WS 2002/03 Prof. Dr. J. Zulley

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WS 2002/03 Prof. Dr. J. Zulley
Verhaltenstherapie ausgewählter
psychiatrischer Erkrankungen
VT bei Demenzerkrankungen
Dr. K. Gürtler
Gliederung
1. Hauptmerkmale der Demenz
2. Verhaltenstherapeutisches Kompetenztraining
(VKT) bei leichter Demenz
3. Erleben und Verhalten bei fortgeschrittener
Demenz
4. Kommunikation mit Demenzkranken
5. Professionelle Haltung
6. Milieugestaltung
7. Literatur
1. Demenz
1.1. Hauptmerkmale
• multiple kognitive Beeinträchtigungen
(Gedächtnis, Orientierung, Sprache, Denkvermögen, Aufmerksamkeit,
Raumverarbeitung, exekutive Funktionen)
• Störungen im Erleben und Verhalten
(Angst, Wahn, illusionäre Verkennung, Depressivität, Euphorie,
Apathie, Unruhe, Tag-Nacht-Umkehr, Aggressivität, Enthemmung)
• Beeinträchtigungen der Alltagskompetenz
(reduzierte Arbeitsleistung; Schwierigkeiten, Arbeiten unter Zeitdruck
auszuführen; Verlust der Selbständigkeit bei der Körperpflege,
Medikamenteneinnahme, bei finanziellen Angelegenheiten;
verminderte Fähigkeit, komplexe Aufgaben durchzuführen, Geräte zu
bedienen, Auto zu fahren, Mahlzeiten zuzubereiten)
1.2. Schweregrade der Demenz
• leichte kognitive Störung:
Störung hat noch nicht das Ausmaß einer Demenz erreicht
-------------------------------------------------------------------------• leichte Demenz: Grad der Gedächtnisstörung reicht gerade aus,
um die tagtäglichen Aktivitäten deutlich zu beeinflussen, ist aber nicht
so schwer, dass der Patient nicht alleine zurechtkommt
• mittelschwere Demenz: ernstes Handicap für die
Eigenständigkeit des Betroffenen, braucht nahezu ständig
Beaufsichtigung, evt. Urininkontinenz, Enthemmung
• schwere Demenz: Kranker ist pflegebedürftig, geistiger Abbau
weit fortgeschritten, hat evt. weitere körperliche Erkrankungen
2. VKT: Verhaltenstherapeutisches
Kompetenztraining bei leichter Demenz
2.1. Ziele:
• Demenzkranken bei der Bewältigung der Belastungen
unterstützen (Selbstakzeptanz, selektive Optimierung)
• vorhandene persönliche Ressourcen mobilisieren
(externale Stimuli, z.B. Gedächtnishilfen, „Spickzettel“)
• depressiven Symptomen entgegenwirken
(negative Rückkoppelung vermeiden: Kompetenzverlust >
dysfunktionale Kognitionen > negative Emotionen >
Vermeidungsverhalten > weiterer Kompetenzverlust)
2.2. Therapiemodule des VKT
1. Therapieplanung und
Verhaltensanalyse
2. Psychoedukation
• Beschreibung der Probleme
• Selektion von Therapiezielen
• Planung der Therapie
• Evaluation des Therapieerfolgs
Technik: nondirektive Exploration
systematische Verhaltensbeobachtung, Fremdanamnese,Tests
• Aufklärung und Information
über die Krankheit
• Einbezug der Angehörigen
Technik: interaktive didaktische
Methoden
Therapiemodule / Fortsetzung
3. Aktivitätenaufbau
4. Emotionale Bewältigung
• Registrierung des Aktivitätsniveaus und dessen Zusammen
hang mit dem Affekt
• Planung und schrittweiser
Aufbau von befriedigenden
Aktivitäten
Technik: Selbstbeobachtungsaufgaben, Tagesprotokolle
• emotionale Bewältigung der
Erkrankung und der Diagnosestellung
• Komplettierung unterbrochener
Emotionsexpressionen
Technik: Evokation von Affekt
Therapiemodule / Fortsetzung
5. Modifikation dysfunktionaler Kognitionen
6. Einsatz externaler
Gedächtnishilfen
• Identifikation und Analyse
dysfunktionaler Kognitionen
und Kontrollüberzeugungen
• Einübung angemessener
Kognitionen
Technik: Sokratischer Dialog,
Realitätstestung
• Verbesserung der Alltagsbewältigung
• Einschleifen zu erinnernder
Informationen
• erleichterter Abruf bereits
gespeicherter Informationen
Technik: Gedächtnishilfen
2.3. S O R K - Schema
• Situation: Bemerken eines Kompetenzverlustes (z.B. beim Abendessen
mit Freunden kann der Betroffene dem Gespräch nicht mehr folgen. Er
möchte antworten, hat aber vergessen, was der andere gesagt hatte.)
• Organismus/Person: Art und Schweregrad der kognitiven
Beeinträchtigung, angeborenen Persönlichkeitseigenschaften,
Lerngeschichte, erworbene Copingstrategien
• Reaktionen: emotional: Gefühl der Trauer, Angst oder Wut
kognitiv: dysfunktionale Kognitionen
Verhalten: Passivität, Rückzug, Aufbau einer Fassade
physiologisch:motorische Unruhe, Schlaflosigkeit, Schwitzen
• Konsequenz: Vermeiden der aversiven Situation oder häufige
Überforderung bei Konfrontation
2.4. Aktivitätenaufbau
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Verfahren, bei dem der Patient lernt, häufiger als bisher
aktive Handlungen zu initiieren, wenn verringertes
Aktivitätsniveau vorliegt
Fragen und Anregungen zum Stand der Kommunikationsfähigkeit
Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
Welche Aktivitäten machen Ihnen Spaß Welche machen Sie sehr oft?
Wie sieht es mit geselligen Treffen aus?
Wie beeinflussen gesellige Treffen Ihre Stimmung?
Hat sich durch Ihre Krankheit Ihre Kommunikation verändert?
Was machen Sie nicht mehr?
Was bedeutet der Verlust für Sie?
Aktivitätenaufbau / Fortsetzung
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Kognitive Übungen (Gedächtnisstrategien entwickeln)
Fokusieren auf die kommunikative Kompetenz
Aktivierung noch vorhandener Fähigkeiten (Themen vorbereiten)
Berichte über gelungene Kommunikation (Verstärkung)
Selbstbeobachtung
• Reduktion von Misserfolgen durch Hilfe eines Begleiter?
• Verbesserung der Stimmung bei Erfolgserlebnissen?
• Wachsendes Selbstvertrauen, positive Kognitionen?
2.5. Therapeutenverhalten
Adaptionen des verhaltenstherapeutischen
Vorgehens
• Simplifizierung
• Strukturierung
• Wiederholungen
• Problem- und Alltagsorientierung
• Einfache Inhalte, kleine
Schritte, einfache Sprache
• Strukturierung des Stundenablaufs, klare Instruktionen, aufs
Thema zurückführen
• redundante Informationen
geben, Aufgreifen von Hausaufgaben
• Beispiele zur
Veranschaulichung, sichern des
praktischen Bezugs
Therapeutenverhalten / Fortsetzung
• Verständlichkeit
• Transparenz
• Therapiematerial
• Hausaufgaben
• Konfrontation
• Rückfragen, Inhalte vom
Patienten erklären lassen
• Therapieziele transparent
machen; Transparenz von
Einzelschritten, Stundenzielen
und Verlauf
• Sparsame Verwendung,
übersichtliches
Therapiematerial
• auf Fähigkeitsniveau achten
• behutsam anwenden
3. Erleben und Verhalten bei
fortgeschrittener Demenz
Störungen
• Angst
• falsche Anschuldigungen,
Wahn
• illusionäre Verkennung
• Depressivität / Euphorie,
rasche Stimmungsschwankungen
• Anklammern und
Nachlaufen
• Unruhe und Nervosität
• Tag-Nacht-Umkehr
• Wutausbrüche/
Aggressivität
• Distanzlosigkeit, Enthemmung
• Antriebslosigkeit/Apathie
4. Professionelle Haltung
Der fortgeschritten Demenzkranke kann Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft nicht mehr zueinander in Bezug setzen. Seine Deutung
der Welt stimmt oft nicht mehr mit der Sichtweise seiner Mitmenschen
überein. Wie begegne ich dem Problem?
Erkundende Haltung / Suchhaltung
• zuverlässige, wertschätzende, taktvolle Haltung einnehmen
• Gefühle, die der Kranke ausdrückt, verbalisieren (Wut, Schuld, Angst,
Peinlichkeit, Freude)
• Verhalten des Kranken nicht persönlich nehmen, seine Sichtweisen als
für ihn gültig anerkennen (keine fruchtlosen Diskussionen)
5. Kommunikation
Ein Demenzkranker kann den Bedeutungsgehalt einer Situation nicht
mehr oder nur unzureichend einschätzen (z.B. Verweigerung der
Mitarbeit beim Ankleiden oder bei der Körperhygiene; Pat. empfindet
das als Angriff/Eingriff in seine Intimsphäre und reagiert ängstlich,
verständnislos oder aggressiv)
Konsequenz
Klärende Kommunikation
• zwischen der Realität und der Welt des Demenzkranken vermitteln
(anstelle von erklären)
• vom Inhalts- zum Beziehungsaspekt (Kommunikation weniger nach
inhaltlichen Gesichtspunkten, sondern unter beruhigenden Aspekten
bewerten)
Kommunikation / Fortsetzung
Körpersprache:
• Versuchen Sie, ruhig und zugewandt zu bleiben, während sie
kommunizieren. Augenkontakt herstellen!
• Brüske und hektische Bewegungen können den anderen aufregen.
• Gesten können viele Worte ersetzen.
Sprache:
• Langsam, ruhig und klar sprechen. Nicht schreien, vielleicht sogar
Nähe und Vertrautheit herstellen durch flüstern.
• Kurze, einfache Sätze bilden. Nicht zu viele Informationen oder
Fragen auf einmal. Keine Alternativfragen!
• Nebengeräusche vermeiden!
• Kranken mit Familiennamen ansprechen.
6. Milieugestaltung
Der Kranke erlebt aufgrund seiner kognitiven Beeinträchtigungen
gleiche oder ähnliche Situationen als neu. Kontinuität und Überschaubarkeit sind von größter Wichtigkeit.
Konsequenz
Alltagsstrukturierung
• überschaubare Aktivitäten anbieten (einfache Tätigkeiten, z.B. Wäsche
zusammenlegen, Schälen von Obst)
• ritualisierte Abläufe einführen (Essenszeiten, Spaziergänge, Besuche,
alte Fotos anschauen)
Milieugestaltung / Fortsetzung
Bei eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit erscheinen Gegenstände
oder Menschen fremd oder bedrohlich
.
Konsequenz
Angstreduktion / Sicherheit
• Anpassung der Umgebung an den Demenzkranken (viel Licht,
gefährliche Gegenstände wegschließen, Wegweiser anbringen,
Bewegungsfreiheit ermöglichen, Handläufe)
• Vermeidung von Reizüberflutung (zu viele Menschen, zu viele Worte,
Radio, Fernseher, Besucher, ständige Umgebungswechsel vermeiden)
7. Literatur
Alzheimer Europe (Hrsg) (1999) Handbuch der Betreuung und Pflege
von Alzheimer Patienten. Georg Thieme Verlag, Stuttgart
Ehrhardt T, Plattner A (1998) Verhaltenstherapie bei Morbus
Alzheimer. Hogrefe, Göttingen
Gürtler K (2000) Einfühlsamkeit gefragt. Der Hausarzt 12:58-60
Hirsch RD (2001) Sozio- und Psychotherapie bei Alzheimerkranken.
ZGerontolGeria 34:92-100
Karlbauer-Helgenberger F, Zulley J, Buttner P (1996) Altersprobleme.
In: Margraf J (Hrsg) Handbuch der Verhaltenstherapie Bd 2. Springer
Verlag, Berlin u.a., 415-447
Maercker A (Hrsg) (2002) Alterspsychotherapie und klinische
Gerontopsychologie. Springer-Verlag, Berlin u.a.
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