diagnostik

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WS 2008/09 Prof. Dr. Zulley
Verhaltenstherapie
ausgewählter psychiatrischer
Erkrankungen
Diagnostik
Dr. Gürtler
Didaktischer Zugriff
Metaebene
Makroebene
•Klinische Psychologie •Diagnostik in der VT
•Klassifikationssystem •Datenerhebung
• Psychodiagnostik
•Diagnostische Verfahren
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Mikroebene
•Kasuistik
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Gliederung
•
0. Klinische Psychologie
•
•
•
•
•
1. Diagnostik in der VT: Grundkonzept
2. Konzepte der Psychodiagnostik
3. Funktionen der Psychodiagnostik
4. Klassifikationssystem
5. Datenerhebung
• 5.1. Diagnoseorientierte Datenerhebung / klassifikatorisch
• 5.2. Funktionale Verhaltensdiagnostik / fallspezifische
Problemanalyse
• 6. Diagnostische Verfahren
• 7. Kasuistik
• 8. Literatur
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0. Klinische Psychologie
Def.: Klinische Psychologie ist die Teildisziplin der
Psychologie, die sich mit psychischen Störungen und den
psychischen Aspekten somatischer Störungen befasst
Gegenstandsbereich
Störungen des Erlebens und Verhaltens
Methoden
Psychodiagnostik und Psychotherapie
Lebensberatung
Lit.: Wittchen HU Hoyer J (Hrsg.) Klinische Psychologie & Psychotherapie., 2006, S. 4
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1. Diagnostik in der VT: Grundkonzept
Indikationsentscheidungen und Therapieplanungen
erfolgen in der VT auf Grundlage der
• klassifikatorischen Störungsdiagnostik nach ICD-10
(oder DSM-IV),
• sowie der fallspezifischen Problemanalyse
(Promblemstrukturierung, Bedingungsanalyse
einschließlich Verhaltensanalyse, Zielanalyse)
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2. Konzepte der Diagnostik
• kategoriale/klassifikatorische Diagnostik
• funktionale / problemorientierte Diagnostik
(in der Tradition medizinischer
Klassifikation; ICD-10)
1. Zuordnung eines Patienten zu
einer nosologischen Kategorie
(Symptome,Syndrom,Diagnose)
2. Diagnose bleibt zeitlich stabil
(Statusdiagnostik).
3. Das Festlegen eines Syndroms
impliziert eine spezifische
Ätiologie, Verlauf und
Prognose (Normorientierung)
(Verhaltensdiagnostik / VT)
1. Erfassung und Analyse von
dsyfunktionalen Verhaltensweisen
2. Erfassung und Beurteilung des
gegenwärtigen Ist-Zustandes im
Vergleich zu einem Zielzustand
3. Die Bestimmung eines
Problemzustandes verändert
sich im Verlaufe (dynamisch;
Prozess-diagnostik)
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kategoriale/klassifikatorische vs. funktionale Diagnostik
(Fortsetzung)
4. hoher klinischer Informationsgehalt bezüglich Vorhandensein
oder Nichtvorhandensein einer
Diagnose und des Ausprägungs
grades der Störung
(Eigenschaftsdiagnostik)
5. Therapie beabsichtigt eine
Beseitigung von Ursachen eines
Syndroms (Heilung)
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4. Versuch, Verhalten der Klienten
auf emotionaler, kognitiver,
aktionaler und physiologischer
Ebene zu erfassen (Verhaltens-/
Bedingungsanalyse)
5. Strategien und Handlungsanweisungen zur Veränderung
von Auffälligkeiten
(Verbesserung des Wohlbefindens, evaluiert mittels
Selbstbeobachtungsverfahren,
Fragebögen etc.)
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3. Funktionen der (Psycho)diagnostik
• Beschreibung Erfassung und Quantifizierung von Problemen,
Störungen, Defiziten; Quer- und/oder Längsschnitt
• Klassifikation Zuordnung in Klassifikationssysteme;
Zuordnung zu Interventionen
• Erklärung Informationssuche zur Erklärung der Entstehung von
Störungen; Erklärung der Wirksamkeit von Interventionen
• Prognose Erfolgswahrscheinlichkeit einer Therapie, Verlauf einer
Störung mit und ohne Intervention
• Evaluation Beurteilung der Effektivität einer Intervention und
der Qualität einer Behandlung
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4. Klassifikationssystem
• ICD-10: seit 1.1.98 im deutschen Gesundheitswesen
verpflichtende Grundlage bei der Diagnoseerstellung (in
den USA: DSM-IV)
• Veränderung der Begrifflichkeit gegenüber ICD 9:
jetzt: psychische Störung = bio-psycho-soziales Modell
früher: psychiatrische Krankheit = medizinisches Modell
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ICD-10
• rein beschreibendes operationales diagnostisches Vorgehen
(„schulenunabhängig“)
• ICD-10 Kapitel V (F) enthält 276 Einzeldiagnosen mit bis
zu fünfstelligem Kodierungsschema (Bsp.: rezidivierende
depressive Störung, mittelgradige depressive Episode mit
somatischem Syndrom = F33.11)
• Nachschlagewerk: Dilling H, Mombour W, Schmidt MH
(Hrsg) Internationale Klassifikation psychischer
Störungen: ICD Kapitel V (F) - Klinisch-diagnostische
Leitlinien (2000) Bern: Huber
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Klassifikation psychischer Störungen nach ICD-10
Kapitel V (F)
F0 organische einschließlich
symptomatischer psychischer
Störungen
F1 psychische und
Verhaltensstörungen durch
psychotrope Substanzen
F2 Schizophrenie, schizotype und
wahnhafte Störungen
F3 Affektive Störungen
F4 Neurotische, Belastungs- und
somatoforme Störungen
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F5 Verhaltensauffälligkeiten mit
körperlichen Störungen und
Faktoren
F6 Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen
F7Intelligenzminderung
F8 Entwicklungsstörungen
F9 Verhaltens- und emotionale
Störungen mit Beginn in der
Kindheit und Jugend
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5. Datenerhebung
5.1. kategorial / diagnoseorientiert
Angaben zur Person
mögliche psychodiagnostische Fragestellungen:
• prämorbides Intelligenzniveau?
• Finden sich Anhaltpunkte für eine Psychose aus dem
schizophrenen Formenkreis?
• Sind kognitive Leistungseinbußen objektivierbar? Welche
kognitiven Bereiche sind betroffen?
• affektive, z. B. depressive Störung ? Schweregrad?
• Persönlichkeitsstörung?
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Probleme bei der Datenerhebung
• Auswahl der Testverfahren / Testbatterie
• eingeschränkte Belastbarkeit der Patienten
• Interpretation der Befunde
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5.2. Fallspezifische Problemanalyse
Kernstück des diagnostisch-therapeutischen
Prozesses
• Problemexploration
Fragen des Therapeuten und Problemdarstellung durch den Patienten: Abgrenzen
belastender Verhaltenseinheiten
Patienteninformation: durch Wissensvermittlung wird dem Pat. eine Außenbetrachtung des Problemverhaltens möglich
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Fallspezifische Problemanalyse
• Problemaktualisierung
verhaltensanalytische Rekonstruktion
typischer Problemsituationen oder Problemaspekte auf kognitiver, emotionaler, psychophysiologischer und motorischer Ebene
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Fallspezifische Problemanalyse
• Störungsgenese
Prädispositionen: genetische, biologische,
psychosoziale Bedingungen
auslösende Mechanismen: Stressoren
aufrechterhaltende Bedingungen: Vorteile,
Krankheitsgewinn
SORK-Modell
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Fallspezifische Problemanalyse
• Therapieplanung
Zeitplanung
Aufbau von Veränderungsmotivation
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Fallspezifische Problemanalyse
• Therapieziele
gemeinsame Zielsetzungen
Konkretisierung globaler Wünsche:
aus globalen Wünschen wie „Ich möchte glücklich sein“
oder „Ich möchte, das es mir besser geht“ entstehen
handlungsrelevante Formulierungen „Ich nehme mir vor,
mich täglich mit jemanden zum Essen zu verabreden“
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Fallspezifische Problemanalyse
• Problemsimulation
durch emotionsprovozierende Strategien in
Rollenspielen, imaginativen Techniken, invivo-Expositionen werden z.B. automatische
Gedanken, Vorstellungen, Einstellungen,
Bewertungen, dysfunktionale Kognitionen,
“irrationale“ Überzeugungen aktualisiert
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6. Hilfreiche diagnostische Verfahren im
Rahmen der Problemanalyse
• Fremdbeobachtung: Rollenspiele
• Selbstbeobachtung: Wochenpläne, Tagebücher,
Stimmungsthermometer
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• Kognitionen: Fragebögen (ABC-Modell: Auslösende
Situation, Bewertung von A, Gefühls- und Verhaltenskonsequenz)
• Reize: Symptomcheckliste
• Verstärker: Liste angenehmer Ereignisse, Aktivitätenliste
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Kasuistik
• 68-jähriger Mann kommt mit anhaltenden
Muskelschmerzen vor allem in den Beinen, aber
auch im Schulter- und Rückenbereich ohne
organische Ursache zur stationären Aufnahme
• Schmerzen haben vor 1 Jahr „schubartig“
angefangen, dazu gestörter Schlaf,
Ruhelosigkeit, Nervosität, Einnahme höherer
Dosen schmerzberuhigender Medikamente
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Psychodiagnostische Befunde:
• knapp durchschnittliche Primärintelligenz (MWT-B, WIP)
• keine diagnostisch relevanten kognitiven Leistungseinbußen (MMSE, SKT, Uhrentest)
• mittelschweres depressives Syndrom (GDS, BRMe-Skala)
• Symptombelastung: hohe Werte auf der Somatisierungs-,
Angst- und Depressionsachse der SCL-90-R
Psychiatrische, klassifikatorische Diagnose
mittelschwere depressive Episode mit somatischem Syndrom
(F32.11)
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Fallspezifische Problemanalyse
Angaben zur Person / Problemdarstellung
durch Umstrukturierung im Betrieb als damals 58-jähriger
Schlosser verunsichert („Entlassung?“), reagiert mit
verstärktem Alkoholkonsum („5 Bier täglich“) und muss in
die Klinik zur Entwöhnung;
danach Berentung (Rollenverlust), zunehmende
Schmerzempfindungen, Aufsuchen von Ärzten ohne
bleibenden Erfolg
wenig Ablenkung, keine Hobbies, reduzierte soziale
Kontakte
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Problemaktualisierung
situative Verhaltensanalyse:
typische Problemsituation: Erleben von Einsamkeit 
kognitive Strukturierung „werde nicht mehr gebraucht“ 
Unterdrückung von Traurigkeit  psychischer Schmerz
wird als körperlicher Schmerz ausgedrückt Arzt
aufsuchen, Klinikaufenthalt Besserung bei Zuwendung
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Störungsgenese
• S: Entlassung, Rollenverlust
• O Selbstbeschreibung: eher gutmütig („kein Streit“), schnell
emotional angerührt, autoritätsgebunden, einseitig interessiert, auf
Sicherheit bedacht
Fremdbeobachtung: angepasst, sentimental, wenig vital („sensibler
Typ“)
Disposition/Verhaltsproblem: solche Menschen können sich nur
schwer aus einem bestimmten Rollenverhalten lösen, sind aber tüchtig
und gefühlsbetont
• R: Schmerzen; dysfunktionale Kognitionen: Gefühl der Wertlosigkeit
(„zum alten Eisen“), Gefühl des Nicht-gebraucht-werdens; Krankheit
als Lebensinhalt
• K: Arzt aufsuchen, Klinikaufenthalt (aufrechterhaltende Bedingungen: Zuwendung, Anerkennung)
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Therapieziele/-planung
• Aufbau von Änderungsmotivation
• Umgang mit der Krankheit
• Erklärung psychosomatischer Zusammenhänge
(Psychoedukation)
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Therapieverlauf
(Interventionen, Bewältigungsstrategien)
• kognitive Umstrukturierung, Beseitigung
dysfunktionaler Gedanken (z. B. bei der
Problemsimulation im Gruppengespräch)
• akzeptieren negativer Gefühle, komplettieren
unterbrochener Emotionsexpressionen (z.B. im
Rollenspiel Ärger formulieren)
• Ablenkung, Entspannungsverfahren (z.B. PME)
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Therapieverlauf / -abschluss
•
•
•
•
Medikation
Einzel- und Gruppengespräche
andere Therapien (BT, Musiktherapie, KG)
Evaluation der Therapiefortschritte
(Stimmungsthermometer, Fragebögen)
• Evaluation des Therapieerfolges (SCL-90:
Aufnahme-Entlassung-Vergleich)
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Wie ist Ihre Stimmung?
Name:
Datum:
Bitte zutreffende Zahl ankreuzen!
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
stöhr/gürtler 2008
•
•
•
•
•
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•
•
•
•
•
Es geht mir sehr, sehr gut.
Es geht mir sehr gut.
Habe gute Stimmung.
Habe meist gute Stimmung.
Fühle mich öfter gut als schlecht.
Ich fühle mich mal so mal so.
Fühle mich öfter schlecht als gut.
Habe meist schlechte Stimmung.
Habe schlechte Stimmung.
Es geht mit sehr schlecht.
Mir geht es sehr, sehr schlecht.
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weindler/gürtler 2008
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8. Literatur
• Collegium Internationale Psychiatriae Scalarum (Hrsg)
(1996) Internationale Skalen für Psychiatrie. Beltz:
Göttingen
• Dilling H, Mombour W, Schmidt MH (2000) Internationale
Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel V (F)
Klinisch-diagnostische Leitlinien. Huber, Bern
• Krampen G (1998) Diagnostik nach der ICD-10. Report
Psychologie1: 44-63
• Margraf J (Hrsg) (2000) Lehrbuch der Verhaltenstherapie
Band 1. Springer, Berlin u.a.: 267-272
• Oldham J M, Morris L B (2007) Ihr Persönlichkeits-Portrait.
Verlag Dietmar Klotz, Frankfurt/M.
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Literatur
• Parfy E, Schuch B, Lenz G (2003) Verhaltenstherapie.
facultas, Wien
• Schulte D (1999) Verhaltenstherapeutische Diagnostik.
Reinecker H (Hrsg) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. dtvg
Verlag, Tübingen: 45-85
• Stieglitz RD, Baumann U (1994) Psychodiagnostik
psychischer Störungen. Enke, Stuttgart
• Stieglitz RD (2000) Diagnostik und Klassifikation
psychischer Störungen. Hogrefe, Göttingen u.a.
• Testzentrale (Hrsg) Testkatalog 2008/09. Hogrefe,
Göttingen u.a.
• Wittchen HU, Hoyer J. (2006) (Hrsg) Klinische Psychologie
& Psychotherapie. Springer, Heidelberg
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