Suizidalität: Foliensammlung für Fortbildungen verschiedener Zielgruppen Konzept: David Althaus / Rita Schäfer / Ulrich Hegerl Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München Die Ausweitungspartner bundesweit Flensburg Wilhelmshaven Ostfriesland Bielefeld Düsseldorf Lübeck Rostock Hamburg-Harburg Schwerin Gifhorn Berlin Magdeburg Eisenhüttenstadt Göttingen Leipzig Bad Wildungen Bonn Dresden / Kreischa Aachen Schwalm-Eder-Kreis Gießen Wetteraukreis Wiesbaden Würzburg Bamberg Mainz Ansbach Alzey Groß-Gerau Erlangen Nürnberg Cham Fürth Stuttgart Regensburg Neckar-Alb Ingolstadt Augsburg Göppingen Dillingen Wasserburg Bad Grönenbach Kempten rot: Ausweitungspartner blau: in Planung Begriffsbestimmung Definition von Suizidalität Unter Suizidalität verstehen wir das Potential aller seelischen Kräfte und Funktionen, das auf Selbstvernichtung tendiert (Haenel u. Pöldinger 1986) „Suizidalität ist die Summe aller Denk- und Verhaltensweisen von Menschen oder Gruppen von Menschen, die in Gedanken durch aktives Handeln, Handeln lassen oder passives Unterlassen den eigenen Tod anstreben bzw. als mögliches Ergebnis einer Handlung in Kauf nehmen.“ (Wolfersdorf, 2000) Nach Wolfersdorf ist dabei „Bewusstheit“ ein wesentlicher Faktor Ist Suizidalität immer krank? Suizidalität per se ist keine Krankheit Auch viele ( psychisch „gesunde“) Menschen erleben im Laufe des Lebens Situationen, in denen sie sich mit der Möglichkeit des eigenen Todes beschäftigen und den eigenen Tod als Möglichkeit bedenken Ein großer Teil berichtet in diesem Zusammenhang über passive Todeswünsche und Suizidgedanken Diese Auseinandersetzung kann Teil eines Trauerprozesses sein und ist oft ein vorübergehender Zustand Meist geht davon keine akute Gefahr eines Suizids aus. Risiko steigt erheblich, wenn Vorstellungen sehr drängend werden und konkrete Pläne gemacht werden Aber: bei Verdacht sollte Suizidalität immer genau exploriert werden Epidemiologie Todesursachen im Vergleich: 2001 Suizid 11000 Drogen 1835 Verkehr 7100 Mord 914 Aids 900 0 2000 4000 (Daten des Bundesamtes für Statistik und BMI) 6000 8000 10000 12000 Suizide in Deutschland 2002 900 800 Männlich 700 Weiblich 600 500 400 300 200 100 0 (Daten des Bundesamtes für Statistik) Anzahl Suizide Männer in Deutschland 2002 762 Tsd. 38 jährige 900 800 601 Tsd. 62 jährige Männlich 700 600 500 375 Tsd. 0 jährige 400 32 Tsd. 90 jährige 300 200 100 0 (Daten des Bundesamtes für Statistik) Anzahl Suizide Frauen in Deutschland 2002 716 Tsd. 38 jährige 900 623 Tsd. 62 jährige 800 Weiblich 700 600 500 355 Tsd. 0 jährige 400 300 112 Tsd. 90 jährige 200 100 0 (Daten des Bundesamtes für Statistik) Suizidraten in Deutschland 2002 120 100 Männlich Weiblich 80 60 40 20 0 (Daten des Bundesamtes für Statistik) Suizidraten je 100.000 Personen in den Alten und Neuen Ländern 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 männlich West weiblich West männlich Ost weiblich Ost 0 0-10 Jahre 10-15 Jahre 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 1983 1982 1981 1980 Anzahl der Suizide Kindersuizide in Deutschland (unter 15 Jahre) 160 140 120 100 80 60 40 20 Suizide je 100.000 in der Altersgruppe der 10-15 Jährigen 6 5 4 3 2 1 0 Jungen West Mädchen West Jungen Ost Mädchen Ost Jungen Mädchen 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 1983 1982 1981 1980 Anzahl der Suizide Suizide in der Altersgruppe der 15-20 Jährigen 600 500 400 300 200 100 0 Suizidraten der 15-20 Jährigen in den Alten und Neuen Ländern 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Jungen West Mädchen West Jungen Ost Mädchen Ost Suizidraten der 20-25 Jährigen in den Alten und Neuen Ländern 35 30 25 20 15 10 5 0 Jungen West Mädchen West Jungen Ost Mädchen Ost 0 männlich weiblich 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 1983 1982 1981 1980 Anzahl der Suizide Suizide in der Altersgruppe der 80-85 Jährigen 700 600 500 400 300 200 100 Suizidraten der 80-85 Jährigen in den Alten und Neuen Ländern 250 200 150 100 Männer West Frauen West Männer Ost Frauen Ost 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 1983 0 1982 50 Suizidmethoden in Deutschland (1980-1997) 10 000 9 000 8 000 Anzahl der Suizide 7 000 6 000 5 000 4 000 3 000 2 000 1 000 0 Hausgas Erhängen Sprung Vergiftungen Erschießen Suizide durch Vergiftungen mit Hausgas (1980-1997) in Deutschland 1 400 1 200 Anzahl der Suizide 1 000 800 600 400 200 0 Arbeitslosigkeit und Suizidalität in den neuen Bundesländern 25 5000 20 4000 15 3000 10 2000 1000 0 Suizide Arbeitslosigkeit 5 0 Arbeitslosenquote in % Anzahl der jährlichen Suizide 6000 Anzahl der Suizidversuche je 100.000 Ärztlich erfasste Suizidversuchsraten (ab 18 Jahre) in Nürnberg 2000-2001 (Dunkelziffer 30-50%) 250 200 Männer Frauen 150 100 50 0 Mädchen von 14-18 Jahren beginnen am häufigsten suizidale Handlungen. Die Letalität ist dabei jedoch sehr niedrig Relation von Suiziden zu Suizidversuchen in verschiedene Altersgruppen (Nürnberg 2000-2001) 700 600 47 Fallzahl 500 400 300 54 527 200 74 298 100 117 0 <39 Jahre 40-59 Jahre Suizidversuche >60 Jahre Suizide • bei Mädchen unter 20 J. führt nur jede 50. suizidale Handl. zum Tod • bei Männern über 80 J. enden 7 von 10 „Suizidversuche“ tödlich Häufigkeit & Letalität verschiedener Methoden Erschießen 1,7% 84,2% 8,6% Erhängen /Erdrosseln Ertrinken Überrollen lassen 63,5% 0,9% 60,0% 2,1% 54,2% 7,6% Sturz aus Höhe 43,5% 16,4% sonstige Medikamente 7,1% Stiche / Schnitte 6,8% 14,5% 39,5% Überdosis Psychoph. 0,7% 0,0% 5 Methoden stehen für 76% aller Suizide! 10,0% Letalität 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0% Anteil an suizidalen Handlungen in Nürnberg 2001 (Suizide + Suizidversuche) 90,0% Ursachen und Risikofaktoren Ursachen von Suizidalität soziale und biologische Ursachen: • Transgenerationale familiäre Häufung • Genetische Disposition • Veränderungen der Impulskontrolle / neuronale Veränderungen? • psychische Erkrankungen • kulturelle und religiöse Einflüsse Auslösesituationen • Krisensituationen (Zuspitzung durch Situationen, für deren Bewältigung nicht ausreichend Ressourcen zu Verfügung stehen) Die Motive suizidaler Handlungen • Nur ein Teil der Menschen, die suizidale Handlungen durchführen, suchen primär den Tod. • Es können bei suizidalen Handlungen unterschiedliche psychologische Motive vorliegen. Einteilung nach Feuerlein (1971): suizidale Pause: Unterbrechung einer unerträglichen Situation suizidale Geste: Wirkung auf andere Menschen im Vordergrund, appellativer Aspekt suizidale Handlungen im engeren Sinn: Todeswunsch vorherrschend • Eine eindeutige Unterscheidung nicht immer möglich • im Einzelfall können verschiedene Intentionen gleichzeitig bestehen, wobei meist eines dominant ist Depression und Suizidalität bis zu 15 % mit schwerer Depression versterben durch Suizid ca. 25 % weisen einen Suizidversuch auf ca. 70 % haben Suizidgedanken 90 % der Suizidenten litten unter psychiatrischen Erkrankungen, am häufigsten Depression (40-70 %) Wenn eine Depression vorliegt, dann sollte die Suizidalität immer aktiv exploriert werden! Akute Suizidalität: Risikogruppen • für Suizid: ältere Männer • für Suizidversuch: junge Frauen (14-24 Jahre) • Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen (Depression Suchterkrankungen, Psychosen) • akute krisenhafte Ereignisse (z.B. Arbeitslosigkeit, Schulden, Scheidung, Inhaftierung, Verlusterlebnisse, Traumatisierung) • Mangelnde Unterstützung durch Angehörige oder Freunde. Keine Einbindung in feste Strukturen, soziale Isolierung • Zeit nach der Entlassung aus stationär psychiatrischer Behandlung • Chronische körperliche Erkrankungen • Suizidversuche in der Vorgeschichte oder in der Familiegeschichte • Hohe narzisstische Kränkbarkeit • starke Verleugnungstendenz und mangelndes Hilfesuchverhalten („mir geht es gut; ich brauche keine Hilfe..“) Indikatoren für akute Suizidgefahr Drängende Suizidgedanken Große Hoffnungslosigkeit und starke Schuldgefühle Starker Handlungsdruck („ich halte das nicht länger aus!“) Massive narzistische Kränkung starke Impulsivität (erhöhte Gefahr bei Drogen- oder Alkoholkonsum) Zunehmender sozialer Rückzug Verabschiedung von Menschen, Verschenken von Wertgegenständen Regelung letzter Dinge (Testament, Versicherungen, Papiere) Offene und verdeckte Ankündigung von Suizid („es wird aufhören, so oder so...“) Patient reagiert gereizt, aggressiv oder ist agitiert Konkrete Suizidpläne oder Vorbereitung suizidaler Handlungen Das Präsuizidale Syndrom Nach Ringel (1953) beinhaltet das Präsuizidale Syndrom als zentrales Merkmal die „Einengung“ der Person. Vereinfachend: Der Betroffene sieht seine Situation hoffnungslos; er erkennt keinerlei Wahlmöglichkeiten oder Alternativen. Seine Gefühle reduzieren sich auf Depression und Angst Sein Blick ist zunehmend „tunnelartig“ auf den Suizid als einzigen Ausweg fokussiert. Protektive Faktoren bei Suizidalität Familiäres / Soziales Umfeld: Familie, Kinder, Partner, Freunde Medizinische / psychologische Versorgung: Arzt, Medikamente,Therapeut Arbeit & finanzielle Absicherung Tagesstruktur Angebot vor Ort / Krisendienst etc. Die eigenen Erfahrungen zum Thema Suizid Die eigenen Erfahrungen mit Suizidalität 10 Min Austausch zu zweit: Wo und wie ist Ihnen Suizidalität begegnet (beruflich oder privat)? Was waren die beteiligten Gedanken und Gefühle? Wie haben Sie damals reagiert? Wie beurteilen Sie rückblickend die Situation? Verschiedene Ansätze in der Suizidprävention und deren Wirksamkeit SUIZIDPRÄVENTION Verbesserung sozialer Lebensbedingungen z.B. Arbeitslosigkeit Strafgefangene Auf die Allgemeinbevölkerung bezogene Strategien Auf Hochrisikogruppen fokussierende Strategien Ältere sozial isolierte Menschen Drogenabhängige Berichterstattung in Presse und Medien Erstellung eines Medienguide Programme an Schulen u. Jugendzentren Erschwerter Zugang zu Mitteln Aufklärung der AllgemeinBevölkerung Fortbildung niedergel. Allgemeinmediziner Borderline PS KriseninterventionsZentren, TelephonSeelsorge, etc. Schizophrenie Aus Psychiatrie entlassene Patienten Erschwerter Zugang zu Drogen Stationäre psych. Patienten Einzäunung gefährlicher Orte Regulierte Ausgabe von Medikamenten Hausgasentgiftung Entgiftung von Autoabgasen Verschärfung der Waffengesetzte Pat. nach Suizidversuch Entstigmatisierung Enttabuisierung von Affekt. Störungen Versorgungsoptimierung depressiver Patienten mit Antidepressiva und Lithiumprohylaxe Methodische Probleme bei der Evaluation von Suizidprävention Wenig Wissen, was wirksam ist und was nicht • kleine Stichprobengrößen • kaum experimentelles Vorgehen aus ethischen Gründen Mangelnde Kontrolle und Randomisierung • zweifelhafte Erfolgskriterien und geringe Übertragbarkeit der Ergebnisse • Keine einzelne Methode „Suizidprävention“ lösen. allein kann das Problem Die Diagnose des aktuellen Suizidrisikos Skalen zur Erfassung des Suizidrisikos - Fragen im BDI oder HAM-D - Beck-Hopelessness-Scale (20 items) - SAD (Sad person scale for assessing suicide; 10 items) • Problem: Erkennen von Suizidalität stützt sich auf Kooperationsbereitschaft des Betroffenen • Skalen sind in der konkreten Akutsituation kaum anwendbar • Viele falsch-positive Ergebnisse • Kann das diagnostische Gespräch nicht ersetzen Thematisierung von Suizidalität: Die Thematisierung von Suizidalität ist für Betroffene meist eine Entlastung, wenn: - das Gegenüber ganz auf den Einzelnen eingehen kann - ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen stattfindet - das Gegenüber keine Angst vor dem Thema hat - der Klient seine Gefühle zeigen darf - bei Bedarf konkrete Hilfe vermittelt wird Die verschiedenen Stadien von Suizidalität Anzahl betroffener Menschen Mäßige Suizidgefahr Passive Todeswünsche Erwägung Hohe Suizidgefahr Suizidgedanken Suizidideen Suizidpläne Vorbereitungen Ambivalenz Suizidale Handlungen Entschluss Abklärung von Suizidalität: Kernfragen vom Allgemeinen zum Konkreten: passiver Todeswunsch? abstrakte Suizidgedanken? konkrete Suizidideen? aktive Planung? Vorbereitungen? Suizidankündigungen? frühere Suizidversuche Für eine Bewertung entscheidend: Wie hoch ist der akute Handlungsdruck einzuschätzen? Abklärung von Suizidalität: Formulierungshilfen „Gibt es in ihrer derzeitigen schwierigen Situation auch Gedanken an den Tod?“ „Was genau meinen Sie damit, dass Todsein besser wäre?“ „Denken Sie dabei auch an Suizid?“ „An was denken Sie genau, wenn Sie sagen, sie könnten sich umbringen?“ „Haben Sie sich die ... (z.B. Medikamente) schon besorgt?“ „Wie oft und wie lange kommen die Gedanken an Suizid?“ „Haben Sie darüber schon mit jemandem gesprochen?“ „Haben Sie schon einmal versucht sich das Leben zu nehmen?“ „Gibt es denn auch Dinge, die Sie noch am Leben halten?“ Demonstration vor dem Plenum (Rollenspiel) Thematisierung von Suizidalität: Aber: Vorsicht vor Thematisierung von Suizid im Klassenverband oder z.B. im Konfirmationsunterricht: - auch bei gut gemeinter Vermittlung sind Folgen schwer einschätzbar weil kein Nachfragen beim Einzelnen möglich ist - bei manchen „gefährdeten“ Jugendlichen kann dadurch ein „Imitationseffekt“ ausgelöst werden (Werther-Effekt) - günstiger: Frage thematisieren, welche Hilfsangebote es gibt, wenn Jugendliche in einer Krise sind (siehe Infopaket für Lehrer: „Keinen Plan mehr? Wer hilft Dir, wenn Du nicht mehr weiter weißt?“) Beispiel: Gespräch mit Betroffenem Auswertung der exemplarischen Demonstration eines Gesprächs zwischen Betroffenem und Helfer. Beobachtungen aus dem Plenum: Wahrnehmung und Einordnung eigener Gefühle. Was hat der Helfer gut gemacht, was sehen Sie kritisch? Wie schätzen Sie akute Suizidalität ein? Fallbeispiel für Rollenspiel / Demonstration (beliebig für männl. oder weibl. Person) Herr X hat von sich aus um einen Gesprächstermin gebeten. Was spontan berichtet wird: Er ist Anfang 40, wirkt extrem niedergeschlagen und berichtet, dass es ihm in letzter Zeit immer schlechter gehe. Er wisse gar nicht, was er tun solle, seine Frau habe sich von ihm getrennt und sei mit den beiden gemeinsamen Kindern (2J.; 4J.) ausgezogen. Er halte diese Trennung nicht aus. Alles erscheine ihm so hoffnungslos. Er fühle sich manchmal so verzweifelt und einsam, dass er abends öfters zur „Flasche greife“, um das „irgendwie runterzuspülen“. Er sei bisher nie in psychiatrischer Behandlung gewesen. Die Freundschaften seien mit den Beziehungsproblemen in die Brüche gegangen. Er schleppe sich nur noch in die Arbeit (Beamter). Er wisse in seiner Verzweifelung einfach nicht mehr, was tun, aber er merke, dass er die Situation immer weniger ertrage. Was nicht spontan berichtet wird: Er erzählt von selbst nichts über seine Suizidideen; tatsächlich denkt er immer häufiger daran, sich das Leben zu nehmen. Er hat aber noch keinen konkreten Plan. Er hat bereits mehrere Abschiedsbriefe an die Frau verfasst, ohne sie je abzuschicken. Er steht unter starkem Handlungsdruck. Umgang mit Suizidalität Umgang mit Suizidalität • Viel Zeit nehmen (eventuell Folgetermine absagen) • Geduldiges Zuhören und Erfassung der Auslöser • Keine vorschnellen Beschwichtigungen! • Akzeptieren der Suizidalität als Ausdruck einer Krise • Ermutigung zum Ausdruck eigener Gefühle • Ausdruck stellvertretender Hoffnung • Erfassung vorhandener Ressourcen • Angehörige einbeziehen • Antisuizidpakt schließen • Krisenplan besprechen • Bei Agitation und Angst: Sedierung (Benzodiazepine) • Kurzfristige Wiedereinbestellung • Bei Bedarf: Stationäre Einweisung in Klinik Beispiel für Non-Suizidvertrag Non-Suizidvertrag zwischen ........................................................ und ............................................................... Ich, ............. ........... werde bis zur nächsten Sitzung (am.............) am Leben bleiben und mein Leben auch nicht unabsichtlich in Gefahr bringen, egal, was passiert und egal, wie ich mich fühle. Ich werde bis dahin alle Möglichkeiten nutzen, die mir dabei helfen, dieses Versprechen zu halten. Im Falle einer akuten Verschlechterung werde ich mich sofort an ...............................wenden. Sollte ................................... kurzfristig nicht verfügbar sein, so werde ich mich an das diensthabende Pflegepersonal wenden, mit der Bitte um Unterstützung.“ Datum Unterschrift Patient Unterschrift Therapeut Vorgehen bei akuter Suizidalität 1. Zeitgewinn. Suizidalität in der Regel kein Dauerzustand. Akute suizidale Krise kann in relativ kurzer Zeit wieder abklingen. • Kann eine suizidale Handlung verzögert werden, so erhöhen sich deutlich die Chancen, dass der Mensch überlebt. 2. Einfühlsam Zuhören. (keine Lösungsvorschläge unterbreiten, geduldiges und verständnisvolles Zuhören reicht) 3. zusätzlich Hilfe hinzuzuziehen. Gibt es (oder gab es) einen behandelnden Psychiater. Besteht ein Vertrauensverhältnis zum Hausarzt? Welche Beratungsstellen gibt es vor Ort? Wo ist die nächste psychiatrische Klinik oder Notfallambulanz? • Gegebenenfalls zu Arzt oder in Notfallambulanz begleiten Thematisierung von Suizidalität im Schulunterricht Thematisierung von Suizidalität im Schulunterricht Vorsicht vor Thematisierung von Suizid im Klassenverband! - Thematisierung sollte nur durch geschulte Person stattfinden (z.B. durch Mitarbeiter von AK-Leben; www.ak-leben.de) - auch bei gut gemeinter Vermittlung sind Folgen schwer einschätzbar weil kein Nachfragen beim Einzelnen möglich ist - bei manchen „gefährdeten“ Jugendlichen kann dadurch ein „Imitationseffekt“ ausgelöst werden (Werther-Effekt) - günstiger: Frage thematisieren, welche Hilfsangebote es gibt, wenn Jugendliche in einer Krise sind - (siehe Infopaket für Lehrer: „Keinen Plan mehr? Wer hilft Dir wenn Du nicht mehr weiter weißt“ unter www.buendnis-depression.de) Wenn eine Klasse eine suizidale Handlung mitbekommt: Möglichkeiten der Thematisierung des Suizids Es sollte vermieden werden: den Suizidale Handlungen als unverständlich, geheimnisumwoben darzustellen und somit erst interessant zu machen. („Wo er doch alles hatte, was das Leben so zu bieten hat.“) romantisierende Motive bzw. Ziele zu unterstellen. („Ewig vereint sein“; „Er war zu gut, zu sensibel für diese Welt.“) zu schlichte und einfache Gründe anzubieten. („Die Mutter hat Schuld“; „Selbstmord wegen Übergewicht“) die Haltung und Handlung des Suizidenten als heroisch, bewundernswert, billigend darzustellen. („In dieser Situation war es nur allzu verständlich, dass...“) Wenn eine Klasse eine suizidale Handlung mitbekommt: Möglichkeiten der Thematisierung des Suizids ... wird ein Folgeeffekt geringer, wenn: klar wird, dass hier jemand den Eindruck hatte, seine Probleme nicht lösen zu können. deutliche Alternativen aufgezeigt werden, z.B. wo Hilfe erhältlich ist (z.B. Behandlung einer Depression) eher Berichte folgen, in denen Bewältigungen aufgezeigt werden. mehr Hintergrundinformation über Suizidgefährdung und ein mögliches Vorgehen gegeben werden. Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen Vorgehen bei Fremdeinweisung Falls akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt und sich der Patient nicht als kooperativ zeigt: Polizei verständigen, die dann vor Ort entscheidet, ob die betreffende Person in eine Klinik gebracht wird. Fast immer folgen die Beamten dabei der Empfehlung des Arztes Patienten wird von Polizei und Sanitätern in eine psychiatrische Klinik gebracht. Fachärztliche Urteil entscheidet über Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung. In den meisten Bundesländern kann Patient gegen seinen Willen nur 24 Stunden in einer Klinik untergebracht werden. Eine längere Unterbringung gegen den Willen des Patienten ist nur durch richterlichen Beschluss möglich, der innerhalb der 24 Stunden durch die Klinik eingeholt werden muss. Vorgehen im Falle akuter Suizidalität: Fallbeispiel „Die Polizei wird verständigt, dass ein Mann auf dem Dach eines Hochhauses steht und zu springen droht.“ Organisatorisches • Nachalarmieren: (Rettungskräfte, Notfallseelsorger, polizeipsychologischer Dienst u.s.w.) • Sicherheitsvorkehrungen treffen: Absperren: Zurückdrängen Schaulustiger, da Zurufe dieser oft betrunkener Personen provozieren: "Nun spring doch endlich, wenn du dich traust!" - Verkehr umleiten Vorgehen absprechen mit Feuerwehr und RD/NA: Die Schritte der Kontaktaufnahme und die ggf. parallel eingeleiteten technischen Maßnahmen müssen mit allen Beteiligten abgesprochen werden. Einigung, wer spricht mit Person wie und von welchem Ort aus Organisatorisches • Kontaktaufnahme von Drehleiter oder vom Dach aus. Notfalls mit Handfunkgerät oder Telefon. • Wenn möglich kein Megaphon nehmen, da der Betroffene nicht mit dem gleichen Mittel antworten kann und Schaulustige und Presse/Medien mithören würden • Immer Kontakt über einen zweiten Mann im Hintergrund, der über Handfunksprechgerät die Verbindung nach "unten" hält. • Eigensicherung beachten! • Wichtig: Vor der ersten Kontaktaufnahme immer erst versuchen, Informationen bei Umstehenden, Nachbarn, Familienmitgliedern usw. einzuholen: Wie heißt der Mann? Was ist passiert? Kontaktaufnahme • Nie überstürzt handeln und den Betroffenen durch plötzliches Auftauchen in Panik versetzen! • Ankündigen, dass Sie kommen und mit ihm reden wollen • Polizeiuniformen lösen oft starke Aggressionen aus, vor allem bei alkoholisierten Personen. (evtl. Uniformjacke ausziehen!) • Bevor Sie sich nähern, sein Einverständnis einholen! • Er kann bestimmen, wie nahe Sie kommen, er hat hier die Autonomie, er kann die Situation gestalten! "Kann ich ein bisschen näherkommen?!" Kontaktaufnahme • "Einen Schritt weiter, und ich springe!" - Keinesfalls auf jemanden zugehen, der zu springen droht! So nah wie möglich und so fern wie nötig! • Erste Kontaktaufnahme: sich vorstellen, und versuchen ins Gespräch zu kommen, Name erfragen (mein Name ist..... ich möchte gerne mit Ihnen sprechen. Ich will Ihnen meine Hilfe anbieten..... • Gesprächsbasis schaffen, Vertrauen zu gewinnen suchen. Deshalb: Keine unüberlegten Handlungen, keine unangekündigten Aktionen der Hilfskräfte. • vermitteln, dass Gegenüber die Kontrolle über Situation hat und dass keinerlei Zeitdruck besteht Zentrale Strategie: Zeit gewinnen! Versuchen Sie herauszufinden.... • In welcher körperlichen Verfassung ist er? Wie lange kann er sich da halten? • Zugriffsversuch aber nur bei hochgradiger Erschöpfung oder geistiger Verwirrung. Eigensicherung beachten! • Ein Überrumpeln des Suizidanten kann beim Scheitern der Aktion ein Springen in Panik hervorrufen und Sie selbst gefährden (Absturz durch Mitreißen!). • Bekommen Sie so möglichst schnell heraus, ob er Wahnvorstellungen hat (Psychose, z.B. CIA verfolgt ihn, er hört Stimmen, erzählt abstruse Geschichten, innere Logik stimmt nicht) • Argumentieren Sie nicht gegen den Wahn. Lassen Sie sich die Wahninhalte ein. So gewinnen Sie Vertrauen Beziehung zum Gegenüber herstellen! Mögliche Gesprächsimpulse • "Was kann ich für Sie tun? Wie kann ich Ihnen helfen?" Nicht bedrängen oder werten: "Machen Sie doch keinen Unsinn, kommen Sie herunter!" • beharrliche Kontaktaufnahme auch wenn der andere schweigt; notfalls so tun, als würde man im Gespräch sein ("Talkdown!"): sie müssen sehr verzweifelt sein, dass sie hier raufgeklettert sind..... • Auch banale Äußerungen, ohne jemanden lächerlich zu machen: "Ich bin ganz außer Atem vom Heraufklettern..." oder "Wie sind Sie denn hier herauf gekommen?" können den Betroffenen zum Reden bringen. • Das Sprechen über Probleme hat einen therapeutischen Effekt und man erhält wichtige Informationen, z.B. ob der Betroffene bewusstseinsklar oder ob er alkoholisiert ist, ob er Wahnvorstellungen hat. Beziehung zum Gegenüber herstellen! Weitere Gesprächsangebote • Will er mit Arzt, dem Pfarrer, einem Psychologen reden? Pfarrer/in ist oft Person des Vertrauens, Notfallseelsorger zu Beginn des Einsatzes nachalarmieren lassen • Wenn Suizident mit (Ehe)partner,Verwandte oder Freunde sprechen will, Namen, Adressen, Telefonnummern erfragen. • gewünschte Person (Partner, Verwandter usw.) durch zweiten Einsatzleiter (besser Pfarrer, Arzt, Psychologe) auf dieses Gespräch vorbereiten und prüfen, ob die Person willens oder auch in der Lage ist, zu solch einem Gespräch. • Vorsicht, wenn viel aggressive Gefühle im Spiel ist: Bedenken Sie die Möglichkeit der Rache des Lebensmüden, der nur darauf wartet, vor den Augen der herbeigerufenen Person hinunterzuspringen (Bestrafung der Angehörigen). Grundsätzliches • Keine Tricks, keine Gewalt! Machen Sie keine falschen Versprechungen • Keine paradoxe Intervention: "Springen Sie doch...!" • Selbstschutz: das autoaggressive Verhalten kann sich auf den anderen richten. Bei vorhandener Schusswaffe nie in Sichtweite, bei Messer nie in Reichweite gehen! • Falls Sie den Erstkontakt aufgenommen haben: nur ablösen lassen, wenn der "Springer" damit explizit einverstanden ist, dass z.B. "der Pfarrer" jetzt mit ihm/ihr reden würde. Zur Sicherung des anderen im Hintergrund bleiben. • Überlassen Sie es dem anderen, die Richtung des Gesprächs zu bestimmen. Hören Sie aufmerksam zu, zeigen Sie Interesse und Anteilnahme an der Person und seinen Problemen Das Gespräch an sich ist bereits suizidpräventiv! Kränkung vermeiden • "Wie wäre es eigentlich, wenn Sie jetzt mit mir heruntersteigen würden? Ich und meine Kollegen helfen Ihnen dabei." • Frage: Wie kommt er aus dieser Situation raus, ohne sein Ansehen zu verlieren? • Z.B. Feuerwehreinsatzjacke zum Überziehen anbieten (so ist er nicht so schnell erkennbar für die Schaulustigen und die Presse) • Bedenken zerstreuen wegen Übernahme von Einsatzkosten oder des Gesichtsverlusts bei bekannt werden der Tat. • Angst vor einer Einweisung in eine "Klapsmühle" offen diskutieren und hierzu ein Gespräch mit dem (unten wartenden) Notarzt oder einem Psychologen anbieten. Juristisches • Ein Suizidant muss vor sich selbst geschützt werden, das beurteilt ein Psychiater/Nervenarzt in der Klinik. • Darauf hinwirken, dass der Betroffne sich freiwillig vorübergehend in psychiatrische Klinik begibt. • Darauf hinweisen, dass er in der Regel schneller wieder entlassen werden kann (oft schon am nächsten Tag), wenn er sich freiwillig ins Krankenhaus bringen lässt. • Bei einer Zwangseinweisung wegen Selbstgefährdung kann das unter Umständen länger dauern. Zusammenfassung: Mensch in akuter Suizidgefahr Können professionelle Helfer Hinzugezogen werden? ja Ermutigung zu offenem Gespräch. Suizidalität ernstnehmen, geduldig zuhören Verständnis zeigen weitere Hilfe hinzuzuziehen Begleitung des Betroffenen in psychiatrische Klinik, in psychiatrische Ambulanz, zu Krisendienst, zu behandelnden Arzt, zu behandelndem Psychotherapeuten im Notfall: Hilfe auch gegen den Willen des Betroffenen vermitteln nein Intervention nicht möglich ohne die Gefahr der Eskalation (z.b. auf Brücke, auf Hausdach, Kontakt per Telefon) Zentrale Strategie: Zeitgewinn bis zum Abklingen der gegenwärtigen akuten Suizidgefahr Kontakt herstellen, ohne dabei Risiko einzugehen Vorsicht vor Eskalation durch übereiltes Handeln Jede Form von Druck vermeiden • bis auf Hörweite nähern, ruhig und freundlich ansprechen • sich vorstellen, und versuchen ins Gespräch zu kommen • beharrliche Kontaktaufnahme auch wenn der andere schweigt • notfalls so tun, als würde man im Gespräch sein • vermitteln, dass Gegenüber die Kontrolle über Situation hat • deutlich machen, dass keinerlei Zeitdruck besteht • Vorsicht vor Kränkungen oder Provokationen • Wenn der andere erzählt, aufmerksam zuhören und spiegeln • keine vorschnellen Beschwichtigungen • Verständnis für schwierige Situation signalisieren, • Ausdruck stellvertretender Hoffnung • Hinweis auf weitere Hilfsmöglichkeiten • Ruhe bewahren, bis der andere bereit ist, die Gefahrenzone zu verlassen Die Situation nach einem Suizid: Überbringung von Todesnachricht und Umgang mit den Angehörigen Die Hinterbliebenen nach erfolgtem Suizid • Bei jedem Suizid sind rund sechs Menschen unmittelbar betroffen • Auswirkungen von allen Suiziden betreffen damit allein in Deutschland jährlich etwa 70.000 Menschen • Die Trauer nach einem Suizid erstreckt sich bei nahen Angehörigen oft über mehrere Jahre • Hinterbliebene haben erhöhtes Depression zu erkranken • ABER: Trauernde Hinterbliebene sind nicht automatisch als psychisch krank einzuschätzen! Risiko an einer Die Hinterbliebenen nach erfolgtem Suizid • Heute geht man davon aus, dass die Trauer nach Suizid nicht notwendigerweise schwerer ist als bei anderen schweren Verlusterlebnissen • Aber: Besonderheiten im Verarbeitungsprozess können eine große Rolle spielen - Stigmatisierung („der hat es wohl nicht ausgehalten bei ihr...“) - Scham - Schuldgefühle - Gefühl der Zurückweisung (durch den Verstorbenen) Nach erfolgtem Suizid • Wenn kein natürlicher Tod vorliegt, muss Arzt unverzüglich Polizei informieren, damit die Todesursache geklärt werden kann. • Zuständig ist der Zentrale Kriminaldienst (ZKD). Oft kommt aber zunächst der Streifendienst zum Einsatz, • Für Polizei doppelte Aufgabenstellung: 1. Ermittlungen, um Fremdverschulden (Mord oder Totschlag) auszuschließen. (z.B.Fundort sichern, die Leiche beschlagnahmen) 2. Mit Angehörigen in einer Extremsituation konfrontiert, die u.U. den Suizid noch gar nicht realisiert haben und fassungslos sind. wichtig: Sensibilität und Rücksichtnahme auf Hinterbliebene bei der Durchführung der erforderlichen Ermittlungen Die Überbringung einer Suizidnachricht Grundsätzliches: • Todesnachrichten nie telefonisch durchgeben • Todesnachrichten am besten immer im Team (z.B. mit einem Polizeibeamten) überbringen und sich mit diesem vorher absprechen, wer welchen Part übernimmt • Der Überbringer der Todesnachricht sollte über folgende Bereiche sachkundig sein: wie und wo kam es zum Suizid? Wo befindet sich der Tote jetzt? Wer kann weitere Auskunft geben? • Planen Sie ausreichend Zeit (mindestens 30 Minuten) ein (es kann auch deutlich länger dauern). Die Überbringung einer Suizidnachricht Verhalten vor Ort: 1. Unbedingt eindeutige Identifizierung des Gegenübers („Sind Sie der Vater von....“). 2. Die Nachricht erst nach dem Betreten der Wohnung überbringen.„Ich muss Ihnen eine schlimme Nachricht überbringen, dürfen wir bitte hineinkommen, können wir uns bitte zunächst setzen?“. 3. Anwesende Unbeteiligte sollten nicht zugegen sein. („Möchten Sie dass Ihre Kinder dabeibleiben?“). 4. Überbringen Sie jetzt Ihre Nachricht ohne Umschweife, und ohne falsche Hoffnungen aufkommen zu lassen („Ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr Sohn verstorben ist. Er wurde vor einer Stunde erhängt im Wald aufgefunden. Er war bereits tot........“) 5. Keine Mitleids- und Beileidsfloskeln, stattdessen Verständnis und Anteilnahme (Bei starker emotionaler Reaktion: viel Zeit lassen, das Gegenüber weinen lassen etc.). Die Überbringung einer Suizidnachricht 6. Lassen Sie den Angehörigen jetzt nicht alleine (Suizidgefahr). Bei körperlichem Zusammenbruch oder extremen psychischen Reaktionen Arzt rufen. 7. Auf Fragen geduldig und bereitwillig Auskunft geben („Wo ist der Tote verstorben? Wo ist er nun? Wer hat ihn gefunden?“ Etc.). 8. Fragen Sie den Angehörigen, wen er informieren möchte und welche Personen zur Unterstützung benachrichtigt werden könnten. 9. Bleiben Sie bei den Hinterbliebenen, bis weitere Unterstützung und Hilfe eingetroffen ist. 10. Hinterlassen Sie Ihre Visitenkarte oder eine Kontaktadresse, falls die Hinterbliebenen nochmals mit Fragen an Sie herantreten möchten. „Den Verstorbenen noch mal sehen“ • Besteht bei den Hinterbliebenen der Wunsch, den Toten noch einmal zu sehen, so unterstützen Sie ihn darin (sprechen Sie die Möglichkeit im Vorfeld bereits mit der Polizei ab). • Meist erleichtert dies die Realität des Todes zu begreifen und ist Teil des Abschieds. • Bereiten Sie sie auf den Anblick vor (wenn Sie möchten, können Sie den Toten noch einmal sehen. Sein Körper ist aber sehr entstellt. Das sollten Sie vorher wissen....) • Wird der Angehörige abgehalten, den Toten zu sehen, so kann es geschehen, das die Imagination viel schrecklichere und dauerhaftere Phantasien erschafft, als dies bei der Konfrontation mit der konkreten Wirklichkeit der Fall wäre. Nach einem Suizid: was brauchen die Angehörigen vom behandelnden Arzt /Therapeuten Gesprächsangebote (auch mehrmals und auch bei Vorwürfen und Ankündigungen von rechtlichen Schritten gegen den Arzt/Therapeuten. Manchmal rühren sich Angehörige erst nach Wochen) Verständnis für ihre Gefühle, insbesondere Schuld- und Schamgefühle, die auch als Ärger auf den Suizidenten oder die Klinik verschoben und projeziert werden. Erklärungs- und damit Distanzierungshilfe über die Fakten des Geschehens Unterstützung bei rechtlichen Abläufen z. B. mit Polizei, Versicherungen nach Wolfersdorf 2004 Selbsthilfe für Angehörige nach Suizid • AGUS (Angehörige um Suizid) wurde 1989 gegründet • z.Zt. über 400 Vereinsmitglieder und über 30 feste Gruppen • Die Vermittlung von Kontakten zu ähnlich Betroffenen und/oder regionalen Selbsthilfegruppen erfolgt durch das Büro in Bayreuth. AGUS-Büro Wilhelmsplatz 2 95444 Bayreuth Tel. 0921 - 15 00 380 Fax 0921 - 833 43 www.agus-selbsthilfe.de Nach einem Suizid: Die Situation der „Helfer“ Nach einem Suizid: Ängste und Gefühle auf therapeutisch- pflegerischer Seite • Schuldgefühl und Selbstanklage (Angst versagt zu haben und Fehler gemacht zu haben) • Angst vor Schuldvorwürfen von außerhalb (Angehörige, Klinikleitung, Justiz) • In Klinik: Sorge um Mitpatienten wegen deren Suizidalität (Nachahmungsgefahr) • Eigene Stabilität und eigenes Lebensgefühl u.U. in Frage gestellt • Gefühle von Ärger, Aggression, Kränkung, Verletzung nach Vogel & Wolfersdorf1987 Nach einem Suizid ... Für Therapeuten und professionelle Helfer ist es wichtig, sich klar zu machen, dass: die Arbeit mit depressiven und suizidalen Menschen immer das Risiko mit einschließt, dass es zum Suizid kommt es unmöglich ist, akute Suizidalität immer rechtzeitig zu erkennen; vor allem wenn der Betroffene sie vertuscht; es unter unseren Klienten/Patienten immer wieder Menschen geben kann, die sich gegen das Leben entscheiden, ohne dass wir es verhindern können. Nach einem Suizid: was braucht das therapeutisch-pflegerische Team? Gesprächsmöglichkeiten: • kurzfristig zur aktuellen Entlastung und kurzfristigen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit • insbesondere mit den betroffenen Mitpatienten bzw. den Angehörigen des Suizidenten Regelung der konkreten Abläufe • z. B. Leiche muss liegen bleiben wie gefunden, Kripo anrufen, aktuell Aussage nur zur Sachlage • weitere Aussagen erst später (Aussagegenehmigung einholen, Bericht an Klinikleitung, Sicherstellung (und Kopie) der Krankenblattunterlagen des Patienten,) nach Wolfersdorf 2004 Nach einem Suizid: was braucht das therapeutisch-pflegerische Team? Unterstützung durch Klinikleitung (Chefarzt, Ärztlicher Direktor, Verwaltungsleiter, Pflegeleitung): Es geht nicht um Schuldvorwürfe sondern um Verstehen des Ablaufes zum Suizid als Basis von Bewältigung und Erhalt der eigenen Arbeitsfähigkeit, Identität und Trauerfähigkeit. Gesprächs-/Bearbeitungsmöglichkeit im Team, in einer externen Supervision Gesprächsrunden bzw. Einbringen in Stationsversammlung, in Gruppen- und Einzeltherapie mit Mitpatienten Gesprächsangebote an die Angehörigen (eventuell auch des Chefarztes) nach Wolfersdorf 2004 Nach einem Suizid: Thematisierung des Suizids in der Schule oder innerhalb einer Patientengruppe Es sollte vermieden werden: den Suizid als unverständlich, geheimnisumwoben darzustellen und ihn somit erst interessant zu machen. („Wo er doch alles hatte, was das Leben so zu bieten hat.“) romantisierende Motive bzw. Ziele zu unterstellen. („Ewig vereint sein“; „Er war zu gut, zu sensibel für diese Welt.“) zu schlichte und einfache Gründe anzubieten. („Die Mutter hat Schuld“; „Selbstmord wegen Übergewicht“) die Haltung und Handlung des Suizidenten als heroisch, bewundernswert, billigend darzustellen. („In dieser Situation war es nur allzu verständlich, dass...“) Nach einem Suizid: Thematisierung in der Schule oder innerhalb einer Patientengruppe ... wird ein Folgeeffekt geringer, wenn: klar wird, dass hier jemand den Eindruck hatte, seine Probleme nicht lösen zu können. deutliche Alternativen aufgezeigt werden, z.B. wo Hilfe erhältlich ist (z.B. Behandlung einer Depression) eher Berichte folgen, in denen Bewältigungen aufgezeigt werden. mehr Hintergrundinformation über Suizidgefährdung und ein mögliches Vorgehen gegeben werden. Literatur: Wolfersdorf, -.M. (2000) Der suizidale Patient in Klinik und Praxis. Suizidalität und Suizidprävention. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart Dorrmann W: Suizid. Therapeutische Interventionen bei Selbsttötungsabsichten (3. korr. Auflage). München: Pfeiffer Verlag 1998 Bronisch, Götze, Schmidtke, Wolfersdorf (2002) Suizidalität: Ursachen, Warnsignale, therapeutische Ansätze. Schattauer Verlag Stuttgart Améry, J. (1976) Hand an sich legen. Ein Diskurs über den Freitod. Klett Cotta Gerd Mischler (2000) Von der Freiheit, das Leben zu lassen Kulturgeschichte des Suizids. Europa Verlag, Hamburg