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Brauchen Werte Gott?
Religionsunterricht im Kontext von
Säkularisierung und Wiederkehr
der Religion
Brauchen Werte Gott?
•Titel bezieht sich auf eine Kampagne der Evangelischen
Kirche in Berlin für einen Religionsunterricht als
Wahlpflichtalternative (anstelle eines allgemein verpflichtenden
Ethikunterrichts)
•Auch sonst ist in der öffentlichen Diskussion eine zunehmende
Verbindung der Erziehungsfrage und der Kultur- und
Sicherheitspolitik mit dem Christentum und dem “christlichen
Menschenbild” zu beobachten (Grundwerteprogramm der
CDU; Bündnis für Erziehung).
Avanciert das Christentum wieder zur allgemeinen
kulturellen Grundlage?
=> Welche Folgen hat das für Religionsunterricht und die
Ausbildung von Lehrer/innen?
© Stephan Sturm 2007
http://home.arcor.de/stephan-sturm
Brauchen wir eine neue Gewissensbildung bei Kindern?
Klare Regeln für Kinder müssen sein
[…] und sie müssen früh gelehrt
werden, denn Respekt und Toleranz
lernen Kinder nicht von allein.
Die Erfahrung zeigt, dass sie heute
gar nicht mehr wissen, was gut und
was nicht gut ist. […] Es ist wichtig,
dass man das Gewissen wieder
herausbildet.
Kommentar ZDF-heute-journal,
R. Nardi-Nowotnik, Leiterin des EuropaKindergartens Berlin
© Stephan Sturm 2007
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Brauchen wir eine gemeinsame Wertbasis für die Integration?
Wir können auch Zuwanderer in
Deutschland nur integrieren, wenn
wir wissen, in welche
Wertegemeinschaft wir integrieren
wollen.
Margot Käßmann, Evangelische
Landesbischöfin Hannover
© Stephan Sturm 2007
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Brauchen wir für die Wertevermittlung ein Bündnis von Kirche und Staat?
Werte wachsen nicht von selber,
sie müssen vorgelebt werden.
Es geht um die gemeinsame
Verantwortung [der christlichen
Kirchen und der Politik] in der
Vermittlung von Werten.
Ursula von der Leyen,
Bundefamilienministerin
© Stephan Sturm 2007
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Schützt das christliche Menschenbild vor Totalitarismus und Selektion?
Die schlimmsten Verbrechen der
Vergangenheit hängen damit
zusammen, dass man den Menschen
nicht mehr als solchen gewertet hat,
sondern nach Rasse, Klasse, Alter und
Geschlecht bewertet hat.
In England bekommen Leute ab
einem bestimmten Alter keine
Bypassoperation und kein Hüftgelenk
mehr, d.h. sie werden selektiert.
Heiner Geißler, ehemaliger Generalsekretär
der CDU im Gespräch mit Bruder Paulus
© Stephan Sturm 2007
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Vermittelt das Christentum exklusiv Werte wie Liebe und Schutz
der Schwachen?
Die christliche
Wertegemeinschaft betont
diesen Wert. Sie achtet sehr
darauf, den Schwächeren zu
würdigen, ihm Rechte zu
geben, eine liebevolle
Beziehung aufzubauen, … das
kommt aus dem Christentum.
Prof. Hurrelmann, Jugendforscher,
Mitverfasser der Shell-Jugendstudie 2006
© Stephan Sturm 2007
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Schafft das christliche Menschenbild eine gerechte Gesellschaft?
Das christliche Menschenbild steht für
die weltweite Durchsetzung der
Menschenrechte und gegen eine
Zweidrittelgesellschaft und einen
Turbokapitalismus, wo Menschen nach
Einkommen, nach Rang, Titeln und
Ansehen beurteilt werden. Das
christliche Menschenbild steht für eine
Gesellschaft, in der alle mit ins Boot
genommen werden (Inklusion).
Heiner Geißler, ehemaliger
Generalsekretär der CDU im
Gespräch mit Bruder Paulus
© Stephan Sturm 2007
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Soll das christliche Menschenbild Grundlage der Politik sein?
Maßstab ist und bleibt das
christliche Menschenbild. Es
setzt der Politik Ziele und
Grenzen.
Denn es steht für die Absage
an jedwede Ideologie und für
die Entfaltung des einzelnen
Menschen nach seinen
individuellen Fähigkeiten und
Bedürfnissen.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
© Stephan Sturm 2007
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Sollte das christliche Menschenbild weltweiter Maßstab sein?
Die Geltung des christlichen
Menschenbildes endet nicht an
den Grenzen Deutschlands, es
gilt vielmehr universell.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
© Stephan Sturm 2007
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Widerspricht ein Bündnis von Staat und Kirche in der Erziehung
der demokratischen und multireligiösen Kultur?
Wir sind von unserer
Geschichte her sehr starkvon
christlichen Werten geprägt.
Aber wir sind ein
demokratischer Staat und eine
multireligiöse Gesellschaft.
Christliche Werte könnennicht
den Konsens und die
Orientierung für die Erziehung
aller Eltern in dieser
Gesellschaft abgeben.
Prof. Hurrelmann, Jugendforscher,
Mitverfasser der Shell-Jugendstudie
2006
© Stephan Sturm 2007
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Grundprobleme im Religionsunterricht:
•Schüler/innen beurteilen den Unterricht stärker als in anderen Fächern nach
der Person des Lehrers/der Lehrerin,
•Die
Schüler/innen
erwarten
ein
stimmiges
Gesamtbild
allgemeinpädagogischen und religionspädagogischen Konzepte
der
•Die Schüler/innen stellen mehr als in anderen Fächern themenübergreifende
Fragen und Fragen nach dem Sinn des Fachs/von Religion überhaupt (=>
hohes Zusammenhangswissen, hohe Flexibilität des Lehrers/der Lehrerin
gefragt, Bedeutung von Religion in Gesellschaft und im Leben der Schüler
unklar => Legitimationsdruck)
•Die Lernziele sind weniger klar und operationabel wie z.B. in Latein
=> In diesen Problembereichen spiegelt sich die Problematik der Zuordnung
von Religionspädagogik und Allgemeinpädagogik (wie sie auch in den
religionspädagogischen Konzepten leitend ist) und damit letztlich des
Verhältnisses von Religion und Kultur.
© Stephan Sturm 2007
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In der gegenwärtigen Diskussion dominiert eine Zuordnung von
Religion und Gesellschaft, das klassische kulturhermeneutische
Ansätze aus der Tradition der liberalen Theologie für die Praxis der
Wertvermittlung nutzen will.
Die Grundargumentation dieses Modells lautet:
1.) Die moderne Gesellschaft ist geprägt von den formalen Werten der
Freiheit, der Selbstbestimmung (Aufklärung), der (religiösen) Toleranz
und der Demokratie.
© Stephan Sturm 2007
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2.) Toleranz und Demokratie setzen einen Standpunkt in der
eigenen Religion voraus, damit man dann auch anderen
Religionen offen begegnen kann und gegen Fundamentalismus
geschützt ist.
Bsp aus der Kampagne “Werte brauchen Gott”:
“In unserer globalisierten Welt
benötigen sie [die Kinder und
Jugendlichen] für eine ethische
Orientierung religiöse Kompetenz.
Sie müssen in ihrer eigenen
Religion zu Hause sein, um auch
andere Religionen zu verstehen. Nur
so entsteht wirkliche Toleranz.”
Bischof Dr. Wolfgang Huber
Ratsvorsitzer der
Evangelischen Kirche in
Deutschland
© Stephan Sturm 2007
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“Die Schülerinnen und Schüler
können im Religionsunterricht
lernen, lebensförderliche und
lebensfeindliche Vorstellungen
und Bilder von Gott zu
unterscheiden.”
Bischöfin Maria Jepsen
Nordelbische EvangelischLutherische Kirche
© Stephan Sturm 2007
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3.) Die formalen Werte der modernen Gesellschaft brauchen eine
Grundlage in einem materialen (inhaltlich gefüllten) System, das
auf mehr verweist als die bloße Geltung der Werte selbst.
Bsp aus der Kampagne “Werte brauchen Gott”:
“Werte brauchen Gott, weil wir
das, was uns wirklich wichtig ist,
nicht aus uns selbst schöpfen
können. Orientierung und
wirklichen Halt finden wir nur an
etwas, was mehr vermag als wir.”
Friederike von Kirchbach
Pröpstin der Ev. Kirche BerlinBrandenburg-schlesische
Oberlausitz
© Stephan Sturm 2007
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3.) Dem Christentum kommt in unserer Gesellschaft eine
besondere Bedeutung zu, weil unsere Kultur faktisch vom
Christentum stark geprägt wurde.
Bsp aus der Kampagne “Werte brauchen Gott”:
10 Fragen / 10
Antworten
Stimmt es überhaupt, dass Werte Gott brauchen?
Selbstverständlich haben auch Anhänger anderer Religionen
oder Atheisten Werte. Für Friedfertigkeit und Nächstenliebe
beispielsweise kann man auch eintreten, ohne Christ zu sein.
Die christlichen Werte haben aber Bedeutung für unsere
gesamte Gesellschaft.
Inwiefern?
Sie haben unser geistiges und kulturelles Leben geprägt.
Bewusst oder unbewusst: Wir handeln nach Prinzipien, die
aus der Bibel und dem christlichen Glauben hergeleitet sind.
© Stephan Sturm 2007
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4.) Das Christentum ist nicht nur die historische Wurzel für die
Werte unserer Gesellschaft, es bleibt auch das materiale
Fundament, aus dem sich die Geltung dieser Werte ableitet.
Bsp. aus der Kampagne “Werte brauchen Gott”:
10 Fragen /
10 Antworten
“Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit,
Menschenwürde, Toleranz und Achtung,
Barmherzigkeit und Nächstenliebe, Frieden
und Bewahrung der Schöpfung leiten sich
aus der Bibel und den Worten Jesu ab.”
© Stephan Sturm 2007
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Die ethische Begründbarkeit des Modells hängt dabei wesentlich von
Argument 4 ab, da die Argumente 1 und 2 für jede Religion gültig sind,
Argument 3 aber nur auf historischen Fakten beruht, die keine universale
Geltung beanspruchen können.
Entscheidend ist also, ob sich nachweisen lässt, dass die Geltung der Werte
in der modernen Gesellschaft historisch vom Christentum ausgelöst wurde
und auf diese Grundlage weiterhin angewiesen bleibt.
Problem dabei ist, dass die materiale Ethik des Christentums mit den
formalen Werten der modernen Gesellschaft im Widerspruch steht:
Freiheit und Selbständigkeit setzen Aufklärung und damit gerade nicht
Religion voraus, Toleranz und Demokratie setzen Offenheit in
weltanschaulichen Fragen voraus, die dem Offenbarungscharakter von
Religion entgegenstehen, zudem sind die Kirchen in ihrer Geschichte
häufig nicht für Freiheit und Toleranz, sondern für deren Gegenteil
eingetreten.
© Stephan Sturm 2007
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Die Lösung für diese Spannung liegt im Modell der positiven
Säkularisierung:
Danach setzt die christliche Religion auf der Grundlage
ursprünglich nicht aufgeklärter (nämlich religiös begründeter)
Haltungen (contre coer) selbst den Prozeß der europäischen
Aufklärung in Gang, in dessen Folge sich dann die liberalen
Werte der Freiheit, der Menschenrechte, der Demokratie, der
Toleranz usw. entwickeln.
© Stephan Sturm 2007
http://home.arcor.de/stephan-sturm
Bsp. Aus einer Rede des EKD-Vorsitzenden Huber:
Freiheit ist ein Schlüsselbegriff
des biblischen Zeugnisses.
Freiheit ist Gabe Gottes an die
Menschen.
Die als Geschenk anvertraute
Freiheit zu bewahren, die in der
Befreiung aus der Sünde
erneuerte Freiheit verantwortlich
zu gebrauchen, ist Gottes
Auftrag an den Menschen.
© Stephan Sturm 2007
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Die christlichen Kirchen waren zwar
keineswegs immer Vertreter und
Förderer der Freiheit. Sie haben immer
wieder vor den Folgen der Freiheit
gewarnt und den Mißbrauch der
Freiheit beklagt. Sie haben die vom
christlichen Glauben selbst ausgelösten
Freiheitsprozesse auch negiert und
problematisiert.
Sie haben aber das
Freiheitsverständnis des
Glaubens immer wieder zu
domnanten
Freiheitsverständnis ins
gesetzt.
besondere
christlichen
dem jeweils
weltlichen
Verhältnis
Sie haben dadurch immer wieder zur
Präzisierung
und
zum
tieferen
Verständnis der Freiheit beigetragen.
© Stephan Sturm 2007
http://home.arcor.de/stephan-sturm
Urheber der positiven Interpretation von Säkularisierung ist Friedrich
Gogarten (1887-1967). Gogarten hatte bei Troeltsch studiert, war aber mit
dessen Deutungen unzufrieden, wandte sich dann Fichte und dem
Idealismus und schließlich dem Lutherstudium zu. Luthers
Rechtfertigungslehre bildet dann den wesentlichen Ausgangspunkt für
seine Säkularisierungstheorie.
Luthers Theologie steht und
fällt mit der Rechtfertigung
nur aus Glauben - ohne die
Werke des Gesetzes.
Friedrich Gogarten im Gespräch mit
Jürgen Stenzel 1967
© Stephan Sturm 2007
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Wenn danach der Mensch nicht aufgrund seiner guten Werke zu Gott
kommt, sondern aufgrund seines Glaubens aus Gnade gerechtfertigt wird,
stellt sich die Frage, welche Bedeutung dann die Werke noch haben. Die
Werke haben dann keine unmittelbare Bedeutung für das Verhältnis zu
Gott mehr, sondern sie haben ihre Bedeutung nur noch in der Welt (sie
haben keine sakrale, sondern säkulare Bedeutung). Auf diese Weise löst die
christliche Rechtfertigungslehre selbst die Säkularisierung aus.
Wenn die Werke nicht zu Gott
passen, was wird dann aus den
Werken? Die Werke können
dann nur noch in der Welt
getan werden.
Was ist denn dann mit der
Welt? Sollte das mit der
Säkularisierung zu tun haben?
© Stephan Sturm 2007
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Beispiel: Wenn Jesus erklärt, der Sabbat sei um des Menschen willen da, dann
wird die ursprünglich sakrale Bedeutung des Sabbats entsakralisiert, ein sakraler
Tag wird zu einem säkularen Tag.
Wenn Jesus sagt, der Sabbat ist
um des Menschen da, dann
bedeutet das, dass dieser
besondere Tag in die Reihe der
anderen Tage hineingestellt wird,
er wird ein gewöhnlicher Tag.
© Stephan Sturm 2007
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Die Folge davon ist, dass am Sabbat dieselben Gesetze, nämlich die der
Vernunft herrschen, man muss sich selbst (mit der eigenen Vernunft)
überlegen, was an einem solchen Tag zu tun ist. Überträgt man dies auf alle
Bereiche, so ergibt sich, dass es in der Welt selbst nichts Heiliges (Sakrales)
mehr gibt, die Welt ist nur noch das, was sie ist, sie wird nicht mehr religiös
überhöht (Weltlichkeit der Welt).
Wie ist es an anderen Tagen?
An gewöhnlichen Tagen muss
der Mensch überlegen, was
habe ich heute zu tun? Das gilt
nun auch für den Sabbat. D.h.
der Sabbat wird
entsakralisiert. Die Welt wird
an diesem Tag erhalten, sie
bleibt Säkularität.
© Stephan Sturm 2007
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Die erste Folge daraus ist, dass die Welt selbst jetzt nicht mehr religiös
verehrt werden kann, es gibt keine heilige Ordnung der Welt mehr. Daraus
resultiert die in den politischen Statements angesprochene kritische
Funktion des Christentums gegenüber allen totalitären Ideologien. Diese
behaupten nämlich, es gebe in der Welt heilige Ordnungen, in die der
Mensch sich fügen müsse.
Die Welt kann nun nicht mehr
religiös verehrt werden (wie in
der vorchristlichen Welt).
© Stephan Sturm 2007
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Dadurch verändert sich insgesamt das Verhältnis des Menschen zur Welt.
Der Mensch ist nicht mehr vor der Welt (ihren heiligen Gesetzen
gegenüber, die sein Handeln normieren), sondern für die Welt
verantwortlich (nach den Regeln, die er selbst finden muss).
Für den vorchristlichen
Menschen geht es darum, die
Ordnung des Kosmos (der
Welt) zu erkennen und sich in
diese Ordnung einzufügen [so
z.B. auch in das Mosaische
Gesetz].
Jetzt ist der Mensch nicht
mehr vor der Welt
verantwortlich, sondern für
die Welt verantwortlich.
© Stephan Sturm 2007
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Die zweite Folge ist also, dass der Mensch der Welt gegenüber selbständig
wird, sein Handeln bestimmt sich aus eigener Verantwortung nach
Gesetzen der Vernunft.
Auf diese Weise führt das Christentum zu den zentralen Werten der
europäischen Aufklärung, nämlich zu Autonomie, Vernunftbestimmtheit
und in der Folge dann auch zu Werten wie Menschenrecht, Demokratie,
Freiheit.
Der Mensch verehrt nicht
mehr die Welt, sondern nur
noch Gott.
=> Der Mensch wird
gegenüber der Welt
selbständig.
© Stephan Sturm 2007
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Grundlegendes Problem der Theorie:
• Die Freisetzung des menschlichen Handelns an die Autonomie
menschlicher Vernunft, lässt dieses Handeln selbst theologisch
unbestimmt.
• Gogarten unterscheidet zwar zwischen den positiven Folgen der
Säkularisierung und den negativen Folgen (Säkularismus), einziges
Kriterium der Unterscheidung bleibt aber neben dem grundsätzlich
ideologiekritischen Aspekt die Reinheit der Glaubenshaltung (Gesinnung).
• Zudem bleibt unklar, worin die Funktion der Religion über die bloße
Freisetzung der menschlichen Vernunft hinaus besteht.
© Stephan Sturm 2007
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Probleme, die sich aus dem Modell der positiven Säkularisierung im
Religionsunterricht ergeben:
• Das Modell beschränkt Religion auf eine historische Rolle als
Katalysator für liberale Werte, die Schüler/innen sind aber an der
aktuellen Bedeutung von Religion interessiert und erwarten ein
eigenständiges Lebensmodell. Eine positive Wirkung auf liberale Werte
liegt im Interesse der Politik, nicht der Schüler/innen,
•Die Inhalte des Religionsunterrichts müßten darauf beschränkt
werden, inwiefern sie die Geltungsbedingungen für liberale Werte
unterstützen, viele Inhalte fallen dann weg,
•Die Schüler/innen bleiben mit ihren speziell an Religion gerichteten
Fragen allein, weil Religion auf politische Funktionen reduziert wird,
•Religion verliert ihre kritische Funktion gerade auch gegenüber
Ausprägungen der modernen Welt, weil sie sich dieser schon
verschrieben hat.
© Stephan Sturm 2007
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Das strukturgeschichtliche Modell der Säkularisierung
(Luhmann)
Ursprünglich bestimmt Religion, worüber überhaupt in
der Gesellschaft sinnvoll gesprochen werden kann und
definiert deshalb auch, welche Handlungen sinnvoll
sein können.
•Im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung gibt es
aber immer mehr Spezialsysteme für besondere
Probleme der Gesellschaft, z.B. ein Rechtssystem, ein
Wirtschaftssystem, ein Erziehungssystem usw.
•Die Logiken dieser Systeme werden immer formaler
und lösen sich deshalb von den materialen Grundlagen
der Gesellschaft (den Werten) ab.
© Stephan Sturm 2007
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Karriere
Regierung
Politik
Erziehung
Gesellschaft
Erziehung
Politik
=
Opposition
Religion
Nichtkarriere
zahlen
Gesetz
Wirtschaft
Wirtschaft
Recht
Recht
nichtzahlen
Nichtgesetz
Im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung
Dementsprechend orientiert sich die Wirtschaft dann nur
Nach
Die
Systeme
Luhmann
spezialisieren
ist Politik
Gesellschaft
sich
ursprünglich
ausErziehung
und
identisch
entstehen
aber
immer
mehr
gesellschaftliche
Systeme
Diese
Spezialsysteme
werden
immer
weiter
entwickelt,
noch
am
Profit,
die
nur
noch
anweiter
der Macht,
mit
werden
Religion,
immer
d.h.Selektion
formaler,
Religion
dazu
bestimmt,
bilden
was
sie
spezielle
der nur ein
für in
Spezialprobleme,
z.B.
ein
Rechtssystem,
nur
noch
andiesen
der
(der
Schüler)
und
dasin
Recht
so
dass
Bereichen
auf
religiöse
Deutungen
noch am
positiven
Gesetz,
moralische
Fragen
bleiben
bei ein
all
Gesellschaft
Codes
aus.
überhaupt
Zugleich
entfernen
gedacht
und
sie
sich
getan
zunehmend
werden
kann.
Wirtschaftssystem,
ein Erziehungssystem,
immer
mehr
verzichtet
werden
kann.
dem den
ebenso
unberücksichtigt
wie Fragen
Religion.
von
materialen
Grundlagen
der der
Gesellschaft.
Politiksystem
© Stephan Sturm 2007
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Politik
System (formale Ebene)
Erziehung
Formale
WirtschaftMechanismen
Recht
Intermediäre Institutionen
Politik
Erziehung
Religion 3
Religion
Religion 2
Recht
Allerdings
konkurrieren sie auch miteinander und haben keine universale
Wirtschaft
vermitteln zwischen den Ansprüchen
des Systems und der Lebenswelt
Geltung
Ihr Anspruch gründet
auf Leistungen
(Diakonie),
sie müssen beweisen,
und gewinnen
zunehmend
an Bedeutung
dass
sie positiv
können.durch das
Der Prozess
wird
jedochgestalten
konterkariert
Auseinanderdriften von System und Lebenswelt.
Dies muss durch einen Ausgleich aufgefangen
(materiale
werdenLebenswelt
(Unterbrechung,
Reflexion). Ebene)
© Stephan Sturm 2007
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•Diese anderen Systeme werden immer weiter
entwickelt, so dass in diesen Bereichen auf religiöse
Deutungen verzichtet werden kann.
•Bsp: Die parlamentarische Demokratie funktioniert
auch ohne Wertsetzungen (Macchiavelli).
•Bsp: Wirtschaft funktioniert unabhängig davon, ob
ihre Aktionen moralisch gut oder schlecht sind.
© Stephan Sturm 2007
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Funktionale Differenzierung:
•Politik orientiert sich nur noch an Macht haben/keine
Macht haben
•Wirtschaft orientiert sich nur noch an
Zahlen/Nichtzahlen, Profit/kein Profit
•Erziehung orientiert sich nur noch an
Karriere/Nichtkarriere (Selektion)
•Wissenschaft orientiert sich nur noch an wahr/falsch
(keine moralischen Grenzen)
•Verwaltung orientiert sich nur noch an
dokumentiert/nichtdokumentiert (Hauptsache es gibt
eine Urkunde darüber)
© Stephan Sturm 2007
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In der Folge koppeln sich diese Systeme immer mehr
von der Gesellschaft ab.
Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gibt es zwar
noch einen religiösen Rahmen, der Grenzen für das
Verhalten anderer Systeme zieht, innerhalb dieses
Rahmens aber operieren die Systeme selbständig.
In der modernen Gesellschaft koppeln sich die Systeme
weiter ab, der religiöse Rahmen verliert an Bedeutung
und es gibt nur noch ein Nebeneinander von formal
funktionierenden Systemen.
© Stephan Sturm 2007
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Folge: Es ist möglich formal funktionierende Politik zu
betreiben, ohne gesellschaftliche Probleme zu lösen,
Es ist möglich, in der Wirtschaft Profite zu erzielen,
indem man gerade nicht produziert und Arbeitsplätze
vernichtet,
Es ist auch möglich, in einem Schulsystem über Karrieren
zu entscheiden, ohne für das Leben in der Gesellschaft
vorzubereiten.
© Stephan Sturm 2007
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Dieser Ansatz erklärt zunächst das Unbehagen, dass viele
Menschen mit der modernen Gesellschaft haben (z.B.
auch Demokratie- und Politikverdrossenheit, Mißtrauen
gegenüber Verwaltungen und Großinstitutionen
(einschließlich verfaßter Kirche), Sehnsucht nach
übersichtlichen Lebensverhältnissen in der AdenauerÄra).
Der Ansatz erklärt zugleich, warum Religion in den
Hintergrund gedrängt wird, weil moderne Systeme auch
ohne sie funktionieren.
© Stephan Sturm 2007
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Der Grund dafür liegt aber anders als im ersten
Erklärungsmodell nicht darin, dass in der Aufklärung neue
Werte entstehen, sondern darin, dass die Systeme sich
ausdifferenzieren und effizienter arbeiten.
Daraus resultiert, dass auf die liberalen Werte z.B. in der
Politik und Wirtschaft nicht einfach verzichtet werden kann,
weil gerade von der Formalisierung dieser Systeme ihre
Effizienz abhängt.
© Stephan Sturm 2007
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Weitere Folgen: Nichteinmischbarkeit von anderen Systemen
her
© Stephan Sturm 2007
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Drei
Möglichkeiten
Religionsunterricht
der
Begründung
von
Religion
und
1. Das Christentum gilt universal
Problem: Das Konzept richtet sich gegen Pluralismus
2. Die Aufklärung gilt universal und das Christentum begründet sie
Problem: Religion beschränkt sich auf das, was Aufklärung auch
aussagen kann
3. Das Christentum ist eine Option neben anderen und vermittelt
zwischen System und Lebenswelt
Problem: Die christliche Religion wird an ihrer praktischen Relevanz
gemessen und darin von Schüler/innen kritisiert
© Stephan Sturm 2007
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Weiterführende Fragen:
1.
Kann das Christentum wichtige Impulse liefern, die die
Tradition der europäischen Aufklärung nicht liefern kann?
(Welche?)
2.
Kann Religion heute eine entscheidende Rolle spielen, wenn
sie weder Anspruch auf universale Wahrheit, noch auf
politische Geltung machen kann?
3.
Kann Religion eine allgemeinpädagogische Bedeutung für das
Leben von Schülern und Schülerinnen haben, wenn sie
lediglich ein Deutungssystem neben anderen ist?
© Stephan Sturm 2007
http://home.arcor.de/stephan-sturm
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