Psychische Erkrankungen der Mutter in der Peripartal-Zeit

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Enquete Schwangerschaft, Geburt
und frühkindliche Entwicklung
-- Wien, 23. April 2008 --
Psychische Erkrankungen der Mutter
in der Peripartal - Zeit
Dr. Luc Turmes
Ärztlicher Direktor
LWL - Klinik Herten
Psychiatrie - Psychotherapie - Psychosomatik
Die Realität in der BRD
• Ein Infantizid / erweiterter Suizid auf 40.000
Geburten
Rohde, 1998
• 55 % der Deutschen wollen für Kindesmörder
die Todesstrafe wieder einführen.
Emnid, 1999
Die Realität in Österreich
• Von 31 psychiatrischen Krankenhäusern/
Abteilungen geben 12 die prinzipielle
Möglichkeit der gemeinsamen stationären
Mutter-Kind-Behandlung an.
• Das wären bemerkenswerte 39 % !!!
• Im Jahre 1999 erfolgten allerdings nur 10
Mutter-Kind-Behandlungen !!!
Klier, 2002
Prävalenz
Depressive Symptome
während der Schwangerschaft
25 - 35 %
Postpartale Dysphorie
Postportale Depression
(Baby Blues) („Heultage“)
50 - 85 %
Postpartale Psychose
0,1 – 0,2 %
Postpartale PTBS
16 – 8 %
10 - 20 %
Postpartale Angststörung
8 - 18 %
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung,
Borderline - Störung
??? %
davon MuKi
gesamt
Rückmeldung
davon MuKi
gesamt
Rückmeldung
davon MuKi
Fachabteilung
Rückmeldung
Fachkrankenhaus
gesamt
Uni-Klinik
Baden-Württemberg
5
1
0
59
18
8
7
1
1
Bayern
6
3
1
31
13
7
10
3
2
Berlin
3
1
1
3
2
0
16
4
2
Brandenburg
0
0
0
4
1
1
15
5
3
Bremen
0
0
0
3
1
0
0
0
0
Hamburg
1
1
0
3
1
0
6
2
1
Hessen
3
1
0
21
6
3
10
2
3
Mecklenburg-Vorpommern
2
1
0
8
3
0
1
1
0
Niedersachsen
2
0
0
16
7
5
13
5
2
Nordrhein-Westfalen
5
3
3
62
22
14
37
9
2
Rheinland-Pfalz
1
0
0
19
8
1
3
1
1
Saarland
1
1
1
5
2
2
1
1
1
Sachsen
2
1
0
13
7
2
9
4
2
Sachsen-Anhalt
2
2
1
16
9
3
3
1
0
Schleswig-Holstein
1
0
0
26
13
6
2
1
0
Thüringen
1
0
0
8
3
3
5
2
1
35
15
7
297
116
55
138
42
21
BUNDESLAND
BRD gesamt:
BRD/Kliniken gesamt:
470
Rückmeldungen:
173
davon MuKi-Behandlungen: 83
Ergebnisse:
 1985 haben in Großbritannien 50 % aller psychiatrischen Kliniken
eine MBU
(Brockington, 1995)
 Bedarfsanalyse für Deutschland ausgehend von englischen
Bedarfszahlen
(Lanczik et al, 1997)

80 stationäre Aufnahmen auf eine Million Einwohner

5 stationäre Aufnahmen auf 1.000 Geburten

durchschnittliche Auslastung der Bettenkapazität: 96 %

mittlere Verweildauer: 44 Tage
Ergibt für die BRD 9,6 Mutter-Kind-Betten auf eine Million Einwohner 
750 stationäre Mutter-Kind-Plätze
134 stationäre und 23 teilstationäre Plätze = 157 stationäre Mutter-KindPlätze sind vorhanden (Bundesweite Erhebung im Mai 2005)
 Bedarf in der BRD ist nur zu 21 % gesichert !!!
Turmes et al., Nervenarzt Juli 2007
Psychische Störungen und Erkrankungen in der Postpartalzeit
Art der Störung
postpartaler Blues
Charakteristik
Häufigkeit
Leichte depressive Verstimmung
mit häufigem Weinen und erhöhter
Stimmungslabilität
50 - 85 %
- tritt in der 1. Woche postpartal auf
- klingt innerhalb von Stunden/Tagen
von selbst wieder ab
-bei 14täg. Persistenz: CAVE PPD !
Riecher-Rössler, 1997
Psychische Störungen und Erkrankungen in der Postpartalzeit
Art der Störung
Freudige Erregung
engl. „Elation“
Charakteristik
Häufigkeit
Leichte hyperthyme Stimmungs=
veränderung mit häufigem Kichern
und erhöhtem Redefluß
- tritt 1. - 2. Tag postpartal auf
- klingt innerhalb von Stunden/Tagen
von selbst wieder ab
- kann Indikator für PPD sein
Henshaw, 2003
10 - 18 %
Psychische Störungen und Erkrankungen in der Postpartalzeit
Art der Störung
Postpartale Depression
Charakteristik
Häufigkeit
- depressive Erkrankung
- tritt in den ersten Monaten (-1 Jahr)
postpartal auf
- erster Häufigkeitsgipfel 3. Monat
postpartal !
- hält Wochen - Monate und länger an
- ist dringend (bei Suizidalität: Stationär !)
behandlungsbedürftig
Übersicht bei Riecher-Rössler, 1997
10 - 20 %
Symptomatik einer postpartalen depressiven Störung
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Ein- und Durchschlafstörungen, frühmorgendliches Erwachen
Essstörungen, Hyper- und Hypophagie
Depressive Verstimmung / Reizbarkeit
Energielosigkeit / Handlungsunfähigkeit
Gesellschaftliche Abkapselung / Isolation
Beschwerden über mangelnde soziale Unterstützung
Missdeutung des kindlichen Verhaltens
Probleme mit Gedächtnis, Konzentration, kohärentem Denken
Desorientierung, Verwirrtheit, Angst
Körpernahe Symptomatik i.S. einer sog. larvierten Depression
Cave Suizid (immer nachfragen !!!) und Infantizid !
Psychosoziales Erkrankungsmodell
depressiver Störungen bei Frauen
Aktuelle, negative und belastende „Life-events“ führen bei
Frauen zu einer depressiven Erkrankung, wenn zumindest
1 von 4 Vulnerabilitätsfaktoren vorliegt:
•
•
•
•
Drei oder mehr junge Kinder zu Hause
Keine außerhäusliche Tätigkeit
Verlust der eigenen Mutter vor dem 11 Lebensjahr
Mangel an vertrauensvollen Beziehungen
Brown et al., 1978
Psychosoziale Risikofaktoren für eine postpartale Depression
Die Geburt eines Kindes ist im Leben einer jeden Frau ein
hochsignifikantes „Life - event“ :
•
Über Schwangerschaft, Geburt und Stillen verändert sich ihr Körper und ihr Körperbild
(Abschied vom Ideal der Jugendlichkeit)
•
Sie muss ihre neue Rolle als Mutter lernen (Mutterglück fällt nicht vom Himmel !), diese
in ihre früheren Rollen als Partnerin, Berufstätige, Haushälterin etc. integrieren und ihr
ureigenstes Mutterschaftskonzept entwickeln
•
Sie muss sich hohen gesellschaftlichen Anforderungen stellen:
- sie darf keine Rabenmutter sein
- sie muss dem heutigen Erziehungsideal von „Freiheit und Einfühlsamkeit“ der
Mami‘s der Pamperswerbung gerecht werden
- sie hat sich den kindlichen Bedürfnissen unterzuordnen und nun ihre
Selbstverwirklichung in der Kindererziehung zu finden
Psychosoziale Risikofaktoren für eine postpartale Depression
•
Jugendliches (<16 Jahre) oder fortgeschrittenes (>40 Jahre) Alter als Primapara
•
Instabile, unbefriedigende oder fehlende Partnerschaft ( Hochsignifikant ! )
•
Fehlende soziale Unterstützung ( Hochsignifikant ! )
•
In der eigenen Kindheit: Fehlende Mütterlichkeit, Deprivation oder sexueller
Missbrauch ( PPD kann PTBS kaschieren )
Boyce, 2003
„Biologische“ Risikofaktoren für eine postpartale Depression
•
Eine Geburt, die subjektiv als traumatisch erlebt wurde (unabhängig ob
Sectio, PDA etc)
•
Positive Anamnese für Depression oder Angsterkrankung( Hochsignifikant ! )
•
•
Positive Familienanamnese für Depression oder Angsterkrankung
( Hochsignifikant ! )
•
Schilddrüsendysfunktion, „Östrogensensitivität“ ( Substitution ?!),
•
PMDS in der Anamnese
Boyce, 2003
Diagnostisches Screening zur postpartaler Depressionen:
Die Edinburgh Postnatal Depression Rating Scale ( EPDS )
www.marce-gesellschaft.de
Diagnostisches Screening zur postpartaler Depressionen:
Die Edinburgh Postnatal Depression Rating Scale ( EPDS )
•
EPDS ( Cox et al., 1987) weltweit erprobt mit hoher Validität und Reliabilität
•
Einfacher 10 - Fragen - Selbstbewertungsbogen mit Punktwert von 0 - 30 Punkten,
der innerhalb von 2 Minuten ausgewertet werden kann
•
Gute Ergebnisse auf den Subskalen Depressivität, Angst und Suizidalität
•
Bei einem Score von 10 - 12 Punkten: mäßige Wahrscheinlichkeit für PPD
•
Bei einem Score von 13 oder mehr Punkten: Hohe Wahrscheinlichkeit für eine
postpartale Depression, es sollte ein direkter Kontakt zum Arzt und Überweisung zum
Facharzt erfolgen
•
Sollte 6 Wochen vor der Entbindung und 6 - 12 Wochen nach der Entbindung
durchgeführt werden
Psychische Störungen und Erkrankungen in der Postpartalzeit
Art der Störung
Postpartale Angststörung
Charakteristik
Häufigkeit
- Angsterkrankung
- tritt in den ersten Monaten (-1 Jahr)
postpartal auf
8 - 18 %
- hält Wochen - Monate und länger an
- ist psychotherapeutisch u. medikamentös
behandlungsbedürftig
Pantlen et al., 2001
Lebenszeitprävalenz (%)
15
10
Lebenszeitprävalenz der GAD in der
Allgemein-bevölkerung nach Alter und
Geschlecht
Frauen
Alle
Männer
5
0
15–24
25–34
35–44
Alter (Jahre)
Daten aus NCS (DSM-III-R-Kriterien), USA.
Wittchen et al. Arch Gen Psychiatry 1994;51:355-364
> 45
GAD= Generalisierte Angststörung
Somatische Symptome können bei
GAD vorherrschend sein
– Schmerzen, erhöhte Schmerzempfindlichkeit
– Schlaflosigkeit (Einschlafstörungen)
– Autonome Erregungssymptome
•
Tachykardie, Palpitationen, Schweißausbrüche, Tremor
– Gastrointestinale Symptome
•
Übelkeit, Diarrhö
– Andere
•
Schwindel, Benommenheit
•
Atemstörungen
•
Gefühlsstörungen
•
Hitze-/Kältewallungen
Starcevic. Anxiety Disorder in Adults. Oxford University Press. 2005:102-140
Gorman. Clin Cornerstone. 2001;3(3):37-43
GAD= Generalisierte Angststörung
Psychische Störungen und Erkrankungen in der Postpartalzeit
Art der Störung
postpartale Psychose
Charakteristik
- Psychose mit depressivem,
manischem, schizoaffektivem,
oder seltener schizophrenem Bild
- tritt in den ersten Wochen postpartal auf
- hält trotz Therapie oft Wochen (-Monate)
an
- ist dringend ( stationär ! ) behandlungs=
bedürftig
Riecher-Rössler, 1997
Häufigkeit
0,2 %
Schizophrenie - Definitionen
• "Dementia praecox" (KRAEPELIN 1896)
• Schizophrenie (Geistspaltung, BLEULER
1908)
• Krankheit des Gehirns mit Symptomen, die
–
–
–
–
–
Denken
Wahrnehmung
Emotionen
Motorik
Verhalten
…. betreffen.
Kernsymptomatik von Psychosen
Positiv-Symptome
Wahnvorstellungen
Halluzinationen
Denkstörungen
Negativ-Symptome
Affektverflachung
Antriebsmangel
Sozialer Rückzug
Lebensqualität
Soziale Integration
Kognitive Symptome
Aufmerksamkeit
Gedächtnis
Abstraktionsvermögen
Affektive Symptome
Dysphorie, Manie
Depressivität
Suizidalität
Psychische Störungen und Erkrankungen in der Postpartalzeit
Art der Störung
Postpartale PTBS
Charakteristik
Häufigkeit
- Posttraumatische Belastungsstörung
- tritt häufig im Wochenbett auf und
persistiert über Monate
- hält Wochen - Monate und länger
(Triggersit.!) an
- ist (nach 4 Wochen) psychotherapeutisch
u. medikamentös behandlungsbedürftig
Pantlen et al., 2001
16 - 8 %
Relevante Symptomgruppen der PTBS
Wiedererleben
Vermeidung, emotionale
Taubheit
Hyperarousal

Intrusionen (ungewollt wiederkehrende und belastende
Erinnerungen)

belastende Träume

Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis
wiederkehrt

Belastung durch Hinweisreize und mit physiologischen
Reaktionen bei Erinnerung

Gedanken- und Gefühlsvermeidung

Aktivitäts- oder Situationsvermeidung

Amnesien

Interessenverminderung

Entfremdungsgefühl

eingeschränkter Affektspielraum

Gefühl der eingeschränkten Zukunft

Ein- und Durchschlafschwierigkeiten

erhöhte Reizbarkeit

Konzentrationsschwierigkeiten

Hypervigilanz

übermäßige Schreckreaktion
Häufigkeit PTBS-Symptome
post partum (N = 424)
Wiedererleben Albträume
der Geburt
Einschlafangst
PTBSSymptome
insgesamt
%
%
%
%
Erste Wochen
post partum
12
3,1
2,8
16,7
1 Jahr postpartum
3,8
2,6
0,9
8,3
Pantlen/Rohde, 2001
Psychische Störungen und Erkrankungen in der Postpartalzeit
Art der Störung
Emotionale Instabilität
„Borderline - Störung“
Charakteristik
- Persönlichkeitsstörung mit emotionaler
Instabilität, häufigem SVV und
ausgeprägter Bindungsstörung zum
Säugling
- tritt häufig in den ersten Wochen
postpartal auf
- CAVE: Gefährdung des Säuglings
- ist dringend interdisziplinär (Psychiatrie,
SPD, Jugendamt) behandlungsbedürftig
Häufigkeit
????? %
Eckdaten einer emotional instabilen
Persönlichkeitsstörung
•
Prävalenz: ca. 1,5% ; davon 60 – 70 % Frauen
•
In psychiatrisch / psychotherapeut. Behandlung: nur 50 %: aber:
Gefängnisinsassen haben zu 30 % eine BPO; davon 55 % Frauen
•
Häufigkeit in Fachkliniken: 15 %
•
Vollendeter Suizid: 7 %; SMV: 60 %
•
Direkte Kosten: ca. 3,5 Milliarden € jährlich (15 % der Kosten
für Psychische Störungen)
Ätiologie und Diagnostik einer emotional instabilen
Persönlichkeitsstörung
•
•
•
•
Genetische Komponenten (Torgensen, 2001)
-- ca. 60 % der Varianz
Psychosoziale Belastungsfaktoren
-- sexuelle Gewalterfahrung (ca. 35 – 70 %)
-- körperliche Gewalterfahrung (ca. 50 %)
-- Vernachlässigung (ca. 80 %)
Diagnostisches Leitsymptom = Störung der Emotionsregulation
Einschießende starke Spannung, die als äußerst aversiv erlebt
wird und keiner klaren, handlungsweisenden Emotion
zugeordnet werden kann
SVV = missglückte Selbsttherapie, insb. auch bei Dissoziation
und ein klarer Prädiktor für Suizid
Diagnostische Konzeptualisierung der
Bindungsstörungen im Postpartum
1. Leichte Störung
2. Auf den Säugling fokussierte Ängste (leicht, schwer)
3. Pathologischer Ärger (leicht, mittelschwer, schwer)
4. Drohende Ablehnung
5. Erfolgte Ablehnung
Brockington, 1996, 2006
Häufigkeit der postpartalen Bindungsstörung
(Prävalenz bei stationären MBU-Patientinnen)
1.
22 % (n=163) der Patientinnen der MBU Birmingham
zeigten eine Ablehnung des Kindes (Brockington, 1996)
2.
104 Patientinnen der MBU Birmingham und 101
Patientinnen der MBU Christchurch (Brockington et al,
2006)
Erfolgte Ablehnung
21 (10 %)
(Haß, Wunsch das Kind sich selbst zu überlassen,
herbeigesehnter Kindsbetttod)
Drohende Ablehnung
(Aversion und Wunsch einer zeitlich begrenzten
Fremdplazierung)
30 (14 %)
Häufigkeit der postpartalen Bindungsstörung
(Prävalenz in der Normalpopulation)
1.
Hochrechnung basierend auf dem Versorgungsgebiet
der MBU Birmingham: (Brockington et al, 2006)
Erfolgte Ablehnung
Drohende Ablehnung
2.
0,5%
1 %
Heidelberger Postpartum Studie (Reck et al, 2006)
Longitudinale prospektive Studie, n = 862
Gestörte Bindung
Drohende Ablehnung
Von n=862
7,1 %
0,3 %
54 Mütter mit postpart. Depression:
Gestörte Bindung
17 %
Probleme und Zukunft des
Konzeptes
• Verleugnung der postpartalen Bindungsstörungen
• Verharmlosung: „Postpartale Depression mit gestörter
Mutter-Kind-Interaktion“
• Die Diagnose „Bindungsstörung im Postpartum“ kann weder im
ICD 10 noch im DSM IV gestellt werden  ICD11 u. DSM V!!!
• „Unless mental health professionals recognize that some
mothers hate their babies, and make the diagnosis, not only will
many mothers not receive appropriate treatment, but motherinfant psychiatry will continue to make almost no contribution to
the prevention of child abuse and neglect“ (Brockington, 2007)
Enquete Schwangerschaft, Geburt
und frühkindliche Entwicklung
-- Wien, 23. April 2008 --
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
Dr. Luc Turmes
[email protected]
LWL - Klinik Herten
www.psychiatrie-herten.de
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