Friedrich-Schiller-Universität Jena Institut für Politikwissenschaft Proseminar: Das Politische System der BRD Modul: POL210 Leitung: Sven Leunig Sommersemester 2015 Die umstrittene Relevanz des Bundespräsidenten unter Berücksichtigung der Amtsinhaber Heuss und Heinemann 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung…………………………………………………………………3 2. Hauptteil…………………………………………………………………..4 2.1. Die Verfassungsrechtliche Grundlage……………………………….4 2.1.1. Die Kompetenzen des Weimarer Reichspräsidenten…………4 2.1.2. Die Konsequenzen des Parlamentarischen Rates……………..4 2.1.3. Die Kompetenzen des Bundespräsidenten ……………………5 2.2. Theodor Heuss………………………………………………………..7 2.2.1. Kurzbiographie…………………………………………………7 2.2.2. Die Amtsführung……………………………………………….8 2.3. Gustav Heinemann…………………………………………………...10 2.3.1. Kurzbiographie………………………………………………..10 2.3.2. Die Amtsführung…………………………………………...…11 3. Schluss…………………………………………………………………….13 4. Literaturverzeichnis……………………………………………………….14 2 1.Einleitung Die Notwendigkeit des Amtes des Bundespräsidenten wird in der Öffentlichkeit seit ihrer Schaffung durch das Grundgesetz regelmäßig diskutiert. So werden in der Debatte um Skandale von Bundespräsidenten, wie in der Affäre um Christian Wulffs umstrittene Eigenheimfinanzierung, oder vor jeder Bundespräsidentenwahl durch die Bundesversammlung, Argumente angeführt, die auf die Nichtigkeit und Bedeutungslosigkeit des Amtes hinweisen, oftmals mit der Empfehlung, dieses Amt abzuschaffen. Auch in wissenschaftlichen Kreisen wird dem Amt des Bundespräsidenten jegliche gestalterische und bedeutende Funktion abgesprochen.1 Daher widme ich mich der Forschungsfrage, ob das Amt des Bundespräsidenten in einer parlamentarischen Demokratie aufgrund dessen kaum politisch relevanter Kompetenzen überflüssig ist. Dabei stelle ich die These auf, dass gerade aufgrund der geringen politischen Kompetenzen der Bundespräsident je nach Charakter des Amtsinhabers eine moralische Deutungshoheit über wichtige aktuelle gesellschaftliche Debatten haben kann. Um diese Frage zu klären werde ich mich zuerst den Erfahrungen aus der Weimarer Republik widmen um die heutige verfassungsrechtliche Stellung des Bundespräsidenten in der BRD erklären zu können. Daher werde ich in dem Sinne auch die Kernkompetenzen des Bundespräsidenten anhand des Grundgesetzes erläutern, um zu zeigen, wieviel politische Macht der Bundespräsident tatsächlich innehat. Im Weiteren werde ich mich mit einigen ausgewählten Bundespräsidenten befassen, um ihre Stellung als Impulsgeber und moralische Instanz in gesellschaftlichen Debatten aufzuzeigen. Im Schluss werde ich dann die Forschungsfrage und die aufgestellte These beantworten. 2. Hauptteil 1 Rausch, Heinz, Der Bundespräsident, München 1984, S.15. 3 2.1 Die Verfassungsrechtliche Grundlage 2.2 Die Kompetenzen des Reichspräsidenten Der Reichspräsident der Weimarer Republik wurde durch die Weimarer Reichsverfassung mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet und war so, anders als das Amt des Bundespräsidenten in der BRD, ein Gegengewicht zum Parlament. So wurde der Reichspräsident direkt vom Volk für 7 Jahre gewählt und war demnach unmittelbar demokratisch legitimiert. Er ernannte und entließ die Reichsregierung und Beamten, er konnte den Reichstag auflösen und konnte Plebiszite über vom Reichstag beschlossene Gesetze ausrufen. Zudem besaß er den Oberbefehl über die Wehrmacht und konnte bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit Maßnahmen zur Behebung dieses Zustandes ergreifen.2 2.3 Die Konsequenzen des Parlamentarischen Rates Da diese umfangreichen Kompetenzen des Reichspräsidenten erheblich zum Untergang der Weimarer Republik und zum Aufstieg des NS-Regimes beigetragen haben, wurde durch den Parlamentarischen Rat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine sehr viel schwächere Position des Bundespräsidenten im Regierungssystem vorgesehen, um eine stabile Demokratie und eine leistungsfähige Verfassung zu konstruieren, die die Selbstauflösung des demokratischen Systems unmöglich machen soll.3 2.3 Die Kompetenzen des Bundespräsidenten 2 Vgl. Weimarer Reichsverfassung, Art. 25, 46, 47, 48, 53, 73. Vgl. Mehlhorn, Lutz, Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich, Baden-Baden 2010, S.62. 3 4 So wird der Bundespräsident der BRD durch die Bundesversammlung für eine 5 jährige Amtszeit gewählt. Da die Bundesversammlung zur Hälfte aus Mitgliedern des Bundestages und zum gleichen Teil aus Mitgliedern besteht, die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden, wird so eine direkte Legitimierung des Staatsoberhaupts vermieden, der zum legitimierten Gegengewicht zum Bundeskanzler sich hätte entwickeln können. Zudem ernennt der Bundespräsident nun nur noch rein formell die Bundesregierung, da sich sein Widerstand gegen einzelne Minister nicht bedingungslos durchsetzen lässt und der Fokus hierbei auf der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers liegt. Der Handlungsspielraum des Bundespräsidenten bemisst sich in diesem Fall nur auf Angelegenheiten, die die Autorität des Staates berühren.4 Auch das Recht auf Auflösung des Parlamentes wurde stark beschränkt und ist durch den Bundespräsidenten nur möglich, wenn nach einer Bundestagswahl keine Mehrheit für eine Wahl eines Bundeskanzlers zusammenkommt, oder wenn der amtierende Bundeskanzler den Bundespräsidenten nach einer gescheiterten Vertrauensfrage um die Auflösung des Bundestages bittet. Bei der Ausfertigung von Gesetzesvorlagen durch den Bundestag hat der Bundespräsident nur noch das Recht auf Prüfung auf formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit, Plebiszite sind nicht möglich. Außerdem liegt der Oberbefehl über die Streitkräfte im Friedensfall bei dem Verteidigungsminister und im Kriegsfall bei dem Bundeskanzler. 5 Außerdem wurde das Notverordnungsrecht nach Art. 48 WRV im Grundgesetz abgeschafft, da diese sogenannte „Diktaturgewalt“ des Reichspräsidenten nicht in den Charakter einer parlamentarischen Demokratie zu passen schien. Er wurde lediglich durch ein stark abgeschwächtes Recht, den Gesetzgebungsnotstand, wieder aufgenommen. Dieser erfordert allerdings, dass ein Gesetz auf Vorschlag der Bundesregierung dem Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt wird, falls in Krisenzeiten der Bundesrat diesem Gesetz die Zustimmung verweigert. Der Gesetzgebungsnotstand ist somit nur im 4 Vgl. von Beyme, Klaus, das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2010, S. 332. 5 Vgl. Art. 54, 60, 63, 64, 65a, 68 und 115b GG. 5 Ansatz mit dem Notverordnungsrecht des Weimarer Reichspräsidenten vergleichbar.6 Trotz der im Vergleich zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik bescheiden ausfallenden Kompetenzen des Bundespräsidenten der BRD beinhaltet dieses Amt ausreichend Rechte und Einflussmöglichkeiten, obwohl sich im verfassungsgebenden Parlamentarischen Rat die Auffassung durchsetzte, mit dem Amt des Bundespräsidenten nur ein Repräsentativorgan zu schaffen7. So besitzt er das Recht, den Staat völkerrechtlich nach außen hin zu vertreten sowie im Inneren beratend und vermittelnd zwischen verschiedenen politischen wie gesellschaftlichen Kräften zu wirken.8 Man könnte so die Forschungsfrage, ob das Amt des Bundespräsidenten überflüssig sei, scheinbar vorläufig mit Nein beantworten, jedoch hängt die tatsächliche Machtfülle innerhalb des Amtes von der jeweiligen Ausfüllung durch die Charaktere der Bundespräsidenten stark ab. Die Relevanz des Amtes schwankt so zwischen bedeutend und unbedeutend, je nachdem wie sehr der Amtsinhaber gestaltenden Einfluss innerhalb der Politik und der Gesellschaft ausüben will. 6 Vgl. Rausch, Heinz, S. 55 Ebenda, S.51. 8 Ebenda, S. 5. 7 6 2.2 Theodor Heuss 2.2.1 Kurzbiographie Theodor Heuss wurde am 31. Januar 1884 in Brackenheim im heutigen BadenWürttemberg geboren als Sohn eines Baumeisters geboren. Er besuchte in Heilbronn die Volksschule und später das Karlsgymnasium, an dem er 1902 das Abitur machte. Da er aufgrund einer Verletzung für untauglich erklärt wurde, musste er nach dem Abitur nicht am Militärdienst teilnehmen. Daher konnte er ein Studium der Kunstgeschichte und Staatswissenschaften in Berlin und München absolvieren. Danach war Heuss unter anderem als politischer Redakteur und später Chefredakteur für mehrere Zeitungen tätig. Am 11. April 1908 wurde er von Albert Schweitzer mit Elly Heuss-Knapp getraut, mit der er einen Sohn hatte. Sein Leben in der Politik begann, als er jeweils von 1924-1928 und von 19301933 als Mitglied Reichstagsabgeordneter. der In Deutschen dieser Funktion Demokratischen stimmte er auch Partei dem Ermächtigungsgesetz 1933 zu und verbrachte die folgenden Jahre unter dem Nationalsozialistischen Regime als Buchautor. Von der Bücherverbrennung 1933 wurde auch er persönlich betroffen, da drei seiner Werke vom Regime indiziert und verbrannt wurden. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war er Mitgründer der Demokratischen Volkspartei und wurde 1945 von der amerikanischen Besatzungsregierung zum Kultusminister des heutigen BadenWürttembergs ernannt. Außerdem wurde Heuss 1948 zum Ersten Parteivorsitzenden der FDP gewählt, die aus verschiedenen liberalen demokratischen Parteien entstand. Am 12. September wurde Heuss zum Ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland (BRD) gewählt.9 Heuss starb am 12.Dezember 1963 in Stuttgart.10 9 Winter, Ingelore M., Unsere Bundespräsidenten – Von Theodor Heuss bis Johannes Rau, Düsseldorf 1999, S. 14. 10 Vgl. Kohler, Adolf, Der Republik ins Gewissen – Die Bundespräsidenten zur Besinnung in der Politik, Freiburg im Breisgau 1989, S.11. 7 2.2.2 Die Amtsführung von Theodor Heuss Der Erste Bundespräsident der BRD, Theodor Heuss, musste aus dem Status Quo der jüngst gegründeten Bundesrepublik heraus ein Amt füllen, das stark unter der Vergangenheit zu leiden hatte. Er wollte dabei auf keinen Fall in die Tradition der Weimarer Reichspräsidenten zurückfallen, die teilweise die stärkste politische Kraft innerhalb der Weimarer Republik zurückfielen.11 Er interpretierte daher die Rolle des Amtes sehr zurückhaltend und besaß ein rein repräsentatives Amtsverständnis und wollte daher in „kritischen Situationen einfach da […] sein.“12 Heuss machte es zum Ziel seiner Amtszeit, die unterschiedlichen Teile der Bevölkerung von den Vorteilen einer parlamentarischen Staatsform mit all seinen Rechten und Verpflichtungen zu überzeugen und so das Vertrauen zu einem funktionierenden Staat wiederherzustellen, indem er an vorhandene Traditionen anzuknüpfen versuchte, die in der Vergangenheit funktionierten und aus der langen parlamentarischen Tradition der Deutschen stammten, und indem er alte, vom Nationalsozialismus missbrauchte Traditionen durch neue, bundesdeutsche zu ersetzen. Um dies zu verwirklichen, wählte Heuss vor allem die Mittel der Symbolik. So befasste er sich ausführlich mit der Ausarbeitung einer neuen Nationalhymne, ohne den nicht mehr zeitgemäßen nationalistischen Pathos des Liedes der Deutschen, dass Hoffmann von Fallersleben 1841 verfasste. Zudem setzte er sich für die Stiftung von Orden ein, die die Leistungen der Bürger im politischen, gesellschaftlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Bereichen des öffentlichen Lebens honorieren sollte, um so vor allem auch Intellektuelle stärker in den Staat zu integrieren. Zusätzlich zu den öffentlichen Bemühungen des ersten Bundespräsidenten der BRD, ein neues Verständnis 11 Ebenda, S. 15. Vgl. Pikart, Eberhard, Die Rolles des Bundespräsidenten in der Kanzlerdemokratie, Stuttgart 1976, S.39. 12 8 für einen deutschen Staat zu etablieren, so engagierte er sich noch für zeitgemäße Gestaltung z.B. von Briefmarken oder Uniformen der Bundeswehr oder setzte sich für den Wiederaufbau des Germanischen Nationalmuseums ein, um die Deutungshoheit der deutschen Geschichte wieder zurückzugewinnen. 13 Ein weiteres Mittel der Politik war für Theodor Heuss unzweifelhaft die politische Rede, er hielt 775 Reden während seiner zehnjährigen Amtszeit und setzte sich so für die Aussöhnung mit ehemaligen Kriegsgegnern, Solidarität mit den Menschen in der DDR und versuchte, die Nazivergangenheit aufzuarbeiten. Trotz des repräsentativen Charakters seiner Amtsführung versuchte Heuss mehrfach, Einfluss auf Bundeskanzler Konrad Adenauer auszuüben, etwa bei der Ernennung von Ministern oder Hohen Beamten. Adenauers Widerstand sorgte im Nachhinein dafür, dass die Bundesrepublik gemeinhin als Kanzlerdemokratie verstanden wird und dass die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers durchaus seine Gültigkeit besitzt.14 Auch wenn Heuss‘ politisches Werk in der Nachwelt nicht unbestritten ist, prägte er das Nachkriegsdeutschland trotz eines zurückhaltenden Amtsverständnisses bedeutend. Unter ihm festigte sich „die deutsche Demokratie […]nach innen und gewann Ansehen nach außen“15. 13 Vgl. van Ooyen, Robert Chr., Möllers, Martin H.W., Der Bundespräsident im politischen System, Wiesbaden 2012, S. 172f. 14 Vgl. Lenski, Daniel, Von Heuss bis Carstens – Das Amtsverständnis der ersten fünf Bundespräsidenten unter besonderer Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen, Leipzig und Berlin 2009, S. 43 ff. 15 Vgl. Hamm-Brücher, Hildegard, Gerechtigkeit erhöht ein Volk – Theodor Heuss und die deutsche Demokratie, München 1984, S.53. 9 2.3 Gustav Heinemann 2.3.1 Kurzbiographie Gustav Heinemann wurde am 23.07.1899 in Schwelm an der Ruhr als Sohn eines Krupp-Arbeiters geboren. Seine Familie und seine Vorfahren waren zum Großteil radikaldemokratisch eingestellt, so nahm sein Großvater an der Märzrevolution 1848 teil. Mit 2 Jahren zog Heinemann mit seiner Familie in die Industriemetropole Essen. Das Leben dort beeinflusste seinen Werdegang bedeutend. Nachdem er 1917 ein verkürztes Kriegsabitur auf einem Essener Gymnasium absolvierte, wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Der von der Kriegseuphorie erfasste Heinemann erlebte allerdings nie die Front, da er während seiner Richtkanoniers Ausbildung an Fiber erkrankte, welches sich nicht bedeutend besserte. Danach leistete er in den Essener Krupp Werke seine Dienstpflicht. Aufgrund seiner liberal-demokratischen Familiengeschichte symphatisierte Heinemann nach dem Krieg mit dem liberalen Lager und unterstützte die Deutsche Demokratische Partei. Heinemann fing ab 1919 ein Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an und promovierte bereits 1922. 1929 schloss er seine Promotion als Dr. jur. ab und arbeitete fortan als Justitiar und Prokurist in den Rheinischen Stahlwerken in Essen. 16 1926 heiratete er Hilda Ordemann. Durch diese Begegnung wandte er sich dem Christentum zu und engagierte sich im Christlich-Sozialen Volksdienst, bis dieser 1933 aufgelöst wurde. In der Zeit der Nationalsozialistischen Diktatur bewahrte Heinemann Distanz zur NSDAP, auch wenn er als stellvertretendes Vorstandsmitglied eines Rüstungskonzerns verschiedenen NS-Organisationen beitrat. Dass er dies nur aus Alternativlosigkeit tat, beweist sein Engagement in der Bekennenden Kirche, eine innerkirchlichen 16 Vgl. Winter, S. 84f. 10 Widerstandsbewegung gegen die Gleichschaltung im Dritten Reich. Nach Kriegsende war Heinemann an der Gründung der CDU maßgeblich beteiligt, er wurde zudem 1946 zum Oberbürgermeister von Essen gewählt und 1947 zum Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen ernannt. Schließlich ernannte ihn Konrad Adenauer 1949 zum Innenminister der ersten Regierung der BRD. Nach mehreren kleineren Auseinandersetzungen mit dem Bundeskanzler trat Heinemann schon 1950 von seinem Posten zurück und gründete 1952 die Gesamtdeutsche Volkspartei. Nach dessen andauernder Erfolgslosigkeit trat er schließlich 1957 der SPD bei. Sein Aufstieg in der SPD war steil, so wurde er bereits kurz nach seinem Eintritt in den Fraktions- und Parteivorstand gewählt.17 Er erhielt sein zweites Ministeramt 1966 in der Großen Koalition, diesmal als Justizminister. Heinemann starb am 7. Juli 1976 in Essen. 2.3.2 Die Amtsführung Gustav Heinemanns Gustav Heinemann wollte sich, im Gegensatz zu Heuss, nicht als reiner Repräsentationspräsident verstanden sehen und galt daher bei vielen als unbequemer Präsident. Dies rührt allerdings nicht daher, dass Heinemann oftmals von seinen Prüfungsrechten Gebrauch machte, da er während seiner fünfjährigen Amtszeit nur zwei Personalentscheidungen bemängelte, sondern hängt vor allem mit seinen öffentlichen Äußerungen als Bundespräsident zusammen. So erregte er viel Aufsehen, als er 1969 nach seiner Wahl von einem Machtwechsel sprach, da er der erste Bundespräsident war, der aus der Opposition heraus gewählt wurde. Dabei blieb offen, ob Heinemann damit tatsächlich vom Amt des Bundespräsidenten sprach oder ob er damit eine künftige sozialliberale Koalition andeuten wollte.18 Prägender allerdings war Heinemanns Haltung zur Protestbewegung der Jugend in den 1960er Jahren. So empfing er 1971 Vertreter der 17 18 Vgl. Möllers, S.195ff. Vgl. Lenski, S. 97f. 11 Protestbewegung Roter Punkt Aktion, die in vielen deutschen Städten gegen Fahrpreiserhöhungen des öffentlichen Nahverkehrs demonstrierte. Dies sorgte vor allem in konservativen Kreisen für viel Aufregung, da die Bewegung Roter Punkt Aktion von sozialistischen und kommunistischen Kräften ins Leben gerufen wurde und in Dortmund für einige Tage die Straßenbahnen blockierten. Darüber hinaus geriet Heinemann in die Kritik, da er einen Wortführer der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, nach einem politisch motivierten Anschlag auf ihm, finanziell unterstütze und öffentlich zu Solidarität mit der Studentenbewegung aufrief.19 Dies hatte auch zur Folge, dass sich große Teile der „akademischen Rebellen“ in die Bonner Republik integriert werden konnte.20 Respektiert wurde Heinemann von weiten Teilen Bevölkerung, obwohl er stets die Rolle des moralischen Mahners und Erzieher wahr nahm, der die Deutschen an ihre Tugenden und Pflichten erinnerte, ihnen oftmals ins Gewissen redete und zu Toleranz und staatsbürgerlichem Wohlverhalten aufrief.21 Alles in allem kann man dem „Bürgerpräsidenten“ Gustav Heinemann zu Gute halten, dass er einen weitreichenden Qualitätswandel in den gesellschaftlichpolitischen Strukturen der BRD beförderte und zu „politischer Besinnung in aufgewühlter Zeit“ aufrief, da seine Amtszeit mit verschiedenen Staatskrisen, wie dem Auftreten der terroristischen RAF, den weitreichenden Studentenrevolten sowie der ersten Auflösung des Bundestages unter dem Bundeskanzler Willy Brandt durchsetzt war.22 19 Vgl. Möllers, S.201. Vgl. Kohler, S.69. 21 Vgl. Winter, S. 97. 22 Vgl. Kohler, S. 70f. 20 12 4. Schluss Abschließend lässt sich sagen, dass die Bundespräsidenten Heuss und Heinemann auf unterschiedliche Art und Weise ihr Amt ausgefüllt haben, ohne übermäßig von den, wenn auch nur in geringem Maße vorhandenen, Kompetenzen des Amtes Gebrauch zu machen. Dies zeigt, dass die marginale politische Machtausstattung des Präsidialen Amtes keineswegs ein Beweis für dessen Bedeutungslosigkeit sein kann. Nach der Betrachtung der Amtsführung der beiden Bundespräsidenten Heuss und Heinemann wird zudem deutlich, dass es verschiedene Wege gibt um bedeutende Impulse für Staat und Gesellschaft zu geben. Heuss wählte hierfür vor allem die Symbolik, um in der jungen Bundesrepublik ein solides Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Bürgern schaffen zu können und verstand sein Amt beinahe rein repräsentativ und griff kaum in das politische Tagesgeschäft ein. Heinemann hingegen verstand sich im Amt des Bundespräsidenten als moralischer Mahner und Erzieher, um Missstände im Staat anzuprangern und an die Pflicht zu erinnern, den Staat in ständiger Bemühung weiterzuentwickeln, aber er verstand sich auch als Bürgerpräsident, der jedem Abgehängten und Unzufriedenen in der Gesellschaft Gehör verschaffen wollte. In dem Sinne kann die Forschungsfrage positiv beantwortet werden. Das Bundespräsidentenamt kann auch nur mit geringen politischen Machtinstrumenten eine große gesellschaftliche und politische Wirkung entfalten und ist somit nicht überflüssig. Auch die These, dass die Bedeutung des Amtes vom Charakter des Bundespräsidenten abhängt, kann als bestätigt angesehen werden. 13 5. Literaturverzeichnis Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Hamm-Brücher, Hildegard, Gerechtigkeit erhöht ein Volk – Theodor Heuss und die deutsche Demokratie, München 1984. Kohler, Adolf, Der Republik ins Gewissen – Die Bundespräsidenten zur Besinnung in der Politik, Freiburg im Breisgau 1989. Lenski, Daniel, Von Heuss bis Carstens – Das Amtsverständnis der ersten fünf Bundespräsidenten unter besonderer Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen, Leipzig und Berlin 2009. Mehlhorn, Lutz, Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich, Baden-Baden 2010. Pikart, Eberhard, Die Rolles des Bundespräsidenten in der Kanzlerdemokratie, Stuttgart 1976. Rausch, Heinz, Der Bundespräsident, München 1984. van Ooyen, Robert Chr., Möllers, Martin H.W., Der Bundespräsident im politischen System, Wiesbaden 2012. von Beyme, Klaus, das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2010. 14 Weimarer Reichsverfassung. Winter, Ingelore M., Unsere Bundespräsidenten – Von Theodor Heuss bis Johannes Rau, Düsseldorf 1999. 15