9 Grundlagen von Defibrillation und antitachykarder Stimulation

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9 Grundlagen von Defibrillation und antitachykarder Stimulation
Grundlagen von Defibrillation
und antitachykarder Stimulation
Defibrillation
!
S. Accinelli, B. Schubert, S. Hahn,
R. Willems und G. Fröhlig
Das Wichtigste in Kürze
Bei Kammerflimmern erzeugen Defibrillatoren ein
elektrisches Feld, das erregbares Ventrikelmyokard
einheitlich depolarisiert und die Refraktärität bereits erregter Zellen soweit verlängert, dass die Fortleitung von Flimmerwellen blockiert und Kammerflimmern terminiert wird. Bedingung ist, dass trotz
inhomogener Feldverteilung eine „abgestufte Antwort“ regionaler Myokardbezirke vermieden und
überall die „obere Vulnerabilitätsgrenze“ erreicht
wird, jenseits derer die Schockeinwirkung neue Wellenfronten nicht entstehen lässt.
Die Beziehung zwischen Stärke des Schocks und
Defibrillationserfolg gehorcht nicht einer singulären
Schwellenbedingung, sondern folgt einer S-förmigen Wahrscheinlichkeitsfunktion, die sich nur mit
sehr hohen Feldstärken der 100 %-Marke annähert.
Wesentliche Einflussfaktoren sind die Elektrodenkonfiguration (single-, dual coil, hot can), die Morphologie des Schockimpulses (Tilt, Pulsbreite, monooder biphasische Charakteristik) und individuelle
Faktoren (linksventrikuläre Masse, Ischämie, Medikation).
Epikardiale Systeme sind historisch, allenfalls die
Alternative bei venösen Implantationshindernissen;
wegen ihrer überlegenen Komplikationsstatistik ist die
endokardiale Sondenanordnung die Voraussetzung
auch für primärpräventive Behandlungsstrategien.
Kammerflimmern und ventrikuläre
Defibrillation
Kammerflimmern (VF) ist eine völlig desorganisierte
Rhythmusstörung der Ventrikel. Elektrokardiographisch ist es durch ein scheinbar verrauschtes, niederamplitudiges Signal ohne diskret erkennbare QRSKomplexe gekennzeichnet. Zugrunde liegen multiple
elektrische Erregungsfronten, die zufällig und scheinbar zusammenhanglos innerhalb des Kammermyokards kreisen. Die Desorganisation während VF führt
zur elektromechanischen Entkopplung und zum Verlust einer geordneten ventrikulären Kontraktion. Die
Folgen sind das Versiegen jeder Pumpleistung des Herzens und der hämodynamische Zusammenbruch.
Kammerflimmern ist eine schwerwiegende Arrhythmie, die ohne sofortige Therapie zum irreversiblen
Schaden an Hirn und Herz und binnen Minuten zum
Tod führt. Kammerflimmern ist für 75–85 % aller plötzlichen Todesfälle bei Menschen mit kardialen Erkrankungen verantwortlich.
Die häufigste Ursache für Kammerflimmern ist der
Myokardinfarkt; die Liste von Umständen, die sonst zu
dieser fatalen Arrhythmie führen können, umfasst:
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
neben akuten auch zurückliegende Herzinfarkte,
die akute Myokardischämie,
kongenitale Anlagestörungen des Herzens,
Erkrankungen des Herzmuskels (Kardiomyopathien),
genetische Störungen (Long QT-, Brugada-Syndrom),
Elektrolytverschiebungen (Hypokaliämie, Effekte
von Natrium- oder Kaliumkanalblockern, Diuretika),
Störungen des Säure-Basen-Haushalts,
Elektrounfälle oder direktes Herztrauma, und
Ertrinken.
Kammerflimmern ist ein medizinischer Notfall; um das
Leben zu retten, müssen sofort Maßnahmen zur kardiopulmonalen Reanimation eingeleitet werden. Dies
geschieht mittels externem oder internem Defibrillator,
welcher transthorakal oder von innerhalb des Herzens
einen elektrischen Schock abgibt und Kammerflimmern terminiert. Um den wiederhergestellten Rhythmus und die hämodynamische Funktion zu stabilisieren, sind oft begleitende Akutmaßnahmen im Rahmen
der kardiopulmonalen Reanimation notwendig. Nach
erfolgreicher Rhythmuskonversion muss nach Ursachen der Rhythmusstörung gefahndet werden, um neuerlichen Episoden vorbeugen zu können.
Historischer Hintergrund
Kammerflimmern wurde erstmalig von Ludwig und
Hoffa im Jahre 1849 beschrieben. 1888 notierte der Kliniker MacWilliam, dass Kammerflimmern die Ursache
des plötzlichen Herztodes sein könnte und begründete
so die Idee der Defibrillation (15). Elf Jahre später entdeckten Prevost und Batelli, dass Kammerflimmern unterbrochen werden konnte, wenn man auf das Herz
eines Tieres eine hohe elektrische Spannung einwirken
ließ. Die erste klinische Erfahrung mit externen Defibrillatoren begann im Jahre 1932 mit Kouwenhoven
(20, 27). Die erste erfolgreiche Defibrillation eines
menschlichen Herzens wurde aber erst 1947 durch
Beck, einen Chirurgen aus Cleveland, mitgeteilt (16).
Fröhlig, Carlsson, Jung, Herzschrittmacher- und Defibrillator-Therapie (ISBN 3131171812), © 2006 Georg Thieme Verlag
Defibrillation
1956 führte Zoll die erste erfolgreiche externe Defibrillation am geschlossenen Thorax eines Menschen durch
(50).
Die frühen Konzepte elektrischer Defibrillation
nutzten haushaltsüblichen 60 Hz-Wechselstrom, der
mittels Step-up-Transformator auf höhere Spannungen
gebracht wurde. Aus Gründen der Portabilität wurden
in den 1950er Jahren Gleichstrom-Defibrillatoren entwickelt und deren höhere Effektivität belegt.
Der erste tragbare Defibrillator wurde an der Johns
Hopkins-Universität entwickelt. Über eine Entladedauer von 14 ms sah er Schocks mit einer positiven und
einer negativen Phase von je 100 Joules (J) vor. Mit Zubehör wog die Einheit nur 50 amerikanische Pfund
(22,5 kg), während das Gewicht eines Standard-Defibrillators typischerweise bei mehr als 250 Pfund lag
(112,5 kg). Das System wurde nur kurz in der Elektrogeräte-Industrie vermarktet. Fortschritte in der Technologie elektrischer Komponenten ermöglichten schließlich batteriebetriebene Gleichstrom-Defibrillatoren.
1966 konnten Pantridge und Geddes (Belfast) berichten, dass die Nutzung solcher Geräte durch eine
koronare Rettungseinheit das Überleben nach Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses verbesserte (34).
Über die nächsten 20 Jahre gewann die Schocktherapie
Akzeptanz.
Erste Prototypen automatischer externer Defibrillatoren (AED) wurden zwischen 1974 und 1980 durch
Diack, Rullman, Welborn und andere entwickelt und
kommerziell ab Mitte der 1970er Jahre vertrieben.
Der implantierbare Kardioverter-Defibrillator
(ICD) wurde von Mirowski konzipiert und 1980 erstmalig einem Menschen implantiert (29). Dieser ICD wog
etwa 250 g. Technologischer Fortschritt hat ICDs seither
wesentlich kleiner werden lassen und mit hoch entwickelten Mikrocomputern ausgestattet, die eine große
Spannbreite ventrikulärer Arrhythmien behandeln
können. Viele Studien wie MADIT, MUSTT, AVID, MADIT
II und SCD-HeFT (Kapitel 8 ICD-Indikationen) haben eine statistisch signifikante Verbesserung des Überlebens
durch ICD-Therapie belegt. Die Bedeutung dieser The-
337
rapieform ist an gegenwärtig 100.000 Implantationen
jährlich abzulesen.
Die Mehrzahl plötzlicher Herztodesfälle infolge
Kammerflimmerns ereignet sich ohne Vorwarnung in
Populationen mit scheinbar niedrigem Risiko. Erfolgreiche Wiederbelebung außerhalb der Klinik ist selten;
das Überleben nach dokumentiertem Kammerflimmern variiert zwischen 4 und 32 % (14) und hängt von
der Verfügbarkeit einer Schock-Ausrüstung an Orten
außerhalb des Krankenhauses und von der Reaktionszeit der Rettungsteams ab, die mit der Verkehrsbelastung in großen Städten zunimmt. Für Patienten, die
dennoch erfolgreich reanimiert werden, beträgt das
Risiko eines Arrhythmie-Rezidivs im nächsten Jahr
25–30 % (1).
Grundlagen
Elektrophysiologie des Kammerflimmerns
Monomorphe Kammertachykardien entstehen unter
Bedingungen, die eine rasche, immer wiederkehrende
Aktivierung des Ventrikels durch eine einzige Erregungsfront erlauben. Sie können aus
➤ abnormer Automatie ventrikulärer Zellen,
➤ getriggerter Aktivität oder
➤ ventrikulären Reentry-Kreisen entstehen.
Kammerflimmern ist eine besonders maligne Form der
Tachykardie, bei der die elektrische Aktivität der Ventrikel in viele Erregungsfronten zersplittert wird. Elektrokardiographisch imponiert VF gewöhnlich als niederamplitudiges, fragmentiertes Signal ohne erkennbare QRS-Komplexe, dessen Morphologie sich stets wandelt und Frequenzen jenseits 250–300 min-1 aufweist
(Abb. 9.1). Die fragmentierte Erregung der Ventrikel
lässt einzelne Myokardabschnitte unkoordiniert arbeiten und keine wirksame Kontraktion mit Auswurf von
Blut mehr zustande kommen.
Abb. 9.1 Typische Elektrokardiographie von Sinusrhythmus (oben) und Kammerflimmern (unten).
Fröhlig, Carlsson, Jung, Herzschrittmacher- und Defibrillator-Therapie (ISBN 3131171812), © 2006 Georg Thieme Verlag
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9 Grundlagen von Defibrillation und antitachykarder Stimulation
In den 1940er Jahren beschrieb Wiggers 4 Phasen des
Kammerflimmerns (45):
1. die „undulatorische“ Phase beginnt mit den ersten
wenigen Zyklen (1–2 s) und stellt den Übergang von
Sinusrhythmus zu Kammerflimmern dar. Diese Phase kann mit einer oder einigen Depolarisationen beginnen, die noch eine bescheidene Kontraktion des
Ventrikels erlauben. In diesem Stadium könnte ein
normaler Rhythmus relativ leicht wiederhergestellt
werden, doch ist der Zeitraum zu kurz, um als Gelegenheit genutzt zu werden.
2. Die ersten schnellen Aktionen lassen das Aktionspotential kürzer und die Leitungsgeschwindigkeit geringer werden mit der Folge, dass die Erregungsfront
degeneriert. Die „konvulsive“ Phase stellt demnach
die initiale Auftrennung in viele kleine Einzelerregungen dar; sie dauert 30–40 s.
3. Mit Ausbildung einer Ischämie verlangsamt sich die
Erregungsleitung noch mehr, und die Aufsplitterung
der Erregung schreitet fort. Die kleinen Depolarisationswellen beginnen langsamer um den Ventrikel
zu wandern und leiten das „tremulous“ (Zitter-)
Stadium ein, das 2–3 min dauert. Während dieser
Phase können Defibrillationsversuche erfolgreich
sein, doch sind Wiederbelebungsmaßnahmen und
medikamentöse Interventionen nötig, um den Patienten zu stabilisieren.
4. Nach etlichen Minuten des Kammerflimmerns bilden sich schließlich die metabolischen Folgen der
Ischämie aus und verlangsamen die Erregungsleitung bis zu einem Punkt, an dem das Ventrikelmyokard nicht länger so viele Erregungswellen unterhalten kann. Die Erregungsfronten vereinigen sich,
werden noch langsamer und enden im „atonischen“
Stadium, das bald keine elektrische Aktivität mehr
zulässt.
Holter-Aufzeichnungen zur Zeit des plötzlichen Herztodes zeigen gewöhnlich den Stadienablauf, wie er von
Wiggers beschrieben wurde.
Mechanismen der Defibrillation
Grundsätzlich ist Ziel eines Defibrillationsschocks, die
Ventrikel mit einem elektrischen Feld zu überziehen,
das ihre zellulären Aktionspotentiale verändert, die
weitere Ausbreitung von Flimmerwellen blockt und mit
der nächsten Sinuserregung die physiologische Aktivierung der Kammern ermöglicht. Als erster forderte Wiggers, das gesamte Myokard zu depolarisieren und so
sämtliche Flimmerwellen auszulöschen. In den 1970er
Jahren schlug Mower vor, dass nur ein kritischer Teil
des Myokards (die „kritische Masse“) depolarisiert
werden müsse, weil kleine Regionen von Herzmuskulatur Flimmern nicht unterhalten könnten (30).
Kürzlich jedoch zeigte Zhou, dass nach einem Elektroschock weniger als 10 % der Myokardmasse neuerliches Kammerflimmern initiieren und – vielleicht noch
bedeutsamer – dass diese neue Erregungsfront durch
den Schock selbst ausgelöst sein könnte (48). Falls also
überhaupt eine kritische Masse für die Defibrillation existiert, so müsste sie schon einen sehr hohen Prozentsatz
des Herzens umfassen, oder die komplette Depolarisation könnte notwendige, wenn auch nicht immer ausreichende Bedingung erfolgreicher Defibrillation sein.
Da während Kammerflimmerns eine große Zahl von
Erregungswellen sich über die Ventrikel ausbreiten und
in der Lage sind, nicht mehr refraktäre Muskelbezirke
stets von Neuem zu depolarisieren, ist zu erwarten,
dass die große Mehrheit ventrikulärer Zellen sich in erregtem oder refraktärem Zustand befindet und durch
einen elektrischen Impuls nicht unmittelbar depolarisiert werden kann. Auch wenn ein elektrischer Stimulus (oder Schock) refraktäre Zellen während Flimmerns
nicht depolarisiert, so wird ihre Refraktärität verlängert
(5, 12, 13, 23) und die Leitung von Flimmerwellen damit blockiert.
Ein Elektroschock, der zum Herzen oder Thorax abgegeben wird, produziert kein perfekt uniformes Feld.
Myokard in Regionen höherer Feldstärke (typischerweise nahe der Defibrillationselektrode) wird deshalb
größere Effekte bei De- und Repolarisation aufweisen,
als das Zellen im schwächeren elektrischen Feld tun.
Die Variabilität der zellulären Antwort in einem inhomogenen Schockfeld wird als „graded response“ bezeichnet (25).
Die abgestufte Antwort auf einen Elektroschock
kann Bedingungen herbeiführen, unter denen der
Schock alle bestehenden Flimmerwellen stoppt, jedoch
neue Wellenfronten erzeugt und die Defibrillation
letztlich scheitern lässt (44). Wiggers und Wegria haben gezeigt, dass Kammerflimmern sich induzieren
ließ, wenn ein elektrischer Stimulus (oder Schock) in
die Repolarisationsphase normaler Sinusaktionen (der
so genannten „vulnerablen Phase“) abgegeben wurde.
Erreichte der Schock jedoch eine bestimmte Schwellenstärke, so löste er kein Flimmern mehr aus. Der Befund
wird mit dem Begriff der oberen Vulnerabilitätsgrenze („upper limit of vulnerability“, ULV) beschrieben. In
den 1980er Jahren erweiterte Chen das Konzept (10)
und forderte, dass ein Defibrillationsschock stark genug
sein (jenseits des ULV liegen) müsse, um existierende
Erregungswellen zu blockieren und neue nicht entstehen zu lassen.
!
Die Hypothese von der oberen Vulnerabilitätsgrenze
hat auch praktisch klinische Bedeutung, weil sie eine
Methode zur Testung der Schockeffektivität begründet, die ohne Induktion von Kammerflimmern auskommt (9).
Da Kammerflimmern aus vielen Erregungsfronten besteht, die sich in stetig wechselnder Konfiguration fortpflanzen, wird die kardiale Defibrillationsantwort von
einem zum anderen Schock variieren. Defibrillation ist
deshalb kein stetiger Prozess. Der Schock, welcher eine
erste Flimmerepisode konvertiert, mag bei der zweiten
ineffektiv sein und – umgekehrt – kann ein Schock das
Flimmern beim ersten Versuch nicht, beim zweiten jedoch erfolgreich terminieren.
Fröhlig, Carlsson, Jung, Herzschrittmacher- und Defibrillator-Therapie (ISBN 3131171812), © 2006 Georg Thieme Verlag
Defibrillation
Die Beziehung zwischen Stärke des Schocks und Defibrillationserfolg beschreibt denn auch eine „Dose-response“-Kurve oder „Wahrscheinlichkeitsfunktion“,
die für die Schockanwendung einen S-förmigen Verlauf
aufweist. Sehr schwache Schocks besitzen danach
kaum eine Konversions-Chance, ab einem bestimmten
Schwellenwert steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit
steil an, und nur mit sehr hohen Feldstärken nähert sich
die Effektivitätserwartung der 100 %-Marke an.
!
Für die interne Defibrillation mittels ICD bietet eine
Schockenergie von 20 J für ≥ 99 % der Patienten eine
Konversions-Wahrscheinlichkeit nahe 100 %, so dass
ein Gerät, dessen maximale Schockenergie 30 J beträgt, die üblicherweise geforderte „Sicherheitsmarge“
von 10 J einhält.
339
Als „intrinsische“ Faktoren können solche verstanden werden, die mit dem implantierten ICD-System zusammenhängen. Dies sind:
➤ Typ, Anzahl, Größe, Material, Geometrie und Lokalisation der Defibrillationselektroden im bzw. am
Herzen,
➤ die Defibrillationskonfiguration, welche den Schockvektor bestimmt und das Aggregatgehäuse als Elektrode nutzt oder nicht einbezieht und
➤ die Morphologie und Polarität des Defibrillationsschocks.
Unter „extrinsisch“ können solche Faktoren zusammengefasst werden, welche vom individuellen Patienten vorgegeben sind oder mit den Umständen zusammenhängen, die eine Defibrillation begleiten:
Defibrillationsschocks extremer Stärke garantieren
den Schockerfolg nicht unbedingt. Wie Schuder gezeigt
hat (39), gilt dies v.a. für die externe Defibrillation. Die
nahe liegende Begründung ist eine Überstimulation der
Zellen, die im Bereich höchster Feldstärke vom Schock
erfasst werden und Schädigungen erfahren, welche von
funktionellen Störungen bis zur „Elektroporation“ von
Zellen reichen (2, 24, 26, 41). Abhängig von der Schockstärke kann die Zelldysfunktion vorübergehend oder irreversibel sein und zum Zelltod führen.
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
Kritische Bedingungen erfolgreicher
Defibrillation
Einige dieser Einflussfaktoren sollen im Folgenden eingehender betrachtet werden.
Für Patienten, die außerhalb des Krankenhauses eine
Episode von Kammerflimmern erfahren, bestimmt die
Dauer bis zur kardiopulmonalen Reanimation (CPR) die
Prognose. Nach Studiendaten reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen CPR mit jeder Minute
um etwa 10 % (8).
Bei der externen Defibrillation beweist anteroposteriore Orientierung der Flächenelektroden hohe Effektivität, ist in der Ausführung aber unpraktisch. Alternativ kommt die Anordnung des Schockvektors von anterior nach linkslateral oder von rechts-subklavikulär
nach linkssternal in Betracht. Abhängig von der individuellen Patientencharakteristik in Anatomie und kardialer Pathologie mag eine Anordnung besser als die
andere sein.
Für die interne Defibrillation mittels ICD ist ein bedeutsamer Faktor die Elektrodenposition (s.u.). Dabei
sollte die rechtsventrikuläre Sonde so tief wie möglich
zur Spitze der Kammer vorgeschoben (35) oder (nach
einigen Studien) entlang des anterioren Septums platziert werden (17).
Ganz offensichtlich determiniert die Schockstärke
den Defibrillationserfolg. Warum dieser nicht durch einen festen Schwellenwert für die Impulsstärke definiert
ist, sondern der bereits beschriebenen sigmoidalen
Wahrscheinlichkeitsfunktion folgt (Mechanismen der
Defibrillation), ist nicht völlig geklärt. Allerdings können einige Faktoren benannt werden, welche neben der
Impulsstärke die Konversionsrate bestimmen und intrinsischer oder extrinsischer Natur sein können:
Alter und Geschlecht,
Herzgröße und Körpergewicht,
zugrunde liegende Herzkrankheit,
Ejektionsfraktion der linken Kammer,
NYHA-Klasse,
metabolischer oder Elektrolytstatus,
autonomer Status,
pharmakologische Begleittherapie und
Zeitintervall zwischen Flimmerbeginn und erstem
Schock.
Defibrillationskonfiguration und Schockvektor
Eine effektive Defibrillation setzt voraus, dass elektrische Energie in Form von Hochspannungsschocks möglichst ungehindert auf das Herz einwirken kann. Solche
Schocks erfordern Elektroden, die hohe Ströme leiten
und über das Herz verteilen können.
Epikardiale Systeme: Frühe ICD-Systeme nutzten epikardiale, aus einem Drahtgeflecht bestehende, auf der
Rückseite isolierte Patch-Elektroden, die per Sternotomie, lateraler Thorakotomie oder subxiphoidalen Zugang implantiert wurden. Die Flächenelektroden wurden anteroposterior oder in einer Kombination aus
rechts- und linksventrikulär-lateralem Patch (Abb. 9.2)
angeordnet. Allerdings legen einige Studien nahe, dass
die apikobasale Ausrichtung der Elektroden zwischen
linksventrikulärer Spitze und rechtsventrikulärer Basis
das Kammerseptum besser einbezieht und den Energiebedarf für die Defibrillation mindert.
Hauptvorteil des epikardialen Zugangs ist der geringe Übertragungswiderstand zwischen Flächenelektroden und großen Teilen des Herzens, Hauptnachteil sind
die bedeutsame Morbidität und perioperative Mortalität (4,1 %), welche den chirurgischen Eingriff belasten
(49). Er beschränkt sich deshalb auf Situationen, bei denen Implantationshindernisse einem transvenösen
Vorgehen entgegenstehen oder aus anderen Gründen
ein Eingriff am offenen Thorax durchgeführt wird.
Fröhlig, Carlsson, Jung, Herzschrittmacher- und Defibrillator-Therapie (ISBN 3131171812), © 2006 Georg Thieme Verlag
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9 Grundlagen von Defibrillation und antitachykarder Stimulation
die Sonde möglichst tief in die Spitze der rechten Kammer zu platzieren, weil bereits die Lageänderung um
einen Zentimeter den Energiebedarf um 30–50 % variieren kann (43). Bei hoher Defibrillationsschwelle (DFT)
während Implantation sollte deshalb ein Versuch zur
Repositionierung der Sonde erster Verbesserungsansatz sein. Als erfolgreich wird dabei eine Technik beschrieben, welche die Sonde entlang des anterioren
Septums platziert (46).
Bei unzureichender DFT kann mit zusätzlichen subkutanen oder Koronarsinus-Elektroden versucht werden, das elektrische Feld in Richtung des linken Ventrikels auszudehnen und so die Defibrillationsschwelle zu
reduzieren.
Abb. 9.2 Epikardiale Patch-Elektroden mit Positionierung an
rechts- und linksventrikulärer Seitenwand.
Endokardiale/Non-Thorakotomie-Systeme: Eine bedeutende Einzelentwicklung in der Geschichte der ICDTherapie war die Konstruktion von Defibrillationselektroden, die man transvenös endokardial implantieren
konnte. Solche Systeme reduzierten Morbidität und
Mortalität des Therapieverfahrens dramatisch und
machten es zu einer realistischen Option für große Patientengruppen.
Ähnlich einer Schrittmacherimplantation sieht das
Verfahren den Zugang über die V. cephalica oder subclavia und die Positionierung einer Defibrillationssonde
im rechten Ventrikel vor. ICD-Sonden sind mit einer
einzigen Schockwendel für die Platzierung im rechten
Ventrikel erhältlich, oder sie tragen eine zweite weiter
proximal, die typischerweise im rechten Vorhof, in der
V. cava superior oder subclavia positioniert wird. Eine
kleine Spitzenelektrode oder die Dipolanordung ähnlich bipolaren Schrittmachersonden („true bipolar“)
dienen der Wahrnehmung und der antibradykarden
Stimulation.
Um ausreichende Feldstärken in allen Ventrikelabschnitten (einschließlich des Septums, der Herzspitze
und der linken Kammer) zu erzeugen und mit einem
energetischen Mindestaufwand die höchstmögliche
Defibrillationseffektivität zu erreichen, ist die Positionierung der Schockwendel bedeutsam.
Die Lokalisation der Wendel(n) in rechtem Ventrikel
(und obererer V. cava) resultiert in einer ziemlich uneinheitlichen Feldverteilung, welche den rechten Ventrikel bevorzugt und die Spitze sowie laterale Abschnitte der linken Kammer am wenigsten erreicht. Um dennoch für sichere Defibrillation zu sorgen, ist es wichtig,
Hot-can-Konfiguration: Nahezu alle heute implantierten ICD-Systeme nutzen dagegen ein elektrisch aktives
Aggregatgehäuse („hot can“), das in pektoraler Position
die Defibrillationsschwellen deutlich mindert (4, 18).
Grundsätzlich bieten „Hot can“-Systeme 2 Konfigurationsmöglichkeiten (Abb. 9.3): eine „Single-coil“-Sonde mit dem Schockvektor von rechtsventrikulär zum
ICD-Gehäuse (als „unipolar“ bezeichnet) und eine
„Dual-coil“-Sonde mit dem Defibrillationsfeld zwischen rechtem Ventrikel, V. cava superior und Gehäuse
(„Triad“-Konfiguration). Sorgfältig kontrollierte Tierversuche ermittelten das letztgenannte System als
energetisch günstigste Schockkonfiguration, während
die unipolare Anordnung einen etwa 25–30 % höheren
Energiebedarf aufweist (37).
Variationen der genannten Grundtypen betreffen
die Polarität der Schockkonfiguration und die anatomische Platzierung des ICD-Aggregats. Die meisten ICDSysteme sind auf eine Polung voreingestellt, welche die
rechtsventrikuläre (RV) Schockwendel als Kathode sowie die Wendel in der oberen Hohlvene und/oder das
Gehäuse als Anode nutzt.
Es ist gezeigt worden, dass die Polaritätsumkehr
(mit der RV-Sonde als Anode) den Energiebedarf für die
Defibrillation senken kann (31). Dies scheint v.a. für ältere Systeme mit „monophasischer“ Impulsform, aber
auch für neuere Systeme mit „biphasischer“ Impulsmorphologie zu gelten. Da die Polaritätsumkehr mittels
Programmierung sehr einfach zu bewerkstelligen ist,
wird sie häufig als erste Maßnahme eingesetzt, wenn
der Patient eine inakzeptabel hohe Defibrillationsschwelle aufweist.
Gelegentlich muss der ICD aus anatomischen Gründen oder auf Patientenwunsch rechtspektoral implantiert werden. Kohortenstudien deuten darauf hin, dass
diese Konfiguration einen 30 % höheren Energieeinsatz
fordert, als wenn das Aggregat auf der linken Seite platziert wäre (36), doch ist dies in der Mehrzahl der Patienten akzeptabel.
Morphologie der Schockimpulse
Die elektrischen Schocks, welche ein ICD abgibt, werden durch Kondensatorentladung generiert. Die Spannung des Kondensators folgt während der Entladung
bekannten physikalischen Gesetzen. Die Zeitkonstante
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Defibrillation
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Abb. 9.3 Schockkonfigurationen transvenöser ICD-Systeme. Links: Dual-coil-System mit „cold can“; Mitte: Single-coil-Sonde mit
„hot can“ (so genanntes unipolares System); rechts: Dual-coil-Anordnung mit „hot can“ (TRIAD). Die Anordnung der Pall-SenseElektroden ist „true bipolar“ (Mitte), sonst „integrated bipolar“.
des exponentiellen Spannungsabfalls (τ) hängt von der
Kapazität des Schockkondensators (C) und der Impedanz im Entladekreis (R) ab:
τ=R×C
Änderungen von Kapazität oder Impedanz bewirken einen schnelleren oder langsameren Spannungsabfall bei
der Entladung (Abb. 9.4). Physikalische Grenzen der
Kondensatortechnologie und die räumliche Begrenzung innerhalb eines ICD-Gehäuses lassen den Schockkondensator eine Spannung von maximal 750–800 V
erreichen. Um Energie in der Größenordnung von 30 J
speichern zu können, benötigt man eine Kondensatorkapazität von 100–125 µF.
Frühe Schockexperimente, die Schuder mit Impulsen
aus Kondensatorentladungen vornahm, haben gezeigt,
dass der vorzeitige Abbruch der Entladung („truncation“) eine sehr viel bessere Schockeffektivität ergab, als
wenn man die Kondensatorladung ganz abfließen ließ
(40). Mögliche Erklärungen könnten sein, dass
➤ lange Pulse (jenseits etwa 20 ms) den Energiebedarf
unnötig erhöhen oder dass
➤ niedrige Spannungen, die für eine ganze Weile auf
das Herz einwirken, Flimmern reinitiieren können.
Schockimpulsformen mit unterbrochener Entladecharakteristik können in einem ICD durch Vorgabe der Entladezeit („fixed time“; [ms]) oder der Spannung verwirklicht werden, bei der die Entladung endet („fixed
tilt“) (Abb. 9.5). Der Tilt ist definiert als Spannungsdifferenz zwischen Beginn und Ende der Kondensatorentladung, bezogen auf die Anfangsspannung:
T = (Vinit – Vtrunc)/Vinit
Dabei bedeutet T den Tilt, Vinit die Anfangs- und Vtrunc
die Spannung beim Abbruch des Pulses. Gebräuchlich
ist die Angabe in %. Bei „fixed tilt“ variiert die Entladezeit mit der Impedanz des Schocksystems, davon unabhängig bleibt die abgegebene Ladung jedoch konstant.
Mit „fixed time“ bleibt die Impulsbreite konstant, doch
variieren mit der Schockimpedanz die Steilheit der Entladungskurve und damit auch die abgeflossene Ladungsmenge.
!
Alle modernen ICDs arbeiten mit „fixed tilt“, auch
wenn manche Geräte andere Programmierungen der
Schockform erlauben.
Fröhlig, Carlsson, Jung, Herzschrittmacher- und Defibrillator-Therapie (ISBN 3131171812), © 2006 Georg Thieme Verlag
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9 Grundlagen von Defibrillation und antitachykarder Stimulation
Abb. 9.4 Exponentielle Spannungscharakteristik bei einer Kondensatorentladung; aus (6), RCKonstante = Zeitkonstante errechnet sich aus Widerstand (R) und
Kapazität des Kondensators (C).
800
Anfangsspannung
700
600
Spannungsabfall in Abhängigkeit
von der RC-Konstante
Spannung (V)
500
400
300
tilt
=
% Spannungsabfall
der Anfangsspannung
200
100
0
–100
0
1
2
3
4
5
Defibrillation
Herzschrittmacher
–200
6
7
8
9
10
Pulsdauer (ms)
–300
Zeit (ms)
800
30 Ω
50 Ω
70 Ω
700
600
Abb. 9.5 Festlegung der Schockimpuls-Charakteristik mit „fixed
time“ (a) oder „fixed tilt“ (b);
aus (6).
Spannung (V)
500
400
300
200
100
0
–100
0
1
2
3
4
5
6
Zeit (ms)
7
8
9
10
–200
–300
a
800
30 Ω
50 Ω
70 Ω
700
600
Spannung (V)
500
400
300
200
100
0
–100
0
1
2
3
4
5
6
Zeit (ms)
7
8
9
10
–200
–300
b
Monophasische Schockimpulse: Die einfachste Schockform ist ein monophasischer Impuls, der zwischen Start
und Stopp der Entladung keine Unterbrechung oder Polaritätsumkehr erfährt (Abb. 9.4–9.6). Monophasische
Impulse reichten in frühen ICD-Systemen mit epikar-
dialen Patches aus. Mit der Einführung endokardialer
Sondensysteme stieg die geforderte Impulsstärke jedoch sprunghaft an, so dass monophasische Schocks
bei bis zu 25 % der Patienten ineffektiv blieben. Demgegenüber reduzierten biphasische Impulsformen den
Fröhlig, Carlsson, Jung, Herzschrittmacher- und Defibrillator-Therapie (ISBN 3131171812), © 2006 Georg Thieme Verlag
Defibrillation
Energiebedarf signifikant (um 30–50 %) und versprechen heute mit rein endokardialer Sondenanordnung
für fast alle Patienten Defibrillationssicherheit.
Biphasische Schockimpulse: Ein biphasischer Impuls ist
eine Kondensatorentladung, die in zwei Teile entgegengesetzter Polarität aufgespalten ist. Die erste Phase ist
einem monophasischen Puls in Amplitude, Tilt und
Dauer vergleichbar; mit Abbruch der Entladung werden
die elektrischen Verbindungen im Systems sehr schnell
(in weniger als 1 ms) umgepolt und die zweite Phase
ausgelöst.
Alle modernen ICDs benutzen solche biphasischen
Schocks (Abb. 9.6).
!
Es wird allgemein angenommen, dass die Schockform
dann am effektivsten ist, wenn die erste Phase länger
als die zweite dauert, und dass die Polarität der ersten
Phase nur dann bedeutsam ist, wenn sie über mehr als
10 ms ausgedehnt wird (38). Ob getrennte Kondensatoren benutzt werden, um die beiden Phasen unabhängig voneinander in Pulsbreite und Amplitude mani-
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pulieren zu können, macht dabei keinen wesentlichen
Unterschied. Alle ICD-Systeme verwenden deshalb Einzelkondensatoren, die zu Beginn der zweiten Entladungsphase die gleiche Spannung wie am Ende der ersten aufweisen.
Die Kapazität des Kondensators bestimmt die Steilheit des exponentiellen Spannungsabfalls und die Impulsbreite (Abb. 9.7). Da die Defibrillation einer ähnlichen Reizzeit-Spannungskurve folgt wie die Stimulationsimpulse eines Schrittmachers, braucht man bei kürzerer Impulsbreite höhere Spannungen und umgekehrt (Abb. 9.8a). Die Kurve beschreibt für sehr lange
Pulsbreiten einen asymptotischen Verlauf zur Zeitachse
und markiert dabei die Mindestspannung, die für
Reizantwort oder Schockerfolg notwendig ist.
Die Beziehung zwischen Reizzeit und Energie zeigt
dagegen einen mehr parabolischen Verlauf mit hohem
Energiebedarf bei sehr kurzer Pulsbreite, einem Minimum bei mittlerer und wieder ansteigender Energie bei
langer Entladezeit (Abb. 9.8b). Für monophasische Impulsformen kann diese Charakteristik steile Flanken
aufweisen, wobei das Energieminimum bei einer Pulsbreite von 0,5–2,0 ms liegt. Daher rührt die Empfeh-
800
monophasisch
biphasisch
700
Abb. 9.6 Biphasischer (schwarz)
und monophasischer (rot) Schockimpuls; aus (6).
600
Spannung (V)
500
400
300
200
100
0
–100
0
1
2
3
4
5
6
Zeit (ms)
7
8
9
10
–200
–300
800
125 µF
90 µF
60 µF
700
600
Abb. 9.7 Abhängigkeit der Steilheit
der Entladekurve und der Pulsdauer
von der Kapazität des Schockkondensators, aus (6)
Spannung (V)
500
400
300
200
100
0
–100
0
1
2
3
4
5
6
Zeit (ms)
7
8
9
10
–200
–300
Fröhlig, Carlsson, Jung, Herzschrittmacher- und Defibrillator-Therapie (ISBN 3131171812), © 2006 Georg Thieme Verlag
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