Thieme: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2

Werbung
22
2 Energie- und Wärmehaushalt
Zellmembran absorbiert. Unter normalen Umständen werden
etwa 97 % der zugeführten Fette resorbiert. Die Fettverdauung
ist spätestens am Ende des Jejunums abgeschlossen. Kurzkettige Fettsäuren werden allerdings z. T. erst im Kolon resorbiert.
Die frei werdenden Gallensalze werden in den „leeren“ Micellen
weitertransportiert und schließlich im terminalen Ileum ebenfalls resorbiert (enterohepatischer Kreislauf).
Die kurz- und mittelkettigen Fettsäuren sind relativ polar
(und dadurch hydrophil) und gelangen aus den Enterozyten direkt ins Pfortaderblut. Die langkettigen Fettsäuren und Monoacylglycerine werden im endoplasmatischen Retikulum wieder
zu Triacylglycerinen zusammengesetzt. Die resynthetisierten
Fette werden zusammen mit Apoproteinen (Apolipoprotein B)
als Chylomikronen verpackt, die die Zelle per Exozytose verlassen und über den Lymphweg (Dünndarmzotten → zentrale
Lymphkapillaren der Dünndarmzotten → Lymphgefäßsystem
des Darms → Ductus thoracicus → Blutkreislauf) in den systemischen Kreislauf gelangen. Ein blockierter Lymphabfluss beeinträchtigt daher v. a. die Fettresorption.
Apropos
Unter Maldigestion versteht man eine Störung der Verdauung, also der
Spaltung der Nahrungsstoffe, z. B. nach Magenresektion oder bei Mangel an
Pankreassekret oder Gallenflüssigkeit. Malabsorption meint dagegen eine
Absorptionsstörung, z. B. im Rahmen von Darmerkrankungen, Darmresektionen oder bei Störungen der Darmdurchblutung.
Bei der einheimischen Sprue (glutensensitive Enteropathie) liegt eine
genetisch prädisponierte Unverträglichkeit gegenüber der Gliadinfraktion
des Glutens (eines Getreideproteins) vor. Sie führt zu einer Schädigung
des absorbierenden Epithels und damit zu einem Malabsorptionssyndrom.
Klinisch äußert sich die Erkrankung durch chronisch rezidivierende Durchfälle und Mangelernährung. Durch glutenfreie Ernährung kann Beschwerdefreiheit erzielt werden. Bei Kindern nennt man das Krankheitsbild Zöliakie.
Geschafft
Haben Sie das erste Lernpaket gut verdaut? Weiter geht es mit dem
verwandten, aber eher übersichtlichen Thema Energie- und Wärmehaushalt.
Im Anschluss müssen Sie sich in Lernpaket 6 noch mit dem Wasser- und Elektrolythaushalt sowie der Nierenfunktion beschäftigen. Zum Verständnis der
Niere sollten Sie sich den anatomischen Aufbau dieses Organs noch einmal
vergegenwärtigen sowie den Aufbau eines Nephrons gut beherrschen.
creative collection
Lernpaket 6
2 Energie- und Wärmehaushalt
2.1 Energiehaushalt
Die energiereichen Nahrungsbestandteile Kohlenhydrate, Fette
und Eiweiße dienen dem Körper als Energiequelle. Im Energiehaushalt stehen der Energieaufnahme über die Nahrung sämtliche energieverbrauchenden Prozesse des Körpers wie Auf- und
Abbauprozesse, zu verrichtende Arbeit oder Wärmeproduktion
gegenüber. Ist die Energiebilanz positiv, wird die überschüssige
Energie gespeichert (z. B. in Form von Fettdepots), ist die Bilanz
negativ, werden Reserven abgebaut.
Die Umwandlung der chemischen Energie der Nährstoffe
in den zellulären Energiespeicher ATP oder die anschließende
Umwandlung in z. B. mechanische Energie durch eine Muskelbewegung ist nicht zu 100 % möglich, sondern bei jeder Energieumwandlung wird ein Teil der Energie als Wärme frei. Dieser
Energiebetrag steht zur Arbeitsleistung nicht zur Verfügung.
Den Quotienten aus geleisteter Arbeit und verbrauchter Energie
bezeichnet man als Wirkungsgrad. Der Wirkungsgrad körperlicher Arbeit liegt bei etwa 30 %, d. h., der Großteil der Energie
geht als Wärme verloren. Die so im Körper entstehende Wärme
bestimmt maßgeblich die Körpertemperatur. Um überschießende Reaktionen zu verhindern (wie etwa eine übermäßig
erhöhte Körpertemperatur bei erhöhtem Stoffwechsel), müssen
Energie- und Wärmehaushalt notwendigerweise aufeinander
abgestimmt sein.
Lerntipp Zum Energiehaushalt werden zahlreiche Rechenaufgaben
gestellt. Hierzu ist es wichtig, sich folgende Definitionen und
Umrechnungen klarzumachen:
▶▶Die Maßeinheit für die physikalischen Größen „Energie“ und
„Arbeit“ ist das Joule.
▶▶Die Gesamtenergie eines Systems bleibt konstant.
▶▶Energie kann weder neu geschaffen noch vernichtet werden,
sondern nur von einer Energieform in eine andere überführt
werden.
Diese Energieformen werden entsprechend ihrer Natur
(chemisch, mechanisch etc.) in verschiedenen Einheiten ausgedrückt. Für die Umrechnungen gilt:
1 Joule (1 J) = 1 Newtonmeter (1 Nm) = 1 Wattsekunde (1 Ws)
Abgeleitet davon ist die Leistung (Arbeit/Zeit), die in Watt
angegeben wird:
Watt = 1 J/s = 1 Nm/s
aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG
2.1 Energiehaushalt
2.1.1 Energieumsatz
Die Menge an Energie, die ein Mensch innerhalb eines Zeitraums verbraucht, wird als Energieumsatz bezeichnet. Der
Energieumsatz des Körpers ist neben anderen Faktoren (s. u.)
von der körperlichen Tätigkeit abhängig. Entsprechend werden
verschiedene Belastungsstufen unterschieden, deren Definitionen nicht immer einheitlich sind:
▶▶Ruheumsatz und Grundumsatz. Unter Ruheumsatz versteht
man den Energieumsatz bei geistiger und körperlicher Ruhe. Da
hierbei andere einflussnehmende Faktoren nicht berücksichtigt
sind, wurde der Grundumsatz eingeführt, der unter definierten
Standardbedingungen gemessen wird:
▪▪nüchtern (12–14 Stunden nach der letzten Mahlzeit),
▪▪morgens,
▪▪bei völliger körperlicher und geistiger Ruhe (liegend und
entspannt),
▪▪bei Indifferenztemperatur (27–31 °C, unbekleidet) und
▪▪normaler Körpertemperatur.
Der Grundumsatz bezeichnet den Energieumsatz eines gesunden Erwachsenen, der zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen notwendig ist. Er umfasst die benötigte Energie für
Strukturerhaltung und Temperaturregulation sowie für ständig
ablaufende physiologische Vorgänge der verschiedenen Organe
wie Herz, Lunge oder Niere, deren Anteil am Grundumsatz unterschiedlich ist (Tab. 8.1).
▶▶Grundbedarf. Der Grundbedarf an Energie für einen 70 kg
schweren Mann beträgt ca. 7100 kJ/d = 7,1 MJ/d. In den alten
Einheiten entspricht dies 1700 kcal/d. Für eine Frau beträgt der
Grundumsatz ca. 6300 kJ/d = 6,3 MJ/d. Der tatsächliche Energiebedarf des Körpers liegt in Abhängigkeit von der körperlichen
Aktivität höher.
▶▶Freizeitumsatz. Ein nicht körperlich arbeitender Mensch, der
auch außerhalb der Arbeit keine Anstrengungen (z. B. Sport) unternimmt, verbraucht pro Tag etwa 8400 kJ (Frauen) bzw. 9600
kJ (Männer). Die Werte liegen somit etwa 30 % über dem Grundumsatz. Ausgehend von diesem Freizeitumsatz erhöht sich der
Energiebedarf durch körperliche Aktivität.
▶▶Arbeitsumsatz. Der zusätzliche Energieumsatz bei leich-
ter körperlicher Arbeit beträgt 2000 kJ/d, bei Schwerstarbeit
Tab. 2.1 Prozentualer Anteil der Organe am Grundumsatz (Mann).
Organ
prozentualer Anteil
Leber
20 %
Muskulatur
26 %
Gehirn
22 %
Herz
10 %
Nieren
10 %
übrige Organe
12 %
müssen bis zu 10000 kJ/d zusätzlich zugeführt werden, das
entspricht maximal einer Verdreifachung des Grundumsatzes.
Auch bei geistiger Arbeit erhöht sich der Energieumsatz. Diese Steigerung erklärt sich jedoch nicht durch einen erhöhten
Energiebedarf des Gehirns, sondern durch eine reflektorische
Anspannung der Skelettmuskulatur („angestrengtes Nachdenken“).
Will man den Energieumsatz in Watt berechnen, gilt: 1 W
= 1 J/sec.
Faktoren, die den Energieumsatz beeinflussen
Neben der Art der körperlichen Aktivität ist der Energieumsatz
noch von zahlreichen anderen Faktoren abhängig, z. B. von der
Außentemperatur, von der Aktivität einzelner Organsysteme
und von der hormonellen Situation, v. a. von der Aktivität der
Schilddrüsenhormone (S. 60).
Körpergröße und Körpergewicht bestimmen die Körperoberfläche eines Menschen, über die der größte Teil der
Wärmeabgabe erfolgt. Die Wärmeproduktion findet im Körperinneren statt, sie hängt vom Volumen ab. Entscheidend ist
daher das Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpervolumen.
Bei gleichem Gewicht muss also der Grundumsatz bei einem
größeren Menschen mit großer Körperoberfläche und größerem Wärmeverlust höher sein. Bei gleicher Größe und unterschiedlichem Gewicht hat der schwerere eine größere Körperoberfläche und damit einen höheren Grundumsatz.
Eine schwierige Situation stellt die Abhängigkeit des Grundumsatzes von der Körperoberfläche für ein Neugeborenes bzw.
einen Säugling dar. Seine Körperoberfläche ist im Verhältnis
zum Körpervolumen größer als beim Erwachsenen. Der Gesamtumsatz ist natürlich deutlich kleiner als beim Erwachsenen, aber bei einer Umrechnung des Grundumsatzes relativ zur
Körperoberfläche (relativer Grundumsatz, angegeben in W/m2)
ergeben sich recht hohe Zahlenwerte. Zudem ist der Körperkern durch die schmalere Schale schlechter isoliert. Eine Unterkühlung kann deshalb schon bei für Erwachsene völlig unbedenklichen Temperaturen auftreten. Folglich setzt die aktive
Wärmebildung des Neugeborenen (S. 26) schon bei höheren
Temperaturen ein.
Der Grundumsatz hängt aber nicht nur von der Körpermasse ab, sondern auch von ihrer Zusammensetzung. Je mehr
stoffwechselaktive Zellmasse (Skelettmuskulatur, Skelett und
innere Organe) eine Person hat, desto höher ist ihr Energieverbrauch. Frauen haben aufgrund des relativ höheren Anteils von
stoffwechselinaktivem Fettgewebe einen um ca. 10 % niedrigeren Grundumsatz. Auch im Alter sinkt der Grundumsatz (Abb.
2.1), da sich die Zusammensetzung des Körpers ändert und z. B.
die Muskelmasse, d. h. ein Teil der fettfreien stoffwechselaktiven Masse, abnimmt.
Auch die Umgebungstemperatur hat einen wichtigen Einfluss auf den Energieumsatz. Bei Indifferenztemperatur oder
thermoneutraler Umgebung ist der temperaturbedingte Energieumsatz am geringsten. Er steigt bei höherer Umgebungstemperatur durch die Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeiten
bzw. stärkere Hautdurchblutung und Schweißdrüsentätigkeit,
bei niedrigeren Temperaturen z. B. durch aktive Wärmeproduktion.
Bei der Verdauung, Resorption und Speicherung von Nahrung finden energieverbrauchende Prozesse statt, zusätzlich
kommt es zu einer durch den Sympathikus induzierten Erhöhung der Stoffwechselaktivität, d. h., die Nahrungszufuhr selbst
führt zu einer Zunahme des Energieumsatzes, und ein Teil der
aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG
L er n pa k e t 6
Eine noch häufig verwendete, aber veraltete Einheit der Energie
ist die Kalorie:
1 cal = 4,187 J oder 1 J = 0,239 cal
23
2 Energie- und Wärmehaushalt
relativer Grundumsatz (W/m2)
24
Ist die Zusammensetzung der Nahrung bekannt, kann mithilfe
des physiologischen Brennwerts die zugeführte Energie berechnet werden. Der physikalische Brennwert liegt insbesondere für Eiweiße höher als der durch den Körper nutzbare physiologische Brennwert, während diese beiden Werte für Kohlenhydrate, Fette und Ethanol mehr oder weniger identisch sind. Der
Unterschied erklärt sich dadurch, dass Proteine im Körper nicht
vollständig abgebaut werden, sondern dass das Stoffwechsel­
endprodukt (z. B. Harnstoff), das über die Niere ausgeschieden
wird, selbst noch Energie enthält.
60
50
40
0
10
20
30
40
50
60
Alter (Jahre)
Abb. 2.1 Abhängigkeit des relativen Grundumsatzes vom Lebensalter. In der Wachstumsphase sinkt der Grundumsatz zunächst stark ab,
um dann beim erwachsenen Menschen über mehrere Jahre praktisch
konstant zu bleiben. Ab etwa 40–50 Jahren geht er dann allmählich um
weitere rund 10 % zurück.
aufgenommenen Energie geht als Wärme verloren. Diese post­
prandiale Steigerung des Energieumsatzes – man bezeichnet
sie auch als die spezifisch-dynamische Wirkung der Nährstoffe
– erklärt, warum es einem beim Essen warm wird. Mit bis zu
30 % ist die spezifisch-dynamische Wirkung bei reiner Eiweißkost am höchsten, d. h., etwa ⅓ der enthaltenen Energiemenge
wird zur Verdauung gebraucht oder geht als Wärme verloren.
Deshalb eignen sich z. B. kalte (eiweißreiche) Milchprodukte nur
bedingt zur Erfrischung in sommerlichen Temperaturen, da bei
ihrer Verdauung noch zusätzlich Wärme freigesetzt wird.
Fazit – Das müssen Sie wissen
–– ! Geistige Arbeit erhöht den Energieumsatz, Ursache ist eine
reflektorische Anspannung der Muskulatur.
–– ! Bei Neugeborenen und Säuglingen ist der relative Grund-
umsatz (Grundumsatz bezogen auf die Körperoberfläche) am
höchsten.
–– ! Mit steigendem Alter sinkt der Grundumsatz.
2.1.2 Energiegehalt der Nahrung
Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate unterscheiden sich in ihrem
Energiegehalt. Der Energiegehalt außerhalb des Körpers lässt
sich in einer geschlossenen Brennkammer (Kalorimeter) ermitteln, indem unter Sauerstoffatmosphäre jeweils eine identische
Menge vollständig zu CO2 und Wasser verbrannt wird. Die dabei
frei werdende Energie, die in Form der Wärmezunahme gemessen wird, entspricht dem physikalischen Brennwert (Tab. 2.2).
Die Energie, die bei der Verbrennung der Nährstoffe im Körper entsteht, wird als physiologischer Brennwert bezeichnet.
Tab. 2.2 Brennwerte der Hauptnahrungsbestandteile. Der physiologische Brennwert von Ethanol liegt mit 29,7 kJ/g vergleichsweise
hoch.
Nährstoff
physikalischer
Brennwert (kJ/g)
physiologischer
Brennwert (kJ/g)
Kohlenhydrate
17,6
17,2
Eiweiß
23
17,2
Fette
38,9
38,9
Ethanol
29,7
29,7
Rechenbeispiel.
Ein Mann trinkt 0,5 l eines alkoholfreien Biers. 100 ml dieses Getränks
enthalten ca. 0,4 g Protein und 5,3 g Maltose. Was den physiologischen
Brennwert angeht, sind die übrigen Inhaltsstoffe nicht von Belang. Der
tägliche Energiebedarf des Mannes liegt bei 10 MJ. Wie hoch ist der Anteil
am täglichen Energiebedarf, der durch das Bier gedeckt wird?
Lösung: Der physiologische Brennwert von Proteinen und Kohlenhydraten
liegt bei jeweils 17 kJ/g (Tab. 2.2). Die Angabe der Inhaltsstoffe bezieht sich
auf 100 ml, der Mann trinkt aber 500 ml. Er nimmt also über das Bier 2 g
Protein und 26,5 g Maltose zu sich und damit:
2 × 17 + 26,5 × 17 = 484,5 kJ
Der tägliche Energiebedarf des Mannes liegt bei 10 000 kJ (= 10 MJ), er
deckt durch das Getränk also 4,85 % ab.
Indirekte Kalorimetrie
Auch der physiologische Energieumsatz einer Testperson kann
direkt über deren Wärmeabgabe in einem Kalorimeter gemessen werden (direkte Kalorimetrie). Hierfür ist ein relativ hoher
Aufwand nötig. Einfacher ist die Methode der indirekten Kalorimetrie, bei der man den Umstand nutzt, dass bei der Verbrennung der Nährstoffe im Stoffwechsel O2 verbraucht und CO2
abgegeben wird.
So werden z. B. bei der Verbrennung von 1 mol Glukose
(180 g):
C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O + 2868 kJ
und einem Molvolumen eines Gases von 22,4 l
6 × 22,4 l = 134,4 l O2
verbraucht.
Bei der vollständigen Oxidation von 1 mol Glukose werden
2868 kJ freigesetzt, dabei entstehen 30–32 mol ATP mit einer
Gesamtenergie von etwa 1488 kJ, der Rest geht als Wärme verloren.
Zur Messung der Atemgasmengen stehen moderne Verfahren zur Verfügung, bei denen normal aus der Umgebungsluft
geatmet und über zwischengeschaltete Ventile und Messgeräte
das Atemzeitvolumen sowie die O2- und CO2-Konzentrationsdifferenzen zwischen Ein- und Ausatmungsluft bestimmt wird.
▶▶Kalorisches Äquivalent. Aufgrund ihrer unterschiedlichen
Brennwerte wird bei der vollständigen Oxidation der verschiedenen Nährstoffe pro Liter verbrauchtem Sauerstoff unterschiedlich viel Energie frei. Man bezeichnet das Verhältnis aus
frei werdender Energie und verbrauchtem Sauerstoff als das kalorische (energetische) Äquivalent, angegeben in kJ/l O2.
Das kalorische Äquivalent für Glukose entspricht:
kalorisches ÄquivalentGluk =
2868 kJ
134,4 l O2
aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG
= 21,4 kJ/l O2
2.2 Wärmehaushalt
kalorisches Äquivalent
von O2 (kJ/l O2)
respiratorischer
Quotient (RQ)
Kohlenhydrate
20,96
1,0
Eiweiß
18,7
0,81
Fette
19,6
0,70
Mischkost
20,2
0,82–0,85
Die Werte für die anderen Nährstoffe sind in Tab. 2.3 aufgelistet. Da nicht bekannt ist, welche Nährstoffe in welchen Anteilen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Körper verbrannt werden, wird bei Mischkost mit einem Mittelwert von ca. 20 kJ/l
O2 gerechnet. Oder anders ausgedrückt: Beim Verbrauch von
1 l Sauerstoff wird bei Mischkost eine Energiemenge von 20 kJ
freigesetzt.
Mithilfe des kalorischen Äquivalentes und des Sauerstoffverbrauchs (gemessen über indirekte Kalorimetrie) lässt sich
der Energieumsatz bestimmen. Er berechnet sich als Produkt
aus O2-Aufnahme pro Zeit multipliziert mit dem kalorischen
Äquivalent. Bei einer normalen O2-Aufnahme von 300 ml/min
ergäbe sich bei normaler Mischkost ein Energieumsatz von
0,3 l O2/min × 20 kJ/l O2 = 6 kJ/min, entsprechend 8640 kJ/d.
Rechenbeispiel
Bei einer Versuchsperson mit einem Atemzeitvolumen von 15 l/min beträgt
der Volumenanteil des O2 exspiratorisch 0,17 l/l, inspiratorisch 0,21 l/l.
Errechnen Sie den Energieumsatz!
Lösung: Die Differenz zwischen dem inspiratorischen und dem exspiratorischen Sauerstoffvolumenanteil – und damit die Sauerstoffaufnahme – liegt
bei 0,04 l/l. Pro Minute werden daher vom Probanden 15 × 0,04 = 0,6 l O2
aufgenommen. Das kalorische Äquivalent für normale Mischkost wird mit
20 kJ/l O2 angenommen, d. h.,
0,6 l × 20 kJ/l = 12 kJ/min (= 12000 J/min = 200 J/s)
1 Watt entspricht 1 J/s, der Energieumsatz beträgt demzufolge 200 W.
▶▶Respiratorischer Quotient. Den zu einem bestimmten Zeit-
punkt vorherrschend verstoffwechselten Nährstoff kann man
anhand des Verhältnisses von abgeatmeter CO2-Menge zu aufgenommener O2-Menge ermitteln, d. h. mithilfe des respiratorischen Quotienten (RQ).
RQ =
–– !!! Der physiologische Brennwert sowohl für Kohlenhydrate
als auch für Eiweiß liegt bei 17,2 kJ/g, der für Ethanol bei ca.
30 kJ/g.
–– ! Der Energieumsatz kann aus der O -Aufnahme pro Zeit
2
multipliziert mit dem kalorischen Äquivalent berechnet
werden.
–– ! Als kalorisches Äquivalent für gemischte Kost werden
20 kJ/l O2 angenommen.
–– ! Das kalorische Äquivalent ist bei überwiegendem Fettabbau
(19,6 kJ/l O2) niedriger als bei Glucoseabbau (21 kJ/l O2).
2.2 Wärmehaushalt
Im Gegensatz zu den poikilothermen (wechselwarmen) Organismen, deren Körpertemperatur nur knapp über der Umgebungstemperatur liegt, halten homoiotherme (gleichwarme)
Lebewesen die Temperatur im Körperinneren unabhängig von
der Außentemperatur weitestgehend konstant. Der Mensch gehört – wie alle Säuger – zu den homoiothermen Organismen.
2.2.1 Regelkreis zur Thermoregulation
Im menschlichen Körper wird die sog. Kerntemperatur, also die
Temperatur im Inneren von Rumpf und Schädel, durch aktive
Regulation über einen Regelkreis im Mittel auf einem Sollwert
von etwa 37 °C gehalten (Abb. 2.2). Die Temperatur der Körperschale (Schalentemperatur) ist von der Außentemperatur
abhängig, sie kann bis zu 9 °C unter der Körperkerntemperatur
liegen.
Das Zentrum des Regelkreises liegt in den kaudalen Anteilen
des Hypothalamus (Area hypothalamica posterior). Als Temperatursensoren fungieren temperatursensible Neuronen im Bereich des rostralen Hypothalamus (Regio praeoptica/vorderer
Hypothalamus), aber auch im unteren Hirnstamm und besonders im Rückenmark. Neben diesen inneren Temperatursensoren registrieren äußere Kälte- und Wärmesensoren in der Haut
die Umgebungstemperatur. Als äußere Störgröße wirkt sich
z. B. eine Änderung der Umgebungstemperatur aus, als innere
z. B. eine reichhaltige Mahlzeit oder körperliche Anstrengung.
Thermorezeptoren:
– im inneren Körperkern
– in der äußeren Körperschale
CO2-Abgabe
O2-Aufnahme
Kaltrezeptoren
Bei der Verbrennung von Kohlenhydraten wird für jedes verbrauchte Mol O2 ein Mol CO2 erzeugt (s. o.). Der RQ beträgt 1. Für
die Verbrennung der stärker reduzierten Moleküle, wie Fette
und Eiweiße, wird bei der Verbrennung mehr Sauerstoff verbraucht, als Kohlendioxid abgegeben wird, der RQ liegt unter
1, und zwar bei 0,81 für Eiweiße und 0,70 für Fette (Tab. 2.3).
Für die Oxidation von z. B. Palmitinsäure ergibt sich:
RQPalm =
16
23
= 0,7
Für den respiratorischen Quotienten wird ein Mittelwert für
Mischkost von 0,82 angegeben.
Warmrezeptoren
Istwert
Regler
C15H31COOH + 23 O2 → 16 CO2 + 16 H2O
und damit folgender RQ:
L er n pa k e t 6
Nährstoff
Fazit – Das müssen Sie wissen
Sollwert
Wärmeabgabe:
– Hautdurchblutung↑
– Schweißsekretion
– Verhalten
Hypothalamus
Wärmebildung:
– Hautdurchblutung↓
– Kältezittern
– Muskeltonus↑
– Verhalten
Abb. 2.2 Regelkreis zur Einstellung der Körpertemperatur.
aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG
aus Behrends et al., Duale Reihe Physiologie, Thieme 2010
Tab. 2.3 Kalorisches Äquivalent und respiratorischer Quotient der
Hauptnahrungsbestandteile.
25
2 Energie- und Wärmehaushalt
Die Kerntemperatur eines Marathonläufers z. B. kann auf bis zu
40 °C ansteigen.
Bei einer Istwert-Änderung stehen dem Körper mehrere
Stellglieder zur Wärmeabgabe oder -aufnahme zur Verfügung:
Als wichtiges Stellglied greift das Verhalten in den Regelkreis
ein, z. B. durch eine Änderung der Kleidung oder das Anstellen
einer Heizung oder eines Ventilators. In der Regel sind diese
Maßnahmen möglich und ausreichend. Wenn nicht, wird bei einem zu hohen Istwert die Wärmeabgabe über die Körperoberfläche durch eine erhöhte Hautdurchblutung bzw. vermehrtes
Schwitzen erhöht. Umgekehrt wird bei einem zu niedrigen Istwert die Hautdurchblutung gedrosselt und die Wärmebildung
im Körperinneren durch einen erhöhten Muskeltonus oder Kältezittern gesteigert.
Thermoregulationsbereich
Innerhalb eines schmalen Temperaturbereiches, der Indifferenztemperatur oder thermischen Neutralzone, können die
nötigen geringen Anpassungen allein durch die Hautdurchblutung erfolgen. Die Indifferenztemperatur hängt ab von relativer
Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Wärmestrahlung der
Umgebung und Bekleidung. Für einen unbekleideten, ruhenden
Menschen liegt diese Temperatur bei 28–30 °C, wenn die relative Luftfeuchtigkeit 50 % beträgt und kein Wind weht. Im Wasser
ist diese Temperatur 5–6 °C höher, da Wasser eine höhere Wärmeleitfähigkeit als Luft besitzt und dem Körper so verstärkt
Wärme durch Konduktion und Konvektion entzogen wird.
Außerhalb der thermischen Neutralzone müssen zusätzliche Mechanismen der Thermoregulation aktiv werden, um die
Körperkerntemperatur im Bereich des Sollwerts von 37 °C zu
halten.
Schlaf
37,5
nach der
Ovulation
37,0
Körperkerntemperatur (° C)
26
vor der
Ovulation
36,5
Der Sollwert beträgt nur im Mittel 37 °C, seine Einstellung
unterliegt einem zirkadianen Rhythmus. Über den Tag verteilt
kann man Schwankungen der Kerntemperatur feststellen, mit
einem Minimum am frühen Morgen zwischen 3 Uhr und 6 Uhr
und einem Maximum am Abend. Die Schwankungsbreite liegt
bei 1 °C (Abb. 2.3).
Auch Hormone wirken auf die Sollwertverstellung im Hypothalamus ein. Progesteron bewirkt einen Temperaturanstieg.
Die zirkadiane Temperaturkurve von Frauen ist deshalb nach
der Ovulation um ca. 0,5 °C nach oben verschoben (Abb. 2.3).
Der Temperaturanstieg bleibt bei Eintritt einer Schwangerschaft, ebenfalls durch Progesteron vermittelt, erhalten. Über
die Messung der Körperkerntemperatur kann man den Termin
des Eisprungs (S. 71) bestimmen.
Zu einer vorübergehenden Sollwertverstellung kommt es
auch im Fieber (S. 29).
Apropos
Die Messung der Körperkerntemperatur erfolgt klassischerweise sublingual, axillär und rektal. Die rektale Messung ergibt den exaktesten und auch
höchsten Wert. Die sublinguale bzw. die axilläre Temperatur liegt um 0,5 °C
niedriger. Seit einigen Jahren sind Ohrthermometer auf dem Markt, die die
Wärmestrahlung aus dem Innenohr registrieren und daraus die Kerntemperatur berechnen. Die Messwerte der Ohrthermometer sind allerdings nicht
so zuverlässig wie die der klassischen Methode.
2.2.2 Wärmebildung
Zur Einstellung einer gleichbleibenden Körperkerntemperatur
müssen Wärmebildung und Wärmeabgabe im Gleichgewicht
stehen. Die Wärmebildung erfolgt bei jeder Energieumwandlung im Körper, bei der aufgrund des geringen Wirkungsgrades
(S. 22) ein großer Teil der Energie als Wärme „verloren“ geht.
Diese „Abwärme“ wird in Ruhe zu etwa 70 % von den stoffwechselintensiven inneren Organen und dem Gehirn geliefert. Bei
körperlicher Aktivität überwiegt hingegen die Wärmebildung
in der Muskulatur, sie nimmt im Vergleich zur körperlichen
Ruhe um ein Mehrfaches zu (Tab. 2.4).
Ist mehr Wärme nötig, um die Körperkerntemperatur aufrechtzuhalten (und eine proteinreiche Mahlzeit mit hoher
spezifisch-dynamischer Wirkung ist nicht in Sicht), muss der
Körper zusätzlich Wärme produzieren und es wird die thermoregulatorische Wärmebildung in Gang gesetzt.
Hierzu steht dem Erwachsenen nur die Wärmeproduktion
über eine verstärkte Muskelaktivität zur Verfügung. So wird
bei Abkühlung der Drang nach körperlicher Bewegung erhöht
(willkürliche Muskelbewegung). Reflektorisch werden bei
Kälte tonische Muskelfasern aktiviert bzw. bei einer weiteren
Abkühlung auch phasische Muskelfasern. Es kommt zu dem
sichtbaren Kältezittern (unwillkürliche Muskelbewegung). Die
Temperatur, bei der Kältezittern einsetzt, bezeichnet man als
Zitterschwelle.
Tab. 2.4 Anteile der Organe an der Wärmebildung des Organismus.
36,0
12
18
24
6
12
Tageszeit
Abb. 2.3 Zirkadianer Verlauf der Körperkerntemperatur mit Minimum nachts gegen 3 Uhr.
Organe
in Ruhe
bei Arbeit
Brust- und Baucheingeweide
56 %
8 %
Gehirn
16 %
1 %
Muskulatur
18 %
bis 90 %
übrige Organe
10 %
1 %
aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG
2.2 Wärmehaushalt
2.2.3 Wärmeabgabe
Die Wärmeabgabe an der Körperoberfläche ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu gehören Umgebungstemperatur, Kleidung, Luft- bzw. Wasserbewegung, Hautdurchblutung, Atmung
und Schwitzen. Sie erfolgt durch unterschiedliche Mechanismen: Leitung, Konvektion, Strahlung und Verdunstung. Da sie
über die Körperoberfläche erfolgt, ist sie immer proportional
der Körperoberfläche, die Größen werden in W/m2 angegeben.
▶▶Konduktion und Konvektion. Als Konduktion (Wärmeleitung
oder Wärmediffusion) bezeichnet man den Wärmetransport
über leitende ruhende Medien. Bei der Wärmeabgabe über Konduktion kommt die Haut direkt mit einem Material in Berührung, z. B. einem kalten Stuhl, der sich mit der Zeit erwärmt. Die
Wärmeabgabe wird wesentlich von der Wärmeleitfähigkeit des
Kontaktmaterials, der Größe der Kontaktfläche und der Temperaturdifferenz zwischen Haut und Kontaktmaterial bestimmt.
Unter Konvektion versteht man den Wärmetransport über
ein leitendes Medium, das selbst in Bewegung ist, z. B. ein Gas
(Luft) oder eine Flüssigkeit (Blut, Wasser). An der Körperoberfläche wird mittels Konduktion die an die Haut angrenzende
ruhende Luftschicht erwärmt. Die warme Luft steigt auf und
wird durch kalte ersetzt. Äußere Luftbewegung (z. B. natürlicher Wind oder Wind durch einen Ventilator) verstärkt die
Wärmeabgabe durch Konvektion. Deshalb kommt uns die gleiche Lufttemperatur bei Wind kühler vor als bei stehender Luft.
Auch die Wärmeabgabe über Konvektion wird wesentlich von
der Temperaturdifferenz, z. B. zwischen Haut und Umgebungsluft, und von der Wärmeleitfähigkeit des Mediums bestimmt.
Von daher ist die Wärmeabgabe in Wasser um ein Vielfaches
höher als in Luft.
Unter Ruhebedingungen bei Indifferenztemperatur und
mittlerer Luftfeuchte (50 %) finden etwa 20 % der Gesamtwärmeabgabe über Konvektion (15 %) und Konduktion (5 %) statt.
Konduktion und Konvektion spielen nicht nur an der Körperoberfläche bei der Wärmeabgabe über die Haut eine Rolle.
Auch der Transport der im Körperkern gebildeten Wärme an die
Oberfläche erfolgt mithilfe der Konduktion über die verschiedenen Gewebe bzw. über Konvektion mit dem Blutstrom. Die
Wärmeleitfähigkeit der Gewebe ist relativ gering, Fettgewebe
z. B. hat etwa die gleiche Leitfähigkeit wie Holz, von daher spielt
bei der inneren Wärmeübertragung die Konvektion über den
Blutstrom eine wesentlich größere Rolle, wobei die Durchblutung dazu bedarfsabhängig regional angepasst wird.
▶▶Strahlung. 50–60 % der Gesamtwärmeabgabe über die Kör-
peroberfläche erfolgt im thermischen Neutralbereich über
Strahlung. Die langwellige Infrarotstrahlung benötigt kein
Übertragungsmedium.
▶▶Verdunstung. Die Verdunstung (= evaporative Wärmeabga-
be), d. h. die Abgabe von Wasser in Form von Wasserdampf,
stellt für den Körper einen effektiven Weg der Wärmeabgabe
dar. Die Verdunstungswärme von Wasser beträgt ca. 2400 kJ/l
H2O. Die Verdunstung ist abhängig von der Differenz der Wasserdampfpartialdrücke auf der Haut und in der Umgebungsluft.
Die Verdunstungsrate über die Haut wird durch Wind (oder einen Ventilator) größer, da die wasserdampfgesättigte Luft gegen ungesättigte Luft ausgetauscht wird.
Bei Außentemperaturen über 36 °C ist die Verdunstung
das einzige Mittel des Körpers, um Wärme abzugeben. Den
Mechanismus der Wärmeabgabe über Schweißbildung bezeichnet man auch als Perspiratio sensibilis (= Schwitzen). Die
Schweißbildung ist regulierbar und ein wichtiges Stellglied der
Thermoregulation. Sie wird durch cholinerge Fasern des sympathischen Nervensystems aktiviert und kann daher durch
Hemmstoffe muscarinerger Acetylcholin-Rezeptoren, wie z. B.
Atropin, gehemmt werden. Zunächst wird von den Schweißdrüsen ein isotoner Primärschweiß gebildet. Durch Na+-Rückresorption in den Drüsengängen entsteht daraus ein hypotoner Schweiß. Im Extremfall werden bis zu 4 l des hypotonen
Schweißes pro Stunde ausgeschieden. Daher kann es bei sehr
starkem Schwitzen zu einer hypertonen Dehydratation kommen. Bei längeren Aufenthalten in heißem Klima kommt es zur
Wärmeakklimatisatierung, wobei die Elektrolytkonzentration
im Schweiß abnimmt.
Ein Anstieg der Luftfeuchtigkeit behindert die evaporative
Wärmeabgabe. Schwierig ist daher die Thermoregulation in
den Tropen (bis zu 100 % Luftfeuchtigkeit und hohe Temperaturen). Hier kommt es zwar auch – besonders bei körperlicher
Aktivität – bei Temperaturen oberhalb der Körpertemperatur
zu einer starken Sekretion von Schweiß, dieser kann aber aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit nicht verdunsten und damit
nicht zur Wärmeabgabe beitragen (Abb. 2.4). Er läuft an der
Haut herunter und tropft ab.
Nicht regulierbar ist der unmerkliche Wasserverlust durch
Verdunstung über Haut und Schleimhäute, z. B. in den Atemwegen, die auch beim nicht schwitzenden Menschen auftritt.
Auf diesem Weg gehen täglich ca. 500–800 ml Wasser verloren.
Die damit verbundene Wärmeabgabe trägt ebenfalls zur Temperaturregulation bei, kann aber vom Körper nicht beeinflusst
werden (Perspiratio insensibilis). Bei Indifferenztemperatur
aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG
L er n pa k e t 6
Fällt die Kerntemperatur trotz Gegenregulation unter 32 °C,
kann Bewusstlosigkeit auftreten. Unter 28 °C droht der Tod
durch Kammerflimmern.
Neugeborene und Säuglinge haben kaum subkutanes Fett,
damit eine schlechte Isolation, und die Oberfläche ist relativ
zum Körpervolumen sehr groß. Der Bereich der Umgebungstemperatur, in der Neugeborene und Säuglinge ihre Körpertemperatur konstant halten können, ist deshalb kleiner als bei Erwachsenen. Sie verfügen über eine zusätzliche Möglichkeit zur
Wärmebildung, die zitterfreie Wärmebildung. Dazu besitzen
sie braunes Fettgewebe. Das braune Fettgewebe ist stark durchblutet und enthält viele Mitochondrien. In den Mitochondrien
werden die bei der Lipolyse frei werdenden Elektronen über die
Atmungskette auf O2 übertragen und dabei Protonen aus der
Matrix transportiert. In der inneren Membran der Mitochondrien des braunen Fettgewebes sind integrale Membranproteine
wie das Thermogenin lokalisiert, die als Entkopplungsproteine
(UCP, Uncoupling Protein) wirken. Als H+-Transporter stellen sie
den Protonen einen Rückweg an der ATPase vorbei in die Matrix
zur Verfügung. Als Ergebnis dieses Protonenkurzschlusses wird
die Energie der Oxidation der Fettsäuren nicht zur ATP-Synthese verwendet, sondern mehr oder weniger vollständig in Form
von Wärme freigesetzt, d. h. der Abbau der Fettsäuren von der
ATP-Synthese entkoppelt.
Aktiviert wird diese Art der Wärmebildung durch den Sympathikus, der die Lipolyse durch Noradrenalinwirkung an β3Rezeptoren steigert. Eine zitterfreie Wärmebildung ist ökonomischer, da durch das Fehlen der Zitterbewegungen die Wärmeverluste durch Konvektion klein bleiben.
27
2 Energie- und Wärmehaushalt
Wärmeabgabe durch
Verdunstung
28
0
30
35
40
Umgebungstemperatur (°C) bei 100% rel. Luftfeuchte
Abb. 2.4 Evaporative Wärmeabgabe. Die Abbildung zeigt die Abhängigkeit der evaporativen Wärmeabgabe durch Verdunstung von der
Umgebungstemperatur (Lufttemperatur, keine Sonneneinstrahlung)
bei körperlicher Schwerarbeit in Tropenklima (100 % relative Luftfeuchte). Die Wärmeabgabe durch die Verdunstung von Schweiß geht gegen
null, wenn die Umgebungstemperatur auf Körpertemperatur ansteigt!
und mittlerer Luftfeuchte (50 %) werden immerhin 20–30 % der
Wärme über diesen Weg abgegeben.
Lerntipp Zur evaporativen Wärmeabgabe in den Tropen wurden mehrfach
Fragen gestellt, die nur wenige richtig beantwortet haben.
Beachten Sie, dass häufig nach der Wärmeabgabe und nicht
nach der Schweißsekretion gefragt wird!
Lewis-Reaktion
Rechenbeispiel.
Eine Person erbringt eine körperliche Dauerleistung von 100 W. Daraus
ergibt sich eine zusätzliche Wärmeproduktion von 400 W, die durch
Verdunstung wieder abgegeben werden soll. Wenn die spezifische
Verdunstungswärme von Wasser 2,4 MJ/kg beträgt, welche Wassermenge
wird dann zusätzlich in 1 Stunde vom Körper verdunstet?
Lösung: 1 W entspricht 1 J/s, die zusätzliche Wärmeproduktion beträgt
damit
400 W × 3600 s = 1440000 J = 1,44 MJ.
Die Verdunstungswärme von Wasser liegt wie angegeben bei 2,4 MJ/kg,
also:
1,44 MJ
2,4 MJ/kg
entsprechend reguliert sein. Die Regulierung der Hautdurchblutung erfolgt hauptsächlich über den Sympathikus.
In kalter Umgebung werden die Hautgefäße eng gestellt.
Hierbei wird die glatte Gefäßmuskulatur aktiviert, vermittelt über die Noradrenalinwirkung an α1-Rezeptoren, und es
kommt zur Vasokonstriktion.
In warmer Umgebung soll über weitgestellte Gefäße die
Wärme an die Umgebung abgegeben werden. Hierzu nimmt die
konstriktorische Innervation der Hautgefäße über α-adrenerge
Nerven ab und es kommt zur Vasodilatation. Zusätzlich wirken
einige Stoffe ebenfalls vasodilatierend, z. B. Bradykinin, das bei
der Stimulation von Schweißdrüsen freigesetzt wird. Bei Wärmebelastung werden auch zahlreiche arteriovenöse Anastomosen (AVA) geöffnet. Durch die Umgehung des Kapillarbettes
sinkt der Strömungswiderstand in den Hautgefäßen. Mehr Blut
kann nun über die AVAs fließen, und umso größer ist der Wärmetransport an die Oberfläche.
Eine besondere Rolle spielen die Extremitäten, auf die mehr
als die Hälfte der Körperoberfläche entfällt. Hier sorgt ein Gegenstromprinzip für einen kontinuierlichen Wärmeaustausch
zwischen den parallel verlaufenden Arterien und Venen. Das in
Richtung Akren fließende Blut wird dadurch abgekühlt und das
zurückströmende Blut wieder aufgewärmt. Bei Kälte und eng
gestellten Hautgefäßen ist dieser Austausch besonders intensiv,
sodass der Wärmeabstrom in die Peripherie minimiert wird.
Eine gesteigerte Durchblutung der Gefäße und AVAs dagegen
führt zu einem nur geringen Austausch, sodass mehr Wärme
abgegeben werden kann (Abb. 2.5).
= 0,6 kg
Fazit – Das müssen Sie wissen
–– ! Neugeborene und Säuglinge besitzen braunes Fettgewebe,
Wirkt über einen längeren Zeitraum starke Kälte auf einen
Hautbezirk ein, so kann man in regelmäßigen Zeitabständen
eine kurzzeitige Dilatation beobachten, die die anhaltende Konstriktion der Hautgefäße unterbricht. Dieser als Lewis-Reaktion
bezeichnete Vorgang geht vermutlich auf eine Kältelähmung
der glatten Gefäßmuskulatur zurück und beugt Gewebeschäden durch eine länger dauernde Minderperfusion vor. Die Lewis-Reaktion ist lokaler Natur und kann nur an den unterkühlten Hautarealen beobachtet werden.
2.2.5 Akklimatisation
Bei längeren Aufenthalten unter extremeren Klimabedingungen sind neben Verhaltensanpassungen (z. B. wärmere Kleidung
bei Kälte, bewusstes Einhalten von Ruhepausen während der
in dem bei Kälte eine zitterfreie Wärmebildung stattfindet.
–– ! Im thermischen Neutralbereich erfolgen 50–60 % der
Gesamtwärmeabgabe über Strahlung.
Arterie
–– !! Cholinerge Fasern des Sympathikus aktivieren die ther-
mische Schweißbildung. Sie kann daher durch Hemmstoffe
muscarinerger Acetylcholin-Rezeptoren gehemmt werden
(z. B. Atropin).
–– ! Bei Anpassung an heißes Klima (Wärmeakklimatisierung)
sinkt die Elektrolytkonzentration im Schweiß.
2.2.4 Hautdurchblutung
Die Hautdurchblutung ist ein wichtiges Stellglied der Temperaturregulation. Der Wärmetransport aus dem Körperinneren
über den Blutstrom (Konvektion) an die Körperoberfläche zur
Wärmeabgabe ist von der Durchblutung abhängig und muss
Gefäße
eng
Vene
37
36
35
34
33
Wärmeaustausch
Gefäße
weit
32
32
37 36,5
36,5 36
36
31
35,5
35,5
35
31
Kapillaren
35
niedrig
Durchblutung
hoch
Abb. 2.5 Gegenstromprinzip des arteriovenösen Wärmeaustauschs.
aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG
2.2 Wärmehaushalt
2.2.6 Hyperthermie und Fieber
Eine Erhöhung der Körperkerntemperatur über 37 °C kann
durch starke körperliche Anstrengung oder auch Wärmebelastung wie etwa ein Saunabesuch verursacht werden. Bei einer
Hyperthermie kommt es durch äußere oder innere Störgrößen
zu der Temperaturerhöhung, es besteht ein Missverhältnis von
Wärmebildung oder -zufuhr und Wärmeabgabe. Bei Fieber hingegen kommt es zu der Erhöhung der Körperkerntemperatur
durch eine Sollwertverstellung im Hypothalamus.
Fieber
Die Sollwertverstellung wird durch sog. Pyrogene (fieberauslösende Stoffe) ausgelöst. Krankheitserreger wie Viren oder
Bestandteile von bakteriellen Erregern wie Toxine oder (Lipo-)
Polysaccharide wirken als exogene Pyrogene. Sie regen Makrophagen und Granulozyten zur Bildung von Interleukinen,
v. a. Interleukin-1, Interferonen und Tumornekrosefaktoren an,
die wichtige Mediatoren des Immunsystems darstellen. Diese
wirken als endogene Pyrogene über die Induktion von Prostaglandin E2 auf den Hypothalamus und bewirken die Sollwerterhöhung.
Lerntipp Da die Kerntemperatur anfänglich unterhalb des neuen Sollwertes liegt, reagiert der Körper mit Konstriktion der Hautgefäße und Muskelzittern (Schüttelfrost), als sei ihm zu kalt. Der
Körper wird bis zum neuen Sollwert aufgeheizt. Wird durch
fiebersenkende Mittel (Antipyretikum) der Sollwert abgesenkt,
kommt es zur Vasodilatation und zum Schwitzen. Die Körpertemperatur wird dadurch wieder gesenkt. Fiebersenkend wirkt
z. B. Acetylsalicylsäure (Aspirin), indem sie die Bildung der Prostaglandine hemmt.
Hyperthermiebedingte Erkrankungen
Ein Hitzekollaps beruht auf einer Überforderung der Kreislaufregulation im Stehen (Orthostase) unter Hitzebelastung. Um
den Anstieg der Körperkerntemperatur auszugleichen, wird
vermehrt Schweiß sezerniert, es kommt zu einem Flüssigkeitsverlust und gleichzeitig ist die Hautdurchblutung erhöht. Der
Blutdruckabfall führt zu einer Minderversorgung des Gehirns
mit den Symptomen von Schwindel und Ohnmacht.
Lange anhaltende, direkte Sonneneinstrahlung auf den Kopf
kann zum Sonnenstich (Insolation) führen. Durch die lokale
Erwärmung des Gehirns kommt es zum Hitzestau und zur Reizung der Hirnhäute. Die Symptome sind ähnlich wie bei einem
Hitzschlag.
Gefährlichste Komplikation durch eine langanhaltende Erhöhung der Körperkerntemperatur auf Werte über 41 °C ist der
Hitzschlag. Beim Hitzschlag ist die Regulation im Hypothalamus gestört, sodass es nicht über eine vermehrte Schweißbildung (die Haut eines Patienten mit Hitzschlag ist trocken) und
einer vermehrten Hautdurchblutung zu einer Wärmeabgabe
kommt. Symptome sind Schwindel, Bewusstseinsstörungen bis
zum Koma, Krampfanfälle und Hirnödeme, die zum Tode führen können.
In allen Fällen der hyperthermiebedingten Erkrankungen
besteht die Therapie schweregradabhängig vorrangig in Kühlung und Flüssigkeitszufuhr.
Fazit – Das müssen Sie wissen
–– ! Noradrenalin bewirkt an Hautgefäßen eine Vasokonstrik-
tion.
–– !! Eine wichtige Wirkung von Prostglandin E ist die Erhö2
hung der Körperkerntemperatur.
–– ! Im Fieberanstieg reagiert der Körper, bis der neue Sollwert
erreicht ist, wie in kalter Umgebung, nämlich mit Konstriktion
der Hautgefäße und Muskelzittern (Schüttelfrost).
–– ! Bei Fieberabfall, z. B. durch fiebersenkende Mittel (Antipyretikum), kommt es zur Dilatation der Hautgefäße und zum
Schwitzen.
Mehrfach wurde nach den äußerlich erkennbaren Zeichen für
einen Fieberanstieg bzw. -abfall gefragt. Daher sollten Sie sich
den folgenden Abschnitt gut einprägen!
aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG
L er n pa k e t 6
großen Mittagshitze) auch physiologische Reaktionen und Anpassungen zu beobachten.
In Anpassung an heißen Klimabedingungen verändert sich
die Schweißproduktion, sie setzt bei niedrigeren Temperaturen
ein und der Elektrolytgehalt wird reduziert. Dadurch werden
Elektrolyte eingespart und die Verdunstung erleichtert. Durch
die Ausscheidung einer hypotonen Flüssigkeit wird das Blutplasma leicht hyperton, sodass Durst entsteht und die Trinkmenge gesteigert wird. Für ein erhöhtes Plasmavolumen sorgt
auch ein höherer Plasmaproteingehalt, durch den weniger Wasser in der Niere filtriert wird. So wird der Kreislauf stabilisiert
und einer Hypotonie (durch die weit gestellten Blutgefäße der
Haut) vorgebeugt. Diese Umstellung ist oft erst nach einigen
Jahren in heißen Gebieten abgeschlossen.
Bei Menschen, die längere Zeit oder häufiger in kälteren Gegenden leben, kommt es zu einer vermehrten Wärmebildung
durch einen gesteigerten Energieumsatz und zu einer stärkeren
Drosselung der Hautdurchblutung. Bei Völkern dieser Regionen
ist eine sog. Toleranzadaptation zu beobachten: Ein höherer
Muskeltonus und Kältezittern tritt bei kälteadaptierten Menschen erst bei niedrigeren Temperaturen auf als bei Kontrollpersonen, d. h., eine geringe Hypothermie von 1–2 °C wird toleriert.
29
Herunterladen