Persönliche PDF-Datei für Christine Zens • Gitta Jacob

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Persönliche PDF-Datei für
Christine Zens • Gitta Jacob
www.thieme.de
Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag
Schematherapeutische
Supervision –
Schwierige Situationen
verstehen und lösen
10.1055/s-0040-100295
PiD 2015; 16 (01): 51-55
Dieser elektronische Sonderdruck ist nur für die
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Zwecken bestimmt (z. B. im Rahmen des fachlichen
Austauschs mit einzelnen Kollegen und zur Verwendung auf der privaten Homepage des Autors).
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und wissenschaftliche Netzwerke und Plattformen.
Verlag und Copyright:
© 2015 by
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14
70469 Stuttgart
ISSN 1438-7026
Nachdruck nur
mit Genehmigung
des Verlags
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
Christine Zens • Gitta Jacob
Schematherapeutische Supervision
Schwierige Situationen verstehen und lösen
Fallbeispiel
Marianne K., eine 48-jährige Verkäuferin, ist
wegen einer rezidivierenden Depression vor
dem Hintergrund einer selbstunsicheren PS zum
wiederholten Mal in Therapie und aktuell wieder
seit 3 Monaten krankgeschrieben. Ihr Hauptproblem ist Antriebslosigkeit – sie verbringt die meiste
Zeit daheim, im Bett oder vor dem Fernseher,
und kann sich nicht aufraffen, positiven und/
oder sozialen Aktivitäten nachzugehen. Auslöser
der aktuellen Episode war ein Konflikt mit einer
Arbeitskollegin, die sie verschiedentlich auf Fehler
hingewiesen hatte. Frau K. fühlt sich von der Ar-
Schematherapie: Grundkonzepte
und therapeutisches Vorgehen
beitskollegin abgelehnt und gehasst und hat sich
Vordergrund gerückt (z. B. Jacob & Arntz
bisher nicht getraut, mit der Vorgesetzten über
2011). Ein Modus wird verstanden als ein
die Situation zu sprechen – auch weil sie davon
schemaassoziierter Zustand (state). Dabei
überzeugt ist, dass die Vorgesetzte ebenfalls
Die Schematherapie (ST)
kann ein Schema mit verschiedenen Modi
schlecht von ihr denkt. Wenn die Therapeutin
sensu Young (Young et al. 2008) wurde als
einhergehen, die sich v. a. hinsichtlich der
darauf zu sprechen kommt, dass Frau K. den
Weiterentwicklung der kognitiven Verhal-
beteiligten Affekte unterscheiden lassen.
Konflikt ansprechen und aktiver werden sollte,
tenstherapie (KVT) konzipiert. Dabei wurde
In q Kasten 1 sind die zentralen Modus-
beginnt Frau K. in der Regel zu weinen und
das strukturierte Vorgehen der KVT durch
Klassen aufgeführt. Konzeptuell bestehen
drückt Überforderung aus. Frau K.s Mutter war
Elemente weiterer Verfahren ergänzt, ins-
Überlappungen mit der Transaktionsana-
chronisch depressiv, ihr Vater Alkoholiker. Frau K.
besondere aus der Bindungstheorie und
lyse, tiefenpsychologischen Ansätzen (dys-
hat als Kind wenig Fürsorge erlebt, und häufig
humanistischen Verfahren sowie durch die
funktionale Elternmodi als Introjekte) und
verbale Gewalt durch den Vater. Ihre Bewälti-
Fokussierung biografischer Aspekte, einem
Ego-State-Ansätzen bzw. Modellen mit „In-
gungsstrategie war schon immer – wie bei ihrer
Kernelement tiefenpsychologischer Arbeit.
nerer-Kind-Arbeit“.
Mutter – depressiver Rückzug. Im Modusmodell
Hintergrund Maladaptive Schemata werden als Muster
werden ihre Ängste und Unsicherheit als ängstli-
(traits) beschrieben, die nach Young (bild-
cher Kindmodus konzipiert. Die Annahme, dass
hafte) Erinnerungen, Kognitionen, physio-
Schematherapie ist ein integrativer Ansatz,
alle schlecht über sie denken, entspricht dem
logische Reaktionen und Emotionen bein-
der Elemente der Verhaltenstherapie, Tiefen-
strafenden Elternmodus, der insbesondere durch
halten und dann entstehen, wenn zentrale
psychologie und humanistischer Verfahren
den Vater entstand. Ihr Rückzugsverhalten sowie
Kernbedürfnisse in der Kindheit und Jugend
miteinander verbindet.
das Weinen und Vermeiden kritischer Themen
nicht erfüllt wurden. Häufige maladaptive
in der Therapie werden als vermeidender
Schemata sind z. B. Missbrauch, Versagen
oder Aufopferung.
Bewältigungsmodus konzipiert. Im gesunden
Fallkonzeptualisierung Alle wichtigen
Erwachsenenmodus kann Frau K. zumindest zeit-
Symptome, interaktionellen Muster und
weise ihrem Beruf nachgehen.
Schemamodi In der praktischen Arbeit,
Probleme eines Patienten werden im soge-
insbesondere mit schwer gestörten Patien-
nannten Modusmodell den verschiedenen
ten, z. B. mit Persönlichkeitsstörungen (PS),
Modi zugeordnet und mit den relevanten
Therapieziele Das übergeordnete Ziel be-
ist in den letzten Jahren der sogenannte
biografischen Erlebnissen in Verbindung
steht darin herauszuarbeiten, welche Kern-
Schemamodus-Ansatz immer mehr in den
gebracht.
bedürfnisse in Kindheit und Jugend nicht
51
elektronisches Belegexemplar zur persönlichen Verwendung
Die Schematherapie (ST) wurde für Patienten mit schweren Störungen
entwickelt, in deren Behandlung es häufig zu problematischen und
interaktionell herausfordernden Therapiesituationen kommt. Dabei
sind häufig nicht nur Muster des Patienten, sondern auch des
Behandlers aktiviert. In der ST-Supervision können auch Letztere mit
dem sog. Modusmodell konzipiert und geklärt werden. Da der STAnsatz sehr pragmatisch ist, können auch Supervisionssituationen,
die andere Behandlungsverfahren als Schematherapie zum
Gegenstand haben, bearbeitet werden. Der Übergang zur Selbst­
erfahrung ist dabei fließend und muss immer reflektiert werden.
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
Kasten 1
Kasten 2
Schema-Modi
Modusspezifische Ziele der Behandlung
▶▶ Funktionale Modi beschreiben gesunde Anteile einer Person. Im Modus des gesunden
▶▶ Die Gefühle des verletzbaren Kindmo­
Erwachsenen können Ziele in Abstimmung mit der Umwelt verfolgt, Verantwortung
dus werden validiert und prozessiert,
übernommen und Selbstfürsorge betrieben werden. Im glücklichen Kindmodus können
der Patient in diesem Modus getröstet
Ressourcen durch Spaß und kindliches Vergnügen wieder aufgebaut werden.
und gestärkt. Kernbedürfnisse und
▶▶ Maladaptive Kindmodi sind gekennzeichnet durch intensive und übermäßige negative
Gefühle von z. B. Angst, Ohnmacht, Trauer, Verzweiflung oder Wut, Ärger und Frustration.
Kindmodi werden nach dem im Vordergrund stehenden Gefühl benannt, es werden
Emotionen sollen erkannt und
anerkannt werden.
▶▶ Gefühle der ärgerlichen Kindmodi
vulnerable (einsame, misshandelte, traurige, dependente), ärgerlich/wütende und
werden ventiliert, bzgl. der dahinterlie­
undiszipliniert/impulsive Kindmodi unterschieden.
genden Bedürfnisse validiert und ein
▶▶ Dysfunktionale Elternmodi sind mit starken negativen Gefühlen in Form von Selbsthass,
Schuld oder Perfektionismus und Druck auf sich selbst verbunden (Introjekte). Es wird
angemessener Ausdruck angeleitet.
▶▶ Impulsive/undisziplinierte Kindmodi
angenommen, dass sie sich durch den Einfluss wichtiger Bezugspersonen in Kindheit und
werden hinsichtlich der zugrundliegen­
Jugend entwickeln. Ein leistungsfordernder Modus beinhaltet hohe Anforderungen und
den Bedürfnisse wahrgenommen,
Perfektionismus, ein schuldinduzierender Modus überhöhte Verantwortlichkeit für das
jedoch auch begrenzt. Frustrationstole­
Wohlergehen anderer. Ein strafender Modus ist gekennzeichnet durch internalisierte
Entwertungen, Vernachlässigung oder andere intensive negative Erfahrungen, z. B. Traumata.
▶▶ Dysfunktionale Bewältigungsmodi bezeichnen Zustände, mit denen Patienten sich vor
starken negativen Emotionen schützen (Abwehrmechanismen). Im Unterwerfungsmodus
stellen sich Patienten auf die Bedürfnisse anderer ein und lassen eigene Bedürfnisse kaum
zu. Im Vermeidungsmodus werden Gefühle durch aktive oder passive Vermeidungsstrate­
ranz wird angeleitet.
▶▶ Dysfunktionale Elternmodi werden in
Frage gestellt, reduziert und mithilfe
von Stuhldialogen oder in der Imagina­
tion bekämpft.
▶▶ Dysfunktionale Bewältigungsmodi
gien, z. B. durch Dissoziation, Rückzug oder Drogenkonsum unterdrückt bzw. verhindert.
werden benannt, empathisch konfron­
Im Überkompensationsmodus werden negative Gefühle durch dominierende, aggressive
tiert, in Bezug auf die Gegenwart
oder kontrollierende Emotionen und Verhaltensmuster „ersetzt“.
hinterfragt und reduziert.
▶▶ Gesunde Modi werden gestärkt und
gefördert.
erfüllt wurden und welche Schemata und
peutisch behandelten Fällen gemeint ist, die
Modi daraus entstanden sind. Korrigierende
typischen Lernziele von Supervision in der
emotionale Erfahrungen in der Gegenwart
Psychotherapieaus und -fortbildung. Wie
Kasten 3
sollen ermöglicht und Patienten darin ange-
in jedem therapeutischen Ansatz gibt es
Beispiele für schematherapeutische
leitet werden, ihre Schema- und Modusakti-
hier spezifische Schwerpunkte. Insbeson-
Behandlungsstrategien
vierungen selbständig zu erkennen und zu
dere die emotionsfokussierenden Techniken
▶▶ kognitiv: Psychoedukation,
regulieren. Dabei wird prinzipiell modus-
und die therapeutische Beziehungsgestal-
Pro-& Kontra-Listen, Reframing,
spezifisch vorgegangen (q Kasten 2).
tung im Sinne des „Limited Reparenting“
Korrektur von Verzerrungen
(q ­Kasten 3) stellen angehende Schemathe-
▶▶ emotionsfokussierend: Stuhldialoge,
Interventionsstrategien Die Behand-
rapeuten mitunter vor große Herausforde-
Imaginatives Überschreiben
lung (q Kasten 3) erfolgt mit kognitiven,
rungen und sind häufig neu. Zudem werden
▶▶ behavioral: Stimuluskontrolle,
emotionsfokussierenden und behavioralen
tendenziell sehr schwierige und komplexe
Wahrnehmungstraining, Rollenspiele
▶▶ Therapiebeziehung: begrenzte
Techniken und der Arbeit mit der thera-
Störungsbilder behandelt, was eine weitere
peutischen Beziehung. Die Techniken sind
Herausforderung darstellt. q Kasten 4 fasst
Nachbeelterung (Limited Reparenting)
prinzipiell für die Arbeit mit jedem Modus
die typischen Anliegen der Fallsupervision
mit sowohl fürsorglichen als auch
anwendbar.
in der ST zusammen.
begrenzenden Aspekten (Limit Setting);
empathische Konfrontation der
Supervision in der
Schematherapie
Eigene Muster des Therapeuten beachten Die ST-Supervision bietet über die
Patienten mit den Auswirkungen ihres
Arbeit mit dem Fall im Sinne der Vermitt-
spezifischen Modus
lung angemessener Behandlungstechniken
Supervisionsziele in der ST Zum einen
hinaus die Möglichkeit, auch die ungüns-
verfolgt ST-Supervision, insbesondere wenn
tigen Muster des Therapeuten in spezifi-
damit die Supervision von schemathera-
scher Weise einzubeziehen. ST wurde v. a.
52
schädlichen Verhaltens in einem
elektronisches Belegexemplar zur persönlichen Verwendung
Aus der Praxis
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
für Patienten entwickelt, die interaktionell
gehören unrealistische Erwartungen in Be-
problematisch und symptomatisch schwer
zug auf die Veränderungsmöglichkeiten des
und unterstützende Haltung einnehmen. Es
gestört sind. Die damit verbundenen He-
Patienten, Überengagement oder eine über-
geht darum, eine validierende, angstfreie
rausforderungen aktivieren oftmals auch
mäßige Übernahme von Verantwortung für
und förderliche Atmosphäre zu schaffen, in
die Schemata und Modi des Therapeuten
den Therapiefortschritt (Jacob 2011). Vie-
der die Stärken des Supervisanden gesehen
in besonderem Maße; es können also ne-
len Therapeuten fällt es schwer, Patienten
und wertgeschätzt werden. Oft ist es sinn-
ben intensiven Übertragungs- auch sehr
mit dysfunktionalen Mustern zu konfron-
voll, dass der Supervisor im begrenzten
ungünstige Gegenübertragungsprozesse
tieren oder starke Emotionen auszuhalten.
Maße Selbstöffnung betreibt und auch von
auftreten. Mit dem Modusmodell können
Wenn Ziele nicht erreicht werden, reagieren
eigenen Schwächen berichtet. Er geht im
diese Gegenübertragungsprozesse analog
manche Therapeuten mit Versagensgefüh-
Rahmen der Supervisionsbeziehung auf die
zur Konzeptualisierung von Patientenfällen
len, Rückzugstendenzen oder auch Ärger
Gefühle und Bedürfnisse des Supervisanden
oder Abwertung des Patienten. In Modus-
ein. Supervisanden werden auch mit even-
Termini ausgedrückt lassen sich Schuldge-
tuellen Behandlungsfehlern empathisch
konzipiert und bearbeitet werden (q Abb. 1).
Typische dysfunktionale Muster von
Therapeuten Es lassen sich immer wie-
fühle und übermäßige Verantwortung z. B.
konfrontiert und konkrete Veränderungen
einem schuldinduzierenden Elternmodus
angeleitet (Zens & Jacob 2015). Der Supervi-
der typische Probleme bei Therapeuten be-
zuordnen. Scham oder Versagensgefühle
sor bietet so ein Modell für einen gesunden
obachten, die oft eher zu Beginn der thera-
können zu verletzlichen Kindmodi gehören.
Erwachsenen- bzw. Therapeutenmodus an.
peutischen Tätigkeit auftreten, jedoch auch
Vermeidung oder Rückzug könnten einen
erfahrene Kollegen betreffen können. Dazu
vermeidenden Bewältigungsmodus darstel-
Fallbeispiel Supervisandin
len, während Abwertung des Patienten auf
Überkompensation hinweist.
Ziele von Schematherapie-Fallsupervision
(nach Nadort et al. 2012)
▶▶ adäquate Handhabung der
therapeutischen Beziehungsarbeit und
der kognitiven, behavioralen und
emotionsfokussierenden Elemente
▶▶ umfassende Fallkonzeptualisierung
und regelmäßige Diskussion der
Falldarstellung
Ausbildungsambulanz als Fall zugewiesen. Sie
Therapeuten sollten eigene Schemata und
soll KVT mit schematherapeutischen Elementen
Modi gut kennen, um nicht spontan falsch
kombinieren, da bisherige reine KVT-Behand­
zu reagieren oder wichtige Elemente der
lungen Frau K. nicht nachhaltig geholfen
Therapie zu vermeiden. Die Auseinanderset-
haben. Auf die Supervisorin wirkt Frau M. relativ
zung mit den eigenen dysfunktionalen Mus-
gestresst und angespannt, als sie von diesem
tern ist wesentliche Grundlage für die Quali-
Fall berichtet. Sie zeigt einen Videoausschnitt,
tät der eigenen Arbeit und das Verständnis
in dem sie versucht, mit Frau K. über ihr starkes
des interaktionellen Prozesses.
Rückzugsverhalten und ihre Vermeidung zu sprechen. Frau K. beginnt zu weinen, die Therapeu-
▶▶ respektvolles positives und kritisches
Feedback
▶▶ Einsatz von Protokollen, Audio- und
Videomaterial
▶▶ Einsatz von Rollenspielen
▶▶ Störungen durch Bewältigungsmuster
aufzeigen, Veränderungsmöglichkeiten
anleiten
▶▶ Anleitung zur Beobachtung eigener
emotionaler Aktivierungen in der
Therapie
▶▶ Anregung/Anleitung zur Selbsterfah­
rung bei Gegenübertragungsphänomen
▶▶ Einsatz von ST-Techniken, um dem
Supervisanden die Aktivierung eigener
Schemata und Modi erfahrbar zu
machen und ggf. zu bearbeiten
▶▶ Achtsamkeit hinsichtlich der Beziehung
zwischen Supervisand und Supervisor
Frau M., eine 28-jährige Therapeutin,
bekommt Marianne K. (Beispiel oben) in der
Kasten 4
tin reagiert darauf, indem sie sich sehr vorlehnt,
Ungünstig verlaufende interaktionelle
beruhigend auf die Patientin einwirkt, und
Wechselwirkungen zwischen den Modi
versucht, ihr verschiedene Vorschläge zur Reduk-
von Therapeut und Patient können so ver-
tion der Vermeidung „schmackhaft zu machen“.
hindert bzw. zügig aufgelöst werden. Bei
Die Patientin reagiert darauf entlastet, verlässt
ausreichender Distanz zu eigenen Anteilen
jedoch ihre passive Haltung nicht.
können die emotionalen Reaktionen auch
Bei der Reflexion dieser Situation wird deutlich,
therapeutisch genutzt werden, z. B. diagnos-
dass Frau M. eigentlich weiß, dass ihre Patientin
tische Hinweise auf den Modus eines Pati-
sich mit ihrer passiven Haltung auseinander-
enten liefern (Zens & Jacob 2014).
setzen muss; wenn diese jedoch beginnt zu
weinen und sich überlastet zeigt, fühlt sich die
Beziehungsgestaltung in der Supervision Für viele Supervisanden ist das
Therapeutin so schlecht, dass sie alles tut, um
Zeigen von Videoaufzeichnungen aus ihren
deutet, dass sie nicht bei ihrer Linie bleiben kann
Behandlungen und die Fokussierung von
und die Patientin es weiterhin vermeidet, sich
die Patientin zu entlasten – auch wenn dies be-
eventuellen Schwierigkeiten innerhalb der
mit ihren Mustern auseinanderzusetzen. Frau M.
Therapiebeziehung gerade zu Beginn der
weiß selbst nicht, warum ihr diese Konfrontation
Supervision oft unangenehm oder sogar
so schwer fällt – sie kann allerdings spüren, dass
beängstigend. Darüber sollte der Supervisor
sie mit starken Schuldgefühlen verbunden ist.
53
elektronisches Belegexemplar zur persönlichen Verwendung
sich bewusst sein und eine wertschätzende
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
Aus der Praxis
Die Supervisorin bespricht mit Frau M. die
zen
gesunder
Erwachsenmodus
berufliche und private Ressourcen und
Kompetenzen
Möglichkeit, diese Situation mit schematherapeutischer Arbeit an ihren eigenen Mustern zu
bearbeiten. Sie leitet Frau M. an, sich imaginativ
versetzen. Frau M. spürt Schuldgefühle beim
Versuch, die Patientin mit ihrer Passivität zu
konfrontieren. Sie fokussiert ganz auf diese
Schuldgefühle und geht dann über eine Affektbrücke in ihre Kindheit.
Eine Affektbrücke stellt eine assoziative
Unterwerfungsmodus
strafender Modus
aktiver sein als der Patient
„Deine Gefühle sind lächerlich“
sich übermäßig engagieren
die eigenen Grenzen
überschreiten lassen
fordernder Modus
„Du musst gut sein, etwas leisten“
schuldinduzierender Modus
Vermeidungsmodus
„Du bist für andere verantwortlich“
Vermeidung von Emotionen,
bestimmten Themen oder
Übungen
„Du musst dich um Andere
kümmern“
Distanziertheit, Erschöpfung
Verbindung zwischen einem zurückliegenden
Vermeidung einer engen
Therapiebeziehung
Ereignis und einer gegenwärtigen Situation her,
die mit gleichen oder ähnlichen Gefühlen und
körperlichen Empfindungen einhergehen. Die
ehemaligen Gefühle und körperliche Empfind-
verletzliche Kindmodi
unsicher, schuldig, beschämt,
alleine, hilflos
ungen können mithilfe imaginativer Verfahren
aktualisiert und intensiviert werden, um so den
Zugang zur therapeutischen Bearbeitung zu
ärgerliches Kind
wenn Bewältigungsstrategien
scheitern
ermöglichen.
Überkompensationsmodus
narzisstisch: Selbstüberhöhung (sich
selbst und/oder den Patienten)
kontrollierend: Versuch, den Patienten
zu kontrollieren, um Fortschritte zu
sichern
Aufmerksamkeitssuchend: sich so
verhalten, dass man für den Patienten
sehr wichtig wird
Über die Affektbrücke „landet“ Frau M. sofort
in einer Situation mit ihrer eigenen Mutter.
Abb. 1 Prototypisches Modusmodell von Therapeuten.
Diese war chronisch depressiv und von vielen
Dingen überfordert. Wenn Frau M. ein etwas
Schematherapeutische
Super­vision in anderen
Kontexten
Fallbeispiel Teamsupervision
Im Folgenden werden die Schuldgefühle einem
Der beschriebene Supervisionsansatz ist sehr
Supervision ein: Die Mitglieder des Teams gehen
schuldinduzierenden Muttermodus zugeordnet,
pragmatisch daran orientiert, ungünstige
unterschiedlich damit um, wenn Patienten
der von der Patientin dadurch getriggert wird,
Situationen rasch zu analysieren, auf den
mit Disziplinproblemen Regeln brechen (z. B.
komplizierteres Anliegen oder Bedürfnis hatte,
erlebte sie oft, dass ihre Mutter zu weinen
begann. Dann fühlte sie sich schuldig und zog
Das Team einer psychiatrischen Tagesklinik
bringt einen wiederholten Konflikt in die
ihr Anliegen rasch zurück.
dass sie sich ähnlich verhält wie die Mutter. Im
Punkt zu bringen, und durch emotionsfokus-
morgens mehr als 10 min. zu spät kommen).
weiteren Verlauf kann an der Reduktion von
sierende Techniken effektiv zu verändern. Er
Einige Mitglieder bestehen fast rigide auf die
Frau M.s Schuldgefühlen in der Patientenarbeit
ist nicht an einen spezifischen theoretischen
Einhaltung der Regeln, während andere eher
gearbeitet werden, z. B. mit Stuhldialogen, in
Hintergrund gebunden und dadurch an viele
zu oft „ein Auge zudrücken“. Der Konflikt
denen Frau M. den schuldinduzierenden Modus
verschiedene Ansätze oder Supervisoren-
schaukelt sich öfters zwischen der Stations­
zurückweist und sich klarmacht, dass sie nicht
Typen „anschlussfähig“. Daher kann er prin-
leitung, einer 54-jährigen, recht strengen
für die kurzfristige Stabilisierung der Patientin
zipiell auch in Supervisionssituationen, die
„Psychiatrieschwester alter Schule“ und ihrem
verantwortlich ist, sondern für ihre langfristige
nicht die ST-Fallsupervision zum Gegenstand
Stellvertreter hoch. Dieser Kollege ist ein
Auseinandersetzung mit ihren Mustern. Imagi­
haben, eingesetzt werden. So könnte etwa
37-jähriger Quereinsteiger, der nach 10 Jahren
native Techniken können ebenfalls genutzt
die Supervision von Frau M. (s. o.) genauso
erlebnispädagogischer Arbeit und 2 Jahren in
werden, um das übermäßige Gefühl von Verant-
verlaufen wie beschrieben, wenn sie eine
einer Hippie-Kommune eine Pflegeausbildung
wortung und Schuld zu bearbeiten.
verhaltenstherapeutische oder tiefenpsy-
absolvierte. Ein beruhigender Einfluss kommt
chologische Behandlung ihrer Patientin an-
oft von der Musiktherapeutin; sie ist ein sehr
strebt – das Einverständnis der Supervisan-
mütterlicher und bodenständiger Typ, der im-
din selbstverständlich vorausgesetzt! Auch
mer wieder in der Lage ist, die beiden Stations­
Mit dem Schematherapie-Konzept können
Teamsupervisionen können, sofern dies von
leiter zu versöhnen.
auch dysfunktionale Muster des Therapeuten
allen Beteiligten gewünscht ist, mit diesem
Anhand des Moduskonzeptes lässt sich
bearbeitet werden.
Modell gestaltet werden – grundsätzlich un-
herausarbeiten, dass die betreffenden Patienten
abhängig davon, ob das Team selbst schema-
i. d. R. selbst Konflikte zwischen ihrem undiszi-
therapeutisch arbeitet oder nicht.
plinierten Kindanteil (Regeln brechen) und
54
elektronisches Belegexemplar zur persönlichen Verwendung
in die Situation mit der Patientin hineinzu-
Psychotherapie im Dialog 1• 2015
Fazit
ihrem gesunden Erwachsenenmodus (Regeln
Der Schematherapie-Supervisionsansatz
einhalten) aufweisen. Häufig zeigen sich zu-
lässt sich auch in Settings einsetzen, in de-
Mit der Schematherapie-Supervision steht
sätzlich dysfunktional fordernde Elternmodi
nen nicht Schematherapie-Fallsupervision im
ein Konzept zur Verfügung, mit dem Thera­
(z. B. sich massiv abwerten für nicht verschul-
Vordergrund steht.
peuten auf 3 Ebenen lernen können:
über eine Vermittlung der Techniken
1. dete Verspätung um 2 min.), die die Situation
durch Erklären und Üben,
verkomplizieren. Die verschiedenen Teammiteigenen Geschichten und Charaktere – unter-
Supervision und Selbsterfahrung
2. über das Erfahren der Techniken durch
Konzeptualisierung der eigenen Muster,
3. über die Veränderung eigener dysfunk­
schiedlich stark mit diesen verschiedenen
In der ST-Supervision überschneiden sich
tionaler Muster, insbesondere durch den
stellvertretend für die dysfunktional fordernden
Supervision und Selbsterfahrung. In aller
Einsatz emotionsfokussierender Techni­
Modi, ihr Stellvertreter verkörpert eher das
Regel treten die jeweiligen Muster von The-
undisziplinierte Kind und die versöhnende
rapeuten auch in anderen Situationen in
Auch wenn die Schematherapie als Heilbe­
Musiktherapeutin repräsentiert die gesunde
ihrem Leben auf, sodass die Selbsterfahrung
handlung gerade bei Patienten mit Persön­
erwachsene Seite
nicht nur patientenorientiert sein muss. Es
lichkeitsstörungen empfohlen wird, lässt
In einem Stuhldialog mit diesen 3 Anteilen wird
ist wichtig, dass dieses Moment im Vorfeld
sich erfahrungsgemäß auch allgemeine
der Konflikt vom Team nachgespielt, wobei alle
mit dem Supervisanden geklärt und ein
Selbsterfahrung
Teammitglieder aufgefordert sind, spielerisch in
entsprechender Auftrag eingeholt wurde. Es
sehr gut damit unterstützen. Dabei ist der
die verschiedenen Rollen zu schlüpfen. Dadurch
ist zwar in der Supervision grundsätzlich
Ansatz so flexibel, dass hinsichtlich Setting
kann der Konflikt erfahrungsnah und gleichzeitig
notwendig, Supervisanden mit therapeuti-
und Problematiken grundsätzlich keine
mit Distanz und Humor bearbeitet werden. Am
schen Fehlern aufgrund eigener Muster zu
Grenzen bestehen. Wichtig ist jedoch im­
Ende des Stuhldialoges geht es darum, welche
konfrontieren. Der Einbezug von Selbster-
mer, in einer Auftragsklärung vorab mit
Kompromissvorschläge von der gesunden
fahrungselementen zur Auflösung zugrun-
dem Supervisanden zu besprechen, ob an
erwachsenen Seite entwickelt werden können,
deliegender eigener Muster bedarf jedoch
Problemen in der beschriebenen intensiven
damit weder der fordernde Elternmodus noch
immer des Einverständnisses des Supervi-
Art gearbeitet werden soll.
das undisziplinierte Kind die Oberhand gewinnen,
sanden. In der Supervision sollten v. a. Mus-
z. B. durch eine verbindliche, aber nicht übertrie-
ter bearbeitet werden, die innerhalb relativ
ben strenge Regelung im Umgang mit Verspätun-
kurzer Zeit aufgelöst werden können. Für
gen. Ein wichtiges Moment dieser Arbeit ist, dass
die Bearbeitung intensiverer Schemata bzw.
die beiden Stations­leiter jeweils Empathie für die
Modi sollte ein Supervisand auch auf die
Sichtweise des Kollegen entwickeln, sodass die
externe Selbsterfahrung oder auf Therapie
Polarisierung reduziert wird.
verwiesen werden.
Anteilen. Die strenge Stationsleitung steht dabei
Dipl.-Psych.
Christine Zens
Institut für Schematherapie Hamburg
Harvestehuder Weg 98
20149 Hamburg
christine.zens@hamburg.
de
Psychologische Psychotherapeutin mit Schwerpunkt
Verhaltenstherapie; Fortbildungen in Schematherapie
sowie EMDR und Hypnose; Dozentin, Supervisorin
und Selbsterfahrungsleiterin in Verhaltenstherapie
und Schematherapie; Psychotherapeutische Tätigkeit
in ambulanter Praxis. Seit 2009 Leiterin des Instituts
für Schematherapie Hamburg.
PD Dr. Gitta Jacob,
Dipl.-Psych.
Psychologische Psychotherapeutin mit Schwerpunkt
VT und Supervisorin für
VT und Schematherapie;
langjährige klinische und
wissenschaftliche Tätigkeit
an der Uniklinik Freiburg,
Abteilung Psychiatrie und
Psychotherapie und an der Universität Freiburg,
Klinische Psychologie und Psychotherapie; Forschungsschwerpunkte: Emotionsregulation und Impulsivität bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung,
Mechanismen emotionsorientierter Techniken und
Schematherapie; seit 2013 leitende Psychotherapeutin bei der GAIA AG, Hamburg.
ken.
und
Selbstentwicklung
Interessenkonflikt
Die korrespondierende Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Beitrag online zu finden unter
http://dx.doi.org/10.1055/s-0040-100295
Literatur
Jacob G, Arntz A. Schematherapie in der Praxis. Weinheim:
Beltz; 2011
Jacob G. Überlegungen zum Nutzen schematherapeutischer
Konzepte in der Selbsterfahrung bei der Ausbildung von
Verhaltenstherapeuten. Verhaltenstherapie 2011; 21:
186–192
Nadort M, van Genderen H, Behary W. Training and Supervision in Schema Therapy. In: Vreeswijk M., Broersen J, Nadort
M, eds. The Wiley-Blackwell Handbook of Schema Therapy: Theory, Research, and Practice. Chichester: Wiley;
2012: 453–462
Young J, Klosko J, Weishaar M. Schematherapie. Ein praxis­
orientiertes Handbuch. Paderborn: Junfernmann; 2008
Zens C, Jacob G. Schwierige Situationen in der Schematherapie.
Weinheim: Beltz; 2014
Zens C, Jacob G. Schwierige Situationen in der Schematherapie.
Weinheim: Beltz Video Learning; 2015
55
elektronisches Belegexemplar zur persönlichen Verwendung
glieder sympathisieren – auch aufgrund ihrer
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