Geometrie 1

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MA 430 Master
UNIZH HS07
Geometrie 1
Johanna Schönenberger-Deuel
Dr. sc. math.
Email: [email protected]
Büro: Y27J30
Tel.: +41(0)44 63 55863
2
1.
Einführung
Die Geometrie ist die älteste, systematisierte mathematische Disziplin. Geometrie bedeutet
"Erdmessung". Ursprünglich waren geometrische Figuren Äcker, Wiesen, Felder. Zunächst
ist die Geometrie die Lehre vom Messen und Berechnen von Längen, Winkeln, Flächen und
Volumina. Schon die Babylonier, die Ägypter und die Griechen haben sich mit
geometrischen Sachverhalten der menschlichen Umwelt auseinandergesetzt.
Aber erst Thales von Milet (ca. 625 - ca. 547 v. Chr.) erfand,
was wir heute Wissenschaft nennen. So waren seine
geometrischen Figuren rein abstrakte Gebilde. Er untersuchte
das Sammelsurium geometrischer Rezepte, Daumenregeln und
empirischer Formeln, die aus Babylon und Ägypten überliefert
wurden. Er merkte, dass einige Regeln aus anderen hergeleitet
werden konnten und wollte die Geometrie als rein geistige
Aktivität sehen.
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Pythagoras von Samos (ca. 582 - 500 v. Chr.) hörte von Thales
wissenschaftlichen Ideen. Vor allem dessen Geometrie
begeisterte ihn. Er studierte in Ägypten. Später gründete er in
Kroton, einer griechischen Stadt in Süditalien, die Schule der
Pythagoräer, eine halb religiöse, halb politische Gemeinschaft,
wo man sich mathematischen und philosophischen
Fragestellungen widmete. In dieser so genannten "Bruderschaft"
waren aber Frauen und Männer völlig gleichberechtigt. So
wurden Frauen wichtige Personen in der Weiterentwicklung
von Mathematik und Naturwissenschaften. Man könnte
Pythagoras den ersten "feministischen Philosoph" nennen!
Euklid (etwa 340 - 270v. Chr.) lebte in Athen
und wurde später ans Museion in Alexandria
berufen. Alexander der Grosse hatte diese neue
Stadt am Nil gegründet. Alexandria wurde das
aktive Zentrum der Wissenschaften und
Mathematik. Euklid hat das bis dahin bekannte
Material gesammelt und systematisch aufbereitet.
In seinen "Elemente der Mathematik" (insgesamt 13 Bücher) führt er eine axiomatische
Begründung der Geometrie ein. Die Schulbücher beruhen auch heute noch mindestens
indirekt auf den "Elementen". Euklid versucht zunächst, die Grundbegriffe wie "Punkt",
"Gerade" und "Ebene" explizit zu definieren (Ein Punkt ist, was keine Teile hat), führt dann
Grundrelationen "inzident", "zwischen" und "kongruent" ein und formuliert in den Axiomen
(Grundaussagen) die einfachsten Eigenschaften. Damit kann er neue Begriffe explizit
definieren und Sätze beweisen, indem er sich nur auf sein Axiomensystem stützt. (Euklids
Axiome werden in Geometrie 2 etwas genauer untersucht.)
Zwei Anektoten über Euklid:
Ein junger Student fragt Euklid: "Was habe ich davon, wenn ich all diese Dinge lerne?"
Euklid ruft seinen Diener ruft und sagt zu diesem: "Gib dem Mann eine Münze, denn er muss
einen Gewinn ziehen aus dem, was er lernt."
König Ptolemaios fragt Euklid: "Gibt es in der Geometrie einen kürzeren Weg als die
Elemente?", worauf Euklid antwortet: " Es gibt keinen Königsweg zur Geometrie."
Die "Elemente" sind das älteste, uns überlieferte Beispiel eines axiomatischen Systems. Sie
etablierten sich als Standardwerk zur Einführung in die Geometrie und wurden mehrmals
abgeschrieben und immer wieder etwas verändert.
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Theon von Alexandria (2. Hälfte des 4. Jh. n. Chr.) lehrte auch am Museion. Er war einer der
wichtigsten Herausgeber der "Elemente". 700 Jahre nach Euklid revidierte er das Original mit
klaren Formulierungen, schob einige Zwischenschritte in den Beweisen der Sätze ein und
fand neue Sätze.
Theon unterrichtete selbst seine Tochter Hypatia (370 - 415). Er wollte ihr die bestmögliche
Ausbildung geben, obwohl zu dieser Zeit die Frauen wie Sklaven behandelt wurden. Sie sollte
ein "vollkommener Mensch" werden.
Hypatia studierte bei ihrem Vater, dann aber auch in Athen
und Italien. Zurück in Alexandria durfte sie offiziell
Mathematik und Philosophie lehren. Ihre Schriften sind
Erkärungen und Ergänzungen zu den Büchern von Euklid
und Diophant, sowie zu den Lehren von Platon und
Aristoteles. Studenten aus aller Welt besuchten ihre
Vorlesungen, auch Juden und Christen.
In dieser Zeit gewannen die Christen im römischen
Grossreich immer mehr an Bedeutung. Für sie war
Mathematik und Philosophie nur eine Irrlehre. 412 wurde
Cyrillus, ein fanatischer Christ, Patriarch von Alexandria.
Er verlangte von den Gelehrten, dass sie den christlichen Glauben annahmen, denn er wollte
die Stadt vom Heidentum reinigen.
Hypatia weigerte sich, ihre Lehren und ihre Ideale aufzugeben. So fiel sie einem grausigen
Mordkomplott zum Opfer. Dieser brutale Mord setzte der Verbreitung von Platons Lehre im
ganzen römischen Reich ein jähes Ende.
Hypatia wurde zum Symbol für das Ende der antiken Wissenschaft, denn der Westen leistete
für die nächsten tausend Jahre keine wesentlich neuen Erkenntnisse weder in Mathematik
noch in Physik noch in Astronomie. Dafür interessierte man sich für Astrologie und
Mystizismus. Europa trat ins finstere Mittelalter ein, währenddem die griechische
Wissenschaft in Byzanz überlebte und in der arabischen Welt zu neuer Blüte gelangte.
Seit 1482 sind mehrere griechische Fassungen der "Elemente" wieder aufgetaucht, die alle auf
Theon zurückgehen.
Euklids Elemente bestehen aus 13 Büchern. Sie haben kein Vorwort, keine Einleitung. Es
werden keine Ziele formuliert, keine Motivation, kein Kommentar. Das Werk beginnt abrupt
mit 23 "Definitionen".
Definition 1: Ein Punkt ist, was keine Teile hat.
Wie gross ist ein Punkt?
Euklids Elemente unterscheiden sich von den heutigen axiomatischen Theorien wesentlich.
Euklid definiert auch die Grundbegriffe: Punkte, Geraden, Ebenen.
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Heute verzichtet man meist auf solch exakte Definitionen der Grundbegriffe.
Seit David Hilbert(1862-1943) werden in Axiomensystemen die Grundbegriffe nicht näher
definiert, sondern man postuliert Eigenschaften gewisser Relationen zwischen den
Grundbegriffen.
Euklids Modell hat sich über mehr als 2000 Jahre bewährt in Naturwissenschaft, Technik und
Kultur. Es wurde auch für andere Wissenschaften zum Vorbild wissenschaftlicher
Darstellung von Theorien. Die sogenannte Euklidische Geometrie kann als die abstrakte
Beschreibung unserer ebenen und räumlichen Erfahrung aufgefasst werden.
Der Anstoss zur weiteren Entwicklung der Geometrie hat das Parallelenaxiom gegeben, das
besagt, dass es zu jeder Geraden durch jeden Punkt genau eine Parallele gibt. Man hat lange
geglaubt, dass dieses Axiom aus den ersten vier hergeleitet werden kann. Erst als man Ende
des 18. Jahrhunderts die Unabhängigkeit des Parallelenaxioms nachweisen konnte, war der
Weg frei zu anderen Geometrien, den sogenannten nichteuklidischen Geometrien.
Als erster erkannte Carl Friedrich Gauss (1777 - 1855), dass eine in sich widerspruchsfreie
Geometrie entsteht, wenn man annimmt, dass zu einer Geraden durch einen nicht auf ihr
gelegenen Punkt mehrere Parallelen gezogen werden können.
Das war die "Geburt" der nichteuklidischen Geometrie. Aus Furcht vor dem Geschrei
engstirniger Philosophen hat Gauss seine Überlegungen nicht veröffentlicht.
Gauss, dann aber auch Janos Bolyai (1802 - 1860) und Nicolai Lobatschewsky (1793 1856) begründeten mit diesen neuen Gedanken die erste nichteuklidische Geometrie.
Felix Klein (1849 - 1924) kreierte dafür den Namen hyperbolische Geometrie. (hyperbole
heisst griechisch der Überschuss: in der neuen Geometrie gibt es einen Überschuss an
parallelen zu einer Gerade durch einen Punkt!)
Der Raumbegriff in der Mathematik und Physik unterliegt gerade heute vielfältigen Verallgemeinerungen. Es ist notwendig, dass man diesen Begriff nicht nur im Sinne Euklids versteht.
Im Gegenteil gibt es viele Räume, die man geometrisch untersuchen kann.
In dieser Vorlesung werden wir vor allem die euklidische Geometrie der Ebene studieren. Wir
wollen uns aber nicht nur auf Euklid beziehen, wo die starre Kongruenz von Dreiecken wichtig
ist, sondern wir werden dynamisch vorgehen und den Abbildungsbegriff betonen. Die
Abbildungsgeometrie geht auf Felix Klein (1849-1925) zurück. In Geometrie 2 werden wir
Modelle nichteuklidischer Geometrien kennenlernen.
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2.
Isometrien oder Kongruenzabbildungen
2.1
Einführende Überlegungen
Kongruente Figuren sind deckungsgleiche Figuren.
A
B
Eine Figur A wird so bewegt, dass sie mit einer anderen Figur B zur Deckung gebracht
werden kann. Auf diese Weise wird der Kongruenzbegriff auf spezielle geometrische
Abbildungen zurückgeführt, die Kongruenzabbildungen oder Isometrien, die man auch
Bewegungen nennt. Eine Kongruenzabbildung ist somit eine Abbildung, die eine
geometrische Figur nur verlagert, ihre Grösse und Form aber unverändert lässt. Allgemein
interessiert man sich für das Verhalten geometrischer Figuren bei gewissen bijektiven
Abbildungen.
Definition
Eine Abbildung ϕ der Ebene auf sich heisst bijektiv, falls ϕ umkehrbar ist;
d.h. es gibt nicht nur für jeden Punkt X genau einen Bildpunkt Y sondern umgekehrt
gibt es für jeden Punkt Y genau einen Punkt X, sodass gilt:
ϕ(X) = Y.
Die Abbildung, die jedem Bildpunkt Y sein Urbild X zuordnet, heisst zu ϕ inverse
Abbildung und wird mit ϕ−1 bezeichnet.
ϕ−1(Y) = X.
ϕ
X
Y
ϕ−1
Identische Abbildung
Die Abbildung, die jeden Punkt X auf sich selbst abbildet, nennt man die identische
Abbildung oder Identität.
id(X) = X
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Verknüpfung von Abbildungen
Sind ϕ1 und ϕ2 Abbildungen, so nennt man ϕ2 ! ϕ1 die Verknüpfung (Hintereinanderschachtelung) von ϕ1 und ϕ2. (sprich: ϕ2 nach ϕ1, ϕ2 Ring ϕ1)
ϕ2 ! ϕ1 bildet jeden Punkt X ab auf ϕ2[ϕ1 (X)]:
(! 2 ! !1 )(X) = ! 2 [!1 (X)] = ! 2 (Y ) = Z
Die Verknüpfung von Abbildungen ist assoziativ.
! 3 ! (! 2 ! !1 ) = (! 3 ! ! 2 ) ! !1
⇒
Die Verknüpfung von bijektiven Abbildungen ist wieder bijektiv.
Definition
Eine Isometrie oder Kongruenzabbildung ϕ der Ebene (oder des Raumes) auf sich
ist eine bijektive, längentreue Abbildung. Das heisst:
Für zwei Punkte A und B und ihre Bildpunkte A' = ϕ(A) und B' = ϕ (B) sind die
Strecken AB und A'B' gleich lang:
| AB | =| A' B' |
⇒
Isometrien sind geradentreue Abbildungen, sie bilden Geraden auf Geraden ab.
⇒
Die Verknüpfung von Isometrien ist wieder eine Isometrie.
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2.2
Geradenspiegelung Sg
P
.
g
Sg(P) = P'
P'
Da wir unsere Abbildungsgeometrie auf der Geradenspiegelung aufbauen, untersuchen wir zuerst
diese Abbildung. Diese Abbildung ist Ihnen von der Schule her sehr bekannt.
Die wichtigsten Eigenschaften der Geradenspiegelung S
g
1.
Zu zwei Punkten P und Q gibt es genau eine Geradenspiegelung, die P auf Q abbildet. Die
Spiegelungsachse ist die Mittelsenkrechte von PQ.
2.
Die Geradenspiegelung ist eine involutorische Abbildung,
d.h. sie ist zu sich selbst invers:
S g ! S g = id
3.
Jeder Punkt von g ist Fixpunkt.
4.
Jede zu g senkrechte Gerade ist Fixgerade.
Für P ∉ g liegt der Bildpunkt P' auf der anderen Seite von g. Die Verbindungsgerade
PP' steht senkrecht zu g, ist also Fixgerade.
5.
Eine geschlossene Figur und ihr Bild haben entgegengesetzten Umlaufsinn.
C
C'
B
A
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B'
A'
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1. Beispiel
Gesucht ist der kürzeste Weg vom Punkt A nach B via die Gerade g.
A °
°B
g
2. Beispiel
Gegeben sind eine Gerade g und zwei Kreise k1 und k2. Konstruieren Sie Quadrate, die zwei
gegenüberliegende Ecken auf g haben und von denen je eine Ecke auf k1 und k2 liegen.
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2.3
Isometrien der Ebene
Wir suchen alle Isometrien der Ebene auf sich und wollen die Strukturen dieser Isometrien
untersuchen. Aus ihrem Unterricht in der Sekundarschule oder im Gymnasium kennen Sie die
folgenden Isometrien:
•
Geradenspiegelung
•
Punktspiegelung
•
Rotation (Drehung)
•
Translation (Verschiebung)
•
Schubspiegelung (Vielleicht bekannt!)
Die Frage lautet: Sind das nun wirklich alle Isometrien der Ebene auf sich?
Als erstes suche wir alle Isometrien, die einen Punkt festlassen, also einen Fixpunkt besitzen.
Definition
Ein Punkt P heisst Fixpunkt der Abbildung ϕ , wenn gilt:
ϕ (P) = P.
Satz 1: Isometrien der Ebene mit mindestens einem Fixpunkt
Ist ϕ eine Isometrie der Ebene und O ein Fixpunkt von ϕ: ϕ (O) = O.
Dann gilt:
-
Entweder ist ϕ eine Drehung um O um einen Winkel α mit 0 < α < 360°
oder ϕ ist eine Spiegelung an einer Geraden durch O
oder ϕ = id.
zum Beweis
Der Beweis ist nur so präzis, wie die Begriffe definiert sind (Ebene, Raum,
Geradenspiegelung, Drehung, ...). Wir gehen nicht auf das Axiomensystem ein. (In
Geometrie 2 werden wir das Axiomensystem studieren)
Voraussetzung: ϕ ist eine Isometrie mit einem Fixpunkt O: ϕ (O) = O.
Fallunterscheidungen
1. Fall: ϕ besitzt noch einen zweiten Fixpunkt P (≠ O): ϕ (P) = P.
Wir zeigen, dass ϕ dann e ntweder die Identität oder eine Geradenspiegelung ist.
2. Fall: ϕ hat genau einen Fixpunkt O.
Hier zeigen wir, dass dann ϕ eine Rotation ist.
Der Satz 1 gibt einen Überblick über alle Isometrien der Ebene, die mindestens einen Punkt
fest lassen.
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Wie erhält man nun alle Isometrien der Ebene, auch z. B. die Translationen? –
Dazu beweisen wir den folgenden Satz
Satz 2: alle Isometrien der Ebene
Jede Isometrie der Ebene ist eine Verknüpfung einer Translation und einer Isometrie
mit Fixpunkt.
! " Iso
#
! = Tv! " $ , wobei $ eine Isometrie mit Fixpunkt
Damit haben wir im Prinzip alle Isometrien gefunden. Die reine Translation ist die
Verknüpfung der Translation mit der Identität; die Schubspiegelung die Verknüpfung einer
Geradenspiegelung mit einer Translation (später).
Sind 2 Punkte und ihre Bilder bekannt, so beweisen wir, dass es genau zwei zugehörige
Isometrien gibt.
Satz 3: Ist A ≠ B und | AB | = | A' B' | , so gibt es genau 2 Isometrien ϕ1 und ϕ2, die A auf A'
und B auf B' abbilden und die sich nur durch eine Spiegelung an der Geraden g' =
A'B' unterscheiden.
B
B'
ϕ1 oder ϕ2 = Sg' ° ϕ1
A'
A
g'
Mit 3 Punkten und ihren Bildpunkten ist die Isometrie eindeutig bestimmt.
B‘
genau eine Isometrie ϕ
C
C‘
A
B
A‘
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Satz 4: a)
Eine Isometrie der Ebene auf sich ist eindeutig festgelegt durch die Bilder
dreier nicht kollinearer Punkte.
b) Eine Isometrie der Ebene auf sich mit drei nicht kollinearen Fixpunkten
ist die Identität.
Aus den Sätzen 3 und 4 folgt nun leicht:
Satz 5: a) Jede Isometrie der Ebene auf sich ist darstellbar als Produkt von
höchstens 3 Geradenspiegelungen.
b) Jede Verknüpfungt von endlich vielen Geradenspiegelungen ist eine
Isometrie.
c) Jedes Produkt von beliebig vielen Geradenspiegelungen lässt sich
darstellen mit höchstens 3 Geradenspiegelungen.
Bemerkungen
Grundsätzlich unterscheidet sich eine Geradenspiegelung von der Verknüpfung zweier
Spiegelungen schon wegen der Fixpunkteigenschaften.
•
Bei der Spiegelung an einer Geraden g sind alle Punkte auf g Fixpunkte, und es gibt keine
weiteren Fixpunkte.
•
Bei der Verknüpfung von zwei Spiegelungen muss die Lage der beiden Geraden beachtet
werden!
Wie können die bekannten 5 Isometrien durch Geradenspiegelungen dargestellt werden?
Dazu ist der im nächsten Abschnitt behandelte Satz, der so genannte Dreispiegelungssatz sehr
nützlich. Nachher wird es ein Leichtes sein, die bekannten Isometrien durch die Verknüpfung
von höchstens 3 Geradenspiegelungen darzustellen.
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2.4
Dreispiegelungssatz
Wir wissen nun, dass sich jede Isometrie der Ebene auf sich als Verknüpfung von höchstens
drei Geradenspiegelungen darstellen lässt. Damit können wir einen Überblick über alle
Isometrien der Ebene gewinnen. Die Anzahl und die Lage der Spiegelungsachsen wird
wesentlich.
Zuerst beweisen wir den folgenden wichtigen Satz, der sich auf Dreifachspiegelungen
bezieht.
Satz 6A:
Dreispiegelungssatz
Die Verknüpfung dreier Geradenspiegelungen, wobei die drei Geraden entweder
parallel oder kopunktal (genau einen Schnittpunkt) sind, ist darstellbar mit einer
Geradenspiegelung.
Gilt für die 3 Geraden g, h, k : Entweder g //h //k oder g ∩ h ∩ k = {A},
dann gibt es eine Gerade m, so dass gilt:
S ° S ° S =S
k
h
g
m
k
A
g
m
h
k
g
h
m
Bemerkungen
1.
Die genaue Lage der Geraden m wird nachher bestimmt. Dazu brauchen wir noch den
Begriff der Orientierung.
2.
Statt der obigen Gleichung
Sk° Sh ° Sg = S,m
kann man auch durch Verknüpfung von links mit Sk (rsp von rechts mit Sg) die oft
nützlichen äquivalenten Darstellungen erhalten.
Sh ° S g = S k ° S m
oder
Sk° Sh= S,m° Sg
Jetzt gibt es auf jeder Seite der Gleichung 2 Geradenspiegelungen. Man kann also statt an
h und k auch an g und m spiegeln.
Orientierung
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Führt man den Begriff der Orientierung ein, so kann man mehr über die Lage der vier
Geraden g, h, k, m aussagen, die im Dreispiegelungssatz (Satz 6A) vorkommen.
Für Winkel und Dreiecke sind zwei Orientierungen möglich. Sie bleiben bei gleichsinnigen
Isometrien erhalten, bei ungleichsinnigen werden sie umgekehrt.
Im 2-dimensionalen Raum wählen wir die Orientierung positiv (im Gegenuhrzeigersinn)
oder negativ (im Uhrzeigersinn).
A
A
C
B
gleichorientierte Dreiecke
B
C
gleichorientierte Winkel
orientierte Gerade: Punkte auf der Geraden sind mit der Relation "vor" streng linear
geordnet; entweder P ∠ Q oder Q ∠ P.
Ist die Relation "vor" (willkürlich) gegeben, z. B. A ∠ B, dann heisst die Gerade orientiert.
g
B
A
Zwei parallele Geraden g und h heissen gleichorientiert, wenn folgendes gilt:
Seien A, B ∈ g und A ∠ B die Orientierung von g und sei C ∠ D die Orientierung von h. Sei
nun k die Transversale, die g in A und h in C schneidet. Liegen B und D in derselben
Halbebene von k , dann sind die parallele Geraden g und h gleichorientiert.
B
g
h
A
D
C
k
Diese Definition lässt sich übertragen auf Halbgeraden oder Vektoren, die auf parallelen
Trägergeraden liegen.
gleichorientierte
Vektoren
entgegengesetzt
orientierte Vektoren
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Satz 6B: g, h, k und m seien vier parallele oder kopunktale Geraden, die nach Satz 6A die
Gleichung erfüllen:
S °S =S °S
h g
k
m
a) Ist g ! h ! k = {A} , so ist der Winkel zwischen g und h gleich dem Winkel
zwischen m und k.
k
m
h
A
g
b) Ist g || h || k || m und ist s eine Senkrechte zu diesen Geraden, die g in A, h in B,
!!!" !!!"
m in C und k in D schneidet, so sind die Vektoren AB = CD gleichorientiert
und kongruent.
A
g
B
h
C
D
m
s
k
Damit kann man eine Verknüpfung von zwei Geradenspiegelungen ersetzen durch eine
andere Verknüpfung mit den entsprechenden Bedingungen.
Satz 7:
Eine Verknüpfung von vier Geradenspiegelungen ist stets darstellbar als
Verknüpfung von genau zwei Geradenspiegelungen.
Also ist jede Verknüpfung einer geraden Anzahl Geradenspiegelungen mit Hilfe
von genau zwei Geradenspiegelungen darstellbar.
Bemerkungen
1. Eine Verknüpfung von 3 Geradenspiegelungen kann aber nie durch zwei
Geradenspiegelungen dargestellt werden.
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2.
Die Isometrien der Ebene lassen sich in 2 Klassen einteilen:
•
•
3.
ungleichsinnige Isometrien:
Verknüpfung einer ungeraden Anzahl
Geradenspiegelungen (Umwendungen)
.
gleichsinnige Isometrien: Verknüpfung einer geraden Anzahl
Geradenspiegelungen (echte Bewegungen)
Lage der Spiegelungsachsen
•
Bei den gleichsinnige Isometrien können die beiden Spiegelachsen parallel sein
oder sich schneiden, speziell können sie senkrecht aufeinander stehen.
•
Die ungleichsinnige Isometrien können als eine oder als 3 Geradenspiegelungen
dargestellt werden.
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