ADHS - Medikation und Komorbidität

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ADHS im Erwachsenenalter
Medikation und Komorbidität
C. Schaefer, Klinik Sonnenhalde
24.10.2006
DSM-IV Kriterien
• Unaufmerksamkeit
Aufgaben werden vorzeitig abgebrochen und Tätigkeiten werden nicht
beendet. Von einer Aktivität wird zur anderen gewechselt, wobei sie
anscheinend das Interesse an einer Aufgabe verlieren weil sie zu einer
anderen hin abgelenkt werden. Sie führen Anweisungen nicht durch und
scheinen häufig nicht zuzuhören. Sie vermeiden Aufgaben, die eine
länger andauernde geistige Anstrengung erfordern. Sie verlieren häufig
Gegenstände, die für Aufgaben notwendig sind und sind leicht
vergesslich.
• Hyperaktivität
exzessive Ruhelosigkeit besonders bei Aufgaben die Ruhe verlangen.
Herumlaufen und Herumspringen, Redseligkeit, Lärmen, Wackeln und
Zappeln. „Auf Achse“ sein.
• Impulsivität
kann nur schwer warten bis er an der Reihe ist, platzt häufig mit
Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist, unterbricht und
stört andere häufig.
DSM-IV Kriterien
• Einige Symptome treten bereits vor
dem siebten Lebensjahr auf
• Zwei oder mehr Bereiche müssen
betroffen sein (Schule, Familie)
• Klinisch bedeutsame
Beeinträchtigungen
• Keine andere Erkrankung
• Dauer: mind. 6 Monate
Die Geschichte von den schwarzen Buben
Hans Guck-in-die Luft
Verlaufstypen
• Remission bis zur Adoleszenz
• Fortbestehen des Vollbildes oder
einer residualen ADHS (40-80%)
• Fortbestehen der ADHS mit
komorbiden psychiatrischen
Störungen ( v.a. Sucht/ Delinquenz)
Basset 2004
Epidemiologie
• Prävalenz Kind: 3-5%
• Von 63 kanadischen Kindern
hatten im Alter von 21-33 Jahren
36% Symptomatik
• 100 amerikanische Jugendliche
im Alter von 18 Jahren noch
40% Symptomatik
• Systematische Untersuchungen
für das höhere Lebensalter liegen
nicht vor
• Prävalenz Erwachsene: 1-2,5%
(bis 4,7%)
Sobanski et al 2004
Diagnostik
• Klinische Diagnose
• In der Kindheit müssen die
Kriterien einer ADHS erfüllt sein
• Keine expliziten Kriterien für das
Erwachsenenalter in ICD 10 und
DSM IV
• Für das Erwachsenalter formuliert
sind die Wender-Utha-Kriterien
Selbstbeurteilungsskala für
Erwachsene
ASRS V1.1
Internationale Diagnostische Befragung der WHO
2003®
ADHS-SB
Rösler et al 2004
Symptome im Erwachsenenalter
•
A
D
H
S
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Mangelnde Alltagsorganisation (von einer Tätigkeit zur
anderen springen, viele Dinge gleichzeitig beginnen)
Konzentrationsdefizite
Routinearbeiten machen Probleme
Keine Beteiligung am Alltagsleben, da noch im Gedanken an
andere Dinge, Tagträume, Abdriften in eigene Gedanken
Keine Gliederung der Arbeit, wenig Mgl. Arbeit zu
organisieren, ineffiziente Arbeitsweise, keine Zeitlimits
einhalten
Überforderungsgefühl, häufige Stimmungswechsel
Vergesslichkeit (Schlüssel, Brille)
Grosse Reizoffenheit und damit verbundene Ablenkbarkeit
Alltag wird als eine Reihe unvorhersehbarer Ereignisse
wahrgenommen
Ungewollte Unpünktlichkeit
Erhöhtes Bewegungsbedürfnis (Wahl des Berufs?)
Schlechte Impulskontrolle (voreilige Entscheidungen,
Geldausgeben, Äusserungen die man lieber nicht hätte
machen sollen)
Emotionale Labilität mit Stimmungsschwankungen
Exzessives Verhalten bei Essen, Trinken, Sexualität, Rauchen,
Sport, Freizeit
Schule und ADHD
Verkehr und ADHS
ADHS und seine Folgen
ADHS und das
Gesundheitswesen
ADHS und die Kosten
Ätiologie
oder:
was wissen wir über die Ursachen?
Genetik
• Etwas 65-90% der Ausprägung werden auf die
Genetik zurückgeführt
• Geschwister, Eltern oder nahe Verwandte haben
ein 3-5fach erhöhtes Risiko auch an ADHS zu
leiden oder zu erkranken
• Stärkerer genetische Einfluss bei der im
Erwachsenenalter persistierenden ADHS
• Genetischer Polymorphismus
• Molekulargenetisch: Polymorphismus des
Dopamintransportergens und des D4
Rezeptorgens
• Neue Hypothese: NA abhängiger
Störungssubtyp
• Die Genetik alleine erklärt die Ausprägung nicht
Thapar A 1999
Exogene Risikofaktoren
• Pränatale Nikotin-, Alkohol- oder
Benzodiazepinexposition
• Erniedrigtes Geburtsgewicht
• Schwangerschafts- und
Geburtskomplikationen
• Kein Zusammenhang mit atopischen
Erkrankungen
• Evtl. Zusammenhang mit Mangel an
ungesättigten Fettsäuren und Zink
• Schwere Deprivation in der Kindheit hat
Auswirkungen auf den Schweregrad
Laucht M 2004
Komorbidität
•
Differnzierung
–
Homotype Komorbidität (Subtypen)
–
Simultane oder sukzessive Komorbidität (gleichzeitiges
Vorkommen oder Übergang)
–
•
Heterotype Komorbidität (Störung ausserhalb der ADHS)
Nur 14-23% aller Erwachsenen mit ADHS haben keine
komorbide Störung
•
Bei Erwachsenen haben ca. 50% mindestens eine komorbide
Störung, insbesondere
–
–
–
–
–
Substanzmissbrauch
Affektive Störungen
Angsterkrankungen
Schlafstörungen
Dissoziale PS/dissoziales Verhalten
Substanzmissbrauch
• 3- bis 4fach erhöhte Prävalenzraten
für Alkohol- und Drogenmissbrauch
• 25% aller Erwachsenen mit ADHS
hatten zusätzlich einen
Alkoholmissbrauch
• 30-38% aller Erwachsenen mit
ADHS hatten einen komorbiden
Drogenmissbrauch
Sobanski 2004
Affektive Erkrankungen
• Keine einheitlichen Ergebnisse
• Wahrscheinlich erhöhte
Prävalenz von rezidivierenden
kurzen depressiven Episoden
• Wahrscheinlich erhöhtes
Auftreten von bipolaren
affektiven Störungen
Angsterkrankungen
• 32-53% aller erwachsenen
Patienten mit ADHS leiden
zusätzlich unter Angsterkrankungen, vor allem
generalisierte Angsterkrankungen
• Unklare Datenlage
Schlafstörungen
• Von 219 Erwachsene mit ADHS
hatten
– 72% Einschlafstörungen
– 83% unruhigen Schlaf
– 70% Probleme beim morgendlichen
Erwachen
• Mehr Wachperioden
• Arousal Störungen (trotz
ausreichendem Schlaf leiden ADHS
Patienten bei ruhigen Beschäftigungen unter Schläfrigkeit oder
starken Schlafbedürfnis)
Dissoziale Persönlichkeit
• Von 89 Jungen mit ADHS wurden
12% als Erwachsene verhaftet
• Patienten mit kombinierten Subtyp
werden signifikant häufiger verhaftet als Patienten mit unaufmerksamen Subtyp
• Vor allem Männer betroffen (8 von
42 Männern verhaftet, aber keine
der 13 weiblichen Patientinnen)
Murphy KR 2002
Die Behandlung
oder: was hat Frau Marguerite Panizzon mit
dieser Erkrankung zu tun?
Die Zugangswege
•
•
•
•
Medikamente
Psychotherapie
Nahrungsumstellung
Andere
Medikamente
•
•
•
•
•
•
Amphetamin
Methylphenidat
Desipramin/Imipramin
Atomexetin
Zappelin®
Andere
Amphetamine
• 1887 erstmals synthetisiert
• 1937 Zufallsbefund mit dem Stimulans
Benzedrine bei Kindern mit gestörter
Aufmerksamkeit, Ablenkbarkeit und
motorischer Unruhe und desorganisierten
Verhalten (Rhode Island)
– Es wurde ein Medikament gesucht, das die
Kopfschmerzen nach Pneumoenzephalogrammen nahm
– Von den Kindern wurde Benzedrien als „Mathe –
Pillen“ bezeichnet
• Wirkung setzte prompt ein und verschwand
nach Absetzen der Substanz wieder
• Warnung vor unsachgemässen Gebrauch und
Missbrauch
Methylphenidat
Methylphenidat
NH
COCH3
O
• 1944 von Leandro Panizzon erstmals
synthetisiert,
• Ziel: finden einer Substanz ohne die
Nebenwirkungen und dem Missbrauchspotenzial der Amphetamine
• 1954 auf den Markt gebracht (ein Analeptikum,
das“ermuntert und belebt – mit Mass und
Ziel“[Geigy])
• „Ritalin“: benannt nach dem Namen seiner
Ehefrau Marguerite
• Anfang der 70er Jahre erstmals kontrollierte
Studien über den Einsatz von Methylphenidat
• Ende der 80er Jahre nur noch Abgabe nach BTM
(Trockenampullen waren in der Drogenszene
beliebt)
Wirkung von Methylphenidat
- Hemmung der Dopaminaufnahme •Präfrontaler Kortex
•Zellkörper
•Axon
•Menschliches Gehirn
•Methylphenidat wirkt
vermutlich hier,
indem es die Wiederaufnahme
von Dopamin/Noradrenalin in
der sendenden Nervenzelle
hemmt
•Synaptische Vesikel
mit Dopamin/
Noradrenalin
•Dopamin-/
Noradrenalin Transporter
•Synapse
•Dopamin-/
•Noradrenalin•Rezeptor (D4)
•EmpfängerZelle
Pharmakokinetik
•
•
•
•
Max. Plasmakonzentration nach 1,5-2h
Wirkdauer ca. 2,5-4h
Mehrere Einnahmen am Tag notwendig
Geringes Interaktionspotential
da bis zu 80% Ausscheidung über Urin
Pharmakokinetik
• Kontraindikationen
–
–
–
–
–
–
Schilddrüsenüberfunktion
Schwangerschaft
Schwere Hypertonie
Erhöhter Augeninnendruck
Psychosen
Tachykarde Herzrhythmusstörungen
• Dosierung: max. 1mg/kg
Körpergewicht
• Abhängigkeitspotential gering bis
nicht vorhanden
Nebenwirkungen von
Methylphenidat
• Sehr häufige UAW‘s (>10%):
Kopfschmerzen, Appetitminderung,
Magen-Darm-Störungen.
• Häufige UAW‘s (>1% bis <10%):
Nervosität, Schlafstörungen, Unruhe,
Stimmungsschwankungen,
Übelkeit/Erbrechen, verlangsamte
Gewichtszunahme, Blutdrucksteigerung,
Muskelzucken (Tics), Hautreaktionen.
• Gelegentliche UAW‘s (>0.1% bis <1%):
Brustschmerzen, Fieber, Muskelkrämpfe,
Schwindel, Verwirrtheit, Akkomodationsstörungen.
• Seltene UAW‘s (>0.01% bis <0.1%):
Mundtrockenheit, Störungen des Blutbildes,
moderate Wachstumsverzögerung,
Leberfunktionsstörungen, Angina pectoris.
• Parkinson nicht erwiesen
Gerlach 2003
Die Medikamente
• Ritalin® Tabletten
• Concerta
• Medikinet
Ritalin®
• Ritalin® Tabletten
– 10mg, teilbar
– Mehrere Einnahmen notwendig, nicht nach
18.00 Uhr
• Ritalin® SR
– 20mg, Wirkdauer ca. 8 Stunden
– 1-2malige Einnahme
– Kapsel muss ganz geschluckt werden
• Ritalin® LA
–
–
–
–
20mg, 30mg, 40mg
Einmalige tägliche Einnahme
Zwei getrennt Peaks (cave Intoxikation)
Inhalt der Kapsel kann auf kalte Nahrung
gestreut werden
Concerta
• Dosierungen von 18mg, 36mg und 54 mg
• Wirkeintritt mit 22% der Dosis nach 30-60
Minuten
• Wirkstoffüberzug über einer
unverdaulichen Tablette
• Wirkdauer ca. 12 Stunden
• Nach 12 Stunden noch Plasmaspiegel
messbar
• Oft Kombination mit kurz wirksamen MPH
Präparates am Morgen (50%)
• Maximaldosierung 72 mg
Greenfield 2005
Langzeitformulierung
OROS®1-Technologie: Freisetzung von Methylphenidat (MPH)
aus einer CONCERTA®-Tablette über den Tag
•Morgens
•ein Teil des
•Wirkstoffs
•MPH wird
•sofort frei•gesetzt (22 %)
•Nachmittags
•1 Stunde
später
•MPH•Überzug
•mit
steigendem
osmotischen
Druck dringt
Wirkstoff aus
einer
definierten
Pore
•MPH•Konzen•tration 1
•der ansteigende
Wirkspiegel
ermöglicht eine
gleichbleibende
Wirkung über
den ganzen Tag
unabhängig von
einer Nahrungsaufnahme
•auf•quellende
•Matrix
1OROS®:
Oral osmotic drug delivery system
•MPH•Konzen•tration 2
•auf•quellende
•Matrix
Medikinet® retard
• Tabletten mit 10mg, 20 mg, 30mg, und
40mg
• Einnahme einmal täglich
• Wirkungseintritt mit 50% der Dosis nach
30-60 Minuten
• Pellets, die teilweise magensaftresistent
sind
• Zwei Peaks, dosisäquivalent zu
zweimaliger Gabe von unretardierten
Ritalin
• Wirkdauer ca. 8 Stunden
• Nach 12 Stunden keine relevanten MPH
Konzentrationen mehr nachweisbar
DDD:
Definierte
Tagesdosen
Atomoxetin (Strattera®)
• Seit 2005 in Deutschland zugelassen
• Hochselektiver Noradrenalinwiederaufnahmehemmer
• Einmalgabe möglich
• Zieldosierung 1,2mg/kg Körpergewicht
• Unterschiedliches ansprechen
• Leberwerte kontrollieren
• Mittel der 2. Wahl
• Kombination mit MPH?
• Wirkeintritt erst einige Wochen später
• Kann Ticstörung lindern
Trizyklische Antidepressiva
• Imipramin/Desipramin (Surmontil®)
• Wirksamkeitsnachweis gegeben, aber
weniger Effektiv als MPH
• Kardiotoxische Nebenwirkungen, d.h.
– Kontrolle von Puls, Blutdruck und EKG
erforderlich
• Komorbide Tics können vermindert werden
• Schlafstörungen bessern sich
• 10-50mg täglich, Erwachsene bis 150mg
täglich
Zappelin®
• Zusammensetzung:
–
–
–
–
Chamomilla D12 pflanzlicher Ursprung
Staphisagria (Stephanskraut) D12
Valeriana D6
Calcium hypophosphorosum D4
mineralischer Ursprung
– Kalium phosphoricum D6
– Cuprum metallicum D10 metallischer
Ursprung
• Nur Einzellfallbeschreibungen
Andere
•
Pemolin (Tradon®)
–
–
•
•
Reboxetin 2-8mg (56% Besserung)
Bupropion (Zyban®)
–
•
Rezeptur erforderlich
Clonidin
–
–
•
(52% Besserung)
d-l-Amphetamin (Adderall XR®)
–
•
Psychostimulans vom Nicht–Amphetamin-Typ
Lebertoxizität (15 Fälle von akuten Leberversagen)
Drei Studien
Kein Effekt auf die Aufmerksamkeit
Guanfacin (Estulic®)
–
–
•
•
Nur offene Studien
Weniger NW als Clonidim
Captagon (Fenetyllin) ähnlich Amphetamin
Modasomil (Modafinil)
–
–
•
Zur Behandlung der Narkolepsie zugelassen
Datenlage noch verwirrend
Selegilin
–
Verlangsamung des Abbaus von Dopamin
Psychotherapie
• Störungsspezifische Vorgehensweise
empfohlen
– Partner- /Elterntraining, Psychoedukation,
feste Strukturen, Verstärkersysteme
– Familientherapie
• Kombination mit Pharmakotherapie, da
einige Symptome nur schwer beeinflussbar
(emot. Instabilität, Aufmerksamkeit) am
besten geeignet
• Derzeit noch unklare Studienlage (2005),
wahrscheinlich bei ADHS mit komorbiden
Störungen am effektivsten
Andere
• Biofeedback („Neurofeedback“)
• Selbsthilfeorganisationen
• Diätetische Verfahren (in 1-2% wirksam)
– Zink/Eisen/Vitamin E, Magnesium
• Nikotinpflaster
• Oligantigene Diät
– Nicht empfohlen, Einzelfallbeschreibungen
Zusammenfassung
• ADHD im Erwachsenalter tritt mit einer
Prävalenz von ca. 2-4 % auf
• Die Symptomatik ähnelt dem Problem einer
fehlenden Willenstärke, ADHD ist jedoch
eine Erkrankung
• In über 50% der Fälle liegen komorbide
Störungen vor
• in vielen Fällen kommt es zu einer
Besserung durch Medikamente
• Dabei sind Methylphenidatpräparate und
Atomoxetin am besten untersucht
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