07 Soziale Kompetenzen, Bindung und Klassenklima

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Kind-Umfeld-Analyse
Bindung, Soziale Kompetenzen,
Klassenklima
• Verhaltensprobleme lassen sich auf der
personalen Seite charakterisieren durch:
– dysfunktionale soziale Verhaltensweisen (z.B.
soziale Ängstlichkeit, Rückzug, Aggression)
– Korrelate auf der Ebene von
• Bindung (Erwartungen bzgl. des Ausmaßes sozialer
Unterstützung durch Bezugspersonen)
• Selbstkonzept (Selbstwirksamkeit, Attributionsstile)
• Emotions- und Handlungsregulation
(Bewältigungsstile)
• Soziale Wahrnehmung (z.B. Einschätzung einer
Handlung als aggressiv)
• Diese personalen Faktoren existieren nicht
isoliert (obwohl es genetische Korrelate
gibt)
• Sie entwickeln sich in der Auseinandersetzung mit den Lebensumwelten, in denen
ein Kind agiert
• Die dort gesammelten Erfahrungen formen
sich in einer Art „Mittelwert-Bildung“ zu
Schemata für die Selbstwahrnehmung, die
soziale Wahrnehmung und für Handlungspraktiken
Bindung
• Die erste dieser Schnittstellen in der kindlichen
Entwicklung ist die Mutter-Kind-Bindung (bzw.
die Bindung zwischen dem Kind und seinen
Pflegepersonen)
• In diesem Erfahrungsraum entwickeln Kindern
Erwartungsmuster hinsichtlich des Umfangs und
der Qualität des Unterstützungsverhaltens seitens
ihrer Pflegepersonen
• => Internale Arbeitsmodelle, Bindungstypen
• Der Idealtyp ist die sichere Bindung, in der das
Kind seine Umwelt als geschützte Nische erlebt
Bindungsdiagnostik
• Das diagnostische Paradigma der
Bindungsforschung ist ein experimentelles
Setting, die sog. „Fremde Situation“
• In diesem Setting werden im Labor die
Interaktionen zwischen Müttern und Kindern
beobachtet
• Die zentrale Dimension ist das Verhalten
hinsichtlich der Trennung zwischen Müttern und
Kindern und ihrer Wiedervereinigung
Bindungsdiagnostik im
Grundschulater
• Für diese Altersgruppe lässt sich die
„Fremde Situation“ nicht mehr einsetzen
• Stattdessen verwendet man ein
standardisiertes Interview, das transkripiert
und nach festen Regeln ausgewertet wird
• Den sog. SAT (Separation-Anxiety-Test)
Separation Anxiety Test (SAT)
Ziegenhain, 1997 (nach Kaplan, 1987)
Separation Anxiety Test (SAT)
Ziegenhain, 1997 (nach Kaplan, 1987)
Separation Anxiety Test (SAT)
Ziegenhain, 1997 (nach Kaplan, 1987)
•
Interviewleitfaden
– 1. Bildinhalt klären (im Gespräch mit Kind oder vom Interviewer)
– 2. Wie glaubst Du, fühlt sich das Kind in diesem Bild?
• Du sagst, das Kind fühlt sich ... Warum?
• Was meinst Du, wie sich das Kind noch fühlen könnte? ( -> Warum?)
– 3. Was meinst Du, denkt das Kind jetzt?
– 4. Was meinst Du, wird das Kind jetzt tun?
– 5. Wie, glaubst Du, wird diese Geschichte jetzt ausgehen?
– 6. Hast Du selbst schon einmal etwas ähnliches erlebt?
• Kind erzählen lassen
• Nachfragen:
– Weißt Du noch, wie Du Dich damals gefühlt hast?
– Was Du noch, was Du damals gedacht hast?
– Weißt Du noch, was Du damals gemacht hast (damit Du Dich wieder besser fühlst)?
Praktikabilität
• Der SAT benötigt ein spezielles Training, in
dessen Rahmen die Regeln zur
Identifikation der Bindungstypen am
Material erlernt und standardisiert werden
können
• Man kann die Bindungstypen aber auch als
eine Art Raster verwenden, um eigene
Fehlreaktionen zu vermeiden
Bedeutsamkeit für Förderung
• Aber auch wenn keine präzise Bindungsdiagnostik
durchgeführt werden kann, ist Bindungsverhalten
in Unterricht und Förderung immer präsent
• Da Bindungstypen Erwartungen über das
Verhalten anderer Personen beinhalten,
beeinflussen sie die soziale Wahrnehmung und das
Sozialverhalten
• Insbesondere können bestimmte Formen des
Bindungsverhaltens bei Lehrern zu Irritationen
führen, welche wiederum Förderprozesse negativ
zu beeinflussen vermögen
Vermeidendes Bindungsverhalten
• Solche Kinder sprechen kaum auf Versuche
an, ein warmes, emotionales LehrerSchüler-Verhältnis oder Schüler-SchülerVerhältnis zu etablieren
• Sie lehnen solche Versuche oft sogar ab und
verweigern sich
• Ihr bevorzugter Interaktionsmodus ist
sachorientiert, aufgabenbezogen
Ambivalentes Bindungsverhalten
• Solche Kinder reagieren sehr leicht auf
Beziehungsangebote, sogar leichter als sicher
gebundene Kinder
• Sie sind aber sehr fordernd und bestrafen Lehrer
für Beziehungsentzug, wozu für sie bereits
Aufmerksamkeitsentzug zählen kann
• Dies ist nichts anderes als ihr Versuch, eine stabile
und vorhersehbare Beziehung aufrecht zu erhalten
• Beziehungsangebote sollten daher klaren Regeln
unterliegen, an die sich der Lehrer zu halten hat
Desorganisiertes
Bindungsverhalten
• Bei solchen Kindern kann es zu Formen spontanen
Verhaltens kommen, die sehr situationsunangemessen und destruktiv sein können
• Das besondere Problem liegt darin, dass diese
Ausbrüche für die Kinder selbst nicht
durchschaubar oder kontrollierbar sind, da die
Auslöser nicht in ihrem expliziten Gedächtnis
gespeichert sind (sie sind für die Kinder nicht
zugänglich)
• Es ist daher nötig, die Auslöser durch
Beobachtung zu identifizieren, und zu versuchen,
sie im Schulalltag nach Möglichkeit zu
minimieren
• Zur Veränderung dieser Bindungsstörung sind in
aller Regel therapeutische Maßnahmen notwendig
• Im Schulalltag kann man zunächst meist nur eine
„Politik der toleranten Schadensbegrenzung„
realisieren
• Als mittelfristiges Ziel bietet es sich an, dem Kind
solche Gefahrensignale bewusst zu machen und
ihm mittels Entspannungstechniken und einer
verschärften Selbstwahrnehmung eine
Früherkennung zu ermöglichen
Kind-Umfeld-Beziehungen 1
Selbstschema
Soziale Wahrnehmung,
Erwartungen,
Bewältigungsstile
Bindungsstil
Umwelten
Soziale Kompetenzen
Definition
• Keine einheitliche Definition vorhanden
• S.K. meint zumeist Einstellungen und
Fähigkeiten, mit deren Hilfe
– ein gemeinschaftliches Beziehungsverhalten
gezeigt werden kann (z.B. Konfliktlösung,
Kooperation)
– Verhalten und Einstellungen von Partnern
entsprechend beeinflusst werden kann
Diagnostik
• Skalen für Verhaltensprobleme (z.B. TRF) messen
letztendlich Defizite in den sozialen Kompetenzen
• Ebenso lassen sich in der Anamnese und
Gesprächen mit den Betroffenen Indikatoren für
das Vorliegen oder Fehlen sozialer Kompetenzen
finden
• Für die Förderung ist es aber auch wichtig, die
Lernvoraussetzungen (die „Bausteine“ sozialer
Kompetenzen zu kennen, um sie in
Verhaltensbeobachtungen und Gesprächen
identifizieren zu können)
Voraussetzungen für sozial kompetentes
Verhalten
• Problemlösefähigkeiten für soziale
Anforderungen (soziale Kognition)
• Regulierung von Emotionen
• Identifikation mit der Gruppe
• Freundschaftsverständnis
• Prosoziales Verhalten
• Diese Lernvoraussetzungen müssen anhand der
unterschiedlichen diagnostischen Informationen
erhoben, bzw. erschlossen werden
– Beobachtungen
– Gespräche, Spielsituationen
• Selbst, wenn auf diesem Wege nur Hypothesen
formuliert werden können, liefern sie eine
wertvolle Basis für die Planung weiterer
Förderschritte
Soziale Kognition
(Modell nach Dodge et al., 1986)
1. Wahrnehmung und Verarbeitung sozialer
Reize
2. Überlegen und Äußern einer sozialen
Verhaltensweise
3. Beurteilung des Verhaltens durch andere
Personen
4. Sozialverhalten der anderen Personen
5. Eigene Bewertung und Modifikation des
Sozialverhaltens
Lösungsideen
• Wie sähe eine sozial kompetente
Konfliktlösung aus?
Positive Form der Konfliktlösung
• Der Junge rennt wasserspritzend hinter dem
Mädchen her. Sie sagt: „Hörst du jetzt
vielleicht auf zu spritzen?" Nachdem er nicht
reagiert, macht das Mädchen einen
Vorschlag: „Ich habe eine gute Idee! Wir
spielen Wasserspritzen!" Sie stellt eine
Flasche auf die Bank, legt einen
Tischtennisball auf den Flaschenhals und
erklärt: „Wir müssen versuchen, den Ball
herunterzuschießen.", Der Junge findet die
Idee gut und beginnt auf den Ball zu zielen,
anschließend ist sie an der Reihe.
Quelle: Petermann, F. & Petermann, U. (1997). Training mit aggressiven Kindern. Weinheim: Beltz PsychologieVerlagsUnion
Eine andere Lösung ...
• Die Jagd um den Baum geht noch
weiter, bis das Mädchen sagt: .Gib mir
auch 'mal die Pistole!" Das Mädchen
schafft es, sie dem Jungen
wegzunehmen. Nun spritzt sie ihn mit
der Pistole nass.
• Diese Lösung würden die meisten nicht als positiv
einstufen, da sie den Konflikt leicht eskalieren
lässt
• Sie hätte aber durchaus den Vorteil, dass sie
zwischen Jungen und Mädchen eine Symmetrie
herstellen würde (die Kinder in ihren PeerBeziehungen als sehr wichtig einstufen)
• Nötig wäre es daher, einen potentiellen Konflikt
im Anschluss durch ein kooperatives
Friedensangebot zu entspannen
• Daher ist diese Lösung nicht per se negativ; es
hängt davon ab, wie sie gerahmt und weitergeführt
wird
• Kritik an Dodges Modell:
• Soziales Handeln wird im Alltag häufig von
Routinen bestimmt, die nicht hinterfragt
werden (implizite Einstellungen, Schemata)
• Die Mehrdimensionalität und zeitliche
Kombination von Handlungszielen bleibt
unberücksichtigt
• Soziale Kompetenzen sind bereichsspezifisch;
sie können in manchen Lebenswelten
unterschiedlich definiert sein
•
Trotz dieser Probleme eignen sich die in
Dodges Modell angegebenen Schritte der
sozialen Wahrnehmung als heuristischer
Leitfaden für die Analyse von
Verhaltensproblemen
1.
2.
3.
4.
5.
Wie nimmt X soziale Reize wahr?
Auf der Basis welcher Überlegungen äußert X eine soziale
Verhaltensweise (Funktion des Verhaltens?)
Wie wird X‘s Verhalten seiner Ansicht nach von anderen Personen
beurteilt?
Wie nimmt X das Sozialverhalten der anderen Personen wahr?
Wie bewertet X sein eigenes Sozialverhalten und unter welchen
Umständen würde er es modifizieren?
Emotionsregulation
• Intensität negativer Affekte
• Aufmerksamkeitskontrolle
• Bewältigungsstile:
– Konstruktives / destruktives Coping
– Problemorientiertes / Emotionsorientiertes Coping
• Fazit: niedrige negative Affektivität, hohe
Aufmerksamkeitskontrolle und Tendenz zu
konstruktivem Coping sind Prädiktoren für soziale
Kompetenz
Identifikation mit Gruppe
• Soziale Identität
– = Wissen, sozialen Gruppen anzugehören, die emotional
bedeutsam sind und höheren Status als andere Gruppen
besitzen
• Da Soz. Ident. Teil des Selbstkonzepts ist, gibt es
auch hier selbstwerterhaltende Strategien
• Dabei gibt es eine Phase (bei Mädchen mit ca. 3, bei
Jungen mit 5-6 Jahren), in der die eigene Gruppe
vorbehaltlos und unkritisch positiv bewertet wird
Freundschaftsbeziehungen
• Entwicklung von Freundschaftskonzepten:
– Symmetrische Austauschbeziehungen: „Ich gebe Dir etwas,
dafür gibst Du mir etwas“
„Wie du mir, so ich Dir“
– Die Symmetrie wird zeitlich erweitert: „Ich helfe Dir heute
ohne Gegenleistung und irgendwann hilfst Du mir“
– Schließlich werden Freunde zu Personen, die einen sehr gut
kennen und denen man sich offenbaren kann. Das
gegenseitige Verstehen wird wichtiger als die aktuelle
Hilfeleistung
Prosoziales Verhalten
(Eisenberg, 1992)
• Hedonistische, selbstzentrierte Orientierung: Reziprozität,
bzw. eigener Gewinn
• Orientierung an den Bedürfnissen anderer: „das fehlt – das ist
nötig“
• Anerkennung durch andere, stereotype Begründung (man
sollte, das ist gut/schlecht) – typisch für Grundschulzeit
• Selbstreflektierte empathische Orientierung: Hilfe wird durch
das Menschsein des anderen begründet, Schuld und
Konsequenzen des eigenen Handelns werden refelktiert
(wird in der Grundschulzeit kaum beobachtet)
• Internalisierte Werte, Normen und Pflichten
• Starke Internalisierung genereller Werte, Begründung durch
sozialen Vertrag, utopische Perspekiven
Soziale Kompetenz - Defizit
Zurückhaltung
Durchsetzungsvermögen
Soziale Ängstlichkeit
Aggressivität
Kind-Umfeld-Beziehungen II
Beziehungen
zu Eltern,
Familie
Bindung,
Erziehungsstile,
milieuspezif.
Verhaltensnormen
Schule
Peers
Freundschaftsbeziehungen,
Beziehungen zu Gleichaltrigen
Beziehungen zu
Mitschülern, Lehrern
Klassenklima
Schulklima
• Schul-, Klassen-, und Unterrichtsklima können
Verhaltensprobleme, die in der familialen
Sozialisation angelegt wurden, aktivieren und
verstärken
• Ebenso, wie man sich hinsichtlich der Familie
Bindungsstile anschauen kann, kann man das
Lehrer-Schüler-Verhältnis analysieren
• Auch von der Schule erwarten Kinder, dass sie
eine Art „sichere Bindung“ bietet, eine geschützte
Nischenumwelt
• Ebenso wie Eltern, können auch Lehrer diesen
Erwartungen in unterschiedlicher Qualität gerecht
werden
Schul- und Klassenklima
• 1. emotionale Qualität der Lehrer-SchülerBeziehung
• 2. die in der Umwelt herrschenden Werte und
Einstellungen
• 3. subjektiv wahrgenommene (Lern-)Umwelt
Schulklima
Bezieht sich auf die
Organisationseinheit
„Schule“
Wahrnehmung &
Bewertung der
Schulumwelt durch
alle ihre Beteiligten
Klassenklima
Bezieht sich auf die
Organisationseinheit
„Klasse“
Wahrnehmung &
Bewertung der
Klassenumwelt durch
alle ihre Beteiligten
Unterrichtsklima
Bezieht sich auf die
Klasse und die Art, in
der Unterrichtsinhalte
dargeboten werden
Psychologische
Situation
der Schüler
Transaktionales Rahmenmodell zu
schulischen Klimata nach PEKRUN (1985)
• Schul- und Klassenklima sind abhängig von innerschulischer
Umwelt & schulorganisatorischen Rahmenbedingungen
• Schul- und Klassenklima nehmen wiederum Einfluss auf Schüler,
Lehrer & andere Schulmitglieder
– 1. Struktur der Schulorganisation & innerschulische Umwelt sind
abhängig von gesellschaftlich-historischen Rahmenbedingungen, wie
Epoche & Kultur
– 2. Schulorganisation wirkt sich direkt auf innerschulische Umwelt aus
Schulart & Schulsystem wirken aber auch innerhalb der Schulorganisation
– 3. Gesellschaftl.-histor. Rahmenbedingungen. wirken nicht nur indirekt,
sondern auch direkt auf die innerschul. Umwelt.
– 4. Innerschulische Umwelt umfasst materielle (Strukturen & Abläufe) und
soziale (Personen & deren Verhalten) Umwelt.
Diagnostik
• Interviews mit Schüler, Lehrern
• Beobachtungen im Klassenzimmer, Pausenhof
• Fragebögen zum Schul- und Klassenklima
• Aus diesen Informationsquellen werden
Informationen extrahiert, mit deren Hilfe man die
Frage zu beantworten versucht, inwieweit die
schulische Umwelt zu Verhaltensproblemen
beiträgt
FEESS – Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer
Schulerfahrungen
• Fragebogen für Grundschüler
• Erfasst Dimensionen
– des Selbstkonzepts
– des Sozialklimas
– des Unterrichts- und Klassenklimas
Diagnostik von familialem und schulischem
Umfeld im Rahmen einer diagnostischen
Begutachtung
• Schon aufgrund der Definition von
Verhaltensstörungen sollte jedes
sonderpädagogische Gutachten auf
Informationen zum Sozialverhalten in
Familie und Schule beruhen
– Def.: Von Verhaltensstörung kann erst dann
gesprochen werden, wenn die Probleme in
mehr als einem Lebensbereich auftreten
• Dies gilt auch dann, wenn ein Fragebogen
wie der FEESS nicht einsetzbar ist und eine
Bindungsdiagnostik nicht möglich ist
• Der Schwerpunkt liegt auf der Kombination
von Beobachtungen und Befragungen
• Ziel:
– Auslösende Bedingungen für Problemverhalten
– Aufrechterhaltende Bedingungen
– Umweltspezifischer Nutzen des Verhaltens
Beispiele
• Beispiel einer protokollierten
Verhaltensbeobachtung im Klassenraum
• Beispiel eines diagnostischen Gutachtens
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