reportage_-_tonstudio - Gymnasium Kirchenfeld Wiki

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5.4.2011
Music: real or fake?
Ein Tag mit Thomas Gabriel, der in Sarnen (Obwalden) das grösste Tonstudio der Schweiz betreibt.
Das verlassene Studio
Die Hektik der Stadt
weicht, langsam aber sicher, der ruhigen Atmosphäre des Landes. Immer
weiter in den Nebel, immer weiter ins Unbekannte, das Ziel ist beinahe
erreicht. Umgeben von
Tannen, Wiesen und
zwei, drei Häusern steht
es ganz verlassen da: das
Tonstudio von Thomas
Gabriel.
Das ehemalige Baugeschäft sieht von aussen
sehr unspektakulär aus. Es
liegt inmitten einer verlassenen Gegend. Umgeben von Wald, Wiesen
und Kühen, wirkt es sehr
ruhig und friedlich. Nie
würde man erwarten, dass
in diesem Gebäude schon
etliche Musiker, Bands
und Ensembles ihre Alben aufgenommen haben.
Beim Eingang, gleich
rechts, befindet sich der
grosse Aufenthaltsraum.
Früher
wurde
dieser
Raum vor allem für Lastwagenreparaturen benötigt. Mit einigen Sofas,
Tischen und einem Selectaautomaten, der für
jeden Geschmack etwas
zu bieten hat, ist er bequem eingerichtet. WC
und Küche sind selbstverständlich auch vorhanden,
allerdings sind diese im
gegenüberliegenden
Raum.
Der Besitzer, Thomas
Gabriel, empfängt uns
mit einem freundlichen
Lächeln und führt uns in
den wichtigsten Teil des
Gebäudes, seines ganzen
Stolzes: der Aufnahmeraum. Man bestaunt ein
technisch perfekt einge-
richtetes Tonstudio mit
verschiedenen
Räumen
für mehrspurige Aufnahmen. Diese Räume unterscheiden sich in Grösse
und Einrichtung, sodass
sich der entsprechende
Musiker darin wohl fühlt.
Mühsamer Aufbau
Nun ist es an der Zeit,
den Aufnahmeraum für
die 14 Musiker einzurichten. Je nach dem kann
dies bis zu vier Stunden
dauern. Zu allererst muss
sich Gabriel über die Instrumentenbesetzung informieren. Danach wird
Umgebung des Tonstudios in Sarnen
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denn sie steckten einige
Die Jugend Big Band Crazy Hoppers
mit dem Aufbau begonnen. Dies verläuft folgendermassen: Die schweren,
bequemen Stühle werden
so eingereiht, dass sie auf
die verschiedenen Instrumente gut abgestimmt
sind. Davor werden die
eleganten, schwarzen Notenständer hingestellt. Als
drittes sind die Kopfhörer
an der Reihe. Schön und
ordentlich plaziert man
sie auf die Stühle. Sie sind
einerseits dafür da, die
einzelnen Instrumente als
„Tutti“ bzw. als Ganzes
hören zu können, andererseits um mit dem Tonmeister kommunizieren
zu können. Natürlich dürfen auch die Mikrofone
nicht vergessen gehen.
Von diesen existieren
verschiedenste Arten, die
für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden.
Jetzt wird es unordentlich.
Die Kopfhörer und die
Mikrofone werden verkabelt.
Sobald man hier nicht
aufpasst und Acht gibt,
findet man sich in einem
riesigen
Kabeldurcheinander wieder. Sobald
alles richtig verkabelt und
nachkontrolliert ist, ist
auch der letzte Aufbauschritt
abgeschlossen.
Bevor die Big-Band ankommt, wird noch ordentlich gegessen, damit
genug Energie für den
Rest des Tages vorhanden
ist.
Die „Jugend“ Big Band
Um 13.15 Uhr treffen
unsere Musikanten ein. Es
grenzt an ein Wunder,
dass sie pünktlich sind,
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Die Crazy Hoppers sind
eine Jugend Big-Band mit
Mitgliedern im Alter von
13 bis 20 Jahren. Die sogenannten „Crazys“ gehören zu den Brass Hoppers,
einer grösseren Musiktruppe. Saxophon, Trompete, Posaune, E-Bass, EGitarre,
E-Piano
und
Schlagzeug; diese Instrumente werden durch die 14
begeisterten
Mitglieder
vertreten. Die Anforderungen um den Crazy
Hoppers beizutreten, sind
mindestens vier Jahre Instrumentalunterricht, grosse Motivation und Leistungsbereitschaft,
sowie
Mitgliedschaft in anderen
Formationen. Um Mitglied
in der Big Band zu werden, ist es notwendig, eine
Aufnahmeprüfung zu absolvieren. Die Gruppe
spielt verschiedene Musikstile, vor allem Swing, Pop
und Rock. Geprobt wird
einmal pro Woche für
Veranstaltungen
wie
Schulfeiern, Geburtstage
und Firmenanlässe. Die
Leitung liegt bei Hansruedi Probst.
Zeit im Stau bei Luzern
fest. Einmal im Inneren
des Gebäudes angekommen,
ruft
Hansruedi
Probst, der Leiter der
Truppe: „Hallo! Ist jemand da?“.
Er wird herzlich von Gabriel empfangen und fragt:
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„Wo söue d’Kidis iri Sache härästeue?“
Aus der von aller erwarteten Jugend Big Band wird
eine Kinder Big Band.
Die jungen Schüler und
Schülerinnen
stürmen
ganz aufgeregt in den
Aufnahmesaal, schliesslich machen sie zum ersten Mal eine professionelle Aufnahme und sind
dementsprechend
auch
zum ersten Mal in einem
solchen
hochmodernen
Tonstudio. Bisher wurden
nur
Live-Aufnahmen,
ohne hochwertige Qualität, an ihren Konzerten
gemacht.
Nun sind alle bereit für
den Soundcheck. Dieser
ist sehr langwierig, mühsam und anstrengend. Der
Tonmeister Thomas Gabriel ist hoch konzentriert,
da er von jedem einzelnen
Instrument den Klang
korrekt einstellen muss.
Sei es ein heller oder ein
dunklerer, mit oder ohne
Hall. Der Schlagzeuger
hat die Ehre als Erster los
zu hämmern. Der Junge
spielt, während Gabriel
das Snare, den Bassdrum
und die verschiedenen
Trommeln einzeln ‚herauszieht‘ und anhört. So
analysiert und korrigiert
er den Sound, damit dieser für die entsprechende
Musikrichtung geeignet
ist. In diesem Job braucht
man also einen gut ausgeprägten Gehörsinn. Gabriel spielt mit den etlichen
Knöpfen auf dem Mischpult, als wäre es das Einfachste der Welt, bis er
zufrieden ist und dem
Schlagzeugspieler
die
Erlaubnis gibt, sich zu
erholen. Beim Piano muss
nur der Hall herausgenommen werden. Ansonsten ist Gabriel mit dem
Piano zufrieden und auch
beim E-Bass hat er nichts
auszusetzen. Bei den Bläsern jedoch treten die ersten Probleme auf: In der
hinteren Reihe hören die
Trompetenspieler Gabriel
nicht. Doch bald ist auch
dieses Problem behoben.
Die Kabel wurden nicht
richtig
angeschlossen.
Während Gabriel die einzelnen Einstellungen auf
seinem Computer speichert, albern die Kidis
herum. Die Mikrofone
faszinieren sie. Wie es
üblich ist, fummeln sie an
den Mikrofonen herum
und schicken einander
lustige Faxen zu. Für die
fünf Saxophone gibt es
keinen Einzelsoundcheck;
alle miteinander spielen
sie synchronisiert. Um
konzentriert im Mischzimmer arbeiten zu können, dreht Gabriel das
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Volumen herunter, sodass
er das irritierende GeThomas Gabriel studierte am Konservatorium
Luzern Klavier, Posaune
und Blasmusikdirektion.
An der Jazzschule Luzern bildete er sich in
Arranging, Gesang und
Klavier weiter und vollendete gleichzeitig den
Tonmeisterassistentenkurs in Zürich. Er war
Mitglied in diversen
Musikensembles, unter
denen in der Swiss Army
Big Band und der JazzFormation „JazzImPuls“.
In seinem Tonstudio, das
er in der Nähe von Sarnen eröffnete, nahm er
schon Musiker wie Katharina Michel, Florian
Ast und Francine Jordi
auf so wie Projekte vom
Schweizer Fernsehen und
Radio DRS.
dröhne der schwatzenden
Musikanten nicht hört.
Gleich neben dem verschiebbaren Knopf fürs
Volumen befindet sich ein
rechteckiger,
weisser
Knopf, mit dem Gabriel
über die Kopfhörer mit
ihnen
kommunizieren
kann. Die fünf Trompeten
klingen alle etwas anders,
daher müssen bei ihnen
die Mikrofone neu eingestellt werden. Als alle
zusammen spielen, stellt
sich heraus, dass der Bass
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einen unangenehmen Ton
von sich gibt. Die Lösung
gegen dieses Rauschen sit
schnell gefunden. Gabriel
schnappt sich ein Lehle
P-Splitt und schliesst ihn
am Bass an.
Musik ab
Um sich ein bisschen aufzuwärmen und sich an das
spielen mit Kopfhörer und
Mikrofone zu gewöhnen,
spielt die Big Band zuerst
den Song Lollipop. Das
hört sich schon gut an; die
Vorfreude auf die DemoLieder steigt. Jedoch läuft
nicht alles einwandfrei.
Der Schlagzeuger ist zu
klein um über die Schalldämpferwände
hinweg
den Dirigenten zu sehen.
Doch dieses Problem ist
schnell behoben und man
kann nochmals beginnen.
Während sie spielen, stellt
Gabriel die Lautstärke
von jedem einzelnen Instrument ein. Dazu hat er
zwei Bildschirme. Auf
dem einen kann er die
Lautstärke eines jeden
Instrumentes einstellen,
auf dem anderen ist der
Zeitverlauf zu sehen. Der
Dirigent beschliesst, mit
dem für die Aufnahme
vorgesehenen Stück, „Get
over it“ zu beginnen.
Zuvor hat er Gabriel noch
die Noten zugesteckt.
Sobald die Band zu spielen beginnt, hören alle
gebannt zu. Gabriel jedoch muss laufend weitere Einstellungen vornehmen. Daher hat er keine
Zeit, die Musik einfach
nur zu geniessen. Ab und
zu stellt er ein Instrument
leiser und ein anderes
dafür lauter. Nebenbei
betrachtet er kritisch die
Noten. Der Dirigent hingegen scheint es gemütlich zu nehmen. Anstatt
vor seinem Orchester zu
stehen und die einzelnen
Einsätze wie auch den
Takt anzugeben, sitzt er
auf einem Stuhl am Rand
und gibt nur ab und zu ein
paar Handzeichen. Wie
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Das Mischpult
Gabriel studiert auch er
aufmerksam die Noten.
Nachdem das ganze Stück
durchgespielt und aufgenommen ist, möchte es
sich der Dirigent anhören.
Dazu kommt er ins
Mischzimmer. Die beiden
Männer hören sich das
Stück mit einem skeptischen Blick auf die Noten
an. Das Tempo ist zu Beginn noch ziemlich gut,
wird dann aber rasant
schneller. Laut Dirigent
ist das eine Schwäche
dieser Gruppe. Trotzdem
will er es noch einmal
versuchen. Nachdem die
Gruppe es noch einmal
gespielt hat, haben sie
sich 10 Minuten Pause
verdient.
Der Dirigent
und Gabriel haben jedoch
keine Pause. Zusammen
hören sie sich das Stück
nochmals an. Beim zweiten Anhören fällt ihnen
auf, dass das Piano im 13.
Takt auf den dritten anstatt auf den vierten
Schlag spielt. Das kann
man nicht so stehen lassen. Die Pianistin wird
nochmals geholt, um ein
paar Takte alleine zu spielen. Man könnte mit dem
PC zwar ein bisschen mogeln, aber die Big Band
will es dennoch ein weiteres Mal versuchen. Mit
der Unterstützung der
Bassistin, einigen Anläu-
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fen und einem geänderten
Pianosound ist der Dirigent letztlich zufrieden.
Die anderen trudeln nach
und nach ein, da die bei
allen sehr beliebte Pause,
langsam aber sicher, dem
Ende zu geht. Das Anfangsstück
wird noch
einmal gespielt, bis es
allen aus den Ohren hängt
und der Dirigent endlich
beschliesst, das zweite
Stück zu beginnen. Das
fetzige Lied erinnert einen
an das wohlbekannte „Hit
the road Jack“, nennt sich
aber „Baja Breeze“. Man
bewegt sich automatisch
zum mitreissenden Beat
des Stücks. Das gefällt
Gabriel nun weniger,
denn sobald sich die
Trompetenspieler bewegen, spielen sie nicht
mehr gleichmässig ins
Mikrofon. Bei diesem
Stück bleibt der Dirigent
vorne stehen, um Takt
und Einsätze anzugeben.
Beim Anhören stellt er
dann aber fest, dass der
57. Takt etwas eigenartig
klingt. Deshalb müssen
sie noch einmal von Takt
49 bis
zum Schluss
spielen, damit man es
danach nur noch zusammenschneiden
muss.
Nachdem es nochmals
gespielt wurde, herrscht
Stille im grossen Aufnahmeraum. Ab und zu
hört man jemanden flüstern oder sich räuspern.
Alle wissen, dass sie mit
der Arbeit noch nicht fertig sind. Tatsächlich will
Gabriel das dritte Solo des
Tenor Saxophons noch
einmal aufnehmen. Er
spielt einige Takte des
schon
aufgenommenen
Stückes vor dem Saxophonsolo ab, sodass die
Instrumente
rechtzeitig
einsetzen können. Nachdem alle mit dem zweiten
Stück
zufrieden sind,
beginnen sie noch mit
dem dritten: „Chattanooga
Choo-Choo“. Der Dirigent gibt nur wenige Anweisungen und bewegt
sich zum Takt der Musik.
Nach dem ersten Durchgang ist wieder eine Pause
angesagt. Auch in dieser
Pause hört sich der Diri-
gent das Stück sehr konzentriert an. „Die Präzision ist gut, aber sie sind zu
schnell“, sagt er zu Gabriel. Deshalb will er einen
weiteren Durchlauf versuchen. Einzelne Teile werden nochmals geprobt,
ohne dass eine Aufnahme
davon gemacht wird. Es
dauert jedoch nicht lange
und der Dirigent ist definitiv zufrieden: „ Wir
lassen es so stehen“.
Nachdem dieser Satz ausgesprochen ist, spielen die
Kidis noch ein bisschen
für sich und beginnen
dann langsam ihre sieben
Sachen zusammenzuräumen.
Feierabend? Schön
wär‘s!
Für sie ist das einzigartige
Verschiedene Mikrofone, Stühle und der BösendorferFlügel
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Erlebnis im Tonstudio zu
Ende, doch für Gabriel ist
die Arbeit noch nicht getan. Sobald sich die Truppe auf ihren Heimweg
begibt, setzt er sich wieder an sein Mischpult und
kann nun mit dem Abmischen beginnen. Normalerweise wäre der Dirigent einer Gruppe bei
dieser Arbeit auch beteiligt, aber in diesem Fall
kehrt er, wie die anderen
auch, nach Hause zurück
und überlässt Gabriel diesen Teil der Arbeit.
Jetzt sind aber nicht mehr
die diversen Knöpfe und
Schalter am Mischpult
gefragt, sondern nur noch
der gewöhnliche Computer. Die Frequenzen der
verschiedenen Instrumente werden nun aufeinander abgestimmt. Hier darf
Gabriel selbständig, ohne
ständige Rückfrage an die
Musiker, entscheiden, wie
er etwas einstellen will.
Es wird jede Spur einzeln
bearbeitet, sodass jedes
Instrument seinen Platz
hat und sich die Frequenzen nicht überlappen.
Blau, grün, gelb, rot - auf
dem Computer wird das
Verfahren mit Hilfe von
verschiedenfarbiger Spuren, eine für jedes Mikrofon, anschaulich gemacht.
Es werden zum Beispiel
diverse Einstellungen am
Schlagzeug ausprobiert.
Auf die eine Art klingt es
wie in einer Kartonschachtel, auf die andere
Art offen, behauptet jedenfalls Gabriel. Doch als
Laie hört man den Unterschied nicht. Anscheinend
hat man als Tonmeister
wirklich ein ausgeprägtes
Gehör. Auch ob eine bestimmte Trommel des
Schlagzeugs
jetzt
„schlank“ oder „trocken“
ist, oder ob sie mehr oder
weniger „drive“ hat, würde einem beim Musikhören nicht auffallen, hat
man zumindest das Gefühl. Das Klavier klingt
für Gabriels Geschmack
teilweise zu muffig, aber
auch das kann einfach
verändert werden. Sogar
Fehler wie falsche Noten
oder zu späte Einsätze
können mit nur einem
Mausklick und einem
Knopfdruck spurlos verschwinden. Dieser Prozess kann bei grossen
Produktionen über vier
Stunden dauern. Da diese
Aufnahme aber nur eine
Demo CD ist, kann es
sich Gabriel erlauben,
etwas weniger ausführlich
zu korrigieren, sodass es
schlussendlich „nur“ eine
Stunde dauert.
Währenddessen sind die
Eltern von Gabriel noch
kräftig am
Arbeiten.
6
Durch das Fenster zwischen Aufnahme- und
Mischraum
beobachtet
man, wie sie alles wieder
ordentlich
wegräumen.
Stühle, Notenständer und
Kopfhörer werden schnell
und zielbewusst wieder an
ihre Plätze zurückgestellt,
sodass sie für die nächste
Aufnahme wieder griffbereit sind. Auch ihr Hund
springt freudig hin und
her und rennt in Kreisen
zwischen ihren Beinen
hindurch, wohl eher störend als hilfreich. Wenn
alles zurück im Originalzustand ist, muss nur noch
das Licht gelöscht und die
Tür geschlossen werden,
dann ist die Arbeit für alle
beendet.
Lena Maurer
Sabine Hall
Rahel Malmström
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