Die Sozialgeographie im

Werbung
Sozialgeographie: Räumliche
Strukturen der Gesellschaft
290118 VO
© Peter Weichhart
3 Std., 4 ECTS-Punkte
Dienstag, 17:00 –18:00 HS 4C und Mittwoch, 12:00 – 14:00; Hs. 5A,
Kapitel 29.01; 29.02; 29.05; (B11-3.2) (B07-3.2) (L2-b2, L2-b3, L2-b-zLV)
Modul 01/01
Die Begründung der Sozialgeographie: Der Entwurf von
Hans BOBEK
WS 2013/14
Sozgg01/01/01
Die Sozialgeographie im „logischen System
der Geographie“
L ä n d e r k u n d e
L a n d s c h a f t s k u n d e
N a t u r
Nach H. BOBEK, 1957
Verkehrsgeographie
Sozialgeographie
Siedlungsgeographie
Tiergeographie
Hydrogeographie
Klimageographie
Landschaftsökologie
K u l t u r
Sozgg01/01/02
„Organisationsplan“ der
Geographie nach H. UHLIG, 1970
LÄNDERKUNDE
Integrierte Landschaftsgeographie
Geo-Ökologie
(= Landschaftsökologie)
regionale Systeme
Kräftelehre der
Sozialgeographie
Geofaktorenlehren der
Physischen Geographie
Anthropogeographie
(= Allgemeine Geographie)
Nachbarwissenschaften
SozGg01/01/03
Folgerung:
Wenn die Sozialgeographie eine derart herausragende Stellung in der organisatorischen Struktur des Gesamtfaches aufweist, müsste doch eigentlich ein umfassendes und inhaltlich
ausdifferenziertes Lehrgebäude mit
gesicherten Forschungsergebnissen
vorliegen, die auch in zahlreichen Lehrbüchern dokumentiert sein sollten.
Sozgg01/01/04
Disziplinäre Realität:
Das erste deutschsprachige Lehrbuch
der Sozialgeographie erschien erst 1977
(J. MAIER et al.), das zweite 1993 (D.
FLIEDNER), das dritte 2000 (B. WERLEN).
Von einem theoretisch begründeten
„Lehrgebäude“ kann bis Mitte der 1990er
Jahre keine Rede sein.
Sozgg01/01/05
Auffälligkeiten der deutschen
Sozialgeographie bis Anfang 1980
• Beschränkung auf periphere und marginale
Sachbereiche; Konzentration auf Randgruppen und agrarische Bevölkerungssegmente („Hüterbuben“);
• Trotz grundsätzlicher Anerkennung der Bedeutung permanente Kritik an der Sozialgeographie.
Sozgg01/01/06
Extrempositionen der Kritik
• Grenzüberschreitung in Richtung Soziologie,
Gefahr der „Verpolitisierung“ der Geographie;
• „Die gemütlichste Soziologie, die es je gab“
(G. HARD); Vorwurf einer allzu oberflächlichen Behandlung sozialer Fragen, Mangel
an gesellschaftlichem Engagement.
Sozgg01/01/07
Methodische Kritik
• Warnung vor einer Übernahme von Methoden und Theorien der Soziologie;
• die Rezeption sozialwissenschaftlicher
Methoden und Konzepte gehe nicht weit
genug.
SozggI01/01/08
Die Begründung der Sozialgeographie durch H. BOBEK
Ignoranz der Gesellschaft durch die
Geographie
„Es ist eigentümlich, welch geringe Rolle der
Begriff der ,Gesellschaft‘ und alle die mit ihm
verbundenen oder von ihm abgeleiteten Begriffe und Lehren in der deutschen Geographie bislang spielen.“
H. BOBEK, 1948, S. 118
Sozgg01/01/09
Ausgangsthesen BOBEKs
Abschottung gegenüber der Soziologie
„Ernsthafte Versuche, eine Bresche und
Brücke hinüber zur Gesellschaftswissenschaft, zur Soziologie zu schlagen, sind
bisher kaum gemacht worden, trotzdem
man sich hüben und drüben mit den
Menschen und ihren Betätigungen befasst.“
H. BOBEK, 1948, S. 118
Sozgg01/01/10
Ausgangsthesen BOBEKs II
„Der Weg (zur Sozialgeographie) führt über
die landschaftskundliche Betrachtungsweise...“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 47
Entscheidender Ansatzpunkt: die funktionelle Perspektive der Landschaftskunde:
„Denn jede Funktion
bedarf eines Trägers“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 47
Sozgg01/01/11
Ausgangsthesen BOBEKs III
„Man erkennt allmählich, dass dieser (der
Träger von Funktionen) nicht ,der Mensch‘
schlechthin ist, ... sondern dass es sich dabei um menschliche Gruppen handelt, die
sich im Raum betätigen.“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 47
Gruppen: Aggregate gleichartig handelnder Menschen, schließen sich zu Gesellschaften zusammen.
Sozgg01/01/12
Wie soll die Geographie mit dem
sozialen Kräftefeld umgehen?
Die Geographie soll eine Auswahl treffen,indem sie nur die landschaftsbildenden und
länderkundlich belangreichen Aspekte sozialer Erscheinungen herausgreift.
Dies erfordert eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Sozialwissenschaften.
Sozgg01/01/13
Begründung:
„Um freilich die Untersuchung der Wirk- und
Seinszusammenhänge im geographischen
Raum mit einiger Aussicht auf Erfolg durchführen zu können, bedarf die Geographie eines genügend vertieften Einblicks in das Wesen der betreffenden Erscheinungen. Diesen
Einblick können ihr nur die zuständigen systematischen Wissenschaften vermitteln ...“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 49
Sozgg01/01/14
Begründung:
„Ihre Wesenskenntnis von den sozialen Erscheinungen muss die Geographie daher aus
den systematischen Sozialwissenschaften holen, wenn anders sie auf diesem Gebiet nicht
in einem unerfreulichen Dilettantismus stecken
bleiben will.“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 49
Sozgg01/01/15
Ausgangsthesen BOBEKs IV
Präzisierung des klassischen Erkenntnisobjekts der Geographie:
Erkenntnisobjekt ist die
Frage nach den Beziehungen
zwischen Gesellschaften oder
sozialen Gruppen und „Raum“.
Sozgg01/01/16
Die Entscheidung zum
Kollektivismus und die Folgen
„Damit soll selbstverständlich nicht abgeleugnet werden, dass es auch eine Betätigung
gibt, bei der die Gruppenbestimmtheit gegenüber der individuellen Bestimmtheit zurücktritt. Von dieser kann jedoch in der Geographie weitgehend abgesehen werden...“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 48/49 (Hervorhebung P. W.)
Sozgg01/01/17
Das Konzept der „Sozialfunktionen“
• biosoziale Funktionen (Fortpflanzung und
Aufzucht zwecks „Erhaltung der Art“),
• oikosoziale Funktionen (Wirtschafts-Bedarfsdeckung und Reichtumsbildung),
• politische Funktionen (Behauptung und Durchsetzung der eigenen Geltung),
• toposoziale Funktionen (Siedlungs-Ordnung
des bewohnten und genutzten Landes,
Sozgg01/01/18
Das Konzept der „Sozialfunktionen“
• migrosoziale Funktionen (Wanderung,
Standortsänderungen),
• Kulturfunktionen (soweit landschafts- oder
länderkundlich belangreich).
„Diese Funktionen bilden das „anthropogene“ oder „soziale“ Kräftefeld...“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 50
!Notiz!
Sozgg01/01/19
Der Gruppenbegriff bei H. BOBEK
Genuin „geographisches“ Gruppenkonzept:
„Lebensformengruppe“ („genre de vie“,
P. Vidal de la Blache, 1911)
Zur Analyse der „Funktionsweise“ konkreter
Gruppen muss ergänzend eine soziologische
Typisierung eingesetzt werden.
Sozgg01/01/20
Der Gruppenbegriff bei H. BOBEK
Typologie nach W. SOMBART (1931):
• Merkmalsgruppen:
Menschen, die durch gemeinsame Merkmale
verbunden erscheinen, ohne dass ein „bejahendes Bewusstsein“ davon besteht (Bergbauern,
Talbauern).
• Verbände:
Mitglieder sind sich ihrer Zugehörigkeit „bejahend
bewusst“.
Sozgg01/01/21
Der Gruppenbegriff bei H. BOBEK
Typologie nach W. SOMBART (1931):
Verbände:
• Intentionale Verbände:
Vereinheitlichung des Individualhandelns
durch gemeinsame Interessen.
• Finale Verbände (Zweckverbände):
Zweckbedingtes, rationales Kollektivhandeln; „Gründungsakte“, definierte
Organisationsstruktur (Vereine etc.).
Sozgg01/01/22
Der Gruppenbegriff bei H. BOBEK
Typologie nach W. SOMBART (1931):
• Idealverbände:
Das Kollektivhandeln erstreckt sich über
alle Funktionsbereiche (Familie, Staat,
Nation, Religionsverband).
Bedeutsam für die sozialgeographische
Perspektive ist die Verschneidung von
Lebensformen und Gruppentyp.
Sozgg01/01/23
Die Bedeutung der Lebensformen
„Auf der einen Seite erscheinen sie als handelnde
Glieder des Sozialkörpers, auf der anderen, soweit
sie sich der Landnutzung im weitesten Sinne widmen,
als Anpassungsform der Gesellschaft an die Gegebenheiten des Naturraumes und gleichzeitig als Agenten von dessen Umgestaltung. Indem sie so gleichzeitig in der Natur verankert und in der Gesellschaft
beheimatet sind, bilden sie das wichtigste Bindeglied
zwischen diesen beiden Bereichen, damit zwischen
Natur und Geist.“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 53
Sozgg01/01/24
Vorteile einer sozialgeographischen Perspektive
• Systematische Einbindung und Ordnung der
bisher unkoordinierten anthropogenen Kräfte
(Pendant zur „Kräftelehre“ der Physischen
Geographie).
Dabei handelt es sich um eine
autonome, soziologische Ordnung.
Sozgg01/01/25
„Erhebung zur Wissenschaftlichkeit“
Die Ordnung der anthropogenen Kräfte „...wird vom
autonomen menschlichen Geist bestimmt und kennt
dementsprechend keine Kausalitäten sondern nur
Motivationen. In ihr gelten jene Regeln, Grundsätze
und Gesetzmäßigkeiten, die die Soziologie ... herausgearbeitet hat. Die Geographie des Menschen muss,
wenn sie sich zur Wissenschaftlichkeit erheben will,
von diesen Grundprinzipien Kenntnis nehmen und
sie in das Kräftespiel der Landschaft einführen.“
H. BOBEK, 1969 (1948), S. 54
Sozgg01/01/26
Vorteile einer sozialgeographischen Perspektive
• Sozialökologische Betrachtungsweise
Analyse der Anpassung gesellschaftlicher
Strukturen an landschaftliche Gegebenheiten.
(Stimmt nicht mit neueren Auffassungen
von Sozialökologie überein!)
Sozgg01/01/27
Vorteile einer
sozialgeographischen Perspektive
• Neue Aufgaben und Probleme für die
Humangeographie:
Analyse der regionalen Struktur von Gesellschaft
(„Regionalsoziologie“);
„Sozial-Landschaften“
Analyse der Auseinandersetzung von Gesellschaften mit dem „verfügbaren Raum“ (Expansion, Kolonisation,Migration)
Sozgg01/01/28
Das leidige Problem der „Abgrenzung“
zu den Nachbarfächern
Wird das Programm der Sozialgeographie nicht
schon von anderen Wissenschaften erfüllt?
„Zur Aufstellung einer eigenen Sozialgeographie bedarf es allerdings einer eigenen
Fragestellung.“ (S. 60/61)
Sozgg01/01/29
Das Erkenntnisobjekt der
Sozialgeographie nach BOBEK
Die neue Fragestellung „... ist ...keine andere
als die alte ..., die abzielt auf die Erfassung
von Landschaften und Ländern, auf ihre Gliederung, auf die Erkenntnis der funktionellen
oder historisch-genetischen Zusammenhänge
ihrer Einzelelemente. Zu diesen gehört die
menschliche Gesellschaft. Sie muss in den
landschaftlichen Zusammenhang gestellt
werden.“
S. 61
Sozgg01/01/30
Das Konzept von H. BOBEK:
• Sozialgeographie als eigenständige Teildisziplin mit Sonderstatus;
• Träger der Prozesse sind Gruppen, Individuen
sind ohne Bedeutung;
• die Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen
Nachbardisziplinen sind zu berücksichtigen;
• „Daseinsgrundfunktionen“ als Schlüsselkonzept der Sozialgeographie;
Sozgg01/01/31
Das Konzept von H. BOBEK:
• soziologische Gruppenkonzepte beachten;
• Primat der Lebensformengruppen;
• Berücksichtigung sozialer Gesetzlichkeiten;
• Abgrenzungskriterium zu den anderen Sozialwissenschaften sei das Landschaftskonzept.
Sozgg01/01/32
Herunterladen