Jahrbuch 2014/2015 | Varón Silva, Daniel | Chemische Synthese zum Entschlüsseln der biologischen Funktionen von Glykosylphosphatidylinositolen (GPIs) Chemische Synthese zum Entschlüsseln der biologischen Funktionen von Glykosylphosphatidylinositolen (GPIs) Chemical Synthesis to decode the biological functions of Glycosylphosphatidyl-inositols (GPIs) Varón Silva, Daniel Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam-Golm Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Diverse eukaryotische Proteine sind durch Glykosylphosphatidylinositole (GPIs) in der Zellmembran verankert und erfüllen unterschiedliche, essentielle biologische Funktionen. Bisher ist w enig über die Funktionen des GPI-Ankers bekannt. Mithilfe synthetischer Methoden ist es nun jedoch möglich, diese Moleküle in reiner Form herzustellen und Erkenntnisse über ihre biologischen Eigenschaften zu gew innen. Synthetische GPIs ermöglichen eine Differentialdiagnose von akuter und latenter Toxoplasmose und eröffnen damit auch neue W ege für die Diagnose und Behandlung anderer Krankheiten. Summary Different eukaryotic proteins are anchored to the cell membrane using Glycosylphosphatidyl-inositols (GPIs) and have diverse and essential biological functions. To date little is know n about the functions of the glycolipid anchors, how ever by using synthetic methods, it is now possible to obtain these molecules in pure form and to gain details about their biological properties. Synthetic GPIs are useful for the differential diagnosis of acute and latent toxoplasmosis and open new fronts for the diagnosis and treatment of other diseases. Einleitung Viele Proteine sind durch Glykosylphosphatidylinositole (GPIs) in der Zelloberfläche verankert. GPIs sind komplexe und ubiquitäre eukaryotische Glykolipide mit einer konservierten Kernstruktur bestehend aus H2 N(CH2 )2 OPO 3 H-Manα1→2Manα1→6Manα1→4GlcNα1→6myo-Ino1-OPO 3 H-Lipid [1]. Diese Kernstruktur w ird zellspezifisch durch zusätzliche Kohlenhydratsubstituenten und Phosphorylierungen an verschiedenen Stellen modifiziert. Darüber hinaus w eisen GPIs zahlreiche Variationen im Lipidanteil auf. Dieser besteht aus Glycerinderivaten oder Ceramiden mit Fettsäuren unterschiedlicher Länge und Sättigungsgrad (Abb. 1). W ill man die Proteine in der Membran befestigen, sind die GPIs im Vergleich zu anderen Methoden sehr komplex aufgebaut und für die Zellen energieaufw endig herzustellen. Das sind Eigenschaften, die auf eine Rolle bei vielen unterschiedlichen biologischen Funktionen hinw eisen. © 2015 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2014/2015 | Varón Silva, Daniel | Chemische Synthese zum Entschlüsseln der biologischen Funktionen von Glykosylphosphatidylinositolen (GPIs) A bb. 1: GP I-Ke rnstruk tur und m ögliche Modifizie runge n. AAG=Acyla lk ylglyce rol, DAG=Dia cylglyce rol, C ER =C e ra m ide , Ma n=Ma nnose , GlcN=Glucosa m in, Ino=m yo-Inositol, GlcNAc=N-Ace tylgluk osa m in, Ga l=Ga la k tose , Fuc=Fucose , Ne u5Ac= Ne ura m insä ure . © MP I für Kolloid- und Gre nzflä che nforschung/Da nie l Va rón Silva GPIs in biologischen Systemen GPIs und GPI-verankerte Proteine (GPI-VP) spielen eine w ichtige Rolle in verschiedenen biologischen Prozessen. In höheren Eukaryoten ist die primäre Funktion von GPIs die Verankerung von Proteinen in der Zellmembran und die Lokalisierung der Proteine in speziellen Membransubdomänen, so-genannten Lipid-RAFS. Dadurch w erden spezifische Interaktionen mit anderen Membranproteinen ermöglicht [2]. Die Lokalisierung der Proteine ist vor allem für Zell-Zell-Interaktionen und Signaltransduktionsprozesse essentiell [3]. Protozoen w ie Trypanosoma brucei, Plasmodium falciparum oder Toxoplasma gondii nutzen freie GPIs und GPI-VP, um das Immunsystem ihres W irtes w ährend der Infektion zu modulieren [4]. Unter den GPI-verankerten Proteinen (GPI-VP) finden sich funktionell unterschiedliche Proteine w ie Hormone, Rezeptoren, Enzyme oder Zytokine [1]. Die Rolle von speziellen GPI-Modifikationen bleibt bis jetzt unbekannt. Jedoch haben verschiedene Studien den Einfluss von GPIs auf die Faltung des verankerten Proteins demonstriert. So w urden unter anderem unterschiedliche CD-Spektren für das Thy-1 Protein mit und ohne GPI gemessen. Ferner konnte auch eine unterschiedliche Fähigkeit zur Bindung an das bakterielle Toxin Aerolysin von Aeromonas hydrophilla von Thy-1 und anderen Proteinen demonstriert w erden [5], w enn diese mit und ohne GPI sind. Im Vergleich zu Säugerzellen besitzen Protozoen über einhundertmal mehr GPI-Moleküle auf der Zelloberfläche. Zusätzlich zu den GPI-VPs in Parasiten befinden sich darunter auch sogenannte freie GPIs. Das sind nicht proteingebundene GPIs, die vermutlich die Immunantw ort der W irtszellen w ährend des Infektionsprozesses modulieren. Studien mit isolierten und synthetischen GPI-Strukturen zeigen die Fähigkeit von freien GPIs, Makrophagen zu aktivieren oder die Bildung verschiedener pro-inflammatorischer Zytokine und Chemokine w ie Tumornekrosefactor-α (TNF-α), Interleukin-1 (IL-1) oder Stickstoffmonoxid (NO) zu stimulieren [4]. Der Lipidanteil der GPIs ist vor allem für viele Interaktionen von GPIs mit Rezeptoren des Immunsystems verantw ortlich. Modifizierungen der Glykankernstruktur führen bei anderen GPIs, z. B. eine spezielle αgebundene Galaktose im GPI von T. brucei (Erreger der Schlafkrankheit), zu einem ähnlichen Effekt. Besonderes Interesse hat auch die Tatsache erregt, dass isolierte GPI-Anker eine strukturspezifische Antikörperproduktion in Mäusen induzieren können [4]. Diese Beobachtungen verdeutlichen die Notw endigkeit, definierte, homogene GPI- und GPI-verankerte Moleküle auf ihre Funktionen zu untersuchen. © 2015 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2014/2015 | Varón Silva, Daniel | Chemische Synthese zum Entschlüsseln der biologischen Funktionen von Glykosylphosphatidylinositolen (GPIs) Die Aufreinigung von GPIs aus biologischen Quellen liefert in der Regel nur geringe Mengen heterogener Gemische von GPIs. Daher sind neue Strategien zur chemischen Herstellung dieser Glykolipide bzw . der GPIVPs erforderlich, um die biologischen Funktionen der unterschiedlichen Strukturen gezielt untersuchen zu können. Chemische Synthese von GPIs Seit der Entdeckung von GPIs w urden mehrere Strategien für ihre chemische Herstellung entw ickelt, von denen die meisten nur die Synthese bestimmter GPI-Strukturen erlauben. Um den Bedarf an homogenen GPIs mit möglichst vielen Modifizierungen zu decken, sind jedoch generelle Ansätze zur Herstellung dieser komplexen Glykolipide nötig. Eine dieser Strategien basiert auf der Herstellung von GPIs durch die Verw endung von austauschbaren Bausteinen (4-6) mit einem orthogonalen Schutzgruppensatz. Dies erlaubt einen effizienten Aufbau des GPI-Glykans und eine regioselektive Einführung von Phosphodiestern (Abb. 2). A bb. 2: R e trosynthe tische Ana lyse e ine r a llge m e ine n Stra te gie für die He rste llung von GP I-Ank e rn. Die Glyk a nstruk tur (schwa rz-rot) wird zunä chst durch die Kopplung von dre i ode r vie r Fra gm e nte n e rha lte n und die P hosphorylie runge n we rde n im le tzte n Schritt se le k tiv e inge fügt. Die orthogona le n Schutzgruppe n sind in grün und bla u m a rk ie rt. © MP I für Kolloid- und Gre nzflä che nforschung/Da nie l Va rón Silva Die Aufbausequenz der GPIs w ird durch die Position der temporären Schutzgruppen diktiert. Nach jeder Glykosylierungsreaktion findet man jede Schutzgruppe nur einmal im Produkt, um vollständige Orthogonalität zu gew ährleisten. Die notw endigen Glycosylierungen für den Aufbau der GPI-Glykane w erden mit ähnlichen Kopplungspartnern durchgeführt, damit die Reaktionsbedingungen für die Synthesen von verschiedenen GPIs anw endbar sind. Mithilfe dieser Strategie w urden strukturell verschiedene GPIs und GPI-Derivate für biologische und biophysikalische Untersuchungen hergestellt. Das sind unter anderem die GPIs von T. gondii, das niedermolekulare Antigen von T. gondii und der GPI-Anker des variablen Oberflächenglykoproteins (VSG) von T. congolense und von T. brucei VSG 117 [6-9]. GPI-Anker für die Diagnostik Die hohe Menge an GPIs auf der Membranoberfläche von Protozoen macht diese Moleküle zu möglichen Markern für die Bestimmung parasitärer Infektionen durch diese Organismen. Ein Beispiel für diese Infektionen ist die Toxoplasmose durch T. gondii, das jedes w armblütige Tier infizieren kann [1]. Da der Verlauf der Infektion einer grippeartigen Erkrankung ähnelt, w ird die Toxoplasmose in den Industrieländern nicht als größeres Gesundheitsproblem angesehen [4]. Dennoch kann die Infektion sich in immunkompromittierten © 2015 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2014/2015 | Varón Silva, Daniel | Chemische Synthese zum Entschlüsseln der biologischen Funktionen von Glykosylphosphatidylinositolen (GPIs) Individuen, oder w enn die Primärinfektion w ährend der Schw angerschaft stattfindet, zu einer gefährlichen Krankheit entw ickeln. So kann es z. B. zu einer Toxoplasmose-Enzephalitis bzw . zu einer mentalen oder physischen Retardierung oder sogar zum Tod des Fötus führen. Zw ei synthetische GPIs (3 und 5) und eine Reihe von GPI-Fragmenten w urden synthetisiert. Mithilfe eines kovalenten Thiol-Linkers w urden diese dann auf die Oberfläche von epoxidbeschichteten Glasträgern gedruckt, um so das Potential von GPIs für die Diagnose von Toxoplasmose zu untersuchen. Die resultierenden GPIMikroarrays nutzte man anschließend für die Bestimmung von Anti-GPI-Antikörpern in Standard-Seren von Toxoplasmosepatienten in verschiedenen Erkrankungszuständen. Die Studie zeigte, dass alle Seren von Patienten mit akuter Toxoplasmose hohe IgG- und IgM-Antikörper gegen die vollständige GPI-Struktur enthalten. Die Serumproben von latent infizierten Patienten zeigten einen IgG-Antikörperspiegel, der vergleichbar ist mit den Ergebnissen der Seren von akut infizierten Menschen. Dennoch w aren die IgM-Spiegel gegen alle gedruckten Strukturen erheblich reduziert (Abb. 3). Dagegen zeigten alle Seren von nicht-infizierten Patienten keine oder niedrige IgG- und IgM-Antikörper gegen das synthetische GPI oder ihre Substrukturen [9]. A bb. 3: A) Be stim m ung de r Antik örpe rspie ge l ge ge n da s GP IAntige n 8 durch Mik roa rra ya na lyse von Se rum probe n, ink lusive de r Sta nda rda bwe ichung für je de n Da te npunk t für ve rschie de ne Tox opla sm ose -Kohorte n. B) Struk tur de r GP IAntige ne . © MP I für Kolloid- und Gre nzflä che nforschung/Da nie l Va rón Silva Diese Daten stehen im Einklang mit publizierten Studien, in denen eine Immunantw ort hauptsächlich gegen das freie GPI 8 und nicht gegen die GPI-Struktur 7 (ohne die α-Glucose in der Seitenkette) in T. gondii Infektionen nachgew iesen w urde. Basierend auf diesem Ergebnis stellt das synthetische freie GPI von T. gondii einen geeigneten Biomarker für die Diagnose und die Differenzierung von verschiedenen Phasen der Toxoplasmose dar. Weitere Studien mit den GPIs 7 und 8 sow ie synthetischen GPIs aus anderen Parasiten w erden angew andt, um w eitere Eigenschaften und Anw endungen dieser Glykolipide zu untersuchen. Biophysikalische Studien mit GPI-Fragmenten Einblicke in das Verhalten von GPIs und GPI-verankerten Proteinen in Zellmembranen könnten zur Aufklärung der Rolle von GPIs in membranassoziierten Prozessen beitragen. In diesem Zusammenhang w urde zuerst eine vergleichende Analyse der strukturellen Anordnung in einer Serie von 2D-Modellmembranen (Monoschichten an der Luft/Wasser-Mehrfläche) aus drei GPI-Fragmenten durchgeführt. Damit soll die Beteiligung von definierten GPIs in der Bildung von Mikrodomänen in der Zellmembran untersucht w erden. Eine Vergrößerung der Kopfgruppen der GPI-Fragmente von 9 zu 10 und zu 11 führt zu einer Erhöhung der Oberfläche pro Molekül, © 2015 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2014/2015 | Varón Silva, Daniel | Chemische Synthese zum Entschlüsseln der biologischen Funktionen von Glykosylphosphatidylinositolen (GPIs) das für eine stärkere Neigung der Alkylketten und eine Erhöhung im erforderlichen Oberflächendruck für eine Phasenumw andlung verantw ortlich ist (Abb. 4). A bb. 4: A) Struk ture n de r unte rsuchte n GP I-Fra gm e nte . B) Struk ture lle Ve rä nde runge n de r Monoschichte n von dre i GP IFra gm e nte n (Ände rung de s Ne igungswink e ls de r Alk ylk e tte n vs. de s se itliche n O be rflä che ndruck s π) in P hospha tpuffe r be i 20 °C . © MP I für Kolloid- und Gre nzflä che nforschung/Da nie l Va rón Silva Die Verbindungen 9 und 10 bilden geordnete Monoschichten, die durch ein Kettengitter für die Alkylreste definiert sind. Demgegenüber bildet GPI-Fragment 11 hoch geordnete Monoschichten, die durch zw ei kommensurable Gitter charakterisiert sind: Das sind ein Gitter der Alkylketten und ein Molekulargitter infolge der Anordnung der Kopfgruppen durch Wechselw irkungen zw ischen den Glykanen. Diese polaren Wechselw irkungen sind w ahrscheinlich verantw ortlich für die partielle Phasentrennung von GPI-Fragment 11 in gemischten Modellmembranen mit einem flüssig-ungeordneten Phospholipid (POPC). Ist die Verbindung 11 Teil einer Mischung mit anderen Lipiden, die geordnete Phasen auf der Monoschicht bilden w ie z. B. 9 oder 10, induzieren die hydrophoben Wechselw irkungen der Ketten eine vollständige Vermischung der zw ei Komponenten. Die Wechselw irkungen der Kopfgruppe für eine Phasentrennung von Verbindung 1 1 w erden dabei überw unden. Die gemischten Monoschichten von 9 oder 10 mit 11 ähneln Strukturen, die durch geordnete Alkylketten festgelegt sind. Diese Strukturen können durch typische Verpackungsparameter von Molekülen ohne Wechselw irkungen der Kopfgruppen charakterisiert w erden. Weitere Experimente laufen, um festzustellen, ob das Verhalten von 11 in biologischen Membranen zu finden und auf vollständige GPIStrukturen übertragbar ist [10]. Literaturhinweise [1] Ferguson, M. A. J.; Williams, A. F. Cell-Surface Anchoring of Proteins via Glycosyl-Phosphatidylinositol Structures Annual Review of Biochemistry 57, 285-320 (1988) [2] Nicholson, T. B.; Stanners, C. P. 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Diagnosis of toxoplasmosis using a synthetic glycosylphosphatidylinositol glycan Angew andte Chemie International Edition 53, 13701-13705 (2014) [10] Stefaniu, C.; Vilotijevic, I.; Santer, M.; Varón Silva, D.; Brezesinski, G.; Seeberger, P. H. Subgel Phase Structure in Monolayers of Glycosylphosphatidylinositol Glycolipids Angew andte Chemie International Edition 51, 12874-12878 (2012) © 2015 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6