Übersicht Neurologische Klinik (Chefarzt: Prof. Dr. med. Reinhard Kaiser), Klinikum Pforzheim1, Nationales Referenzzentrum für Borrelien, Konsiliarlabor für Ehrlichien, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Dienststelle Oberschleißheim2, Klinik für Dermatologie und Allergologie (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. phil. Johannes Ring), Technische Universität München3, Immanuel Krankenhaus Berlin4 Aktuelle Aspekte zur Lyme-Borreliose* R. Kaiser1, V. Fingerle2, H. Hofmann3, A. Krause4 (eingegangen am 13. 01. 2011, angenommen am 04. 03. 2011) Abstract/Zusammenfassung Topical aspects of Lyme Borreliosis (Lyme disease) Lyme disease may usually be readily diagnosed by clinical and laboratory methods. This review describes the typical organ manifestations, the cardinal symptoms and differential diagnostics, makes a statement about laboratory diagnostic methods and therapy and evaluates unorthodox methods. PostLyme disease syndrome is a term used to describe multifarious complaints which cannot always be shown to have been caused by a previous infection with Borrelia. Controlled studies have demonstrated that persistence Einleitung Bei kaum einer anderen Infektionskrankheit wird so heftig über die richtige Diagnostik und Therapie diskutiert wie bei der Borreliose. Nicht selten wird eine positive Serologie (Nachweis von borrelienspezifischen Antikörpern im Serum) als ausreichende Erklärung für eine unspezifische Symptomatik interpretiert und anschließend eine wochen- oder gar monatelange Antibiotikatherapie empfohlen. Hauptproblem ist u. E. eine erhebliche Verunsicherung der Ärzte und Betroffenen durch eine Vielzahl unqualifizierter und unkritischer Fehlinterpretationen von wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien. Wie die Überprüfung der Literatur der letzten 10 Jahre als Basis für eine Konsensuskonferenz zeigte, weisen nicht wenige Publikationen zum Thema Borreliose erhebliche methodische Mängel auf, so dass die daraus resultierenden Ergebnisse nur mit Einschränkung zu interpretieren sind. Die nachfolgende Zusammenstellung berück * 426 Auf Anforderung der Schriftleitung Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 of the bacteria can be largely excluded in cases with normal cerebrospinal fluid and unsuccessful treatment with antibiotics. Keywords: Lyme disease – Post-Lyme disease syndrome – review Aktuelle Aspekte zur Lyme-Borreliose Die Lyme Borreliose ist klinisch und laborchemisch meist gut zu diagnostizieren. Die Übersicht beschreibt die typischen Organmanifestationen, deren Leitsymptome und Differentialdiagnostik, nimmt Stellung zur sichtigt die Empfehlungen verschiedener z. T. fachübergreifender Fachgesellschaften zum Thema Borreliose und versteht sich als Grundlage für die Diagnostik und Therapie der verschiedenen Organmanifestationen einer Borrelieninfektion (Stanek et al. 2011; Rauer et al. 2008; Mygland et al. 2010; Evison et al. 2006a–c; Brouqui et al. 2004; Hofmann et al. 2009; SPILF 2007; Halperin et al. 2007; Wormser et al. 2006). Erreger Die Lyme-Borreliose ist eine entzündliche Multisystemerkrankung, die durch eine Infektion mit der Spirochäte Borrelia burgdorferi sensu lato verursacht wird. Anhand verschiedener molekularbiologischer Methoden lassen sich mindestens 16 Genospezies differenzieren, wovon fünf für den Menschen gesichert pathogen sind (B. burgdorferi sensu strictu, B. garinii, B. afzelii, B. spielmanii, B. bavariensis; Fingerle et al. 2008; Margos et al. 2009). B. burgdorferi s.l. besitzt ein lineares Chromosom und zusätzlich 20 lineare und zirkuläre Plasmide. Labordiagnostik und Therapie und bewertet Außenseitermethoden. Das Post-LymeSyndrom ist eine diffuse Beschreibung vielfältiger Beschwerden, die nicht immer eine Kausalität mit einer vorausgegangen Borre- lieninfektion aufweisen. Eine Erregerpersistenz kann insbesondere bei unauffälligem Liquor und fehlendem Behandlungserfolg von Antibiotika aufgrund von kontrollierten Studien weitestgehend ausgeschlossen werden. Schlüsselwörter: Lyme-Borreliose – PostLyme-Syndrom – Übersicht Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2011; 46: 426–437 Von besonderer Bedeutung sind die beiden Oberflächenproteine (Outer surface protein = Osp) A und C. OspA ist phylogenetisch konserviert und wird nur bei niedrigen Temperaturen, also im Vektor exprimiert. Dort vermittelt es über einen speziellen Rezeptor die Adhäsion an die Darmwand der Zecke und ermöglicht so das längere Überleben in der Zecke ohne diese zu schädigen. OspC weist dagegen eine hohe Sequenzvariabilität bei den verschiedenen Isolaten auf. Das Gen wird bei höheren Temperaturen (während des Saugaktes und im Wirt) verstärkt exprimiert, dem Genprodukt wird eine bedeutende Rolle bei der Infektion während des Saugaktes der Zecke zugeschrieben. Eine ähnliche „Up-Regulation“ wie für das OspC findet sich auch bei weiteren Oberflächenproteinen (Eppa, Erps, Mlps, OspE, OppAV). Borrelia hermsii (eine zu den Rückfallfieber-Borrelien zugehörige Spezies) enthält ein sog. „variable major proteins“-(Vmp-) System, das für zwei Arten von Oberflächenproteinen (very large proteins = vlp, variable small proteins = vsp) kodiert. Ein vergleichbares Plasmid von 28 kb (vmp-like Übersicht sequence = vls) findet sich auch bei B. burgdorferi s.l. Dieses Plasmid enthält neben 15 inerten vls Genen ein vls expression (vlsE) Gen, das aus jeweils sechs variablen (VRs 1–6) bzw. invariablen Regionen (IR 1–6) besteht und für ein Oberflächenlipoprotein (p35) kodiert. Während der Vermehrung im Wirt kommt es zu einer beachtlichen Rekombination im zentralen Abschnitt des vlsE-Gens mit entsprechender Sequenzveränderung in der variablen, nicht jedoch in der konstanten Region. Diese Rekombination führt während der Infektion zu einer erheblichen Antigenvariation, die als mögliche Ursache für eine Persistenz von B. burgdorferi s.l. im Wirt diskutiert wird. Sowohl das gesamte vlsE-Genprodukt als auch die IR6-Sequenz (synthetisches 26mer als C6-Peptid) haben sich als sehr hilfreich für die Serodiagnostik erwiesen. Übertragung B. burgdorferi s. l. wird durch verschiedene Zeckenspezies der Gattung Ixodes (Familie: Ixodidae – Schildzecken) übertragen. Häufigste Vektoren sind in Mitteleuropa Ixodes ricinus („Holzbock“), in Osteuropa und Asien I. persulcatus sowie in den Vereinigten Staaten I. scapularis und I. pacificus. Eine Übertragung durch Fliegen, Mücken und Flöhe konnte bislang nicht schlüssig nachgewiesen werden. Je nach Region sind in Deutschland etwa 5–35 % der I. ricinus Zecken mit B. burgdorferi s.l. infiziert. I. ricinus nimmt in sämtlichen Entwicklungsstadien von der Larve über die Nymphe zum adulten Imago von jeweils einem anderen Wirt Blut auf. Ab etwa 6–8 °C werden die Zecken aktiv und können auf Wirtssuche gehen. Wesentliche Voraussetzung ist jedoch eine lokale Luftfeuchtigkeit von > 80 %, womit die jahreszeitliche Häufung der LymeBorreliose in Mitteleuropa im Frühjahr und Herbst erklärt ist. Der Saugakt dauert stadienabhängig ca. 3–10 Tage. Im Gegensatz zur Übertragung der FSME-Viren, die innerhalb der ersten Stunden über die Sekretion von Speichel erfolgt, werden Borrelien erst einige (meist > 8) Stunden nach Beginn des eigentlichen Zeckenstichs übertragen (Piesman et al. 1987). Die Übertragungsrate von Borrelien während eines Zeckenstichs steigt mit der Dauer des Saugakts und erreicht ihr Maximum nach 2–3 Tagen. Das allgemeine Infektionsrisiko mit B. burgdorferi s.l. nach einem Zeckenstich beträgt ca. 2–3 %, das einer klinisch manifesten Borreliose dagegen nur etwa 1–2 % (Reimer et al. 2002; Magid et al. 1992; Schmutzhard et al. 1988; Maiwald et al. 1998). Pathogenese Die klinische Manifestationsrate einer Borrelieninfektion nach einem Zeckenstich liegt nur bei 1–2 %, die einer chronischen Infektion ist noch um ein Vielfaches geringer. Die akute Manifestation kann ohne Antibiotikagabe spontan abheilen (z. B. das Erythema migrans = EM, aber auch die Meningopolyneuritis; Kristoferitsch et al. 1987; Kruger et al. 1989). In selteneren Fällen – z. B. bei der Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) und der chronischen Neuroborreliose – kann die Infektion jedoch auch chronisch aktiv persistieren und wird in diesen Fällen erst durch eine geeignete Antibiotikatherapie beendet. Welche Mechanismen für die Erregerpersistenz primär verantwortlich sind, ist bislang ungeklärt. Neben Defekten in der Immunabwehr des Erkrankten werden auch plasmidkodierte Eigenschaften von B. burgdorferi s.l. diskutiert, die nur bei einzelnen Genospezies zu finden sind (Porcella u. Schwan 2001). Ob die experimentell unter unnatürlichen Bedingungen erzeugbaren zystischen Formen von B. burgdorferi s.l. für die Erregerpersistenz beim Menschen eine Rolle spielen, ist derzeit unklar (Brorson u. Brorson 1997). Für die Erregerpersistenz beim Menschen könnten Fehler in der Immunabwehr (z. B. im Komplementsystem) dagegen von wesentlicher Bedeutung sein. Durch die Bindung z. B. der Borrelienproteine OspE bzw. Erp an den Faktor H im menschlichen Blut kann die Komplementaktivierung zur Beseitigung des Erregers verhindert werden. Der Nachweis einer chronischen Infektion gelingt durch den DNANachweis in der Haut bei der ACA und im Liquor von Patienten mit chronischer Neuroborreliose (bzw. hier durch den erhöhten Antikörperindex). Kriterien einer persistierenden Infektion sind neben dem Erregernachweis im Gewebe oder in Körperflüssigkeiten (Erreger- oder DNA-Nachweis mittels Anzucht oder PCR) eindeutige Zeichen einer organbezogenen Entzündung. Das Postulat einer chronischen Borreliose mit nur unspezifischen, nicht organbezogenen Beschwerden lässt sich nach diesen Kriterien nicht unterstützen. Für die Pathogenese der Neuroborreliose werden verschiedene Immunmechanismen diskutiert: Die Induktion von Autoantikörpern gegen neuronale und gliale Proteine, eine Kreuzreaktivität von Borrelien-Antikörpern mit neuronalen Antigenen, T-Zell vermittelte Autoimmunreaktionen und die Induktion einer überschießenden Produktion von Immunmediatoren durch antigenpräsentierende Zellen (Gliazellen) im ZNS (Rupprecht et al. 2008). Epidemiologie Die Lyme-Borreliose kommt überwiegend zwischen dem 40. und 60. Grad nördlicher Breite vor, entsprechend dem Vorkommen ihrer Vektoren. Relevante epidemiologische Untersuchungen wurden in Europa nur selten durchgeführt. Eine bevölkerungsbezogene Studie in Südschweden zeigte eine Inzidenz von 69/100 000 Einwohner (Berglund et al. 1995). In einer den Raum Würzburg umfassenden prospektiven, populationsbasierten Studie wurden über 12 Monate 313 Lyme-Borreliose Fälle gefunden, entsprechend einer Inzidenz von 111 auf 100 000 Einwohner (Huppertz et al. 1999). Als Frühmanifestationen fand sich in 89 % der Fälle ein isoliertes Erythema migrans (bei weiteren 3 % Erythema migrans in Verbindung mit einer anderen Organmanifestation), bei 3 % eine frühe Neuroborreliose (Stadium II), bei 2 % ein BorrelienLymphozytom und bei < 1 % eine Karditis. Als späte Erkrankungformen zeigte sich in 5 % eine Lyme-Arthritis und in 1 % eine Acrodermatitis chronica atrophicans. Eine chronische Neuroborreliose (Stadium III) wurde nicht gefunden, was auf die Seltenheit dieser Erkrankung hinweist. Klinisches Bild Die Lyme Borreliose wird in Früh- und Spätstadien eingeteilt, wobei die Stadien individuell sehr unterschiedlich ablaufen können (Steere 1989). Mit zunehmender Kenntnis des Krankheitsbildes wird die Diagnose meist im Frühstadium gestellt. Da der Infektionszeitpunkt häufig nicht bekannt ist, unterscheiden manche Autoren nur die akute und die chronische Verlaufsform. Klinisches Spektrum der kutanen Borreliose Bei 80–90 % der Patienten manifestiert sich die Lyme-Borreliose an der Haut. Im Frühstadium findet sich bei 70–90 % ein Erythema migrans mit erheblicher klinischer Variabilität, ohne oder mit Krankheitsgefühl, Myalgien, Arthralgien und Cephalgien (Berglund et aql. 1995; Huppertz et al. 1999). Bei solitärem Erythema migrans konnten in einer amerikanischen Studie in 23 % Borrelien im Blut nachgewiesen werden, bei Patienten mit solitärem Erythema migrans und mit Allgemeinsymptomen bei 43 % (Wormser et al. 2005). Diese hämatoArbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 427 Übersicht gene Disseminierung im Frühstadium kann auch zu einer Disseminierung in die Haut führen, bei ca. 10 % klinisch erkennbar als multiple Erythemata migrantia. Bei etwa 3 % der Patienten, insbesondere bei Kindern bildet sich nach Infektion an der Einstichstelle der Zecke ein solitäres Borrelienlymphozytom. Kutane Manifestationen im Rahmen der Spätinfektion unter dem klinischen Bild einer Acrodermatitis chronica atrophicans sind bei 1–3 % zu beobachten (Berglund et al. 1995). Kutane Frühinfektion Erythema migrans und Varianten. Nach einer Inkubationszeit von 3–20 Tagen kann es zu einer lokalisierten Hautinfektion in der Umgebung des infizierenden Zeckenstichs mit individuell sehr variabler Ausprägung und Dauer der Entzündungsreaktion kommen (Abb. 1). Als Richtwert wird ein Durchmesser des Erythems von mindestens 5 cm angegeben. Klinisch eindeutig ist ein randbetontes wanderndes Erythem mit zentrifugaler Ausbreitung um den Zeckenstich herum, das Erythema migrans. Sehr häufig ist die initiale Hautinfektion aber klinisch nicht eindeutig! Borrelien konnten in homogen geröteten und nicht wandernden Erythemen sowie fleckigen und infiltrierten Erythemen oder erysipelartigen flammend roten Erythemen und auch in zentral vesikulösen Erythemen nachgewiesen werden. Die Entzündung kann zentral vollständig verschwinden und so stark verblassen, dass das Erythem nur nach Erwärmung am Rand (im Bereich der wandernden Borrelien) sichtbar wird. Die Borrelien können über Monate bis Jahre in der Haut wandern oder auch ohne sichtbare Entzündungsreaktion persistieren. Borrelien-Lymphozytom. Im Frühstadium kann es auch zu Pseudolymphomen kommen, meist solitär, bevorzugt bei Kindern an den Ohrläppchen, Mamillen und im Genitalbereich, aber auch multiple gruppierte Lymphozytome wurden beschrieben (Abb. 2). B. burgdorferi s.l. kann in den Lymphozytomen nachgewiesen werden (Hovmark et al. 1986). Meist handelt es sich um die Genospezies B. afzelii. Histologisch sieht man gemischte B-und T-lymphozytäre Infiltrate. Es können auch reine B-Zell-Infiltrate auftreten, die nur schwer von einem niedrig malignen B-Zell-Lymphom abzugrenzen sind. Das Borrelienlymphozytom kann auch im Ausbreitungsbereich eines Erythema migrans auftreten. 428 Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 Disseminierte Frühinfektion Bei einem Teil der Patienten kommt es bereits im Frühstadium zur hämatogenen Disseminierung, klinisch bemerkbar durch grippeartige Krankheitssymptome mit leichtem Fieber, Arthralgien, Myalgien, Kopfschmerzen und Lymphadenopathie. Ist kein Erythema migrans sichtbar oder wird wegen atypischer Morphologie nicht erkannt, ist dieses Stadium sehr schwer zu erkennen. Abb. 1: Erythema migrans Fig. 1: Erythema migrans Multiple Erythemata migrantia. Die Disseminierung in der Haut kann sich mit multiplen scharf begrenzten symptomlosen Erythemen bemerkbar machen, den multiplen Erythemata migrantia, mit unterschiedlich großen ovalären Flecken. Bei Kindern sieht man häufig symmetrische Erytheme im Gesicht, wie sie auch bei Ringelröteln auftreten. Das histologische Bild mit perivaskulären mononukleären Infiltraten ist uncharakteristisch. Die typischen perivaskulären plasmazellulären Infiltrate finden sich erst im fortgeschrittenen Stadium. Die IgM-Antikörper im Serum sind immer stark erhöht oder steigen nach Therapiebeginn stark an. Aus den Hautläsionen können Borrelien angezüchtet oder DNS mittels PCR nachgewiesen werden. Abb. 2: Borrelien-Lymphozytom Fig. 2: Borrelial lymphocytoma Spätinfektion der Haut Nach individuell unterschiedlich langen Zeiträumen von Monaten bis hin Abb. 3: Acrodermatitis chronica atrophicans rechte Hand zu Jahren kann es zu ver- Fig. 3: Acrodermatitis chronica atrophicans, right hand schiedensten Organmanifestationen kommen. Die chronische Infektion der Haut äußert sich In etwa 50 % kann eine periphere Neuropamit lividen, oedematös-infiltrierten Ery- thie assoziiert beobachtet werden, die sich themem meistens an den Extremitäten durch Kribbelparästhesien und nächtliche (Abb. 3). Die Haut ist überwärmt aber bis Schmerzen bemerkbar macht (Kristoferitsch auf ein Schweregefühl zunächst schmerzlos. et al. 1988). Übersicht An den Extremitäten manifestiert sich einseitig oder symmetrisch eine chronische plamazelluläre Dermatitis in Form von retikulären lividen Erythemen und polsterartigen Infiltraten. Diese Infiltrate können auch im Gesicht auftreten und mit einem Lupus erythematodes verwechselt werden. Dieses ödematös-infiltrative Stadium der kutanen Spätborreliose ist beschrieben, aber bisher nicht näher bezeichnet worden (Hofmann 2005). Im weiteren Verlauf wird die gesamte befallene Haut unter Verlust der Körperbehaarung immer stärker atrophisch und die livide Verfärbung und das Unterhautbindeund Fettgewebe nehmen ab. Die Veränderungen sind in der Regel einseitig, können aber auch symmetrisch auftreten. Sie sind dann oft schwer von der Altersatrophie der Haut, einer Akrozyanose oder chronisch venösen Insuffizienz zu unterscheiden. Es entsteht das Vollbild der Acrodermatitis chronica atrophicans mit einem ausgeprägten perivaskulären plasmazellreichen Entzündungsinfiltrat in allen Hautschichten sowie einer Epidermis- und Bindegewebsatrophie. Typisch sind der Ulnarstreifen am Unterarm oder die Verdickung der Achillessehne bzw. eine Verbreiterung der Ferse am Unterschenkel. Gelegentlich sieht man auch juxtaartikulär derbe fibroide Knoten und bandförmige Fibrosierungen an Händen, Ellenbögen und Knien. Häufig sind auch Arthritiden oder Arthralgien und Myalgien assoziiert. Auch nach Jahren bis Jahrzehnten kann man in der Haut und in den fibroiden Knoten noch Borrelien nachweisen (Asbrink et al. 1985). Neuroborreliose Die Neuroborreliose lässt sich aufgrund der Symptomdauer in eine akute und eine chronische Verlaufsform unterscheiden. Die früher vorgeschlagene Symptomdauer von > 6 Monaten als Kriterium für die chronische Verlaufsform orientierte sich an deren oft unmerklichen, schleichenden Beginn der Symptomatik (Kaiser 1994). Tatsächlich gibt es keine offiziell anerkannte Definition, ab wann eine Erkrankung als chronisch einzustufen ist. Klinisch unterscheidet sich die akute von der chronischen Verlaufsform im Wesentlichen durch die Art des Symptombeginns, der bei der akuten im Vergleich zur chronischen Verlaufsform immer deutlich abgrenzbar ist sowie durch die bessere Prognose der akuten Neuroborreliose. Meningopolyradikuloneuritis (Bannwarth-Syndrom). Die Meningopolyradikuloneuritis (GarinBujadoux, Bannwarth) stellt in Europa nach dem Erythema migrans die häufigste klini- sche Manifestationsform der akuten Borrelieninfektion dar (Pfister et al. 1987). Die isolierte Meningitis ist bei den erwachsenen europäischen Patienten eher selten, steht bei den Kindern aber oft ganz im Vordergrund (Coyle 2000; Christen 1996). Die Kopfschmerzen sind oft nur gering ausgeprägt, sie können innerhalb weniger Tage und Wochen jedoch erheblich fluktuieren. Fieber, Meningismus, Übelkeit, Brechreiz und Schwindel sind sehr selten. Die Verdachtsdiagnose wird durch die Liquoranalyse bestätigt. Die Symptome der Radikulitis entwickeln sich durchschnittlich 4–6 Wochen (1–12 Wochen) nach dem Zeckenstich. Zunächst treten nächtlich betonte, an den Extremitäten radikulär, am Rumpf gürtelförmig betonte, z. T. wandernde Schmerzen auf, die auf einfache Analgetika kaum ansprechen. Das Maximum der Schmerzen wird oft innerhalb von wenigen Stunden bis Tagen erreicht. Bei Drei Viertel der Patienten treten nach ein bis vier Wochen weitere neurologische Reiz- und Ausfallserscheinungen auf. Sensible Reizerscheinungen werden zwar häufig angegeben, entsprechende Ausfälle lassen sich jedoch nur selten nachweisen. Gelegentlich ist das Segment, in dem die Schmerzen am intensivsten empfunden wurden, später eine Zeit lang taub. Häufiger als Sensibilitätsstörungen findet man Paresen. Diese sind typischerweise asymmetrisch verteilt und nicht selten ist die Extremität, an der die Zecke entfernt wurde oder das EM beobachtet wurde, stärker betroffen als die Gegenseite. Bei etwa 60 % der Patienten mit einem Bannwarth-Syndrom treten Hirnnervenparesen auf. Beschrieben wurden Affektionen aller Hirnnerven bis auf den N. olfactorius. Mit Abstand am häufigsten ist der N. facialis betroffen, wobei die Paresen in 40 % bilateral auftreten (akute > chronische Verläufe). Bei Kindern hat eine beidseitige Fazialisparese eine solch hohe pathognomische Bedeutung im Hinblick auf die Borrelienätiologie, dass bei positiver Serologie auf eine Liquorpunktion verzichtet werden kann (Christen et al. 1990). Gelegentlich kommt die Fazialisparese bei der Neuroborreliose auch isoliert vor, so dass die Borrelienserologie auch bei der scheinbaren „idiopathischen Fazialisparese“ zu empfehlen ist. Die Prognose der borrelieninduzierten Fazialisparese ist ähnlich wie die der idiopathischen Parese. An zweiter Stelle folgt die Abduzensparese, die in 10 % beidseitig auftreten kann. Die übrigen Hirnnerven sind deutlich seltener betroffen. Die Bedeutung einer Borrelieninfektion für eine isolierte Erkrankung des N. vestibulocochlearis ist noch offen. In mehreren großen epidemiologischen Studien konnte keine sichere Kausalität zwischen einer akuten Schwindelsymptomatik oder einem Hörsturz und serologisch nachweisbaren Antikörpern gegen B. burgdorferi s.l. hergestellt werden (Peltomaa et al. 1998, 2000). Lediglich Finizia et al. (2001) konnten bei Patienten mit akutem Hörsturz und entzündlichen Liquorveränderungen unter Antibiotikagabe einen besseren Therapieerfolg bzw. eine bessere Prognose erreichen als bei Patienten mit „idiopathischem” Hörsturz. Aus dieser Einzelbeobachtung lässt sich allerdings nicht die Empfehlung ableiten, beim Hörsturz regelmäßig die Borrelienserologie zu veranlassen. Im Rahmen einer chronischen Neuroborreliose kann durchaus eine ausgeprägte Hörminderung auftreten. Eine distale asymmetrische Polyneuritis als Folge einer Borrelieninfektion findet sich bei den europäischen Patienten praktisch nur in Assoziation mit einer ACA, was pathogenetisch gut durch die lokale chronische Entzündung in der Subkutis zu erklären ist (Kindstrand et al. 2000). In den seltenen Fällen einer Mononeuritis multiplex, einer Plexusneuritis und einer symmetrischen Polyneuritis ließ sich die Kausalität mit einer Borrelieninfektion weder mit den Labormethoden der Mikrobiologie beweisen noch ausschließen. In einer großen schwedischen Studie fanden sich bei Patienten mit PNP nicht häufiger Antikörper gegen B. burgdorferi s.l. als bei Blutspendern, auch konnte bei diesen Patienten kein signifikanter Erfolg einer Antibiotikatherapie im Hinblick auf die Beschwerden nachgewiesen werden (Mygland et al. 2006). Solange die Nervenwurzeln unbeteiligt sind, müssen im Liquor auch keine pathologischen Veränderungen nachweisbar sein, so dass allein die positive Serologie Hinweise auf die Ätiologie geben könnte. Die Diagnose kann letztlich nur als Verdacht geäußert werden, wenn andere häufigere Ursachen einer PNP ausgeschlossen wurden. Zeigt ein Behandlungsversuch mit geeigneten Antibiotika über 3 Wochen keinen Erfolg, wäre die Borrelienätiologie der Beschwerden sehr zu bezweifeln. Sehr selten kann die Borrelieninfektion ein sympathisch unterhaltenes Schmerzsyndrom verursachen. Ebenso selten kann sich nach einer zunächst erfolgreich behandelten Neuroborreliose eine wahrscheinlich autoimmun vermittelte sekundäre Neuropathie entwickeln, die nicht auf eine erneute Antibiotikabehandlung anspricht, jedoch auf eine immunmodulatorische Behandlung (Rupprecht et al. 2008). Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 429 Übersicht Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Kli- nische Symptome von Seiten des zentralen Nervensystems werden bei der Borreliose nur selten beobachtet und dann häufiger beim chronischen als beim akuten Verlauf. Die Enzephalitis weist bei der Borreliose keine Charakteristika auf, die spezifisch für diese Ätiologie wären. Beschrieben wurden quantitative und qualitative Bewusstseinsstörungen, fokale und generalisierte Anfälle, Paresen, Hemianopsien, Aphasien und Dysarthrien, eine internukleäre Ophthalmoplegie, ein Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom, ein Pseudotumor cerebri, Koordinationsstörungen und in Einzelfällen auch choreatiforme und dystone Bewegungsstörungen. Die publizierte Verursachung eines Parkinson-Syndroms bzw. einer Multisystemdegeneration durch eine Borrelieninfektion beruhte auf der Nichtbeachtung einer zufälligen Assoziation einer Neuroborreliose mit einer anderen, gleichzeitig bzw. schon zuvor bestandenen degenerativen Erkrankung. Eine Rückbildung der Parkinson-Symptomatik unter einer entsprechenden Antibiotikatherapie wird i. d. R. nicht beobachtet. Als häufigste Manifestation am zentralen Nervensystem findet sich die Myelitis mit spastisch-ataktischer Gangstörung und Blasenentleerungsstörung. Zwei Drittel der Patienten mit Parabzw. Tetraparesen zeigten eine schwere Ausprägung der klinischen Symptomatik. Bei etwa 60 % der Patienten mit einer Myelitis bestanden zusätzlich Zeichen einer Enzephalitis, bei etwa 40 % zudem Hirnnervenparesen. Kernspintomographisch lassen sich keine diagnoseweisenden Befunde erheben. Die Abgrenzung der chronischen Verlaufsform einer Neuroborreliose in Form einer Enzephalomyelitis von der chronischen Enzephalomyelitis disseminata ist klinisch nicht immer möglich (Entwicklung einer spastisch-ataktischen Gangstörung in Verbindung mit einer Blasenentleerungsstörung), gelingt aber durch die Liquoranalyse mit Nachweis einer leichten Pleozytose, einer meist deutlichen Schrankenstörung und einem signifikant erhöhten Borrelienspezifischen Antikörperindex bei der Neuroborreliose in den meisten Fällen jedoch eindeutig (Heller et al. 1990; Schmutzhard 2002). Zerebrale Vaskulitis. In seltenen Fällen kann die zerebrale Symptomatik auch durch eine borrelieninduzierte zerebrale Vaskulitis verursacht sein. Der Verlauf ist meist akut, in der Mehrzahl kommt es zur Infarzierung von Hirnstamm und/oder Thalamus. Mehr als ein Drittel der publizierten Patienten war jünger als 30 Jahre. Die Diagnose ergibt sich aus der positiven Serologie, dem entzündlichen Liquorsyndrom und der MRT. 430 Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 Myositis. Die Myositis gilt als sehr seltene Manifestation der Borreliose am Bewegungsapparat. Die Schmerzen und Paresen sind meist fokal betont, die Muskelenzyme sind nur selten erhöht. Die Diagnose der Myositis stützt sich bei passender klinischer Symptomatik auf die Serologie, den EMG-Befund und den immunologischen oder molekularbiologischen Nachweis von B. burgdorferi s.l. in der Biopsie (Holmgren u. Matteson 2006). Borrelien-Enzephalopathie. Unter dieser Diag- nose werden vornehmlich in der amerikanischen Literatur verschiedene unspezifische Beschwerden subsumiert wie verminderte Leistungsfähigkeit, vermehrte Müdigkeit, Reizbarkeit und emotionale Labilität sowie Schlaf-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und Kopfschmerzen (Fallon et al. 1993; Fallon u. Nields 1994; Coyle u. Schutzer 2002; Kaplan u. Jones-Woodward 1997; Benke et al. 1995; Kaplan et al. 1992; Krupp et al. 1991; Logigian et al. 1990; Elkins et al. 1999). Eine Kausalität zwischen diesen Symptomen und einer lediglich serologisch nachgewiesenen Borrelieninfektion ist bei fehlendem Nachweis von Entzündungszeichen im Liquor und Persistenz der Symptome nach einer Antibiotikatherapie schwer vorstellbar (Klempner et al. 2001). Die positive Borrelienserologie ist in dieser Patientengruppe daher eher als Folge einer klinisch inapparenten Infektion (Seroprävalenz) zu interpretieren. In Assoziation mit einem entzündlichen Liquor und anderen neurologischen Ausfällen können die genannten Beschwerden jedoch als Folge einer Neuroborreliose interpretiert werden. phase sind diese unspezifischen Infektzeichen seltener und weniger stark ausgeprägt. Lyme-Karditis. Die Lyme-Karditis ist selten und tritt bei weniger als 5 % der Patienten auf. Da eine Herzbeteiligung oft subklinisch oder nur mit unspezifischen Symptomen verläuft, werden passagere Rhythmusstörung oder inkomplette AV-Blockierungen aber möglicherweise auch nicht bemerkt, wenn nicht gezielt danach gesucht wird. Dramatisch und lebensbedrohlich sind die seltenen totalen AV-Blockierungen, die eine passagere Schrittmacherbehandlung erforderlich machen können und sich unter einer Therapie mit Antibiotika und Steroiden meist schnell und vollständig zurückbilden. Ob die Lyme-Borreliose in der Spätphase zu einer dilatativen Kardiomyopathie (DCMP) führen kann, ist umstritten. Einerseits wurden ganz vereinzelt borrelienartige Strukturen in Myokardbiopsien detektiert, andererseits deuten serologische Studien nicht auf einen Zusammenhang zwischen DCMP und Lyme-Borreliose hin. Jede Myokarditis, insbesondere wenn sie zu höhergradigen AV-Blockierungen führt, kann Manifestation einer Lyme-Borreliose sein. Diagnostisch kommt der Anamnese mit Zeckenstich und Erythema migrans sowie der Lyme-Serologie eine besondere Bedeutung zu. Andere Myokarditisursachen müssen parallel ausgeschlossen werden, da die positive Borrelien-Serologie allein eine Lyme-Borreliose nicht sichern kann. Lyme-Arthritis. Rheumatologische Symptome können relativ früh im Krankheitsverlauf, d. h. innerhalb weniger Wochen nach Infektion, als Arthralgien und Myalgien oder auch milde, flüchtige Arthritiden einzelner Gelenke auftreten. Die typische Lyme- Internistische und rheumatologische Manifestationen Besonders in der Frühphase verspüren viele Patienten ein allgemeines Krankheitsgefühl, auch kann es zu Lymphknotenschwellungen und subfebrilen Temperaturen kommen. Diese Symptome können gerade zu Beginn der Erkrankung sehr ausgeprägt sein. Respiratorische oder gastrointestinale Symptome dagegen gehören nicht zum Krankheitsbild der Lyme-Borreliose und helfen daher in der Abgrenzung zu anderen Infektionskrankheiten. In der Abb. 4: Borrelienarthritis linkes Knie chronischen Krankheits- Fig. 4: Lyme arthritis, left knee Übersicht Arthritis manifestiert sich jedoch in der späten Krankheitsphase, also mehrere Wochen bis Monate nach Erregerübertragung. Aufgrund der variablen Latenzzeit findet sich für den Beginn der Arthritis keine jahreszeitliche Häufung. Die Arthritis manifestiert sich in der Regel als Mon- oder Oligoarthritis, wobei in 85 % der Fälle mindestens ein Kniegelenk betroffen ist (Abb. 4). Auch die Sprung- und Ellenbogengelenke können involviert sein, während ein Befall der Fingergelenke, zumal in Form eine Polyarthritis, nur sehr selten beobachtet wird. Einzige Ausnahme sind die Arthropathien, die im Bereich einer Acrodermatitis chronica atrophicans auftreten und oftmals die Zehen- oder Fingergelenke betreffen. Die Lyme-Arthritis verläuft meist episodisch, d. h. mit wiederkehrenden Entzündungsschüben, die von symptomarmen oder -freien Intervallen unterbrochen werden. Die Intervalle können im Verlauf kürzer und die Arthritis dann chronisch werden. Die Synoviaanalyse zeigt bei akuter Arthritis deutlich erhöhte Zellzahlen bis zu 50 000/µl mit Überwiegen der Neutrophilen. Die histologischen Befunde der Synovialmembran bei chronischer Lyme-Arthritis sind nicht von denen der rheumatoiden Arthritis zu unterscheiden. Weitere Manifestationen am Bewegungsapparat sind (begleitend auftretende) Bursitiden und Tendosynovialitiden. Wichtig in der Abgrenzung zu den ansonsten klinisch ähnlich verlaufenden Spondylarthritiden ist die Tatsache, dass ein Befall des Achsenskeletts, wie z. B. eine Sakroiliitis, bei der Lyme-Arthritis nicht vorkommt. Im Übrigen gibt es keine typischen Symptome, die die sichere klinische Abgrenzung der Lyme-Arthritis von anderen entzündlichen Gelenkerkrankungen erlauben. Früh diagnostiziert und behandelt hat die Lyme-Arthritis eine gute Prognose und heilt meist folgenlos aus. Erosive Verläufe bei chronischer Arthritis sind beschrieben worden, kommen aber nur selten vor. Bei einem Teil der Patienten mit Lyme-Arthritis führt auch eine mehrfache antibiotische Behandlung nicht zur Ausheilung. In den USA wird dieser Anteil auf 10 % geschätzt, für Europa gibt es hierzu keine guten epidemiologischen Daten. Es gibt Hinweise, dass diesen sogenannten antibiotikaresistenten Verläufen infektionsgetriggerte immunpathologische Mechanismen zugrunde liegen (Franz u. Krause 2003; Huppertz u. Krause 2003; Steere et al. 2004). Bei einer neu aufgetretenen Mon- oder Oligoarthritis muss differentialdiagnostisch immer auch an eine Lyme-Arthritis gedacht werden. Dabei wird die Verdachtsdiagnose zunächst klinisch-anamnestisch gestellt und anschließend durch eine positive Serologie untermauert. Da der Erregerdirektnachweis nur selten gelingt, kann die Lyme-Arthritis in aller Regel erst nach Ausschluss zahlreicher Differentialdiagnosen mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit diagnostiziert werden. Zu nennen sind hier die Gicht, Pseudogicht, septische Arthritis, Löfgren-Syndrom, reaktive Arthritis, Psoriasis-Arthritis, enteropathische Arthritis, rheumatoide Arthritis (atypischer Beginn). Wichtige anamnestische Hinweise auf eine Lyme-Arthritis sind ein erhöhtes Expositionsrisiko gegenüber Zecken, frühere Zeckenstiche und natürlich ein im engeren zeitlichen Zusammenhang (Wochen bis Monate) vorangegangenes Erythema migrans. Gelegentlich kann die Assoziation einer Arthritis mit einer Acrodermatitis chronica atrophicans diagnostisch wegweisend sein. Meist ist die Lyme-Arthritis jedoch nur noch als erste und einzige Manifestation einer Borrelieninfektion zu sehen. Diagnosekriterien der Lyme-Arthritis: 1.Assoziation mit pathognomonischen extraartikulären Manifestationen, 2.typisches Gelenkbefallsmuster, 3.Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen, 4.IgG-Antikörper gegen B. burgdorferi, 5.positive Borrelien-PCR in Synovia oder Synovialis, 6.lokale Synthese borrelienspezifischer IgG-Antikörper im Gelenkpunktat (Berechnung analog der intrathekalen Antikörpersynthese). Post-Lyme-Syndrom (PLS). Es ist bekannt, dass ein Teil der Patienten mit einer Neuroborreliose nach der akuten, oft sehr schmerzhaften Erkrankung noch eine Zeitlang Beschwerden in Form von Missempfindungen und allgemeiner subjektiver Beeinträchtigung angibt. Allerdings führen nicht wenige Patienten mit einer durchgemachten Neuroborreliose später auftretende, neuerliche Beschwerden auch gerne auf eine vermeintliche Erregerpersistenz zurück und fürchten dann an einer chronischen, nicht heilbaren Infektion zu leiden. Diese Befürchtungen werden genährt durch unsachgemäße Interpretationen wissenschaftlicher Untersuchungen z. B. zur Zystenbildung von B. burgdorferi s.l. unter artifiziellen Bedingungen, wie sie im menschlichen Körper kaum vorkommen dürften. Vielfach wird über Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen oder Arthralgien und Myalgien geklagt. Diese Symptome sind meist einer verlängerten Rekonvales- zenz nach erfolgreicher Therapie zuzuordnen. Therapiestudien, auch aus Europa, belegen, dass die Rückbildung von Symptomen gerade von Spätmanifestationen Wochen bis Monate dauern und der Therapieerfolg erst nach mehreren Monaten abschließend beurteilt werden kann. Das Post-Lyme Syndrom (PLS) wurde 1996 erstmals als Beschwerdekomplex definiert, der nach einer lege artis behandelten Lyme-Erkrankung über einen Zeitraum von mehr als 6 Monate persistiert (Bujak et al. 1996). Die Autoren untersuchten jeweils 23 Patienten mit und ohne Probleme nach einer früheren Lyme-Erkrankung. Die LymeErkrankung war definiert als akute Erkrankung mit einem Erythema migrans und/oder Kopfschmerzen, Arthralgien, Myalgien, Müdigkeit und/oder Lyme-Arthritis. Zwar fanden die Autoren bei Patienten mit vermutetem PLS in 7 von 23 Fällen eine Fibromyalgie, in 3 von 23 Fällen ein ChronicFatigue-Syndrom und in 10 von 23 Fällen ähnliche und mildere Symptome, die aber weder einer Fibromyalgie noch einem Chronic-Fatigue-Syndrom zuzuordnen waren. Auch gaben 22 von 23 Patienten Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen an, die Autoren erklären in ihrer Arbeit jedoch nicht, in welchem Umfang Differenzialdiagnostik betrieben worden war, um andere Ursachen für die angegebenen Beschwerden bei den Patienten abzuklären. Da die einzelnen Symptome unspezifisch für eine bestimmte Erkrankung sind und zum großen Teil von der Stimmung abhängen, lässt sich aus dieser Arbeit kein verallgemeinernder Rückschluss im Hinblick auf die Möglichkeit des Bestehens eines PLS ziehen. Bei kritischer Durchsicht der zahlreichen bislang publizierten Studien gibt es bislang keine plausiblen Beweise für eine chronische LymeErkrankung ohne Erreger- oder Entzündungsnachweis bzw. ein PLS. Insbesondere fehlen immunologische und mikrobiologische Befunde, die die Pathogenese der unspezifischen Beschwerden erklären. Diagnostik (Tabelle 1) Serologie Die Diagnose einer Borreliose ist primär klinisch zu stellen, der Nachweis spezifischer Antikörper dient dann zur Unterstützung der Verdachtsdiagnose (Tabelle 1; Stanek et al. 2011). Die Sensitivität der heutigen Tests zum Nachweis einer frühen Lyme-Borreliose liegt bei 50–> 90 %, zum Nachweis einer späten Lyme-Borreliose bei fast 100 %. Der positive Nachweis borreArbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 431 Übersicht Tabelle 1: Empfehlungen zum diagnostischen Vorgehen bei V.a. Lyme-Borreliose Table 1: Recomended diagnostic approach in cases of suspected Lyme disease Verdachtsdiagnose Antikörpernachweis (Serologie) Sensitivität Punktat oder Biopsie für PCR/Kultur Sensitivität Wenn typisch, nicht obligat; ggf. sofort (Nullwert) und Kontrolle 20–80% Nur wenn atypisch: Biopsie aus ver- Je nach Dauer dächtigem Hautareal der Infektion 90% Multiple Erythemata migrantia Obligat IgM und/oder IgG 90–100% PCR 90% Frühe Neuroborreliose (Morbus Bannwarth, Meningitis u.a.) Obligat. Liquor-Serum-Paar vom selben Tag. Nachweis der intrathekalen Anti- körperbildung (in Kombination mit Entzündungszeichen des Liquors). Ggf. Verlaufskontrolle 70–90% Liquor 10–30% Lyme-Arthritis Obligat. Nachweis von IgG-Antikörpern und breitem Bandenspektrum im IgGImmunoblot 100% PCR aus Synovia oder Synovialis, Kultur 50–70% extrem selten positiv. Punktatdiagnostik (nur mit PCR) mit Zellzahl und -art ACA Obligat. Nachweis von IgG-Antikörpern und breitem Bandenspektrum im IgGImmunoblot 100% Ggf. Biopsie aus betroffenem Hautareal; auch für Histologie Chronische Neuroborreliose Obligat. Liquor-Serum-Paar vom selben Tag; Nachweis der intrathekalen IgGAntikörperbildung (in Kombination mit Entzündungszeichen des Liquors und oligoklonalen Banden) 100% PCR und Kultur aus Liquor typischerweise negativ Frühmanifestationen Erythema migrans Spätmanifestationen lienspezifischer Antikörper allein beweist jedoch keine aktive Infektion mit B. burgdorferi s.l., da Borrelieninfektionen mit asymptomatischer Serokonversion vorkommen und über Jahre anhaltende, erhöhte IgG- und IgM-Antikörpertiter (in Serum und/oder Liquor) nach ausreichend behandelter Borreliose bei gesunden Personen keine Seltenheit darstellen. Die Bedeutung eines positiven Ergebnisses wird durch die Seroprävalenz von ca. 10–30 % erheblich relativiert. Daher sollten Laboruntersuchungen nur bei einem konkreten klinischen Verdacht veranlasst werden, d. h. wenn die a priori Wahrscheinlichkeit der richtigen klinischen Diagnose mindestens 20 % beträgt (Bunikis u. Barbour 2002). Die Serodiagnostik der systemischen Borrelieninfektion erfolgt nach einem 2-Stufen-Schema: Zunächst wird als Suchtest ein empfindlicher Enzyme-Immuno-Assay (EIA) durchgeführt. Ein zweifelhaftes oder positives Ergebnis wird durch einen Bestätigungstest (Immunoblot) überprüft (Wilske 2002). Der Immunoblot kann als Western Blot oder Line Blot durchgeführt werden. Als Antigene sollten möglichst rekombinante oder definierte gereinigte Borrelienproteine eingesetzt werden: Solche Teste sind besser zu Standardisieren, zuverlässiger auszuwerten, es können nur in vivo expri- 432 Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 mierte Antigene eingesetzt werden (z. B. VlsE) oder Antigene, die durch Trunkierung eine verbesserte Spezifität aufweisen (z. B. p41 internes Fragment). Entscheidend für die Auswahl des Tests sind aber letztlich die optimalerweise durch eine Publikation belegten Leistungsdaten. Die Bewertung serologischer Befunde erfordert immer die Zusammenschau mit klinischen und anamnestischen Daten. Zum Beispiel spricht ein negativer IgG-Test – selbst bei positivem IgM – gegen eine späte oder chronische Lyme-Borreliose, wiederholte serologische Untersuchungen sind nicht indiziert. Bei Verdacht auf eine frühe Neuroborreliose oder ein atypisches Erythem der Haut ist dagegen ein isoliert positives IgM gut vereinbar mit der Verdachtsdiagnose – sehr selten kann die Serologie ganz früh sogar negativ sein – in Zweifelsfällen sollte die Infektion aber durch eine Folgeuntersuchung mit der Fragestellung einer IgG-Konversion gesichert werden. Ursachen für ein falsch-positives IgM umfassen u. a. oligoklonale Stimulation (EBV-Infektion!), Zustand nach überwundener Infektion, autoimmunologische Erkrankungen oder Schwangerschaft. In diesen Fällen findet sich bei Folgeuntersuchungen keine IgG-Konversion bzw. kein signifikanter IgG-Titeranstieg. 50–70% Mit Hilfe des Bandenspektrums kann man eine Frühinfektion von einer Spätinfektion unterscheiden. Bei einer Spätinfektion findet man deutlich mehr Banden im Immunoblot als bei der akuten Infektion. Das Bandenmuster im Immunoblot und die Antikörperkonzentrationen im EIA haben für die Behandlungsindikation und die Beurteilung des Therapieerfolges jedoch keine wesentliche Bedeutung. Entscheidend ist der klinische Befund. Verlaufskontrollen der Antikörperkonzentrationen sind grundsätzlich entbehrlich, da sie keine Aussage über den Therapieerfolg erlauben. Sie können in Ausnahmefällen sinnvoll sein, z. B. wenn sich ein Patient mit der typischen Symptomatik einer akuten Neuroborreliose vorstellt und sich anfänglich nur negative oder grenzwertige Befunde erheben lassen. Nach Therapiebeginn steigen die IgM-Antikörper in den meisten Fällen an. Bei atypischen Formen der Hautentzündung im Frühstadium kann durch den serologischen Nachweis eines IgM-Antikörperanstiegs unter Therapie die Diagnose gesichert werden. Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR), Kultivierung Goldstandard in der Diagnostik einer infektiösen Erkrankung ist der Erregernachweis. Der kulturelle Nachweis von B. burgdorferi Übersicht ist jedoch aufgrund von Erregereigenschaften und geringer Erregerdichte schwierig und langwierig. Der Nachweis erregerspezifischer DNA mittels PCR aus Liquor hat wegen mangelnder Sensitivität für die Diagnostik der Neuroborreliose keine große Bedeutung. Sie kann hilfreich sein bei sehr frühen Manifestationen der Neuroborreliose, wenn noch keine spezifische Antikörperantwort generiert wurde, bei immunsupprimierten Patienten und bei Patienten, die antibiotisch oder mit Kortikosteroiden vorbehandelt wurden (Lebech 2002). Entsprechendes gilt für den kulturellen Erregernachweis aus Liquor. Bei der Lyme-Arthritis und der Hautborreliose besitzt die PCR allerdings eine hohe Sensitivität von bis zu 80 % und wird hier zum Erregernachweis in Synovia und Synovialis und Haut eingesetzt. Die Sensitivität und Spezifität der PCR-Diagnostik aus dem Urin zeigt eine erhebliche Methodenabhängigkeit und Kreuzreaktivität und kann daher für die Diagnose der Lyme-Borreliose nicht empfohlen werden (Brettschneider et al. 1998). Liquordiagnostik Der Liquor zeigt typischerweise eine lymphozytäre Pleozytose mit zahlreichen Plasmazellen und aktivierten Lymphozyten sowie eine deutliche Schrankenstörung (erhöhter Albuminquotient, erhöhtes Gesamtprotein). Die Zellzahl im Liquor liegt im Mittel bei 200/µl, weist jedoch eine große Schwankungsbreite auf (Kaiser 1994). Eine normale Zellzahl ist mit einer akuten Entzündung im Nervensystem nur schwer vereinbar. Lediglich bei einer wenige Stunden bis Tage alten, isolierten Fazialisparese (als einzigem Symptom einer Neuroborreliose) wäre anfänglich noch ein normaler Liquorbefund ohne Pleozytose vorstellbar. Hier wäre dann aber bei einer erneuten Punktion wenige Tage später als Conditio sine qua non für die vermutete Ätiologie eine Zellzahlerhöhung zu erwarten. Zusätzlich findet sich bei der akuten Verlaufsform meist eine ausgeprägte intrathekale IgM-Synthese (in > 80 % der Fälle) und geringer auch IgG-Synthese (> 60 % der Fälle), bei der chronischen Verlaufsform findet man häufiger eine IgA- und IgG-Synthese (Kaiser 1994). Als Goldstandard der IgG-Synthese gilt die Bestimmung der oligoklonalen IgGBanden, die bei > 80 % der Patienten mit Neuroborreliose nachweisbar sind. Abgesichert wird die Diagnose durch den Nachweis einer borrelienspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese, die am einfachsten durch den Vergleich der spezifischen Antikörperkonzentrationen in Liquor und Serum unter Berücksichtigung der je- weiligen Immunglobulinkonzentrationen in beiden Kompartimenten erfolgt (Kaiser u. Lucking 1993). Eine mindestens 1,5fach höhere Antikörperkonzentration im Liquor pro Einheit Immunglobulin weist auf eine intrathekale Synthese hin. Die Berechnung des Antikörperindexes (AI) darf nur bei sicher positivem Nachweis von borrelienspezifischen Antikörpern im Liquor erfolgen, bei Zahlenwerten (Einheiten) unterhalb des Cut-off des jeweiligen Tests wird die AI-Berechnung ad absurdum geführt. Eine intrathekale erregerspezifische Antikörpersynthese kann bei gleicher Immunglobulinkonzentration in Serum und Liquor auch durch ein unterschiedliches Bandenmuster im Immunoblot aufgezeigt werden (Kaiser u. Lucking 1993). Eine intrathekale B.burgdorferi-spezifische Antikörperproduktion kann viele Jahre persistieren und ist ohne gleichzeitig vorhandene Pleozytose im Liquor nicht als Aktivitätsmarker zu interpretieren. ( Antikörper-Index = Spez. AK-Liquor (Einheiten) Spez. AK-Serum (Einheiten) ( IgG-Konzentration Liquor (mg/l) ( IgG-Konzentration Serum (mg/l) ( Nicht empfohlene Untersuchungsmethoden Graustufen-Test (Visual Contrast Sensitivity Test). Im Graustufentest wird die Fähigkeit der Retina geprüft, verschiedene Grautöne zu unterscheiden. Eine fehlende Differenzierbarkeit kann z. B. durch eine toxische Schädigung der Netzhautzellen bedingt sein. Von einzelnen Autoren wird die Vermutung geäußert, B. burgdorferi s.l. produziere ein Neurotoxin, das die Retina schädige, obwohl bislang weder dieses Protein biochemisch noch sein entsprechendes Gen molekularbiologisch identifiziert wurde. Auf dieser Hypothese basierend finden sich u. a. auf Internetseiten Hinweise, dass bei einem pathologischen Ergebnis im GraustufenTest auch bei Fehlen spezifischer Antikörper eine Borrelieninfektion nachgewiesen wäre und dass bei zu vermutender Lipophilie des Neurotoxins (da dieses dem enterohepatischen Kreislauf unterliege) eine Behandlung mit Cholestyramin indiziert sei. Ein solcher Test wie auch die Therapie mit Cholestyramin entbehren den wissenschaftlichen Kriterien für eine Empfehlung. Lymphozyten-Transformationstest (LTT) und CD57+/ CD3-Lymphozytenpopulation. Die mancherorts geübte Praxis bei negativer Serologie die Diagnose mittels positivem LTT-Befund zu stellen oder bei fehlendem klinischen Behandlungserfolg einer Borreliose die Notwendigkeit weiterer Antibiotikagaben durch den Aktivitätsnachweis im LTT zu belegen, kann aufgrund der bislang mangelnden Spezifität und fehlenden Validierung dieses Tests (anhand eines Patientenkollektiv mit eindeutig gesicherter Borreliose) nicht empfohlen werden (Wilske et al. 2007). Aus den gleichen Gründen muss von einer Bestimmung der CD57+/CD3-Lymphozytensubpopulation abgeraten werden Therapie Allgemein Es gibt bisher keinen internationalen Konsens über die Therapierichtlinien bei der Lyme Borreliose. In Tabelle 2 sind die am besten evaluierten Antibiotika aus amerikanischen und europäischen Therapiestudien sowie aus Reviews zusammengefasst (Hofmann 2005; Stanek u. Strle 2003; Steere 2001; Wormser et al. 2003; Wormser 2006). Es ist besonders wichtig, dass Dosis und Dauer der Therapie eingehalten werden. Die Frühinfektion sollte mindestens 2–3 Wochen, die Spätinfektion 3 4 Wochen behandelt werden. Doxycyclin und Amoxicillin sind die Antibiotika der 1. Wahl. Die Therapie mit Penicillin V oral wird kontrovers diskutiert. Österreichische und slowenische Untersuchungen zeigen eine ausreichende Wirksamkeit (Aberer 2006; Arnez 2007). Von den neuen Makroliden hat sich nur Azithromycin als ausreichend wirksam erwiesen (Luft et al. 1996; Weber et al. 1993). Die lange Gewebehalbwertzeit ist von Vorteil bei der langen Generationszeit der Borrelien. Roxithromycin und Clarithromycin sind nicht ausreichend wirksam. Erythromycin zählt wegen der unsicheren Resorption und Hinweisen auf Resistenzen nicht mehr zur Therapie der Wahl (Terekhova et al. 2002). Die Cephalosporine der 1. Generation sind nicht ausreichend wirksam. Von den oral anwendbaren Cephalosporinen hat nur Cefuroximaxetil eine der Doxycyclin- und Amoxicillintherapie vergleichbare Wirksamkeit mit Heilungsraten von 85–100 % gezeigt (Dattwyler et al. 1990). Bei Spätinfektionen mit neurologischer Symptomatik ist eine intravenöse Therapie mit Penicillin oder den Cephalosporinen der 3. Generation (Ceftriaxon oder Cefotaxim) erforderlich; Dattwyler et al. 1987, 1988). Ohne neurologische Beteiligung ist auch eine orale Doxycyclintherapie über 30 Tage ausreichend (Dattwyler et al. 1997; ). Dies gilt auch für die Acrodermatitis chronica atrophicans (Aberer et al. 1996). Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 433 Übersicht Tabelle 2a: Antibiotika und Therapiedauer bei der Borreliose Table 2a: Duration of antibiotic administration and therapy of Borreliosis Erkrankung Amoxicillin Cefuroximaxetil Doxycyclin Penicillin G Ceftriaxon Cefotaxim EM und MEM* 14–21 14–21 14–21 – – – Lymphozytom 14–21 14–21 14–21 – – – ACA 21–28 – 21–28 – 21–28 21–28 Karditis 14–21 – 14–21 – 14–21 14–21 Arthritis 30 – 30 – 14–21 14–21 Akute NB*** – – – 21 14 14 – – – 21 21 – ** Chronische NB *** * Erythema migrans und Multiple Erythemata migrantia, ** Acrodermatitis chronica atrophicans, *** Neuroborreliose Tabelle 2b: Verabreichung und Dosierung von Antibiotika zur Behandlung der Lyme-Borreliose Table 2b: Administration and dosing of antibiotics to treat Lyme disease Antibiotikum Gabe Dosierung Erwachsene Dosierung Kinder/Jugendliche Penicillin G i.v. 4 x 5 Mio. 0,5 Mio./kg KG Amoxicillin Oral 3 x 500–1000 mg 20–50 mg/kg KG Cefuroxim axetil Oral 2 x 500 mg 30–40 mg/kg KG Ceftriaxon i.v. 1x2g 50–100 mg/kg KG Cefotaxim i.v. 3x2g 200 mg/kg KG in 3 ED* Doxycyclin Oral 1 x 200 mg Ab 9. Lebensjahr 2–4 mg/kg KG, max. 200 mg * Einzeldosis Die Heilungsraten liegen bei rechtzeitiger Therapie im lokalisierten und disseminierten Frühstadium hoch (85–100%). Therapieversager sind bei lege artis durchgeführter Therapie selten (Hunfeld u. Brade 2006; Weber 1996). Bei Spätinfektionen kommt es nach Antibiotikatherapie öfter zu Gelenk-, Muskel- und neurologischen Beschwerden. Mit der Dauer der unbehandelten Infektion steigt auch das Risiko für persistierende Beschwerden v. a. an Haut, Gelenken und Nervensystem. Immunologische Untersuchungen weisen darauf hin, dass es bei entsprechender genetischer Disposition zu persistierenden Entzündungsreaktionen kommt. Für die in der Literatur beschriebene Induktion von Autoimmunprozessen gibt es bisher keine ausreichende klinische Evidenz. Monatelange Antibiotikatherapien und wiederholte „antibiotische Kuren“ sind nach veröffentlichten Studien nicht erfolgversprechend (Klempner et al. 2001). Bisher gibt es keine Beweise für die Entwicklung von sekundären Antibiotikaresistenzen von B. burgdorferi auf die hier empfohlenen Antibiotika (Hunfeld et al. 2005, 2006). Reaktivierungen von persistierenden Erregern sind bisher nur sehr selten durch Kultivierung und PCR bewiesen worden. 434 Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 46, 07, 2011 Postinfektiöses Syndrom (Post Lyme disease) Nach erfolgreicher Antibiotikatherapie können bei prädisponierten Patienten die Entzündungsreaktionen persistieren und über viele Monate noch Muskel- und Gelenkschmerzen bestehen bleiben (postinfektiöses Syndrom). Diese Patienten profitieren von nichtsteroidalen Antiphlogistika und immunsupprimierenden Therapien, wie sie auch bei rheumatischen Erkrankungen eingesetzt werden. Postinfektiöse Neuropathien sind schwer zu behandeln. Ähnlich wie bei postzosterischen Neuropathien können Langzeittherapien mit Gabapentin wirksam sein (Weissenbacher et al. 2005). Auch irreversible morphologische Veränderungen an Haut (Atrophie und Fibrosen), Nerven und an der Gelenksynovialis sind Ursachen für persistierende Beschwerden. Diese Beschwerden sollten nicht als „chronische Lyme Borreliose“ bezeichnet werden, da es keine Evidenz gibt, dass eine Erregerpersistenz als Ursache infrage kommt. In der Schwangerschaft kann mit Amoxicillin p.o. oder Penicillin G intravenös behandelt werden. Bei nachgewiesener Penicillinallergie kann Azithromycin verordnet wer- den. Unter klinischer Überwachung kann auch Ceftriaxon intravenös gegeben werden, da die Gefahr der Kreuzallergie mit Penicillin nur bei etwa 5 % liegt. Der häufigste Grund für ein Therapieversagen ist die fehlerhafte Einnahme von Doxycyclin. Es ist zu beachten, dass die Tabletten nicht mit Milch oder Milchprodukten eingenommen werden, da es bei Doxycyclin mit Ca2+ zur Chelatbildung kommt und Doxycyclin nicht mehr resorbiert wird. Weiterer Grund für ein Therapieversagen ist die unregelmäßige Einnahme oder ungenügende Dauer der Antibiotikatherapie, z. B. wegen vermeintlicher Unverträglichkeit, gastrointestinaler Beschwerden oder erhöhter Lichtempfindlichkeit bei Doxycyclin. Bei disseminierter Infektion muss über die Möglichkeit einer Herxheimer Reaktion innerhalb von 24 Stunden nach Einnahme der Antibiotika aufgeklärt werden. Gelegentlich tritt diese Reaktion auch verzögert auf. Durch den Zerfall von zirkulierenden Immunkomplexen und Antigenfreisetzung kann es zur verstärkten Produktion von proinflammatorischen Zytokinen kommen (besonders TNFα) und damit beim Patienten ein schweres Krankheitsgefühl mit Fieberanstieg auftreten. Diese Reaktion ist vorübergehend und kann mit Paracetamol behandelt werden. Eine Cortisontherapie ist nicht erforderlich. Das Antibiotikum soll weiter eingenommen werden. Neuroborreliose Doxycyclin hat sich in mehreren Studien als wirksam in der Behandlung der akuten Neuroborreliose erwiesen (Dotevall u. Hagberg 1999; Karkkonen et al. 2001). Da in der Studie von Dotevall unter einer Dosierung von 2-mal 200 mg/Tag erhebliche Unverträglichkeiten auftraten, könnte die Gabe von 300 mg Doxycyclin/Tag über 14–21 Tage eine sinnvolle Dosierung darstellen (Dotevall u. Hagberg 1989). In einer Metaanalyse von 8 europäischen Studien unterschiedlicher Evidenzklasse mit insgesamt mehr als 300 Patienten mit definitiver Neuroborreliose wurde die orale Doxycyclin-Therapie mit der intravenösen Gabe von Ceftriaxon oder Penicillin G verglichen (Halperin et al. 2007; Ljostad et al. 2008). Allerdings wurden ganz überwiegend Patienten mit einer Meningoradikulitis eingeschlossen, so dass sich die Empfehlung für die orale Doxycyclin-Therapie als Alternative zur intravenösen Therapie nur auf diese Manifestationsform beschränkt. Zur Behandlung der Enzephalitis, Myelitis und der Borrelien-induzierten zerebralen Vaskulitis sollten weiterhin Ceftriaxon oder Übersicht Cefotaxim eingesetzt werden (Wormser et al. 2006). Bei der akuten Neuroborreliose wird meist eine Therapiedauer von 2 Wochen, bei der chronischen Neuroborreliose von 2–3 Wochen empfohlen (Kaiser 2004). Für eine Therapiedauer von mehr als 3 Wochen gibt es keine wissenschaftlich fundierten Empfehlungen (Oksi et al. 2007). Lyme-Arthritis Die Erfolgsquote einer Antibiotikatherapie ist hoch, therapieresistente Fälle sind selten. In der akuten Phase führt ein Behandlungszyklus praktisch immer zur Ausheilung der Erkrankung, wobei unspezifische Allgemeinsymptome sich manchmal nur langsam zurückbilden. Bei der Lyme-Arthritis beträgt die Erfolgsquote der ersten Therapie ca. 80 %. Sind Patienten auch mehrere Wochen nach Therapie nicht beschwerdefrei, sollte eine zweiter, später maximal auch ein dritter Therapieversuch mit einem parenteralen Antibiotikum unternommen werden. Aktuelle Studien haben gezeigt, dass weitere Antibiotikatherapien dann ebenso sinnlos sind wie Langzeittherapien, hochdosierte Pulstherapien, Kombinationsbehandlungen oder der Einsatz anderer als die angegebenen Antibiotika. Bei therapieresistenter Lyme-Arthritis können intraartikuläre Steroidinjektionen (cave: erst nach antibiotischer Therapie!), Radiosynoviorthesen oder eine Synovektomie sinnvoll sein. Ansonsten empfiehlt sich eine symptomorientierte Behandlung und die Aufklärung der Patienten, dass die Erkrankung sich im weiteren Verlauf nicht ausbreiten, sondern in den meisten Fällen langsam bessern wird, was allerdings viele Monate dauern kann. Insgesamt ist die Prognose der Lyme-Arthritis wie auch der anderen hier erwähnten Verlaufsformen der Lyme-Borreliose sehr gut. Sehr frühe Studien zur Lyme-Arthritis haben gezeigt, dass jährlich 10 % der Erkrankungen auch spontan ausheilen und selbst mehrere Jahre nach Erkrankungsbeginn durchgeführte Antibiotikatherapien noch wirksam sind. Nicht zu empfehlende Therapien umfassen: Cholestyramin, Vancomycin, Metronidazol, Trimethoprim-Sulfamethoxazol, Isoniazid, Fluconazol, Amantadin, gepulste Therapien, Kombinationstherapien, Langzeittherapien. Berufskrankheit Die Erkrankung an Borreliose (nicht der alleinige Nachweis von spezifischen Antikörpern im Serum) ist als Berufskrankheit Nr. 3102 meldepflichtig. Die Infektion muss während der beruflichen Tätigkeit erfolgt sein. Die Diagnose sollte nach den oben genannten. Kriterien sowohl klinisch als auch serologisch gesichert sein. Literatur 1 Aberer E. First aid in borreliosis. MMW Fortschr Med 2006; 148: 12–13. 2 Aberer E, Breier F, Stanek G, Schmidt B. Success and failure in the treatment of acrodermatitis chronica atrophicans. 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