8. Lokal-kompakte Räume

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GRUNDLAGEN DER ANALYSIS, TOPOLOGIE UND GEOMETRIE (WWU 2016)
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8. KOMPAKTIFIZIERUNGEN UND LOKAL - KOMPAKTE R ÄUME
Wir betrachten nun eine Abschwächungen von Kompaktheit:
Definition 8.1. Sei X ein Hausdorff-Raum.
(1) Eine Kompaktifizierung von X ist ein kompakter Raum X̃, der X als offene und
dichte Teilmenge enthält (d.h. X̃ ist der Abschluss von X).
(2) X heißt lokal-kompakt, falls jeder Punkt von x eine kompakte Umgebung besitzt.
Folgende Definition hätte im Abschnitt §5 bereits kommen sollen und wurde in Definition 5.2 eingefügt:
Definition. Sei X ein topologischer Raum. Man nennt A ⊆ X dicht in B ⊆ X, falls A ⊆
B ⊆ A.
Beispiel 8.2.
(1) Rn ist bezüglich der gewöhnlichen Topologie lokal-kompakt, weil
Bε (x) für jedes x ∈ Rn und ε > 0 kompakt ist.
(2) Bezüglich der diskreten Topologie ist jede Menge X lokal-kompakt, weil {x}
für jedes x ∈ Rn eine kompakte Umgebung ist.
(3) Die abgeschlossene Kugel B1 (0) ⊆ Rn ist eine Kompaktifizierung der offenen
Kugel B1 (0) ⊆ Rn .
Wir wollen zeigen, dass für jeden Hausdorff-Raum X gilt:
X besitzt eine Kompaktifizierung X̃ ⇔ X ist lokal-kompakt.
(4)
Die Implikation “⇒” folgt aus dem nächsten Satz, angewendet auf X ⊆ X̃:
Satz 8.3. Sei X lokal-kompakt und Hausdorffsch sowie A ⊆ X offen oder abgeschlossen.
Dann ist A Hausdorffsch und lokal-kompakt.
Beweis. Sei x ∈ A und V eine kompakte Umgebung von x.
Ist A ⊆ X abgeschlossen, so ist A ∩V abgeschlossen und nach Satz 6.6 (1) kompakt.
Ist A ⊆ X offen, so sind {x} und V \ A in V kompakt, besitzen nach Satz 6.8 disjunkte
offene Umgebungen U und W . Dann ist V \W ⊆ A eine kompakte Umgebung von x in
A.
Folgerung 8.4. Sei X lokal-kompakt und Hausdorffsch, x ∈ X und V ⊆ X eine Umgebung von x. Dann gibt es eine kompakte Umgebung U von x mit U ⊆ V .
Für die Implikation “⇐” in (4) konstruieren wir eine Ein-Punkt-Kompaktifizierung:
Satz 8.5. Sei X ein topologischer Raum.
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PD DR. THOMAS TIMMERMANN
(1) Auf X + := X t {∞} (disjunkte Vereinigung) ist
τ+ := {U ⊆ X offen} ∪ {U ∪ {∞} : U ⊆ X offen, U c quasi-kompakt}
| {z }
=:U +
eine Topologie.
(2) X + ist quasi-kompakt.
(3) X + ist Hausdorffsch (und kompakt) genau dann, wenn X Hausdorffsch und
lokal-kompakt ist.
/ X + sind offen.
Beweis. (1) Klar: 0,
Seien U,V ⊆ X offen. Dann ist U ∩ V = U ∩ V + = U + ∩ V ∈ τ+ . Sind U c ,V c quasikompakt, so auch U c ∪V c = (U ∩V )c (ÜA), also ist dann U + ∩V + = (U ∩V )+ ∈ τ+ .
S
Sei U ⊆ τ+ . Falls U ⊆ τ, so ist U ∈ τ ⊆ τ+ . Andernfalls ist U + ∈ U für ein U ∈ τ,
S
und U c ⊆ X quasi-kompakt. Dann ist V := U ∩ X offen, V c ⊆ U c abgeschlossen, also
S
auch quasi-kompakt, somit U = V + ∈ τ+ .
(2) Sei U eine offene Überdeckung von X. Dann enthält U eine Menge der Form U0+ ∈
τ+ . Da U0c quasi-kompakt ist, gibt es dafür eine endliche Teilüberdeckung F ⊆ U . Diese
überdeckt mit U0+ ganz X + .
(3) “⇒”: X ⊆ X + ist offen, nach Satz 8.3 also lokal-kompakt.
“⇐”: Je zwei Punkte x, y ∈ X ⊆ X + haben disjunkte Umgebungen. Sei x ∈ X und W
eine kompakte Umgebung von x. Dann enthält W eine offene Umgebung U von x und
(W c )+ ist eine zu U disjunkte Umgebung von ∞.
Definition 8.6. Ist X lokal-kompakt und Hausdorffsch, so heißt X + die Ein-PunktKompaktifizierung von X.
Ein-Punkt-Kompaktizierungen sind in folgendem Sinn minimal:
Satz 8.7. Sei X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum und X̃ eine Kompaktifizierung.
(1) Es gibt genau eine stetige Abbildung pX̃ : X̃ → X + mit pX̃ |X = idX .
(2) Enthält X̃ \ X nur einen Punkt, so ist pX̃ ein Homöomorphismus.
Beweis. ÜA.
Beispiel 8.8.
(1) Die Kreislinie
S := {(x, y) ∈ R2 : x2 + (y − 1)2 = 1}
ist eine Kompaktifizierung von X := S \ {(0, 2)}, also X + ∼
= S.
(2) Der Kegel
K = {(x, y, z) ∈ R2 : 0 ≤ z ≤ 1, x2 + y2 = 1 − z2 }
ist eine Kompaktifizierung von X := K \ {(0, 0, 1)}, also X + ∼
= K.
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Bemerkung. Es gibt auch eine “maximale” Kompaktifizierung, die Stone-Čech-Kompaktifizierung (s. Übung).
Wann kann man Abbildungen zur Ein-Punkt-Kompaktifizierung fortsetzen?
Satz 8.9. Sei f : X → Y eine stetige Abbildung lokal-kompakter Hausdorff-Räume.
Dann sind äquivalent:
(1) Die Abbildung
(
f (x), x ∈ X,
f + : X + → Y + , x 7→
∞,
x = ∞, y
ist stetig.
(2) f ist eigentlich, d.h. für jede kompakte Teilmenge K ⊆ Y ist f −1 (K) ⊆ X kompakt.
Beweis. Sei V ⊆ Y offen und V c = Y \ V kompakt, also V + ⊆ Y + offen, und U =
f −1 (V ). Dann gilt: f −1 (V + ) = U + offen ⇔ U c = f −1 (V c ) ist kompakt.
Beispiel 8.10. Bezeichne f : R → S \ {(0, 2)} die inverse stereographische Projektion,
die jedem Punkt x ∈ R den Schnittpunkt der Geraden durch (x, 0) und (0, 2) mit S zuordnet. Die Fortsetzung f + : R+ → (S \ {(0, 2)})+ ∼
= S ist bijektiv und stetig, also nach
6.10 auch ein Homöomorphismus.
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