Auch Städter wählen Landrat

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°Europawahl°
Mittwoch, 21. Mai 2014 · Nr. 117
Claudia Schmidt (Grüne)
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53 Jahre, verheiratet, drei Kinder
Übersetzerin
Mitglied der Grünen seit 2004
Sprecherin Kreisverband, Mitglied
Stadtrat, Ausschüsse für Umwelt,
Verkehr, Verwaltung und Wirtschaft, Aufsichtsrat Klinikum und
Gesundheitsholding
Michèl Pauly (Die Linke)
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Ziele:
Klimawandel:
Ressourcenknappheit ernst
nehmen, die Stadt muss klimafreundlicher werden, es wird
mehr Hitzetage und mehr Starkregenfälle geben
Ein Verkehrskonzept, das ökologisch und ökonomisch Sinn macht
und sich den neuen technischen Möglichkeiten stellt,
zum Beispiel Elektromobilität
Schaffung von bezahlbarem Wohnraum
Nein zur A39
Politik, die möglichst niemanden zurücklässt, die allen Chancen für
die Zukunft gibt
Hobbys: Garten, Radfahren
29 Jahre, unverheiratet,
keine Kinder
Wirtschafts- + Sozialwissenschaftler, Assistent in einer Baustofffirma
Mitglied der Partei Die Linke seit
der Parteigründung (Fusion von
WASG und PDS) 2007
Fraktionsvorsitzender der Linken
im Lüneburger Rat
In politischen Vereinen und
Initiativen aktiv wie SJD-Die Falken
Ziele:
Mieten in Lüneburg bezahlbar machen
Stadtwerke gründen
Sozialticket auch für den Nahverkehr einführen
Kasernenflächen zivil nutzen
Keine A39
Hobbys: Radfahren, Tischtennis
Aktuell spielt sich der Wohnungsneubau hauptsächlich im mittleren bis
hochqualitativen Bereich ab. Damit auch preiswerter Wohnungsneubau
in Lüneburg entsteht, plädiere ich dafür, preisgünstige Mietwohnungen
durch teurere Wohnungen mitzufinanzieren. Für eine solche Quersubventionierung müssen verstärkt Anreize gesetzt werden. So könnte zum
Beispiel Bauherren vorgeschrieben werden, für 20 Prozent der Wohnungen nur niedrige bis mittlere Mieten verlangen zu dürfen. Die immer
begehrtere Innenstadtlage darf zukünftig nicht nur einer wohlhabenden
Minderheit vorbehalten bleiben.
Die Stadt soll mit der eigenen Wohnungsgesellschaft Lüwobau zusätzlichen Wohnraum schaffen. Dabei soll es in allen Quartieren auch einen
Teil an Wohnraum geben, der so gestaltet ist, dass ALG-2-Empfänger
sich diesen vom Wohngeld leisten können. Der Bau und die günstige
Vermietung sollte bei der LüWoBau Vorrang haben vor Projekten wie der
Kulturbäckerei, die eigentlich nicht Wohnungsbauaufgabe ist. Langfristig
sollten sich die neuen Mietwohnungen selbst tragen, sodass der Ergebnishaushalt der Stadt nicht belastet wird. Bei aktuell sehr günstigen Zinsen
ist das zu schaffen.
Keine Energiewende ohne Verkehrswende. Ca. 20 Prozent der Energie
werden im Verkehrssektor verbraucht. Endlich Vorrang für den Umweltverbund. Lüneburg muss fahrradfreundlicher werden, CarSharing muss
alltäglich werden, andernorts fahren Busse Silvester Sonderschichten,
in Lüneburg fährt keiner. Sanierung von Häusern, Wohnungen, Schulen
usw. weiter vorantreiben. Nicht verbrauchte Energie ist ein Hauptteil der
Energiewende. Ein weiterer ist die Stromspeicherung. Ich möchte die
Idee, den Elbe-Seitenkanal als Pumpspeicherwerk zu nutzen, voranbringen. Die Errichtung von Kleinwindanlagen, insbesondere in Gewerbegebieten, soll zur Eigenversorgung der Betriebe ermöglicht werden.
Vorreiter der Energiewende sind in den Gemeinden die Stadtwerke. Da
Lüneburg bisher keinen eigenen Energieversorger hat, wollen wir die bisher inaktive, stadteigene Gesellschaft „Regenerative Energien Lüneburg
GmbH“ aktivieren und sie zu eigenen Stadtwerken machen. Die Gesellschaft soll mittelfristig sowohl den Strom- und Gasvertrieb als auch den
Betrieb der Netze übernehmen. Zusammen mit Energiegenossenschaften
wie den Zukunftsgenossen wollen wir mehr erneuerbare Energien in der
Stadt, zum Beispiel durch Photovoltaikanlagen auf Schuldächern, erzeugen und sie in den eigenen Gebäuden selbst verbrauchen. So spart die
Stadt den teuren Einkauf von Strom aus dem Netz.
Wir haben für das Audimax einen festen Betrag zugesagt, nicht einen Anteil an den Kosten. Der Betrag entspricht dem Eigeninteresse der Stadt.
Es wäre falsch, jetzt ohne Not mehr Geld zu geben. Bau und Betrieb von
Krippen ist eine vom Bund auferlegte Aufgabe, für die Bund oder Land
Mittel bereitstellen müssen. Bei Krippen ist die 3. Kraft je Gruppe dringend
notwendig. Für 15 Kinder im Windelalter, die die volle Aufmerksamkeit
der Erzieherinnen suchen, sind zwei Kräfte viel zu wenig. Die Ausgaben
als Schulträger haben sich auch erhöht. In beiden Feldern müssen wir
investieren. Wir müssen Land und Bund überzeugen. Geld sparen wir bei
überflüssigen Brücken und Autobahnen.
Es war leider eine typische Lüge der etablierten Parteien, dass die Kosten
des „Audimax“ nicht steigen würden. Die Finanzplanung ist so wenig
solide wie die Außenwände senkrecht sind. Bevor die Universität wegen
dieses unnötigen Prestigebaus in Finanznöte gerät und Räume fehlen, weil
die Außenstandorte verkauft werden müssen, wird die Stadt ihre Mittel,
ebenso wie Land und Landkreis, aufstocken. Der Schwur der anderen
Parteien, fünf Millionen sei der Deckel, ist ebenso unglaubwürdig wie
beim Berliner Flughafen oder der Elbphilharmonie. Alle Parteien werden
am Ende zur Abwendung eines Desasters für die Mittelaufstockung stimmen – aber nur wir trauen es uns, das zu sagen.
Lüneburg darf nicht dauerhaft von Fördertöpfen abhängig sein. Man
bedenke immer, gefördert wird nur die Investition am Anfang, nicht die
dauerhafte Unterhaltung! Diesen Aspekt und meine Grundhaltung „Sanierung vor Neubau“ will ich viel deutlicher im Auge haben. Aber viele
der Steuereinnahmen aus Lüneburg fließen dem Bund oder den Ländern
zu, die sie kompliziert verteilen und einiges für sich behalten. Es ist Mode
geworden, den Steuerfluss zu bremsen und stattdessen Fördergelder zu
vergeben. Das fördert künstlich Abhängigkeiten. Dem gilt es entgegenzuwirken. Es ist sehr gut, dass wir mit Dr. Julia Verlinden eine wirklich
kompetente Partnerin in Berlin haben.
Neben Finanzkontrolle im Kleinen, z.B. durch Streichung von 90 000
Euro teuren Gefälligkeitsgutachten zur Stiftungsreform, muss rentierlich
investiert werden. Eigene Stromerzeugung spart Stromkosten. Daher
sollten wir damit ebenso wenig warten wie mit Sanierungen städtischer
Gebäude. Selbst wenn kurzfristig Kredite aufgenommen werden, kann
der Ergebnishaushalt so schneller ausgeglichen werden. Wir sind aber,
ebenso wie alle Kommunen, vom Steuerertrag abhängig. Daher wollen
wir die Gewerbesteuer zwar nicht weiter erhöhen, aber auch Architekten,
Apotheker und andere einbeziehen durch die Ausweitung dieser Steuer
zu einer Gemeindewirtschaftssteuer. Dafür ist der Gesetzgeber gefragt.
Vor- und Nachteile halten sich wohl fast die Waage. Aber meiner Meinung
nach muss Lüneburg nicht kreisfrei werden. Das Thema Kreisfreiheit ist
ein Ausdruck (meist männlicher) Eitelkeit. Ich setze mich für einen Politikstil ein, der Gemeinsamkeiten sucht und hervorhebt. Die gemeinsame
Erledigung von Aufgaben wie Ausländeramt, Rechnungsprüfungsamt
oder Lohnbuchhaltung bringt Synergieeffekte. Die Kreisumlage zahlen
wir für die Arbeit, die der Kreis für die Stadt erbringt. Diese Frage ist ein
ständiger Zankapfel. Wegen der Höhe der Umlage streiten gerade Stadt
und Landkreis Celle. Wir beobachten das genau, werden aus dem Ergebnis dort gegebenenfalls. unsere Schlüsse ziehen.
Ich sehe Vor- und Nachteile. Die klaren Zuständigkeiten, wenn Lüneburg
als kreisfreie Stadt alle Kreisaufgaben übernähme, wären ebenso von Vorteil wie der Wegfall des dauernden Verhandelns des Lüneburg-Vertrags.
Der Einsparung bei der Kreisumlage stünden aber auch Mehraufgaben
gegenüber. Auch kann ich Ängste der Umlandgemeinden verstehen, die
womöglich eingemeindet würden. Darum fordere ich bei solchen Gebietsreformen einen verbindlichen Bürgerentscheid, dessen Ergebnis die
Politik dann auch dauerhaft bindet. Kein Abstimmen, bis das Ergebnis
passt. Wenn die Mehrheit eine Gebietsreform hin zur Kreisfreiheit will,
würde dies an mir nicht scheitern.
Ich freue mich über das publikumsnahe und künstlerisch ambitionierte
Programm des Theaters. Wichtig ist mir aber auch, dass bei den Ausgaben für Kultur auch genügend Geld für freie Projekte zur Verfügung
steht, daher würde ich als Stadt den Zuschuss nur in Kooperation mit
dem Theater erhöhen wollen, das heißt, das Theater könnte zum Beispiel
durch Kartenpreise (Orientierung am Solidarpreissystem der tageszeitung
(taz): Solidarpreis, Standardpreis und Unterstützerpreis), Merchandising,
Spenden oder Projektanträge seine Eigeneinnahmen ebenso erhöhen.
Darüber hinaus wünsche ich mir, dass mehr Menschen das Theater auch
anderweitig nutzen können, zum Beispiel über einen Kostümverleih.
Aus strategischen Gründen ist es klug, in Verhandlungen mit dem Land zu
sagen „Von uns gibt es keinen Cent mehr“. Gerade wenn wir das Theater
als sogenannte freiwillige Leistung ansehen, können wir die Selbstgeißel
des Entschuldungsfonds hernehmen, um Mehrkosten abzuwälzen. Klar
ist aber auch: Unser Theater hat eine solche Bedeutung für Kulturschaffende, für Besucher und mittelbar auch für die städtischen Einnahmen,
dass wir es im Zweifel auch stärker unterstützen werden. Dennoch würde
ich gegenüber dem Land wohl mit einer „Wir können nicht mehr tragen“Position in Gespräche hineingehen. Aber heraus kommt man aus Gesprächen ja bekanntlich anders als man hineingeht.
Die grünen SpitzenkandidatInnen Rebecca Harms und Sven Giegold haben beide ihre politischen Wurzeln in Lüneburg. Das ist für mich als grüne
Politikerin aus Lüneburg eine große Sache, es ist aber auch für Lüneburg
eine große Chance. Demokratie erleben wir vor allem vor Ort. Deshalb
muss im europäischen Mehrebenensystem die regionale Ebene gestärkt
werden. Ich will ein Europa mit starken Regionen, das weiter zusammenwächst und begreift, dass es gemeinsame Ziele hat. Ich will Lüneburg mit
anderen Kommunen in Europa vernetzen. Unsere Grüne Jugend betreibt
bereits einen Austausch mit den Young Greens in London. Diesen Ideenaustausch will ich stärken, damit wir voneinander lernen können.
Der Vertrag von Lissabon ist wenig begeisternd. Es muss möglich werden,
Mindestsozialstandards zu setzen und Steuern zu harmonisieren, sodass
sich Länder nicht gegenseitig bei Körperschafts- und Vermögenssteuern
unterbieten, um die Gunst des Großkapitals zu erringen. Auch muss die
EU demokratischer werden: mit einem Parlament, in dem jeder Mensch
gleiches Stimmgewicht hat, egal ob er Luxemburger oder Deutscher ist.
Momentan dominieren in der EU Kapitalinteressen. Beispiel Troika: Niemand hat diese dazu legitimiert, durch eine befohlene Austeritätspolitik
ganze Sozialsysteme abzuschaffen. Ich werbe daher für eine Art Neugründung einer politischen und sozialen Europäischen Union.
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Auch Städter
wählen Landrat
Was wählen wir am 25. Mai?
Das Europäische Parlament, in Lüneburg
den Oberbürgermeister und den Landrat, im
ganzen Landkreis auch den Landrat, in den
Samtgemeinden Ilmenau und Ostheide den
Samtgemeindebürgermeister, in der Stadt Bleckede den Bürgermeister, und in den Samtgemeinden Amelinghausen und Dahlenburg
wird auch noch über die Bildung einer Einheits- statt Samtgemeinde abgestimmt.
Wie viele Wahlzettel bekomme
ich?
Das hängt ganz davon ab, wo ich wohne.
In Lüneburg wären es drei für die EU-Wahl,
die des Oberbürgermeisters und die Landratswahl, in Amelinghausen auch drei, aber für die
Einheitsgemeinde, die EU und den Landrat, in
Bleckede dagegen Bürgermeister, Landrat und
EU. In Gellersen oder Bardowick dagegen
wird nur über EU und Landrat abgestimmt.
Also: Es sind mindestens zwei, maximal drei
Stimmzettel.
Viele Lüneburger staunen, dass
auch sie den Landrat wählen.
Das ist gar nicht erstaunlich, denn die Stadt
Lüneburg ist zwar eine sogenannte große
selbstständige Stadt, die viele Aufgaben selber
erledigt, ja von Land und Landkreis übertragen bekommen hat, es ist auch die wichtigste
und einwohnerstärkste Gemeinde des Landkreises, aber es ist keine kreisfreie Stadt, sondern Teil des Landkreises. Deswegen muss
auch die Stadt Lüneburg viele Millionen im
Jahr an den Kreis abführen, deswegen aber
wählen auch die Lüneburger den Landrat mit.
Letztlich können sie mit ihrer Stimmenmacht
sogar den Unterschied machen.
Was soll die Abstimmung über
die Einheitsgemeinde?
Bei einer Einheits- statt einer Samtgemeinde
gäbe es nur noch eine Verwaltung und einen
Rat mit der Befugnis, die wichtigen Entscheidungen zu treffen. Es gibt zwar in den Dörfern
weiter Bürgermeister oder Ortsvorsteher und
-räte, allerdings wie heute in Oedeme oder
Ochtmissen in der Stadt Lüneburg mit weniger
Befugnissen. Die Befürworter sagen, die Verwaltungsstruktur werde schlanker und billiger,
die Bürgernähe aber bleibe erhalten. Die Gegner der Einheitsgemeinde sagen: Der Einfluss
der Dörfer gehe verloren, die Bürgernähe nehme ab, und das Sparpotenzial ist gering.
Was ist das für ein Durcheinander, hier wird ein Bürgermeister
gewählt, da nicht, und nirgendwo wird ein Rat gewählt?
Genauso ist es, ein großes Durcheinander,
und daran sind die Kommunalpolitiker und die
Landesregierung schuld. Erst wurde die Zweigleisigkeit abgeschafft, also gab es nur noch
einen hauptamtlichen Bürgermeister, vorher
einen Bürgermeister und einen Verwaltungschef. Dann wurde der Bürgermeister nicht wie
der Rat auf fünf, sondern acht Jahre gewählt.
Jetzt wird alles zurückgedreht, und keiner
blickt mehr durch. Also: Die Räte werden erst
wieder in zwei Jahren gewählt. Ab 2016 wird
die Amtszeit der Bürgermeister schrittweise
auf 5 Jahre reduziert, und die Wahltermine
werden synchronisiert, sodass die Bürgermeisterwahlen spätestens ab 2021 zusammen mit
den Kommunalwahlen stattfinden.
Ist das EU-Parlament nicht eigentlich nur ein Debattierclub?
Das Image hängt dem Parlament hartnäckig
an, stimmt aber überhaupt nicht mehr. Europa
bestimmt die Politik bis in den letzten Flecken
des Kreises Lüneburg. Das Parlament der Europäischen Union hat Kompetenzen, wenn
es zusammen mit dem Ministerrat ein Gesetz
beschließt, dann gilt dieses direkt in den Mitgliedsstaaten der Union. Bei rund 75 % der
EU-Gesetzgebung entscheidet das Parlament
mit. Es kann EU-Kommissare verhindern und
den Etat ablehnen oder Untersuchungs-Ausschüsse einsetzen.
S Mehr
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und ein Quiz auf:
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