Sie brachten einen Blinden zu Jesus

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EFG Tempelhof 18.8.2013
Pastor Norbert Giebel
Markus 8, 22-26
„Sie bringen einen Blinden zu Jesus!“
Lesung vorweg
Liebe Gemeinde,
die Menschen haben mich berührt bei dieser Heilungsgeschichte. Sie, die ihn bringen,
und er, der dann mit Jesus geht, und zuletzt auch die Jünger. Über diese drei möchte ich
reden.
(1.)
Zuerst die, die den Blinden bringen. Was sind das für Leute? Markus lässt das offen.
Aber es sind offensichtlich Menschen, denen an dem Blinden sehr liegt, den sie bringen,
und es sind Menschen, die Jesus etwas zutrauen: Sie bitten Jesus, dass er ihn berühre.
Ihn berühren, das würde reichen. Wenn Jesus ihn berührt, dann wäre ihm geholfen.
Vermutlich haben sie nichts mehr gewünscht und gehofft, als dass Jesus ihren Blinden
heilt. Sie haben gehört, dass er heilt. Sie trauen ihm alles zu. Was aber genau geschehen soll, was Jesus mit ihm machen wird, das lassen sie auch offen mit ihrer Bitte. Wenn
Jesus ihn berührte, dann würde ihm geholfen.
Es wird nicht gesagt, wie sie den Blinden gebracht haben, und auch nicht, wie sie Jesus
gebeten haben. Aber sie hatten eine Erwartung. Sie haben Jesus vertraut. Sie haben es
ihm zugetraut, dass er helfen würde. Vielleicht waren es die Eltern, die ihn gebracht haben, oder Freunde, oder andere Angehörige. Der Blinde wird sie jedenfalls gekannt und
ihnen vertraut haben. Er kannte ihre Stimmen. Er kannte ihre Hände, ihren Griff, ihre
Schritte. Oft schon hat er sich von ihren Händen führen lassen.
Wenn es seine Familie war, dann haben sie viele Jahre hinter sich, in denen sie den
Blinden versorgt haben, erzogen haben, ihn begleitet haben. Jetzt nimmt Jesus ihren
Blinden an seine Hand, und damit auch aus ihrer Hand heraus. Vorsichtig löst er ihn aus
ihren Händen. Sie müssen ihn loslassen, um den sie sich so lange gekümmert haben.
Sie stehen jetzt daneben. Jesus hat die Initiative ergriffen. Und dann dreht sich Jesus ab,
den Blinden an der Hand. Jesus geht mit ihm weg und er geht mit Jesus mit.
Die ihn gebracht haben, wissen nicht, was Jesus vorhat. Sie wissen nicht, wohin er ihren
Blinden führt, was da mit ihm geschehen wird, was Jesus mit ihm tun wird. Sie haben so
viel für ihn getan. Sie haben es doch immer gut gemeint. Sie haben vermittelt zwischen
ihm und anderen, für ihn gesprochen. Er konnte doch keinen Weg gehen ohne sie.
Sie, die ihn zu Jesus brachten, sie lassen ihn nun mit Jesus gehen. Jesus geht mit. Jesus lässt ihn diesen Weg gehen, weg von ihnen, weg von den Menschen hier. Das steht
natürlich nicht im Text, aber vielleicht hatten sie gemischte Gefühle. Sie lassen ihren
Sohn los, oder ihren Vater oder ihren Freund, und lassen ihn mit Jesus gehen. Dann
sind er und Jesus aus ihrem Blickfeld. Jesus führt ihn aus der Öffentlichkeit aber auch
weg von denen, die immer für ihn da waren.
2
Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, wen Sie zu Jesus bringen. Für wen sie beten, wen sie
tragen, mit wem sie leiden, für wen sie Hoffnung haben. Bei den meisten von uns ist es
wohl so: Wir bringen die Menschen treu und bittend zu Jesus, die wir lieben, die zu uns
gehören. Diese hier aber, haben den Blinden nicht nur zu Jesus gebracht, sie haben ihn
auch losgelassen.
Jesus hat jetzt seine eigene Geschichte mit ihm. Er ist nicht mehr in ihrer Obhut und
auch nicht mehr in ihrer Aufsicht. Sie haben ihren Teil getan. Jetzt ist Jesus dran. Und
sie können ihm vertrauen, getrost nach Hause gehen und warten, wie, als was für ein
Mensch, mit welchen Erfahrungen ihr geliebter Mensch zu ihnen zurückkommen wird.
Besonders schwer ist es, jemanden loszulassen, den man liebt, der leidet! Man kommt
sich lieblos vor. Man bekommt ein schlechtes Gewissen. Man scheut das Urteil anderer.
„Wie kannst du den loslassen, den du doch liebst, der dich doch braucht!“ Einen Blinden
einfach in Jesu Hand loslassen? Das ist schwer.
Auch unsere Kranken und unsere Schwachen dürfen wir bei Jesus loslassen. Er liebt sie
noch mehr als wir. Glauben wir das? Er hat viel mehr Möglichkeiten, sie zu trösten und
sie durch ihr Leben zu führen. Das dürfen wir glauben! Das ist die erste Ermutigung dieser Geschichte für mich. Nicht als Forderung, aber als Ermutigung: Ich darf, du darfst,
wir dürfen die Menschen, die wir lieben, getrost bei Jesus loslassen. Er wird seinen Weg
mit ihnen gehen. Ihnen zum Heil!
(2.)
Die zweite Person über die ich nachdenken will, ist er, der Blinde selbst. Er ist absolut
passiv. Er geht mit. Er lässt sich führen. Aber er sagt kein Wort. Er redet nicht. Er bittet
nicht. Er fällt nicht auf die Knie. Andere tun alles das für ihn. Sie haben es immer für ihn
getan. Sie können es besser als er.
Der Blinde hat keinen Glauben, der Berge versetzt. Kein Funken Hoffnung geht von ihm
aus. Die Hände, die ihn bis hierher geführt haben und ihn vor Jesus gestellt haben, die
kennt er. Und jetzt ist da ein Dritter. Er löst seine Hände von denen, die er kennt. Langsam, liebevoll, aber ohne Alternative.
Der Blinde soll loslassen, die ihn halten, und Jesu Hand ergreifen. Dass dieser Mann
Jesus sein soll, von dem sie ihm erzählt haben, der heilen kann, das hat er verstanden.
Aber es ist doch noch einmal etwas anderes, jetzt seine Vertrauten loszulassen und
wirklich mit diesem Jesus mitzugehen. Eine Beziehung zu Jesus aus erster Hand zu bekommen. Jetzt muss er selber Glauben zeigen. Jetzt geht er vielleicht erstmals einen
ganz eigenen Weg, weg von seiner Familie, nur mit Jesus.
Jesus führt ihn durch die Stadt. Er kennt diese Geräusche und die Gerüche. Er ahnt,
welche Kreuzung sie gerade passieren. Er sieht nichts, aber er bleibt an der Hand Jesu.
Jesus hält ihn fest und er hält Jesus fest. So gehen sie. Die Straße ist voll. Menschen
kommen ihnen entgegen. Der Blinde vertraut Jesus und geht mit, obwohl er auch nicht
weiß, wohin Jesus ihn führt und was dort mit ihm geschehen wird. Sich führen zu lassen,
das hat viel mit Vertrauen zu tun. Viel mehr noch, wenn man nicht weiß, was kommen
wird.
3
Vor der Stadt bleiben sie stehen. Jesus hat ihn aus dem Lärm herausgeführt, auch von
den Blicken und der Neugier der Menschen weg. Jesus will keine spektakuläre, sensationelle Heilung vorführen. Jesus führt ihn in die Einsamkeit, oder besser gesagt in die
Zweisamkeit. Hier geht es um Jesus und um ihn.
Ich denke an die vielen Eltern, die Jesus nachfolgen, denen Jesus alles bedeutet, und
die sich nichts mehr wünschten, als das ihre Kinder auch mit Jesus gingen, ihm vertrauten, ihre ganz eigenen Erfahrungen mit ihm machten. Bei diesem Blinden ist es so. Vielleicht waren es seine Eltern, die ihn brachten. Vielleicht hatte er durch sie von Jesus
gehört. Und jetzt geht er selber mit ihm, weg von ihnen, und macht seine ganz eigenen
Erfahrungen.
Was der Blinde dann vor der Stadt im Staub erlebt, ist zuerst einmal befremdlich, beunruhigend. Das hat er noch nie erlebt. Darauf hat ihn niemand vorbereitet. Was Jesus
jetzt mit ihm macht, das ist neu. Jesus tat Speichel auf seine Augen. Bei einer anderen
Blindenheilung hatte Jesus einen Brei aus Speichel und Erde gemacht und dem Blinden
auf die Augen gelegt. Hier steht wörtlich, dass er ihm auf die Augen spuckte!
Einen Mückenstich schmieren wir vielleicht auch noch mit Spucke ein. Das soll helfen.
Tiere lecken sich ihre Wunden. Das soll helfen. Vielleicht war das Spucken Jesu auch für
den Blinden nicht so ekelig, wie wir es heute empfinden. Vielleicht dachte er auch: Spucke soll helfen.
Und im gleichen Moment legte Jesus ihm die Hände auf. Diese Geste kannte der Blinde.
Jesus segnete ihn. Jesus bat Gott für ihn. (d.h.:) Nicht der Speichel, sondern Gott sollte
ihm helfen. Der Speichel war nur ein Zeichen! „Sieht du etwas?“ fragt ihn Jesus? Und er
hebt seinen Kopf und öffnet die Augen. „Ich sehe die Menschen, aber ich sehe sie wie
Bäume, die umhergehen.“
Ich denke an Menschen, die nach einer Narkose oder aus dem Koma aufwachen. Was
für eine Freude, wenn sie die Augen wieder öffnen. Was für eine Freude, wenn sie nur
einen Satz neu sagen. Ihnen ist das Leben neu geschenkt worden! So wird auch Jesus
sich gefreut haben und der Blinde. Er kann wieder etwas sehen. Es wird wieder. Wir
brauchen noch Geduld, „Geduld und Spucke“ sozusagen, aber es wird wieder.
Jesus legt ihm ein zweites Mal die Hand auf. Da wird er wieder zurechtgebracht und
dann kann alles ganz scharf sehen! „Geh nach Hause und geh nicht wieder in die
Stadt!“ sagt Jesus. Geh alleine. Du kannst das. Ich trau dir das zu. Übe den aufrechten,
den selbst-ständigen Gang. Und ich stelle mir vor, sie haben gefeiert zuhause, als sie
ihren „alten Sohn“ „ganz neu“ wieder hatten.
Ich weiß nicht, wo du (oder Sie) Jesu Hand nehmen und mit ihm gehen solltest. Das
weiß Jesus und das weißt du, wenn er deine Hand nimmt. Aber wenn du weißt, dass du
mit ihm gehen sollst, dann geh auch los. Vielleicht weißt du nicht einmal das Ziel, aber er
weiß es! Und er meint es gut mit dir. Lass los, was du bisher oder was dich bisher gehalten hat. Jesus wird dich führen! – Das ist der zweite Trost, den ich verspüre bei diesem
Text: Ich kann mich bei Jesus loslassen.
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(3.)
Und zuletzt spielen auch die Jünger eine Rolle in dieser Geschichte. Dazu aber muss
man sich den Zusammenhang ansehen. Direkt vor unserer Geschichte ist von der Blindheit der Jünger Jesu die Rede.
Im Aufbau des Markus-Evangeliums spielt die Blindenheilung eine besondere Rolle:
Vorher wird von der wunderbaren Speisung von 4000 Menschen erzählt. Aber weder sie
noch die Jünger verstehen dieses Zeichen wirklich. Sie staunen über das Brot, das sie
satt gemacht hat, aber sie erkennen Gottes Liebe, Treue und Güte nicht dahinter. Das
Wunder der vielen satten Menschen verändert die Jünger nicht. Sofort darauf können sie
wieder nicht vertrauen.
Als Jesus nach der Speisung mit seinen Jüngern allein ist, zeigt er seine Enttäuschung
deutlich: „Begreift ihr immer noch nicht?“ sagt er. „Habt ihr Augen und seht nicht, habt
ihr Ohren und hört nicht?" Warum können sie immer noch nicht vertrauen? Warum erkennen sie ihn nicht? Warum können sie andere Menschen und sich selbst immer noch
nicht loslassen in Gottes Fürsorge.
Nach Jesu Standpauke an die Jünger folgt unser Predigttext und nach der Blindenheilung kommt der Wandel der Jünger und Petrus bekennt in ihrer aller Namen: Du bist der
Christus! Die Blindenheilung macht die Jünger sehend. Sie brauchen auch zwei Berührungen Jesu bis ihre Augen geöffnet sind. Sie brauchen auch viele Segnungen Gottes,
bis sie endlich verstehen: Du bist der Christus!
Bei keiner anderen Heilung, die uns von Jesus erzählt wird, braucht er zwei Versuche.
Sonst klappt das immer auf Anhieb. Der Evangelist Markus wird sich schon etwas dabei
gedacht haben, wenn er uns die zwei Versuche, die hier die Heilung kostet, nicht verschweigt.
Manchmal spricht Jesus zu seinen Menschen, er will ihnen etwas Neues sagen, sie weiterführen, manchmal will er ihr Vertrauen wecken, manchmal will er sie heilen, er will ihr
Herz erreichen, sie erneuern, aber sie verstehen ihn nicht, sie ändern sich nicht nach
einem Wort nach einer Hilfe von ihm nach einem Wunder. Manche Erkenntnis und manche Heilung braucht „Geduld und Spucke“. Auch Geduld und hier auch Spucke auf Jesu
Seite!
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Sie brachten einen Blinden zu Jesus. Zwei Mal berührt er ihn, bis er sehend wird.
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Wir dürfen Menschen in ihrer Not zu Jesus bringen und dürfen sie bei ihm loslassen.
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Wir dürfen uns selber bringen oder bringen lassen. Er führt uns hinaus und er heilt
uns. Wir dürfen uns in seine Hände geben.
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Und manches braucht Zeit, bis er es ganz geheilt hat. Dann ist Geduld von Nöten.
Wir dürfen uns freuen über kleine Schritte und wir dürfen ihm vertrauen, dass er uns
bis zum Ende führt.
Amen.
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