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AUSGABE 80
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AUSGABE 80
Juli – September 2012
07-09/12
Zeitschrift für Architektur und Technik
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REPORT Gebäudehülle I Dach I Bauen mit Glas
Das BIQ und die Bioreaktive Fassade
Pilotprojekt für die Gebäudeintegration von Fotobio-
Die Bioreaktive Fassade
reaktoren (PBR) für die Energiegewinnung im Rah-
Bislang stand der relativ hohe bautechnische Auf-
men der IBA 2013 in Hamburg. Von Jan Wurm
wand für die Fassadenintegration von sogenannten
Idee / Vision: Ansatz und Ziele
gen. Durch die Entwicklung und Erprobung von Plat-
Biomasse – gespeicherte Sonnenenergie: Biomasse
tenbioreaktoren konnte jedoch in den vergangenen
ist „gespeicherte Sonnenenergie“ und besitzt als
Jahren ein Durchbruch in Bezug auf die wirtschaftli-
Brennstoff den großen Vorteil der nahezu verlustfrei-
che Zucht und Verwertung von Mikroalgen erzielt
en Speicherung. Die Bioenergie stellt mit einem
werden.
Anteil von 7% den größten Anteil erneuerbarer Ener-
Der im Rahmen des Pilotprojektes TERM von der
gien am Gesamtendenergieverbrauch; sie stellen in
Firma Strategic Science Consult (SSC) in Hamburg
Deutschland nach der Windenergie inzwischen die
entwickelte Konvektionsreaktor ermöglicht unter den
zweitwichtigste Energiequelle im Strombereich dar.
klimatischen Bedingungen Nordeuropas einen Frei-
Biomasse liegt in fester Form (Brennholz, Holzpel-
land-Ganzjahresbetrieb und erzielt dabei wesentlich
lets), flüssiger Form (Biodiesel) oder gasförmig (Bio-
höhere Produktionsraten als andere Reaktorsyste-
gas) vor und ist sehr flexibel im Bereich Stromerzeu-
me. Der Wirkungsgrad in Bezug auf die Umwand-
gung, Wärmebereitstellung und Kraftstofferzeugung
lung der Sonnenenergie in Biomasse entspricht 8%.
einsetzbar. Die energetische Verwertung von Bio-
Eine automatisierte Prozess- und Anlagenführung ist
Simulation: Arup Deutschland GmbH
Röhrenkollektoren dem energetischen Nutzen entge-
Simulation des BIQ auf der IBA 2013 in Hamburg mit 300 m²
integrierten Photobioreaktoren
masse ist CO2-neutral, da bei der Verbrennung der
die Voraussetzung für eine kontinuierliche Kultivie-
Die gewonnene Biomasse kann vor Ort durch soge-
Anteil von Kohlendioxid an die Atmosphäre abgege-
rung mit geringem Unterhaltsaufwand.
nannte hydrothermale Konversion direkt in Biogas
ben wird, der beim Aufbau der Biomasse zuvor
Periodisch an der Unterkante des Reaktors eingelei-
(Methan) umgewandelt werden. Im Jahresmittel pro-
absorbiert worden ist.
tete Druckluft führt in dem Reaktor zu Turbulenzen,
duziert ein Quadratmeter Reaktorfläche bis zu 15 g
Mikroalgentechnologie und Fotobioreaktoren:
die zu einer verstärkten Durchmischung des Kultur-
Trockenmasse (TS) pro Quadratmeter und Tag, was
Durch die Möglichkeit zur effizienten Umwandlung
mediums und einer optimalen Versorgung der Algen
2,7 m³ Methan entspricht. Bei einem Brennwert von
von Sonnenlicht in Biomasse zählen Mikroalgen heu-
mit Licht führen. Die hohen Strömungsgeschwindig-
10,6 kWh pro Kubikmeter Methan kann ein Brutto-
te zu den vielversprechenden Bausteinen alternativer
keiten an den Innenflächen des Bioreaktors unterbin-
energiegewinn von ca. 30 bis 40 kWh/m²a verbucht
Energieszenarien. Wie andere Pflanzen nutzen
den dabei die Anlagerung von Algen und Biofäule.
werden (Breitengrad Hamburg). Das Methan kann in
Mikroalgen das Sonnenlicht als Energiequelle, um
Die im Reaktor durch solarthermischen Effekt produ-
der Heizperiode verbrannt, in das städtische Erdgas-
daraus zusammen mit CO2 und Nährstoffen (Stick-
zierte Wärme muss dabei abgeführt werden, um ein
netz eingespeichert oder als Treibstoff verwendet
stoff und Phosphor) die sogenannte Biomasse auf-
Überhitzen des Mediums zu vermeiden. Der Reaktor
werden. Über einen Wärmetauscher können durch
zubauen. Dieser fotosynthetische Prozess läuft in
funktioniert damit wie ein Solarkollektor, der Wir-
den solarthermischen Effekt zusätzlich ca. 200
gleicher Weise bei landwirtschaftlich genutzten Pflan-
kungsgrad von circa 40% entspricht in etwa dem
kWh/m²a an Wärme gewonnen werden, die durch
zen ab. Allerdings sind Mikroalgen wesentlich effizi-
eines offenen Absorber. Es ergibt sich folgender
eine Wärmepumpe für die Brauchwassererwärmung
enter in der Umwandlung von Lichtenergie in Bio-
Mehrwert für eine Kultivierung von Mikroalgen in
nutzbar gemacht werden kann. Der Hilfsstrom für die
masse als höhere Pflanzen, weil sie einzellig sind und
Bioreaktorfassaden an Gebäuden:
Anlagen- und Steuerungstechnik sollte direkt über
jede dieser Zellen Photosynthese betreibt. Im Ge-
– Über die Biomasse wird CO2 gespeichert
PV-Module bezogen werden.
gensatz zum Anbau von Energiepflanzen wie Mais
– Die Biomasse kann in Methan (Biogas) oder Was-
Da die Mikroalgen Licht absorbieren, stellen PBR
erfolgt bei der Zucht von Mikroalgen keine zusätzli-
serstoff als erneuerbare Energiequelle konvertiert
auch effektive Sonnenschutzelemente dar. Die Zell-
che Landnahme, die in Konkurrenz zu der Kultivie-
werden
zahlen können durch Ausdünnung der Algen durch
rung von Nahrungspflanzen stehen würde und es
– Wie bei einem Solarkollektor wird Wärme gewon-
Ernte beziehungsweise Aussetzen der Ernte im
besteht keine Abhängigkeit von Witterungseinflüssen
nen, die im Gebäude genutzt werden kann
Tagesverlauf verdoppelt oder halbiert werden, so
und intensiver Bewirtschaftung. Mikroalgen können
– Als multifunktionales Fassadenelement können die
dass der Lichtdurchlass entsprechend werden kann.
in Fotobioreaktoren (PBR) kultiviert werden. Dies sind
Bioreaktoren darüber hinaus dem Lichtschutz,
Im Winter beträgt aufgrund reduzierter Solarstrah-
geschlossene, lichtdurchlässige, mit einem Kulturm-
Wärme-/Kälteschutz und Schallschutz dienen
lung der Algengehalt nur ca. 0,5 g/l, was einer Licht-
edium gefüllte Hohlkörper, die auch dort installiert
– Die Bioreaktoren können als Öffnungselemente der
durchlässigkeit von über 30% entspricht.
werden können, wo es sonst zu trocken oder karg
natürlichen Lüftung des Gebäudes dienen.
PBR ersetzen damit herkömmliche Systeme für den
ist – also mitten in der Stadt.
Durch Fotobioreaktoren können 25-250g CO2/m2/Tag
außenliegenden Sonnenschutz und Kollektoren bei
durch die Biomasse gespeichert werden.
zusätzlichem Mehrwert.
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Schema zur Funktion einer
Bioreaktorfassade als zweite
Haut im Winter und Sommer –
die Bioreaktoren können geführt werden, um eine natürliche Ventilation zu ermöglichen
bzw. die Orientierung zur Sonne zu optimieren. Abb. Arup
Deutschland GmbH
Sommer
Winter
Foto: SSC GmbH Hamburg
Diagramm zur Funktionsweise
einer Bioreaktorfassade - die
Bioreaktorfassade wird mit
ihren Funktionen der Wärmegewinnung, Biomasseproduktion und Rauchgasreinigung
als geschlossenes System
direkt an die Haustechnik gekoppelt. Abb. Arup Deutschland GmbH
wird von der Energiemanagementzentrale gespeichert beziehungsweise verteilt.
Foto: Jan Wurm
Die Wärme wird über einen Wärmetauscher abgeleitet und anschließend im bzw. am Gebäude gespeichert (Erdsolespeicher beziehungsweise PCM-Speicher) oder direkt für die Brauchwassererwärmung
Pilotanlage TERM mit den von SSC entwickelten Fotobioreaktoren im Sommer, Versuchsgelände SSC am
Standort Hamburg-Reitbrook
genutzt. Im Winter darf die Betriebstemperatur der
Methodik aus dem Projekt
geführt wird. Die beim Wachstum der Algen entste-
Fassadenintegration: Für eine optimale Beleuchtung
hende Biomasse wird über einen Algenabscheider
werden die Reaktoren an der Außenseite des Ge-
geerntet. Die in der Biomasse enthaltene Energie
bäudes als Fassadenelemente angebracht. Sinnvoll
kann durch die biologische oder physikalisch chemi-
sind Orientierungen von Südwest bis Südost. Eine
sche Konversion mit einer Effizienz von etwa 70-80 %
übergeordnete Bedeutung kommt dem Träger-
vor Ort zu Biogas umgewandelt werden. Der gasför-
system zu, mit dem die PBR an der Fassade be-
mige Brennstoff kann verschiedenen Verwertungs-
festigt, ausgerichtet und gegebenenfalls nachgeführt
wegen zugeführt (Einspeisung ins öffentliche Erdgas-
werden können. Im Winter führt eine vertikale Stel-
netz, Betanken von Erdgas-Autos, Nutzung in Block-
lung der Reaktoren aufgrund des niedrigen Einstrah-
heizkraftwerken) oder nahezu verlustfrei gespeichert
lungswinkels der Sonne zu einer vorteilhaften Aus-
werden. Eine automatisierte Prozess- und Anlagen-
richtung. Zudem kann in geschlossener Stellung ein
führung ermöglicht bei minimalem Unterhaltsauf-
Luft- oder Pufferraum zwischen PBR und thermi-
wand die kontinuierliche Kultivierung und Verwertung
scher Hülle zur Reduzierung der Wärmeverluste bei-
der Algen am Gebäudestandort. Die zusätzliche
tragen. Im Sommer führt dagegen im Süden ein Ver-
Haustechnik kann als „plug-in“ in standardisierte
drehen des PBR um 30 Grad aus der Fassaden-
Haustechniklösungen integriert werden. Die Wasser-
ebene zu einer Steigerung der Gewinne.
versorgung und -entsorgung der Bioreaktoren erfolgt
Die Bioreaktoren werden in Clustern von ca. 10 m² in
über das städtische Frisch- und Abwassersystem.
Algen nicht unter 8 Grad sinken, so dass an kalten
Tagen der Zulauf über den Erdwärmespeicher
Bioreaktoren zirkuliert. Über den Lichteinfall heizen
Innovation
sich die Reaktoren tagsüber zusätzlich auf, ihre
Stand der Forschung und Perspektive: Das Team
Funktionsweise entspricht der vonsolarthermischen
SPLITTERWERK gewann 2010 einen ersten Preis im
Absorbern. Der Kreislauf wird über die Haustechnik
Realisierungswettbewerb für ein Smart Material
geführt, wo an zentraler Stelle Biomasse und Wärme
House auf der IBA Hamburg 2013. Besonderes
entnommen werden kann; die gewonnene Energie
Merkmal ist die in Zusammenarbeit mit Arup konzi-
Fotos: Jan Wurm
Reihe geschaltet, sodass das Medium durch alle
Dynamisches Erscheinungsbild der PBR durch eingeleitete Luftblasen
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pierte und von Arup geplante Bioreaktorfassade von
CO2 abzubauen. Die Größenausdehnung der Fassa-
über 300 m².
den- und Dachflächen industriell genutzter Flachbau-
In einem Forschungsprojekt, das von Mitteln der For-
ten unterstützt den wirtschaftlichen Betrieb.
schungsinitiative „ZukunftBau“ des Bundes getragen
Die Bioreaktorfassade kommt nicht nur bei Neubau-
wird, entwickeln die Firmen ARUP, SSC und COLT
ten, sondern insbesondere auch für das Retrofitting
zurzeit eine Systemlösung für hinterlüftete Fassaden
bestehender Konstruktionen in Betracht. Mit der In-
aus einachsig nachgeführten Flatpanel-Fotobioreak-
stallation von Bioreaktoren kann der Bestand ent-
toren. Die Planungen für ein entsprechendes Fassa-
scheidend aufgewertet werden. Das System kann
densystem sind abgeschlossen; im Januar 2012
sich zu einer Schlüsseltechnologie für CO2 neutrale
wurden die ersten Prototypen auf einem Testgelände
Siedlungen und Stadtteile entwickeln – die Produktionsrate der Algen und damit der Abbau von CO2
Ertragszahlen sind erfolgversprechend, laufende
können dabei unmittelbar an der Grünfärbung der
Modifikationen zielen auf die Optimierung der Wär-
Fassade abgelesen werden.
meerträge ab.
Photobioreaktoren stellen als Weiterentwicklung
Die Photobioreaktoren sind in geschosshohen Verti-
solarthermischer Komponenten eine ideale Ergän-
kallamellen von circa. 70 cm Breite integriert. Der
zung zur gebäudeintegrierten PV, insbesondere bei
Verglasungsaufbau ist vierschichtig. Zwischen den
der Umsetzung von Plusenergiehäuser dar. Der
inneren beiden Scheiben befindet sich der Reaktor-
Nutzen der Fassade besteht in der Erzeugung von
raum, durch den das Medium zirkuliert. Zu beiden
Biomasse und Wärme für die energetische Verwer-
Seiten sind isolierende luftgefüllte Zwischenräume
tung, dem Abbau von CO2 und der Regulierung des
zur Reduzierung der Wärmeverluste angeordnet, die
Strahlungsdurchgangs. Es bieten sich verschiedene
äußerste Ebene bildet auf der Vorderseite ein antire-
Einbausituationen in Dach und Fassade an, die zur-
flektierendes Weißglas beziehungsweise ein Deck-
zeit im Rahmen von aktuellen Forschungsprojekten
glas mit freiem Dekor auf der Rückseite.
simuliert und bewertet werden. Mit dem Projekt BIQ
In der Erprobungsphase bietet sich zunächst die
wird im März 2013 im Rahmen der Internationalen
Integration des Systems in Hallen von Industrie und
Bauausstellung in Hamburg das erste Gebäude mit
Gewerbe an, um das bei Prozessketten anfallende
einer Bioreaktorfassade realisiert werden.
Vorderseite des Prototypen auf dem Testgelände
Rückseite des Prototypen auf dem Testgelände
Außenliegende Sonnenschutzlamellen als mögliche Anwendung von Fotobioreaktoren zur Regulierung des
Tageslichteintrages – Projekt International Coffee Plaza,
Hamburg
Autor
Dr.-Ing. Jan Wurm, Materials Consulting Europe, Arup Berlin
Forschungsträger
Forschungsinitiative „ZukunftBau“ des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMBVS)
Forschungsnehmer
Arup Deutschland GmbH, Berlin (Projektkoordination, Konzeption und Engineering)
Forschungspartner
SSC Strategic Science Consult GmbH, Hamburg (Verfahrenstechnik, Prozessführung)
COLT International GmbH, Kleve (Design und System- und
Komponentenfertigung)
Fotos: SSC
in Hamburg installiert. Die ersten Auswertungen der
Foto: Colt International GmbH
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xia 07-09 2012
Skizze zur Funktionalität des Fassadensystems. Abb. Jan Wurm
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