exquisite corpse (ua) - Staatstheater Nürnberg

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EXQUISITE CORPSE (UA)
Junge Choreographen
des Staatstheater Nürnberg Ballett
MATERIALMAPPE
Staatstheater Nürnberg – Materialien „Exquisite Corpse“
VORWORT
LIEBE LEHRERINNEN UND LEHRER, LIEBES PUBLIKUM,
mit der Tanzproduktion „Exquisite Corpse“ stellen sich Tänzer des Ensembles von
Ballettdirektor Goyo Montero auch erstmals als Choreographen vor.
Die jungen Choreographen haben sich des surrealistischen Spiels „Cadavre
Exquis“ angenommen und sieben voneinander unabhängige Tanzstücke geschaffen, die
in einem weiteren Arbeitsschritt von Goyo Montero, die gemeinsamen Momente der
Stücke aufspürend, zu einem Tanzabend zusammengefügt worden sind.
André Breton, der bedeutendste Theoretiker des Surrealismus, definierte „Cadavre
Exquis“ - auf Englisch: „Exquisite Corpse“ – als „Spiel mit gefaltetem Papier, in dem es
darum geht, einen Satz oder eine Zeichnung durch mehrere Personen konstruieren zu
lassen, ohne dass ein Mitspieler von der jeweils vorhergehenden Mitarbeit Kenntnis
erlangen kann“.
So steht die jeweilige choreographische Arbeit der jungen Tänzer für sich, zugleich
aber auch in Verbindung mit den vorangegangenen.
Die Theaterpädagogik des Staatstheaters bietet zur Choreographie „Exquisite Corpse
(UA)“ sowohl vorstellungsvorbereitende als auch vorstellungsnachbereitende Workshops
und Gespräche für Schülerinnen und Schüler an.
Wenn Sie Fragen haben oder weitere Informationen sowie szenisch-musikalische
Arbeitsmaterialien zur Unterrichtsgestaltung benötigen, können Sie sich gerne an mich
wenden.
Mit herzlichen Grüßen,
Gudrun Bär
Theaterpädagogin
Kontakt:
Staatstheater Nürnberg
u18plus: junges publikum
Theaterpädagogin Gudrun Bär
Telefon: 0911-231-6866
Email: [email protected]
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Exquisite Corpse“
EXPERIMENT UND COLLAGE
URAUFFÜHRUNG DES TANZSTÜCKS „EXQUISITE CORPSE“
„Le cadavre exquis boira le vin noveau“ – „Der vorzügliche Leichnam wird den
neuen Wein trinken“: Dieser Satz ist weder als unkonventionelle Beschreibung des
Fronleichnamsfestes zu verstehen, noch entstammt er den Lyrics einer nekrophilen
Gruftie-Band, sondern es ist der Name eines außergewöhnlichen Spiels. André Breton,
der bedeutendste Theoretiker des Surrealismus, definierte „Cadavre Exquis“ – auf
Englisch: „Exquisite Corpse“ – als Spiel mit gefaltetem Papier, in dem ein Satz oder eine
Zeichnung durch mehrere Personen konstruiert wird, ohne dass die Mitspieler von dem
jeweils vorhergehenden Beitrag Kenntnis haben. Das Ergebnis ist ein collagenartiges
Gemeinschaftsprodukt, das die Grenzen von Logik und rationalem Denken sprengt und
sein kreatives Potential stattdessen aus intuitiven schöpferischen Akten und freien
Assoziationsketten schöpft.
Der Surrealismus erforschte auf philosophisch-künstlerische Weise die komplexen
Wechselwirkungen zwischen geistigen und physikalischen Erscheinungen, zwischen
Wachzustand, Traum und spontaner Intuition. Seit ihrer Entstehung in den 1920er Jahren
übte die Bewegung eine ungeheure Faszination auf Vertreter aller Kunstrichtungen aus.
Auch auf Goyo Montero, der bereits mit „Vasos Comunicantes (Die kommunizierenden
Röhren)“ eine zentrale Idee André Bretons zu einem Tanzstück verarbeitete und in der
letzten Spielzeit am Nürnberger Opernhaus zur Aufführung brachte. Das Konzept des
neuen Tanzstücks „Exquisite Corpse“ basiert abermals auf dem surrealistischen
Grundprinzip der freien, spontanen Assoziation und wird von sieben Mitgliedern des
Staatstheater Nürnberg Ballett choreographiert: Hannah Lagerway, Rui Reis Lopes,
Natsu Sasaki, Malcolm Sutherland, Felix Valentim, Ville Valkonen und Saúl Vega.
„TÄNZER/INNEN DES NÜRNBERGER BALLETTENSEMBLES AUF
CHOREOGRAPHISCHER ENTDECKUNGSREISE“
JUNGE CHOREOGRAPHEN
Am Anfang steht das Experiment: Die jungen Choreographen wählen, frei von
thematischen Vorgaben, das Grundthema, die Musik und die Texte für ihre
Choreographien von jeweils etwa 10 Minuten Dauer aus, ohne über die anderen Arbeiten
Kenntnis zu haben. Das gemeinsame Bühnenbild ist extrem schlicht gehalten – eine der
wenigen Vorgaben, die die Künstler zu Beginn bekommen.
Erste Querverbindungen entstehen, indem die Choreographen auch als Tänzer in
anderen Choreographien mitwirken. Die Besetzung reicht dabei vom Pas de deux bis hin
zum großen Ensemble. Doch erst wenn diese erste schöpferische Phase abgeschlossen
ist, schauen die Künstler gegenseitig alle Arbeiten an. Nun beginnt die zweite
Arbeitsphase: Wie im Spiel „Cadavre Exquis“ tritt das gemeinsame Produkt als eine Art
Collage in Erscheinung, deren einzelne Teile zunächst nichts miteinander zu tun zu
haben scheinen, aber bei genauerer Betrachtung Querverbindungen offenbaren, die das
Geschaffene als Ganzheit in Erscheinung treten lassen können.
Im Tanzstück „Exquisite Corpse“ werden diese gemeinsamen Momente zwischen
den einzelnen Arbeiten aufgespürt und Verbindungsfäden auf allen künstlerischen
Ebenen herausgearbeitet, etwa über den Weg von Licht- und Kostümelementen. Die
abschließende übergreifende konzeptuelle Arbeit liegt in der Hand von Ballettchef Goyo
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Exquisite Corpse“
Montero, von dem auch die Idee zu „Exquisite Corpse“ stammt.
Der außergewöhnliche Charakter des Junge-Choreographen-Abends besteht in
eben jenem umgekehrten Vorgehen, auf dem auch das gleichnamige surrealistische Spiel
beruht: Üblicherweise steht zu Beginn die konzeptuelle Arbeit eines einzelnen
Choreographen für ein Tanzstück, das dann in Zusammenarbeit mit mehreren
Tänzerpersönlichkeiten ausgestaltet wird. Bei „Exquisite Corpse“ stehen am Anfang
sieben unabhängige Choreographien von sieben Individuen, die dann unter der
Federführung einer einzelnen hauptverantwortlichen Person zu einem Ganzen gebündelt
werden. Die einzelnen Arbeiten sollen am Ende deutlich erkennbar bleiben, aber
gleichzeitig auch deren verbindende Elemente kenntlich gemacht werden.
Judith Debbeler
Premiere: 15. April, 19.30 Uhr, Schauspielhaus
Exquisite Corpse Junge Choreographen des Staatstheater Nürnberg Ballett
URAUFFÜHRUNG
Idee, Konzeption und Inszenierung: Goyo Montero
Choreographie: Hannah Lagerway, Natsu Sasaki, Rui Reis Lopes, Malcolm
Sutherland, Ville Valkonen, Saúl Vega, Felix Valentim
Mit: Sophie Antoine, Ana Baigorri, Júlia Cortés, Sayaka Kado, Hannah Lagerway,
Inmaculada Marín, Marina Miguélez, Marina Sánchez, Natsu Sasaki, Jaione Zabala;
Oscar Alonso, Carlos Lázaro, Hirotaka Seki, Malcolm Sutherland, Christian Teutscher,
Felix Valentim, Ville Valkonen, Simon van Heddegem, Saúl Vega, Max Zachrisson
CADAVRE EXQUIS – Spiel mit gefaltetem Papier, in dem
es darum geht, einen Satz oder eine Zeichnung durch mehrere
Personen konstruieren zu lassen, ohne dass ein Mitspieler von
der jeweils vorhergehenden Mitarbeit Kenntnis erlangen kann.
Das klassisch gewordene Beispiel, das dem Spiel seinen Namen
gegeben hat, bildet den ersten Teil eines auf diese Weise gewonnenen
Satzes: Le cadavre-exquis-boira-le-vin-nouveau
(frz. = „Der köstliche-Leichnam-trinkt-den-neuen-Wein“).
Definition von André Breton in der Surrealistenzeitschrift
„La Révolution surréaliste“ (Oktober 1927)
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Exquisite Corpse“
PRESSESTIMMEN
„Exquisite Corpse" - Nürnberger Nachrichten - 18.04.2011
Junge-Choreografen-Abende sollen für frischen Wind im Ensemble sorgen. Und dann wurde
gleich ein Wirbelsturm daraus. Riesenapplaus belohnte die Premiere von „Exquisite Corpse",
mit der sieben Tänzer des Nürnberger Balletts ihre choreografische Visitenkarte abgaben.
[...]
Der Abend lud auch zur Wiederentdeckung des Schauspielhauses als Tanzplattform ein. Der
im Vergleich zum Opernhaus viel kompaktere Raum ist die perfekte Bühne für ein Stück wie
„Exquisite Corpse“, das sich ganz auf Licht, Musik und bewegte Körper konzentriert. Die
Frische und Energie der sieben Kurzchoreografien schwappten da direkt aufs Publikum über.
Ballettchef Goyo Montero hat diese kleinen Perlen nicht zerpflückt, wie man der
Ankündigung nach hätte vermuten können, sondern nur die Reihenfolge bestimmt und
sinnige, auch witzige Verknüpfungen geschaffen. So spinnt sich ein loser roter Faden –
spannungssteigernd bis zum Schluss.
Mit welchem Ehrgeiz die Choreografen ans Werk gegangen sind, zeigen schon ihre im
Programmfolder abgedruckten Stückideen. Sie haben sich viele Gedanken über das eigene
Leben gemacht, über Liebe und Tod, Glück und Verlust, das menschliche Miteinander und
Gegeneinander. Die Themen sind ernst, doch die choreografische Umsetzung ist mitreißend,
temporeich und in der ästhetischen Konzeption erstaunlich souverän.
Bei Ville Valkonen geht es um die Suche nach dem Glück. Der Finne macht daraus ein
kraftvolles Stück über Unschuld und Verführung – sehr sexy, sehr elegant, mit tollen
Lichteffekten und einem starken Soundtrack. Saúl Vega nähert sich seinem Thema, dem
Verlassen der Heimat, mit sanfter Ironie, lässt seine Tänzer in Alltagskleidern gar nicht
höfisch zu barocker Musik von Jean-Baptiste Lully tanzen und verwehrt ihnen die Flucht.
Eine in fließende Bewegungen verpackte Geschichte über Abschied und Neuanfang. [...]
Die intimste Arbeit steuert Hannah Lagerway bei, die das Aufbegehren eines Liebespaares
gegen den trennenden Tod im eindringlichen Pas de deux selbst mit Christian Teutscher
tanzt.
Für den fulminanten Schluss sorgt Rui Reis Lopes, der José Saramagos Roman „Stadt der
Blinden“ in gespenstische Bilder übersetzt. Wie in Trance irren die 14 Tänzer durch die
lärmende, bedrohliche Nacht. Eine Frau mit blauem Luftballon erscheint dazwischen wie das
poetisch-surreale Versprechen von einer besseren Welt. Der tänzerische Ausbruch aus der
Dunkelheit ist schlichtweg elektrisierend.
Kontraststark und trotzdem homogen wird „Exquisite Corpse“ so zum gelungenen Reifetest.
Goyo Montero hat seinen Tänzern freie Hand gelassen, und die beweisen eindrucksvoll ihr
künstlerisches Potenzial – mit Mut zu eigenen Geschichten, tänzerischer Experimentierlust
und viel musikalischem Gespür. [...] das Schauspielhaus [...] tobte am Ende vor
Begeisterung.
Regina Urban
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Exquisite Corpse“
„Exquisite Corpse" - Donaukurier - online - 18.04.2011
[...] das Konzept geht auf: Anhaltender begeisterter Applaus belohnt am Ende des 80
Minuten kurzen Abends die jungen Künstler.
Wenn sieben Menschen das Gleiche machen, kommt noch lange nicht dasselbe heraus. Im
Gegenteil: Auch wenn man allen Arbeiten deutlich anmerkt, dass ihre Schöpfer Monteros
"Stall" entstammen, offenbaren sie zum Teil einen szenischen Einfallsreichtum und ein
choreografisches Können, die viel Potenzial erkennen lassen. Vom Pas de deux bis zum
großen Ensemble ist alles dabei, getanzt wird jeweils in den Arbeiten der Kollegen. Einzige
Gemeinsamkeit: die leere schwarze Bühne.
Grotesk-originelle Tier-Mensch-Mischwesen, ultrakurz aufblitzende szenische Schlaglichter,
akustische Mehrschichtigkeit: In "Hypnagogia" spürt Natsu Sasaki jenem Zustand zwischen
Wachen und Schlafen nach, in dem die Kontrolle des Bewusstseins nachlässt und die
Wahrnehmung sich bis ins Traumhaft-Halluzinatorische erweitert. [...]
Eine fesselnde und beklemmende Studie über die Vergänglichkeit des Körpers liefert
Hannah Lagerway mit "The Charnel Ground" ab: Kostüme und Licht evozieren fahl
verwesende Fleischfarben, das Pas de deux (Lagerway, Christian Teutscher) formt düstere
Bilder des Ausgeliefertseins, des Leidens und der Bedrohung. Einprägsam und
bemerkenswert.
Ein liebesenttäuschter junger Mann, der sich in kompensatorische Macho- und
Erotikfantasien träumt: Mit "Loisto/Shine" erzählt Ville Valkonen eine alltägliche Geschichte
bei aller Kürze ebenso prägnant wie nuanciert – szenisch wie choreografisch. Sehenswert
die beiden "Superhelden" Carlos Lazaro und Max Zachrisson. Eine Arbeit, die neugierig
macht auf mehr.
Nicht ganz so stark Malcolm Sutherlands "Our Eternal Silence", das Auswirkungen der
Technologie auf die Kommunikation thematisieren möchte. Zu Morsesignalen und
schwebenden Geigen- und Klavierklängen formen sich schöne ornamentale Arrangements,
werden choreografische Bezüge zu anderen Arbeiten am deutlichsten, doch überwiegt am
Ende der Eindruck des Aktionismus.
Die Heimat verlassen, in der Fremde neu anfangen: In "A Wistful Piece of It" verarbeitet Saúl
Vega zu einer Collage aus Werken von Jean Baptiste Lully einen Aspekt vieler
Tänzerbiografien. Von Desorientierung, Heimweh, Einsamkeit zu Optimismus und neuer
Gemeinschaft: Die musikalisch sehr genau gearbeitete Choreografie überzeugt mit
originellem Partnering und "Frontfrau" Jaione Zabala.
Einen komplexen Szenenbogen schlägt Felix Valentims "Verdade Inventada": Menschen
wachsen da wie Pflanzen im Licht und werden zu Technopaaren lebendig, dann ein lyrischathletisches Männer-Pas de deux, zwei Freundinnen, die Klatsch und Flatterhaftigkeit teilen,
schließlich auf weißer Plane riesige Schatten und Wellen, die sich ausbreiten. Sehr abstrakt,
sehr formbewusst, sehr bildstark.
Wie eine Coda versammelt Rui Reis Lopes’ Arbeit "Blindness" schlussendlich das ganze
Ensemble auf der Bühne: Vereinzelt hängende Neonröhren, schwarze Silhouetten im blauen
Dämmergegenlicht, Straßengeräusche, Herzschlag. Ein Mann, der plötzlich erblindet.
Verwirrung und Not, als die Blindheit um sich greift, dann bilden sich überraschende neue
Formen und Arrangements. [...]
Fazit: Die junge Truppe um Goyo Montero scheint endgültig in Nürnberg angekommen zu
sein und lässt für die Zukunft noch viel erwarten. Die 20 Tänzerinnen und Tänzer haben in
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Staatstheater Nürnberg – Materialien „Exquisite Corpse“
der Tat exquisite Körper, wissen vorzüglich mit ihnen umzugehen – und sind zum Glück, wie
man sieht, äußerst lebendig.
Katharina Tank
„Exquisite Corpse" - Nürnberger Zeitung - 18.04.2011
Dass in der Compagnie des Staatstheaters nicht nur viel tänzerisches, sondern auch kreativgestaltendes Potenzial steckt, beweist deren neuestes Projekt „Exquisite Corpse". Dabei
lässt Ballettchef Goyo Montero sieben seiner Tänzer und Tänzerinnen ihre choreografischen
Fantasien ausleben und bündelt die so entstandenen, jeweils zehnminütigen Stücke
eigenhändig durch überleitende Elemente, Licht- und Kostümregie. [...]
„Cadavre exquis". Dabei wird ein Satz oder eine Zeichnung durch mehrere Personen
konstruiert, ohne dass diese wissen, was der jeweils andere beisteuert. Unter den gleichen
Bedingungen sind die sieben Choreografien entstanden.
Diese Form von Nicht-Wissen ist ja auch nichts anderes als eine Art von Blindheit - und so
wird in diesem Tanz-Projekt der Suchprozess selbst zum Thema. Und damit ein Leitmotiv
der modernen, beschleunigten, unübersichtlichen Gesellschaft. Die sieben Choreografen
formulieren ihre Orientierungsversuche in lebhaften, zum Teil überraschenden, zum Teil
intensiven und starken Bildern, wobei das Fragmentarische der Ergebnisse und damit die
Befreiung von den Zwängen des Handlungsballetts die Compagnie beflügelt und befeuert.
Mit schier atemberaubender Artistik und exzentrischen Bewegungen begeistern zum Beispiel
Hannah Lagerway und Christian Teutscher in Hannah Lagerways Choreografie „The Charnel
Ground", die für den Widerspruch zwischen der Körperlichkeit der Liebe und die Angst vor
Verlust, Tod und Verwesung eine extreme Bewegungssprache und eine suggestive Sprechund Musikcollage findet.
Klingt im Programmheft die Selbstbeschreibung der sieben Stücke durch die NachwuchsChoreografen manchmal ein wenig kopflastig und überladen, so überzeugt die Umsetzung
auf der Bühne meist umso mehr durch klare, auf den Punkt gebrachte Ideen.
Etwa bei Saúl Vega, der in „A Wistful Piece of it" auf die Fragen des Verlassens der Heimat
und der Migration mit Jean Baptiste Lullys Musik eine mitreißende Antwort formuliert. Weil in
diesen, für den Hof des Sonnenkönigs komponierten, prächtigen barocken Tanzsätzen nicht
nur die pure Bewegungsfreude leuchtet, sondern auch etwas von der archaischen Wucht
und Brutalität des Feierns und damit der unbändigen Energie des Lebens durchschimmert.
[...]
Für das Publikum ist diese Erkundungstour der Nürnberger Compagnie durch den Ideenund Bewegungsschatz ihrer Tänzer trotz der vorherrschenden Dunkelheit dieser „Reise ans
Ende der Nacht" nicht nur erhellend, sondern aufregend und packend. Manches formuliert
der Nachwuchs in puncto Bewegungssprache anders und zum Teil extremer als Montero
selbst, doch es braucht auch die erfahrene Hand des Ballettchefs, um aus den Fragmenten
einen Bogen zu formen. Dass Montero diesen nicht überspannt, sondern den Einzelwerken
ihre Individualität lässt, macht den eigentümlichen Reiz dieses Projekts aus. In „Exquisite
Corpse" atmet das Ballett Nürnberg gierig die Luft unserer aufregend schnelllebigen
Gegenwart [...]
Thomas Heinold
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