Rein beschreibende Weltbilder

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Der Fall Galilei,
die Vorgeschichte
und die Folgen
Lutz Sperling
Kapitel 1
Der „Fall Galilei“ und seine Vorgeschichte
Rein beschreibende Weltbilder
Antike:
rein beschreibende Verfahren
für die Bewegungen am Himmel,
große praktische Bedeutung,
keine Physik
Ältestes bekanntes heliozentrisches
(= sonnenzentriertes) Weltbild:
Aristarch von Samos (ca. 320 - 250 v. Chr.),
ca. 100 Jahre später Seleukos
Mythen
Alte Weltbilder häufig verbunden
mit den Mythen der Völker
Bis ca. 500 vor Christus wie auch noch bei
Thales von Milet (ca. 600 v. Chr.):
Erde = Scheibe oder flache Schale,
schwimmend oder auf andere Weise gelagert
Philosophie
Hochblüte der griechischen Philosophie:
Platon (etwa 427 - 347 v. Chr.),
Aristoteles (384 - 322 v. Chr.)
Philosophisch begründete Forderung:
Erklärung der Planetenbeweung
mittels gleichförmiger Kreisbewegungen
Ptolemäus (ca. 100 – 170)
Syntaxis Mathematike (Almagest):
Umfassendes Hilfsmittel zur Beschreibung des
Weltalls auf der Basis seiner Vorgänger,
besonders des Hipparch.
Kombination regelmäßiger Kreisbewegungen,
Epizyklen
Sein überzeugendes, anschaulich erdzentriertes
geometrisches Modell
wurde für die griechische, arabische und
mittelalterliche Astronomie der nächsten
14 Jahrhunderte maßgebend.
Moderne Aspekte bei Ptolemäus
Kugelgestalt der Erde bekannt,
wesentliche Beiträge zur Geographie,
Festlegung eines Nullmeridians,
Definition der bis heute gültigen Breitenkreise
Weltbildcharakter des Ptolemäischen
Systems
Geozentrisches Weltsystem wie früher
Eudoxos (ca. 408 - 355 v. Chr.),
in Abhängigkeit von und mit Rücksicht auf
Aristotels,
daher enge Verbindung mit dessen Philosophie:
unveränderliche Natur der Gestirne und
Regelmäßigkeit ihrer Bewegungen
Gott: außerweltlich, unbewegter Beweger,
in sich ruhend
Aporie der Aristotelischen Philosophie
Philosophische Ausweglosigkeit
Mensch = Abbild des göttlichen Geistes,
aber:
in die Sterblichkeit irdischer Behausung verbannt
::
Widersprüche zur christlichen Offenbarung:
Welt ewig und ungeschaffen,
Gottes Wesen ist das Bei-sich-selbst-sein des
vollkommenen Geistes
Thomas von Aquin (um 1225 – 1274)
Modifikation des aristotelischen Weltbildes,
Durchdringung mit christlichem Denken,
aber noch keine Auflösung der genannten Aporie
Potential der christlichen Offenbarung:
Überwindung der Verbannung der Menschen auf
den sterblichen Wohnort der Erde
Nikolaus von Cues (1401 – 1464)
(Cusanus)
Kardinal!
Erde = „göttlich“, Planet unter anderen Planeten ,
gesetzhafte Verhältnisse auch im Irdischen,
Eigendrehung der Erde,
Fixsterne = Himmelskörper,
Universum zeitlich und räumlich grenzenlos,
keine genauen Kreisbahnen,
keine unbeweglichen Himmelspole,
Sonnenflecken erkannt,
Messen, Quantifizieren,
Welt für Menschen erkennbar konstruiert
Weitere Vorläufer des Kopernikus
Johannes Buridan (auch Jean Buridan)
(um 1300 - kurz nach 1358):
Keim des Trägheitsgesetzes
Nicolas d‘Orêsme,
Bischof von Lisieux (1320 - 1382 ):
Achsendrehung der Erde
Prälat Celio Calcagnini, Ferrara (1479 – 1541),
um 1520: Himmel steht fest, Erde bewegt sich
Kopernikus (1473 – 1543)
Nepot des Bischofs von Ermland,
intuitive Ahnung vom Trägheitsgesetz ,
"De revolutionibus orbium coelestium" (1543),
Heliozentrisches Weltsystem
Aber weiterhin:
von Kreisbewegungen ausgegangen,
Korrektur mittels Epizyklen bleibt notwendig,
keine Physik,
Weltsystem immer noch Geschmacksache
Reaktion der katholischen Kirche auf
Kopernikus
Berater hinsichtlich Kalenderreform
auf 5. Laterankonzil (1512 - 1517),
Positive Reaktionen der Päpste
Clemens VII. (1523 bis 1534),
Gregor XIV. (1590 - 1591)
Universität Salamanca: Lehre der Astronomie
seit 1561 auch und ab 1594 nur noch
nach Kopernikus.
1581 Gedenktafel für ihn im Dom zu Frauenburg
Tycho Brahe (1546 – 1601)
1572 Beobachtung einer Supernova
1577 Berechnung:
Bahn eines Kometen durch die Sphäre der Venus
Tychonisches = ägyptisches System
(ähnlich System des Heraklit (375 – 310 v. Chr.)):
Sonne und Mond um Erde,
Planeten um Sonne
kinematisch korrekt:
Relativbewegung richtig erfaßt
Exakte Messungen -> Rudolfinische Tafeln
Tycho Brahes System
Johannes Kepler (1571 - 1630)
1609:
1. Gesetz: Planeten durchlaufen Ellipsenbahnen,
in deren einem Brennpunkt: die Sonne
2. Gesetz: Verbindungsgerade Sonne - Planet
überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen
1619: Harmonices mundi (Weltharmonik)
3. Gesetz: Gleiche Verhältnisse für
Quadrate der Umlaufzeiten je zweier Planeten u.
Kuben der großen Halbachsen ihrer Bahnellipsen
Wichtige Quelle für Newtons Gesetze,
aus diesen herleitbar
Ergänzung zu Johannes Kepler
Dynamische Idee:
Sonne als Quelle der Schwere vermutet
Religiöse Ideen:
Ellipse = Kombination von Kreis und Gerader
Ästhetische Ideen:
Pythagoreische Zahlensymbolik,
musikalische Intervalle und Polyedermodell für
Sonnensystem
Galilei (1564 – 1642) mit 60 Jahren
Galileis Hauptwerke
1632: "Dialog über die beiden hauptsächlichsten
Weltsysteme"
(kurz "Dialog" oder "Dialogo" genannt)
1638: "Discorsi"
Stilmittel:
Einteilung in Tage.
Galileis wissenschaftliches Vorgehen
Verbindung von:
Experiment und Mathematik,
von induktiver und deduktiver Methode
Francis Bacon (1561 – 1626):
„dissecare naturam“
Einfachheit der Naturgesetze:
Beschleunigung, Fallgesetze, Trägheitsgesetz
Keimhafte Erkenntnisse zu vielen heute bekannten
Gesetzen in Mathematik und Natur
Galileis astronomische Entdeckungen
1609 systematischen Himmelsbeobachtungen
mittels Fernrohr,
1610: "Sidereus Nuncius" (Sternenbote)
Gebirgige Struktur des Mondes, 40 Plejaden,
Galaxis = viele Sterne,
7.1.1610: „Sideri Medicea“, (4 Jupitermonde)
Phasen der Venus, Saturnringe, Sonnenflecken,
Neptunbeobachtung,
Vermutung riesiger Entfernung der Fixsterne
Galileis Grundposition gegenüber den
Objekten der Astronomie
Mehr an Physik des Universums als an
astronomischen Systemen interessiert,
an Aufbau des Universums
hinsichtlich Ruhe und Bewegung
Erkenntnis der Gleichartigkeit von irdischer und
kosmischer Welt
Keine Beschäftigung mit den Keplerschen
Gesetzen
Galileis Wirken bis zu seinem Ruhm
als Astronom
Einfluß durch Collegio Romano der Jesuiten,
besondere mathematische Kompetenz,
besonders: Christoph Clavius (1537/38 - 1612),
Lehrstühle für Galilei: 1589 Pisa, 1592 Padua
1609: öffentliche Fernrohrvorführung auf dem
Campanile von San Marco,
„Sidereus nuncius“: Druckerlaubnis durch Zensor
Dominikaner Niccolò Riccardi (1565 - 1639)
1611 sehr erfolgreicher Rombesuch
besonders auch am Collegio romano,
6. Mitglied der berühmten "Academia dei Lincei"
Fürst Cesi
Papst Paul V. (1605 – 1621)
Kardinal Bellarmino
Die Inquisition und Roberto Bellarmino
(1542 – 1621)
Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis,
1542 nach Reformation gegen Häresien gegründet
1908 Sacra Congregatione Sancti Officii
1965 Kongregation für die Glaubenslehre
Jesuit Bellarmin, 1930 heiliggesprochen,
tief fromm und bescheiden,
gegen weltliche Macht des Papstes,
entschiedener Gegner der Reformation
Bestätigung der Richtigkeit der Beobachtungen
Galileis durch Jesuiten eingeholt,
Eintrag in Inquisitionsakten
Fragen der Bibelauslegung
Gewisse Peripatetiker verbanden
bei Ablehnung des heliozentrischen Systems
ihre Aristoteles-Abhängigkeit mit
Heranziehung von Bibelzitaten
Galilei nimmt gegen guten Rat Kampf auf,
ohne schon Beweise vorlegen zu können,
Berufung z. B. auf Jesuiten Diego Zuñiga
1612: 3 Briefe über Sonnenflecken
Brief an Benediktiner Benedetto Castelli
Gegensätzliche Positionen
1614: Attacke durch Dominikaner Caccini,
Anzeige beim Hl. Offizium,
Galileis Rechtgläubigkeit bestätigt,
Rat zur Vorsicht
1615: "Brief" an die Großherzogin Mutter Cristina
mit Argumenten des Karmeliters Foscarini
und des 1607 verstorbenen Kardinals Baronius
Antwort Bellarminos vom 12.4.1615:
Auslegung der Hl. Schrift durch die Väter
bis zum Vorliegen von Beweisen
Das Dekret von 1616
Das Heilige Offizium legt 10 Theologen
2 Thesen zur Begutachtung vor ->
Bewegungslosigkeit der Sonne = formell häretisch
Erdbewegung = irrig im Glauben
Aber: abgemildertes Dekret nur von
Indexkongregation ohne Häresievorwurf
Mehrere Verbote
Zu Galilei: lediglich zwei Eintragungen
+ Ehrenerklärung von Bellarmin im Mai 1616
Streit mit Pater Grassi
Drei Kometen und ein Vortrag des Jesuiten Grassi
darüber im Jahre 1618 führten zu einem üblen
Streit Galileis mit ihm, wobei Galilei nach
einhelliger Ansicht der Fachwelt zu einem
erheblichen Teil wissenschaftlich unrecht hatte.
Das hielt ihn aber nicht von üblen Beschimpfungen
ab, in deren Zusammenhang er auch noch gleich
den Jesuiten Scheiner zu unrecht des Plagiats
beschuldigte, so daß er das bisherige Wohlwollen
der Jesuiten gänzlich verspielte.
Papst Urban VIII. (1623–1644)
Papst UrbanVIII. , „Il saggiatore“
6.8.1623 Kardinal Maffeo Barberini -> Urban VIII.
Widmung von Galileis polemischer Antwort an
Grassi „Die Goldwaage“ angenommen
1624: Erfolgreicher Besuch Galileis in Rom
Weiterhin freundschaftliches Verhältnis zu
Urban VIII., 6 lange Audienzen
Galileis „Dialog“
1629 vollendet, in Italienisch,
auf Breitenwirkung zielend
Riccardi jetzt Magister Sacri Palatii,
für Druckerlaubnis zuständig
Papst sichert Galilei kirchliche Pension zu,
die ihm bis zum Lebensende gezahlt wird
Galileis Fehler
Auflage des Papstes, Kopernikanische Lehre
nur als Hypothese zu vertreten,
nicht überzeugend erfüllt
Position des Papstes ausgerechnet dem in alten
Denkweisen verhafteten, etwas begriffsstutzigen
Simplicius in den Mund gelegt
Mißbrauch der Teildruckerlaubnis von Riccardi,
Buch schon in Florenz aufgeliefert,
in Rom durch Riccardi beschlagnahmt
Begeisterte Zuschriften
Gutachten der Kommission
Papst noch um Schonung Galileis bemüht,
beruft Kommission unter dem Vorsitz des Galilei
wohlgesonnenen Kardinalnepoten Fr. Barberini
8 Anklagepunkte, u.a.:
- Kopernikanismus als bewiesen dargestellt,
- Ebbe und Flut fälschlich als Beweis angeführt,
- Mißbrauch des römischen Imprimaturs,
- Zerzausung der Gegener
Papst erfährt vom Galilei 1616 auferlegten Verbot,
Übergabe an Hl. Offizium, Vorladung Galileis
Prozeß von 1633
Zuvorkommende Behandlung, Galilei verstrickt
sich unter Eid in Widersprüche, erklärt sich zum
Eingeständnis seines „Irrtums“ bereit
Galileis „Dialogo“ und Keplers „Grundriß“ verboten
Galilei verurteilt zu:
- Verlesen der Abschwörungsformel
(„der Häresie stark verdächtig“),
- „Kerkerhaft“ im Hl. Offizium,
- Wöchentliches Gebet der 7 Bußpsalmen,
3 Kardinäle, darunter Francesco Barberini
unterschrieben nicht
Nach der Verurteilung
Galilei wohnte zunächst im Palast seines
Freundes, des Erzbischofs Ascanio Piccolomini,
durfte aber Ende 1633 in seine Villa Arcetri bei
Florenz zurückkehren.
Druck seiner Werke (außer „Dialog“) in Leyden,
Spätwerk „Discorsi“ begründete Galileis Weltruhm
als Begründer der modernen Physik
W. Brandmüller: „Galilei war weder als Forscher
noch als Katholik gescheitert, als man ihn in
St. Croce zu Florenz bestattete."
Galilei mit 71 Jahren
Weiteres Schicksal des
Kopernikanismus im kath. Bereich
Gründung der berühmten Academia del
Cimento bald nach Galileis Tod
(Fürst Cesi war 1630 gestorben),
Vergleichbare Einrichtungen in Siena,
Padua, Neapel, Brescia und Bologna
Academia Fisico-Matematica in Rom:
- Magalotti Kometenstudien,
- Cassini Saturntrabanten,
- Ciampini berühmte Teleskope,
- Borelli Vermutungen im Sinne Newtons
Kirchlich geduldeter
Prokopernikanismus
1639, 1645 Bullialdus und Gassendi (kath.Priester)
verteidigten Lehre des Kopernikus
1651 Riccioli: großer prokopernikanischer
Astronomie-Atlas
1656, 1667 und 1669: Erscheinen weiterer
prokopernikanischer Werke
1710: Erscheinen des „Dialogs“ mit kirchlicher
Druckerlaubnis
1757 (Benedikt XIV.): Streichung heliozentrischer
Werke aus dem Index der verbotenen Bücher
Endgültige Legalisierung
1820 Guiseppe Setteles Buch „Sapienza“,
Druckerlaubnis von Hl. Offizium
mit päpstlicher Unterstützung gegen Oberzensor
Gutachten Kardinal Olivieri:
Astronomische Auffassung widerspricht nicht dem
katholischen Glauben
Im Index Gregors XVI. von 1835:
sämtliche prokopernikanische Werke getilgt
Kirchliche Entscheidungen der Galileizeit mußten
nicht desavouiert werden
Papst Johannes Paul II.
10.11.1979: Albert Einsteins 100. Geburtstag
Johannes Paul II. wünscht:
Vertiefung der Überprüfung des Falles Galilei,
aufrichtige Anerkennung des Unrechts,
gleich von welcher Seite,
Beseitigung von Mißtrauen,
fruchtbare Zusammenarbeit von Glaube und
Wissenschaft
31.10.1992: Galileo Galileis 350. Todestag
Überreichung des Ergebnisses,
tiefgründige Ansprache des Papstes
Kapitel 2
Motive und Urteile
Rolle der Mathematik
Galilei:
„Das Buch der Natur ist mit mathematischen
Symbolen geschrieben.“
„Ohne diese Mittel ist es dem Menschen
unmöglich, ein einziges Wort davon zu verstehen.“
Messung und Experiment
Galilei:
„Man muß messen, was meßbar ist, und meßbar
machen, was es nicht ist."
Max Thürkauf:
„Einengung der Natur auf das Meß- und
Berechenbare“
Galilei huldigt jedoch keinem reinen Empirismus
Kausales Denken und Finalursachen
Galilei hatte entscheidenden Anteil daran, daß das
Ptolemäische Weltbild zum Einsturz gebracht
wurde
neues kausales, naturgesetzliches Denken,
Vorbereitung der Newtonschen Gesetze
Bevorzugung der Wirkursachen vor den
Finalursachen,
Verstummen der Fragen nach dem Zweck
Konsequenzen für Philosophie und Theologie
Galileis Kopernikanismus
Noch 1606 ein Lehrwerk im Sinne des Ptolemäus
Ausgeprägter Kopernikanismus wohl erst nach
Himmelsbeobachtungen 1609
Albert Einstein:
Dieser sei bei Galilei "nicht etwa eine bloße
Konvention, sondern eine Hypothese, die 'wahr'
oder 'falsch' ist".
Aber: „... so sind doch alle diese Argumente nur
qualitativer Art“.
Also: Galilei hatte noch keine stringenten Beweise.
Offenbarung aus dem Buch der Natur
Galilei: zwei Offenbarungen Gottes:
Buch der Natur und Heilige Schrift
für Trennung von Physik und Philosophie,
gegen Autorität kirchlicher Stellen bei
wissenschaftlichen Schlußfolgerungen
Johannes Paul II.:
Galilei unterschied jedoch nicht ausreichend
„zwischen dem wissenschaftlichen Zugang zu den
Naturerscheinungen und der philosophischen
Reflexion über die Natur“.
Galileis Bibelauslegung
Für Galilei zwischen Naturwissenschaft und Bibel
kein Widerspruch möglich,
weil beide "aus dem göttlichen Wort" kommen
Bezugnahme auf hochentwickelte exegetische
Standpunkte seiner Zeit
Aber: Wissenschaft könne bei Aussagen zu
Naturphänomenen auch helfen,
den wahren Schriftsinn zu entdecken
Auch willkürliche Auslegung der Bibel
Hemleben: "Er interpretiert als Naturforscher die
Bibel zu seinen Gunsten."
Galileis Charakter
Anklagepunkt „Zerzausung der Gegner“ berechtigt
Schlimmste Beschimpfungen und Schmähungen
Rechthaberei, Prioritätsstreite
"Dagegen ist nun nichts zu machen, Herr Sarsi
[Pseudonym für Pater Grassi], daß es mir allein
vergönnt ist, alles Neue am Himmel zu entdecken,
und niemand anderem auch nur etwas."
Galilei mit 42 Jahren
Galileis Kritik der Peripatetiker
Zitat aus dem Dialog:
"...nennt Euch Historiker oder Doktoren der
Auswendiglernerei;
denn wer nicht philosophiert,
darf den Ehrentitel eines Philosophen
nicht beanspruchen."
Ebbe und Flut
Ursprüngliche Titel des „Dialogs“ war durch
Gezeiten bestimmt,
dieser „Beweis“ für Erdumlauf sollte inhaltlicher
Höhepunkt sein,
Änderung war Auflage des Papstes
Keplers Vermutung des Mondes als Ursache
von Galilei als „Kindereien“ bezeichnet
Galileis Theorie der Gezeiten war fehlerhaft und
widersprach auch den Beobachtungen
Vorwort und verbreitete Deutung
Vorwort zum Dialog enthält:
Lob des Edikts von 1616 und des
Forschungsniveaus in Rom
Scheinbare Bewertung des Kopernikanismus als
Hypothese, aber auch Behauptung seiner
Überlegenheit; widersprüchliche Aussagen
Eiertanz, blanker Hohn?
Hauptziel Galileis nach Stillman Drake
Galilei = „katholischer Eiferer“
„Rom handelte, um dem immer wieder
auftretenden Skandal einer Interpretation der Bibel
durch unqualifizierte Forscher zuvorzukommen.“
Ziel Galileis: Kompetente Beratung der Kirche
Galileis Äußerungen im Vorwort seien ernst
gemeint
Während des Prozesses und danach
Brandmüller:
Abschwörung = Akt der kirchlichen Loyalität
unter Beibehaltung der Überzeugung
Denn: Innerste Glaubenszustimmung nur
gegenüber authentischem (unfehlbarem) Lehramt,
nicht gegenüber römischen Behörden
innere „Tragödie eines Mannes, der zutiefst an
dem Auseinanderklaffen zwischen religiösem
Glauben und rationalem Denken verzweifelt."
Galilei bewußt innerhalb der Kirche, Wallfahrt
Schuld von Repräsentanten der Kirche
Benedikt XVI.:
„Denn der Preis für die Verschmelzung von
Glauben und politischer Macht besteht zuletzt
immer darin, daß der Glaube in den Dienst der
Macht tritt und sich ihren Maßstäben beugen
muß.“
Eine richtige Apologetik verschweigt oder
bestreitet nicht die Fehler und Sünden, die im
Namen der Kirche auch begangen wurden.
Gerechte Bewertung ohne generelle Distanzierung
Die Inquisition
Giordano Bruno = "Märtyrer der Aufklärung" ?
Der Kirche übergeben und nach langem Prozeß
aus rein theologischen (nicht naturwissenschaftlichen) Gründen der Häresie beschuldigt,
1600 von weltlichen Instanzen in Rom verbrannt
Todesstrafe war immer Verfehlung
gegen die Lehre Christi
Brandmüller: Nach „neueren Forschungen“:
Inquisition war nicht „Gruppe von machtlüsternen,
sadistischen, blindwütigen und düsteren
Fanatikern“ für „Knebelung des freien Denkens“
und „Machtposition der Kirche“.
Pastorale Auswirkungen von
Neuerungen
Verantwortung für das Seelenheil darf nicht als
„Macht über Seelen“ diskreditiert werden
Johannes Paul II.:
Kirche muß auf die pastoralen Auswirkungen ihrer
Predigt achten
Zu Kopernikanismus:
„Es wäre nötig gewesen, gleichzeitig
Denkgewohnheiten zu überwinden und eine neue
Pädagogik zu entwickeln, die dem Volk Gottes
weiterhelfen konnte."
Scandalum pusillorum zu vermeiden suchen!
Eigentliches Anliegen der Kirche
damals
Philosophisches Weltbild der Zeit wurde nur
irrtümlich und nur von einem Teil der Zeitgenossen
als kirchliches, theologisch unmittelbar im
christlichen Glauben inhaltlich enthaltenes
Weltbild angesehen
Stillman Drake:
„Das Edikt [von 1616] schadete der Kirche Jahre
später im Ausland nur deshalb, da seine wahre
Absicht - nicht in die astronomische
Hypothesenbildung einzugreifen - nicht verstanden
wurde."
Keine Willkür
Den von den Kongregationen der Kirche
eingesetzten Fachkommissionen wurde
vielfach Verantwortungsbewußtsein, Rationalität
und Gerechtigkeit bescheinigt.
Nach Carl Friedrich von Weizsäcker hat die
Inquisition in den Prozessen von 1616 und 1633
„von Galilei nicht mehr verlangt als daß er nicht
mehr sagen sollte, als er beweisen konnte.“
Alle Urteile und Dekrete waren „prinzipiell
überprüfbar, widerruflich“ ,
heliozentrisches Weltsystem nicht als häretisch
bewertet
Motivationen Urbans VIII.
Dialoge mit Galilei:vertrauensvoll, von
Hochschätzung seitens des Papstes bestimmt
Vermutlich tiefe Enttäuschung über Inhalt des
Dialogs hinsichtlich seiner von Thomas von Aquin
übernommenen Position
Sein Handeln war aber eher durch seine
Einbeziehung in Galileis „Spiel“ bestimmt,
selbst unter Vorwürfen, der katholischen Seite zu
schaden, meinte er, die Strategie gegenüber der
protestantischen Welt beachten zu müssen
Sorge um Unversehrtheit des Glaubens
Streben nach eindeutigem
Ordnungsmodell
Johannes Paul II.:
"Damals glaubte man, man müsse ein eindeutiges
Ordnungsmodell vorlegen. ... Dieser einheitliche
Charakter einer Kultur, der an sich auch heute
positiv und wünschenswert wäre, war einer der
Gründe für die Verurteilung des Galilei."
Rainer Specht:
Ein eindeutiges Ordnungsmodell wäre
„wesentlicher Bestandteil einer damals
aussichtsreichen Friedensstrategie" gewesen.
Scheinbar astronomische Aussagen
der Bibel
Josua 10, 12 – 14: "Sonne steh still über Gibeon,
und Mond über Ajalons Tal!"
Buch 1 Chronik 16, 30: „Der Erdkreis ist ja fest
gegründet, wanket nicht.“
Galilei las - wie viele und gewichtige Stimmen aus
der Theologie - die Bibel nicht als
Naturkundelehrbuch
Die Auslegung der Heiligen Schrift
Albertus Magnus und Thomas von Aquin:
Wahrheit der Heiligen Schrift habe zwar als
unverletzlich zu gelten,
Erklärung des Schrifttextes sei aber nicht starr
aufrecht zu erhalten, wenn Kenntnisse zu
irdischen oder astronomischen Phänomenen sie
als falsch erscheinen läßt.
Von alters her verschiedene mit Kopernikanismus
vereinbare Schriftauslegungen
Konzil von Trient
Reaktion auf die Reformation
„daß fortan niemand, der eigenen Klugheit
vertrauend, wagen dürfe, in Dingen des Glaubens
und der zum Aufbau der christlichen Lehre
gehörenden Sitten die Heilige Schrift nach
eigenem Sinne zu verdrehen und auszulegen
gegen den Sinn, den die Heilige Mutter Kirche
angenommen hat und annimmt, sie, der es
zukommt, über den wahren Sinn und die
Auslegung der Heiligen Schrift zu entscheiden
oder auch gegen die einmütige Übereinstimmung
der Väter."
Protestantische und katholische
Position
Luther, Melanchthon und Calvin sofort scharf
gegen Kopernikus
Reformatorisches Prinzip „sola scriptura",
einseitiger Biblizismus bis zur Annahme einer
Verbalinspiration der Bibel,
gegen Lehrautorität der katholischen Kirche.
Osiander (im Vorwort zu Kopernikus):
„daß solche Hypothesen keineswegs wahr, ja nicht
einmal wahrscheinlich zu sein brauchten, wenn sie
nur ihrem Zweck dienten".
Spätere Entwicklung im
Protestantismus
Naturwissenschaft folgte früh Kopernikus
Ablehnung des Kopernikanismus hielt in der
protestantischen Theologie noch lange an
Katholische Reaktion auf die
Reformation
Zunächst entspannte Unbefangenheit gegenüber
dem Wortlaut der Heiligen Schrift verloren
Wegen protestantischer Leugnung der
Wesensverwandlung in der Eucharistielehre
keine eigenmächtige Auslegung der Hl. Schrift,
andererseits protestantischer Vorwurf:
der Papst habe das 'reine Wort' verraten
Katholisches Lager zu dieser Zeit strategisch in
höchster Gefahr
Galileis Auffassung: genuin katholisch
Positive Früchte für den christlichen
Glauben
.
Die vom Kopernikanischen System verursachte
Reflexion darüber, wie die biblischen
Wissenschaften zu verstehen seien, hat nach
Johannes Paul II. später überreiche Früchte für
die modernen exegetischen Arbeiten erbracht.
Brandmüller nannte es pointiert ein Paradox,
"daß Galilei in der Naturwissenschaft
und die Kurie in der Theologie geirrt,
während die Kurie in der Naturwissenschaft
und Galilei in der Bibelerklärung recht behalten
hat."
Entstehung der Wissenschaft im
christlichen Europa
Strikte Ansiedelung des Göttlichen in der
transzendenten Heiligen Dreifaltigkeit
Schon im Mittelalter Hinwendung zur irdischen
Realität, die den von Gott geschaffenen Gesetzen
seiner Ordnung gehorcht
->Vermeidung jeder Form des Pantheismus,
Betrachtung des Universums als ein Reich der
Ordnung und Vorhersehbarkeit
Positionen von Zeitgenossen Galileis
Blaise Pascal (1623 – 1662) sprach von
Hypothesen nach „Ptolemäus, Kopernikus, Tycho
Brahe und vielen anderen“:
„Wer wird ohne die Gefahr eines Irrtums die eine
auf Kosten der anderen vorziehen können!“
Francis Bacon (1561 - 1626), Lordkanzler:
Annahme einer Bewegung der Erde unzulässig
René Descartes (1596 - 1650) Kopernikaner,
respektiert kirchliche Forderung, Heliozentrismus
nur als Hypothese zu vertreten
Viele Wissenschaftler damals unentschieden
Unzutreffende Klischees
19. Jahrhundert:
Rationalismus und Materialismus vorherrschend,
Galilei als Galionsfigur einer bewußt atheistischen
Wissenschaft mißbraucht,
Prozeß zum Mythos der Aufklärung überhöht
religions- und kirchenfeindlicher Liberalismus
bezichtigt Kirche des Obskurantismus und der
Wissenschaftsfeindlichkeit.
Johannes Paul II.: tragisches gegenseitiges
Unverständnis
Flammarion: Universum
Galilei als Held
Richard Fleury: Galilei im Prozeß
Galilei als Atlas?
Zum Inhalt der Klischees
Behauptung einer Divergenz zwischen kirchlichen
Dogmen und dem Kopernikanischen System oder
anderen naturwissenschaftlichen Theorien,
Kirche hätte im Falle Galilei Verstöße gegen
Dogmen geahndet.
Verbreitung solcher Klischees von Ideologen,
aber auch von selbst fehlinformierten
Multiplikatoren bis hin zu namhaften
Wissenschaftlern in Medien und Schulen,
aber sogar auch in Fachbüchern von
Einzelwissenschaften
Position Johannes Pauls II.
fehlgedeutet
Es wären erst jetzt Galileis Erkenntnisse durch den
Papst offiziell anerkannt worden, wofür die Kirche
also 350 Jahre gebraucht hätte.
Auch für Papst und Kirche drehe sich nun endlich
die Erde auch um die Sonne.
Es wäre ein neuer Prozeß gegen Galilei geführt
worden, der dann aber mit einem Freispruch
enden sollte.
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