Anthropologische und theologische Grundlagen der Liturgie

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1. Zur Frage der Begriffsbestimmung von „Liturgie“
a) Geschichtliche Entwicklung
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„Liturgie“ leitet sich vom griechischen leitourgίa ab, einem
Kompositum aus ἔrgon (Werk) und laός (Volk)
AT (Septuaginta): Dienst am Jerusalemer Tempel
NT: Verschiedene Bedeutungen - christliche gottesdienstliche
Versammlung nur in Apg 13,2
Nachapostolische Zeit: Liturgie = Eucharistie
In der Alten Kirche spielten andere Begriffe eine wichtigere Rolle:
mysterion, mysterium, sacramentum (bzw. mysteria, sacramenta) wurden damals in einem sehr weiten Sinn gefasst als Zeichen, die
sich auf die heiligen Dinge der Heilsordnung Gottes beziehen
Erst seit dem Humanismus wird das Wort „Liturgie“ im Westen
wieder gebräuchlich
seit dem 18. Jh. steht der Begriff „Liturgie“ umfassender für alle
gottesdienstlichen Vollzüge
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Grundlagen der Liturgie
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1. Die Frage der Begriffsbestimmung von Liturgie
b) Definitionen von Liturgie
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CIC 1917: Öffentlicher Kult (und damit Liturgie) ist nur das, was die
kirchliche Autorität hinsichtlich der handelnden Personen und der zu
vollziehenden Handlungen festgelegt hat
Ludwig Eisenhofer (1941): „Die katholische Liturgie ist der äußere,
öffentliche Kult, der in seiner Grundlage von Christus gegeben, in den
Einzelheiten seiner Ausführung von der Kirche geregelt ist.“
Romano Guardini („Vom Geist der Liturgie“, 1918): Liturgie „ist kein
Mittel, das angewandt wird, um eine bestimmte Wirkung zu
erreichen, sondern … Selbstzweck. “
Liturgie ist „nicht um des Menschen, sondern um Gottes willen da…
In der Liturgie sieht der Mensch nicht auf sich selbst, sondern auf
Gott; auf Gott ist der Blick gerichtet. In ihr soll der Mensch nicht sich
erziehen, sondern auf Gottes Herrlichkeit schauen.“
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1. Die Frage der Begriffsbestimmung von Liturgie
b) Definitionen der Liturgie
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Guardini: „Vor Gott ein Spiel zu treiben, ein Werk der Kunst – nicht zu
schaffen, sondern zu sein, das ist das innerste Wesen der Liturgie.“
- Liturgie ist für Guardini wesenhaft Katabasis, Hinabsteigen Gottes zu den
Menschen und damit Teilhabe des Menschen am göttlichen „Liebesspiel“.
Dennoch macht er auf die anthropologischen Grundlagen der Liturgie
aufmerksam
- Wir sollten „lernen, für Gott Zeit zu verschwenden, Worte
und Gedanken und Gebärden für das heilige Spiel zu haben,
ohne immer gleich zu fragen: Wozu und Warum? Nicht immer
etwas tun, etwas erreichen, etwas Nützliches zustande bringen
wollen, sondern lernen, in Freiheit und Schönheit und heiliger
Heiterkeit vor Gott das Gott geordnete Spiel der Liturgie zu
treiben.“
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1. Die Frage der Begriffsbestimmung von Liturgie
b) Definitionen der Liturgie
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Cypriano Vagaggini (1959): „Die Liturgie ist der Inbegriff der
sinnenfälligen, wirksamen Zeichen der Heiligung und des Gottesdienstes
der Kirche.“
Ambrosius Verheul (1964): Liturgie „ist – unter dem Schleier heiliger
Zeichen – eine persönliche Begegnung Gottes mit seiner Kirche und mit
der ganzen Person jedes ihrer Mitglieder, in und durch Christus und in der
Einheit des Heiligen Geistes.“
Emil Joseph Lengeling (1979): „Liturgie ist die von der kirchlichen
Gemeinschaft durch Christus, den Mittler zwischen Gott und den
Menschen, im Heiligen Geist und wirksamen Zeichen und in rechtmäßiger
Ordnung vollzogene Aktualisierung des Neuen Bundes.“
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1. Zur Frage der Begriffsbestimmung von „Liturgie“
b) Die Definition der Liturgiekonstitution: Liturgie im
Spannungsfeld von Gott und Mensch, Tradition und
subjektiver Aneignung, öffentlich und privat
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Zwei wesentliche Begriffe im liturgischen Handlungsgeschehen sind
„Katabasis“ (Herabstieg Gottes) und „Anabasis“ (Aufstieg des Menschen)
Bedeutung der Katabasis: Liturgie wird nicht in erster Linie als Werk des
Menschen verstanden, sondern als Handeln Gottes am Menschen
Enzyklika Mediator Dei (1947): „Das ist Wesen und Sinn der heiligen
Liturgie. Sie befasst sich mit dem Opfer, mit den Sakramenten, mit dem
Gott darzubringenden Lob, aber ebenso bezweckt sie die Verbindung
unserer Seelen mit Christus, ihre durch den göttlichen Erlöser zu
erwirkende Heiligung.“
II. Vatikanum (SC 7): Katabasis und Anabasis werden zusammengebunden;
Primär ist Liturgie das Handeln Gottes am Menschen, woraus gleichsam
als Konsequenz die Verehrung Gottes, die kultische Dimension der
Liturgie, erwächst
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1. Zur Frage der Begriffsbestimmung von „Liturgie“
b) Die Definition der Liturgiekonstitution: Liturgie im
Spannungsfeld von Gott und Mensch, Tradition und
subjektiver Aneignung, öffentlich und privat
• Als sinnstiftende Mitte der Liturgie nennt das Konzil das PaschaMysterium (= Materialprinzip der Liturgie), d.h. Leiden, Tod, Auferstehung
und Erhöhung Christi
• Liturgie als Dialog zwischen Gott und Mensch (Lengeling), als
Kommunikationsgeschehen oder Begegnungsereignis
• SC 7: „Jede liturgische Feier ist als Werk Christi, des Priesters, und seines
Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren
Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht.“
• Prinzip der tätigen Teilnahme (participatio actuosa = Formalprinzip der
Liturgie): Nicht mehr nur die Priester, sondern alle Getauften tragen die
Liturgie mit
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1. Zur Frage der Begriffsbestimmung von „Liturgie“
b) Die Definition der Liturgiekonstitution: Liturgie im
Spannungsfeld von Gott und Mensch, Tradition und
subjektiver Aneignung, öffentlich und privat
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Liturgie ist zudem ein „Geschehen im Zeichen“: Sie korrespondiert mit der
Sinnenhaftigkeit menschlicher Wahrnehmung.
Verschiedene Formen der Liturgie: „hochoffiziell“ – regional – fromme
Übungen (pia exercitia)
Abstufung der Liturgie: Eucharistie – die übrigen Sakramente –
Stundengebet – Sakramentalien
Daneben gibt es ein weiteres liturgisches Leben: Klassisch wie Andachten,
Prozessionen etc., aber auch neue Formen gottesdienstlicher Feiern (wie
Segnungsfeiern zu bestimmten Anlässen wie Valentinstag oder Welttag
der Kranken oder auch die Feiern zur Lebenswende)
Nicht ganz leicht, eine Grenze zu ziehen (Kriterium bleibt das
Paschamysterium Christi)
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
a) Die Einheit der beiden Testamente und der Heilsgeschichte
– Leitprinzip (Augustinus): „In Veteri Testamento Novum latet et in Novo
Vetus patet.“ – „Im Alten Testament ist das Neue verhüllt und im
Neuen das Alte enthüllt.“ (vgl. II. Vatikanum, DV 16)
– Frage, in welcher Form Texte des AT in der Liturgie verwendet werden
– Von exegetischer Seite Betonung der Eigenständigkeit des AT
gegenüber dem NT (z.B. Tora-Bahnlesung)
– Von liturgischer Seite wird die besondere Würde des Evangeliums
hervorgehoben (z.B. zwei Ambone, liturgische Inszenierung etc.)
– Im Gespräch zwischen Alttestamentlern und Liturgiewissenschaftlern
sollte daher sowohl die Einheit der beiden Testamente als Wort Gottes
als auch die besondere Bedeutung des Evangeliums für den gefeierten
Glauben der Christen Maßstab sein
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
• a) Die Einheit der beiden Testamente und der Heilsgeschichte
– Differenzierung zwischen AT und NT in der Liturgie
– Die christliche Überzeugung von der endgültigen Selbsterschließung
Gottes in Jesus Christus impliziert nicht, dass das nachbiblische
Judentum abgetan und aus den Plänen Gottes entlassen wäre
– Die Bezeichnung „Altes“ und „Neues“ Testament sind nicht
suspendierbar: Es geht um das erwählende Handeln Gottes in zwei
Stufen
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
b) Der vierfache Schriftsinn
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klassische Form der Schriftauslegung, die letztlich auf die Kirchenväter
(Origenes, Johannes Cassian) zurückgeht, aber auch die vorherrschende
Form der Exegese im Mittelalter war
Wörtlich (literarisch) – geistlich (pneumatisch)
Geistliche Auslegung: allegorisch, moralisch, anagogisch (Glaube, Liebe,
Hoffnung)
Littera gesta docet,
Der Buchstabe lehrt die Ereignisse,
quid credas allegoria,
was du zu glauben hast, die Allegorie,
moralis quid agas,
die Moral, was du zu tun hast,
quo tendas anagogia.
wohin du streben sollst, die Anagogie.
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
b) Der vierfache Schriftsinn
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Während der wörtliche Sinn Inhalt und Ziel der Exegese ist, geht es in der
Liturgie mehr um den allegorischen Sinn (und in der Spiritualität stärker
um den moralischen und anagogischen)
So kann z.B. der Durchzug durch das Rote Meer in der Osternachtliturgie
ein Zeichen des Sieges Christi und damit der Taufe werden (vgl. KKK 117).
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
c) Der typologische Sinn
– Typologie beruht auf der bereits dargelegten Einheit der beiden Testamente und der Heilsgeschichte
– Alex Stock: „Die wissenschaftliche Selbstorganisation der
Bibelwissenschaften hat unter dem Postulat historisch-kritischer
Kompetenz die alttestamentliche von der neutestamentlichen Exegese
gesondert, die Einheit der sacra scriptura also zurückgestellt
zugunsten der Differenz der Testamente.“
– typologische Exegese geht nicht nur von der Einheit der Schrift beider
Testamente aus, sondern auch von einer teleologischen Orientierung
des Alten auf das Neue Testament hin
– In der christlichen Liturgie wird das Alte Testament nie ohne das Neue
gelesen.
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
– Typus – Antitypus
• Adam – Christus (Röm 5, 14)
• Auszug aus Ägypten – christliches Leben (1 Kor 10, 1-13)
• Priestertum und Liturgie des Bundeszeltes und des Tempels – Priestertum
und Opfer Christi (Hebr 9)
• Heiligtum des Tempels – Heiligtum des Himmels (Hebr 9, 24)
• Arche Noah – Taufe (1 Petr 3, 21)
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
c) Der typologische Sinn
• Weitere Typologien in der Hl. Schrift
– 1. Manna – Eucharistie (Joh 6,48-58; vgl. 1 Kor 10,3)
– 2. Die drei Tage, die Jona im Bauch des Wals verbrachte – die
Auferstehung Christi nach drei Tagen (Mt 12,39)
– 3. Elias – Johannes der Täufer (Mt 17,12)
– 4. Das Osterlamm – Christus (Mt 26,28 ; vgl. 1 Kor 5,7)
– 5. Die in der Wüste erhöhte Schlange – Christus am Kreuz (Joh 3,14)
– 6. Das irdische Jerusalem – die Kirche – das himmlische Jerusalem (Gal
4,25-27; Hebr 11,10; 12,22; 13,14; Offb 3,12; 11,2; 20,9)
– 7. Der Alte Bund – das Neue Testament (Mt 26,28; 2 Kor 3,6.14; Gal
4,24)
– 8. Mose – Christus (Joh 6,32; Apg 7,37; 1 Kor 10,2; Hebr 3,2f; 11,26)
– 9. David – Christus (Apg 2,25-36)
– 10. Jakob und Esau – Christen und Juden (Röm 9; 11)
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
c) Der typologische Sinn
• Bewertung der typologischen Interpretation
– Wir dürfen einerseits die typologische Interpretation nicht so
desavouieren, wie die moderne Exegese dies bisweilen tut, die dies als
eine christliche Frömmelei abtut, andererseits aber auch nicht wie
viele Kirchenväter und namentlich die mittelalterlichen Autoren das an
und für sich richtige typologische Prinzip willkürlich überspannen
– Die sicherste Regel besteht darin, sich an die von der Bibel klar
bezeugten oder wenigstens angedeuteten Fälle von Typologie zu
halten
– Wohl macht die Liturgie von der Typologie reichen Gebrauch, aber bei
näherem Zusehen ergibt sich, dass die römische Liturgie sich im
allgemeinen an die schon im NT klar bezeugten Fälle von Typik hält
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
c) Der typologische Sinn
• Typologien in der Liturgie
– Typologie Durchgang durch das Rote Meer – Taufe: Osternacht
– Typologie Sündflut – Taufe: Präfation der Taufwasserweihe
– Typologie der Eucharistie: Vergleiche mit dem Opfer Isaaks und
Melchisedeks (1. Hochgebet), Offizium des Fronleichnamsfestes
– Typologie Jeremia – Christus: Karmetten am Karfreitag / Karsamstag
– Typologie irdisches Jerusalem – Kirche – himmlisches Jerusalem:
Offizium der Kirchweihe.
– Typologie erhöhte Schlange – Christus am Kreuz: Lesungen an
Kreuzerhöhung
– Typologie Eva – Maria: Lesung am Hochfest der unbefleckten
Empfängnis Mariens
Die Typologien stammen sowohl aus der Hl. Schrift wie aus den Schriften
der Kirchenväter
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2. Die Grundlegung der Liturgie durch die Hl. Schrift
d) Der tiefere Sinn des NT in der Liturgie
– Das heilgeschichtliche Geschehen eines betreffenden Festes
(Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt) wird zu einer mich persönlich
berührenden Wirklichkeit, die sich in der liturgischen Handlung
sakramental-mystisch an mir vollzieht
– Beispiel Epistel in der Osternacht: Röm 6, 8
– Die spezifisch christliche Schriftlesung geschieht innerhalb der Liturgie
(theologische Schriftlesung)
– Liturgisches Schriftverständnis wirkte sich auch auf die ganze
altchristliche und mittelalterliche Kunst aus
– Einheit zwischen Theologie, Bibel, Liturgie, Kultur und Kunst
– Fazit für den liturgischen Gebrauch der Hl. Schrift im christlichen
Gottesdienst: das Verständnis der Beziehungen zwischen Bibel und
Liturgie ist von entscheidender Wichtigkeit, um in die Welt der Liturgie
einzudringen
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
a) Historisch: Organische Liturgieentwicklung
• Älteste Liturgiebeschreibungen
– Justin der Märtyrer († 165)
– Bericht der Pilgerin Egeria (4. Jh.)
• Kirchenordnungen
– Didache
– Hippolyt von Rom († 235): Apostolische Überlieferung
– Apostolische Konstitutionen
• Liturgische Bücher
– Sacramentarium Veronense (6. Jh.)
– Sacramentarium Gelasianum (7. Jh.)
– Sacramentarium Gregorianum (7. /8. Jh.)
– Diese römischen Liturgiebücher enthalten fast nur liturgische Texte,
nicht aber Beschreibungen des liturgischen Ablaufs
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
a) Historisch: Organische Liturgieentwicklung
• Ordines Romani
• Römisch-Germanisches Pontifikale (um 950)
• mystagogische Liturgieerklärungen der Kirchenväter
– Cyrill von Jerusalem († 386): Mystagogische Katechesen
– Johannes Chrysostomos († 407) und Theodor von Mopsuestia († 428)
– Ambrosius von Mailand († 397): „De mysteriis“ und „De sacramentis“
– Pseudo- Dionysius Areopagita (5. Jh.): „De ecclesiastica hierarchia“
• Liturgieerklärungen der karolingischen Epoche und des Mittelalters
– Amalar von Metz († um 850): allegorische Liturgieauslegung
– Hrabanus Maurus († 856): „De institutione clericorum“ – Lehrbuch für
den nachwachsenden Klerus
– Wilhelm Durandus von Mende († 1296): „Rationale divinorum
officiorum“
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
a) Historisch: Organische Liturgieentwicklung
• Mittelalter
– Insgesamt ging es der Scholastik nicht um die liturgischen Vollzüge,
sondern um das, was die Liturgie bewirken soll, um die
„Gnadenfrüchte“, die sie für den Menschen hervorbringen, um das
„rite et valide“ des gottesdienstlichen Tuns
• Reformationszeit bis zur Aufklärungsepoche
– Erasmus von Rotterdam († 1536): übersetzt u.a. die
Chrysostomusliturgie ins Lateinische
– Georg Witzel († 1573): „Von der heiligen Eucharisty“ (1534) – positive
Impulse aus der Alten Kirche (Gemeinschaftscharakter der Eucharistie,
aktive Beteiligung der Gläubigen, die mystische Seite des Sakramentes,
Eingliederung in Christus)
– Ignaz Heinrich Karl von Wessenberg († 1860): Erneuerung des
gottesdienstlichen Lebens
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
• Historisch: Organische Liturgieentwicklung
• 19. und 20. Jahrhundert
– Prosper Guéranger († 1875): Abt von Solesmes, Wegbereiter der
Liturgischen Bewegung
– Josef Andreas Jungmann († 1975): „Missarum sollemnia“
– Als wissenschaftliche Disziplin wurde die Liturgiewissenschaft als
Teilgebiet der historischen Theologie begriffen
– Daneben stand bis zu Anfang des 20. Jhs die als Teilgebiet des
Kirchenrechts begriffene „Liturgik“; als „Rubrizistik“ beschäftigte sie
sich mit der praktischen Anwendung der Rubriken in der
Klerikerausbildung
– Mit der liturgischen Bewegung wächst die Erkenntnis: LW ist mehr als
ein historisches oder kirchenrechtlich-pastoraltheologisches Fach
– Hauptrepräsentanten einer theologisch-systematischen LW: Romano
Guardini († 1968) und Odo Casel († 1948)
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
Historisch: Organische Liturgieentwicklung
• Konzil und Nachkonzilszeit
– Die Liturgiekonstitution des 2. Vatikanums erhebt die
Liturgiewissenschaft zu den theologischen Hauptfächern
– Die Liturgie ist „sowohl unter theologischem und historischem wie
auch unter geistlichem, seelsorglichem und rechtlichem Gesichtspunkt
zu behandeln“ (SC 16).
– Emil Josef Lengeling: „kopernikanische Wende“, „Ende des
Mittelalters“
– K. Richter: „Der entscheidende Schritt über Trient hinaus“ ist die
Tatsache, dass das 2. Vatikanum zum ersten Mal seit Trient amtlich
festgestellt hat, „dass nicht mehr der Priester allein, sondern die
Gemeinde als ganze Subjekt und Trägerin des liturgischen Handelns
ist.“
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
• Historisch: Organische Liturgieentwicklung
• A. Häußling: Die participatio actuosa aller Teilnehmer wird zum
Formalkriterium für die Wesensgemäßheit von Liturgie überhaupt;
Liturgiereform ist „grundsätzlich unabgeschlossen“
• Widerstände gegen die Liturgiereform
– Marcel Lefebvre und die Pius-Brüder
– Balthasar Fischer: „Kinderkrankheiten“ der Reform – „Allergie gegen
Feierlichkeit“, „Lateinallergie“, „missverstandener Ökumenismus“,
„Machbarkeitsmentalität“, „Libertinismus“ und „Sermonitis“
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
Historisch: Organische Liturgieentwicklung
• Weiterführung der Reform
– Häußling: permanente Liturgiereform, liturgiewissenschaftliche
Aufgabenfelder, Paradigmenwechsel der Neuzeit, actuosa
participatio
– Heinrich Rennings: Grundsätzlich „offene“ Liturgie
– Michael Kunzler: „‚Offene Liturgie‘ kann eine modische
Worthülse sein für Bestrebungen, die ‚Leere‘ der Gottferne oder
die gesellschaftliche Wirklichkeit zum gottesdienstlichen Zeichen
zu erheben oder der Machbarkeitsmentalität unserer Zeit einen
kirchlichen Ort zu geben. ‚Offene Liturgie‘ kann aber ebenso
nötiger Bestandteil einer dem Menschen zugewandten
Liturgiewissenschaft sein
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
Exkurs: Was meint „Participatio actuosa“?
• Der Begriff wurde zuerst von Papst Pius X. geprägt
– Im Motu proprio „Tra le sollecitudini“ über die Kirchenmusik vom 22.
November 1903 fordert der Papst eine „aktive Teilnahme an den
Mysterien und dem öffentlichen und feierlichen Gebet der Kirche“
– An der Liturgie tätig teilzunehmen, dazu hat das christliche Volk nach
SC 14 kraft der Taufe das Recht und besitzt dazu das Amt
– Liturgie ist nicht „zeitenthobener Kult“, sondern „Sakrament des
Heilswerkes“
– Festschreibung der „participatio plena, conscia et actuosa“
– Andererseits darf die „participatio actuosa“ nicht als einziges
liturgieprüfendes Kriterium gelten: Aktive Teilnahme aller an der
Liturgie kann nicht bedeuten, sie durch immer neue „Gestaltung“
durch irgendwelche Elemente der säkularen, bürgerlichen
Umgangsformen aktionsreicher zu machen
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
Exkurs: Was meint „Participatio actuosa“
• Joseph Ratzinger zur participatio actuosa
– „Tätige Teilnahme“ bedeutet nicht die Ausdehnung der Aktion um
ihrer selbst willen auf alle Teilnehmer, so dass „Liturgie“, einem
ständigen Wechsel der Erwartungen folgend, stets neu entworfen
werden müsste
– „Tätige Teilnahme“ bedeutet wesentlich Interiorisierung der
liturgischen Actio bei allen an ihr Teilnehmenden
– Die Erziehung zu einer höchst aktiven Verinnerlichung des liturgischen
Geschehens ist eine „Überlebensfrage der Liturgie als Liturgie“
– Es geht darum, die Gemeinde zum tätigen Mitvollzug der Liturgie zu
führen, nicht darum, die Liturgie selbst nach dem Grundsatz der
tätigen Teilnahme zu „gestalten“
– Participatio actuosa ist im tiefsten gemeinsame participatio Dei
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
Exkurs: Was meint „Participatio actuosa“?
• Hans Urs von Balthasar zur participatio actuosa
– „Norm und Maßstab für die Gestaltung unserer Gottesdienste“ ist
„das Lob der Herrlichkeit seiner Gnade“ (Eph 1,6)
– Das Kriterium der „Lebendigkeit“ eines Gottesdienstes ist höchst
zweideutig
– Eine Neigung, sich selber zu feiern statt Gott, wird sich unvermerkt,
aber auch unbedingt steigern, wenn der Glaube an die Realität des
eucharistischen Ereignisses verblasst.
– Wenn wir kleine Leute geworden sind, sollten wir das Mysterium, das
wir feiern, nicht auf unser Format zu reduzieren suchen
– Förderung der participatio actuosa ist die Aufgabe der Mystagogie
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
b) Rechtlich: Die Spannung zwischen festen Regeln und
Veränderbarkeit
Grundfrage: Widerspricht es nicht der Natur der Feier, die nach
allgemeiner Erfahrung nicht ohne Spontaneität auskommt, wenn sie
rechtlichem Reglement unterworfen wird?
– Albert Gerhards erinnert an die „euchologische Freiheit“, die bei
Hippolyt von Rom noch selbstverständlich gewesen sei und „die allein
durch die Forderung der Rechtgläubigkeit des Betens begrenzt wird“
– Stefan Rau: Liturgische Ordnung sichert nicht Gottes
Wirkungsmöglichkeiten, sondern die Verbindung der sichtbaren Kirche
zu ihren mystischen Wurzeln in den liturgischen Feiern
– Begründet wird das Bestehen fester Ordnungen damit, dass die
Liturgie kein selbstmächtiges Handeln der Kirche, sondern ein von
Christus gestiftetes und der Kirche übertragenes Tun ist, was „nach
einer allem willkürlichen Zugriff entzogenen Grundordnung verlangt“
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
• b) Rechtlich: Die Spannung zwischen festen Regeln und
Veränderbarkeit
• Es geht um die Wahrung der Identität der Liturgie über zeitliche und
räumliche Grenzen hinweg
• Freiheit zur Spontaneität in der Liturgie und Beobachtung einer
vorgegebenen Ordnung bilden die Pole eines Spannungsfeldes
• Dabei ist für die lateinische Kirche eine klar umschriebene
Ordnungskompetenz gegeben: Der Heilige Stuhl ordnet durch die
Herausgabe der amtlichen liturgischen Bücher und durch den Erlass
sonstiger Normen die Liturgie der Gesamtkirche
• Unter Beobachtung der obersten Autorität ordnet und beaufsichtigt der
Diözesanbischof die Liturgie seiner Teilkirche. Er besitzt bezüglich der
Diözesanliturgie (SC 13) eine eigene Gesetzgebungsgewalt
• Den Bischofskonferenzen obliegt es, volkssprachliche Übersetzungen der
liturgischen Bücher, erstellen zu lassen und nach Billigung durch den
Apostolischen Stuhl herauszugeben
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
b) Rechtlich: Die Spannung zwischen festen Regeln und
Veränderbarkeit
• Zwei Aufgaben der Bischofskonferenz
– die amtliche Übertragung lateinischer Liturgietexte in die
Landessprache
– die Ergänzung oder Änderung gesamtlateinischer
Gottesdienstordnungen
• Liturgie und Recht in der orthodoxen Kirche
– Bei aller Verschiedenheit ist eine Einheit liturgischer Vollzüge in den einzelnen
Kirchen gegeben; Überzeugung, dass keine einzelne orthodoxe Kirche die
Gottesdienstordnung ändern darf, weil sie sonst die Einheit aller orthodoxen
Kirchen in Gefahr brächte
– Entscheidend für das Wachsen der Gottesdienstordnung war immer eine
„Annahme von unten“; „Von oben“ initiierte Liturgiereformen konnten sich nie
durchsetzen; die gottesdienstliche Rechtsordnung ist eher als Rahmen zu
verstehen
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
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Die Verbindung der Liturgie zur Pastoral erhellt aus der Tatsache, dass es
in der Liturgie immer um den Menschen in seiner Gottesbeziehung geht
Da sich der Mensch und die Gesellschaft verändern, verändert sich auch
die Liturgie
Über die Eucharistie und die Sakramente hinaus öffnet die Liturgie ein
weites Feld, auf dem es pastorale Anknüpfungspunkte für den Menschen
von heute gibt
Dass man in der Pastoralliturgie stärker auf neue Formen von
Gottesdiensten zurückgreift, hat zwei Gründe: die Leitung von
Gottesdiensten durch Laien und die Sehnsucht des modernen Menschen
nach Ritualen und Segensfeiern
Suche nach „zeitgemäßen“ Gottesdienstformen, wobei „Zeitgemäßheit“ in
diesem Zusammenhang bedeutet, die aktuellen und (post)-modernen
Strömungen der Gesellschaft wahrzunehmen
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienste nach Großkatastrophen
- Begräbnisrituale 2009: Vorbereitung und Durchführung einer liturgischen
Feier nach Großschadensereignissen und Katastrophenfällen
- Der zentrale Mittelteil wird durch einen „Ritus des Gedenkens“ unter
Einbeziehung von Symbolen bzw. einer symbolischen Handlung, mit
genügend Raum für „Stille und Sprachlosigkeit“, gefeiert
- auf die Ambivalenz der Symbole achten
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienst mit Demenzkranken
- wertvolle Ergänzung zu den Andachten, die sonst in vielen Alten- und
Pflegeheimen stattfinden
- Das Besondere an Demenzgottesdiensten ist v.a. die Atmosphäre
- Die verkürzte Liturgie, einfache Sprache und Symbole sprechen nicht nur
demenziell erkrankte Menschen an
- Auch die Krankensalbung und/oder die Eucharistie können Bestandteil
dieser grundsätzlich kurzen Gottesdienste sein
- Die Musik ist – den Bedürfnissen angepasst – langsamer und tiefer als
gewohnt
- Es ist angemessen, dass nur eine Person (ob Priester oder Laie) dem
Gottesdienst vorsteht
- In Gottesdiensten mit Demenzkranken kann es passieren, dass
Gottesdienstteilnehmer dazwischen rufen
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienst mit Demenzkranken
- Zur Vorbereitung eines Demenzgottesdienstes kann man sich an einen
normalen (Wort-)Gottesdienstablauf halten. Er sollte nicht länger als eine
halbe Stunde sein.
- Die Ansprache muss sich auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der
Menschen mit Demenz einstellen und sollte möglichst viele Sinne
ansprechen
- Zwischen der Sprache der Predigt und der Sprache der liturgischen Texte,
der Gebete/Psalmen und der Lesungen ist zu unterscheiden
- Die Musik wird häufig als „Königsweg“ in der Begleitung von Menschen
mit Demenz bezeichnet
- Wichtig sind sinnenhafte Elemente und die haptische Wahrnehmung
- Wichtig ist aber auch, dass die demenziell erkrankten Menschen nicht wie
Kinder behandelt werden
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Grundlagen der Liturgie
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienste mit Menschen anderer Religionen
- Sondersituationen wie Krisen- oder Kriegszeiten bieten Anlässe für
multireligiöse Feiern, in denen die Religionen Zeichen für Versöhnung und
Frieden setzen
- Die Schule stellt in mancher Hinsicht einen Sonderbereich dar
- Von christlicher Seite aus sollte die Feier möglichst ökumenisch getragen
und von Geistlichen der entsprechenden Kirchen mitgestaltet werden
- Bei der Durchführung multireligiöser Feiern sollte darauf geachtet werden,
dass die Unterschiede zwischen den Vertretern der christlichen
Konfessionen und der anderen beteiligten Religionen von den
Mitfeiernden wahrgenommen werden können
- Auf die Auswahl geeigneter Orte muss große Sorgfalt verwendet werden
- Für christliche Einladungen an Juden und Muslime eignet sich besonders
die Tagzeitenliturgie
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Grundlagen der Liturgie
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienste mit Menschen anderer Religionen
- Vom Träger aus gesehen gibt es bei multireligiösen Feiern zwei Formen,
das Team-Modell und das Gastgeber-Modell
- Als grundsätzliche Regel gilt, dass auf das gemeinsame Beten verzichtet
wird
- Für den Ablauf und Aufbau einer multireligiösen Feier gibt es keine
verbindliche oder feststehende Form
- Geeignete christliche Gebetstexte sind unter anderem das Vaterunser, das
Benedictus, das Magnificat, Psalmen sowie Lieder und Hymnen
- Gesten/Gebärden: Entzünden von Kerzen, Formen des Friedensgrußes,
das Austeilen von Blumen oder andere geeignete Zeichen
- Das Schweigen als wichtiges und geeignetes Element, das der Sammlung
und dem stillen Beten dient, aber auch beim Gedenken von Opfern der
Gewalt und bei Bitten in Krisensituationen angebracht ist
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienste mit Menschen anderer Religionen
- Instrumentalmusik eignet sich meist besser als Gesang
- Als Modell multireligiösen Feierns gilt das Friedensgebet von Assisi (Papst
Johannes Paul II., 27. Oktober 1986)
- Das Treffen hatte die Form eines Pilgerwegs mit drei Stationen
- 3. Station: Buddhisten, Hindus, Jainas, Muslime, Shintoisten, Sikhs, die
Vertreter traditioneller Religionen Afrikas und Nordamerikas, die Parsen
und schließlich die Juden traten nacheinander vor uns sprachen ein Gebet
- Die Christen machten mit Evangelienlesung (Lk 6,20-31), Fürbitten,
Vaterunser und einer Verpflichtungserklärung für den Frieden den Schluss
- Als typisch erschien dabei der Verzicht auf ein gemeinsam gesprochenes
Gebet, um die unterschiedlichen Gottesvorstellungen zu respektieren
- Die 1968 in Rom gegründete internationale Laiengemeinschaft Sant'Egidio
übernahm die Aufgabe, regelmäßige Folgetreffen zu veranstalten
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienste mit Menschen anderer Religionen
- Vorstellung, dass die Religionen sich umso näher kommen, je mehr sie die
Tiefe der eigenen Tradition entdecken, darin Gott nahe kommen und zum
Frieden finden
- Das Grundprinzip von Assisi, in Eintracht zusammenzukommen, um in der
jeweiligen Tradition für den Frieden zu beten, wird übernommen
- Darüber hinaus entfallen die öffentlichen Gebete der einzelnen
Religionsvertreter, wie sie 1986 in Assisi zugelassen worden waren
- Zwei Formen der multireligiösen Feier: Die ältere Form von 1986
veranschaulicht mit öffentlichen Gebetselementen die Hinwendung aller
Teilnehmer zu Gott und setzt Toleranz gegenüber nichtchristlichem
religiösem Brauchtum voraus
- Die jüngere Form der Nachfolgetreffen vermeidet durch den Verzicht auf
öffentliche Gebete negative Emotionen durch die Konfrontation mit
fremdartigen Riten und Texten.
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienste mit „Gottsuchenden“
- Die älteste Gruppe von Feieranlässen sind die Feiern im Kirchenjahr
- Erfurt 1988: feierliches „Weihnachtslob“ mit Weihnachtsmusik und
Weihnachtsevangelium für die Nicht-Christen
- Aschermittwoch der Künste, Segensgottesdienste für Liebende am
Valentinstag (finden inzwischen an vielen Orten im deutschen
Sprachgebiet statt), Heilungsgottesdienste am Gedenktag der Hl. Kosmas
und Damian, Gottesdienste zur Eröffnung oder während des
Weihnachtsmarktes
- Ein weiteres Feld für Gottesdienste mit Gottsuchenden sind biographische
Knotenpunkte, sind sie doch immer für Glaubende wie Suchende ein
Anlass, nach Gott zu fragen
- neue Formen des Totengedächtnisses, z.B. für Menschen, die ohne
Angehörige bestattet wurden, oder für verstorbene Obdachlose, für
vorgeburtlich verstorbene Kinder
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
c) Pastoral: Liturgie als Ausdruck gelebten Glaubens
Gottesdienste mit „Gottsuchenden“
- Segensgottesdienste an „Schwellenzeiten“: Segnungen für werdende
Eltern oder zu nichtsakramentalen Salbungsgottesdiensten und
Heilungsfeiern mit einer Einzelsegnung
- Schwelle vom Abend zur Nacht: „Nachteulengottesdienst“, „Nacht der
Kirchen“, „Nacht der Lichter“, „Jugendvigil“, „NachtschwärmerGottesdienst“, „Night-Fever-Gottesdienste“
- In jedem Fall spielt die atmosphärische Dichte hier eine herausragende
Rolle, um suchende Menschen anzusprechen oder sogar anzuziehen.
- Kult und Kultur: Literatur- oder Operngottesdienste,
Kantatengottesdienste, Orgelvespern, Prozession mit Kunststationen,
spirituelle Kirchenführung
- Beispiel eines Literaturgottesdienstes in Luzern/Schweiz (Gunda Brüske):
Dialog zwischen Bibel – Literatur – Musik (Orgel), der im Raum der Kirche,
also vor Gott stattfindet VL Liturgiewissenschaft SoSe 2016
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Grundlagen der Liturgie
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
d) Geistlich: Die Himmelfahrt als Ursprung der Liturgie
• Jean Corbon: Liturgie aus dem Urquell (1981)
– Die Himmelfahrt ist eine progressive Bewegung, „vom Anfang zu je
neuem Anfang“ (Gregor von Nyssa)
– „Energie“ bzw. „Synergie“ ist eines der Schlüsselworte bei Corbon:
„Wenn die Energie des Menschen, vom Geist erweckt, sich mit der
Gottes verbindet, wird sie zur Synergie. Die Liturgie ist wesenhaft
Synergie des Geistes und der Kirche.“
– Liturgie als Quelle, worin die Leben spendende Menschheit des
inkarnierten Wortes zusammen mit dem Vater den Lebensstrom
sprudeln lässt: das ist die himmlische Liturgie.
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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3. Historische, rechtliche, pastorale und
geistliche Aspekte der Liturgie
d) Geistlich: Die Himmelfahrt als Ursprung der Liturgie
• Jean Corbon: Liturgie aus dem Urquell (1981)
– In diesem geistlichen Verständnis von Liturgie spielt die Rückkehr zum
Vater eine große Rolle. Die Feier der himmlischen Liturgie hebt mit
dieser Rückbewegung an
– Liturgie als Rückstrom der Liebe, mit dem alles sich in Leben wandelt
– Bedeutung der Doxologie: Die Liturgie ist wesenhaft doxologisch
(Ausdruck der Glorie), sofern sie die Quelle feiert
– Von ihrem Urquell aus und in alle ihre Entfaltungen hinein badet die
Liturgie in Strahlen der Heiligkeit: Sie ist als ganze Anbetung
– Die himmlische Liturgie feiert das ständige Ereignis der Rückkehr des
Sohnes und aller in Ihm in das Haus des Vaters. Das ist Fest, Mahlzeit,
Feier, Hochzeit des Geliebten mit seiner Gattin.
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
a) Aspekte einer trinitarischen Theologie der Liturgie
• Trinitarische Durchsicht der Eucharistiefeier
– In der Liturgie gibt es zahlreiche trinitarische Elemente, vom
Kreuzzeichen über den liturgischen Gruß (2 Kor 1,2) bis hin zum Segen
– An Christus gerichtete liturgische Gebete: Kyrie, Gloria, Benedictus, Te
Deum, Gemeindeakklamationen (Geheimnis des Glaubens, Nach dem
Embolismus des Vater unser), Agnus Dei, Trishagion
– Grundstruktur christlicher Liturgie seit den Anfängen der Kirche: ad
Patrem per Christum in unitate Spiritus Sancti (patrozentrische
Grundausrichtung)
– Priesterliche Präsidialgebete (bis auf wenige Ausnahmen alle an Gott
den Vater gerichtet)
– das eucharistische Hochgebet - die Höchstform liturgischen Gebets
und zentraler Akt der Anbetung und des Lobpreises Gottes - ist
ebenfalls an Gott den Vater adressiert
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
a) Aspekte einer trinitarischen Theologie der Liturgie
• Trinitarische Durchsicht der Eucharistiefeier
– Bipolarität des liturgischen Gebets ad Patrem und ad Christum
– Anabatische Dynamik: in den Gebeten, besonders im eucharistischen
Hochgebet
– Katabatische Dynamik: besonders in der Verkündigung des
Evangeliums und in der Kommunion
– Verba Testamenti nicht einfach Erinnerung an ein Ereignis der
Vergangenheit (vorgesehene Kniebeuge)
– Geistepiklese unterstreicht die pneumatologische Dimension der
eucharistischen Liturgie
– Kelchwort als Ausdruck der Christozentrik mit eschatologischer
Ausrichtung (Mk 14, 25)
– Kommunion als Vorgeschmack des „Hochzeitsmahles des Lammes“
– Teilhabe an Leib und Blut Christi als Gemeinschaft mit dem dreieinigen
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16.05.2016Gott
Anthropologische und theologische
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Grundlagen der Liturgie
4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
a) Aspekte einer trinitarischen Theologie der Liturgie
• Theozentrik und Christozentrik
– Anabatische Bewegung des Gebets per Christum in Spiritu Sancto ad
Patrem (Synode von Hippo Regius 393)
– Jesus Christus ist nicht nur auf der Seite der betenden Gemeinde. Als
der göttliche Mittler des Heils wird er zugleich mit dem Vater und dem
Geist angebetet und verherrlicht.
– Prinzip der Homotimie (= Gleichverehrung) für Vater, Sohn und Geist
ist weder gegen das von Gott zu seinem besonderen Eigentum
erwählten Volk Israel gerichtet noch gegen die im Shema Israel
proklamierte Einheit und Einzigkeit Gottes
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
b) Dreieinheit Gottes in der Liturgie
• Die kleine Doxologie: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Hl.
Geist“
– Bereits im 6. Jahrhundert Abschlussgebet oder Teil des
abschließenden Gebets nach den Psalmen
– Ergebnis innerkirchlicher Differenzen: die dogmatischen Streitigkeiten
der Alten Kirche haben schließlich zu ihrer Formulierung geführt
– Parataktische Nennung der drei Personen hat eine stärker statische
denn dynamische Interpretation der Dreifaltigkeit (nicht ohne
theologische Probleme)
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
b) Dreieinheit Gottes in der Liturgie
• Die große Doxologie – Gloria in excelsis Deo
– Klare Dreiteilung: Ruf der Engel nach Lk 2,14 – Lobpreis Gottes –
Anrufungen Christi
– Haltung der Gläubigen: „wir loben dich“, „wir preisen dich“, „wir beten
dich an“, „wir rühmen dich“
– Ausdruck der Hoffnung: „der du hinweg nimmst die Sünden der Welt,
erbarme dich unser; der du hinweg nimmst die Sünden der Welt,
nimm an unser Gebet.“
– In der liturgischen Feier - und das ist ein erstes und wichtiges Merkmal
des trinitarischen Bekenntnisses in der Liturgie - kommt es zur
Partizipation an der Heilsdynamik der Trinität.
– Unterschiede zwischen den verschiedenen liturgischen Texten im Blick
auf ökonomische und immanente Trinität
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Grundlagen der Liturgie
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
b) Dreieinheit Gottes in der Liturgie
• Das Credo
– Bekenntnistext der römischen Liturgie, erst spät etabliert
– AEM 43 interpretiert diesen Text als Zustimmung zu und Antwort auf
das Wort Gottes
– Mit Blick auf die Geschichte wird man von einer Vieldeutigkeit gerade
des Credo in der Messfeier sprechen dürfen: Vergegenwärtigung der
Glaubensregel – Reinigungsritus – Beginn der Eucharistie – Ausdruck
von Rechtgläubigkeit
– Man wird das Credo in Anlehnung an Jungmann als Bekenntnis in
hymnischer Gestalt bezeichnen dürfen
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
b) Dreieinheit Gottes in der Liturgie
• Die Taufformel
– Die Taufformel ist ein exzellentes Beispiel für performatives Sprechen:
Es geht im Kern um ein „Zusprechen“
– Indem diese Formel mit der Handlung des Eintauchens oder
Übergießens verbunden wird, vollzieht sich das Taufgeschehen und
partizipiert der Täufling an der Heilsökonomie Gottes. Er erhält
Gemeinschaft mit dem dreieinen Gott.
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
b) Dreieinheit Gottes in der Liturgie
• Kreuzzeichen
– Begegnet sowohl als Selbstbekreuzigung als auch als Segensgestus
– Seit dem 4. Jahrhundert ist die Begleitung des Kreuzzeichens mit der
trinitarischen Formel Praxis
– Tauferinnerung: In der Taufe bin ich Kind des Vaters geworden, Bruder
oder Schwester des für mich dahingegebenen Sohnes, Tempel des
Heiligen Geistes (Balthasar Fischer)
– In einer durch Körperlichkeit und Intuition geprägten Kommunikation
wird das Erfasstsein des Menschen von der Dreifaltigkeit repräsentiert
(vgl. in der griechischen und russischen Orthodoxie die Fingerhaltung
beim Kreuzzeichen, die noch einmal auf die Trinität verweist)
– Auf der Ebene des rituellen Vollzugs bringt die Performanz
Emotionalität, Assoziation, auch beispielsweise Räumlichkeit und im
weiteren Sinne Ästhetik ins Spiel
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Grundlagen der Liturgie
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
b) Dreieinheit Gottes in der Liturgie
• Bilder und Räume
– Bilder im Kirchenraum, die die Trinität entweder als Einheit oder als
Dreiheit darstellen, sind keine Seltenheit
– Auseinandersetzungen um bildliche Darstellungen der Trinität:
Benedikt XIV. warnte vor Darstellungen der Trinität, die drei Personen
zeigten und insbesondere den Heiligen Geist als jungen Mann bzw.
Frau abbildeten; Urban VIII. verbot den Tricephalos, Bilder, die einen
Leib mit drei Köpfen zeigen
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Grundlagen der Liturgie
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
Bilder und Räume
– Geometrische Zeichen: Dreieck
– Alttestamentliche Bilder: Begegnung Abrahams mit den drei Männern
(Gen 18, 1-16)
– Das ausdrucksstärkste und verbreitetste Bild aus neutestamentlichen
Motiven ist im Westen der Gnadenstuhl
– Architekturdetails wie drei Kirchenschiffe, drei Apsiden, drei Fenster
als Hinweise auf die Dreifaltigkeit (Zisterzienser – Helfta,
Seminarkapelle Fulda)
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Grundlagen der Liturgie
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4. Die christologisch-trinitarische
Grundstruktur der Liturgie
b) Dreieinheit Gottes in der Liturgie
• Votivmesse „Von der heiligen Dreifaltigkeit“ und Dreifaltigkeitsfest
– Messformular bereits um 800 belegt, im Mittelalter stark verbreitet
– wurde mit regionalen Unterschieden in allen Sonntagsmessen
zwischen Pfingstoktav und Advent verwendet
– Dreifaltigkeitsfest: Ideenfest, das bereits im 10. Jh. nachweisbar ist und
erst 1334 durch Johannes XXII. gesamtkirchlich vorgeschrieben wurde
– In Rom lange skeptisch, erst mit dem Missale Romanum 1570
endgültig festgelegt
– Präfation ein dogmatisch geprägter Text, der der Liturgie wenig
angemessen ist
– wenig Brauchtum mit dem Fest verbunden
– Missale 1570: immanente Trinität – Missale 1970: ökonomische
Trinität
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
• 1. Wortsprachen: Sprach- und Schriftcode (Liturgiesprachen) sowie
Sprechcodes (dazu gehören Lautstärke, Tonhöhe, Betonungen usw.)
• 2. Körpersprachen (Mimik, Gestik, Haltungen, Bewegungen durch den
Raum, Stellungen im Raum, Berührungen, Geschmack und Geruch)
• 3. Klangsprachen (akustische Codes wie Klänge, Geräusche, insbesondere
die musikalischen Codes)
• 4. Objekt-Sprachen (Kleider, Raumschmuck, liturgische Geräte und Gefäße,
Bilder, Symbole von unterschiedlicher sinnlicher Wahrnehmbarkeit,
insbesondere der Raum und seine Ausstattung)
• 5. Soziale Sprachen (Personen und Gemeinde als Repräsentanten Christi,
Inszenierungen, Gliederung der Zeit, Festcode)
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
a) Zeichensprache Wort – Sprach- und Sprechcodes, Schweigen
– Das Wort ist das erste und hauptsächlichste Zeichen, dessen sich die
Liturgie bedient
– Augustinus: „Nimm weg das Wort, und was ist das Wasser als eben
Wasser? Es tritt das Wort zum Element, und es entsteht das
Sakrament – accedit verbum ad elementum et fit sacramentum –,
selbst gleichsam sichtbares Wort.“ (In Ioh tract. 80, 3)
– Thomas von Aquin: „Darum werden die Worte, durch welche die
sakramentalen Elemente geheiligt werden, Form, und die geweihten
Elemente Materie der Sakramente genannt.“ (De art. fid. et eccl. sacr.,
614)
– Im Wort manifestiert sich der Heilswille Gottes
– Gott macht das hörbare Wort in der Heilsvermittlung zur Brücke
zwischen ihm und den Menschen
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
a) Zeichensprache Wort – Sprach- und Sprechcodes, Schweigen
• Formen des Gebetswortes: Anbetung, Danksagung, Bitte
• Sakramentalien: Weihen, Segnungen, Exorzismen
• Konkrete Ausdrucksformen
– Einführung
– Oratio / Hochgebet (priesterliche Gebete)
– Lesungen
– Evangelium
– Antwortruf / Akklamation
– Psalmengesang
– Liedtexte
– Kommentare
– Ansprache
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
a) Zeichensprache Wort – Sprach- und Sprechcodes, Schweigen
• Schweigen
– Gefülltes Schweigen: mehr als Abwesenheit von Rede und Aktion
– Vor dem Tagesgebet (Collecta)
– Nach der Predigt
– Nach dem Kommunionempfang: Augenblick für eine innere
Zwiesprache mit dem Herrn
– Gabenbereitung: Bereitung seiner selbst (dem äußerlichen Vorgang
entspricht ein innerer Prozess)
– Wandlungsstille
– Stille Priestergebete (stark reduziert, aber weiterhin vorhanden): vor
der Verkündigung des Evangeliums (1), bei der Gabenbereitung (5:
über Brot und Wein; bei der Mischung des Kelches; als Gebet der
Demut; bei der Händewaschung) , vor dem Kommunionempfang (2),
nach dem Kommunionempfang bei der Purifikation der Gefäße (1)
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
b) Zeichensprache Körper – Gestus, Haltung und Bewegung
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Verneigungen
Kniebeugen
Prostrationen
das Ausstrecken oder Falten der Hände
die verschiedenen Arten des Kreuzzeichens
das An-die-Brust-Schlagen
die Auflegung der Hände
die Anhauchungen
die geordneten gemeinschaftlichen Bewegungen der an der Liturgie
Beteiligten, sowohl im engeren Bereich des liturgischen Geschehens
(Ministranten, Lektoren, Kommunionhelfer) als auch des ganzen
Volkes
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Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
b) Zeichensprache Körper – Gestus, Haltung und Bewegung
• Orantenhaltung
– Urgebärde des zu Gott rufenden Menschen
– christologische Bedeutung: Erinnerung an die ausgebreiteten Hände
Christi am Kreuz
– Radikale Form der Anbetung
– Öffnung zu Gott, die vollständige Übereignung an ihn, ist zugleich
untrennbar Zuwendung zum Nächsten
• Gefaltete Hände
– Aus dem Lehenswesen (symbolischer Vorgang)
– Ausdruck des Vertrauens ebenso wie der Treue
– In der Priesterweihe erhalten geblieben
– Christologische Bedeutung: Der Priester legt seine Hände in die Hände
Christi, vertraut sich ihm an und gibt ihm die eigenen Hände
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7. Die liturgischen Zeichensprachen
b) Zeichensprache Körper – Gestus, Haltung und Bewegung
• Verneigung
– 1. Hochgebet: „Supplices“ – tiefgebeugt – „flehen wir zu dir“
– der körperliche Ausdruck für das, was die Bibel Demut nennt (Demut
als Grundhaltung christlicher Existenz)
– Gebärde von großem Tiefgang
• Das Klopfen an die Brust
– Gebärde des Zöllners (Lk 18, 9-14)
– Sinnvolle Gebetsgebärde
– Schuldbekenntnis: „Mea culpa“
– Agnus Dei: Wir schauen auf den hin, der der Hirte ist und für uns
Lamm wurde, als Lamm unsere Schulden trug; so ist es nur richtig,
auch in diesem Augenblick an die Brust zu klopfen
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
c) Zeichensprache Klang – Musik im Gottesdienst
–
–
–
–
–
–
Ästhetik der Liturgie hat verschiedene Dimensionen
Klang (Musik)
Mimik, Gestik, Tanz (Darstellende Kunst)
Gestaltete Materie (Bildende Kunst)
Ästhetik der Vergegenwärtigung
Der Modus des Wortes in der Liturgie ist ein dreifacher, festzumachen
an den Vollzügen der (erzählenden) Anamnese, der (bittenden)
Epiklese und der (preisenden) Doxologie
– Anforderungen an eine liturgiegemäße Kirchenmusik sind erheblich
gestiegen
– Gemeinde ist nicht nur stumme Zeugin, sondern aktive Mitspielerin im
Heiligen Spiel (participatio actuosa)
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Anthropologische und theologische
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
c) Zeichensprache Klang – Musik im Gottesdienst
– Die Kirchenmusik bildet im Gottesdienst als Ort der Doxologie jenen
Klangraum, in dem die Antwort in Freiheit erfolgen kann
– Akustische Seite des symbolischen Raums gott-menschlicher
Kommunikation
– Musik im Gottesdienst ist Anwältin des Subjektiven, nicht um das
„Objektive“ der göttlichen Vorgabe zu relativieren, sondern um es zu
vergegenwärtigen
– Wesentlicher Faktor des Gottesdienstes als Ereignis gott-menschlicher
Begegnung
• Gregorianik
– SC 116: „Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Choral als den der
römischen Liturgie eigenen Gesang; demgemäß soll er in ihren
liturgischen Handlungen … den ersten Platz einnehmen.“
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
c) Zeichensprache Klang – Musik im Gottesdienst
• Gregorianik
– Zulässigkeit anderer Arten von Kirchenmusik, insbesondere der
Polyphonie
– Akklamationen, Antworten, Psalmengesang, Antiphonen
(Rahmenverse zum Psalmengesang), Lieder
– Der Gregorianische Gesang hat eine traditionelle Sonderstellung
wegen seines Alters, doch werden prinzipiell alle anderen Formen
musikalischer Verlautung zugelassen
– Gregorianik ist demnach zwar der älteste, aber doch nur einer von
vielen möglichen Stilen der Musica sacra
– Entscheidend ist das mit dem Gregorianischen Choral verbundene
Prinzip der Textbezogenheit
– Liturgie ist von ihrem Wesen her niemals bloßer Textvollzug, sondern
auch Verlautung, Klangrede – in der klassischen Liturgie gibt es keinen
Textvollzug ohne Gesang
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
c) Zeichensprache Klang – Musik im Gottesdienst
• Gregorianik
– poetische Stücke wie Hymnen und Sequenzen
– litaneiartige Gesänge wie die Improperien (Klagegesänge) der
Karfreitagsliturgie
– Ordinariumsmesse (formale Geschlossenheit ist eher zufällig)
• Kyrie ist Relikt einer Fürbittlitanei östlicher Provenienz
• Gloria ist anfänglich ein griechischer Morgenhymnus der Tagzeitenliturgie
aus der Zeit der Alten Kirche
• Credo gehört ursprünglich in den Kontext der Taufliturgie und ist eine
mittelalterliche Zutat zum Ordo Missae
• Sanctus und Benedictus scheinen als Bestandteil des eucharistischen
Hochgebets in die Zeit der Entstehung des römischen Ritus
hineinzuweisen
• Agnus Dei ist ebenfalls eine orientalische Anleihe aus der Zeit um 700
– Troparien (Sammlungen von Texteinschüben, abgeleitet von „tropus“)
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VL Liturgiewissenschaft SoSe 2016
Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
c) Zeichensprache Klang – Musik im Gottesdienst
• Weitere Formen kirchenmusikalischer Entfaltung
– Tagzeitenliturgie: die feierliche Vesper, die Responsorien der
Karmetten, Stücke aus der Komplet, das „Salve Regina“
– Litaneien sowie freie Motetten, die auch wiederum in der Hl. Messe
Raum greifen konnten (z.B. bei der Elevation der eucharistischen
Gestalten)
– Instrumentalmusik (Sonderfall): Orgel, Bläser- und Streichermusik
– Religiöser Volksgesang: Aus mittelalterlichen Cantiones und Leisen
(d.h. Kyrie-Tropen) entwickelte sich das Kirchenlied, zunächst aus
reformatorischem Impuls, bald aber auch in gegenreformatorischer
Reaktion
– von der katholischen Liturgie trotz mancher Teilerfolge in der Zeit des
Barock und der Aufklärung systematisch meist ferngehalten (Grund
dafür, dass in rein katholischen Ländern kaum eine Tradition des
Kirchenliedes anzutreffen ist)
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
c) Zeichensprache Klang – Musik im Gottesdienst
• Weitere Formen kirchenmusikalischer Entfaltung
– Kirchenmusikinstruktion „Musicam Sacram“ (1967): Leitprinzip der
„tätigen Teilnahme“
– Ein bis heute ungelöstes Problem liegt in der Tatsache, dass die ältere
Kirchenliedtradition außer- oder paraliturgisch geprägt war. Die
Eucharistiefeier bietet im Grunde wenig Raum für das Strophenlied.
– Spannung zwischen dem, was die kirchliche Liturgie vorschreibt und
dem, was gern gesungen wird (Auseinandersetzungen um das „Neue
Geistliche Lied“)
– Spannung zwischen „objektiver“ Vorgabe und „subjektivem“
Empfinden
– Fazit I: Im Singen kommen die Grundakte liturgischen Sprechens mit
ihren vielfältigen Differenzierungen zum Ausdruck: Es handelt sich im
Wesentlichen um die drei Vollzüge Anaklese (Anrede), Anamnese
(Erinnerung) und Epiklese
(Anrufung)SoSe 2016
VL Liturgiewissenschaft
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Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
c) Zeichensprache Klang – Musik im Gottesdienst
• Grundakte liturgischen Sprechens
– Anrede (Anaklese): Im Stundengebet ist es der Ruf „Deus, in
adiutorium meum intende!“ (O Gott, komm mir zu Hilfe!), bei der Hl.
Messe der Introitusgesang; Die Funktion der Anrede haben aber auch
das Eröffnungslied oder der Hymnus zu Beginn von Stundengebet oder
Messe (Gloria)
– Erinnerung (Anamnese): Lieder als Träger von Erinnerung (z.B. „Beim
letzten Abendmahle“, GL )
– Anrufung (Epiklese): O-Antiphonen der Adventszeit – eschatologische
Dimension
– Fazit II: In diesem umfassenden Sinn ist Kirchenmusik also Klang des
Unsagbaren. Sie ist letztlich Dienerin, Klangbild des in uns seufzenden
Heiligen Geistes (Röm 8,26), aber nicht Medium des von Menschen
Gemachten
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
d) Zeichensprache Objekt – Kirchenraum, Geräte, Gewänder
– Raum, besondere Orte, Gefäße und Geräte, Gewänder und Textilien
– Nicht nur Äußerlichkeit, sondern Äußerung
• Raumdimension
– traditionell etwas Statisches (Einführung der Kirchenbänke in der
Reformationszeit, Versammlung für Glaubensunterweisung)
– Tatsächlich dienten die Kirchenräume in der Spätantike und im
Mittelalter aber vornehmlich Bewegungsabläufen
– Die Wiederentdeckung der Bewegungsdimension als Bestandteil der
Liturgie ist eine notwendige Folge des erneuerten Liturgieverständnisses.
– Dabei ist zu bedenken, dass erst in der Phase der Liturgiereform
vielfältige Elemente der Bewegungsdimension (z.B. Prozessionen,
Umgänge u.Ä.) abgeschafft wurden.
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
d) Zeichensprache Objekt – Kirchenraum, Geräte, Gewänder
• Raumdimension
– Problem einer Raumantinomie zwischen Ausrichtung und
Zentralisierung
– Beide Dimensionen, die der zentrierten Versammlung und die der
exzentrischen Ausrichtung, gehören im christlichen Gottesdienst
zusammen und müssen im Gleichgewicht gehalten werden
– Frage, ob die konzentrisch (um eine Mitte zusammengekommene)
Versammlung der Gemeinde in sich geschlossen oder auch offen ist
– Orientierung muss gewahrt werden: Dabei geht es um die Begegnung
mit Gott, dem Vater, durch Jesus Christus im Heiligen Geist
• Altar
– von Anfang an hat es sowohl feststehende als auch bewegliche Altäre
gegeben
– die Dimensionen Opfer und Mahl koexistierten dabei, wenn auch je
nach Zeit und kulturellem
Kontext mit
unterschiedlicher
Gewichtung
VL Liturgiewissenschaft
SoSe
2016
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
d) Zeichensprache Objekt – Kirchenraum, Geräte, Gewänder
• Altar
– Uneigentlichkeit: nicht eigentlich Opferstätte – aber doch Unterlage,
auf welche die Gaben abgelegt werden – und nicht eigentlich Esstisch
– aber doch Tisch, von dem die Mahlgaben empfangen werden
– Ort gott-menschlicher Kommunikation
– Vier Bewegungsrichtungen
• die zentripetale Richtung der Gabenprozession, deren Ziel der Altar darstellt;
• die deszendente des Ablegens der Gaben auf dem Altar bei der Gabenbereitung
sowie im epikletischen Gestus während des Eucharistiegebetes;
• die aszendente beim zusammenfassenden Lobpreis unter Erhebung der Gaben am
Ende des Eucharistiegebetes;
• die zentrifugale beim Ausspenden der eucharistischen Gaben bei der Kommunion
vom Altar.
– Aufgabe für die Zukunft: Ausgleich zwischen der Erfahrung der
Gemeinschaft und der Öffnung der Gemeinde auf Gott hin
VL Liturgiewissenschaft
SoSe
2016
– Frage des Aufbewahrungsortes
für die
konsekrierten
Hostien
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Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
d) Zeichensprache Objekt – Kirchenraum, Geräte, Gewänder
• Ambo
– Frage der Platzierung des Ambos im Altar- bzw. Kirchenraum
– ein zweiter Tisch neben oder gegenüber dem Altartisch (Tisch des
Wortes nur eine Metapher)?
– Ort des Verkündigungsgeschehens: Insofern sich am Ambo Anamnese
und damit Vergegenwärtigung ereignet, ist er im Vollzug durchaus mit
dem Altar als Ort der eucharistischen Anamnese vergleichbar
– Eine Theologie des Ambos leitet sich vom anamnetischen Charakter
des Wortgottesdienstes her
– deutliche Unterscheidung zwischen Evangeliumsverkündigung und
den anderen Schriftlesungen in der Topographie der römischen
Basilika mit den beiden Ambonen (z.B. San Clemente)
– Analogie zum Altar als Ort der Christusanamnese in der Eucharistie:
analog zum Aufbewahrungsort für die Eucharistie (Tabernakel) sollte
es auch einen Ort fürVLdie
Aufbewahrung
des Evangeliars geben
Liturgiewissenschaft
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Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
d) Zeichensprache Objekt – Kirchenraum, Geräte, Gewänder
• Taufort
– der dritte anamnetische Ort im liturgischen Feierraum
– Aufwertung durch die Liturgiereform
– Unterschiedliche Gestalt der Tauforte
• Taufe und Umkehr: Umkehrgedanke im Ritus der Apotaxis (Absage an Satan, nach
Westen) und Syntaxis (Zusage an Christus, nach Osten)
• Taufe und Sterben: Kreuzförmige Taufbecken und Baptisterien verweisen auf die
staurozentrische Interpretationsebene; Heraussteigen aus dem Taufbrunnen als
Emporsteigen aus dem Grab
• Taufe und Rettung: Taufort wird als Durchzug durch das Rote Meer (in Richtung
Osten) interpretiert und gestaltet
– Die ursprünglich noch recht voluminösen romanischen Taufbecken
(aus Stein oder Bronze) schrumpften mit der Zeit
– Heute: neue Bedeutung im Zusammenhang mit der Wiedereinführung
des Katechumenats (welche ntl. Typologie steckt dahinter?)
– Frage nach einem angemessenen
Aufbewahrungsort
für die drei
VL Liturgiewissenschaft
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16.05.2016Heiligen Öle (Chrisam,
Anthropologische
und theologische
72
Katechumenenund
Krankenöl)
Grundlagen der Liturgie
5. Die liturgischen Zeichensprachen
d) Zeichensprache Objekt – Kirchenraum, Geräte, Gewänder
– Kelchgefäße und Patene, Ziborium und Monstranz
– Silber und Gold symbolisieren die Nähe zum Heiligen
– Unterscheidung zwischen „Vasa Sacra“ und „Vasa non sacra“, je nach
Nähe zum eucharistischen Geschehen; unter den „Vasa sacra“ sind in
erster Linie Hostienschale und Kelch zu nennen
– Kelch: Während der antike Kelch für das Weiterreichen und das
Trinken durch eine größere Anzahl von Personen gedacht war, ist der
Barockkelch mit seinem großen Fuß und der kleinen Kuppa für den
Zeigegestus und als Trinkgefäß für nur eine Person konstruiert
– Gefäß für das eucharistische Brot: Aus dem Brotteller (im Osten bis
heute der „Diskos“) wurde das Ziborium für die Aufbewahrung der
Hostien für die Kommunion außerhalb der Messfeier und die kleine
Patene für die Priesterhostie
– Im Hochmittelalter Gefäße für Zeigerituale: Pyxiden, Ziborien,
Monstranzen
VL Liturgiewissenschaft SoSe 2016
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
d) Zeichensprache Objekt – Kirchenraum, Geräte, Gewänder
• Gefäße
– Bestimmung, dass der Priester nach der Konsekration Daumen und
Zeigefinger bis zur Händewaschung nach der Kommunion geschlossen
halten muss, führte zu der Vorschrift, am Kelch eine Verdickung
(Nodus = Knoten) anzubringen
– Vorgabe des Konzils: „Glanz edler Einfachheit“ (SC 34)
– Dennoch gilt: An erster Stelle steht die Eignung für die Funktion im
liturgischen Handlungsgeschehen
• Gewänder und Textilien
– nachlässiger Umgang mit Paramenten, Antependien oder der
Altarwäsche in der zweiten Hälfte des 20. Jhs
– Kreative Wiedergewinnung der Sinnlichkeit
– Wiederentdeckung des Textils
– Bedeutung der Johannes-Apokalypse, in die nach Meinung mancher
VL Liturgiewissenschaft
2016
Autoren konkrete liturgische
BräucheSoSe
eingeflossen
sind
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Grundlagen der Liturgie
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5. Die liturgischen Zeichensprachen
d) Zeichensprache Objekt – Kirchenraum, Geräte, Gewänder
• Gewänder und Textilien
– Aus der Alltagskleidung entwickeln sich mit der Zeit liturgische
Gewänder
– Auf katholischer Seite ist nach einer reduktiven Phase eine
Wiederentdeckung der textilen Dimension festzustellen
– Wichtig ist die theologische Ebene: Mit dem paulinischen Motiv des
Anziehens Christi bzw. des Überkleidetwerdens mit Unsterblichkeit
bekommt das Gewand eine soteriologisch konnotierte Symbolik
– Neue Fragen
• Sollen die liturgischen Dienste (Lektor, Kommunionhelfer) liturgische Kleidung
tragen? Wie hat sich diese von Klerikergewändern zu unterscheiden?
• Taufschal? Verwechslung mit Priesterstola?
• Blick für die erforderte Qualität alter und neuer Paramente und Textilien
– Fazit: Im Bereich der Zeichen und Symbole gibt es keine
„Nebensachen“, da jedes falsch gesetzte Zeichen zum beherrschenden
VL Liturgiewissenschaft
SoSe 2016
Störfaktor werden kann
(z.B. auch Blumenschmuck
im Altarraum)
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Anthropologische und theologische
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Grundlagen der Liturgie
5. Die liturgischen Zeichensprachen
e) Zeichensprache Personen – die gegliederte Gemeinschaft
– auch die Personen innerhalb des Gottesdienstes bilden ein liturgisches
Zeichen
– Symbolwert der „hierarchischen Liturgen“ (Vorsteher)
– Ignatius von Antiochien: „Seid bestrebt, alles in Gottes Eintracht zu
tun, wobei der Bischof an Gottes Stelle und die Presbyter an Stelle der
Ratsversammlung der Apostel den Vorsitz führen und die mir
besonders lieben Diakone mit dem Dienst Christi betraut sind.“
– Bedeutung des Gehörs- und Gesichtssinnes, vgl. Augustinus: „Von den
Zeichen, wodurch sich die Menschen ihre Gefühle mitteilen, gehören
einige zu dem Gesichtssinn, die meisten zum Gehörssinn, nur sehr
wenige zu den übrigen Sinnen. Wenn wir z.B. jemandem zunicken, so
geben wir nur den Augen desjenigen, dem wir dadurch unsere Absicht
mitteilen wollen, ein Zeichen; auch die Schauspieler geben denen, die
solche Zeichen verstehen, durch die Bewegung ihrer Glieder Zeichen
und sprechen gleichsam mit deren Augen; all diese Zeichen sind
Liturgiewissenschaft SoSe 2016
sozusagen sichtbare VL
Worte.“
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
a) Romano Guardini und die Entwicklung einer systematischen
Liturgiewissenschaft
– Aufsatz „Über die systematische Methode in der Liturgiewissenschaft“
von 1921
– Guardini differenziert darin zwischen der historisch arbeitenden und
der systematischen Liturgiewissenschaft
– Markierung der Liturgie als Theologie
– Es geht in der Liturgie um Werden und Sein
– Vorbild ist für ihn die mystisch-symbolische Erklärungsweise der Väter
und des Mittelalters
– Mystagogische Betrachtungsweise
– Gegenstand der SLW: die konkreten, derzeit gültigen liturgischen
Bücher (Missale, Brevier, Martyrologium, Rituale, Pontificale,
Caeremoniale episcoporum, Graduale, Antiphonale etc.)
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VL Liturgiewissenschaft SoSe 2016
Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
a) Romano Guardini und die Entwicklung einer SLW
• Begriff der „liturgischen Theologie“ taucht zum ersten Mal auf: SLW ist
liturgische Theologie, insofern sie als Ausgangspunkt und Ziel „das System
der kirchlichen Kultübung“ hat, und als ihren Inhalt die Selbstmitteilung
Gottes in Jesus Christus. Sie ist liturgisch, insofern es ihr um den Kult mit
seinen Riten, Büchern, Geräten, Symbolen etc. geht; sie ist aber Theologie,
insofern Gottesdienst nie etwas anderes sein kann als Gottes Begegnung
mit den Menschen
• Methode der SLW: Sammlung des Stoffes – Ordnung des gesammelten
Materials: dabei gilt in der Liturgie die katholische Weite des „Sowohl – als
auch“, denn „die Liturgie ist keine Wissenschaft von abgezogenen Sätzen,
wie die Mathematik, in der sich aus einer Voraussetzung recta linea eine
Folgerung ergibt. … Sie steht vielmehr einem Lebendigen gegenüber,
nämlich der betenden, opfernden Kirche.“ – Erhebung allgemeiner Begriffe
– Dialog mit anderen Geisteswissenschaften, z.B. der Psychologie,
Philosophie, Gesellschaftswissenschaften
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
a) Romano Guardini und die Entwicklung einer SLW
• Fazit: Guardinis Definition von Liturgie / Liturgiewissenschaft
– Hinsichtlich ihrer Stellung innerhalb der Theologie ist die Liturgie von
den anderen Fächern unterschieden, obwohl sie zu allen eine enge
Beziehung hat
– Wichtig ist Guardini, dass sie „nicht mit der Liturgik als Teil der
Pastoraltheologie verwechselt werden“ darf
– Aber auch von der Dogmatik, dem Kirchenrecht und der Exegese
unterscheidet sie sich, denn es geht ihr nicht um ein System der
Glaubens- oder Sittenlehre
– Vielmehr kann sie definiert werden als „die methodische Erforschung
der wirklichen Kirche in ihrem Gebetsleben“.
– Damit wird zweierlei zum Ausdruck gebracht: die notwendige
Rückbindung der SLW an das Dogma bzw. die Theologie und
gleichzeitig die Notwendigkeit der lebendigen Entwicklung und
VL Liturgiewissenschaft SoSe 2016
16.05.2016Veränderbarkeit
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Grundlagen der Liturgie
6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
b) Reinhard Meßner: Liturgiewissenschaft am Schnittpunkt
zwischen historischer und systematischer Theologie
Erfahrungsbezogen
- Theologie ist von ihrem Ursprung her Doxologie, Lobpreis Gottes
(vgl. A. Schmemann. Liturgie als „theologia prima“)
- Wer keine gottesdienstliche Praxis besitzt, kann deshalb nicht
verantwortlich Liturgiewissenschaft betreiben.
- Die Glaubenserfahrung ist in dem Sinn also nicht der Inhalt,
sondern die Bedingung der Möglichkeit für die
Liturgiewissenschaft wie die Theologie überhaupt.
Exegetisch
- Die Methode der Liturgiewissenschaft ist der Kommentar
- „Gottesdienst und Schrift legen sich in irgendeiner Weise
gegenseitig aus.“
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VL Liturgiewissenschaft SoSe 2016
Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
b) Reinhard Meßner: Liturgiewissenschaft am Schnittpunkt
zwischen historischer und systematischer Theologie
Metaphorisch-bildhaft
Bezug zur patristischen Mystagogie und der Allegorese der Väter
„Für eine sich als Theologie verstehende systematische
Liturgiewissenschaft haben die Humanwissenschaften, die ja methodisch
die Wahrheitsfrage ausblenden, nicht konstitutiven oder gar normativen
Charakter, sondern sind Hilfswissenschaften.“
Aspektivisch
Wahrheit in verschiedenen Ansichten (= Aspekten)
LW hat nicht die Aufgabe, die einzelnen Ansichten der Liturgie in ein
kohärentes System zu bringen
Daraus folgt die Ablehnung einer allgemeinen LW ( es geht um den
Kommentar des liturgischen Vollzugs)
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VL Liturgiewissenschaft SoSe 2016
Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
b) Reinhard Meßner: Liturgiewissenschaft am Schnittpunkt
zwischen historischer und systematischer Theologie
Fazit: Die Liturgiewissenschaft ist eine Schwesterdisziplin (keine Subdisziplin!)
der Dogmatik und der Bibeltheologie. So wie die Dogmatik aus der Quelle
der Offenbarung schöpft und die biblische Theologie ihre Ordnung vom
biblischen Kanon erhält, so empfängt die Liturgiewissenschaft ihre
Ordnung aus dem gottesdienstlich-pneumatischen Geschehen. Damit
steht die liturgische Theologie gleichberechtigt neben der biblischen und
dogmatischen Theologie.
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
c) Helmut Hoping: Liturgiewissenschaft als Theologie aus dem
Geist der Liturgie
- Theologie aus dem Geist der Liturgie: Liturgische Theologie versteht sich
vom Mysterium her und ist von ihrem Wesen her symbolisch und
pragmatisch. Gebet, Liturgie und Theologie gehören deshalb zusammen.
Eine Theologie ohne Gebet und liturgischen Vollzug kann keine echte
Theologie sein, und umgekehrt ist eine Theologie des Gebetes die beste
liturgische Theologie.
- Forderung einer „Theologie zweiten Grades“; Versuch, liturgietheologische
Grundsätze aufzustellen und zu entfalten
- Bedeutung und Problematik des Kultbegriffs
Lengeling: „Liturgie ist also nicht nur Kult. Sie ist in ordine executionis nicht
einmal primär Kult. Denn die Initiative des Dialogs liegt bei Gott. Liturgie
ist zuerst opus Dei.“
Häußling: Kritik an der Abwehr kultischer Elemente
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
c) Helmut Hoping: Liturgiewissenschaft als Theologie aus dem
Geist der Liturgie
- Bedeutung und Problematik des Kultbegriffs
Pieper: „Es gehört zur Natur des Kultes, daß er aus göttlicher Satzung seinen
Ursprung nimmt. … Der Kult selbst also ist vorgegeben – oder es gibt ihn
überhaupt nicht. Hier ist nichts erst noch zu stiften und zu gründen.
Hoping: „Der christliche Kultbegriff umfasst an erster Stelle den
soterischen Aspekt der Liturgie, ihre katabatische Dimension, sekundär
ihren latreutischen Aspekt, die anabatische Dimension der Liturgie.“
- Frage nach der „doxologischen Qualität“ des Gottesdienstes (kritische
Anmerkung zu konkreten Feierformen. Die praktische Umsetzung hat sich
zu orientieren an der Theologie)
- LW in enger Verbindung zur systematischen Theologie
- LW im Schnittpunkt zwischen systematischer und mystagogischer Theologie
(vgl. den fundamentalliturgischen
Ansatz Joseph Ratzingers)
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
d) Albert Gerhards / Andreas Odenthal: Liturgiewissenschaft im
Dialog
• Primäre Ansiedlung des Faches in der Praktischen Theologie
• Anthropologische Wende: Liturgie wird daher nicht in erster Linie als
Einbruch der göttlichen Wirklichkeit oder pneumatisches Geschehen
verstanden, sondern als „Deutehorizont in präsentativer Symbolik“
• Damit ist nicht Gott der eigentlich Handelnde im Gottesdienst, sondern
der Mensch bzw. die feiernde Gemeinde.
• Aufgabe der Liturgiewissenschaft als praktischer Disziplin ist die Reflexion
der Liturgie als symbolischer Ort, an dem die Offenbarung Gottes mit der
menschlichen Erfahrung vermittelt wird. Es geht um das „Widerfahrnis der
Transzendenz Gottes“ (Josef Wohlmuth).
• Gleichberechtigung der Humanwissenschaften mit der
Liturgiewissenschaft (Modell der „konvergierenden Optionen“)
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
• d) Albert Gerhards / Andreas Odenthal: Liturgiewissenschaft
im Dialog
• konkrete Gemeinde ist zwar aktuelle Trägerin, aber nicht autonome
Gestalterin der Liturgie.
• Fazit: Die Feier der Liturgie ist „symbolischer Raum“, der sowohl für die
Transzendenzerfahrung Gottes als auch für die menschlichen
Lebenserfahrungen offen ist. Die Liturgie ist zum einen Ort theologischer
Erkenntnis („locus theologicus“). Zum anderen ist der Liturgiewissenschaft
aber der Mensch als Gott Feiernder zur Reflexion aufgegeben, weswegen
es des Dialoges mit den Humanwissenschaften bedarf.
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
e) Martin Stuflesser / Stephan Winter: Liturgiewissenschaft in
Einheit von systematischer, historischer und praktischer
Theologie
• Hauptthese:„Liturgiewissenschaft zeichnet sich dadurch aus, daß sie
erstens als Theologie mit einem ausgewiesenen systematischen
Instrumentarium, zweitens an (historischen und/oder aktuellen)
liturgischen Texten (liturgischen Quellen) arbeitet und drittens den
Gebrauch dieser liturgischen Texte daraufhin befragt, ob er der
Glaubensfeier heutiger Menschen angemessen ist.
• Liturgie ist gottmenschliches Kommunikationsgeschehen. „Christlicher
Gottesdienst ist wirkliche Begegnung zwischen Gott und Mensch im
Modus der Rede“.
• Weil dies so ist, kann Liturgie nur mystagogisch erschlossen werden.
Liturgiewissenschaft lebt aus der konkreten Erfahrung mit dem
Gottesdienst.
• Humanwissenschaften bleiben Hilfswissenschaften, da sie die
Wahrheitsfrage ausblenden.
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
e) Martin Stuflesser / Stephan Winter: Liturgiewissenschaft in
Einheit von systematischer, historischer und praktischer
Theologie
• Fazit: Stuflesser / Winter fordern eine systematische Theologie der
Liturgie, deren Aufgabe eine Systematisierung und Rekonstruierung von
liturgischen Glaubenstexten ist. Neben der systematischen und
historischen LW hat allerdings auch eine praktische Liturgiewissenschaft
ihre Berechtigung.
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Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
f) Was bleibt von Guardini? – Versuch eines weiterführenden
Fazits
– Systematische Liturgiewissenschaft ist vor allem anderen eine
theologische Wissenschaft
– Wichtig ist die geistlich-mytagogische Komponente
– Liturgie ist keine Lehre von Sätzen, die es zu lernen gilt, sondern
Begegnung mit dem Geheimnis Gottes, die sowohl (aktiv) als „Dialog
zwischen Gott und Mensch“ (Lengeling), als auch (passiv) als
„Widerfahrnis einer einzigartigen Begegnung mit Jesus als dem
Christus“ (Wohlmuth) beschrieben werden kann.
– Zur Liturgiewissenschaft gehört nach Guardini eine gewisse Weite und
damit verbunden eine Nicht-Systematisierbarkeit (Unterschied zur
Dogmatik – aspektivischer Charakter der Liturgie)
– Moment der Überraschung und des Staunens
– Raum für eine individuelle Glaubenserfahrung
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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6. Die Diskussion um eine systematische
Liturgiewissenschaft
f) Was bleibt von Guardini? – Versuch eines weiterführenden Fazits
– Eine allgemeine Liturgiewissenschaft kann nicht aufgegeben werden,
d.h. es bedarf einer systematischen Darstellung liturgischer
Grundbegriffe wie Opfer, Sakrament, Gebet etc. (Aufgabe einer
„Theologie der Liturgie“)
– Die „liturgische Theologie“, die mit einer systematischen
Liturgiewissenschaft gleichgesetzt werden kann, hat hingegen von den
gottesdienstlichen Texten und Riten auszugehen.
– Der Dialog mit den Humanwissenschaften wird sicherlich in Zukunft
immer wichtiger werden (Kenntnis psychoanalytischer,
kulturanthropologischer und gesellschaftlicher Tendenzen); dennoch
bleibt die „Orientierung am Dogma“. Humanwissenschaften sind nicht
gleichberechtigte Partner, sondern Hilfswissenschaften.
– Systematische Liturgiewissenschaft ist anzusiedeln im Spannungsfeld
von historischer, mystagogischer und praktischer Theologie. Ihren
eigentlichen Kern aber hat sie in der Mystagogie.
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Grundlagen der Liturgie
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
• Hinführung
– Besteht eine Vorrangigkeit der Liturgie oder der Theologie?
– legem credendi lex statuat supplicandi (Prosper von Aquitanien)
– Das Axiom bezieht sich ursprünglich nicht auf die gesamte Liturgie,
sondern auf Fürbitten (später wurde es weiter interpretiert in dem
Sinn, dass die Liturgie als ganze Norm für die Glaubenslehre sei)
– Einordnung der Liturgie unter die loci theologici
– Eigenart und Eigenwert der Liturgie sind stärker zu berücksichtigen,
wenn ihre dogmatische Rezeption der Liturgie gerecht werden will
– Obwohl 1854 Pius IX. und 1950 Pius XII. die marianischen
Dogmatisierungen auch durch die Liturgie und deren Texte stützen,
stellt Pius XII. in der Enzyklika Mediator Dei auch die Umkehrung des
Axioms auf, um den Vorrang des Glaubens gegenüber der Liturgie
herauszustellen (lex credendi legem statuat supplicandi)
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VL Liturgiewissenschaft SoSe 2016
Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
a) Alexander Schmemann: Lex orandi est Lex credendi
– Ausgangspunkt: Krise orthodoxer Theologie und Kirche
– Krise der Liturgie korrespondiert mit einer Krise der Ekklesiologie in
der Theologie
– Krise der Theologie kommt durch ungesunden Pluralismus und die
Unfähigkeit der Theologie zur Kommunikation mit der realen Kirche
– Krise der Liturgie kommt durch Nominalismus liturgischer Praxis
– Die doppelte Krise der orthodoxen Kirche kommt dadurch zustande,
dass sie sich von ihren beiden Quellen, der lex orandi (Liturgie) und der
lex credendi (Theologie) gelöst hat.
– Verlust eines kirchlichen Erfahrungsbezuges bzw. einer kirchlichen
Verortung der Theologie
– Liturgie wurde aus dem Alltag der Welt isoliert: „Liturgy is confined to
the temple, but beyond
its sacred enclave it has no impact, no power.“
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Grundlagen der Liturgie
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
a) Alexander Schmemann: Lex orandi est lex credendi
– Zusammenhang des liturgischen und des vernünftigen Gottesdienstes
– Bestimmung der Liturgie, nicht nur cultus, sondern auch cultura mundi
zu sein
– Rückbesinnung auf den kosmischen und eschatologischen
Ereignischarakter der Kirche
– Im Gottesdienst der Kirche aktualisiert sich die Welterfahrung neuer
Schöpfung
– die Liturgie der Kirche wird zur leiturgia, zur Dienerin der Theologie
oder zur schlechthinnigen, eschatologischen Möglichkeit der
Theologie
– Pointe des Axioms lex orandi – lex credendi liegt auf der Kongruenz
beider, zugleich aber auch auf der Möglichkeit gegenseitiger Kritik
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
a) Alexander Schmemann: Lex orandi est lex credendi
– Liturgie als Quelle und Ziel der Theologie
– Die Liturgie der Kirche ist zwar nicht die einzige Quelle der Theologie,
aber deren prominentester normativer Bezugspunkt, da hier am
unmissverständlichsten der Glaube der Kirche greifbar wird, der der
eigentliche Gegenstand der Theologie ist
– Der dreieinige Gott wird als Handelnder erfahren
– Theologie als „ganzheitliches Unternehmen“
– Theologie auf die Liturgie auszurichten, bedeutet nicht die Verifikation
von Satzwahrheiten, sondern die Verifikation von Glaubenswahrheiten
als authentischen Lebenswahrheiten im Sinn der Einladung zum
Herrenmahl: „Kostet und seht, wie gut der Herr ist!“ (Ps 34,9)
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Anthropologische und theologische
Grundlagen der Liturgie
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
a) Alexander Schmemann: Lex orandi est lex credendi
– Liturgie als Gegenstand und Aufgabe der Theologie
– Theologie hat die Aufgabe, den Sinn der Liturgie kritisch zu erschließen
und zu hinterfragen, d.h. die Liturgie zum Gegenstand ihres Forschens zu
machen
– Gegen eine „westlich“ bestimmte Fixierung auf bestimmte Topoi wie Opfer
und Transsubstantiation betont Schmemann die Wiederentdeckung der
eschatologischen Dimension der Liturgie
– die Liturgie muss theologisch erschlossen und die Theologie liturgisch
geprägt und so beide wieder werden, was sie sind: Lebens- und Lehrquelle
der Kirche („restoring to liturgy its theological meaning, and to theology
its liturgical dimension“)
– „Die Theologie muss die lex orandi als ihre Glaubensregel
wiederentdecken, und die Liturgie muss sich wieder selbst als lex credendi
erweisen.“
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
a) Alexander Schmemann: Lex orandi est lex credendi
– Kritik an einer sich immer mehr „scholastisch“ spezialisierenden
Theologie
– Insistieren auf dem Welt- und Erfahrungsbezug der Liturgie
– Liturgischer und vernünftiger Gottesdienst gehören als Erfahrungsund Glaubenskontinuum zusammen
– Liturgie als ein eschatologisches Ereignisses
– Offen bleibt die Frage, wie die Theologie auch Kritik an liturgischen
Missständen üben kann und soll, so dass man sich fragt, ob die Liturgie
nicht doch an sich schon „sakrosankt“ ist
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
b) Geoffrey Wainwright: Wechselverhältnis von Lex credendi und
Lex orandi
– die beiden Aspekte lex orandi und lex credendi werden nicht
identifiziert, sondert differenziert, wenn nicht sogar polarisiert und der
Theologie dabei eine stärker regulativ-normative Aufgabe zugewiesen
– Wainwrights Interesse ist dezidiert ökumenisch, sein Standpunkt
nichtsdestotrotz „protestantisch“ oder zumindest „westlich“.
– weit gefasstes Verständnis von Doxologie: Doxologie ist nicht nur eine
bestimmte Sprachhandlung des Gottesdienstes (z.B. Gloria, Sanctus
usw.) oder der Andacht, sondern das christliche Lebensprinzip
schlechthin
– Durch den Gottesdienst bekommt Theologie Anteil an der
Offenbarungsgeschichte Gottes mit der Menschheit
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Grundlagen der Liturgie
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
b) Geoffrey Wainwright: Wechselverhältnis von Lex credendi und
Lex orandi
– Dogmatik soll aus liturgischer Perspektive geschehen: So bleibt die
Theologie in Beziehung zu Gottes Heilsplan, bleibt bei ihrer Sache
– Wainwright benutzt lediglich das offene Bezugspaar Lex orandi - lex
credendi – Kritik: Damit hat er sich bereits von dem ursprünglichen
Sinn der Formel entfernt
– Sowohl das trinitarische als auch das christologische Dogma wurden
im liturgischen Bereich vorgebildet und sind im Streit um die rechte
Gottesverehrung dann tatsächlich entstanden
– Die zahlreichen mittelalterlichen Konflikte um das Verständnis der
Eucharistie sind ebenso auf dem Hintergrund gottesdienstlicher Praxis
zu verstehen wie die am Bußsakrament aufgebrochene Reformation
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
b) Geoffrey Wainwright: Wechselverhältnis von Lex credendi und
Lex orandi
– in bestimmten Fällen Priorität der lex orandi gegenüber der lex
credendi
– Wie kann angesichts divergierender liturgischer Formulare in
unterschiedlichen Denominationen die bleibende Lehrautorität einer
Liturgie behauptet werden?
– Welche Anforderungen muss eine Liturgie erfüllen, um zur
Neuformulierung (oder gar Korrektur!) dogmatischer Lehre
herangezogen zu werden?
– Zwei unterschiedliche Gottesdienstdefinitionen: Dem lutherischen
Verständnis des Gottesdienstes als eines dialogischen Wortgeschehens
im Gefälle von Gottes Dienst an uns und unserem Dienst vor Gott wird
eine orthodoxe Formulierung konfrontiert, nach der beim
Gottesdienst die Initiative primär von Gott und nicht vom Menschen
kommt
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
b) Geoffrey Wainwright: Wechselverhältnis von Lex credendi und
Lex orandi
– Der Gottesdienst wird als Ort der rettenden Selbstkundgabe Gottes
und daher als Lehrautorität für Theologie und Kirche definiert
– Das Lehramt hat eine Verantwortung für die Liturgie als
doxologischem Ausdruck des Glaubens
– Das Lehramt hat ebenso eine Verantwortung vor bzw. gegenüber der
Liturgie: Es sollte die Erfahrung des christlichen Gottesdienstes so
heranziehen, dass der doxologische Funke auf Lehrformulierungen
überspringt und das Dogma durch das Gebet geformt wird.
– Hierarchie der Gliederung: a) Einsetzung durch Jesus, die Apostel oder
Zeugen der Schrift; b) Universalität (vgl. Vincenz von Lerins‘ „quod
semper, quod ubique ab omnibus creditum est“); c) Ethische Integrität
einer Kirche in Übereinstimmung mit ihrer Liturgie; d) Balance
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zwischen magistralerVL
Kontrolle
und kommunitärer Initiative
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Grundlagen der Liturgie
7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
b) Geoffrey Wainwright: Wechselverhältnis von Lex credendi und
Lex orandi – Folgerungen
– Fruchtbares Zusammenspiel von Lex orandi und lex credendi
– Christologievorlesung Bonhoeffers: „Der Gottesdienst wird
Ausgangspunkt und Kriterium für die theologische Aufgabe
christologischer Untersuchung und Reflexion. Dass (Jesus) Christus für
mich im Gottesdienst geschichtlich wird, ist der Grund meines
Interesses für den historischen Jesus. Seine Gegenwart im
Gottesdienst impliziert ontologisch seine Einheit als Gott-Mensch.“
– Vernachlässigt die Theologie den Gottesdienst, verkommt sie zur
„Archäologie“ und kann nicht mehr aus der Erfahrung des in der
Verkündigung gegenwärtigen Herrn schöpfen.
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
c) Aidan Kavanagh: Lex orandi als theologia prima
– Inhaltlich geht es ihm um eine radikale Neubestimmung des
Verhältnisses von lex orandi und lex credendi
– Dabei widerspricht er sowohl der geläufigen römisch-katholischen
Position mit ihrer eindeutigen Vorordnung des Lehramts gegenüber
der Liturgie als auch der Methode G. Wainwrights
– Liturgie als Orthodoxie: die liturgische Tradition ist nicht als eine
Quelle unter anderen anzusehen, sondern als „dynamische
Bedingung“, in welcher „theologische Reflexion“ geschieht
– Liturgie als theologia prima: Theologie der gottesdienstlichen
Gemeinde verdient es, im eigentlichen, primären Sinn Theologie
genannt zu werden, während jede Art akademischer oder klerikaler
Theologie davon abzuleiten und als theologia secunda zu bezeichnen
ist.
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
c) Aidan Kavanagh: Lex orandi als theologia prima
– Verhältnisbestimmung von theologia prima und theologia secunda im
Blick auf das Axiom Prospers v. Aquitanien
– philologisch: Das Verb „statuat“ bestimmt Subjekt (lex supplicandi)
und Objekt (legem credendi) des Satzes in gleicher Weise, mit der
Pointe, dass beide nicht verschieden, sondern gerade im Gottesdienst,
in dem Gebet (lex orandi) und Glaubensbekenntnis (lex credendi)
vorkommen, deckungsgleich werden
– Es gibt aber ein Gefälle, da das Subjekt, die lex supplicandi, das Objekt,
die lex credendi, setzt
– lex supplicandi und lex credendi verhalten sich zueinander wie
Proklamation und Rezeption des Wortes Gottes, wie Zusage und
Glaube, promissio und fides
– Korrelation von promissio und fides, lex praedicandi und lex audiendi
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
c) Aidan Kavanagh: Lex orandi als theologia prima
– Die lex supplicandi ist aber auch deshalb der lex credendi vorgeordnet,
weil es hier um ein priesterliches Fürbittengebet für die Welt (vgl. 1
Tim 2,1 ff) geht, das den Glauben der Kirche begründet und trägt
– Priorität der theologia prima ist lediglich Postulat. Die Realität ist von
der einseitigen Dominanz und einer gewissen „Herablassung“ der
akademisch-klerikalen Theologie gegenüber der elementaren
Theologie geprägt
– Liturgie als Offenbarung: zentrale Frage, inwiefern der Gottesdienst in
Analogie zur Inkarnation und zur Inspiration der Schrift als
Offenbarung betrachtet werden kann
– die Inkarnation des Logos, die Inspiration der Schrift und die Liturgie in
ihrer sakramentalen bzw. soterisch-katabatischen Qualität werden
gleichsam auf eine offenbarungstheologische Stufe gestellt
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7. Liturgie als theologischer Ort – zum Verhältnis von
lex credendi und lex orandi
c) Aidan Kavanagh: Lex orandi als theologia prima
– Kanonische Struktur der Liturgie -„Kanonizität“ der theologia prima
– Christliche Liturgie beruht auf rhythmischer Wiederholung
– Kanon der Schrift, Kanon des trinitarischen Taufbekenntnisses
(Apostolicum) und Kanon des eucharistischen Gebetes sowie die
kanonischen Gesetze als Normen, die innerhalb der Geschichte des
Gottesdienstes eine autoritative Geltung bekommen haben
– die ersten drei „canons“, Schrift, Taufbekenntnis und Eucharistiegebet,
sind Primärformen des Gottesdienstes: Die Schrift gehört zur
Wortverkündigung, das Credo ist Bekenntnis des Glaubens, das
Eucharistiegebet enthält Lob des Schöpfers, Christus-Anamnese und
Geistbitte (Epiklese)
– Zum Gottesdienst und damit zu einer „primären Theologie“ gehören
demnach Anrede (Proklamation der Offenbarung in Christus) und
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Antwort in Bekenntnis,
Lob, Gedächtnis und Bitte.
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