Migrantenliteratur

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Migrantenliteratur als Teil der
modernen deutschen Literatur
Prof.Koloskova S.
Inhalt:
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Literaturen von Migranten
Neue Tendenzen in der "Migrantenliteratur"
Eine unübersehbare interkulturelle Vielfalt
Der Edelmann als Bürger
Über den Chamissopreis
Chamisso-Tage an der Ruhr
Literaturen von Migranten
Im Zusammenhang mit der Arbeitsmigration nach dem 2.
Weltkrieg kamen ab 1955 künftige Autoren neuentstehender
multikultureller Literaturen zunächst hauptsächlich aus Italien,
Spanien, Portugal, Jugoslawien und Griechenland an den
deutschen Literaturstandort. Dieser große Teilbereich der
deutschsprachigen multikulturellen Literatur im 20. Jahrhundert,
die Literatur von Migranten, die in der ersten Phase der sich neu
entwickelnden Migration in den deutschsprachigen Raum
entstand, wurde zunächst als Gastarbeiterliteratur bezeichnet. Sie
knüpfte an die deutsche Tradition der Arbeiterliteratur an, hatte
eine kämpferische Motivation und ihre Autoren entstammten nicht
selten auch wirklich den Reihen der damals sogenannten
Gastarbeiter.
Entsprechend der Tatsache, dass die
Arbeitsmigration im eigentlichen Sinne 1973 durch ein
Anwerbestop beendet und auch die "Gastarbeiter"-Idee sich als
Utopie erwies, setzte sich ab den 1980er Jahren eine Reihe von
neuen Bezeichnungen durch für die Literatur, die von nichtdeutschsprachigen Autorinnen und Autoren in der Bundesrepublik,
in Österreich und der Schweiz geschaffen wurde.
Mit dem Begriff Migrantenliteratur sollte der außerliterarischen
Tatsache Rechnung getragen, dass ihre Autoren in den
deutschsprachigen
Raum
migriert
sind,
weitere
Verallgemeinerungen waren nicht beabsichtigt.
Die Zahl der zu dieser Kategorie gehörigen Autorinnen und
Autoren ist unsicher, eine vorsichtige Schätzung für das Jahr 2000
beläuft sich auf ungefähr 250 Personen. Dass diese Zahl unsicher
und veränderlich ist, liegt am außerordentlich dynamischen
Charakter des Phänomens selber. Migrantenliteratur ist in Zeiten
der zunehmenden globalen Mobilität der Menschen im Zunehmen
begriffen und global gesehen handelt es sich um weit höhere
Zahlen. Literatur der zweiten und dritten Einwanderergeneration,
häufig wenig treffend auch als Migrantenliteratur bezeichnet, ist
hierbei noch gar nicht mit eingerechnet.
Gastarbeiterliteratur
Der Begriff Gastarbeiterliteratur bezeichnete in den 1970er und
1980er Jahren die Literatur, die von ausländischen Schriftstellern
in Deutschland, Österreich und der Schweiz geschaffen wurde.
Der Terminus lehnt sich an die Tatsache an, dass man ab 1955
Arbeitsmigranten in großer Zahl in die deutschsprachigen Länder
geholt hat und diese als Gastarbeiter bezeichnete.
Die Autoren und Autorinnen der Gastarbeiterliteratur entstammten
bereits zu Beginn keinesfalls nur ihren Reihen. Dieses
außerliterarische Kriterium zur Beschreibung von Literatur stand
auch von Anfang an unter kritischer Beobachtung. Aus den Reihen
der Schriftsteller selber machten sich besonders die theoretisch
führenden Mitglieder des PoLiKunstvereins, der von 1980 bis
1987 existierte, für diese Bezeichnung stark. Es waren Franco
Biondi, Rafik Schami, Jusuf Naoum und Suleman Taufiq, die in
einer Fußnote zu ihren Literatur der Betroffenheit. Bemerkungen
zur Gastarbeiterliteratur auf die Ironie der Bezeichnung
hinwiesen.
Gäste ließe man normalerweise nicht arbeiten, auch blieben Gäste
nicht so lange wie die Gastarbeiter, die sich in zunehmendem
Maße im Lande niederließen, statt es nach einer kürzeren Zeit
wieder zu verlassen, wie ursprünglich seitens der Industrie und
Politik geplant.
Als Kennzeichen einer Gastarbeiterliteratur galt aus der Sicht der
anfänglichen deutschen Rezeption die Tatsache, dass sie von
fremdsprachigen Autoren auf Deutsch als Fremdsprache
geschaffen wurde. Eine erweiterte Sicht der Dinge schließt aber
auch sowohl in verschiedenen Fremdsprachen entstandene, dann
ins Deutsche übersetzte Literatur von Migranten und Literatur von
migrierten Autoren aus deutschsprachigen Minderheiten der
verschiedensten Länder ein.
Migrantenliteratur
Migrantenliteratur ist einer der neueren Begriffe, die dazu benutzt
werden, die Literatur zu bezeichnen, die von Autorinnen und Autoren
geschaffen wird, die selbst oder zusammen mit ihren Eltern in ein
zunächst fremdes Land migriert sind. Mit der Veränderung des
Wohnortes geht bei diesen Autoren meist ein Sprachwechsel
und/oder ein Nationalitätswechsel einher. Der Begriff ist teilweise
deckungsgleich mit dem Begriff Gastarbeiterliteratur, ohne jedoch
eine Zugehörigkeit der Autoren zur Schicht der Arbeiter
vorauszusetzen. Einzig die Migration wird im Begriff
Migrantenliteratur fokussiert. Auch dieser Begriff ist innerhalb der
diesbezüglichen Literaturforschung nicht unumstritten und findet
gleichzeitig mit mehreren anderen Verwendung. Ein Sonderfall der
Migrantenliteratur ist die Exilliteratur. An ihr sind nicht selten
Einflüsse des exilgebenden Landes auszumachen, aber häufig sind
die Werke auch unabhängig vom Aufenthaltsort der Autoren allein
vom Exil geprägt und können daher nicht in jedem Fall unter den
multikulturellen Literaturen subsumiert werden. Die Übergänge
zwischen Emigration, Exil und Weitermigration sind jedoch sowohl
biographisch als auch thematisch häufig fließend, und nicht wenige
Exiltexte loten den Zwischenraum zwischen den Kulturen aus.
Neue Tendenzen in der
"Migrantenliteratur"
Der Gast, der keiner mehr ist
Die deutsche Migrantenliteratur hat sich in den letzten 50 Jahren
stark verändert. Die "Gastarbeiterliteratur" ist weit überholt. Die
neue Generation der Literatur mit Migrantenhintergrund ist
endlich in der "Normalität" angekommen, schreibt Andreas
Schumann.
Wo sind sie hin, die Romanfiguren, die als Gastarbeiter und
Zuwanderer in Deutschland ihr tristes Dasein fristen, um
Verständnis und Akzeptanz bitten, sich um ihre Identität in der
Fremde bemühen, dem Gastland trotzen?
Seit den 1960er Jahren hatten wir uns an diese fiktiven
Mitbürgerinnen gewöhnt; selbst wenn ihre Geschichten nur von
Wenigen gelesen wurden, so waren sie
doch genau so
vorhanden wie ihre Widergänger im realen Alltag. Doch seit
wenigen Jahren werden sie in der Literatur der Autorinnen, deren
Muttersprache nicht die deutsche war, immer seltener.
Liegt dies allein darin begründet, dass die Migration nach
Deutschland insgesamt rückläufig ist, mittlerweile die dritte
Generation an Zuwanderern hier lebt, arbeitet, schreibt - und somit
die Muttersprache mehr und mehr doch die deutsche ist? Oder ist
die erst in den 1980er Jahren allmählich entdeckte Literatur der
Migranten endlich in der "Normalität" angekommen, ist sie
integraler Bestandteil deutschsprachiger Literatur ohne das
Zeichen des Exzentrischen und Marginalen geworden?
"Sind sie zu fremd, bist du zu deutsch"
Die große "Wende" weg von einer "Migrations-" oder
"Ausländerliteratur" wird im Jahre 2000 markiert mit zwei Anthologien:
Ilija Trojanow (Hg.): Döner in Walhalla. Texte aus einer anderen
deutschen Literatur. (Köln: Kiepenheuer & Witsch) und Jamal Tuschick
(Hg.): Morgen Land. Neueste deutsche Literatur. (Frankfurt/Main:
Fischer Taschenbuch).
Die Veränderungen werden in beiden Büchern an sehr prominenter
Stelle betont. Ilija Trojanow leitet seinen Band mit der Frage ein:
"Welche Spuren hinterläßt der Gast, der keiner mehr ist?" und in
Morgen Land heißt es - in aller Radikalität und Deutlichkeit - "Sind sie
zu fremd, bist du zu deutsch."
Weder geht es um die Suche nach Möglichkeiten einer Integration in die
deutsche Gesellschaft noch um die trotzige Gebärde der
Selbstbehauptung, wie in Zaimoglus fiktiven Protokollen Kanak Sprack.
24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft (1995), oder Koppstoff.
Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft (1998) - allein die Untertitel
belegen hier ja noch die selbstinszenierte Eigen- und Randständigkeit
der "Migrantenliteratur". Doch davon sind die Beiträge in den beiden
Anthologien ebenso weit entfernt wie andere Beispiele der "neuesten
deutschen Literatur".
Migrantenliteratur ist "normal"
geworden
Und noch etwas wird in diesen Bänden augenfällig, nämlich eine Tendenz,
die sich während der 1990er Jahre allmählich vorbereitete: Die
zunehmende Vielfältigkeit der biographischen Hintergründe der
Autorinnen. Die nationale Herkunft spielt kaum mehr eine Rolle,
eindeutige Gründe für eine Zuwanderung wie Arbeitsmigration oder
politisch motivierte Flucht lassen sich kaum mehr ausmachen. Viele der
jüngeren Schreibenden gehören darüber hinaus der so genannten zweiten
und dritten Generation an, viele sind bereits in Deutschland geboren, die
Sprache, in der sie schreiben ist im Regelfall die deutsche. Wie soll sich
da ein gemeinsamer Standpunkt, eine gemeinsame Intention der
Schreibenden aus einem Migrationshintergrund einstellen, wie er in den
letzten 30 Jahren immer wieder gefordert wurde? Es ist somit wohl
mittlerweile unzulässig, von einer "Migrantenliteratur" in Deutschland zu
reden, auch ist es nicht mehr eine "Literatur der Fremde" noch eine Kultur
vermittelnde Dichtung. Sie braucht keine Ideologie, keinen politischmoralischen Anspruch, keine geschichtliche Kontinuität, keine nationale
Identität, keine Bewertung von Handlungen mehr, braucht scheiternde
Kommunikation nicht zu betrauern, kann sich dem Alltag zuwenden, kann
die Identität von Gruppen herstellen - und hat sich damit von den
Traditionen der Migrantenliteratur emanzipiert und ist "normal"
geworden.
Heimat und Fremde gibt es nicht
In Zsuzsa Banks Roman Der Schwimmer (2002) hängt die Reise
der drei Protagonisten - Vater, Tochter, Sohn - quer durch Ungarn
zwar zusammen mit der Flucht der Mutter in den Westen, doch im
Mittelpunkt steht die Suche nach einer eigenen Sprache, die der
erlebten und erlittenen Situation angemessen sein könnte, nach
einer Identität der beiden Kinder auf einer orientierungslosen
Reise. Räumliche Bindungen spielen keine Rolle, ein Konzept von
Heimatlichkeit steht völlig zur Disposition - nur die Suche nach
Identität treibt die Figuren an.
Der Roman Alle Tage von Terezia Mora aus dem Jahre 2004 geht
noch einen Schritt weiter. Der Protagonist, Abel Nema, wird
bereits in der ersten Sequenz vorgestellt, wie er kopfüber an einem
Baum hängt und sich die Welt mit einem verkehrten Blick
betrachtet - dies könnte noch als traditionelle Metapher innerhalb
einer Kultur vermittelnden, Differenzen suchenden Literatur
verortet werden.
Doch diese Flair scheitert nicht daran, dass sie nicht in ihr
Heimatland zurückkehren kann, wie bald klar wird, sondern daran,
dass sie sich anderen nicht mitteilen kann, obwohl sie zehn
Sprachen beherrscht.
Abel Nema ist die Projektionsfläche für die Wünsche und das
Begehren aller anderen Figuren in der dargestellten Welt, er selbst
hat allerdings genau so wenig Kontur und Bedeutung, wie auch
die aufgebotenen Räume durchgängig semantisch leer sind;
Kategorien von Heimat oder Fremde existieren nicht mehr höchstens noch die Unmöglichkeit, in einem Land, einem Raum,
einem System, einer Gesellschaft anzukommen. Damit steht auch
die Option der Integration in eine andere Gesellschaft oder eine
Abgrenzung von ihr nicht mehr zur Verfügung.
Neugier auf literarische Schreibweisen
In herausragender Weise spiegelt diese Entwicklung auch die jährliche
Verleihung des Adelbert-von-Chamisso-Preises wider. Diese seit 1985
von der Robert-Bosch-Stiftung ausgelobte Auszeichnung für
"bedeutende Beiträge zur deutschen Literatur von Autoren
nichtdeutscher Muttersprache" ist ein zuverlässiger Indikator für die
literarischen
Entwicklungen,
dessen,
waj
nicht
mehr
"Migrantenliteratur" genannt werden sollte - von Aras Ören und Rafik
Schami im Jahre 1985 bis zu den Preisträgern des Jahres 2005,
Feridun Zaimoglu und Dimitre Dinev. Mit der Veränderung des
Preisträgerprofils geht auch eine Hinwendung zu anderen Inhalten
einher. Es geht nicht mehr um die Darstellung des Eigenen im
Fremden, sondern um die Neugier auf neue literarische
Schreibweisen, wie die Beispiele von Aglaja Veteranyi, Marica
Bodrozic oder Zsuzsa Bank belegen, oder um einen umgekehrten
ethnographischen Blick auf den deutschen Alltag, für den als
prominenter Beleg die Auszeichnung von Asfa-Wossen Asserate
(Manieren. Frankfurt/Main: Die andere Bibliothek 2003) gelten kann.
Der Chamisso-Preis zeigt der interessieren Leserschaft eine neue und
spannende Literatur, die sich nicht mehr als Wortmeldungen des
Gastes versteht, sondern sich in der deutschen Dichtung heimisch zu
fühlen beginnt.
Eine unübersehbare interkulturelle
Vielfalt
Seit mindestens einem Jahrzehnt ist eine unübersehbare
interkulturelle Vielfalt zu einem wichtigen Kennzeichen auch der
deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geworden. Bewirkt wurde
diese Vielfalt vor allem durch den mit den Migrationsbewegungen
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einhergehenden
Kulturwechsels vieler Literaten, der ihre Themen und
Sprachbilder prägte und oft die Wahl des Deutschen als
Literatursprache nahe legte.
Die Migrantenliteratur, die vor 1985 noch eher ein Schattendasein
führte, hat in den letzten 20 Jahren äußerst unterschiedliche
poetische Konzepte entwickelt und damit die deutsche Literatur
bereichert und internationalisiert. Heute gehören einige ihrer
Autoren zu den bekannten und viel gelesenen Schriftstellern
deutscher Sprache – Feridun Zaimoglu oder SAID, Rafik Schami
oder Terezia Mora, Herta Müller oder Zsuzsa Bank haben sich auf
dem Buchmarkt etabliert und sind mit ihren Romanen,
Erzählungen und Gedichten wichtige Repräsentanten der heutigen
deutschen Literatur.
Erst um 1980 wurden literarische Äußerungen von
Arbeitsmigranten,
damals
oft
unter
denn
Etikett
"Gastarbeiterliteratur", von der deutschen Öffentlichkeit breiter
wahrgenommen. Viele Texte dieser ersten, über die Mitte der
achtziger Jahre hinaus anhaltenden Phase hatten die Dialektik von
Heimat und Fremde, den migrationsbedingten Sprach- und
Kulturwechsel und die Probleme der sich dem "Multikulturellen"
nur zögernd öffnenden deutschen Gesellschaft zum Thema.
Mit dem Auftauchen von Schriftstellern, die der zweiten oder
dritten Migrantengeneration angehören und sich immer häufiger
dem "Konflikt zwischen Vereinnahmung und Ausgrenzung" zu
entziehen suchen, scheint die Migrantenliteratur allmählich in der
deutschen Literatur aufzugehen. Autoren wie Za Jose F.A. Oliver
oder Zehra Јirak wollen sich weder der ausländischen noch der
deutschen Seite zurechnen lassen.
Feridun Zaimoglu lieferte mit Kanak Sprak das Stichwort für eine
ganze Generation deutschtürkischer Großstadt-Jugendlicher und
versteht sich, ähnlich wie Yade Kara, Selim Özdogan oder Imran
Ayata, ganz selbstverständlich als literarischer Vertreter einer
postkolonialen, hybriden Mischkultur. Bei den nach 1970
geborenen Autoren mit nicht-deutschem kulturellen Hintergrund
haben sich äußerst vielfältige interkulturelle Schreibweisen
herausgebildet.
Das alles in Betracht gezogen, war auch das Münchner Institut für
Deutsch als Fremdsprache maßgeblich an der Einrichtung des
1985 erstmals vergebenen Adelbert-von-Chamisso-Preises
beteiligt, der mittlerweile zu den renommiertesten deutschen
Literaturpreisen gehört.
Der Edelmann als Bürger
Adelbert von Chamisso hatte mehr Glück als viele politische
Emigranten unserer Tage, Der gebürtige Franzose fand eine neue
Heimat in Berlin, er baute sich eine bürgerliche Existenz auf,
wurde noch zu Lebzeiten als Dichter deutscher Sprache und im
internationalen Wissenschaftsbetrieb als Naturforscher anerkannt.
Doch Chamisso vergaß nie, wie wenig selbstverständlich sein
Einwandererschicksal war.
Mit elf Jahren wurde der Grafensohn aus einer heilen
Kindheitswelt in die Kriegswirren nach der Französischen
Revolution hineingezogen. »Von Stadt zu Stadt, von Land zu Land
irrend, ohne Bändungen, ohne Vaterland, fast ohne Hoffnung, die
Stütze der Elenden, habe ich das Unglück kennengelernt..." Vier
Jahre irrte die Familie durch Europa, ehe sie 1796 in Berlin eine
dauerhafte Zuflucht fand.
Die Familie fand in Berlin Anschluß an die französische Kolonie
der Hugenotten und an den preußischen Hof. Adelbert konnte das
Französische Gymnasium besuchen, diente als Page bei der
Königin und trat 1798, mit siebzehn Jahren in die preußische
Armee ein.
In den Jahren 1815 bis 1818 reiste Chamisso als Naturforscher auf
einem russischen Expeditionsschiff rund um die Welt. Dieses
Abenteuer und seine wissenschaftlichen Erkenntnisse sicherten
dem Außenseiter eine breite gesellschaftliche Akzeptanz.
Chamisso selbst war sehr stolz, daß er seinen bescheidenen
Wohlstand nicht Adelsprivilegien verdankte, sondern sich alles
selbst erarbeitet hatte.
Der liberale Bürger Chamisso träumte von einer Welt, die sich
nicht durch Kriege und Revolutionen, sondern im Streit der
Meinungen fortentwickelte.
Über den Chamissopreis
Der Adelbert-von-Chamisso-Preis ist ein Literaturpreis, mit dem
die Robert Bosch Stiftung seit 1985 deutsch schreibende Autoren
nicht deutscher Muttersprache auszeichnet, und der im
deutschsprachigen Raum in seiner Ausrichtung einzigartig ist. Die
ausgezeichneten Autoren haben ganz unterschiedliche kulturelle
Hintergründe und sind durch Arbeitsmigration, Asyl, Exil oder
Studium nach Deutschland gekommen. Eines aber verbindet sie:
Die deutsche Sprache, in die sie eingewandert sind und die sie zu
ihrer eigenen und wichtigsten Ausdrucksform gemacht haben.
Dieser Wechsel in die deutsche Sprache geht dabei weit über deren
Alltagsgebrauch hinaus. Er vollzieht sich in künstlerischer und
literarischer Aneignung und macht das Werk der Adelbert-vonChamisso-Preisträger zu einem selbstverständlichen Bestandteil
der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Der Preis dokumentiert, dass Literatur und Sprache der
Verständigung zwischen den Kulturen dient - in Deutschland, in
Europa und darüber hinaus. Die Chamisso-Preisträger, die wie
Elazar Benyoeiz und Galsan Tschinag nicht in Deutschland leben
und wirken, fördern mit ihren Werken den internationalen
Gebrauch des Deutschen als Bildungssprache. Die im deutschen
Sprachraum tätigen Preisträger sind Beispiele dafür, wie die
Kultur derjenigen, die hier eine neue oder zweite Heimat gefunden
haben, mit der unseren zusammenfindet. Die Chamisso-Preisträger
sind nicht nur hervorragende Schriftsteller und Vertreter der
deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, sondern haben auch eine
wichtige Vorbildfunktion, insbesondere für Jugendliche mit
Migrationshintergrund. Uns allen ist deutlich geworden, welche
zentrale Rolle die Sprache für gelingende Integration spielt. Ohne
ausreichende Sprachbeherrschung ist ein Leben und Arbeiten in
der Gesellschaft nicht möglich.
Es war die kluge Initiative Harald Weinrichs, die Robert Bosch
Stiftung von der Einrichtung des Adelbert-von-Chamisso-Preises
zu überzeugen. Seit der ersten Preisverleihung 1985 an Aras Ören
und Rafik Schami sind insgesamt 48 Schriftsteller aus über
zwanzig Herkunftsländern ausgezeichnet worden. Wurde die mit
dem Preis gewürdigte Literatur seit den 80er Jahren zunächst ist
noch »Gastarbeiterliteratur«, später »Migrationsliteratur« genannt,
so ist sie heute zu einem selbstverständlichen Bestandteil
deutscher Gegenwartsliteratur geworden, die nicht selten auch als
»Chamisso-Literatur« bezeichnet wird.
Die seit 1997 verliehene »Ehrengabe zum Adelbert-vonChamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung« wurde bisher an drei
Persönlichkeiten vergeben, die durch ihr Lebenswerk in
besonderer Weise im Sinne des Preises gewirkt haben: Jiri Grusa,
Imre Kertesz und Harald Weinrich.
Die lebhafte Resonanz auf die zahlreichen von der Stiftung
angeregten und unterstützten Lesungen der Preisträger an Schulen,
Büchereien und Theatern im gesamten deutschsprachigen Raum
zeigt das hohe Interesse an dieser Literatur. Es macht den
besonderen Charakter des Adelbert-von-Chamisso-Preises aus,
dass er nicht allein in einer Prämierung besteht, sondern durch
eine Begleitförderung das Lesen der Autoren gerade an Schulen
möglich macht.
Die Robert Bosch Stiftung veranstaltet in unregelmäßigen
Abständen Chamisso-Tage, die an unterschiedlichen Orten im
deutschsprachigen Raum durchgeführt werden, zuletzt 2003 in
Basel. Im Oktober 2007 wurden die Chamisso-Tage im Ruhrgebiet
stattfinden. Sie vergibt darüber hinaus Arbeitsstipendien an die
Preisträger und fördert eine Chamisso-Poetikdozentur an der
Technischen Universität Dresden. Ein Katalog begleitet eine
Fotoausstellung zu den Preisträgern, die in Zusammenarbeit mit
dem Goethe-Institut im deutschsprachigen Raum und bereits in
weiten Teilen Europas präsentiert wurde.
Chamisso-Tage an der Ruhr
Im Rahmen der Chamisso-Tage, die dieses Jahr erstmalig in
Nordrhein-Westfalen zu Gast sind, hat die Stiftung in 13 Städten
des Ruhrgebiets zu rund 200 literarischen Veranstaltungen
eingeladen. 32 ausgezeichnete Autoren lesen bei den "ChamissoTagen an der Ruhr". Insgesamt stehen 200 literarische
Veranstaltungen in 13 Städten auf dem Programm,
Das Literaturfestival findet erstmals im Ruhrgebiet unter dem
Motto "viele Kulturen - eine Sprache" statt. Die Robert Bosch
Stiftung verleiht den Adelbert-von-Chamisso-Preis und zeichnet
damit deutsch schreibende Autoren aus, deren Muttersprache und
kulturelle Herkunft nicht die deutsche ist.
In Zusammenarbeit mit der Robert-Bosch-Stiftung war Dortmund
im Oktober zum Zentrum der „Chamisso-Tage an der Ruhr 2007".
Rund 80 internationale Autorinnen und Autoren gastieren dann bei
Lesungen, Gesprächsforen und Schulprogrammen in der Region
und bringen dem Publikum den Dichter und Naturforscher
Adelbert von Chamisso, (1781 bis 1838) näher. Zahlreiche
Ruhrgebietsstädte sind an dem Programm beteiligt, das von
Dortmund aus koordiniert wird.
Obwohl Französisch Chamissos Muttersprache war, gelang es
Chamisso, in der deutschen Fremdsprache unsterbliche Werke zu
schaffen. Am bekanntesten sind sicherlich „Peter Schlemihls
wundersame Geschichte" (1814) und das Gedicht „Das
Riesenspielzeug" über die Burg Nideck im Elsass.
Dies erklärt, dass der bisher einzige Literaturpreis für
deutschsprachige Migrantenliteratur seinen Namen trägt. Mit dem
Adelbert-von-Chamisso-Preis werden seit 1985 in Deutschland
Autorinnen und Autoren nichtdeutscher Muttersprache
ausgezeichnet.
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