Stimmen gutgeheissen.
Beschluss
Das Ergebnis der redaktionellen Überprüfung der Änderung vom 23. Juni 2015 des Gesundheitsgesetzes (GesG) wird genehmigt.
0985 Gesetz über die Aargauische Kantonalbank (AKBG); Änderung vom 30. Juni 2015; Gesetz über die Finanzierung der Sonderlasten (G Sonderlasten); Änderung vom 30. Juni 2015;
redaktionelle Überprüfung gemäss § 35 Geschäftsverkehrsgesetz (GVG) und § 56b Geschäftsordnung (GO)
Der Rat unterzieht die in der Sitzung vom 30. Juni 2015 verabschiedete Vorlage der Redaktionslesung. Den Ratsmitgliedern liegt der Bericht und Antrag des Regierungsrats vom 12. August 2015
vor.
Keine Wortmeldungen.
Abstimmungen
Antrag 1 des Regierungsrats wird mit 127 gegen 0 Stimmen gutgeheissen.
Antrag 2 des Regierungsrats wird mit 122 gegen 0 Stimmen gutgeheissen.
Beschluss
1. Das Ergebnis der redaktionellen Überprüfung der Änderung vom 30. Juni 2015 des Gesetzes über
die Aargauische Kantonalbank (AKBG) wird genehmigt.
18. August 2015
Art.-Nr. 0984-0985
2742
2. Das Ergebnis der redaktionellen Überprüfung der Änderung vom 30. Juni 2015 des Gesetzes über
die Finanzierung der Sonderlasten (G Sonderlasten) wird genehmigt.
0986 Unterrichtssprache an der Volksschule; Schulgesetz; Änderung; Bericht und Entwurf zur
1. Beratung; Eintreten, Detailberatung und Gesamtabstimmung
(Vorlage-Nr. 15.94-1 des Regierungsrats vom 20. Mai 2015)
Thomas Leitch-Frey, SP, Wohlen, Präsident der Kommission für Bildung, Kultur und Sport (BKS):
Die Kommission BKS hat die Vorlage Unterrichtssprache an der Volksschule; Änderung des Schulgesetzes an ihrer Sitzung vom 19. Juni 2015 beraten.
Das Aargauer Stimmvolk hat am 18. Mai 2014 die Initiative "JA für Mundart im Kindergarten" mit 56,0
Prozent Ja-Stimmen angenommen. Die Initiative verlangt, dass das kantonale Schulgesetz so geändert werden muss, dass die Unterrichtssprache im Kindergarten grundsätzlich Mundart ist. Der Regierungsrat folgt nun mit dieser Vorlage diesem Beschluss. Die Gesetzesänderung im Schulgesetz
ist in der Anhörung auf breite Akzeptanz gestossen und war in der Kommission unbestritten. Etwas
differenzierter sieht es bei der Fremdänderung im Gesetz über die Anstellung von Lehrpersonen
(GAL) aus. Dort heisst es, dass Kindergartenlehrpersonen, welche bis 2018 nicht Mundart sprechen,
gekündigt werden muss. Diese Passage führte zu Diskussionen in der Kommission. Ich werde in der
Detailberatung näher darauf eingehen.
Die Kommission hat auf die allgemeine Aussprache verzichtet und ist stillschweigend auf die Botschaft eingetreten.
Eintreten
Vorsitzender: Stillschweigend tritt die GLP-Fraktion auf die Vorlage ein.
Tanja Suter, SVP, Gipf-Oberfrick: Wir freuen uns, dass die Initiative "JA für Mundart im Kindergarten", wie es von einer Volksmehrheit gefordert wurde, durch die Änderung des Schulgesetzes umgesetzt wird. Dass die Standardsprache ab 1. Klasse nun im Gesetz verankert wird, scheint uns nicht
nötig. Mit der Formulierung "grundsätzlich Standardsprache" können wir aber leben; so ist ein gewisser Spielraum gewährleistet. Erstaunt hat uns, dass in der Botschaft zum betreffenden Geschäft
mehrmals die Bedenken bezüglich Kindergartenlehrpersonen aus dem deutschsprachigen Ausland
erwähnt werden. Erstens hat man im Vorfeld zur Abstimmung zur Initiative keine Kindergartenlehrpersonen aus dem deutschsprachigen Ausland gefunden und zweitens sollte bei der Wahl der Unterrichtssprache in der Schweiz nicht die Sprachfähigkeit der Lehrperson aus dem Ausland massgebend sein. Die SVP ist aber mit der Schulgesetzänderung einverstanden und tritt auf die Vorlage ein.
Kathrin Scholl-Debrunner, SP, Lenzburg: Das Stimmvolk hat der Initiative zugestimmt. Das gilt es zu
akzeptieren. Die allgemein gefassten Formulierungen in der Gesetzgebung sind von daher seitens
der SP akzeptabel. Wir können denen zustimmen. Doch in der Umsetzung erweist sich das Unterfangen etwas schwieriger als vorgestellt. Ich spreche jetzt aber nicht darüber, ob "Walliserditsch" von
den Aargauer Kindern wirklich verstanden wird oder gar der Freiburger Dialekt, sondern darüber, wie
die Rechtsgleichheit aussieht. Der Departementsvorsteher selber führte in der Kommission aus, dass
die Aufsichtspflicht beim Kanton liege. Wenn der Kanton feststelle, dass eine Lehrperson nicht über
die nötigen Fachkompetenzen verfüge, werde er handeln. Das heisst, das Inspektorat wird eingreifen. Gleichentags formulierte der Leiter der Abteilung Volksschule jedoch, es gelte das Legalitätsprinzip Verbund Kantone und Gemeinden. Die Gemeinden müssten sich an die gesetzlichen Grundlagen halten und daher müsse der Kanton keine entsprechenden Kontrollen vornehmen. Nun, was
gilt jetzt? Wer kontrolliert was und wer kontrolliert wo?
Grundsätzlich sind die Gemeinden von Gesetzes wegen verpflichtet, den Unterricht sicherzustellen.
Oder sind die Gemeinden mehr verpflichtet, adäquat qualifizierte Lehrpersonen anzustellen?
18. August 2015
Art.-Nr. 0986
2743
Nehmen wir einen konkreten Fall: Eine Lehrperson mit Kindergartendiplom wird nicht angestellt, weil
sie der Mundart zu wenig mächtig ist. Dafür stellt die Schulpflege eine Person an, die zwar Mundart
sprechen kann, aber nicht über die restlichen Qualifikationen verfügt – sprich Diplom. Sagen Sie mir
jetzt nicht, das gäbe es nicht. Was ist jetzt wichtiger? Was hätte vor Gericht Bestand?
Um das Ganze zu verdeutlichen, kann ich es noch etwas Verkomplizieren: Wir haben am Kindergarten verschiedene Professionen, die unterrichten. Muss jetzt die Heilpädagogin auch die Qualifikation
Mundart mitbringen oder gilt dies nur für die Kindergärtnerin? Wo, geschätzte Damen und Herren,
bleibt da die Rechtsgleichheit?
Wir können bei all den Unwegsamkeiten nur darauf hoffen, dass wir überhaupt genügend Kindergartenlehrpersonen finden und sich die Frage nach den Mundartkenntnissen als nicht so relevant erweist, obwohl – da stimme ich zu – dies eigentlich auch ein wichtiger Aspekt wäre.
Aus diesem Grund wird die SP den Antrag stellen, § 47a sei ersatzlos zu streichen. Denn hier kann
die Rechtsgleichheit in keiner Weise hergestellt werden.
Zuletzt eine Frage an den Herrn Bildungsdirektor: Können Sie uns sagen, wann die entsprechende
Verordnung vorliegen wird? Unter dieser Prämisse wird die SP den Änderungen teilweise zustimmen.
Martin Steinacher-Eckert, CVP, Gansingen: Die CVP unterstützt den Antrag zur Änderung des
Schulgesetzes in Bezug auf die Unterrichtssprache an der Volksschule, auch wenn wir eine andere
Überzeugung haben. Bei der Anhörung hat sich die CVP negativ zur Änderung verhalten und wird
sich auch heute noch sehr skeptisch dazu äussern. Es wurde im Kindergarten nie verlangt, dass die
Kinder in der Standardsprache sprechen; es war lediglich die Idee, dass die Lehrpersonen diese
verwenden, damit sich die Kinder der Standardsprache auf spielerische Weise und noch ohne Notendruck annähern können und somit beim Erlernen der Standardsprache einen Vorteil haben. Die
sprachliche Vorbereitung auf den Schuleintritt in die Primarschule ist nun aber kaum mehr möglich,
was allen Kindern genutzt hätte.
Die Diskussion um Hochdeutsch oder Standardsprache oder Mundart dauert in der Schweiz schon
einige Jahre. Ausschlaggebend waren die unbefriedigenden Resultate der PISA-Studie 2000 (Programme for International Student Assessment). Im Aktionsplan PISA-Folgemassnahmen wurde von der
Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und Erziehungsdirektoren
(EDK) eine ganze Reihe von Massnahmen vorgeschlagen, um die Bildungssituation von Kindern aus
ungünstigem soziokulturellem Umfeld und fremdsprachigen Schülerinnen und Schülern zu verbessern. Eine Massnahme zur Verbesserung der Lesekompetenz ist ein vermehrter, früherer anspruchsvoller Gebrauch der Standardsprache. Spätestens ab der Primarschule soll die Standardsprache konsequent zur Anwendung kommen. Standardsprache soll aber im Kindergarten konsequent gefördert werden, hiess es noch 2005 von der EDK. Auch der Regierungsrat des Kantons
Aargau hat ja entschieden, dass ab dem Schuljahr 2008/2009 in den Kindergärten mindestens die
Hälfte des Unterrichts in Standardsprache gehalten werden soll. Im Kindergarten sollen die Kinder
über das Hörverstehen und das Selbstausprobieren ins Hochdeutsche und in die Standardsprache
hineinwachsen. Es wäre für die Kinder eine grosse Chance, sich mit der Standardsprache anzufreunden. Mit der Einführung der Standardsprache würde der Kindergarten weder verschult noch
würden die Kinder einem kontraproduktiven Leistungsdruck unterzogen. Ein paar Jahre später – wir
wissen es – sieht es im Aargau wieder anders aus und wir fragen uns, ob diese Abstimmung wirklich
nötig gewesen wäre und ob wir damit den Kindern etwas Gutes tun.
Nachdem das Stimmvolk die Initiative "JA für Mundart im Kindergarten" angenommen hat, gilt es,
diese umzusetzen. Da wehrt sich auch die CVP nicht. Wir appellieren aber an die Gemeinden beziehungsweise Schulpflegen und auch an das Departement für Bildung, Kultur und Sport (BKS), dass
der § 47 vernünftig umgesetzt wird. Es darf nicht sein, dass bei langjährigen Kindergartenlehrpersonen, die bis Ende 2018 nicht über die erforderlichen Sprachkompetenzen verfügen, das Anstellungsverhältnis aufgelöst wird. Wenn man immer vom Mangel an Lehrpersonen am Kindergarten hört und
Berufspersonen ohne genügenden Schulabschluss einsetzen muss, dann muss man bei der Sprache genauso abwägen. So ist zum Beispiel die Mundart für Lehrpersonen aus dem süddeutschen
Raum ja ähnlich wie bei uns.
18. August 2015
Art.-Nr. 0986
2744
Die CVP stimmt der Änderung zu und hofft auf eine vernünftige Umsetzung des Gesetzes und keine
unnötigen Beschwerden.
Eva Eliassen Vecko, Grüne, Turgi: Die Grünen treten auf das Geschäft ein. Das war eine der überflüssigsten Volksinitiativen im Aargau. In der Kommission für Bildung, Kultur und Sport (BKS) und im
Grossen Rat war man sich noch mehrheitlich einig, sie zur Ablehnung zu empfehlen. Die gängige
Praxis war nämlich, Mundart und Standardsprache im Kindergarten mit Augenmass und gesundem
Menschenverstand anzuwenden. Das hat bestens funktioniert. Offensichtlich war das Volk aber anderer Meinung – aus welchen Gründen auch immer! Seis drum, wir werden damit leben müssen.
Einige Schweizer Kinder werden dann halt in der Primarschule auch den Unterricht im Fach
Deutsch-Zusatz besuchen müssen, welches wir beim Sparen bereits zusammengestrichen haben.
Ausserdem sind vielleicht Stilblüten wie "leg dir die Blause an" oder "mach die Teure zu" ja auch
ziemlich reizvoll. Die Unterrichtssprache an der Primar- und Oberstufe bleibt gleich, da gibt es nichts
anzumerken. Wir hoffen weiterhin auf den gesunden Menschenverstand der Kindergartenlehrpersonen und unterstützen den Antrag schulterzuckend.
Roland Basler, BDP, Oftringen: Die BDP ist mit der Vorlage, wie die Initiative umgesetzt werden soll,
grundsätzlich einverstanden, aber nicht restlos überzeugt. Wir sind zwar der Meinung, dass die Forderungen der Initianten auf eine faire und moderate Art umgesetzt werden, denken allerdings, dass
die gesetzliche Umsetzung nicht ganz unproblematisch sein wird. Dazu später mehr.
Als ich das Dossier der Kommission BKS zur Sitzungsvorbereitung durchgearbeitet habe, hat mir
etwas keine Ruhe gelassen: Bereits bei der Bearbeitung der Vernehmlassung, und auch jetzt wieder
bei der Durchsicht der Botschaft, ist mir aufgefallen, dass immer wieder und ausschliesslich nur von
Mundart und vor allem von der Standardsprache geschrieben wurde. Es ist mir klar, dass es im allgemeinen Verständnis und selbstredend logisch ist, dass mit der Standardsprache Deutsch gemeint
ist. Aber wo ist dies eigentlich festgehalten worden? Manchmal gibt es Dinge, die in unseren Köpfen
herumgeistern und uns keine Ruhe lassen, bis die Sache geklärt ist. Genauso ist es mir mit dem
Begriff Standardsprache gegangen. So habe ich angefangen zu recherchieren. Zuerst im Schulgesetz: nichts. In der Verordnung: nichts. Zuletzt im Lehrplan: sehr umfangreich; aber nichts. Nirgends
ist definiert, dass Standardsprache Deutsch bedeutet.
Ich habe meine Bedenken bezüglich der möglichen vorhandenen Rechtsunsicherheiten Herrn Christian Aeberli, Leiter der Abteilung Volksschule, in einem E-Mail mitgeteilt und um eine Aufklärung an
der Kommissionssitzung gebeten. Ich habe innerhalb weniger Stunden – wirklich sehr schnell, mein
Kompliment an die Verwaltung – von Herrn Umbricht eine sehr kompetent anmutende Antwort bekommen. In dieser bezieht er sich auf die Definition, die man im Duden findet. Dort heisst es vereinfacht: Die Standardsprache ist diejenige Hochsprache oder auch Schriftsprache, welche gemäss
entsprechendem Territorialgebiet, also in unserem Fall im Kanton Aargau, lokal gesprochen wird.
Also ist es Deutsch. Ob dies auch effektiv stimmt, sei dahingestellt. Aber da Herr Umbricht erwähnt
hat, dass der Begriff Standardsprache – rechtswissenschaftlich ausgedrückt – gerichtsnotorisch als
bekannt vorausgesetzt werden darf – so elegant hat mir noch nie jemand mitgeteilt, dass ich ein Idiot
bin; Spass beiseite, ich möchte da Herrn Umbricht nichts unterstellen – gehe ich davon aus, dass
sich kein Richter oder keine Richterin jemals getrauen wird, etwas anderes zu entscheiden, als dass
die Standardsprache Deutsch ist. In der Praxis gilt diese Definition sinngemäss auch für Mundart.
Diese Diskussion betreffend Mundart hat sich somit erledigt.
Zurück zur gesetzlichen Umsetzung: Wir teilen die Bedenken von Grossrätin Kathrin Scholl. Die BDP
ist der Meinung, dass die Umsetzung konsequent angegangen werden soll. Das bedeutet, dass auch
Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sowie Assistentinnen und Assistenten im Unterricht mit den
Kindergartenkindern grundsätzlich zwingend Mundart sprechen müssen. Dies sollte auf jeden Fall
entsprechend definiert werden.
Bezüglich des § 47a und dem Antrag von Kathrin Scholl werden wir uns in der Detailberatung entscheiden. Die BDP-Fraktion tritt folglich auf das Geschäft ein. Falls es nötig wird, werden wir uns in
der Detailberatung nochmals zu Wort melden.
18. August 2015
Art.-Nr. 0986
2745
Therese Dietiker-Brunner, EVP, Aarau: Wir Aargauer sind aber ein komisches Völklein: Bezüglich
Sprachenregelung im Kindergarten "machen wir ein Büro auf". Die "Eröffnung" erfolgte 2007, als
festgeschrieben wurde, wie hoch der Anteil der Schrift- oder Standardsprache im Kindergarten zu
betragen habe. Es gab dann schon diverse Diskussionen und der Anteil wurde festgeschrieben. Nun
wollen wir gemäss Volkswillen wieder einen Mundartunterricht, aber wir verfügen eigentlich über gar
keine Aargauer Mundart. Es ist nicht so klar, ob wir nun ein "Gutzi", ein "Zältli", es "Zückerli" oder es
"Täfeli" auf unserer Zunge zergehen lassen. Manchmal behelfen wir uns dann der "vermundarteten"
Standardsprache, damit wir verstanden werden. Diese Ausdrücke werden dann zusätzlich mit "Züridütsch" und "Bärndütsch" überlagert.
Als EVP haben wir uns gegen diese Volksinitiative gewehrt und wir sagen deshalb auch nur knurrend
Ja zur vorliegenden Gesetzesänderung, die einfach sein muss, um dem Volkswillen zu entsprechen.
Wir hoffen, dass die Verordnung, die der Regierungsrat zur Unterrichtssprache erlässt, so offen wie
möglich formuliert wird. Und dass die vielen Kindergärtner und Kindergärtnerinnen landauf, landab
mit diesen Vorgaben pragmatisch umgehen und ihre Verse, Reime und Rollenspiele mit den Kindern
auch weiterhin in der Standardsprache üben. Denn so viel haben wir in den kurzen Jahren der Standardsprache im Kindergarten beobachtet und gelernt: Die Kinder sind bei ihrer Einschulung gewandter in der Standardsprache, was für das Lesen- und Schreibenlernen nur von Vorteil ist.
Noch kurz zum Lehrplan: Ob es im Sinn des Erfinders der Initiative ist, dass der Deutschunterricht für
die fremdsprachigen Kindergartenkinder in der Standardsprache stattfindet, kann ich nicht beantworten. Die Initiative wurde auf alle Fälle mit dem Stichwort Integration verkauft. Nun werden die
schlecht integrierten Kinder im Kindergarten weiterhin Hochdeutsch lernen und die mundartsprachigen Kinder dürfen diese Sprache erst später lernen. Für mich persönlich ist das nicht wirklich gerecht.
Für uns ist es unschön, dass die Anstellungsbedingungen der Lehrpersonen geändert werden, aber
eine logische Konsequenz. Wenn im Unterricht Mundart gesprochen werden muss, müssen die
Lehrkräfte diese Sprache beherrschen. Deshalb können wir uns damit einverstanden erklären. Die
Fachkompetenz Schweizerdeutsch ist jedoch nicht an ein Diplom gebunden. Deshalb denken wir
auch, dass die Anstellungsbehörden ihre freien Optionen haben, wie sie mit dem umgehen werden,
wenn Lehrpersonen diese Sprache noch nicht so gut können oder erst am Üben sind. Wir hoffen,
dass da auch gute und faire Lösungen in den betroffenen Schulgemeinden gefunden werden. Wir
sagen zur Vorlage grossmehrheitlich Ja.
Bruno Gretener, FDP, Mellingen: Die FDP-Fraktion tritt auf die Vorlage ein. Wir werden ihr auch zustimmen. Einerseits erachten wir die Regelung der Unterrichtssprache über die gesamte Volksschule
im Schulgesetz als sinnvoll, andererseits befürworten wir auch, dass in spezifischen Lernsituationen
von diesem Grundsatz abgewichen werden kann. Wir bitten den Regierungsrat insbesondere aber,
bezüglich der Lernsituationen, in welchen im Kindergarten ausnahmsweise die Standardsprache
gebraucht werden kann, die geplante Verordnung möglichst schlank zu halten und damit den Kindergartenlehrpersonen vor Ort einen möglichst grossen Handlungsspielraum zu lassen.
Alex Hürzeler, Regierungsrat, SVP: Heute ist nicht der Zeitpunkt, darüber zu diskutieren, warum und
wieso diese Initiative angenommen wurde. Tatsache ist: Sie ist angenommen worden. Ich habe übrigens während des Abstimmungskampfs keine heftigen Gegenvoten gehört. Diese Gegenwehr, die
soeben genannt wurde, nahm ich damals nicht wahr. Das Volk hat entschieden. Es ist am Regierungsrat und nun an Ihnen, diese Gesetzesregelung entsprechend umzusetzen. Mit diesem Vorschlag – dies hat die Anhörung gezeigt – hat der Regierungsrat einen pragmatischen, moderaten
Lösungsweg vorgeschlagen, der den Schulen, Schulpflegen und den Kindergartenlehrpersonen
Möglichkeiten gibt, im Schulunterricht handlungsbezogen umzugehen; also so, wie das erwartet wird.
Das Initiativkomitee hat das im Initiativtext auch ausdrücklich offengelassen, indem das Wort "grundsätzlich" erwähnt wurde. Deshalb kann die Initiative gemäss unserem Vorschlag umgesetzt werden.
Das ist der Kern der Sache. Machen Sie es nicht komplizierter, als es ist. Die Unterrichtssprache im
Kindergarten ist grundsätzlich die Mundart- und in der Primar- und Oberstufe die Standardsprache.
Trotzdem – das haben wir bereits in der Botschaft beschrieben und wird auch in der Verordnung,
18. August 2015
Art.-Nr. 0986
2746
sprich im Lehrplan, der dann anzupassen ist, entsprechend ausgewiesen – wird es für die Lehrpersonen möglich sein, auch im Kindergarten von Fall zu Fall die Standard- und in der Primarschule und
Oberstufe die Mundartsprache zu verwenden.
Das ist der Alltag heute, aber es ist im heutigen Gesetz noch anders festgeschrieben. Es wurde angesprochen: Wer übernimmt jetzt diesbezüglich die Kontrolle? Haben Sie Vertrauen in die Schulführung vor Ort, dass die Schulen ihre Verantwortung wahrnehmen und unsere Gesetze entsprechend
einhalten. Das Inspektorat – die Schulaufsicht – hat alle verschiedenen Gesetze und Anordnungen,
die wir legiferieren, zu kontrollieren. Wenn wir Verstösse feststellen, wird das mit der Schulbehörde
vor Ort geklärt. Wenn nötig, werden auch die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Deshalb ist
auch der § 47a für die Umsetzung und Handhabung für die Schulpflegen ein wichtiges Instrument.
Damit wird klar, ab wann diese Bestimmung im Sinne einer Übergangsregelung definitiv gilt. Ansonsten würde sie ja bereits ab dem Schuljahr 2016/2017 gelten. Das Initiativkomitee wurde diesbezüglich anlässlich der Anhörung angefragt; es ist mit dieser Lösung einverstanden. Ich denke, es ist für
die Schule Aargau ein guter Weg. Ich danke dem Parlament, wenn es diesen Weg nun weitergeht,
ohne in technische Diskussionen zu verfallen.
Zur Definition der Mundart: In der Botschaft haben wir ausgeführt, dass wir dem Schweizerdeutsch
verwandte alemannische Dialekte auch als Mundart betrachten. Das werden wir in der Verordnung –
also im Lehrplan – entsprechend festhalten. Innerhalb des Alemannischen gibt es aber sehr viele
verschiedene Mundarten. Bayrisch gehört offenbar nicht zu den alemannischen Dialekten, dies zur
Klärung. Es gibt im süddeutschen Raum und auch im Elsass verschiedene Dialekte. Genau so, wie
es sie auch in der Deutschschweiz gibt. So gehören der Kanton Aargau und das Mittelland offenbar
zum hochalemannischen Dialekt, das Wallis, die Innerschweiz und das Berner Oberland gehören
hingegen bereits zum höchstalemannischen Dialekt. Aber es ist alles noch alemannisch. Samnaun
hingegen gehört zum bayrischen Dialekt. Es ist aber auch möglich, dass als Lehrpersonen Amerikanerinnen oder Amerikaner angestellt werden, die der 6'000 Personen umfassenden amischen Personengruppe angehören. Diese sprechen eine Art Berndeutsch. Das ist auch Alemannisch. Und in
Rumänien gibt es ein Dorf, das noch alemannische Mundart kennt.
Der Weg ist klar. Ich bitte Sie, die ganze Situation beim Eintreten und in der Detailberatung nicht zu
verkomplizieren. Ich bin überzeugt, dass die Schulen vor Ort diesen Gesetzesartikel umsetzen können. Die Übergangsregelung im Kanton Aargau ist nötig, damit die entsprechende Lehrperson und
die Anstellungsbehörde in Einzelfällen zwei weitere Jahre Zeit erhalten, eine gute Lösung zu finden.
Dies kann beispielsweise ein Teilpensum im Kindergarten von maximal 20,0 Prozent sein, ein Wechsel an die Primarstufe oder die Konzentration auf das Fach Deutsch als Zweitsprache (DaZ). In der
Schule Aargau gibt es viele Umsetzungsmöglichkeiten.
Ich danke Ihnen für die Überweisung.
Vorsitzender: Als im Tal gelandeter Bündner kann ich nur sagen: "Lueget, dass Ihr nid id Gudle
stönd".
Eintreten ist unbestritten.
Detailberatung
Schulgesetz
Thomas Leitch-Frey, SP, Wohlen, Präsident der Kommission für Bildung, Kultur und Sport (BKS): Ich
möchte Ihnen noch erläutern, welche Fragen in der Detailberatung diskutiert wurden. Dies hat ja
Auswirkungen auf die Paragrafen. Zum letzten Absatz in Kapitel 3.1 der Botschaft auf Seite 4 wurde
gefragt, ob im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 Friktionen zu erwarten seien, wenn der Kanton
Aargau Mundart als Regelsprache im Kindergarten einführe. Dazu wurde erläutert, dass dies kein
Problem darstelle, weil man im Kanton Aargau nicht einfach den Lehrplan 21 übernehmen werde,
sondern auf der Basis des Lehrplans 21 eine Version für den Kanton Aargau erarbeite. Es könne für
den Aargauer Lehrplan Ergänzungen und Streichungen geben. Das Erarbeiten einer neuen Stunden-
18. August 2015
Art.-Nr. 0986
2747
tafel, zusammen mit Lehrpersonen und Schulleitungen, werde das Hauptthema sein. Es werde davon ausgegangen, dass die Formulierungen, welche auf Grund der Änderung der Regelsprache im
Kindergarten nun im Lehrplan festgehalten werden, auch im neuen Lehrplan übernommen würden.
Bei § 12a wurde zu Abs. 3 seitens eines Kommissionsmitglieds darum gebeten, in der Verordnung
schlanke Vorgaben zu machen und nicht bis ins kleinste Detail zu regeln, in welchen Lernsituationen
ausnahmsweise die Standardsprache gesprochen werden kann. Bruno Gretener hat dies vorhin
erläutert und ich muss nicht mehr darauf eingehen. Auch in der Botschaft finden sich Erklärungen
dazu.
Gefragt wurde ferner, wer entscheide, ob die Lehrpersonen über die erforderlichen Sprachkompetenzen verfügten und ob es mit der Freizügigkeit überhaupt vereinbar sei, Lehrpersonen aufgrund
ihrer fehlenden Mundartkenntnis nicht einzustellen. Es ist die Schulpflege als Anstellungsbehörde,
die entscheidet, ob die Lehrpersonen über die nötigen Kompetenzen verfügen, um den Unterricht
durchzuführen. Durch ein Nichtbeherrschen der Mundart wären Lehrpersonen fachlich nicht genügend qualifiziert und aus diesem Grund könnte man einen Arbeitsvertrag auflösen, wodurch keine
Probleme mit der Freizügigkeit entstünden.
Ob Lehrpersonen aus dem Tessin oder der Westschweiz, welche Schweizer Bürgerinnen sind und
Deutsch, jedoch keine Mundart sprechen, angestellt werden könnten, war eine weitere Frage, die
zum Nachdenken anregte. Auch das müsste die Schulpflege beurteilen; allerdings liegt es auf der
Hand, dass unsere Miteidgenossen – selbst wenn sie die deutsche Sprache beherrschen – im Aargau nicht angestellt werden könnten.
In der Kommission wurde darauf hingewiesen, dass in der Schule Aargau zahlreiche Personen, die
nicht über die entsprechenden Fachkompetenzen verfügen, unterrichten. Zahlreiche Primarlehrpersonen unterrichten auf der Oberstufe oder Lehrpersonen ohne heilpädagogische Ausbildung arbeiten
als Heilpädagogen. Für sie gebe es keine spezielle Regelung, bis wann sie die fehlende Fachkompetenz nachholen müssten. Dies ganz im Gegensatz zu den Kindergärtnerinnen, die – obwohl fachlich
hervorragend qualifiziert – nicht weiter beschäftigt werden könnten, weil sie die Mundart nicht genügend beherrschten.
Aus diesen Gründen erachteten mehrere Kommissionsmitglieder die Fremdänderung in § 47a als
unverhältnismässig und überflüssig und votierten für die Streichung des Paragrafen.
Der Antrag, den § 47a ersatzlos zu streichen, wurde mit 8 gegen 3 Stimmen, bei 2 Enthaltungen,
abgelehnt.
Dem Antrag, der vorliegende Entwurf der Änderung des Schulgesetzes sei in 1. Lesung zum Beschluss zu erheben, wurde mit 10 Stimmen gegen 1 Stimme, bei 2 Enthaltungen, zugestimmt.
I., § 12a
Zustimmung
II., Gesetz über die Anstellung von Lehrpersonen (GAL), § 47a
Kathrin Scholl-Debrunner, SP, Lenzburg: Wie bereits angekündigt, stelle ich den Antrag, dass § 47a
ersatzlos zu streichen sei. Es ist mehr als fragwürdig, ob eine Kündigung infolge ungenügender
Mundartkenntnisse rechtlichen Ansprüchen gerecht werden könnte. Ein einziges Qualifikationsmerkmal herauszupicken – und dies nur für eine am Kindergarten unterrichtende Lehrpersonenkategorie – ist weder sinnvoll noch zielführend und vor allem nicht umsetzbar. Aus diesem Grund sei der
Paragraf ersatzlos zu streichen. Besten Dank für die Unterstützung.
Christoph Riner, SVP, Zeihen: Ich bitte Sie, diesen Antrag von der linken Seite abzulehnen. Damit
die Initiative umgesetzt werden kann, braucht es diesen Paragrafen. Ich habe Verständnis dafür,
dass dies den Linken nicht gefällt, aber man soll der Demokratie gerecht werden und das Resultat
akzeptieren. Ich frage mich, warum es bei Kindergartenlehrpersonen kein Anforderungsprofil geben
soll. Ein Beispiel aus der Privatwirtschaft: Ein Kundenberater hat bis heute immer deutschsprechen-
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de Kunden betreut. Nun soll er plötzlich englischsprechende Kunden betreuen, obwohl er die englische Sprache nicht beherrscht. Was passiert mit diesem Kundenberater? Entweder lernt er die
Sprache oder er muss sich anderweitig umschauen. Ich verstehe nicht, warum dies bei Kindergartenlehrpersonen anders sein soll. Ein Anforderungsprofil darf erwartet werden, zumal es sich hier nicht
um eine geschützte Arbeitsstätte handelt. Ansonsten müsste man mir dies erklären. Besten Dank für
die Ablehnung dieses Antrags.
Alex Hürzeler, Regierungsrat, SVP: Wie ich im Eintretensvotum bereits festgehalten habe, bitte ich
Sie, diesem Antrag nicht zuzustimmen und den § 47a im Gesetz über die Anstellung von Lehrpersonen (GAL) im Bereich der Schluss- und Übergangsbestimmungen entsprechend aufzunehmen. Damit erhalten die Schulpflegen und die allenfalls betroffenen Kindergartenlehrpersonen, die nicht über
die entsprechenden Fachkompetenzen in der Mundart verfügen, zwei weitere Jahre Zeit, sich diese
Kompetenz anzueignen oder – was wahrscheinlich eher der Fall sein wird – sich innerhalb des Kantons Aargau im Schulbereich neu zu orientieren. Dies kann ein Wechsel in eine andere Schulstufe
sein, in der grundsätzlich die Standardsprache gesprochen wird. Es ist aber auch möglich, sich auf
andere Bereiche zu konzentrieren, beispielsweise Deutsch als Zweitsprache, oder im Kindergarten
mit einem Kleinstpensum von maximal 20,0 Prozent zu unterrichten. Diese pragmatische Umsetzung
wird von uns geduldet und unterstützt.
Wie ich auch bereits erwähnt habe, ist es für die Schulpflegen und Anstellungsbehörden wichtig, ein
klares verbindliches Datum zu haben, bis wann die Umsetzung erfolgen muss. Deshalb bitte ich Sie,
an diesem Paragrafen festzuhalten.
Zu einer Frage, die in der Kommission BKS thematisiert wurde: Wieso verfügen andere Kompetenzen, sprich Ausbildungsdiplome, nicht ebenfalls über einen solchen Paragrafen? Aufgrund der neu
zu regelnden gesetzlichen Grundlage ist Mundart eine zwingende Voraussetzung, um im Kindergarten unterrichten zu können. Das steht im Gesetz. Deshalb müssen wir hier eine konkrete Regelung
für die Anstellungsbehörden finden. Es ist nicht unser Ziel, grundsätzlich eine Kompetenz per Diplom
zu erreichen, sondern die entsprechende Fachkompetenz muss einfach vorhanden sein. Wenn nun
gewisse Lehrpersonen im Schuldienst des Kantons Aargau heute ohne stufengerechtes Diplom unterrichten, sagt dies noch lange nicht, dass diese nicht über die entsprechenden Fachkompetenzen
in dieser Stufe verfügen. Dies hat die Anstellungsbehörde – Schulleitung und Schulpflege – in entsprechenden Qualifikationsgesprächen, die vor Ort geführt werden, immer wieder zu prüfen. Was die
Standardsprache und die Mundartkompetenz anbelangt, haben wir nun eine gesetzliche Grundlage.
Deshalb ist es nötig, dass wir zuhanden der Anstellungsbehörde eine klare Regelung haben, ab
wann dies definitiv gilt.
Ich bitte Sie nochmals, am § 47a GAL im Bereich der Schluss- und Übergangsbestimmungen festzuhalten.
Abstimmung
Der Antrag von Kathrin Scholl wird mit 89 gegen 34 Stimmen abgelehnt.
Somit Zustimmung zu § 47a GAL.
III., IV.
Zustimmung
Antrag gemäss Botschaft / Gesamtabstimmung
Der regierungsrätliche Antrag gemäss Botschaft wird mit 120 gegen 0 Stimmen gutgeheissen.
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Beschluss
Der Entwurf der Änderung des Schulgesetzes wird in 1. Beratung zum Beschluss erhoben.
0987 Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt; Änderung; Bericht
und Entwurf zur 2. Beratung; Eintreten, Detailberatung und Schlussabstimmung; fakultatives
Referendum
(Vorlage-Nr. 15.111-1 des Regierungsrats vom 3. Juni 2015)
Andreas Senn, CVP, Würenlingen, Präsident der Kommission für öffentliche Sicherheit (SIK): Die
Kommission für öffentliche Sicherheit SIK hat am 29. Juni 2015 das Geschäft 15.111 Änderung des
Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt in 2. Beratung behandelt.
Nachdem das Kitesurfen auf Aargauer Gewässern schon in der 1. Lesung im Grossen Rat mit 100
gegen 24 Stimmen abgelehnt wurde, führte unsere Kommission die 2. Beratung durch. Prüfungsanträge wurden keine überwiesen.
Zur Ausgangslage: Am 15. Februar 2016 wird das bislang nach Bundesrecht geltende Verbot des
Kitesurfens auf allen schweizerischen Gewässern aufgehoben. Weil die Hoheit über alle Gewässer
bei den Kantonen liegt, können diese nun entscheiden, ob und welche Wassersportarten künftig auf
ihren Gewässern zugelassen oder untersagt werden sollen. Für den Hallwilersee gilt es nun abzuwägen, welche Rechtsgüter und öffentlichen Interessen gegeneinander abgewogen werden sollen.
Schon in der 1. Lesung hat sich gezeigt, dass sich der Hallwilersee aufgrund seiner Grösse und des
Schutzes der unverbauten Uferregionen und der damit verbundenen Flora und Fauna nicht eignet,
um eine Wassersportart wie Kitesurfen zuzulassen.
In die 2. Lesung ist eine formale Änderung eingeflossen. Im § 6 des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt werden diejenigen Wassersportarten, für deren Ausübung
zwingend ein Zugschiff notwendig ist, neu hintereinander beziehungsweise in einem Block aufgezählt. Die Rechtsänderungen sollen gleichzeitig wie die Änderung des Bundesrechts ihre Wirkung
entfalten, weshalb das vorzeitige Inkrafttreten auf den 15. Februar 2016 beantragt wird.
Zur Beratung in der Kommission: Die Kommission trat mit 11 gegen 2 Stimmen auf das Geschäft ein.
Eintreten
Vorsitzender: Stillschweigend treten die Fraktionen der SVP, CVP, EVP und der Grünen auf die Vorlage ein.
Barbara Portmann-Müller, GLP, Lenzburg: Diese Vorlage in der 2. Lesung scheint ähnlich hohe Wogen zu werfen, wie diejenigen im Hallwilersee – nämlich nicht sehr hohe. Die Meinungen sind gemacht. Das zeigte sich auch bei der Mittagsveranstaltung der Kiter, wo leider nur wenig Bereitschaft
vorhanden war, sich effektiv auf deren Anliegen einzulassen. Nur sehr wenige Leute kamen vorbei
und wollten sich mal so ein Kite anschauen. Die Kitesurfer brachten ihr Material mit und präsentierten es. Die Hälfte der GLP hat weiterhin erhebliche Zweifel bezüglich der Richtigkeit, die Kiter anders
zu behandeln als die Surfer und auch bezüglich der Verhältnismässigkeit dieses Verbots. Die andere
Hälfte erachtet aber dennoch das Schutzbedürfnis von Natur und Landschaft als wichtiger und wird
dem Verbot zustimmen.
Peter Koller, SP, Rheinfelden: Kitesurfen ist eine Sportart, bei der sich Menschen von starken Winden treiben lassen. Dementsprechend viel verstehen die Surferinnen und Surfer von der Kraft des
Windes. Und so haben die Surferinnen und Surfer denn zwischen der 1. Lesung hier im Grossen
Rat, wo sich die grosse Mehrheit für ein Verbot ausgesprochen hat, und der 2. Lesung kräftig Gegenwind aufgebaut, um uns zwischen diesen beiden Lesungen von unserem Kurs abzubringen.
Das macht diese Sportlerinnen und Sportler natürlich auch sehr sympathisch: Sie setzen sich für ihr
Hobby ein und machen das mit grossem Engagement. Ich war übrigens auch an einer der zwei Vor-
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stellungen, aber vor der 1. Lesung. Ich habe mir diese Kitesurfer sowie ihre Kites angeschaut – und
war eigentlich begeistert von der Sportart.
Wir haben uns in einer windstillen Stunde in der Partei diese Sache noch einmal angeschaut und
sind zum Schluss gekommen, dass wir in diesem Fall dem Wind, der aufgebaut worden ist, trotzen
und uns nicht vom Kurs abbringen lassen – zumindest die meisten von uns. Für die Mehrheit der SP
sind der Hallwilersee und der Schutz seiner naturnahen Ufer und seiner Fauna wichtiger als das
Hobby einiger sportbegeisterter Menschen. Wir sind überzeugt, dass die Kitesurferinnen und Kitesurfer auf anderen Seen bessere, geeignetere Verhältnisse finden, um ihrem Hobby nachzugehen.
In diesem Sinne bitten wir Sie, uns zu unterstützen.
Heinz Graf, BDP, Oberrohrdorf: Ich möchte vorausschicken, dass wir von der BDP grosse Sympathien zur Sportart Kitesurfen haben. Die veröffentlichten Leserbriefe nach der 1. Lesung fanden wir
vom Inhalt her jedoch für unangebracht. Ebenfalls erachten wir es als Zwängerei der Lobbyisten,
nach der 1. Lesung noch einen Informationsanlass durchzuführen. Ich schreibe dieses Vorgehen der
politischen Unerfahrenheit dieser jungen Leute zu.
Das Rundmail, das dann aus dem Kreis der Grossräte stammte und zum Ziel hatte, die Surfer lächerlich zu machen, finden wir auch für unangebracht. Wir von der BDP stehen hinter der direkten
Demokratie. Direkte Demokratie heisst auch Lobbyismus und dies muss auch den Kitesurfern zugestanden werden, ob es uns gefällt oder nicht.
Die BDP ist für Eintreten und befürwortet wie in der 1. Lesung die Botschaft des Regierungsrats vollumfänglich. Der Regierungsrat ist nach sachlicher Überlegung – dies in Zusammenarbeit mit dem
Kanton Luzern – zum Schluss gekommen, dass sich der kleine Hallwilersee von 10 Quadratkilometern für das Kitesurfen nicht eignet. Den wunderschönen Hallwilersee müssen wir aus Sicht des Natur- und Vogelschutzes schützen. Dem Kanton Aargau ist es dank des Dekrets zum Schutz der Hallwilerseelandschaft gelungen, die Landschaft des Hallwilersees in ihrer natürlichen Eigenart und
Schönheit zu erhalten. Rund 75,0 Prozent der Uferlandschaft sind naturnah, was für einen See im
Mittelland einen einmaligen Wert darstellt. Die weitgehend unverbauten natürlichen Ufer, die Flachwasserzonen mit Schilf- und Seerosenbeständen, die Riedflächen und Flachmoore sowie Bachdeltas
sind ungeschmälert erhalten geblieben.
Wir bitten die Kitesurfer, ihren attraktiven Sport auf dem Zürichsee, wo kaum ein Schilfgürtel anzutreffen ist, oder auf den anderen vierzehn möglichen Seen in der Schweiz auszuüben.
Vorsitzender: Es folgt nun ein Antrag auf Nichteintreten.
Maja Riniker, FDP, Suhr: Diese Sommerferien verbrachte ich am Strand in Holland. Die Kiter bewunderte ich mehrmals und wünschte mir dabei sehr, dass diese bald auch am Hallwilersee zu bestaunen wären. Es stehen heute den Kitern schon fünfzehn Gewässer in unserem Land zur Verfügung; mehr könnten es durch die Liberalisierung des Binnenschifffahrtsgesetzes per Mitte Februar
2016 werden. Der Aargau – oder genauer das Seetal – soll zu keinem Funpark verkommen, so die
Meinung des Regierungsrats und der grossen Mehrheit dieses Rats während der 1. Lesung. Auch in
der Kommission für öffentliche Sicherheit (SIK) glaube ich zu meinen, dass die Positionen klar sind,
so das Resultat aus der 2. Lesung.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Verbot im Aargau nicht eingeführt wird, erachten wir – die FDP –
als gering. Trotzdem: Wir verhalten uns gleich wie schon bei der 1. Lesung und sehen die Chance,
ein überflüssiges Verbot aufzuheben als eine Chance, die es wahrzunehmen gilt.
Die Hälfte der FDP-Fraktion wird auf das Geschäft eintreten. Ein gleich grosser Teil der Fraktion
hätte es aber lieber gesehen, wenn wir nicht eintreten würden. Und für diese Hälfte der Mitglieder
stelle ich hier den Antrag, auf das Geschäft nicht einzutreten.
Sofern wir aber eintreten, wird wiederum eine Hälfte von unserer Fraktion das Gesetz in der
Schlussabstimmung ablehnen.
Matthias Jauslin, FDP, Wohlen: Freiheit darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Ich votiere hier als
Einzelvotant und nicht als Vertreter der Partei. Selbstverständlich respektiere ich das Hallwilersee-
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schutzdekret als wertvolle Grundlage. Mehr Belastungen sind möglichst zu vermeiden und der
Schutz der Natur geniesst hohe Aufmerksamkeit. Andererseits ist der Gemeingebrauch der Wasserfläche des Hallwilersees im Rahmen der Gesetzgebung über die Schifffahrt gestattet und bereits
geregelt. Daher frage ich mich, wieviel Freiheit die Politik aktiven Menschen zusätzlich nehmen will.
Der Grosse Rat will das Kitesurfen auf dem Hallwilersee verbieten. Kitesurfen ist eine Sportart, die
sich mit dem Naturelement Wasser und dem Naturelement Luft arrangiert – eine Sportart, die komplett ohne motorisierte Antriebshilfe auskommt und mit erstaunlich leichten Geräten betrieben wird.
Die Politik schreibt den Kitesurfern vor, der Hallwilersee sei für diese Sportart ungeeignet und diese
daher zu verbieten. Eigentlich steht dies in krassem Widerspruch zu einem wesentlichen liberalen
Grundwert – die Freiheit. Es ist für mich ein zentrales Anliegen, die Freiheit gegen zunehmende Gesetzesfluten und immer neuen Verboten zu verteidigen. Gewiss setzt Freiheit die Verantwortung und
den Anstand voraus gegenüber sich selbst, gegenüber den Mitbürgern und gegenüber der Umwelt.
Genau diese Verantwortung und diesen Anstand können aber Kitesurfer wahrnehmen. Der Grosse
Rat traut den Kitesurfern diese Verantwortung scheinbar nicht zu, folgt dem Regierungsrat und löst
das Problem gemäss 1. Lesung mit einem Verbot. Dies ist aus meiner Sicht völlig unnötig.
1. Die Abstände zu den empfindlichen Zonen und das Verhalten mit Drachensegelbooten – so werden sie im Gesetz genannt – sind schon heute klar geregelt.
2. Die Kitesurfer bewegen sich nur bei starkem Wind auf dem See, also dann, wenn der normale
Badegast das sichere Ufer aufsucht.
3. Der Hallwilersee wird niemals zum Kitesurfer-Eldorado und von diesen überschwemmt werden,
weil die Windverhältnisse das Surfen schlichtweg nur an einigen Tagen zulassen.
Es wäre also durchaus vertretbar, dieser jungen Sportart im Aargau ein bisschen Freiheit zu gewähren und ihr nicht einfach den Wind abzudrehen. Die Forderung der Politik nach mehr Freiheit und
mehr Eigenverantwortung darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Die Politik soll sich dafür aktiv
einsetzen. Beim Kitesurfen möchte ich diese Chance nicht verpassen und bitte Sie, wie die Fraktionssprecherin der FDP beantragt hat, nicht auf die Vorlage einzutreten oder am Schluss die Vorlage
abzulehnen.
Dr. Urs Hofmann, Landammann, SP: Der Regierungsrat hat Ihnen die Gründe für und gegen die
Zulässigkeit des Kitesurfens auf dem Hallwilersee in seinen beiden Botschaften einlässlich dargelegt.
Es geht bei dieser Vorlage nicht um ein Nein zu einer dynamischen, attraktiven Sportart, die auch
weiterhin auf zahlreichen grösseren – und effektiv geeigneteren – Schweizer Seen ausgeübt werden
kann. Es geht um ein Ja zum Natur- und Landschaftsschutz am Hallwilersee. Hätte man am Hallwilersee dem Grundsatz "alles was jemand will, ist auf dem Hallwilersee auch erlaubt – die Freiheit gilt
uneingeschränkt" das Wort geredet, dann sähe der Hallwilersee heute anders aus. Es gäbe kein
Schilf mehr, alles wäre überbaut und nicht mehr nutzbar als Naherholungsgebiet. Gerade beim Hallwilersee hatte das Abwägen zwischen der Freiheit der Nutzung und dem Schutz der Naturwerte
schon seit Jahrzehnten einen hohen Stellenwert. Dieses Abwägen ist die Aufgabe der Politik, ist die
Aufgabe des Grossen Rats. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zum regierungsrätlichen
Antrag.
Abstimmung
Der Nichteintretens-Antrag von Maja Riniker wird mit 102 gegen 25 Stimmen abgelehnt.
Vorsitzender: Damit sind wir eingetreten.
Detailberatung
Andreas Senn, CVP, Würenlingen, Präsident der Kommission für öffentliche Sicherheit (SIK): Die
Botschaft wie auch die Synopse wurden diskussionslos abgehandelt.
Die Kommission SIK empfiehlt dem Grossen Rat somit die Annahme der beiden Anträge.
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Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt
I., Ingress , § 1 Abs. 2, § 6 Marginalie und Abs. 1, II., III., IV.
Zustimmung
Andreas Senn, CVP, Würenlingen, Präsident der Kommission für öffentliche Sicherheit (SIK): Sowohl
dem Antrag 1 zur Änderung des Einführungsgesetzes als auch dem Antrag 2 auf die vorzeitige Inkraftsetzung stimmte die Kommission jeweils mit 10 gegen 3 Stimmen zu.
Abstimmungen (Anträge gemäss Botschaft)
Antrag 1 wird in der Schlussabstimmung mit 99 gegen 27 Stimmen gutgeheissen.
Antrag 2 wird mit 101 gegen 25 Stimmen angenommen.
Beschluss
1. Der Entwurf der Änderung des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt
wird in 2. Beratung zum Beschluss erhoben.
2. Gestützt auf § 37 des Gesetzes über die Organisation des Grossen Rates und über den Verkehr
zwischen dem Grossen Rat, dem Regierungsrat und dem Obergericht (Geschäftsverkehrsgesetz,
GVG) wird die beschlossene Änderung vorzeitig auf den 15. Februar 2016 in Kraft gesetzt.
Fakultatives Referendum
Der Beschluss gemäss Ziffer 1 untersteht dem nachträglichen fakultativen Referendum gemäss § 78
Abs. 4 in Verbindung mit § 63 Abs. 1 lit. a der Kantonsverfassung. Publikation im Amtsblatt.
0988 Motion Renate Gautschy, FDP, Gontenschwil (Sprecherin), Bruno Gretener, FDP, Mellingen, Josef Bütler, FDP, Spreitenbach, Andreas Senn, CVP, Würenlingen, René Bodmer, SVP,
Arni, Wolfgang Schibler, SVP, Buchs, Ruedi Weber, Grüne, Menziken, und Rosmarie Groux,
SP, Berikon, vom 3. März 2015 betreffend Teilrevision des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (EG SchKG); Überweisung an den Regierungsrat
(vgl. Art. 0752)
Mit Datum vom 20. Juni 2015 beantragt der Regierungsrat, die Motion mit folgender Begründung
abzulehnen:
1. Vorbemerkung
Das Anliegen der Motion betrifft ausschliesslich die Zuständigkeit der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission (SchKK) des Obergerichts. Aus diesem Grund wurde die Justizleitung der Gerichte
des Kantons Aargau zur Stellungnahme aufgefordert. Diese wird nachfolgend wiedergegeben.
2. Stellungnahme der Justizleitung der Gerichte Kanton Aargau
2.1 Vorbemerkungen
Die Motion wird eingeleitet mit der Bemerkung, dass die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission (SchKK) des Obergerichts am 14. Mai 2012 die Einführung einer Einheitssoftware für alle Betreibungsämter des Kantons Aargau beschlossen habe, ohne die Gemeinden anzuhören.
Dem muss widersprochen werden. Am 9. Januar 2012 fand eine Orientierungssitzung am Obergericht unter Teilnahme von Verbandsvertreterinnen und Verbandsvertretern der Betreibungsbeamtinnen und Betreibungsbeamten, der Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber, der Finanz-
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verwalterinnen und Finanzverwalter sowie der Gemeindeammänner statt. Das Konzept mit der Einführung einer Einheitssoftware wurde von den anwesenden Vertreterinnen und Vertreter unterstützt.
Seitens des Vertreters der Gemeindeammänner-Vereinigung wurde eine zentrale Lösung unterstützt
und "verschiedene Softwares" als nicht ideal angesehen. Finanziell seien hier keine Probleme vorhanden, da der Aufwand aus Gebühren gedeckt werden könne (vgl. Protokoll der Sitzung vom 9.
Januar 2012, S. 2). Eine Mitarbeit in der Projektgruppe wurde seitens der Verbände und insbesondere der Gemeindeammänner-Vereinigung nach Rücksprache mit deren Präsidentin, die heutige Motionärin, als nicht notwendig erachtet (vgl. E-Mail Gemeindeammänner-Vereinigung vom 30. Januar
2012 sowie Schreiben des Verbands der Finanzfachleute vom 31. Januar 2012). Zugesagt wurde
seitens der SchKK eine periodische Orientierung über den Stand des Projekts, welche jeweils erfolgte.
2.2 Bundesrechtliche Grundlagen des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
Seit der Inkraftsetzung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) vom 11.
April 1889 ist das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht bundesrechtlich organisiert. Im Wesentlichen ist die Organisation der Schuldbetreibungs- und Konkursbehörden in den Art. 1–30a SchKG
geregelt. Im hier interessierenden Schuldbetreibungsrecht bildet das Gebiet jedes Kantons für die
Durchführung der Schuldbetreibungen und der Konkurse einen oder mehrere Kreise (Art. 1 SchKG).
In jedem Betreibungskreis besteht ein Betreibungsamt, das vom Betreibungsbeamten geleitet wird
(Art. 2 SchKG). Die Besoldung des Betreibungsbeamten ist Sache der Kantone (Art. 3). Gemäss Art.
15 SchKG übte das Bundesgericht die Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen aus mittels Erlass der erforderlichen Verordnungen und Reglemente sowie Weisungen an die
kantonalen Aufsichtsbehörden. Seit dem 1. Januar 2007 ist diese Aufsichtskompetenz an das Bundesamt für Justiz übergegangen. Gemäss Art. 13 SchKG hat jeder Kanton zur Überwachung der
Betreibungs- und Konkursämter eine Aufsichtsbehörde zu bezeichnen.
Das Betreibungswesen ist von Bundesrechts wegen eine kantonale Angelegenheit (insbesondere
Art. 1 und 2 SchKG). Dementsprechend haftet auch der Kanton für fehlerhafte Handlungen von Betreibungsorganen (Art. 5 SchKG). Entsprechend muss er auch bestimmen können, wie und mit welchen Hilfsmitteln gearbeitet wird. Daran ändert nichts, dass die Betreibungsämter durch die Gemeinden betrieben werden. Die Verantwortung bleibt beim Kanton.
2.3 Kantonalrechtliche Grundlagen der Aufsicht
Gestützt auf Art. 1 der Schlussbestimmungen des SchKG und § 78 Abs. 1 der Kantonsverfassung
hat der Kanton Aargau mit dem Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs (EG SchKG) vom 22. Februar 2005 (in Kraft seit 1. Januar 2006) in § 16 die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts als obere kantonale Aufsichtsbehörde über die
Betreibungsämter und das Konkursamt bestimmt. Gemäss § 17 EG SchKG ist für die administrative
Aufsicht, welche insbesondere die Durchführung von Inspektionen sowie den Erlass von Weisungen
umfasst, ausschliesslich die obere Aufsichtsbehörde zuständig. Gemäss § 18 EG SchKG wurde zur
Unterstützung der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde im Bereich der Betreibungsämter ein Betreibungsinspektorat eingesetzt, das der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts
unterstellt ist. Gemäss § 18 Abs. 3 tragen die Gemeinden die Kosten des Betreibungsinspektorats.
2.4 Alleinige Aufsichts- und Weisungskompetenz der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission
Die Aufsichtsfunktion der kantonalen Aufsichtsbehörden beinhaltet die Überwachung der Zwangsvollstreckungsorgane unter dem Gesichtspunkt der Gesetzmässigkeit (rechtliche Aufsicht) sowie die
administrative Aufsicht über die unterstellten Betreibungs- und Konkursämter. Daneben stehen die
Pflicht zur Berichterstattung gegenüber dem Bundesgericht (heute Bundesamt für Justiz) sowie die
Pflicht zur Erstellung von Betreibungsstatistiken. Weiter sind die Aufsichtsbehörden Disziplinar- und
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Beschwerdeinstanzen. Teilweise wird ihnen sogar die Kompetenz zum Erlass von Rechtsverordnungen zugestanden, von der in der Praxis, auch vorliegend von der aargauischen Schuldbetreibungsund Konkurskommission, nie Gebrauch gemacht wurde (dazu FRANK EMMEL, in: Kommentar zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN, Basel 1998,
N. 1 zu Art. 13 SchKG und dort zitierte). Als Inhalt der rechtlichen Aufsicht wachen die Aufsichtsbehörden über die Einhaltung aller betreibungsrechtlichen Erlasse des Bundes, der Kantone, in Konkordaten und Staatsverträgen sowie ungeschriebener Grundsätze des Betreibungsrechts (FRANK
EMMEL, a.a.O., N. 4 zu Art. 13 SchKG). Zur Überwachung unter dem Gesichtspunkt der Gesetzmässigkeit ge-hören zunächst das auf den individuell und konkreten Fall bezogene Weisungs- oder
Instruktions-recht (individuelle Dienstanweisung) sowie das Recht zum Erlass von Vorschriften über
die Art und Weise der Amtsführung (generelle Dienstanweisung) mittels Verwaltungsverordnungen
oder Kreis-schreiben (FRANK EMMEL, a.a.O., N. 5 zu Art. 13 SchKG und dort zitierte: NÖTZLI, 25,
GILLIÉRON, 51 ff.).
Wie bereits ausgeführt, ist die administrative Aufsicht über die unterstellten Betreibungs- und Konkursämter bundesrechtlich geregelt. Art. 13 Abs. 1 SchKG gesteht den Kantonen nur das Recht zu,
eine Aufsichtsbehörde zu bezeichnen. Aufgabe und Inhalt der Aufsichtsfunktion sind bundesrechtlich
definiert. Dieses Aufsichtsrecht beinhaltet wie bereits dargestellt, dass individuelle, auf den konkreten
Fall bezogene Weisungs- oder Instruktionsrecht (individuelle Dienstanweisung) sowie das Recht zum
Erlass von Vorschriften über die Art und Weise der Amtsführung im Sinne von generellen Dienstanweisungen im Sinne einer Verwaltungsverordnung (vgl. FRANK EMMEL, a.a.O., N. 5 zu Art. 13,
NÖTZLI, 25, GILLIÉRON, 51 f.). Von diesem Weisungsrecht hat die SchKK bezüglich der Einführung
und des Betriebes von EDV im Betreibungswesen mit dem Erlass von diversen Weisungen Gebrauch gemacht (vgl. oben angeführte).
2.5 Weisung betreffend Anwendung von EDV im Betreibungswesen
Die Anwendung von EDV-Programmen in der heutigen umfassenden Form geht über eine nur unterstützende Form weit hinaus. Ein EDV-Betreibungsprogramm stellt nicht nur eine herkömmliche
Adressverwaltung oder Tabellenkalkulation dar, sondern ist eine eigentliche Prozess-EDV zur Erstellung von Verwaltungsakten. Sie dient nicht nur in einem formellen Sinne der Unterstützung der Verwaltungstätigkeit, sondern erstellt materiell gestaltend Verwaltungsverfügungen. So ist die Darstellung und Erstellung eines Zahlungsbefehls, einer Pfändungsurkunde, eines Kollokationsplanes, einer
Verteilliste und eines Verlustscheins im Sinne der früher vom Bundesgericht als obligatorisch zu
verwendenden Formulare streng vorgegeben. Die dafür heute verwendete EDV ist daher administrativ aufsichtsrechtlich zu genehmigen und zu kontrollieren. Die betreibungsrechtliche EDV kann daher
nicht im Sinne der Motion lediglich als Infrastruktur gleich wie Büroräumlichkeiten, Büromobiliar und
Anstellungsmodalitäten der Betreibungsbeamten bezeichnet werden.
Die Weisungskompetenz der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission sowie deren Berechtigung
zum Erlass von Kreisschreiben stützen sich auf die genannten Rechtsgrundlagen im Sinne genereller Dienstanweisungen. Von diesem Weisungsrecht hat die SchKK bezüglich der Einführung und des
Betriebs von EDV im Betreibungswesen mit dem Erlass von diversen Weisungen Gebrauch gemacht: "Richtlinien (Rahmenbedingungen) für die Einführung und den Betrieb der elektronischen
Verarbeitung bei den Betreibungsämtern des Kantons Aargau" (KKS.2005.9). Gemäss Ziff. I/1.5.
dieses Kreisschreibens bedarf die Einführung der EDV in einem Betreibungsamt der Bewilligung der
SchKK. Weiter bedarf es für die Änderung, Ergänzung oder Erweiterung der verwendeten Programme gemäss Ziff. II/10.2 des Kreisschreibens ebenfalls einer Bewilligung der SchKK, sofern es sich
dabei nicht nur um den blossen Ersatz verwendeter Standardprogramme durch neue Versionen
("Upgrade", "Update") handelt. Das Kreisschreiben stützt sich explizit auf die Verordnung des Bundesgerichts über die Aufbewahrung der Betreibungs- und Konkursakten (VABK vom 5. Juni 1996,
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SR 281.33). Vorgänger dieses Kreisschreibens waren dasjenige gleichen Inhalts vom 26. Februar
1999 (KDI.2004.121) sowie diejenigen vom 21. Juni 1989 beziehungsweise 14. März 1983.
Neben dem genannten Kreisschreiben wurden weitere Weisungen zur Amtsführung mit EDV als
Anhang 1 sowie ein Backup-Konzept zur Datensicherung als Beilage 1 sowie ein Virenschutzkonzept
als Beilage 2 im Hinblick auf die damalige Milleniumsproblematik erlassen. Diese Kreisschreiben
samt Anhängen sind nach wie vor in Kraft.
Aufgrund dieser Darlegungen wäre die von der Motionärin beabsichtigte kantonalrechtliche Delegation des Weisungsrechts bezüglich EDV an die Gemeinden als bundesrechtswidrig anzusehen.
2.6 Vorteile einer einheitlichen Betreibungssoftware
Neben den bundesrechtlich geregelten Voraussetzungen (und damit durch kantonales Recht nicht
abänderbaren Voraussetzungen) ergeben sich jedoch auch praktische Vorteile bei der Etablierung
einer einheitlichen Software auf dem Gebiet des ganzen Kantons Aargau.
Eine einheitliche Software bietet bei Schulung und Instruktion beziehungsweise Ausbildung als auch
Prüfung der Betreibungsbeamten Vorteile, indem Prüfungsmaterial und Ausbildung nur auf ein einziges EDV-System ausgerichtet werden müssen. Zudem wird die Prüfung zum Erwerb des Fähigkeitsausweises zur Führung eines Betreibungsamts mittels EDV abgenommen, was bei Verwendung
verschiedener Programme durch die einzelnen Kandidaten unmöglich würde. Zudem ist die Weiterentwicklung der EDV, der Erfahrungsaustausch unter den Betreibungsbeamtinnen und Betreibungsbeamten, die Zusammenführung von Betreibungsämtern sowie das Stellvertretungswesen bei Anwendung einer einheitlichen EDV-Lösung ganz wesentlich vereinfacht. Bei Existenz verschiedener
paralleler EDV-Lösungen wären Kompatibilität sowie einheitliche Weiterentwicklung verunmöglicht.
Überdies müsste der bestehende, durch die EDV-Kommission des Betreibungsbeamtenverbands
gewährte "First Level Support" im Sinne einer unterstützenden Hotline und einer für den Erfahrungsaustausch eingerichteten EDV-Austausch-Plattform eingestellt oder bei verschiedenen parallel geführten EDV-Programmen wesentlich verkompliziert werden. Ebenso würde die Erreichung der Ziele
von E-Government im Kanton Aargau erschwert. Zuletzt wäre auch für das Betreibungsinspektorat
als auch die SchKK als Aufsichtsbehörde bei der Überwachung, Kontrolle und Beratung erheblicher
Mehraufwand zu gewärtigen, welcher nur durch eine Verstärkung des Betreibungsinspektorats bewältigt werden könnte. Würden doch Fehlerbehebungen, Fragestellungen und Lösung von Problemen durch eine Mehrzahl der Programme potenziert.
Insgesamt würde die Bewilligung von verschiedenen parallel zur Anwendung zugelassenen EDVProgrammen ganz generell einen erheblichen Rückschritt in der Fortentwicklung des Betreibungswesens des Kantons Aargau bedeuten, würden sich doch im Kanton der Regionen aufgrund der
nachbarschaftlichen Beziehungen der einzelnen Betreibungsämter im Limmattal wohl die ZürcherLösung, im Fricktal die Basler-Lösung und im Freiamt die Innerschweizer-Lösung durchsetzen. Es
würde EDV-mässig wieder ein Zustand wie vor Einführung des Eidgenössischen Schuldbetreibungsund Konkursrechts im Jahr 1889 geschaffen (bis dahin galt im Fricktal die Vollstreckungsordnung
des habsburgischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs, im Berner Aargau die bernische
GeldtagsVerordnung und im Freiamt die innerschweizerische Vollstreckungsverordnungen).
2.7 Konsequenzen der Umsetzung, insbesondere Auswirkungen auf die Aufgaben- und Finanzplanung
Bei einer Freigabe der Computerprogramme ergäbe sich für das Inspektorat und die SchKK, aber
auch für die einzelnen Gemeinden, folgender Mehraufwand:
Für den Aufgaben- und Finanzplan (AFP) 2015–2019 gäbe es keine Veränderungen. Aufgrund der
bis auf drei Ämter eben neu eingeführten Software entstünden in den nächsten vier Jahren zusätzliche zeitliche Aufwendungen von einem Monat jährlich für das Inspektorat und eine Woche für die
SchKK sowie für die Gemeinden/Betreibungsämter, da sie nicht auf den zentralen Support des Be-
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treibungsinspektorats und der EDV-Kommission zurückgreifen könnten, sondern "Sonderlösungen"
warten müssten.
Für den AFP ab 2020 ff. gäbe es folgende Veränderungen:
Infolge zunehmender Zersplitterung der Computerprogramme (zu rechnen ist mit ca. vier verschiedenen sich etablierender Programme) müsste mit zusätzlich 50 % für das Betreibungsinspektorat
und 10 % für die Kanzlei des Betreibungsinspektorats sowie einem Monat Mehraufwand für die
SchKK durch vermehrte Schulungen/Einführungen, schwierigere Inspektionen, potentieller Vervierfachung aller EDV-spezifischen Fragen, Bewilligungen, Weiterentwicklungen, Problemlösungen etc.
gerechnet werden. Auch eine zentrale Hotline/Unterstützung durch die EDV-Kommission des Verbands wäre erschwert, und die Gemeinden hätten grösseren Einarbeitungsaufwand bei Personalwechseln zwischen den Ämtern. Zudem ergäben sich schwer zu beziffernde Mehraufwendungen bei
künftigen Projekten wie Weiterentwicklung von e-SchKG sowie E-Government
Demnach würden sich die jährlichen Betriebskosten geschätzt etwa wie folgt darstellen:
Betriebskosten (jährlich)
Sachbereich
AFP-Jahr
2020 ff.
Personalaufwand
BI Inspektor 50 %
Fr. 105'000.–
BI Kanzlei 10 %
SchKK (OG) Präsidium und Mitglieder
Fr. 15'000.–
Fr. 30'000.–
TOTAL
Fr. 150'000.–
2.8 Schlussbemerkung
Wenn in der Motion die bislang durch die SchKK getätigte Rechtsauslegung und Rechtsanwendung
als in krasser Weise als den Grundsätzen der fiskalischen Äquivalenz widersprechend beschrieben
werden, muss darauf hingewiesen werden, dass im Sinne dieser Äquivalenz den Gemeinden neben
den Auslagen für den äusseren Betrieb der Betreibungsämter immerhin die in der Regel diese Auslagen übersteigenden Gebühreneinnahmen zustehen. Auch würde die Risiko-Äquivalenz verletzt,
indem dem Kanton die Primäre Staatshaftung zufällt, er jedoch bei den einzusetzenden Mitteln nicht
mitbestimmen könnte. Die geltende Ordnung entspricht daher der bei Erlass des geltenden EG
SchKG in Ablehnung der damals zuerst vorgesehenen Kantonalisierung des Betreibungswesens
erzielten ausgewogenen Aufgabenteilung. Der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission stehen
sämtliche Kompetenzen zur gesetzes- und fachgemässen (EDV-unterstützten) Amtsführung zu, den
Gemeinden hingegen die räumliche, personelle und äussere Organisation der Betreibungsämter
samt Gebühreneinnahmen. Die aktuelle Software "eXpert" ist bis auf drei Ämter erfolgreich eingeführt, funktioniert einwandfrei und der Zufriedenheitsgrad der Beteiligten wird mit über 90 % angegeben. Eine spezielle "Lex Spreitenbach beziehungsweise Niederrohrdorf" wäre, selbst wenn sie bundesrechtlich zulässig wäre, aus strategischen und praktischen Gründen abzulehnen.
Die Justizleitung stellt demgemäss den Antrag, die Motion Renate Gautschy, FDP, Gontenschwil, zur
Ablehnung zu empfehlen.
3. Stellungnahme des Regierungsrats
Der Regierungsrat schliesst sich den Ausführungen der Justizleitung an und beantragt aus den dargelegten Gründen die Abweisung der Motion.
Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 1'643.–.
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Vorsitzender: Für die Behandlung dieses Geschäfts begrüsse ich unseren Obergerichtspräsidenten
Herrn Guido Marbet auf der Regierungsbank.
Josef Bütler, FDP, Spreitenbach: Einmal mehr suggeriert die Justizleitung, dass die Gemeinden zur
"Neuen Aargauischen Betreibungs-Software" (NABS) angehört wurden. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Korrekt ist folgender Sachverhalt: Vertreter der Gemeindeammännervereinigung, des Gemeindeschreiberverbands und des Finanzverwalterverbands wurden an einer Sitzung vom 9. Januar 2012
über NABS in Kenntnis gesetzt. Die an dieser Sitzung anwesenden Verbandsvertreter haben grundsätzlich Zustimmung zu einer einheitlichen Software für die Betreibungsämter signalisiert. Nun zu
behaupten, dass diese Personen im Namen aller Aargauer Gemeinden gesprochen haben sollen, ist
vermessen. Zu beachten ist auch, dass seit damals, Januar 2012, nunmehr drei Jahre vergangen
sind und erst heute die vollen Kostenfolgen und alle anderen Auswirkungen von NABS auf die Gemeinden bekannt sind. Weisungen betreffend Anwendung von EDV im Betreibungswesen: Das Bundesgericht stellt in seinem Urteil vom 24. Oktober 2014 fest, dass es in der alleinigen Kompetenz der
Kantone liege, darüber zu entscheiden, ob sie zum Beispiel einem Betreibungsamt die Zusammenarbeit mit einem bestimmten EDV-Anbieter erlauben wollen oder nicht. Das Bundesgericht stellte
also fest, dass die Zuständigkeit für solche Regelungen beim Aargauer Gesetzgeber liegt. Wieso die
Justizleitung nun zum Schluss kommt, dass eine solche kantonalrechtliche Kompetenzdelegation
bundesrechtswidrig sei, ist nicht nachvollziehbar. Denn aus dem Bundesgerichtsurteil vom 24. Oktober 2014 ergibt sich nichts Derartiges. Eine Betreibungssoftware muss heute zwingend die Anforderungen des Bundes von eSchKG 2.0 (elektronisches Betreibungsverfahren) erfüllen. Mehrere gängige Softwareprodukte auf dem Markt erfüllen diese Voraussetzungen und somit auch alle von der
Justizleitung beschriebenen Funktionen einer Prozesssoftware. Weshalb die Schuldbetreibungs- und
Konkurskommission (SchKK) im Aargau dennoch ein Softwaremonopol einführen will, ist nicht nachvollziehbar. Der Kanton Aargau hat keine weiterführenden Vorschriften an die Software der Betreibungsämter als andere Kantone. Deshalb reichen die Vorschriften des Bundes völlig aus. Die Justizleitung versucht vorliegend, einen Sonderfall Aargau glaubhaft zu machen, den es gar nicht gibt.
Zum Vergleich: Auch alle anderen bei den Gemeinden eingesetzten EDV-Hilfsmittel müssen gesetzliche Vorschriften einhalten. So müssen beispielsweise EDV-Programme für die Aargauer Finanzverwaltung die Rechnungslegungsvorschriften des Kantons Aargau oder die Software für die Einwohnerkontrollen die Vorschriften von Bund und Kanton einhalten. Trotzdem kommen deren Aufsichtsbehörden nicht auf die Idee, für den ganzen Kanton Aargau eine einheitliche Software für Finanzverwaltungen, für Einwohnerkontrollen und so weiter vorzuschreiben. Von der Einführung der
ersten Betreibungssoftware bis ins Jahr 2014 waren in den Betreibungsämtern im Aargau verschiedene EDV-Programme im Einsatz und trotzdem stellte diese Situation kein Problem dar. Weshalb
sollte das nun plötzlich anders sein? Die Justizleitung redet hier ein Problem herbei, welches bis
Ende 2014, also vor NABS, gar keines war. Auch die Weiterentwicklung einer Software wird in keiner
Weise verhindert, wenn im Aargau mehrere Programme im Einsatz sind. Im Gegenteil: Gegenseitige
Konkurrenz erhöht den Druck auf die Anbieter, besser zu sein als deren Mitbewerber und ihre Produkte weiter zu entwickeln. Ein stärkerer Wettbewerb wirkt sich zudem positiv auf die Preisgestaltung
aus. Der First-Level-Support des Betreibungsbeamtenverbands ist keine zwingende Dienstleistung,
sondern wurde für NABS, die neue Software eXpert neu geschaffen. Jene Gemeinden, die heute
noch eine andere Software als eXpert im Einsatz haben, profitieren wie bis anhin von einwandfreien
Supportleistungen ihres jeweiligen Anbieters. Und dies auch ohne den Support des Betreibungsbeamtenverbands. E-Government Aargau führt zurzeit kein Projekt aus dem Umfeld der Betreibungsämter, dies hat die Fachstelle E-Government auf Rückfrage hin bestätigt. Demzufolge werden auch
deren Ziele nicht beeinträchtigt. Wieso die Justizleitung etwas anderes glaubhaft machen will, ist
nicht nachvollziehbar. Wichtig ist, dass die eingesetzte Software die Vorgaben von eSchKG 2.0 erfüllt, und dies gewährleisten die heute gängigen Programme. Wenn die Justizleitung als Vergleich
heranzieht, dass im Fall von mehreren EDV-Programmen im Aargau EDV-mässig ein Zustand wie
vor 1889 geschaffen wird und dies noch mit blumigen Worten ausführt, so kann man darüber nur den
Kopf schütteln und man muss sich ernsthaft fragen, ob unsere Justizleitung nicht besser Geschichtsunterricht an der Kantonsschule erteilen sollte, als Recht zu sprechen. Bis 2014 waren im Kanton
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Aargau mehrere, einzelfallweise von der SchKK bewilligte EDV-Programme für die Betreibungsämter
im Einsatz und diese Situation war völlig problemlos. Die Justizleitung will nun glaubhaft machen,
dass bei mehreren EDV-Programmen für die Betreibungsämter mehr Kosten für den Kanton Aargau
entstehen würden, als dies bei einer Monopollösung der Fall wäre. Wenn also die geltend gemachten zusätzlichen 50,0 Prozent für das Betreibungsinspektorat sowie die 10,0 Prozent für die Kanzlei
erforderlich sind, um eine Situation mit mehreren EDV-Programmen im Kanton Aargau bewältigen zu
können, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass mit der von der SchKK angestrebten Monopollösung eben diese Stellenpensen eingespart werden können. Denn bis 2014 waren im Aargau mehrere EDV-Programme im Einsatz und heute soll es nur noch eines sein. Sollte die Motion heute also
nicht überwiesen werden, müssen diese Stellenpensen beim Betreibungsinspektorat ab kommendem Jahr eingespart werden. Bemerkung: Wenn ausserdem eine 50,0 Prozent-Stelle im Inspektorat
mit 105'000 Franken veranschlagt wird und eine 10,0 Prozent-Stelle beim Sekretariat des Betreibungsinspektorats mit 15'000 Franken, so muss man sich nicht fragen, weshalb die Personalkosten
beim Kanton aus dem Ruder laufen. Die behaupteten Mehraufwendungen für die Hotline des Betreibungsbeamtenverbands sind falsch, weil diese Hotline nur für NABS, für die Software eXpert der BK
Solution AG, betrieben wird. Wenn also Gemeinden eine andere Software haben, so passiert das
Gegenteil: Der Aufwand der Hotline nimmt ab, weil jede Gemeinde, welche eine andere Software
hat, ihren Support bei ihrem jeweiligen Anbieter sicherstellt. Die behaupteten schwer zu beziffernden
Mehraufwendungen bei künftigen Projekten und für die Weiterentwicklung von eSchKG sowie
E-Government sind völlig aus der Luft gegriffen und entbehren jeglicher Grundlage. Wäre dem so,
hätte wohl der Bund schon längst eine eidgenössische Software bestimmt.
Schlussbemerkung: Die Behauptung, die Software eXpert funktioniere einwandfrei, ist falsch. In ihrem Schlussbericht zum Projekt NABS vom 24. Dezember 2014 stellt die SchKK selber fest, dass die
Software Mängel hat. Die zentralistische Anordnung der SchKK, dass im Aargau nur eine Software
für Betreibungsämter verwendet werden darf, war auch Inhalt eines Kommentars von Professor
Hansjörg Peter, einem schweizweit überaus angesehenen Fachmann für das schweizerische Privatrecht. Er ist Professor an der Universität Lausanne, doziert unter anderem auch in Zürich und in Bern
und hat schon zahlreiche Publikationen zum schweizerischen Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
veröffentlicht. Den Aargauer Softwarestreit kommentiert er in einer Fachzeitschrift wie folgt, ich zitiere: "Der angefochtene Entscheid beruht vor allem auf aargauischem Recht. Zu rügen wäre daher die
falsche Anordnung kantonalen Rechts. Sollten am angefochtenen Entscheid, die Gemeinden zum
Kauf der Software zu zwingen, Personen mitgewirkt haben, die schon am Beschaffungsentscheid
beteiligt waren (Anmerkung: Was hier im Aargau so passiert ist), so mag man sich Gedanken über
ihr Fingerspitzengefühl machen." Zitat Ende.
Fazit: Die Argumentation des Regierungsrats beziehungsweise der Justizleitung überzeugt nicht und
ist widersprüchlich. Offenbar soll das missglückte Projekt NABS, komme was wolle, nachträglich in
ein gutes Licht gerückt werden. Fakt ist aber, dass die Gemeinden besser dafür geeignet sind, die für
sie richtige Software für ihr Betreibungsamt auszuwählen und anzuschaffen. Gleiches beweisen sie
tagtäglich in ihren anderen Verwaltungsabteilungen. Zudem verstösst das neu geschaffene EDVMonopol gegen die Idee des Wettbewerbs und kommt die Gemeinden und auch den Kanton erheblich teurer zu stehen, als die bisherige gesetzeskonforme Vielfalt. Mit der zentralisierten Monopollösung werden die Gemeinden einmal mehr vom Kanton bevormundet. Die Aushöhlung der Gemeindeautonomie schreitet voran, das kann nur mit einer Zustimmung zur Motion abgewendet werden.
Wir bitten Sie deshalb, die Motion entgegen dem Antrag des Regierungsrats zu überweisen.
Ruth Jo. Scheier, GLP, Wettingen: Ob und in welchem Umfang hier Gespräche und ein Meinungsaustausch stattgefunden haben, kann ich nicht beurteilen. Hier bestehen offenbar unterschiedliche
Wahrnehmungen. Zur Sache, um die es in dieser Motion geht, kann ich jedoch Folgendes festhalten:
Die GLP-Fraktion ist häufig für Gemeindeföderalismus; dort, wo es möglich ist und Sinn macht. Im
hier vorliegenden Fall des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG) sehen wir jedoch keinen Vorteil. Im Gegenteil, hier ist eine einheitliche Handhabung wenigstens innerkantonal sehr erwünscht. Schliesslich ist die Gesetzgebung für alle gleich, warum also nicht auch die Umsetzung
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gleichgestalten? Die Antwort des Regierungsrats beziehungsweise der Justizleitung ist für uns
schlüssig und wir lehnen diese Motion ab.
Rosmarie Groux, SP, Berikon: Entgegen meinem Eintrag als Motionärin rede ich für die SP-Fraktion,
welche die Motion 15.28 ablehnt. Die Argumente der Justizleitung überzeugen uns. Eine einheitliche
Softwarelösung ist für die Einsetzung neuer Betreibungsbeamter und die Kontrolle der Ämter durch
den Kanton sinnvoll. Das Betreibungsamt Bremgarten arbeitet mit der neuen Software: Sie wird zwar
als teuer, aber zweckmässig und gut beurteilt.
Adrian Schoch, SVP, Fislisbach: Ich spreche hier als Einzelperson und möchte Ihnen darlegen, weshalb es zum heutigen Zeitpunkt absolut keinen Bedarf für die Revision des genannten SchKG gibt.
Anlässlich der Revision zum Einführungsgesetz Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (EG SchKG)
gemäss Botschaft vom 7. Juli 2004 war damals die Kernaussage, dass wird das Betreibungswesen
professionalisieren wollen, und dazu gehört auch eine professionelle Software. Die alte, herkömmliche Software WinBeam 2S wurde eingeführt und nach all den Jahren hat sich die Sage Schweiz AG
mit einer neuen Software befasst: Die heute auf dem Markt befindliche Software Sage 200. Auch ich
hatte damals die Software WinBeam 2S. Als das Bundesamt für Justiz die Weisung erliess, dass die
Betreibungsämter in Zukunft eine Schnittstelle für eSchKG haben müssten, damit die Begehren im
Betreibungsamt elektronisch angeliefert und verarbeitet werden können, hat die Softwarefirma mitgeteilt, dass sie diese Schnittstelle noch anbieten könne, aber für alle anderen Erweiterungen sei diese
Software nicht mehr geeignet. Erst nach einem erfolgten Evaluationsverfahren der neuen Software
Sage 200, in dem die Sage Schweiz AG mit einer Eingabesumme von 6'440'429 Franken – der heutige Lieferant BK Solution AG machte eine Eingabe von 3'459'000 Franken, eine Differenz von 2,98
Millionen Franken, – aus dem Rennen gefallen ist, äusserte sich Sage Schweiz nachher wie folgt:
"Doch, unser altes Programm geht auch noch, man kann das Ganze mit wenig Geld auch noch machen." Hier kann sich jeder selber Gedanken machen über den Anbieter. Die Motionäre aber halten
in ihrer Eingabe fest, dass die strittige Bestimmung in § 17 EG SchKg zu finden sei. Ebenfalls halten
die Motionäre im Vorstoss fest, dass der Regierungsrat in seiner Botschaft an den Grossen Rat zur
Teilrevision des EG SchKG vom 7. Juli 2004 auch zur Kompetenzabgrenzung der Aufsicht nach
SchKG und der Dienstaufsicht der Gemeinde Stellung nimmt. In Ziffer 7 seiner Botschaft an den
Grossen Rat halte der Regierungsrat Folgendes fest, ich zitiere: "Die Betreibungsbeamtinnen und
Betreibungsbeamten unterstehen in fachlicher und disziplinarrechtlicher Hinsicht ausschliesslich der
betreibungsrechtlichen Aufsichtsbehörde. Ergeben sich demgegenüber amtsintern Schwierigkeiten,
die losgelöst vom Betreibungsverfahren auftreten, zum Beispiel Infrastruktur, unterstehen die Betreibungsbeamtinnen und -beamten der Dienstaufsicht der Gemeinden." Meine sehr vereehrten Damen
und Herren, nehmen Sie die Botschaft vom 7. Juli 2004 zur Hand und Sie werden feststellen, unter
Ziffer 7 sind lediglich drei belanglose Sätze aufgeführt, welche das Betreibungswesen darstellen und
im nächsten Abschnitt kommt bereits schon das Konkursverfahren. Also dort steht überhaupt nichts
von dieser Bestimmung drin. Wer aber das Protokoll der 50. Sitzung der Justizkommission der Legislaturperiode 2001 – 2005 konsultiert, wird feststellen, dass dieser § 17 nicht mal diskutiert wurde, er
ging glatt durch. Es ist nicht diskutiert worden!
Und nun noch ein paar Ausführungen zur Software: Ich selber habe mit beiden System gearbeitet
und kann den Vergleich wie folgt darlegen: Die Software WinBeam 2S kann als Deux Chevaux, die
heutige Software eXpert als Mercedes bezeichnet werden. Die SchKK hat eine gute Wahl der Software getroffen. Weshalb hat sie eine gute Wahl getroffen? Erstens, Performance: Wie immer in der
IT sind neuere Produkte schneller und auf eine neuere Technologie optimiert. Diesen Geschwindigkeitsgewinn merkt man spürbar, eine speditivere Arbeitsweise ist möglich. Zweitens, Sicherheit: Die
Voraussetzungen an die Sicherheit wurden verschärft. Die BK Solution AG hat diese Vorschriften
eingehalten, es ist zum Beispiel buchhalterisch gar nicht mehr möglich, zu schummeln. Drittens,
Layout: Die neue, zeitgemässe Darstellung kommt übersichtlicher und durchdachter daher. Dieser
Fakt wirkt sich positiv auf ein speditives Arbeiten aus. Die alte Darstellung beruhte auf Windows
2000, welches seinen Zenit längst überschritten hat. Viertens, Support: Die Support-Line der BK
Solution AG funktioniert einwandfrei und ohne Verzögerungen. Probleme werden sofort behoben,
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Anregungen zu Verbesserungen werden gerne entgegengenommen und geprüft. Die Sage Schweiz
konnte zum Ende von WinBeam 2S diesen Support nicht mehr einwandfrei zur Verfügung stellen.
Fünftens, Vereinfachung der Arbeitsschritte: Prozesse wurden im Vergleich zur alten Software einfacher und übersichtlicher: Buchhaltung, Erfassen neuer Geschäftsfälle, fortlaufende Arbeiten, wie
Fortsetzungsbegehren, Verwertungsbegehren etc. Sechstens, ständige Weiterentwicklung: Die BK
Solution AG arbeitet ständig an eXpert weiter, es werden laufend Updates eingebracht, die Formularsammlung stets vergrössert und Fehlerquellen behoben. Siebtens, Sicherung von Dokumenten:
Mit der neuen Software werden alle Dokumente, Formulare, Korrespondenz aus Word und Excel
direkt ins eXpert gespeichert und können nochmals aufgerufen und sogar bearbeitet werden. Es
müssen keine Kopien mehr im Dossier abgelegt werden.
Wer von Professionalität spricht und trotzdem den Deux Chevaux fahren will, der nimmt seine Aufgaben nicht mehr ernst und möchte nur Kosten und nicht Professionalität optimieren. Aus den genannten Gründen besteht heute kein Bedarf, die Aufgaben der SchKK zu entziehen und somit eine
Revision des EG SchKG durchzuführen. Bitte lehnen Sie diese Motion ab.
Jean-Pierre Gallati, SVP, Wohlen: Lasst Tausend Blumen blühen, Herr Präsident! Im Gegensatz zu
meinem Vorredner lege ich meine Interessensituation offen. Ich habe vor einigen Monaten eine aargauische Gemeinde im Kampf gegen diese Zentralisierung und diese Monopolsoftware vertreten,
leider bisher erfolglos. Worum geht es? Es geht nicht um die Frage, ob diese Ausschreibung, dieses
Submissionsverfahren, für eine neue aargauische Betreibungssoftware korrekt abgelaufen ist oder
nicht. Wenn da ein Mitbewerber nicht einverstanden ist, hätte er sich mit einer Beschwerde dagegen
zur Wehr setzten können. Es geht auch nicht um Details, welche Produkte da entstehen müssen und
wie diese Softwareprodukte heissen. Es geht nur um die Frage, ob wir hier einen kleinen, vielleicht
allerletzten Spielraum der aargauischen Gemeinden zunichtemachen wollen. Wenn die GLP vorher
davon redet, wie hoch sie die Gemeindeautonomie halte und dann gleichzeitig bei diesem kleinen,
fast schon banalen, Anwendungsfall das Gegenteil macht – allerdings ohne Begründung – und
gleichzeitig den Wettbewerb im EDV-Markt in diesem Bereich im Kanton Aargau ausschaltet, dann
verstehe ich die Welt nicht mehr. Es heisst ja liberal im Etikett dieser Partei. Helfen Sie den aargauischen Gemeinden. Es ist doch so: Wenn Sie eine Baubewilligung von einer Gemeinde erhalten, ist
es Ihnen doch auch egal, mit welcher Software diese geschrieben wurde. Und das Obergericht, die
SchKK, hat jahrzehntelang, seit es EDV gibt, diese Vielfalt zugelassen. Jede Gemeinde oder jedes
Betreibungsamt konnte einen Antrag stellen. Dann wurde die Software geprüft. All dies sehen Sie
auch aus der Antwort des Regierungsrats, die er ja vom Obergericht sklavisch übernommen hat. Das
hat bestens funktioniert. Halten Sie bitte neben der Gemeindeautonomie auch den Wettbewerb im
EDV-Markt hoch. Bewahren wir diese Vielfalt: Lasst Tausend Blumen blühen gegen Monopole und
Zentralisierung!
Adrian Schoch, SVP, Fislisbach: Ich möchte Jean-Pierre Gallati nur ganz kurz widersprechen: Ich bin
nicht selber betroffen, ich habe die Software eingeführt und sie selber bezahlt.
Guido Marbet, Obergerichtspräsident: Ich nehme im Namen der Justizleitung gerne noch einmal kurz
Stellung. Es geht nicht um die Frage der damaligen Submission, wie von Herrn Jean-Pierre Gallati
richtig festgehalten wurde, sondern darum, ob mit gesetzlicher Grundlage eine einheitliche Software
für die Zukunft verhindert werden soll. Wir haben in unserer schriftlichen Stellungnahme ausgeführt,
dass es rechtliche Gründe dafür gibt, dass die Aufsichtspflicht beim Kanton liegt; dies hat der Bundesgesetzgeber so geregelt. Wir hätten es selbstverständlich begrüsst, wenn das Bundesgericht
auch die Frage behandelt und beantwortet hätte, ob auch die Einführung einer einheitlichen Software
definitiv zur Aufsichtskompetenz der Aufsichtsbehörden gehört. Das ist leider mit dem Nichteintretensentscheid nicht geschehen. Weil es eben nicht nur um technische und infrastrukturelle Fragen
geht, sondern auch um rechtlich relevante Implikationen – insbesondere das Abfassen der Verfügungen, die alle korrekt und bundesrechtskonform sein müssen – muss jede Software von der Aufsichtsinstanz bewilligt werden.
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Das ist aber nur der rechtliche Teil. Der praktische Teil überwiegt meines Erachtens hier in der Diskussion. Ich meine, es gibt viel zu viele gute Gründe für eine einheitliche Software an allen Betreibungsämtern als solche, die dagegen sprechen. Die guten Gründe haben wir Ihnen aufgeführt. Ich
zähle sie aber gerne noch einmal auf: Die Einheitlichkeit einer Software bietet Gewähr dafür, dass
die Schulung und die Instruktion alle auf demselben Informatikprogramm stattfinden können. Sie
wissen, dass die Betreibungsbeamten geprüft werden und auch diese Prüfungen finden mittels EDV
statt. Beim Vorhandensein von verschiedenen Systemen würde das massiv erschwert oder gar verunmöglicht. Es ist selbstverständlich, dass mit einer einheitlichen Softwarelösung auch Weiterentwicklungen einfacher sind, dass der Erfahrungsaustausch unter den Betreibungsbeamten vereinfacht
wird und dass das Stellvertreterwesen selbstverständlich auch einfacher ist. Wenn ich das Softwareprogramm des anderen Betreibungsamtes kenne, weil es eben auch mein eigenes ist, kann ich jederzeit die Stellvertretung wahrnehmen. Ansonsten wäre diese massiv erschwert. Es ist auch so,
dass es einfacher ist, an rund 110 Betreibungsamtsstandorten einen First-Level-Support zur Verfügung zu stellen, als wenn jedes Betreibungsamt einen eigenen Software-Level-Support sicherstellen
müsste. Nicht zuletzt – und auf das haben wir eben besonders Wert legen müssen: Die ganze Inspektionstätigkeit wird selbstverständlich massiv erleichtert, wenn der Betreibungsinspektor oder die
Betreibungsinspektorin in allen 110 Betreibungsämtern dieselbe Software antrifft. Man kennt dann
die Grundlage der Software und muss sich nicht jedes Mal neu einarbeiten.
Wir haben aufgeführt, dass die Kontrolltätigkeit bei Anwendung verschiedener Systeme massiv erschwert würde. Der höhere Inspektionsaufwand verursacht in der Folge höhere Personalkosten.
Das sind die ökonomischen Gründe, die für die einheitliche Einführung einer Software sprechen.
Beachten Sie auch, dass die anderen Kantone mehrheitlich alle auch eine einheitliche Betreibungssoftware im Einsatz haben. Der Kanton Bern hat übrigens nach abgeschlossener Submission ebenfalls das Produkt eXpert eingeführt.
Es wurde darauf hingewiesen, dass die Konkurrenz nicht mehr gewährleistet sei. Dies stimmt jedoch
nicht. Der Kanton Zürich hat meines Wissens ein anderes Produkt und der Kanton Freiburg wiederum hat wieder ein anderes. In verschiedenen Schweizer Kantonen sind also unterschiedliche Produkte im Einsatz, die Konkurrenz ist somit gewährleistet. Es macht keinen Sinn, im eigenen Kanton
eine Konkurrenzsituation zu kultivieren, und dies auf eigene Kosten. Deshalb bin ich der Meinung,
dass die Einheitlichkeit an allen Betreibungsstandorten Sinn macht. Folgendes möchte ich noch festhalten: Künftige Änderungen der Software erfolgen selbstverständlich nur in Absprache mit allen
betroffenen Verbänden und mit einem fairen Submissionsverfahren.
Zum Schluss möchte ich noch Folgendes festhalten: Einheitlichkeit bedeutet nicht hoheitliches Handeln, es geht auch um die Vernunft.
Abstimmung
Die Motion wird mit 67 gegen 64 Stimmen an den Regierungsrat überwiesen.
0989 Motion der BDP-Fraktion (Sprecherin Maya Bally, Hendschiken) vom 24. März 2015 betreffend Leumund von Personal bei privaten Sicherheitsdiensten; Umwandlung in ein Postulat; Überweisung an den Regierungsrat
(vgl. Art. 0820)
Mit Datum vom 10. Juni 2015 beantragt der Regierungsrat, die Motion mit folgender Begründung
abzulehnen beziehungsweise er erklärt sich bereit, sie als Postulat entgegenzunehmen:
1.
Der Regierungsrat teilt die Auffassung der Motionärin, dass private Sicherheitsdienste teilweise in
sensiblen Aufgabenbereichen tätig sind und deshalb eine Aufsicht des Kantons unerlässlich ist. Ins-
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besondere befürwortet er, dass wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Personen nicht als Sicherheitsangestellte beschäftigt werden.
Das Gesetz über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit (Polizeigesetz, PolG) vom 6. Dezember 2005 beinhaltet in § 57 eine Bewilligungspflicht für den gewerbsmässig ausgeübten Personenschutz, die Privatdetektei, diverse Bewachungsaufgaben sowie die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben im Auftrag des Kantons und der Gemeinden. Keiner Bewilligungspflicht unterstehen
Türsteherdienste. Als Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebsbewilligung schreibt das Polizeigesetz vor, dass die geschäftsführende Person des Sicherheitsunternehmens handlungsfähig ist
und über einen guten Leumund verfügt. Keiner Bewilligungspflicht, sondern einer Meldepflicht unterliegt die Anstellung von Sicherheitspersonal. Zur Sicherstellung des rechtsgleichen Vollzugs der Bewilligungs- und Meldeverfahren hat der Vorsteher des Departements Volkswirtschaft und Inneres
Weisungen erlassen, welche für die zuständige Bewilligungsbehörde, die Fachstelle SIWAS der Kantonspolizei, verbindlich sind.
Das Polizeigesetz sieht in § 58 zudem vor, dass die Tätigkeit der privaten Sicherheitsdienste der
Aufsicht der Kantonspolizei unterliegt. Ein Entzug der Betriebsbewilligung erfolgt, wenn die Bewilligungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen, gesetzliche Bestimmungen, Auflagen oder Bedingungen verletzt werden oder wenn für Sicherheitsaufgaben ungeeignete Personen beschäftigt werden.
Weiter werden Betriebsbewilligungen gemäss § 57 Abs. 4 PolG für maximal vier Jahre erteilt. Es
bestehen somit für die Kantonspolizei Möglichkeiten, unqualifizierte Sicherheitsunternehmen mit Sitz
im Kanton Aargau vom Markt fernzuhalten, fehlbaren Sicherheitsunternehmen die Bewilligung zu
entziehen oder die Bewilligung nach Ablauf der Gültigkeitsdauer nicht zu verlängern.
Generell kann festgehalten werden, dass sich die Zusammenarbeit mit den privaten Sicherheitsdiensten in weiten Teilen als zufriedenstellend gestaltet. Mit den Mitarbeitenden der Sicherheitsfirmen, welche im Kanton Aargau über eine Bewilligung verfügen, gibt es aus polizeilicher Sicht selten
Probleme. Diese beschränken sich schwergewichtig auf die Ereignisse im Perimeter von Unterhaltungslokalen. Bei der Fachstelle SIWAS wurden in den letzten drei Jahren ca. zehn Vorfälle bekannt,
bei denen die privaten Sicherheitskräfte angeblich unverhältnismässig vorgegangen sein sollen. Effektiv mussten im selben Zeitraum lediglich drei Anzeigen gegen Mitarbeitende erstellt werden.
2.
In den anderen Deutschschweizer Kantonen sind die privaten Sicherheitsdienste unterschiedlich
geregelt. Während einige Kantone detaillierte Vorschriften kennen, ist dieser Themenbereich in anderen Kantonen weniger ausführlich oder gar nicht geregelt. Zur Vereinheitlichung der Bewilligungsvoraussetzungen erarbeitete die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und
-direktoren (KKJPD) das Konkordat über private Sicherheitsdienstleistungen (KÜPS), das allen Kantonen zum Beitritt offen steht. Der Konkordatsentwurf wurde den Kantonen im Herbst 2008 und in
einer überarbeiteten Fassung Anfang 2010 zur Vernehmlassung unterbreitet und soll gemäss aktueller Planung der KKJPD am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Beitreten werden diesem Konkordat nach
heutigem Kenntnisstand die Kantone Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Basel-Stadt,
Graubünden, Nidwalden, St. Gallen, Solothurn, Tessin, Thurgau und Uri. Das KÜPS unterstellt unter
anderem auch die Türsteherdienste der Bewilligungspflicht und sieht nicht nur eine Bewilligung für
die Sicherheitsunternehmen (Betriebsbewilligung), sondern unter anderem auch für die einzelnen
Angestellten vor.
Mit Botschaft vom 21. März 2012 beantragte der Regierungsrat dem Grossen Rat die Genehmigung
des Beitritts zum KÜPS. Der Grosse Rat wies diesen Antrag mit Beschluss vom 12. Juni 2012 zurück
und beauftragte den Regierungsrat, den Beitritt zum KÜPS oder zum Konkordat der Westschweizer
Kantone zu einem späteren Zeitpunkt als Alternativen erneut vorzulegen.
Nach einer erneuten Prüfung und insbesondere unter Berücksichtigung der damals unklaren Beitrittsabsichten der Nachbarkantone teilte der Regierungsrat dem Grossen Rat mit Schreiben vom
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31. Oktober 2012 mit, dass betreffend Beitritt zum KÜPS die Entwicklungen in den Nachbarkantonen
Basel-Landschaft, Bern, Luzern und Zürich abgewartet werden. Ein Beitritt zum Westschweizer Konkordat wurde insbesondere deshalb abgelehnt, weil dieses weniger Tätigkeiten einer Bewilligungspflicht unterstellt als das geltende Polizeigesetz. Der Regierungsrat legte in diesem Schreiben
schliesslich dar, dass als dritte Option neben dem Beitritt zu einem der beiden Konkordate auch das
Polizeigesetz an die bestehenden Bedürfnisse angepasst werden könnte.
3.
In den vier im Schreiben des Regierungsrats vom 31. Oktober 2012 erwähnten Kantonen stellt sich
die gegenwärtige Situation folgendermassen dar:
Der Landrat Basel-Landschaft lehnte am 5. September 2013 den Beitritt zum KÜPS ab und beschloss stattdessen, im kantonalen Polizeigesetz eine eigene Regelung zu erlassen. Die Ablehnung
wurde insbesondere mit den fehlenden Einflussmöglichkeiten des kantonalen Parlaments auf die
Ausgestaltung des Konkordats sowie der Wirkung des Binnenmarktgesetzes (vgl. Ziff. 4) begründet.
Am 16. Januar 2014 beschloss der Landrat eine Revision des basellandschaftlichen Polizeigesetzes.
Die erlassenen Bestimmungen entsprechen inhaltlich im Wesentlichen den Regelungen des KÜPS.
Der Grosse Rat des Kantons Bern hat sich noch nicht mit einem möglichen Beitritt zum KÜPS befasst. Es ist nicht absehbar, ob und wann der Kanton Bern diesem Konkordat beitreten wird.
Im Kanton Luzern hat sich der Regierungsrat gegen den Beitritt zum KÜPS entschieden. Eine Vorlage ans Kantonsparlament ist nicht geplant.
Schliesslich ist auch der Kanton Zürich dem KÜPS nicht beigetreten. Als Alternative zu einem Beitritt
wurde am 18. August 2014 von der Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche am 23. Februar 2015 vom Kantonsrat vorläufig unterstützt wurde (vgl. Ziff. 5). Aufgrund dessen ist nicht davon auszugehen, dass der Kanton Zürich in naher Zukunft dem KÜPS beitreten wird.
4.
Das Bundesgesetz über den Binnenmarkt (Binnenmarktgesetz, BGBM) vom 6. Oktober 1995 bestimmt in Art. 1 Abs. 1, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz freien und gleichberechtigten Marktzugang haben.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 BGBM kann jede Person ihre Dienstleistung in der ganzen Schweiz anbieten,
wenn ihre Tätigkeit in ihrem Sitzkanton zulässig ist. Marktbeschränkungen sind nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen zulässig. Unter anderem müssen solche Beschränkungen gemäss Art. 3
Abs. 1 lit. b und c BGBM zur Wahrung überwiegender öffentlicher Interessen unerlässlich sowie verhältnismässig sein.
Insbesondere bedeutet dies, dass einem privaten Sicherheitsunternehmen, welches in seinem Sitzkanton bereits Sicherheitsdienstleistungen erbracht hat, aufgrund der Geltung des Binnenmarktgesetzes der Marktzugang im Kanton Aargau kaum je verweigert werden kann (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. d
BGBM). Dies wurde vom Verwaltungsgericht in einem ergangenen Urteil ausdrücklich bestätigt und
gilt selbst dann, wenn die Ausübung der Tätigkeit im Sitzkanton keiner Bewilligungspflicht unterliegt.
Die Kantone Schwyz und Zug, die beide den Beitritt zum KÜPS abgelehnt haben, kennen keine Bewilligungspflichten für private Sicherheitsdienste. Es gilt aufgrund der aufgezeigten Rechtslage als
nahezu ausgeschlossen, dass beispielweise unseriös erscheinende Sicherheitsunternehmen aus
diesen Kantonen vom Aargauer Markt ferngehalten werden könnten.
Die vom Konkordat beabsichtigte Rechtsvereinheitlichung in den Deutschschweizer Kantonen wird
vom Binnenmarktgesetz ausgehebelt, wenn nicht alle Kantone dem KÜPS beitreten beziehungsweise ihre Gesetze dem KÜPS angleichen werden.
Wie im oben erwähnten Schreiben vom 31. Oktober 2012 ausgeführt, sind weiterhin die noch ausstehenden Entscheide in den Nachbarkantonen Zürich und Bern abzuwarten, um danach eine neue
18. August 2015
Art.-Nr. 0989
2764
Lagebeurteilung vorzunehmen. Zum heutigen Zeitpunkt erachtet der Regierungsrat eine Entscheidfällung über Beitritt oder Nichtbeitritt zum KÜPS als nicht sinnvoll.
5.
Mit der im Kantonsrat Zürich hängigen parlamentarischen Initiative der Kommission für Justiz und
öffentliche Sicherheit betreffend Anforderungen für private Sicherheitsdienstleistungen vom 18. August 2014 sollen sowohl am Gastgewerbegesetz als auch am Polizeigesetz des Kantons Zürich Änderungen vorgenommen werden. Im Gastgewerbegesetz sollen die Inhaberinnen und Inhaber von
Gastgewerbepatenten verpflichtet werden, bei der Anstellung von Türsteherinnen und Türstehern
unter anderem zu prüfen, ob diese im Strafregister verzeichnet sind. Weiter soll im Polizeigesetz eine
Bewilligungspflicht für Sicherheitsdienstleistungen (Betriebsbewilligung) eingeführt werden, und es
soll den Sicherheitsunternehmen verboten werden, Personen mit im Strafregister eingetragenen
Verurteilungen anzustellen. Der Entwurf der Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit des
Kantons Zürich sieht wie das aargauische Polizeigesetz keine Bewilligungspflicht für die einzelnen
Sicherheitsangestellten vor.
Dieser Entwurf überzeugt nicht in allen Punkten. Beispielsweise ist keine zeitliche Befristung der
Betriebsbewilligung vorgesehen. Dadurch entfällt ein wichtiges Aufsichtsinstrument, mit welchem
sichergestellt werden kann, dass die Voraussetzungen für die Bewilligungserteilung während der
gesamten Dauer der Tätigkeit erfüllt bleiben. Weiter ist nur eine Prüfung des Strafregisterauszugs
vorgesehen. Aus dem für Privatpersonen zugänglichen Strafregisterauszug sind jedoch laufende
Strafverfahren gegen die betroffene Person nicht ersichtlich. Andererseits erscheint es nicht verhältnismässig, eine Beschäftigung bei Vorliegen einer Verurteilung zu einem Vergehen oder Verbrechen
per se zu verbieten, ohne die Verurteilung im Einzelfall und im Hinblick auf die konkret vorgesehene
Sicherheitsaufgabe zu prüfen.
6.
Der Regierungsrat erachtet die Anpassung des Polizeigesetzes weiterhin als Option, um die Regelungen im Zusammenhang mit den im Kanton Aargau ansässigen privaten Sicherheitsdiensten zu
verbessern. Es bietet sich an, sich an den Regelungen des KÜPS zu orientieren und diese allenfalls
zu optimieren. Eine mögliche Revision des Polizeigesetzes bedarf jedoch einer vertieften Prüfung.
Der Regierungsrat ist deshalb bereit, die Motion als Postulat entgegenzunehmen.
7.
Die finanziellen und personellen Auswirkungen eines Beitritts zum KÜPS können weiterhin nicht
beziffert werden, weil das Ausführungsrecht betreffend Bewilligungsverfahren noch nicht erlassen
worden ist. Es wäre jedoch mit einem beträchtlichen personellen Aufwand seitens der Kantonspolizei
zu rechnen, da das KÜPS im Gegensatz zum Polizeigesetz alle Sicherheitsangestellten einer Bewilligungspflicht unterstellt und zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar ist, ob und in welchem Umfang die
Branchenorganisationen der Sicherheitsfirmen zur administrativen Entlastung im Bewilligungsverfahren miteinbezogen werden können. Ebenfalls noch unklar ist, inwieweit der allfällige Mehraufwand
durch Gebühren gedeckt werden kann.
Die Auswirkungen einer Revision des Polizeigesetzes können zum jetzigen Zeitpunkt nicht abgeschätzt werden.
Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 1'888.–.
Maya Bally Frehner, BDP, Hendschiken: Ich halte mich sehr kurz. Selbstverständlich hätten wir sehr
gerne an der Motion festgehalten. Dies, weil wir der Meinung sind, dass diese Problematik wirklich
verbindlich angegangen werden muss. Wir haben das Gefühl, dass bei den Kantonen eine Taktik
herrscht, sich immer hinter dem Binnenmarktgesetz zu verstecken. Aus diesem Grund wartet jeder
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Art.-Nr. 0989
2765
Kanton auf den andern und beobachtet, was dieser macht. Aber dies bringt ja eigentlich auch nicht
viel. Da wir aber im Vorfeld merken mussten, dass wir im Grossen Rat keine Mehrheit erlangen werden, geben wir uns zufrieden damit. Insofern sind wir auch mit dem Regierungsrat zufrieden, weil er
erkannt hat, dass die Problematik doch da ist und diese angegangen werden muss, wenn auch auf
einem vorerst niederschwelligen Weg mit einem Postulat. Wir sind somit mit dem Regierungsrat einverstanden.
Vorsitzender: Die Motionärin erklärt sich mit der Umwandlung in ein Postulat einverstanden. Die
Überweisung als Postulat wird nicht bestritten. Es wird somit stillschweigend an den Regierungsrat
überwiesen. Das Geschäft ist erledigt.
0990 Interpellation Clemens Hochreuter, SVP, Aarau, vom 13. Januar 2015 betreffend Kriminalität von Asylbewerbern im Kanton Aargau; Beantwortung und Erledigung
(vgl. Art. 0729)
Mit Datum vom 10. Juni 2015 hat der Regierungsrat die Interpellation beantwortet.
Zur Frage 1: "Wie viele Personen aus den folgenden Personengruppen hielten sich im Kanton Aargau in den Jahren 2008 bis heute auf (absolut) und wie hoch ist deren Anteil an der Gesamtbevölkerung (relativ):
a)
b)
c)
d)
Asylsuchende (Personen im Asylverfahren)
Abgewiesene Asylsuchende
Personen mit Nichteintretensentscheid
Anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen"
In der anschliessenden Tabelle werden die in der Interpellation als "Abgewiesene Asylsuchende" und
"Personen mit Nichteintretensentscheid" angeführten Personen in einer Zahl zusammengefasst, da
alle diese Personen zur Kategorie der "Ausreisepflichtigen" zählen und in der internen Statistik so
erfasst sind. Zu den in der Interpellation als "Anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene
Personen" Genannte zählen einerseits diejenigen, denen die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen
wurde, die jedoch wegen Vorliegens eines Asylausschlussgrundes nicht Asyl erhalten haben (Status F), andererseits vorläufig aufgenommene Personen, bei denen der Wegweisungsvollzug vom
Staatssekretariat für Migration (SEM) als unzulässig, unzumutbar oder unmöglich erachtet wurde
(ebenfalls Status F) und zusätzlich die anerkannten Flüchtlinge, die Asyl erhalten haben (Status B
und C).
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Art.-Nr. 0990
2766
Personen
im Asylverfahren
Zur Ausreise verpflichtete Personen
(Asylgesuche materiell oder formell entschieden)
Anerkannte Flüchtlinge
mit Status F, B und C
und vorläufig Aufgenommene ohne Flüchtlingseigenschaft
Anteil aller Kategorien in Prozenten
an der Gesamtbevölkerung des Kantons Aargau
31. Dezember 2008
1'257
240
167 vA mit Fl *
1'551 B/C mit Asyl **
1'123 vA ohne Fl ***
0,73 %
(596'396) *****
31. Dezember 2009
1'250
258
0,72 %
(604'263) *****
31.Dezember 2010
974
338
31. Dezember 2011
1'154
300
31. Dezember 2012
1'549
299
190 vA mit Fl *
1'604 B/C mit Asyl **
1'028 vA ohne Fl ***
251 vA mit Fl *
1'800 B/C mit Asyl **
1'029 vA ohne Fl ***
319 vA mit Fl *
2'064 B/C mit Asyl **
1'028 vA ohne Fl ***
320 vA mit Fl *
2'122 B/C mit Asyl **
960 vA ohne Fl ***
31. Dezember 2013
1'427
303
348 vA mit Fl *
2'258 B/C mit Asyl **
1'003 vA ohne Fl ***
0,84 %
(635'797) *****
31. Dezember 2014
beziehungsweise
31. Oktober 2014****
1'421
266
478 vA mit Fl *
2'536 B/C mit Asyl ****
1'276 vA ohne Fl ***
?%
(Keine Bevölkerungszahl vorhanden) *****
*
**
***
****
*****
0,72 %
(612'611) *****
0,78 %
(621'398) *****
0,84 %
(627'893) *****
vorläufig Aufgenommene (vA) mit Flüchtlingseigenschaft (Fl)
Personen mit Aufenthalt- und Niederlassungsbewilligung, die Asyl erhalten haben
vorläufig Aufgenommene (vA) ohne Flüchtlingseigenschaft (Fl)
Zahlen betreffend Aufenthalter und Niedergelassene mit Asyl beziehen sich auf den Zeitpunkt des 31. Oktober 2014
Bevölkerungszahl Kanton Aargau gemäss Statistischem Jahrbuch und je per Jahresende
Zur Frage 2: "Wie viele Straftaten (aufgeschlüsselt in StGB-Straftaten und BetmG-Straftaten) wurden
im Kanton Aargau in den Jahren 2008 bis heute von den in Frage 1 erwähnten Personengruppen begangen (absolut) und in welchem Verhältnis stehen diese Zahlen zu den übrigen Bevölkerungsgruppen (relativ)?"
Die Zahlen des Jahrs 2008 werden vorliegend nicht berücksichtigt, da sich ab 2009 die Art der Erhebung der Zahlen geändert hat. Ein Vergleich mit diesen ist somit nicht möglich. Die Verhältnisangabe
der jeweiligen Gruppen bezieht sich auf die gesamte Anzahl von Beschuldigten.
Strafgesetzbuch
Anzahl Beschuldigte
Total
Schweizer Staatsbürger
Ausländer
18. August 2015
2009
6'153
2010
6'596
2011
6'485
2012
6'818
2013
6'719
2014
6'888
3'212
(52,2 %)
2'941
(47,8 %)
3'462
(52,5 %)
3'134
(47,5 %)
3'391
(52,3 %)
3'094
(47,7 %)
3'217
(47,2 %)
3'601
(52,8 %)
3'203
(47,7 %)
3'516
(52,3 %)
3'368
(48,9 %)
3'520
(51,1 %)
Art.-Nr. 0990
2767
Asylsuchende1
282
(4,6%)
305
(4,6 %)
316
(4,9 %)
474
(7,0 %)
305
(4,5 %)
243
(3,5 %)
Abgewiesene
Asylsuchende2
32
(0,5 %)
45
(0,7 %)
47
(0,7 %)
60
(0,9 %)
22
(0,3%)
15
(0,2 %)
Asylsuchende mit Nichteintretensentscheid
Vorläufig aufgenommene Personen3
52
(0,8 %)
53
(0,9 %)
27
(0,4 %)
72
(1,1 %)
48
(0,7 %)
55
(0,8 %)
64
(0,9 %)
73
(1,1 %)
68
(1,0%)
60
(0,9%)
50
(0,7 %)
57
(0,8 %)
Quelle: Kriminalpolizeiliches Informationssystem der Kantonspolizei Aargau
Betäubungsmittelgesetz
Anzahl Beschuldigte
Total
2009
2'040
2010
2'344
2011
2'373
2012
2'709
2013
2'419
2014
1'751
Schweizer Staatsbürger
1'390
(68,1 %)
1'529
(65,2 %)
1'556
(65,6 %)
1'749
(64,6 %)
1'531
(63,3 %)
1'156
(66,0 %)
Ausländer total
650
(31,9 %)
815
(34,8 %)
817
(34,4 %)
960
(35,4 %)
888
(36,7 %)
595
(34,0 %)
Asylsuchende4
34
(1,7 %)
9
(0,4 %)
17
(0,8 %)
5
(0,2 %)
63
(2,7 %)
21
(0,9 %)
21
(0,9 %)
11
(0,5 %)
69
(2,9 %)
11
(0,5 %)
11
(0,5 %)
17
(0,7 %)
108
(4,0 %)
19
(0,7 %)
15
(0,6 %)
20
(1,7 %)
89
(3,7 %)
4
(0,2 %)
16
(0,7 %)
14
(0,6 %)
53
(3,0 %)
1
(0,1 %)
7
(0,4 %)
13
(0,7 %)
Abgewiesene
Asylsuchende5
Asylsuchende mit Nichteintretensentscheid
Vorläufig aufgenommene Personen6
Quelle: Kriminalpolizeiliches Informationssystem der Kantonspolizei
Zur Frage 3: "Was unternimmt und hat der Regierungsrat in den letzten Jahren unternommen, um
die weit überdurchschnittliche Delinquenz dieser Personengruppen zu bekämpfen?"
Bereits im Rahmen der Schwerpunkte der Strafverfolgung im Kanton Aargau 2011–2014 hat der
Regierungsrat festgehalten, dass einerseits die Präsenz der Polizei an sogenannten "Hot Spots"
erhöht werden soll, um Gewalt im öffentlichen Raum einzudämmen. Andererseits soll die Polizei
allgemein mehr präventive Massnahmen ergreifen, um die Einbruchskriminalität weiter zu verringern.
Ab 2012 zeichneten sich eine Akzentuierung der Problematik "Kriminaltourismus" und die höhere
Delinquenz von Asylsuchenden ab. Aus diesem Grund initiierte der Regierungsrat Mitte 2012 die
Aktion "Crime Stop". Im Rahmen deren Umsetzung institutionalisierten das Departement Volkswirtschaft und Inneres sowie das Departement Gesundheit und Soziales eine Vielzahl von präventiven
und repressiven Massnahmen:
Bei der Kantonspolizei fand eine Verlagerung der verfügbaren Ressourcen von der Leistungsgruppe
Verkehrssicherheit in die Leistungsgruppe Kriminalitätsbekämpfung statt. In Zusammenarbeit mit den
involvierten Sicherheitspartnern wurden an sogenannten "Hot Spots" wie Bahnhöfen oder Asylunter1
Personen mit einer N-Bewilligung, inklusive abgewiesene Asylsuchende mit Ausschaffungsstopp
Abgewiesene Asylsuchende mit Sozialhilfestopp, ohne Asylsuchende mit Ausschaffungsstopp
3
Personen mit einer F-Bewilligung
4
Personen mit einer N-Bewilligung, inkl. abgewiesene Asylsuchende mit Ausschaffungsstopp
5
Abgewiesene Asylsuchende mit Sozialhilfestopp, ohne Asylsuchende mit Ausschaffungsstopp
6
Personen mit einer F-Bewilligung
2
18. August 2015
Art.-Nr. 0990
2768
künften erhöhte uniformierte Präsenz gezeigt und gezielte Aktionen durchgeführt. Straffälligen Personen aus dem Asylbereich wurden mit polizeilichen Wegweisungen und Fernhaltungen belegt. Zur
Erhöhung der Sicherheit an den "Hot Spots" und neuralgischen Stellen im Kanton wurde ein flexibles
Einsatzelement (EG SIKA) geschaffen, welches inzwischen in den ordentlichen Dienstbetrieb überführt wurde (Dienst FOKUS). Im Hinblick auf eine effiziente Bearbeitung der Strafverfahren von Personen im Asylbereich wurden die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit den für diese
Fälle zuständigen Staatsanwaltschaften zusätzlich intensiviert. Das Asyl- und Wegweisungsverfahren wurde beschleunigt und die Haftplatzbewirtschaftung zentralisiert. Schliesslich lancierte die Kantonspolizei eine Präventionskampagne, um die Bevölkerung zu sensibilisieren.
Im Bereich der Staatsanwaltschaft zeigte sich, dass vor der Einführung von Crime Stop kleinkriminelle Delikte und kleinere beziehungsweise einzelne Delikte der Massenkriminalität oftmals rasch mittels Strafbefehlsverfahren abgeurteilt wurden, ohne abzuklären, ob allenfalls in einer anderen Region
ebenfalls ein Strafverfahren gegenüber dem gleichen Beschuldigten hängig war. Aufgrund der oft im
Bagatellbereich liegenden Deliktsummen stand das schnelle Erledigungsprinzip dieser Fälle im Vordergrund. Die verurteilten Täter erfuhren dadurch oft keine direkte und unmittelbare Sanktion, da
ihnen häufig der bedingte Strafvollzug gewährt werden musste oder da der Vollzug einer unbedingten Strafe oft erst nach Rechtskraft des Urteils erfolgen konnte. Als organisatorische Massnahme
wurde ein Oberstaatsanwalt beauftragt, die Crime-Stop-Fälle in den Staatsanwaltschaftsregionen zu
koordinieren und den Informationsfluss sicherzustellen. Pro StA-Region wurde je ein sogenannter
regionaler Crime Stop-Staatsanwalt bestimmt, welcher zentral für alle Einbruchsdiebstähle und Personenwagenaufbrüche von Asylsuchenden zuständig ist und gegenüber der Polizei sowie auch gegenüber dem Amt für Migration und Integration Kanton Aargau und dem Amt für Justizvollzug als
"Single Point of Contact" in seiner Region dient. Die Staatsanwälte wurden angewiesen, bei kleinkriminellen Mehrfachtätern den Haftgrund der Wiederholungsgefahr routinemässig eingehend zu prüfen
und gegebenenfalls konsequent Haftantrag beim Zwangsmassnahmengericht zu stellen. Bei Rückfalls- und Wiederholungstätern wurden schliesslich, wo immer rechtlich möglich, kurze unbedingte
Freiheitsstrafen gemäss Art. 41 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (StGB) verhängt, sofern
keine Anklage erhoben werden konnte. Gleichzeitig wurden die Strafbefehlsrichtlinien verschärft. Die
Ergebnisse und Erfahrungen mit den durch Crime Stop getroffenen Massnahmen sind in die ordentliche Struktur der Strafverfolgungsbehörden eingeflossen.
Der Kantonale Sozialdienst meldet der Polizei vermehrt Auffälligkeiten, welche auf strafrechtlich relevantes Verhalten Asylsuchender hinweisen könnte. Er kontrolliert im Rahmen seiner Nachtdiensttätigkeit die Einhaltung der Besuchszeiten, verhängt Hausverbote und verzeigt Hausverbotsbrüche.
Weiter unterstützt er polizeiliche Massnahmen und nimmt aktiv am Informationsaustausch der involvierten Partner teil.
Dieses Massnahmenpaket, welches weitergeführt wird, hat innerhalb kurzer Zeit zu einer Verbesserung der Sicherheitslage geführt. Der Aufwärtstrend der Anzahl Diebstähle konnte gebrochen und
teilweise sogar umgekehrt werden.
Was die Entwicklung des Strafmasses anbetrifft, kann festgestellt werden, dass auch die Gerichte
ihre Strafmasspraxis sowohl bei kleinkriminellen Asylsuchenden wie auch in Fällen von schwerer
Kriminalität und in Fällen von einbrechenden Kriminaltouristen massiv verschärft haben.
Zur Frage 4: "Wie viele Personen wurden in den Jahren 2008 bis heute gestützt auf Art. 74 AuG einoder ausgegrenzt?"
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9
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2009
13
2010
82
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2013
204
2014
96
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In den vergangenen Jahren wurde die Praxis bei der Anordnung von Rayonauflagen laufend verschärft. Das Massnahmenpaket der Taskforce Crime Stop hat im Jahr 2012 aufgrund der verstärkten
Polizeikontrollen und der nochmaligen Praxisverschärfung zu einer stark erhöhten Anordnung von
Rayonauflagen geführt. Diese Praxis wird weitergeführt. Allerdings hat sich die Zusammensetzung
der Herkunftsländer der Asylsuchenden seither erheblich geändert. Anders als zur Zeit des "Arabischen Frühlings", in der eine höhere Kriminalität festgestellt werden musste, stammt heute eine hohe
Anzahl von Asylsuchenden aus den Krisengebieten Eritrea und Syrien, was einerseits zu einem starken Anstieg der Schutzquote (Anteil der erstinstanzlichen Asylgewährungen und vorläufigen Aufnahmen durch das SEM) von 29,8% (2013) auf 58,3% (2014) geführt hat. Andererseits ist festzustellen, dass diese Personenkategorie die öffentliche Sicherheit und Ordnung deutlich weniger stört oder
gefährdet und damit auch weniger Anlass für die Anordnung von Rayonauflagen gibt.
Zur Frage 5: "Werden Ein- und Ausgrenzungen konsequent verfügt, wenn die Voraussetzungen gegeben sind?"
Ja. Das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau verfügt Ein- und Ausgrenzungen konsequent immer dann, wenn es die gesetzlichen Voraussetzungen zulassen.
Zur Frage 6: "Wie werden diese Ein- und Ausgrenzungen durchgesetzt?"
Sämtliche Wegweisungen und Fernhaltungen durch die Polizei sowie Ein- und Ausgrenzungen durch
das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau werden im Fahndungssystem RIPOL erfasst
und sind dadurch bei einer Kontrolle einer Person aus dem Asylbereich für die Mitarbeitenden der
Polizei ersichtlich. Die Ein- und Ausgrenzungen des Amts für Migration und Integration Kanton Aargau werden täglich an das Polizeikommando zur Erfassung übermittelt.
Hält die Polizei eine Person an, welche gegen eine Wegweisung, Fernhaltung, Ein- oder Ausgrenzung verstösst, wird diese gestützt auf Art. 292 StGB beziehungsweise Art. 119 in Verbindung mit
Art. 74 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG) zur
Anzeige gebracht. Weiter wird die Person aus dem fraglichen Gebiet weggewiesen oder bei Eingrenzungen angewiesen, darin zu verbleiben. Sofern es die Umstände erlauben, werden die betroffenen Personen polizeilich begleitet, indem sie beispielsweise bei Ausgrenzungen aus dem Kanton Aargau bis an die Kantonsgrenze geführt werden.
Zur Frage 7: "Werden abgewiesene Asylbewerber und Personen mit Nichteintretensentscheid in
regelmässigen Abständen vom Migrationsamt und vom DGS wegen illegalem Aufenthalt zur Anzeige
gebracht? Wie viele entsprechende Anzeigen wurden in den Jahren 2008 bis heute vom Migrationsamt und DGS erstattet (bitte Aufschlüsselung nach Migrationsamt und DGS separat)?"
Personen aus dem Asylbereich, die aufgrund eines vollziehbaren Wegweisungsentscheids zur Ausreise verpflichtet sind, deren Wegweisung aufgrund fehlender Reisedokumente jedoch nicht fristgerecht vollzogen werden kann, sind in speziellen Unterkünften des Kantonalen Sozialdiensts untergebracht. Die Personen in diesen Unterkünften werden von den Polizeiorganen im Rahmen der Kontrollen der Asylunterkünfte überprüft und wegen widerrechtlichen Aufenthalts verzeigt. Werden dem
Kanton Aargau zugewiesene und zur Ausreise verpflichtete Personen auf dem Territorium der übrigen Schweiz polizeilich angehalten, ersucht das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau die
betreffenden Polizeiorgane, eine Verzeigung vorzunehmen. Das Amt für Migration und Integration
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Art.-Nr. 0990
2770
Kanton Aargau führt über erfolgte oder von ihm veranlasste Verzeigungen keine Statistik. Das Departement Gesundheit und Soziales macht zuständigkeitshalber keine diesbezüglichen Anzeigen.
Regelmässige Verzeigungen nimmt das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau aus Effektivitätsgründen nicht vor. Die Grundproblematik der hier zur Diskussion stehenden Situation, dass
bereits die reine Präsenz einer Person mit abgewiesenem Asylgesuch oder Nichteintretensentscheid
fortwährend den Straftatbestand des illegalen Aufenthalts erfüllt, kann nicht wirklich gelöst werden.
Ein regelmässiges Verzeigen mit anschliessendem Strafverfahren und Strafurteil würde einen erheblichen Aufwand bedeuten, welcher erfahrungsgemäss weder in präventiver noch in repressiver Hinsicht Wirkung zeigen würde.
Auch in anderen Kantonen erfolgen keine regelmässigen Verzeigungen wegen illegalem Aufenthalt.
Regelmässige Verzeigungen würden auch nicht der Konzeption der Bundesgesetzgebung für die
strafrechtlichen Sanktionen und ausländerrechtlichen Massnahmen bei illegalem Aufenthalt entsprechen. Bei regelmässigen Verzeigungen müsste eine Person nach der Entlassung aus dem Freiheitsentzug wegen illegalem Aufenthalt umgehend erneut verzeigt werden, wenn sie nicht innert kurzer
Zeit nach der Entlassung ausreist. Dies hätte faktisch eine "Dauerinhaftierung" wegen illegalem Aufenthalt zur Folge. Damit wäre jedoch das Instrument der ausländerrechtlichen Administrativhaft nicht
notwendig. Der Bundesgesetzgeber hätte die verschiedenen Formen der Administrativhaft (Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft) nicht eingeführt, wenn er davon ausgegangen wäre,
dass mittels regelmässiger beziehungsweise lückenloser Strafanzeigen wegen illegalem Aufenthalt
eine strafrechtliche Dauerinhaftierung bis zum Vollzug der Wegweisung bewirkt werden könnte beziehungsweise sollte.
Zur Frage 8: "Werden Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, von der Polizei konsequent
inhaftiert und zur Anzeige gebracht?"
Personen, welche im Verdacht stehen, den Straftatbestand des illegalen Aufenthalts in der Schweiz
zu erfüllen, werden in der Regel zum Zweck der Ermittlung der Identität und des Aufenthaltsberechtigung durch die Polizei angehalten. Besteht ein Anfangsverdacht, dürfen sie dabei für längstens 24
Stunden polizeilich festgenommen werden. Danach sind sie zwingend entweder zu entlassen oder
der zuständigen Staatsanwaltschaft zuzuführen, welche ihrerseits beim Zwangsmassnahmengericht
innerhalb von weiteren 48 Stunden Untersuchungshaft beantragen kann. Voraussetzung für die Untersuchungshaft ist, dass die fragliche Person wegen eines Vergehens oder Verbrechens dringend
verdächtigt wird und zudem entweder ernsthafte Gründe für eine Flucht-, Fortsetzungs- oder Kollusionsgefahr bestehen. Erhärtet sich der Verdacht der Erfüllung des Straftatbestands des illegalen Aufenthalts in der Schweiz, werden die fraglichen Personen konsequent bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht, da es sich hierbei um ein Offizialdelikt handelt. Bei Wiederholungstätern werden unbedingte Freiheitsstrafen verhängt. Gravierende Fälle werden zur Anklage gebracht.
Zur Frage 9: "Wie viele Personen wurden im Kanton Aargau in den Jahren 2008 bis heute in Ausschaffungshaft versetzt? Was unternimmt die Regierung, damit Ausreisepflichtige konsequent in
Ausschaffungshaft versetzt werden?"
Das Gesetz unterscheidet drei Arten der Administrativhaft: die Vorbereitungshaft (Art. 75 AuG), die
Ausschaffungshaft (Art. 76 AuG) und die Durchsetzungshaft (Art. 78 AuG).
Die Vorbereitungshaft dient während der Vorbereitung des Wegweisungsentscheids der Sicherstellung des Wegweisungsverfahrens. Die Ausschaffungshaft kann nach Eröffnung eines erstinstanzlichen Weg- oder Ausweisungsentscheids zur Sicherstellung des Vollzugs angeordnet werden, sofern
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Art.-Nr. 0990
2771
ein Vollzug in absehbarer Zeit möglich ist. Die Durchsetzungshaft kommt subsidiär zur Ausschaffungshaft zur Anwendung in denjenigen Fällen, in denen der Wegweisungsvollzug aufgrund des
unkooperativen Verhaltens der ausreisepflichtigen Person undurchführbar ist.
Die Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft setzen voraus, dass einer der gesetzlichen Haftgründe
vorliegt (zum Beispiel Weigerung, die Identität offen zu legen, Verletzung Rayonverbot, Untertauchensgefahr). Bei allen Haftarten muss die Verhältnismässigkeit gewahrt sein. Sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, wird Administrativhaft durch das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau
angeordnet.
Das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau führt in seiner Statistik die Administrativhaft
gesamthaft, ohne Unterscheidung der einzelnen Haftarten. Die folgende Statistik weist somit die
Anordnungen aller drei Haftarten aus.
angeordnete
Administrativhaft
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
46
108
122
213
177
166
121
Seit Mitte Dezember 2008 ist das Schengen-Dublin Assoziierungsabkommen für die Schweiz in Kraft
getreten. Gestützt auf dieses Abkommen konnten im Vergleich zu den Vorjahren mehr Ausreisepflichtige inhaftiert und ausgeschafft werden, insbesondere da für eine Rückführung in einen DublinStaat keine Identitätsabklärung und Beschaffung von vollzugsgenüglichen (Ersatz-) Reisepapieren
notwendig ist.
Der Rückgang im Jahr 2014 ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass sich die sogenannte
Schutzquote (Anteil der erstinstanzlichen Asylgewährungen und vorläufigen Aufnahmen durch das
SEM am Total aller Asylentscheide) im 2014 nahezu verdoppelt hat und das SEM folglich weniger
vollziehbare Wegweisungsentscheide getroffen hat.
Die schwankenden Zahlen hängen in erster Linie damit zusammen, wie viele vollziehbare Wegweisungsentscheide vom SEM getroffen werden und ob die Ausreisepflichtigen mit ihrem Verhalten
einen der gesetzlichen Haftgründe setzen. So war während der Zeiten des "Arabischen Frühlings"
festzustellen, dass die Ausreisepflichtigen aufgrund höherer Kriminalität und Kooperationsverweigerung vermehrt einen der gesetzlichen Haftgründe setzten.
Zur Frage 10: "Werden Personen, die bei der Papierbeschaffung nicht kooperieren, konsequent wegen Art. 120 Abs. 1 lit. e AuG zur Anzeige gebracht? Wie viele Personen wurden in den Jahren 2008
bis heute diesbezüglich angezeigt?"
Statistische Angaben darüber, wie viele Personen seit 2008 nach Art. 120 Abs. 1 lit. e AuG angezeigt
wurden, gibt es nicht. Im Kanton Aargau werden Personen, welche bei der Papierbeschaffung nicht
kooperieren, durch das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau lediglich vereinzelt zur Anzeige gebracht.
Gemäss § 3 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Ausländerrecht (EGAR) haben die Mitarbeitenden
des Amts für Migration und Integration Kanton Aargau Personen, die den ausländerrechtlichen Vorschriften zuwiderhandeln, zu verzeigen. Bei Geringfügigkeit kann auf eine Verzeigung verzichtet
werden. Nach Art. 120 Abs. 1 lit. e AuG wird mit Busse bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig der
Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung der Ausweispapiere nicht nachkommt.
Eine Verzeigung löst einen erheblichen zusätzlichen administrativen Aufwand aus, der sowohl beim
Amt für Migration und Integration Kanton Aargau als auch bei den Strafverfolgungs- und Strafvollzugsbehörden Kosten verursacht. Als Strafe ist gesetzlich "nur" eine Busse vorgesehen. Bei den
18. August 2015
Art.-Nr. 0990
2772
Ausreisepflichtigen handelt es sich um Personen ohne Einkommen, welche von der Nothilfe leben.
Die Eintreibung der Bussen ist somit aussichtslos. Allenfalls werden die Bussen nach vorgängigen
Mahnungen in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Durch den Strafvollzug entstehen erneut beträchtliche Kosten. Die Betroffenen lassen sich aber erfahrungsgemäss auch durch eine Inhaftierung
nicht zu einer höheren Kooperationsbereitschaft bewegen, womit im Hinblick auf den Wegweisungsvollzug keinerlei positiver Effekt resultiert. Aus diesen Gründen erscheint eine lückenlose Verzeigung
dieses Tatbestands, insbesondere auch unter dem Aspekt des Kosten- und Nutzenverhältnisses, als
nicht sinnvoll.
Zur Frage 11: "Wieso werden im Kanton Aargau keine Schnellverfahren durchgeführt? Wie beurteilt
der Regierungsrat die positiven Erfahrungen der im NZZ-Artikel vom 4.12.14 (Titel: "Über tausend
Schnellverfahren") genannten Kantone mit den Schnellverfahren?"
Der Begriff "Schnellverfahren" wird in den Medien und in der Öffentlichkeit oft missverständlich verwendet und bedarf einer grundsätzlichen Klärung. In der Strafprozessordnung kommt der Begriff
Schnellverfahren nicht vor.
Als Schnellverfahren werden in der Regel Strafbefehlsverfahren bezeichnet, bei denen einem Beschuldigten vor der Entlassung aus dem Herrschaftsbereich der Polizei beziehungsweise der Staatsanwaltschaft sofort nach den ersten Ermittlungshandlungen und einer Einvernahme ein Strafbefehl
direkt ausgehändigt wird. Das bedingt, dass entweder der betreffende Staatsanwalt samt notwendiger Infrastruktur direkt vor Ort ist oder dass die beschuldigte Person sofort der Staatsanwaltschaft
zugeführt wird. Es handelt sich also um ein ganz normales Strafbefehlsverfahren gemäss Art. 352 ff.
StPO, mit welchem Straftaten von geringerer Bedeutung (Bussen, Strafmass bis zu sechs Monaten
Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bis 180 Tagessätze) mittels eines vom untersuchenden Staatsanwalt
erlassenen Strafbefehls erledigt werden können und in dem für den Beschuldigten und für die Strafjustiz das Verfahren generell verkürzt und dadurch zeitlich beschleunigt werden soll. Die gesetzlichen Form- und Fristvorschriften sind aber auch bei solchen Verfahren einzuhalten. Damit ein Strafverfahren mittels Strafbefehl respektive in einem Schnellverfahren überhaupt erledigt werden kann,
müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
•
•
•
Geständnis oder ausreichende Klärung des Sachverhalts
Nur geringfügige Sanktionen
Rechtskraft des Strafbefehls als Voraussetzung für den Vollzug der Strafe: Mit der Ausfällung
einer Strafe wird ein Strafbefehl nicht vollstreckbar, sondern es besteht eine Einsprachefrist.
Diese entfällt nur, wenn die beschuldigte Person ausdrücklich auf eine Einsprache verzichtet.
Im Kanton Aargau werden Strafbefehle grundsätzlich sehr schnell erlassen. 25 % aller Strafbefehle
werden von der Staatsanwaltschaft innerhalb einer Woche nach Eingang des Polizeirapports erlassen, weitere 25 % innerhalb von vier Wochen und weitere rund 25 % innerhalb von acht Wochen.
Negativ zu Buche führt bei Schnellverfahren die Tatsache, dass sie für den Staat zusätzliche Kosten
(höherer Transportaufwand bei der Polizei, Reisespesen und zuschlagspflichtige Nacht- und Wochenendarbeitsstunden bei der Staatsanwaltschaft) verursachen, was sich im Ergebnis nur lohnt,
wenn dadurch auf der anderen Seite eine präventive Wirkung auf mögliche Delinquenten nachweisbar wäre oder beim Vollzug der ausgefällten Sanktionen Aufwand eingespart werden kann, also
Freiheitsstrafen sofort vollstreckt oder Bussen und Geldstrafen sowie Verfahrenskosten sofort erhältlich gemacht werden können. Ein effektiver und den erhöhten Aufwand rechtfertigender Nutzen von
sogenannten Schnellverfahren lässt sich auch gegenüber Asylbewerbern und Kriminaltouristen nur
in den wenigsten Fällen erreichen, wobei aber die Aargauer Staatsanwaltschaft in denjenigen Fällen,
wo ein solcher Nutzen ersichtlich ist, solche Verfahren durchaus konsequent anwendet.
18. August 2015
Art.-Nr. 0990
2773
Die Erfahrungen aus Crime Stop (vgl. Antwort zur Frage 3) zeigen, dass eine allzu rasche Abwicklung von Strafverfahren, insbesondere bei Mehrfachtätern, die Gefahr in sich birgt, dass die Gesamtübersicht verloren geht und Täter schnell abgeurteilt werden, ohne gleichzeitig hängige Verfahren
und frühere Vorkommnisse mit zu berücksichtigen, welche die Möglichkeit geben, einen Beschuldigten umfassender und damit konsequenter und strenger zu beurteilen. Während bei rascher Aburteilung eines isoliert betrachteten Einzelvorfalls zum Beispiel oft noch kein Haftgrund erkannt werden
kann und aus diesem Grund keine Untersuchungshaft möglich ist, kann sich durch die zeitlich anspruchsvollere seriöse Abklärung aller Umstände die Wahrscheinlichkeit erhöhen, genug belastendes Material zusammenzubekommen, damit ein Haftantrag vom Zwangsmassnahmengericht gutgeheissen wird.
Aus ausländerrechtlicher Sicht bringen strafrechtliche Schnellverfahren nur dann einen Vorteil, wenn
der betroffene Straftäter vollzugsgenügliche Reisepapiere besitzt oder solche umgehend beschafft
werden können. Denn ohne gültige Reisepapiere ist eine Ausschaffung nicht möglich.
Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 6'827.–.
Vorsitzender: Der Interpellant verzichtet auf ein Votum, er ist mit der Antwort teilweise zufrieden. Das
Geschäft ist erledigt.
0991 Interpellation Clemens Hochreuter, SVP, Aarau, vom 3. März 2015 betreffend ausreisepflichtige, sprich abgewiesene Asylbewerber und Asylbewerber mit Nichteintretensentscheid
im Kanton Aargau; Beantwortung und Erledigung
(vgl. Art. 0758)
Mit Datum vom 10. Juni 2015 hat der Regierungsrat die Interpellation beantwortet.
Vorbemerkung
Die Interpellation verlangt in den Fragen 3, 9, 10, 14 sowie 16–19 Angaben sowohl vom Kanton Aargau wie auch vom Kanton Zürich. Das Migrationsamt des Kantons Zürich hat zur Frage 3 keine Angaben gemacht und im Übrigen bei den meisten Fragen auf die entsprechende Statistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) verwiesen. Da diese beim SEM nur mit unverhältnismässigem Aufwand und mit langer Bearbeitungszeit erhältlich gemacht werden können, wurde auf eine entsprechende Anfrage beim SEM verzichtet.
Zu den Fragen 1 und 2
"Die Präsidentin des Netzwerks Asyl äusserte im eingangs erwähnten Interview die Befürchtung,
dass die sich im Kanton Aargau aufhaltenden rund 250 ausreisepflichtigen Personen in ihrem Heimatland verfolgt würden. Ist dies zutreffend? Falls ja, wieso erhalten diese Personen kein Asyl, obwohl sie verfolgt sind?"
"Wurde in einem rechtstaatlichen Verfahren festgestellt, dass diese Personen den Asylstatus nicht
erfüllen und damit nicht verfolgt sind? Hatten diese Personen Gelegenheit, Rechtsmittel zu ergreifen? Wie viel Prozent dieser Personen hat Rechtsmittel ergriffen?"
Das Asylverfahren ist ein Bundesverfahren. Erstinstanzlich entscheidet das SEM über ein Asylgesuch. Jede Person, welche einen für sie ungünstigen Entscheid nicht akzeptieren will, kann Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht erheben. Dieses urteilt letztinstanzlich.
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2774
Verneint das SEM beziehungsweise das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft, wird im Rahmen dieser Asylentscheide beziehungsweise Urteile auch über die Zulässigkeit, Zumutbarkeit und Möglichkeit einer Wegweisung in den Heimat- oder Herkunftsstaat befunden.
Wer die Schweiz nach einem erfolglos durchlaufenen Asylverfahren verlassen muss, erfüllt die Kriterien nicht, um als Flüchtling anerkannt zu werden beziehungsweise Asyl zu erhalten oder als vorläufig aufgenommene Person in der Schweiz verbleiben zu können. Entsprechende Einschätzungen der
Präsidentin des Netzwerks Asyl stehen somit im Gegensatz zur Einschätzung durch das SEM beziehungsweise Bundesverwaltungsgericht. Über den prozentualen Anteil eingereichter Beschwerden
führt das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau keine Statistik.
Zur Frage 3: "Wie viele Ausreisepflichtige halten sich aktuell illegal im Kanton Aargau auf? Wie viele
sind es aktuell im Kanton Zürich (ohne Personen in Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft)? Wie
viele Ausreisepflichtige haben sich in den letzten 20 Jahren pro Jahr im Kanton Aargau aufgehalten?"
Die nachstehende Aufstellung gibt Auskunft darüber, wie viele Personen, welche dem Kanton Aargau im Asylverfahren zugewiesen worden waren, sich in den letzten zehn Jahren trotz Ausreiseverpflichtung noch im Kanton aufhielten. Wie viele Personen es in den letzten 20 Jahren waren, kann
der Kanton Aargau statistisch nicht mehr erheben. Die vorhandene Informatiklösung erlaubt hinsichtlich der vorliegenden Frage nur eine tagesaktuelle und keine historische Auswertung. Die vorhandenen Zahlen zu den letzten zehn Jahren sind den Jahresabschlüssen entnommen worden. Der Kanton Zürich hat auf Anfrage keine konkreten Zahlen bekannt gegeben.
Jahr
31. Dezember 2005
Kanton Aargau
515
Jahr
31. Dezember 2011
Kanton Aargau
330
31. Dezember 2006
31. Dezember 2007
402
241
31. Dezember 2012
31. Dezember 2013
299
303
31. Dezember 2008
31. Dezember 2009
240
258
31. Dezember 2014
30. April 2015
266
280
31. Dezember 2010
338
Nach einem starken Rückgang im Jahr 2007 haben sich die Zahlen seither auf einem weitgehend
stabilen, nur leicht schwankenden Niveau eingependelt. Der Rückgang ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass das damalige Bundesamt für Migration (heute: Staatssekretariat für Migration
[SEM]) insbesondere bei Personen aus dem Irak, Eritrea und der Volksrepublik China (Tibet) teilweise wiedererwägungsweise vorläufige Aufnahmen angeordnet hat, nachdem die Betroffenen bereits
rechtskräftig weggewiesen und somit ausreisepflichtig waren.
Zur Frage 4: "Wo sind wie viele dieser Personen untergebracht? Wieso können sich diese Personen
frei im Land bewegen, obwohl sie sich illegal hier aufhalten?"
Ausreisepflichtige Asylsuchende mit einem negativen Asylentscheid und Personen mit einem Nichteintretensentscheid werden gestützt auf § 19a der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung (SPV) mit
Nothilfe unterstützt. Dazu gehört auch die Bereitstellung einer minimalen Unterkunft, welche in vielen
Fällen in Form von speziellen Gebäuden für Ausreisepflichtige wie in Holderbank und Oftringen zur
Verfügung gestellt wird. Lassen es die Umstände – beispielsweise bei Familien mit schulpflichtigen
Kindern, Frauen mit Kindern oder bei starker Belegung der Unterkünfte – nicht zu, Ausreisepflichtige
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2775
in eine andere Unterkunft zu verlegen, verbleiben diese in den bisherigen Unterkünften, bis die Ausreise durch das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau in die Wege geleitet wurde.
Derzeit sind in Holderbank und Oftringen insgesamt 98 ausreisepflichtige Personen untergebracht
(Stand Ende Mai 2015). Ein nicht unbeachtlicher Teil der Ausreisepflichtigen ist inhaftiert oder anderweitig ortsabwesend und spricht nur sporadisch in der Unterkunft vor. Weitere ausreisepflichtige
Personen verteilen sich gemäss vorstehenden Ausführungen auf weitere kantonale Unterkünfte.
Gemäss Art. 74 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz,
AuG) kann Personen, welche keine Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung
besitzen, eine Rayonauflage gemacht werden, wenn ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt und konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass die betroffenen Personen nicht innerhalb der Ausreisefrist ausreisen werden oder wenn sie die ihnen angesetzte Ausreisefrist nicht
eingehalten haben. Falls Personen die öffentliche Ordnung stören oder gefährden, können sie auch
während eines hängigen Verfahrens ein- oder ausgegrenzt werden. Liegen die entsprechenden
Gründe nach Art. 75–77 AuG vor, kann eine Haft angeordnet werden.
Wie aus den Zahlen zur Frage 11 ersichtlich ist, hat das Amt für Migration und Integration Kanton
Aargau in den letzten fünf Jahren eine grosse Zahl von Rayonauflagen angeordnet und damit die
Bewegungsfreiheit, insbesondere auch von Ausreisepflichtigen, eingeschränkt. Werden keine freiheitsbeschränkenden (Rayonauflagen) oder freiheitsentziehenden (Administrativhaft) Massnahmen
angeordnet, weil die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, können sich
auch Personen ohne Anwesenheitsberechtigung grundsätzlich frei innerhalb der Schweiz bewegen.
Administrativhaft kann nur bei Vorliegen eines gesetzlichen Haftgrundes angeordnet werden. Alleine
der illegale Aufenthalt stellt keinen solchen Haftgrund dar.
Zur Frage 5: "Wie lange halten sich die derzeit im Kanton Aargau illegal aufhaltenden Ausreisepflichtigen bereits im Kanton Aargau auf (bitte aufschlüsseln: "w Personen seit x Jahren, y Personen seit z
Jahren, etc.)?"
ausreisepflichtig seit
Anzahl
ausreisepflichtig seit
Anzahl
1997
1
2009
4
2002
5
2010
2
2003
2
2011
10
2004
1
2012
29
2005
1
2013
47
2006
1
2014
82
2007
2
2015
89
2008
4
Total
280
Zur Frage 6: "Wie hoch sind die monatlichen Kosten für den Betrieb der jeweiligen Unterkunft (Miete,
Securitas, Betreuungspersonal, etc.) sowie für die individuellen Leistungen (Taschengeld, Krankenkasse, etc.)? Was kostet ein Ausreisepflichtiger pro Tag (Vollkostenrechnung)?"
Der Bund zahlt mit dem Ende des Asylverfahrens den Kantonen eine einmalige Nothilfepauschale in
der Höhe von Fr. 6'079.– (Stand: 1. Januar 2015) aus. Mit dieser Nothilfepauschale sollen die Kosten
gedeckt werden, die den Kantonen zwischen dem rechtskräftigen Asylentscheid und der effektiven
Ausreise für Unterbringung, Unterstützung und medizinische Notversorgung entstehen. Dieser ein-
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2776
maligen Nothilfepauschale stehen die Vollkosten für die Bereitstellung der Nothilfestrukturen für Ausreisepflichtige von knapp Fr. 52.– pro Person und Tag gegenüber; dies bedeutet, dass die Nothilfepauschale des Bundes die Kosten während knapp vier Monaten deckt, anschliessend gehen diese
Kosten zulasten des Kantons. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diejenigen Ausreisepflichtigen,
welche untertauchen, keine Nothilfe beanspruchen. Andere beanspruchen sie nur tageweise, Dritte
beziehen sie über einen längeren Zeitraum, Wenige davon während mehrerer Jahre. Das Monitoring
des Bundes zur Nothilfepauschale bestätigt die Feststellung des Kantons Aargau, dass die Nothilfepauschale im mehrjährigen Mittel kostendeckend ist.
Die Vollkosten von Fr. 52.– je Person und Tag berechnen sich gemäss den nachfolgenden Positionen:
Individuelle Leistungen
Einem Ausreisepflichtigen werden täglich je Anwesenheitstag Fr. 7.50 als Nothilfe ausbezahlt. Mit
diesem Betrag hat er seinen gesamten Lebensunterhalt zu bestreiten. Zudem übernimmt der Kanton
die Kosten für die medizinische Notversorgung, indem er für die Ausreisepflichtigen die Kosten der
obligatorischen Krankenversicherung trägt (knapp Fr. 12.– pro Tag und Person).
Unterbringung und Betreuung
Aufgrund der stark unterschiedlichen Mietobjekte, welche der Kantonale Sozialdienst betreibt, kann
diese Frage nur allgemein beantwortet werden. Der Kantonale Sozialdienst betreibt jedoch insbesondere für Ausreisepflichtige Unterkünfte mit einem Minimalstandard. Ebenso werden Ausreisepflichtige nur minimal betreut beziehungsweise wird vornehmlich ein geordneter Betrieb der Unterkunft sichergestellt (Kosten Unterkunft und Betreuung insgesamt rund Fr. 17.– pro Tag und Person).
Sicherheitskosten
Die Kosten der externen Sicherheitsdienstleistungen, die spezifisch Ausreisepflichtigen zugerechnet
werden können (Unterkünfte Oftringen und Holderbank), betragen knapp Fr. 15.– pro Person und
Tag.
Bei den letzten beiden Positionen handelt es sich um mehrjährige Erfahrungswerte
Zur Frage 7: "Wieso werden die 250 Ausreisepflichtigen nicht ausgeschafft?"
Praktisch alle Wegweisungsvollzüge müssen heute auf dem Luftweg erfolgen. Die wenigsten Personen aus dem Asylbereich sind im Zeitpunkt, in welchem sie verpflichtet sind, die Schweiz zu verlassen, im Besitz von Reisedokumenten, Ersatzreisedokumenten oder anderen offiziellen Ausweisdokumenten, welche ihre Staatsangehörigkeit belegen. Oftmals ist deshalb nicht bekannt, welche
Staatsangehörigkeit die Personen haben. Ohne gültige Reisedokumente ist eine legale Rückkehr in
den Heimatstaat aber regelmässig nicht möglich. Nur in sehr wenigen Fällen akzeptieren Heimatstaaten Identitätskarten als gültige Dokumente für eine Einreise. Damit fehlt die Möglichkeit, die angeordneten Wegweisungen in die betreffenden Heimatstaaten zu vollziehen.
Zahlreiche der zur Ausreise verpflichteten Personen sind nicht bereit, die negativen Asyl- und zu vollziehenden Wegweisungsentscheide des SEM beziehungsweise die nach der Ergreifung eines
Rechtsmittels gefällten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zu akzeptieren. Sie kooperieren entsprechend nicht bei der Feststellung ihrer Identität und der Beschaffung von heimatlichen Ausweisdokumenten. Mit Sprachanalysen, der Zuführung an ausländische Delegationen – oftmals ist eine
Zuführung an verschiedene Delegationen erforderlich – und Abklärungen in den vermuteten Heimatstaaten müssen die Schweizer Behörden in teilweise enorm aufwendigen Prozessen versuchen, die
Identität und Staatsangehörigkeit der Ausreisepflichtigen herauszufinden. Sind Ersatzreisedokumente schliesslich vorhanden, scheitern Rückführungen in die Heimatstaaten teilweise dann trotzdem am
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2777
massiven Widerstand der betreffenden Personen. Sonderflüge für solche Personen werden nicht von
allen Staaten akzeptiert.
Diese Umstände führen dazu, dass Wegweisungen oft monate- oder sogar jahrelang nicht vollzogen
werden können.
Zur Frage 8: "Wie beurteilt die Regierung die Einschätzung von Patrizia Bertschi, wonach die Nothilfe
viele Ausreisepflichtige motiviere, illegal im Land zu verbleiben? Setzt die Regierung damit nicht
falsche Anreize? Was unternimmt die Regierung um diese falschen Anreize zu reduzieren?"
Gemäss Art. 12 der Bundesverfassung hat diejenige Person, welche in Not gerät und nicht in der
Lage ist, für sich zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Diesen Anspruch haben auch Personen, welche sich widerrechtlich in der Schweiz aufhalten. Das Bundesgericht hat dies ausdrücklich bestätigt. Der Kanton
Aargau verhält sich entsprechend verfassungskonform. In Bezug auf Unterbringung und Betreuung
werden die Leistungen des Kantons auf ein Minimum gekürzt. So werden Ausreisepflichtige wie ausgeführt grundsätzlich in speziell bezeichnete Kantonale Unterkünfte umplatziert, die lediglich einen
Minimalstandard aufweisen, um auch hier gegenüber der ausreisepflichtigen Person zu demonstrieren, dass ihr Anwesenheitsrecht in der Schweiz erloschen ist. Sowohl der Betrag von lediglich
Fr. 7.50, welche einem Ausreisepflichtigen für die Bestreitung des Lebensunterhalts für einen Tag
ausbezahlt wird, als auch der Umstand, dass dieser Betrag täglich übergeben wird respektive abzuholen ist, stellen weitere Massnahmen zur Verringerung der Attraktivität dar. Weitergehende Minderungen der Leistungen sind nicht mehr möglich.
Zur Frage 9: "Was unternimmt die Regierung konkret um diese Personen auszuschaffen? Wie viele
Stellenprozent sind beim Migrationsamt für die Ausschaffung dieser Personen vorgesehen? Wie
viele Stellenprozent arbeiten beim Migrationsamt Zürich im gleichen Bereich?"
Wie zur Frage 7 ausgeführt worden ist, sind sehr viele der zur Ausreise verpflichteten Personen nicht
im Besitz gültiger Reisedokumente und können aufgrund des Umstandes, dass sie nicht ausreisen
wollen und sich entsprechend bei der Identifikation und der Beschaffung von Reisepapieren unkooperativ verhalten, nicht wie angeordnet in die Heimat- beziehungsweise Herkunftsstaaten zurückgeführt werden. Unter schwierigen Umständen unternimmt das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen des SEM die möglichen und zulässigen
Schritte, um die angeordneten Wegweisungen trotzdem vollziehen zu können.
Beim Amt für Migration und Integration Kanton Aargau werden im Bereich Asyl gegenwärtig insgesamt 800 Stellenprozente für alle hier anfallenden Aufgaben eingesetzt. Davon sind drei Stellen im
Rahmen von "Crime Stop" befristet bis im April beziehungsweise August 2016 bewilligt worden. Im
Bereich AuG sind 230 Stellenprozente mit Vollzugsaufgaben befasst. Eine konkrete Zuweisung der
Stellenprozente allein auf die Tätigkeit von Ausschaffungen ist nicht möglich.
Das Migrationsamt Zürich teilt mit, dass sich alle Vollzugssachbearbeitenden mit dem Vollzug der
Wegweisung aus dem gesamten Asyl- und Ausländerbereich befassen. Eine Aufteilung des Aufwands nach unterschiedlichen Personenkategorien bestehe daher nicht. Aktuell seien beim Migrationsamt Zürich im Wegweisungsvollzug 14 Mitarbeitende beschäftigt.
Die Aufgaben und Zuständigkeiten der Vollzugsmitarbeitenden beider Kantone sind nicht identisch,
ein direkter Vergleich der Personalressourcen ist somit nicht möglich. So ist beispielsweise zu berücksichtigen, dass die Zürcher Kantonspolizei für das Migrationsamt diverse Aufgaben übernimmt,
wie beispielsweise Pikettdienst ausserhalb der Büroöffnungszeiten und an Wochenenden, Gewäh-
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Art.-Nr. 0991
2778
rung des rechtlichen Gehörs und Eröffnung von Verfügungen. Weiter ist die Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden der Migrationsämter abhängig von der Anzahl schriftlicher Haftüberprüfungen und der
Anzahl Teilnahmen an mündlichen, vom Verwaltungsgericht anberaumten Haftüberprüfungsverhandlungen. Die Praxis zeigt, dass im Aargau im Verhältnis sowohl mehr Haftüberprüfungen von DublinFällen – solche müssen gemäss Art. 80 Abs. 2bis AuG vom betroffenen Inhaftierten beantragt werden
– als auch Verhandlungsteilnahmen vorkommen.
Zur Frage 10: "Wie viele Ausreisepflichtige wurden in den vergangenen 10 Jahren den jeweiligen
Botschaften zwecks Ausstellung eines Laissez-Passer vorgeführt? Wie viele Vorführungen hat im
gleichen Zeitraum der Kanton Zürich pro Jahr durchgeführt?"
Das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau ersuchte das SEM während der vergangenen
zehn Jahren in 2'233 Fällen um Vollzugsunterstützung betreffend die Beschaffung von Reisedokumenten. 184 Personen wurden im erwähnten Zeitraum an Auslandvertretungen zugeführt. 504 Personen – teilweise zwangsweise zugeführt, teilweise selbstständig angereist – nahmen an zentralen
Anhörungen durch ausländische Delegationen in den Amtsräumen des SEM teil. 723 Personen
sprachen auf entsprechende Aufforderungen hin selber bei einer Auslandvertretung vor.
Gemäss Mitteilung des Migrationsamts Zürich wird im Kanton Zürich keine entsprechende Statistik
geführt. Es wird darauf verwiesen, dass Interviews und Vorführungen bei heimatlichen Vertretungen
für die ganze Schweiz zentral vom SEM durchgeführt werden.
Zur Frage 11: "Welche sonstigen Zwangsmassnahmen hat das Migrationsamt in den vergangenen
fünf Jahren angeordnet (bitte aufschlüsseln nach Jahr und Massnahme)?"
Nachfolgend wird die Anzahl der in den letzten fünf Jahren vom Amt für Migration und Integration
Kanton Aargau angeordneten Administrativhaft und Rayonauflagen (Ein- und Ausgrenzungen) aufgelistet.
Administrativhaften
Rayonauflagen
2010
122
82
2011
213
166
2012
177
386
2013
166
204
2014
121
96
In den vergangenen Jahren wurde die Praxis bei der Anordnung von Rayonauflagen laufend verschärft. Das Massnahmenpaket der Taskforce Crime Stop hat im Jahr 2012 aufgrund der verstärkten
Polizeikontrollen und der nochmaligen Praxisverschärfung zu einer stark erhöhten Anordnung von
Rayonauflagen geführt. Diese Praxis wird weitergeführt. Allerdings hat sich die Zusammensetzung
der Herkunftsländer der Asylsuchenden seither erheblich geändert. Anders als zur Zeit des "Arabischen Frühlings", in der eine höhere Kriminalität festgestellt werden musste, stammt heute eine hohe
Anzahl von Asylsuchenden aus den Krisengebieten Eritrea und Syrien, was einerseits zu einem starken Anstieg der Schutzquote (Anteil der erstinstanzlichen Asylgewährungen und vorläufigen Aufnahmen durch das SEM am Total aller Asylentscheide) von 29,8 % (2013) auf 58,3 % (2014) geführt
hat. Andererseits ist festzustellen, dass diese Personenkategorie die öffentliche Sicherheit und Ord-
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2779
nung deutlich weniger stört oder gefährdet und damit auch weniger Anlass für die Anordnung von
Rayonauflagen gibt.
Seit Beginn des Jahrs 2008 bis Ende des Jahrs 2014 ist im Asylbereich gegenüber insgesamt
953 Personen Administrativhaft angeordnet worden.
Zur Frage 12: "Trifft es zu, dass Laissez-Passer oder Ausweisschriften von allen Ländern ausser
Kuba und Nordkorea innerhalb weniger Tage erhältlich gemacht werden können, wenn der betreffende Ausreisepflichtige aufrichtig kooperiert?"
Ist eine Person bereit, selbstständig in den Heimatstaat zurückzukehren, teilt dies ausdrücklich der
Heimatvertretung mit und kann mittels Dokumenten ihre Identität belegen, bestehen regelmässig
gute Aussichten, dass Ersatzreisedokumente ausgestellt werden. Es kann dabei je nach Staat und
Umstand einige Tage, Wochen oder Monate dauern, bis ein Ersatzreisepapier ausgestellt wird.
Zur Frage 13: "Wie realistisch ist es, dass diese Personen in den nächsten 12 Monaten ausgeschafft
werden? Bis wann ist damit zu rechnen, dass sämtliche 250 Ausreisepflichtigen ausgeschafft worden
sind?"
Wie bereits ausgeführt ist ohne Mitwirken der Ausreisepflichtigen deren Identifizierung schwierig. Zusätzlich müssen die betreffenden Heimatvertretungen nach einer erfolgreichen Identifikation bereit
sein, Ersatzreisedokumente auszustellen. Aufgrund der Erfahrungen ist es unwahrscheinlich, dass
alle im heutigen Zeitpunkt zur Ausreise Verpflichteten die Schweiz innerhalb eines Jahrs legal verlassen haben. Bis wann eine korrekte Ausreise dieser Personen erfolgt sein wird, kann nicht vorausgesagt werden.
Zur Frage 14: "Wie viele ausreisepflichtige ehemalige Asylbewerber wurden in den vergangenen 10
Jahren zwangsweise ausgeschafft? Wie viele Personen wurden im gleichen Zeitraum vom Kanton
Zürich zwangsweise ausgeschafft (ohne Untergetauchte)?"
Jahr
Ausschaffungen Aargau
Jahr
Ausschaffungen Aargau
2005
73
2010
195
2006
61
2011
239
2007
79
2012
237
2008
57
2013
202
2009
149
2014
116
Seit Mitte Dezember 2008 ist das Schengen-Dublin Assoziierungsabkommen für die Schweiz in Kraft
getreten. Gestützt auf dieses Abkommen konnten im Vergleich zu den Vorjahren mehr Ausreisepflichtige ausgeschafft werden, insbesondere da für eine Rückführung in einen Dublin-Staat keine
Identitätsabklärung und Beschaffung von vollzugsgenüglichen (Ersatz-) Reisepapieren notwendig ist.
Der Rückgang im Jahr 2014 ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die sogenannte Schutzquote (siehe Antwort zur Frage 11) sich im 2014 nahezu verdoppelt hat und das SEM folglich weniger vollziehbare Wegweisungsentscheide getroffen hat.
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2780
Zur Frage 15: "Wieso werden diese 250 Personen nicht in Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft
genommen?"
Das AuG sieht in den Art. 75 ff. vor, dass für Personen ab 15 Jahren zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs eine höchstens 18-monatige Administrativhaft (Vorbereitungs-, Ausschaffungs- oder
Durchsetzungshaft) angeordnet werden kann, sofern einer der gesetzlichen Haftgründe vorliegt.
Auch eine lange Administrativhaft führt jedoch in der Regel nicht dazu, die Ausreise- und Kooperationsbereitschaft der Inhaftierten zu fördern. Diese ziehen es vor, während Monaten inhaftiert zu bleiben, um dann nach der Entlassung aus der Administrativhaft weiterhin widerrechtlich in der Schweiz
zu bleiben. Freiheitsbeschränkende und freiheitsentziehende Massnahmen erfüllen dann den vom
Gesetzgeber angestrebten Zweck nur in eingeschränktem Mass.
Die Anordnung einer Administrativhaft wäre zudem in vielen Fällen rechtlich nicht zulässig, auch
wenn sich die betreffenden Personen widerrechtlich in der Schweiz aufhalten (fehlende Verhältnismässigkeit, fehlende Vollzugsperspektive).
Dem Kanton Aargau stehen gegenwärtig insgesamt 24 Plätze für Administrativhaft zur Verfügung.
14 Personen männlichen Geschlechts können in Aarau und zehn Personen aufgrund einer seit dem
1. März 2014 geltenden Vereinbarung mit dem Kanton Zürich im Flughafengefängnis untergebracht
werden. Eine Unterbringung von Frauen in Zürich ist jeweils nur auf entsprechende Anfrage und in
Ausnahmefällen möglich. Diese Haftplätze sind aktuell knapp ausreichend.
Im Rahmen des Projekts "Interkantonale Lösung für den Vollzug von Haftformen des Ausländerrechts", für welches das Strafvollzugskonkordat der Nordwest- und Innerschweiz eine Arbeitsgruppe
unter der Leitung des Generalsekretärs des Departements Volkswirtschaft und Inneres des Kantons
Aargau eingesetzt hat, ist vorgesehen, gemeinsam 250 Administrativhaftplätze (Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft) zu realisieren und zu betreiben. Die neun beteiligten Kantone
wollen die bisherigen rund 170 Haftplätze zusammenlegen und 80 zusätzliche Haftplätze schaffen.
Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Effizienzsteigerung der Wegweisungsverfahren im
Rahmen des Projekts von Bund und Kantonen für die gesamtschweizerische Neustrukturierung des
Asylbereichs und die Beschleunigung der Asylverfahren.
Es ist vorgesehen, dass sich der Kanton Aargau unter Vorbehalt der Bewilligung der notwendigen
finanziellen Mittel mit 30–35 Haftplätzen an diesem Projekt beteiligt. Damit wird die bisherige Zahl
von 24 Haftplätzen um rund zehn Haftplätze erhöht, womit der notwendige Handlungsspielraum für
den Vollzug von Wegweisungen im Rahmen der Beschleunigung der Asylverfahren sichergestellt
wird. Die zusätzlichen Haftplätze haben auch höhere Kosten zur Folge. Gemäss dem aktuellen Projektstand ist mit Vollkosten von Fr. 300.– pro Haftplatz und Tag zu rechnen. Bei Wegweisungen im
Asylbereich, die den grössten Teil der Ausschaffungen ausmachen, leistet der Bund einen Pauschalbeitrag von Fr. 200.– pro Haftplatz und Tag. Die Restkosten sind von den Kantonen zu tragen.
Die Vorlage für die Beteiligung am interkantonalen Projekt wird dem Grossen Rat voraussichtlich im
Jahr 2016 unterbreitet.
Die interkantonalen Administrativhaftplätze sollen 2020 in Betrieb genommen werden. Die gemeinsame Lösung mit den anderen Kantonen hat den weiteren Vorteil, dass die bisher im Kanton Aargau
für die Administrativhaft genutzten Plätze neu für Untersuchungshaft und kurze Freiheitsstrafen genutzt werden können.
Zur Frage 16: "Wie viele Ausreisepflichtige befinden sich derzeit in Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft? Wie viele sind es im Kanton Zürich?"
Am 30. April 2015 waren, den Kanton Aargau betreffend, 21 Personen in Administrativhaft. Der Kanton Zürich gibt an, dass im Flughafengefängnis 106 Haftplätze zur Verfügung stehen, deren Bele-
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2781
gung von Tag zu Tag variiert. In diesen 106 Haftplätzen sind die zehn vom Kanton Aargau und vier
vom Kanton Freiburg gemieteten Plätze inbegriffen. Effektiv verfügt der Kanton Zürich demzufolge
über 92 Haftplätze. Deren Belegungsgrad ist nicht bekannt.
Zur Frage 17: "Wie viele Ausreisepflichtige wurden in den vergangenen 10 Jahren pro Jahr in Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft genommen (bitte aufschlüsseln nach Jahr)? Wie lange war die
durchschnittliche Verweildauer in Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft? Wie viele Ausreisepflichtige wurden im Kanton Zürich im gleichen Zeitraum in Haft genommen? Wie ist die durchschnittliche
Belegung der Haftplätze für Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft im Kanton Aargau und im Kanton Zürich?"
Die schwankenden Zahlen hängen in erster Linie damit zusammen, wie viele vollziehbare Wegweisungsentscheide vom SEM getroffen werden (siehe Ausführungen zur Schutzquote in den Antworten
zu den Fragen 11 und 14) und ob die Ausreisepflichtigen mit ihrem Verhalten einen der gesetzlichen
Haftgründe setzen. So war während der Zeiten des "Arabischen Frühlings" festzustellen, dass die
Ausreisepflichtigen aufgrund höherer Kriminalität und Kooperationsverweigerung vermehrt einen der
gesetzlichen Haftgründe setzten (siehe dazu auch Antwort zur Frage 11). Im Übrigen ist anzumerken, dass die Anzahl der zur Verfügung stehenden Haftplätze stark schwankte (Umbau Amtshaus
Aarau, vorübergehende Unterbringungsmöglichkeiten von Inhaftierten im Regionalgefängnis Thun,
längerfristige vorübergehende Unterbringungsmöglichkeiten im Ausschaffungsgefängnis Bässlergut
in Basel mit schwankendem Platzangebot, seit 2014: Zehn zusätzliche Haftplätze im Flughafengefängnis Zürich). Um über eine gewisse notwendige Flexibilität, insbesondere auch für kurzfristig verfügte Haft, zu verfügen, ist eine durchschnittlich etwas unter 100 % liegende Auslastung anzustreben.
Angeordnete Administrativhaft Aargau
Belegung Kanton Aargau
in %
Durchschnittliche Dauer Administrativhaft Aargau (Tage)
2005
46
52
2006
42
31
2007
87
56
29
2008
46
90
92
2009
118
57
45
2010
122
42
19
2011
213
100
20
2012
177
90
34
2013
166
87
30
2014
121
83
50
Zur Frage 18: "Wie viele Prozent der in Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft genommenen Personen können effektiv ausgeschafft werden? Wie viele Prozent sind es im Kanton Zürich?"
87 % der 2005–2014 in Ausschaffungshaft genommenen Personen konnten weggewiesen werden.
Falls Durchsetzungshaft angeordnet wurde, konnten 11 % der Inhaftierten ausgeschafft werden.
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2782
Zur Frage 19: "Wie viele Haftplätze stehen für die Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft effektiv zur
Verfügung? Wie viele Haftplätze stehen im Kanton Zürich für Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft
zur Verfügung? Wieso werden nicht geschlossene Unterkünfte (welche günstiger als Gefängnisse
wären) für die Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft geschaffen?"
Wie zur Frage 15 ausgeführt, stehen dem Kanton Aargau in Aarau 14 eigene und im Flughafengefängnis Zürich zehn angemietete Plätze zur Verfügung. Die Reservation der zehn Plätze in Zürich ist
mittels einer Vereinbarung abgesichert, die jeweils unter Wahrung einer Kündigungsfrist von drei Monaten auf Ende eines Jahresquartals gekündigt werden kann. Eine Ablösung der angemieteten und
Erhöhung der Anzahl Haftplätze ist im Rahmen des laufenden Projekts " interkantonale Lösung für
den Vollzug von Haftformen des Ausländerrechts" vorgesehen. Wie in Antwort zur Frage 10 erwähnt,
stehen dem Kanton Zürich effektiv 92 Haftplätze zur Verfügung.
Eingriffe in Freiheitsrechte ausserhalb des Strafrechts, welche über Rayonauflagen und Administrativhaft hinausgehen, sind ohne entsprechende gesetzliche Grundlagen nicht zulässig. Wie der Regierungsrat in der Beantwortung des (12.113) Postulats der SVP-Fraktion vom 22. Mai 2012 betreffend
Internierung von Asylbewerbern am 22. August 2012 ausführte, wäre die Errichtung geschlossener
und zentraler Unterkünfte völkerrechtlich sehr problematisch. Schon in seiner Antwort vom 31. August 2011 auf ein (11.132) Postulat von Dr. Dragan Najman vom 29. März 2011 hat er auf diesen
Punkt hingewiesen. Gleichzeitig rief er in Erinnerung, dass eine entsprechende Standesinitiative des
Kantons Aargau vom 17. Juni 1999 deshalb abgelehnt worden sei. Der Bundesrat seinerseits ist in
seiner (02.024) Botschaft zum AuG vom 8. März 2002 (BBl 2002, Nr. 21. Seite 3'767 ff.) zur Auffassung gelangt, der Handlungsspielraum für geschlossene und zentrale Sammelunterkünfte bezüglich
zur Ausreise verpflichteter Personen sei aufgrund der verfassungsmässigen und völkerrechtlichen
Schranken sehr gering. Der Bundesrat hielt unter anderem fest, von den in Art. 5 Ziffer 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abschliessend aufgezählten Haftzwecken könne lediglich
ein schwebendes Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren für eine im Ausländerrecht verankerte
Haft herangezogen werden. Eine ausländerrechtliche Spezialhaft, welche einen anderen Haftzweck
verfolge, verletze das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 14 EMRK und Art. 8 der Bundesverfassung.
An dieser Beurteilung und den rechtlichen Grundlagen hat sich bis heute nichts geändert. Eine Unterbringung von zur Ausreise verpflichteten Personen in geschlossenen Unterkünften wäre entsprechend rechtlich unzulässig. Der Grosse Rat ist dieser Auffassung an seiner Sitzung vom 5. Mai 2015
im Rahmen der Debatte zum Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe und die soziale Prävention (Sozialhilfe- und Präventionsgesetz, SPG) gefolgt und hat das entsprechende Postulat René Kunz, SD,
Reinach, vom 6. März 2012 betreffend Errichtung eines geschlossenen und zentral geführten Spezialzentrums für kriminelle, renitente und abgewiesene Asylbewerber im Kanton Aargau wie auch das
obengenannte Postulat der SVP-Fraktion vom 22. Mai 2012 von der Kontrolle abgeschrieben.
Zur Frage 20: "Was kostet eine zwangsweise Ausschaffung den Kanton im Durchschnitt?"
Unter Ausschaffung im engeren Sinn ist die zwangsweise Durchsetzung der Ausreise ab Anhaltung
in der Unterkunft, in der Regel jedoch ab Haft, zu verstehen. Die Kosten für den Transport in den
Herkunftsstaat übernimmt grundsätzlich das SEM. Für die Zuführung der betroffenen Person von
ihrem Aufenthaltsort zum Flughafen sowie für eine allfällige Begleitung bis in den Herkunftsstaat ist
der Kanton zuständig. Müssen Personen mit Polizeibegleitung bis in den Herkunftsstaat zurückgeführt werden, übernimmt das SEM für den Transport zum Flughafen eine Pauschale von Fr. 200.–
pro Begleitperson. Die Flug- und allfälligen Unterbringungskosten der Begleitpersonen trägt ebenfalls
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Art.-Nr. 0991
2783
das SEM. Zudem werden dem Kanton pro Begleitperson für den ersten Tag pauschal Fr. 300.– und
für den zweiten oder jeden weiteren Tag Fr. 150.– erstattet.
Der durchschnittliche Zeitaufwand für die Kantonspolizei für Rückführungen innerhalb Europas beträgt ca. 34 Mannstunden und derjenige für Rückführungen nach Afrika jeweils ca. 80 Mannstunden.
Eingerechnet sind die Einsatzstunden aller Polizistinnen beziehungsweise Polizisten für die Begleitung bis zum Flughafen, den Flug selber und die Reisezeit für die Rückkehr der Polizistinnen beziehungsweise Polizisten in die Schweiz. Durchschnittlich sind drei Polizistinnen beziehungsweise Polizisten pro Rückführung eingerechnet.
Für die gesamten Kosten der zwangsweisen Ausschaffungen im weiteren Sinn sind jedoch alle vorbereitenden Handlungen ab dem Zeitpunkt des Vorliegens eines vollziehbaren Wegweisungsentscheids zu berücksichtigen. Da dieselben Mitarbeitenden unter anderem sowohl für selbstständige,
kontrollierte Ausreisen als auch für zwangsweise Ausschaffungen zuständig sind, und da von Fall zu
Fall enorme Unterschiede im Aufwand für den Wegweisungsvollzug bestehen, lassen sich die durchschnittlichen Kosten für zwangsweise Ausschaffungen nicht beziffern. Während in Dublin-Fällen keine (Ersatz-) Reisepapiere beschafft werden müssen, sind bei Wegweisungsvollzügen in das Herkunftsland mehrheitlich umfangreiche Identitätsabklärungen für den Erhalt eines Reisepapiers notwendig (siehe auch Antwort zur Frage 7). Im Weiteren geht einer zwangsweisen Ausschaffung teilweise eine erfolglose Organisation einer selbstständigen, kontrollierten Ausreise voraus, da in jenem
Zeitpunkt die Voraussetzungen für den zwangsweisen Vollzug und/oder für die Anordnung einer
Administrativhaft (noch) nicht erfüllt waren. Dasselbe gilt bei den sogenannten Sonderflügen, bei
denen das SEM in der Regel einen zuvor gescheiterten Versuch einer zwangsweisen Ausschaffung
voraussetzt. Überdies bestehen im Einzelfall erhebliche Unterschiede bei den notwendigen medizinischen Abklärungen und deren Kosten, die gemäss den von der Kantonalen Konferenz der Justizund Polizeidirektoren (KKJPD) für alle Kantone verbindlich verabschiedeten Standardprozessen im
Wegweisungsvollzug durchzuführen sind.
Zur Frage 21: "Wieso werden die Strafen, der wegen illegalem Aufenthalt zu einer Freiheitsstrafe
verurteilten Ausreisepflichtigen, nicht in einer geschlossenen Unterkunft vollzogen anstatt in einem
Gefängnis?"
Personen, die wegen illegalem Aufenthalt inhaftiert werden, fehlt die Einsicht in die Rechtfertigung
und Notwendigkeit des Freiheitsentzugs. Insbesondere bei längeren und wiederholten Inhaftierungen
besteht deshalb die Gefahr von Ausbruchs- und Fluchtversuchen, zumal diese Gefangenen nichts zu
verlieren haben. Innerhalb der Einrichtung für den Freiheitsentzug ist mit Aggressionen gegen das
Vollzugspersonal und auch gegen andere Gefangene bis hin zu Meutereien zu rechnen.
Angesichts dieses Gefährdungspotenzials erfordert die Gewährleistung der Sicherheit für die Bevölkerung, das Vollzugspersonal und die Gefangenen eine Gefängnisinfrastruktur für den Vollzug von
Freiheitsstrafen wegen illegalem Aufenthalt. Nach aussen ist ein Peripherieschutz mit Mauer oder
Sicherheitszaun erforderlich. Im Innenbereich sind ausbruchsichere Zellen notwendig, in denen die
Gefangenen namentlich während der Nacht sicher eingeschlossen werden können. Zur Gewährleistung des Anspruchs der Gefangenen, pro Tag mindestens eine Stunde im Freien zu verbringen, sind
gesicherte Aussenbereiche erforderlich. Bei einem offeneren Regime im Innenbereich müsste zur
Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit wesentlich mehr Vollzugspersonal angestellt werden, was
auf längere Sicht deutlich teurer wäre als die Investitionen in die Zelleninfrastruktur.
Eine geschlossene Unterkunft wäre angesichts des Gefährdungspotenzials und den daraus resultierenden Sicherheitsanforderungen ungenügend. In der Justizvollzugsanstalt Lenzburg wurde in den
90er-Jahren ein Versuchsbetrieb für Gefangene, die in der letzten Vollzugsphase vor der Entlassung
standen und nicht als fluchtgefährlich eingeschätzt wurden, in einer Baracke ausserhalb des Zellen-
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Art.-Nr. 0991
2784
trakts durchgeführt. Trotz sorgfältiger Vorbereitung musste der Versuch nach erheblichen betrieblichen Problemen und dem Ausbruch mehrerer Gefangener abgebrochen werden.
Selbst die Administrativhaft (Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft) erfordert aufgrund der Erfahrungen seit der Einführung in den 90er-Jahren eine vollwertige Gefängnisinfrastruktur
für einen geordneten und sicheren Vollzug, obwohl diese Haftart grundsätzlich nicht dem Strafvollzug, sondern der Sicherstellung der Vorbereitung und des Vollzugs der Wegweisung dient und das
Haftregime im Innenbereich weniger streng ist (tagsüber offene Zellen).
Nachdem die Sicherheitsanforderungen denjenigen für den Vollzug anderer kurzer Freiheitsstrafen
entsprechen, werden die Freiheitsstrafen wegen illegalem Aufenthalt ebenfalls in den Bezirksgefängnissen und im Zentralgefängnis vollzogen. Auch kostenmässig würde ein besonderes Gefängnis
für Freiheitsstrafen wegen illegalem Aufenthalt angesichts der identischen Anforderungen keine Vorteile bringen. Aufgrund der Erfahrungswerte aus aktuellen Projekten wäre ebenfalls mit Vollkosten
von Fr. 250.– bis Fr. 300.– pro Tag zu rechnen, selbst wenn die Gefangenen mit Ausnahme des
einstündigen Aufenthalts im Spazierhof durchgehend in den Zellen eingeschlossen würden.
Zur Frage 22: "Wie vielen Ausreisepflichtigen wurden in den letzten zehn Jahren der Verbleib im
Land nachträglich bewilligt und mit welcher Begründung (Aufschlüsseln nach Jahr und Grund der
Bewilligung)?"
Die Zahlen der Aufenthaltsbewilligungen an Ausreisepflichtige beziehen sich einerseits auf Regelungen als Härtefälle gestützt auf Art. 14 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG) und auf Regelungen im
Rahmen von Familiennachzügen, andererseits auf nachträglich, nach rechtskräftigem Abschluss des
Asylverfahrens erteilte Anwesenheitsberechtigungen in Form vorläufiger Aufnahmen, weil die Zumutbarkeit, Zulässigkeit und/oder Möglichkeit der Rückkehr in den Heimatstaat – beispielsweise
aufgrund eines begründeten Wiedererwägungsgesuchs – verneint wurden.
Aufenthaltsbewilligungen gemäss
Art. 14 Abs. 2 AsylG
(Härtefallregelungen)
Aufenthaltsbewilligungen
aufgrund Familiennachzug
Anwesenheitsregelungen
in Form vorläufiger Aufnahmen
2005
36
13
20
2006
28
17
13
2007
25
13
21
2008
10
14
31
2009
26
20
50
2010
14
13
47
2011
18
16
27
2012
13
15
20
2013
9
13
24
2014
14
7
19
Die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen im Rahmen von Härtefällen oder Familiennachzug setzt
zwingend ein entsprechendes Gesuch der Betroffenen voraus. Der Kanton prüft, ob das Gesuch die
gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Ist dies der Fall, überweist das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau das Gesuch ans SEM. Das SEM entscheidet in alleiniger Kompetenz, ob das Gesuch bewilligt wird oder nicht.
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2785
Die vorläufige Aufnahme prüft das SEM bei jedem negativen Asylentscheid. In der Regel wird mit
dem negativen Asylentscheid gleichzeitig über die vorläufige Aufnahme entschieden. Der Entscheid
liegt auch hier alleine beim SEM. Nach einem rechtskräftigen negativen Entscheid hat die betroffene
Person jederzeit die Möglichkeit, ein Wiedererwägungsgesuch zu stellen und die vorläufige Aufnahme zu beantragen. Bei entsprechenden Hinweisen prüft das SEM von sich aus, ob Gründe für eine
vorläufige Aufnahme seit dem Wegweisungsentscheid eingetreten sind.
Zur Frage 23: "Wie viele Ausreisepflichtige, denen in den letzten zehn Jahren der Verbleib im Land
bewilligt wurde, haben die Kosten ihres Asylverfahrens sowie die sonstigen dem Kanton entstandenen Kosten (Unterbringung, Krankenkasse, Nothilfe, etc.) zurückerstattet? Was unternimmt der Kanton um diese Kosten bei den Betreffenden wieder einzutreiben?"
Laut Art. 85 AsylG sind, soweit zumutbar, Sozialhilfe-, Ausreise- und Vollzugskosten sowie die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zurückzuerstatten. Der Bund macht den Rückerstattungsanspruch
geltend und verwendet die erhältlich gemachten Beträge als Beitrag an die Deckung seiner Kosten.
Der Kanton hat keinen Zugriff auf diese Gelder.
Bei Ausreisepflichtigen, welche über längere Zeit in der Schweiz anwesend sind und von der Sozialhilfe leben, besteht eine Rückerstattungspflicht gemäss § 20 SPG. Eine Rückerstattungspflicht setzt
voraus, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Pflichtigen soweit gebessert haben, dass eine
Rückerstattung ganz oder teilweise zugemutet werden kann. Ausreisepflichtige dürfen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und sind daher nicht in der Lage, ihren eigenen Unterhalt zu verdienen.
Erst wenn Ausreisepflichtige später aufgrund besonderer Umstände doch noch eine Aufenthaltsbewilligung erhalten (Härtefall, vorläufige Aufnahme, Heirat), dürfen sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen. In Anbetracht der Tatsache, dass die grosse Mehrheit der unterstützten Personen auch nach
dem Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung nur selten und wenn, dann oft in Niedriglohnbranchen arbeitet, kann der Kanton von diesen Personen keine Rückerstattungen erhältlich machen. Es sind also
kaum Fälle denkbar, in welchem eine Rückerstattung durchsetzbar wäre und der Inkassoaufwand im
Vergleich zum möglicherweise erzielbaren Erlös nicht unverhältnismässig wäre.
Zur Frage 24: "Wie ist die Kriminalität der Ausreisepflichtigen zu beurteilen? Wie viele Prozent sind
bei der Polizei wegen Straftaten aktenkundig (nach Männern und Frauen unterscheiden)?"
Was die Straftaten erwachsener Asylbewerber mit Status Asyl II nach Strafgesetzbuch und nach
Betäubungsmittelgesetz betrifft, wird auf die Beantwortung zur Frage 2 der Interpellation Clemens
Hochreuter, SVP, Aarau, vom 13. Januar 2015 betreffend Kriminalität von Asylbewerbern im Kanton
Aargau verwiesen. Eine Statistik mit der totalen Anzahl straffälliger Personen existiert nicht.
Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 8'797.–.
Vorsitzender: Der Interpellant verzichtet auf ein Votum, er ist mit der Antwort teilweise zufrieden. Das
Geschäft ist erledigt.
18. August 2015
Art.-Nr. 0991
2786
0992 Postulat der SP-Fraktion (Sprecherin Viviane Hösli, Zofingen) vom 24. März 2015 betreffend Weiterbildungsoffensive während Kurzarbeitsperiode im Kanton Aargau, insbesondere
für Arbeitnehmende, welche stark gefährdet sind, arbeitslos zu werden; Rückzug
(vgl. Art. 0796)
Mit Datum vom 10. Juni 2015 beantragt der Regierungsrat, das Postulat mit folgender Begründung
abzulehnen:
1.
Am 15. Januar 2015 dieses Jahrs entschied die Schweizerische Nationalbank, den Euro-Mindestkurs
aufzuheben. Bereits am 27. Januar 2015 beschloss der Bundesrat, die starke Aufwertung des Frankens als Begründung für Kurzarbeitsentschädigung zuzulassen. Daraufhin beantragten im Februar
2015 überdurchschnittlich viele Betriebe Kurzarbeit und zahlreiche Unternehmen erkundigten sich
nach der Möglichkeit für Kurzarbeit. Das Interesse hat aber bereits im folgenden Monat wieder deutlich nachgelassen. Im März 2015 wurden nur noch 27 Gesuche bewilligt, im April und Mai 23 respektive 24 Gesuche. Diese Zahlen bewegen sich auf dem Niveau des Vorjahrs. Zwar lag Ende April für
1'955 Personen eine Bewilligung zur Einführung von Kurzarbeit vor. Bis Ende Mai sank sie bereits
auf 1'569 und der Regierungsrat geht aufgrund der relativ wenigen Gesuche davon aus, dass diese
Zahl weiter sinken wird.
Im Gegensatz zu den Jahren 2008–2010 ist die Weltwirtschaft im laufenden Jahr in einem stabilen
Zustand und damit die Nachfrage nach schweizerischen Gütern und Dienstleistungen grundsätzlich
intakt. Im Januar 2015 ist die Nachfrage nicht einfach weggebrochen, die meisten Unternehmen
haben weiterproduziert und die Produktionskapazitäten nach Möglichkeit ausgelastet. Dies ist auch
der Grund dafür, dass 2008 bis 2010 die Kurzarbeit sehr intensiv genutzt wurde, während 2015 bisher grundsätzlich kein Grund dafür besteht. Aufgrund der Wechselkursrelationen sind die schweizerischen Produkte allerdings zumindest teilweise preislich nicht mehr konkurrenzfähig. Eine Unterstützung der schweizerischen Produzenten müsste deshalb auf der Kostenseite ansetzen. Hier sind
allerdings keine einfachen und kurzfristig wirkenden Lösungen absehbar. Kurzarbeit ist gemäss Gesetz nur bei einem vorübergehenden Nachfragerückgang zulässig. Muss davon ausgegangen werden, dass ein Nachfragerückgang dauerhaft ist und die Arbeitsplätze durch Kurzarbeit nicht erhalten
werden können, darf dieses Instrument nicht eingesetzt werden (Art. 31 Abs. 1 lit d. Bundesgesetz
über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [Arbeitslosenversicherungsgesetz, AVIG]).
Wenn ein Unternehmen davon ausgeht, dass es bei den aktuellen Wechselkursrelationen den Absatz aufrechterhalten kann, wird es alles daran setzen, Aufträge zu akquirieren und keine Kurzarbeit
beantragen. Wenn es davon ausgeht, dass eine Weiterführung der Produktion nicht mehr möglich
ist, ist Kurzarbeit nicht das richtige Instrument.
Es ist deshalb weder davon auszugehen, dass unter den gegebenen Umständen die Kurzarbeit
massiv zunehmen wird, noch, dass die Nachfrage nach Weiterbildung während Kurzarbeit hoch sein
wird.
2.
In den Jahren 2009–2011 gab es sowohl Konjunkturprogramme des Bundes als auch des Kantons
Aargau. Eine konjunkturelle Stabilisierungsmassnahme des Bundes betraf Finanzhilfen für Weiterbildungen während Kurzarbeit. Der Bund übernahm bis zu einer Höhe von Fr. 5'000.– maximal 50 %
der Weiterbildungskosten pro Angestellte/Angestellten. Dieses Angebot nahmen im Kanton Aargau
262 Personen in Anspruch. 47 % davon waren Kaderpersonen, 41 % Fachpersonal und 12 % – also
rund 30 Personen – Geringqualifizierte. Total wurden Beiträge im Umfang von Fr. 115'249.– gesprochen.
18. August 2015
Art.-Nr. 0992
2787
Von den zuvor vom Kanton Aargau finanzierten Finanzhilfen für Weiterbildung konnten 162 Personen profitieren. Diese Angebote richteten sich zum einen an Fachpersonen in Kurzarbeit und zum
anderen an Personen, die Lücken beim Informatik-Basiswissen aufwiesen. Die direkten Kosten für
den Kanton Aargau beliefen sich auf gut Fr. 100'000.–. Für die Prüfung der Gesuche und die Auszahlungen entstand aber ein erheblicher Aufwand. Eine gezielte Förderung von Geringqualifizierten
scheiterte bei dieser Massnahme auch daran, dass der Grosse Rat Deutschkurse explizit vom Angebot ausgenommen hatte. Die Erfahrungen mit beiden Konjunkturmassnahmen zeigen, dass Weiterbildungsangebote in Kurzarbeit vor allem Höherqualifizierte beziehungsweise deren Arbeitgebende
ansprechen. Man kann davon ausgehen, dass der Mitnahmeeffekt dabei relativ gross ist, dass also
viele Unternehmen eine Subvention bezogen haben für eine Ausbildung, die ihre Mitarbeitenden
sowieso hätten absolvieren müssen. Es gibt keinen Anlass dafür anzunehmen, dass diese Erfahrungen in der heutigen wirtschaftlichen Situation anders wären.
Eine Weiterbildungsoffensive für Personen in der Kurzarbeit ist nicht einfach durchzuführen. Die
Unternehmen erhalten zwar von der Amtsstelle Arbeitslosenversicherung eine Bewilligung für Kurzarbeit, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Ob und wie viele Tage Kurzarbeit sie dann aber tatsächlich mit den Arbeitslosenkassen abrechnen, steht damit nicht fest. Kurzfristig eingehende Aufträge können beispielsweise dazu führen, dass Betriebsabteilungen, für die eigentlich eine Bewilligung für Kurzarbeit vorliegt, diese doch nicht in Anspruch nehmen (müssen). Für die betroffenen Arbeitnehmenden gleicht Kurzarbeit also ein Stück weit einem Abrufarbeitsverhältnis. Meistens sind
auch Zeitpunkt und Dauer der Ausbildung mit der Kurzarbeit nicht deckungsgleich. Dies alles erschwert eine Planung von Weiterbildungsmassnahmen erheblich. Deshalb kann Weiterbildung während der Kurzarbeit immer nur ein "Lückenbüsser" mit einem relativ tiefen Nutzen für die Volkswirtschaft sein. Die direkten Kosten einer solchen Massnahme für den Kanton dürften zwar nicht übermässig hoch ausfallen, dagegen wäre der administrative Aufwand für die Bekanntmachung des Angebots, die Prüfung der Gesuche und die Auszahlung gross.
3.
Der Regierungsrat geht mit dem Anliegen des Postulats einig, dass eine verstärkte Weiterbildung
von Geringqualifizierten noch vor Eintritt einer möglichen Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfeabhängigkeit wünschenswert wäre. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen und der erwähnten praktischen
Schwierigkeiten würde eine Weiterbildung während der Kurzarbeit aber dieses Ziel nicht erreichen
und einen unverhältnismässigen Aufwand verursachen. Deshalb lehnt er das Postulat ab.
Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 948.–.
Viviane Hösli, SP, Zofingen: Als die SP das Postulat im März eingereicht hat, gingen sowohl wir, wie
auch die Amtsstelle für Arbeitslosenversicherung von einer steigenden Anzahl Kurzarbeitsbewilligungen aus. Im April lag für 1'955 Personen eine Bewilligung für Kurzarbeit vor. Ende Juli liegt diese
Zahl bei 1'000 Personen und hat sich damit halbiert. Das ist natürlich erfreulich, was die Kurzarbeit
anbelangt. Leider gibt es aber nur dort Erfreuliches zu berichten. Die Wolken am Horizont sind düster. Die Anzahl der Arbeitslosen und die Anzahl Stellensuchender haben nämlich gegenüber dem
Vorjahr zugenommen. Die Anzahl der offenen Stellen hat auch abgenommen. Noch bewegen sich
diese Veränderungen in einem verhältnismässig tiefen Bereich. Klar ist aber auch, dass diese Entwicklung ohne Wiedereinführung eines Mindestkurses der Nationalbank weitergehen wird. FDPBundesrat Johann Schneider-Ammann sagte in einem Interview am letzten Sonntag, dass die Lage
ernst sei. Er sprach von einer Deindustrialisierung in kleinen Schritten. Arbeitgeberpräsident Valentin
Vogt sieht 30'000 Stellen in Gefahr und Swissmem-Präsident Hans Hess spricht für seine Industrie
von 20'000 Stellen. Der Aargau als Industrie- und Grenzkanton ist von der Frankenstärke doppelt
betroffen.
Im industriellen Bereich kommt es gehäuft zu Stellenabbau, Auslagerungen von Arbeitsplätzen und
Konkursen. Der grenznahe Detailhandel leidet unter Umsatzeinbussen. Die Frage ist nun, welche
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Art.-Nr. 0992
2788
Rolle ein Kanton in einer solch ernsten Lage einnehmen soll. Wir bedauern, dass der Kanton sich
nicht gemeinsam mit den Sozialpartnern auf die Suche nach Lösungen machen will. Den vom Stellenabbau und Auslagerungen betroffenen Angestellten muss unbürokratisch geholfen werden. Besonders betroffen sind hier Personen, die über viele Jahre im selben Betrieb tätig waren. Der starke
Anstieg von Arbeitslosen im Alterssegment 50plus betrifft nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte, sondern auch weniger qualifizierte Angestellte. Leider geht der Regierungsrat in der Begründung seiner
Ablehnung kaum auf diesen Aspekt ein.
Die durchschnittliche Dauer der Stellensuche von fast einem Jahr und der überproportionale Anstieg
von Sozialhilfefällen im selben Alterssegment lassen darauf schliessen, dass es für die betroffenen
über 50-Jährigen schwierig ist, nach einem Stellenverlust wieder Anschluss im Arbeitsmarkt zu finden. Mit der frühzeitigen Vermittlung von Basiswissen – beispielsweise Deutschkenntnisse oder
Grundlagen in der Informatik – könnte Langzeitarbeitslosigkeit und anschliessende Sozialhilfe verhindert werden. Wir sind froh, dass der Regierungsrat das Anliegen der Postulanten teilt, dass eine
verstärkte Weiterbildung von Geringqualifizierten wünschenswert ist.
Die in diesem Postulat geforderte Weiterbildungsoffensive mit Präventivwirkung ist zwingend notwendig, wenn der Kanton Aargau seine Ausgaben nicht mit stark wachsenden Arbeitslosenquoten
und Sozialfällen erhöhen will. Die kantonale Initiative "Arbeit und Weiterbildung für alle!" ermöglicht
eine solche Prävention und bietet die Grundlage für eine verstärkte kantonale Arbeitsmarktintegration. Diese Initiative wurde 2012 aufgrund der Sozialpolitischen Planung (SOPLA) sistiert.
Die mittlerweile vorliegende Botschaft lässt leider wenig Willen erkennen, in diesem Bereich Massnahmen einzuleiten. Obwohl die Arbeitsmarktintegration darin als Hauptstossrichtung definiert wurde, gehen die Bemühungen des Kantons zu wenig weit. Die Realität auf dem Arbeitsmarkt erlaubt
kein Zurückstellen der Massnahmen in diesem Bereich. Wir fordern den Regierungsrat daher auf, in
diesem Bereich aktiv zu werden und Massnahmen zu ergreifen. Jetzt nicht zu handeln, wird den
Kanton ein Vielfaches mehr kosten.
Da wir aber nachvollziehen können, dass der Regierungsrat die Weiterbildung nur für von Kurzarbeit
betroffenen Personen als nicht zweckmässig betrachtet, ziehen wir das Postulat zurück und verweisen sowohl auf die Behandlung der SOPLA im Herbst und auf die erwähnte Initiative. In der SOPLA
muss dringend das Handlungsfeld der Weiterbildung mit Massnahmen ergänzt werden. Ansonsten
gehen wir davon aus, dass unsere Initiative dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird.
Vorsitzender: Namens der Motionärin erklärt Viviane Hösli den Rückzug des Postulats. Das Geschäft
ist erledigt.
0993 Interpellation FDP-Fraktion (Sprecher Herbert H. Scholl, Zofingen) vom 3. März 2015 betreffend Bewilligungspraxis für ausländische Arbeitnehmende, insbesondere qualifizierte
Fachpersonen; Beantwortung und Erledigung
(vgl. Art. 0755)
Mit Datum vom 27. Mai 2015 hat der Regierungsrat die Interpellation beantwortet.
Zur Frage 1: "Wie definiert er den Begriff "qualifizierte Fachperson" bei der Beurteilung von Bewilligungen des Ausländerrechts? Welche Berufsgruppen und Ausbildungen fallen insbesondere darunter?"
Art. 23 des Bundesgesetzes über Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG) legt fest,
dass Kurzaufenthalts- und Aufenthaltsbewilligungen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nur Führungskräften, Spezialistinnen und Spezialisten und anderen qualifizierten Arbeitskräften erteilt werden können (Abs. 1). Bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen müssen zusätzlich die berufliche Qualifikation, die berufliche und soziale Anpassungsfähigkeit, die Sprachkenntnisse und das
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Art.-Nr. 0993
2789
Alter eine nachhaltige Integration in den schweizerischen Arbeitsmarkt und das gesellschaftliche
Umfeld erwarten lassen (Abs. 2). In Abweichung von den Absätzen 1 und 2 können zugelassen werden (Abs. 3):





Investorinnen und Investoren sowie Unternehmerinnen und Unternehmer, die Arbeitsplätze erhalten oder neue schaffen
anerkannte Personen aus Wissenschaft, Kultur und Sport
Personen mit besonderen beruflichen Kenntnissen oder Fähigkeiten, sofern für deren Zulassung
ein Bedarf ausgewiesen ist
Personen im Rahmen des Kadertransfers von international tätigen Unternehmen
Personen, deren Tätigkeit in der Schweiz im Rahmen von wirtschaftlich bedeutenden internationalen Geschäftsbeziehungen unerlässlich ist.
Die Qualifikation kann je nach Beruf oder Spezialisierung auf verschiedenen Stufen erfolgt sein: Universitätsabschluss, Fachhochschuldiplom, besondere fachliche Ausbildung mit mehrjähriger Berufserfahrung, Beruf mit Zusatzausbildung und/oder ausserordentliche, unerlässliche Spezialkenntnisse
in spezifischen Bereichen. Das Vorliegen der erforderlichen Qualifikation kann bei der arbeitsmarktlichen Prüfung oft auch von der Funktion der ausländischen Arbeitskraft abgeleitet werden, wie zum
Beispiel bei Firmengründerinnen oder Firmengründern oder Unternehmensleiterinnen oder Unternehmensleitern von arbeitsmarktlich bedeutenden Betrieben.
Bei Personen, die im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsprogrammen einreisen, können die Anforderungen an die Qualifikation dem Aufenthaltszweck entsprechend herabgesetzt werden. Dies gilt
generell für Praktikantinnen- und Praktikanten- sowie Trainee-Einsätze während oder nach der
(meist universitären) Ausbildung und im Besonderen auch für Weiterbildungsprogramme in der
Landwirtschaft.
Bei gewissen Personengruppen wie beispielsweise Au-Pair-Angestellten verzichtet das Gesetz gänzlich auf die Prüfung der beruflichen Qualifikation (Art. 30 AuG).
Es werden somit nicht an alle Bewilligungen für erwerbstätige Drittstaatsangehörige dieselben Voraussetzungen bezüglich der beruflichen und persönlichen Qualifikation gestellt. Das Ausländerrecht
definiert auch den Begriff "qualifizierte Arbeitskräfte" nicht weiter. Wegweisend für die Zulassung von
Drittstaatspersonen zum schweizerischen Arbeitsmarkt sind deshalb die Weisungen des Staatssekretariats für Migration (SEM) sowie die vom SEM im Lauf der Zeit entwickelte Zulassungspraxis im
Rahmen des freien Ermessens.
Die Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich (Weisungen AuG) des SEM (abrufbar unter
www.bfm.admin.ch > Publikationen & Service > Weisungen und Kreisschreiben > Ausländerbereich)
sowie die erwähnte Praxis sehen für zahlreiche Branchen verschiedenartigste Voraussetzungen für
die Bewilligungserteilung vor. In den meisten Fällen wird ein Hochschulstudium oder eine vergleichbare Ausbildung verlangt (zum Beispiel bei Ärztinnen und Ärzte, Informatikberufen, ManagementFunktionen). Im Gesundheitswesen, Gastgewerbe und insbesondere bei eher "handwerklichen" Berufen reichen fallweise auch andere Berufsausbildungen aus, oftmals in Kombination mit einer mehrjährigen Berufserfahrung auf dem fraglichen Arbeitsgebiet (zum Beispiel Operationspflegefachkräfte,
Dentalhygienikerinnen und Dentalhygieniker, Wellness-Fachpersonal in Hotels, Spezialitätenköchinnen und Spezialitätenköche, Bau- und Montagespezialistinnen und Montagespezialisten, Hauspersonal etc.). Wiederum spezielle Bedingungen bestehen insbesondere für die Sparte Sport (Spielerinnen und Spieler, Trainerinnen und Trainer) und für den Bereich Kultur und Unterhaltung (Musik,
Bühnenkunst, Zirkus etc.; bis Ende 2015 auch Cabaret-Tänzerinnen und Cabaret-Tänzer).
18. August 2015
Art.-Nr. 0993
2790
Zur Frage 2: "Wie viele Bewilligungen für qualifizierte Fachpersonen einerseits und nicht qualifizierte
Fachpersonen anderseits wurden im Aargau in den letzten fünf Jahren – unterteilt in EU-Staaten und
Nicht-EU-Staaten – erteilt?"
Drittstaatsangehörige werden grundsätzlich nur dann zum schweizerischen Arbeitsmarkt zugelassen,
wenn sie qualifiziert sind (Art. 23 Abs. 1 AuG). Wie unter Ziffer 1 erwähnt, sind gewisse Personenkategorien von dieser Zulassungsbedingung jedoch von Gesetzes wegen ausgenommen. Das Amt für
Migration und Integration Kanton Aargau erfasst die an Drittstaatsangehörige erteilten Kurzaufenthalts- beziehungsweise Aufenthaltsbewilligungen lediglich in ihrer gesamten Anzahl, also weder
nach spezifischen Qualifikationen noch nach Branchen.
Das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau hat in den letzten fünf Jahren die nachfolgende
Anzahl Arbeitsbewilligungen für neueinreisende Drittstaatsangehörige zur Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit (mit einer Anstellung bei einem Arbeitgeber mit Sitz in der Schweiz oder
mit einer – meist konzerninternen – Anstellung bei einem Unternehmen im Ausland) erteilt. Diese
Bewilligungen unterliegen der Zustimmung des SEM. Die Zahlen beinhalten auch Verlängerungen
von Kurzaufenthaltsbewilligungen bis maximal zwei Jahre und Umwandlungen einer Kurz- in eine
Aufenthaltsbewilligung. Aufenthalte bis maximal vier Monate sind hingegen ebenso wenig berücksichtigt wie vorübergehende Aufenthalte bis maximal acht Monate pro Jahr (ohne Wohnsitznahme),
welche insbesondere im Kulturbereich (Musikerinnen und Musiker, Artistinnen und Artisten, CabaretTänzerinnen und Cabaret-Tänzer etc.) erteilt werden:
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2010: 444
2011: 348
2012: 506
2013: 383
2014: 367
EU-/EFTA-Staatsangehörige verfügen aufgrund des Freizügigkeitsabkommens grundsätzlich über
einen Rechtsanspruch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz. Während der Dauer der
Übergangsfristen mussten für die Bewilligungserteilung noch der Inländervorrang sowie die Lohnund Arbeitsbedingungen überprüft werden. Seit der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit – für
die EU-17/EFTA-Gruppe erfolgte dies per 1. Juni 2007, unterbrochen durch die mit der Ventilklausel
wiedereingeführte Kontingentierung für Aufenthaltsbewilligungen B EU-17 vom 1. Juni 2013 bis
31. Mai 2014; für die EU-8-Gruppe erfolgte dies per 1. Mai 2011, unterbrochen durch die mit der
Ventilklausel wiedereingeführte Kontingentierung für Aufenthaltsbewilligungen B EU-8 vom 1. Mai
2012 bis 30. April 2014 – unterliegt die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen B und Kurzaufenthaltsbewilligungen L keiner arbeitsmarktlichen Prüfung mehr. Die gesuchstellenden Arbeitnehmenden müssen dem Amt für Migration und Integration Kanton Aargau seither keine Angaben zur Berufsqualifikation oder zur ausgeübten Tätigkeit mehr machen. Selbst während der Gültigkeitsdauer
der Übergangsfristen (für die EU-2-Staaten noch bis 31. Mai 2016) ist die Bewilligungserteilung nicht
an die berufliche Qualifikation gebunden, sondern an den Inländervorrang und die Einhaltung der
üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die berufliche Qualifikation ist deshalb kein eigenständiges
Prüfkriterium.
Das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau verfügt somit nicht über die nachgefragten
Statistikangaben. Eine seriöse Schätzung des Anteils der qualifizierten Arbeitnehmenden kann nicht
abgegeben werden.
Das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau hat in den letzten fünf Jahren die nachfolgende
Anzahl Kurzaufenthalts- und Aufenthaltsbewilligungen für EU/EFTA-Staatsangehörige erteilt, die zur
Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit mit einer Anstellung bei einem Arbeitgeber mit
Sitz in der Schweiz und zur Wohnsitznahme eingereist sind. Erneuerungen abgelaufener Kurzauf-
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enthaltsbewilligungen (maximal 364 Tage) sind ebenfalls miteingeschlossen. Aufenthalte bis maximal vier Monate hingegen sind ebenso wenig berücksichtigt wie vorübergehende Aufenthalte bis
maximal acht Monate pro Jahr (ohne Wohnsitznahme), welche insbesondere im Kulturbereich (Musikerinnen und Musiker, Artistinnen und Artisten, Cabaret-Tänzerinnen und Cabaret-Tänzer etc.) erteilt
werden:
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2010: 5'067 (davon 4'250 EU-17/EFTA, 667 EU-8 und 150 EU-2)
2011: 6'054 (davon 4'822 EU-17/EFTA, 1'044 EU-8 und 188 EU-2)
2012: 6'483 (davon 5'049 EU-17/EFTA, 1'230 EU-8 und 204 EU-2)
2013: 7'679 (davon 5'757 EU-17/EFTA, 1'646 EU-8 und 276 EU-2)
2014: 8'508 (davon 5'667 EU-17/EFTA, 2'530 EU-8 und 311 EU-2)
Zur Frage 3: "Wie gedenkt der Regierungsrat künftig diese Bewilligungspraxis zu handhaben, um
den Zuzug von qualifizierten Fachpersonen weiterhin zu gewährleisten?"
Der Regierungsrat ist überzeugt, dass mit der bisherigen und aktuellen Bewilligungspraxis die im
gesamtwirtschaftlichen Interesse liegenden Bedürfnisse der Aargauer Wirtschaft befriedigt werden
können. Das Amt für Migration und Integration Kanton Aargau sucht im Interesse der Unternehmen
und der Aargauer Wirtschafts- sowie Ansiedlungspolitik jeweils nach zielführenden Lösungen und
setzt sich bei Bedarf gegenüber dem zustimmungspflichtigen SEM aktiv für die Bewilligungs- beziehungsweise Kontingentserteilung ein. Schon bisher haben das Amt für Migration und Integration
Kanton Aargau und das Departement Volkswirtschaft und Inneres bei besonders begründeten Anliegen von Unternehmen den direkten Kontakt mit den Bundesbehörden, insbesondere dem SEM, gesucht, um sich gemeinsam mit der Wirtschaft für erfolgreiche Lösungen im gesamtwirtschaftlichen
Interesse stark zu machen. Als Anwendungsbeispiele seien bedeutende Einsätze in der Forschung,
Grossprojekte internationaler Konzerne, für den Standort Aargau wichtige Neuansiedlungen oder
ausserordentliche Einzelfälle genannt. Dank diesen direkten Kontaktnahmen konnten bisher in verschiedenen Fällen gute Ergebnisse erzielt werden. In anderen Fällen mussten der Kanton sowie das
betroffene Unternehmen oder die betroffene Branche (insbesondere die Forschung) jedoch auch zur
Kenntnis nehmen, dass gewisse Gesetzesbestimmungen den erwünschten und als sachgerecht erachteten Lösungen entgegen stehen und sich die Bundesbehörden nicht bereit zeigten, abweichende Gesetzesauslegungen zu akzeptieren oder entsprechende Änderungen in die Wege zu leiten.
Die bisherige Praxis soll auch künftig weitergeführt werden. Aufgrund der vom Bundesrat reduzierten
Anzahl Bewilligungskontingente dürfte die Gesuchprüfung in gewissen Bereichen jedoch etwas
strenger gehandhabt und an bereits vorgenommene sowie weitere zu erwartende Änderungen der
Bundespraxis angepasst werden müssen. Nebst höheren Anforderungen bei der Neuansiedlung von
Unternehmen könnte dies beispielsweise zu vermehrten unkontingentierten Bewilligungen bis maximal vier Monate (statt kontingentierten Kurzaufenthaltsbewilligungen bis 12 Monate) oder zu verstärkten Erwartungen an die Unternehmen, das inländische Arbeitskräftepotenzial zu nützen und
Arbeitsplätze für inländische Arbeitskräfte zu schaffen, führen.
Zur Frage 4: "Wie stellt sich der Regierungsrat zu den bundesrätlichen Vorschlägen für die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative?"
Der Regierungsrat hat sich in seiner Vernehmlassungsantwort vom 20. Mai 2015 zur Änderung des
Ausländergesetzes (Umsetzung von Art. 121a der Bundesverfassung sowie Anpassung der Gesetzesvorlage zur Änderung des Ausländergesetzes [Integration]) zu den bundesrätlichen Vorschlägen
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geäussert. Diese kann unter www.ag.ch > Vernehmlassungen > Vernehmlassungsantworten des
Bundes abgerufen werden.
Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 1'230.–.
Herbert H. Scholl, FDP, Zofingen: Unsere Fraktion dankt dem Regierungsrat für die sorgfältige und
ausführliche Beantwortung unserer Interpellation. Wir haben einmal mehr gesehen, dass die wichtigsten, wenn nicht praktisch alle, Anforderungen und Voraussetzungen für die Erteilung von Arbeitsbewilligungen an Ausländerinnen und Ausländer im Bundesrecht geregelt sind. Und zwar vor allem
im Ausländergesetz. Wir wissen auch, dass wir, mindestens zurzeit noch, die Personenfreizügigkeit
mit den EU-Staaten haben. Wir wissen nicht, wie sich das in anderthalb Jahren zeigen wird mit dieser Personenfreizügigkeit. Wir haben aber in der Interpellationsbeantwortung auch gesehen, dass
bei den Vollzugsbehörden, insbesondere beim Amt für Migration und Integration, durchaus Beurteilungs- und Ermessensspielräume vorhanden sind. Hier erwartet unsere Fraktion vom Regierungsrat,
dass er dieses Amt anweist, in Fällen, in denen eben ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum
besteht, konsequent Bewilligungen für gut- und höherqualifizierte Arbeitnehmende zu erteilen. Unser
Kanton gehört nicht zu den Kantonen mit einer überdurchschnittlichen Wertschöpfung. Unser Kanton
gehört auch zu den Kantonen, die Finanzausgleich beziehen und nicht bezahlen. Wir haben hier also
einen deutlichen Handlungsbedarf und die Handhabung der Arbeitsbewilligungen für ausländische
Arbeitnehmende mit höheren Qualifizierungsgraden ist eines der Mittel, das dazu führt, dass sich die
wirtschaftliche Stellung unseres Kantons verbessern wird. Wir sind mit der Antwort zufrieden, erwarten aber vom Regierungsrat, dass er auf dem Weg, den er etwas zögerlich aufgezeigt hat, konsequent weitergeht.
Vorsitzender: Herbert H. Scholl erklärt sich im Namen der FDP-Fraktion von der Antwort befriedigt.
Das Geschäft ist erledigt.
Damit schliesse ich die Morgensitzung.
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