Genetik der Skelettdysplasien Skelettdysplasien mit Mutationen im Sulfat Transporter Gen – das DTDSTSpektrum Andreas Zankl, Luisa Bonafé, Andrea SupertiFurga Division de Pédiatrie Moléculaire, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV), Lausanne, Schweiz Zusammenfassung Mutationen im Sulfat Transporter DTDST führen zu einer mangelnden Sulfatierung von Proteoglykanen im Knorpelgewebe. Die daraus resultie rende Skelettdysplasie wird je nach Schweregrad als Achondrogenesis Typ 1B (ACG1B), Atelosteogenesis Typ 2 (AO2), Diastrophe Dysplasie (DTD) oder rezessive multiple epiphy säre Dysplasie (rMED) bezeichnet. Die Übergänge zwischen den einzelnen Krankheitsbildern sind fließend und man spricht daher auch vom DTDST Spektrum. Klinische, genetische und diagnostische Aspekte des DTDST Spektrums sind Thema dieser Über sichtsarbeit. Summary Mutations in the sulfate transporter DTDST cause undersulfatation of proteoglycans in cartilage tissue. Depending on severity, the resulting skeletal dysplasia is called Achon drogenesis Type 1B (ACG1B), Atel osteogenesis Type 2 (AO2), Dia strophic Dysplasia (DTD) or Recessive Multiple Epiphyseal Dysplasia (rMED). The differences between these conditions are gradual rather than distinctive and the term DTDST spectrum has been applied to them as a group. Clinical, genetic and diagnostic aspects of the DTDST spectrum are the subject of this review. Schlüsselwörter rezessive multiple epiphysäre Dysplasie (rMED), Achondrogenesis Keywords Recessive Multiple Epiphyseal Dysplasia (rMED), achondrogenesia Einleitung Eine Reihe von Makromolekülen wie Proteoglykane, Membranlipide und Plasmaproteine liegen im mensch lichen Körper in sulfatierter Form vor. Der Sulfatierung von Proteoglykanen kommt dabei im Skelettstoffwechsel eine besondere Bedeutung zu. Prote oglykane finden sich in hoher Kon zentration in der extrazellulären Ma trix des Knorpelgewebes und verlei hen diesem seine Elastizität. Bis zu 90% der GlykosaminoglykanSeiten ketten des Moleküls sind normaler weise sulfatiert. Fehlt diese Sulfatie rung, bekommt der Knorpel eine wei che und brüchige, „Bratapfelähnli che“ Konsistenz. Ursache der fehlen den Sulfatierung ist meist ein Defekt im SulfatTransporter DTDST („dia strophic dysplasia sulfate transpor ter“, auch SLC26A2 genannt) (Hast backa et al., 1994). Sulfatstoffwechsel SulfatIonen gelangen entweder aus dem Extrazellulärraum ins Zytoplas ma oder entstehen intrazellulär beim Abbau schwefelhaltiger Aminosäuren und anderer Thiole. Der Anteil der beiden Versorgungswege am intrazel lulären PhosphatPool ist je nach Zelltyp unterschiedlich. Chondrozyten scheinen für die ProteoglykanSyn these hauptsächlich auf die Einfuhr von extrazellulärem Sulfat angewie sen zu ein. Der SulfatImport erfolgt im Austausch gegen ChloridIonen durch den SulfatTransporter DTDST. Intrazelluläres Sulfat wird durch einen zweistufigen Prozess aktiviert. Eine ATP Sulfurylase katalysiert die Bil dung von AdenosinPhoshosulfat 32 medgen 16 (2004) Krankheit Achondrogenesis 1B Atelosteogenesis Typ 2 Diastrophe Dysplasie Leukodystrophien (verschiedene) Mucopolysaccharidosen (verschiedene) Multipler SulfataseMangel Rezessive multiple epiphysäre Dysplasie Spondyloepimetaphysäre Dysplasie „Omani Typ“ Spondyloepimetaphysäre Dysplasie „Pakistani Typ“ Xgebundene Chondrodysplasia punctata Xgebundene Ichthyosis Gen DTDST DTDST DTDST Sulfohydrolasen Sulfohydrolasen SUMF1 DTDST CHST3 PAPSS2 ARSE ARSC1 Tab 2 Klassifikation der Achondrogenesis KnorpelHistologie Gendefekt Vererbung ACG1A (alte Bezeichnung: HoustonHarris Typ) normale Extrazellulärmatrix, PASpositive Einschlusskörper in Chondrozyten unbekannt autosomal rezessiv ACG1B (alte Bezeichnung: ParentiFraccaro Typ) abnormale Extrazellulärmatrix (Fehlen an Grundsubstanz, grobe Kollagenfasern, Kollagen “Ringe“ um Chondrozyten) DTDST autosomal rezessiv ACG2 Hyperzellularität, wenig Matrix, grosse Chondrozyten mir dilatiertem ER COL2A1 autosomal dominant (fast immer de novo, sehr selten elterliches Gonadenmosaik) (LangerSaldino Typ) (APS) aus Sulfat und ATP und eine APS Kinase katalysiert die Synthese von PhosphoadenosinPhosphosulfat (PAPS) aus APS und ATP. ATP Sulfu rylase und APS Kinase sind beim Menschen Untereinheiten eines bi funktionellen Enzyms, der PAPS Syn thetase (PAPSS). Das PAPS Molekül agiert als SulfatDonor für verschie dene SulfatTransferasen im Zyto plasma. Für die Sulfatierung mem brangebundener oder sezernierter Proteine (wie der Proteoglykane) muss das PAPS Molekül zusätzlich in das endoplasmatische Retikulum und/oder den GolgiApparat transpor tiert werden. Dieser Transport erfolgt vermutlich durch einen PAP/PAPS Antiporter. Störungen im Sulfatstoffwechsel ver ursachen eine Reihe von Krankheiten, meist mit einem skelettalen Phenotyp (Tabelle 1). Defekte in den für den ly sosomalen Abbau von sulfatierten Proteoglykanen und Lipiden notwen digen Sulfohydrolasen führen zu den lysosomalen Speicherkrankheiten der Mucopolysaccaridosen und Leukody strophien. Mutationen in der neutra len Arylsulfatase ARSE sind Ursache der Xgebundenen Chondrodysplasia punctata (OMIM 302950) und Defek te in der Steroid Sulfatase bedingen die Xgebundene Ichthyosis (OMIM 308100). Mutationen in PAPSS2, einer Isoform der PAPS Synthetase, wur den in einer großen pakistanischen Familie mit einer charakteristischen spondyloepimetaphysären Dysplasie beschrieben. Mutationen in einer ChondroitinSulfotransferase verursa chen die spondyloepimetaphysäre Dysplasie „Omani Typ“ (S. Mundlos, ISDS Meeting 2003). Mutationen im DTDST Sulfat Trans porter führen zu einer Reihe verschie dener Skelettdysplasien. Je nach Schweregrad unterscheidet man * * * * Achondrogenesis 1B (ACG1B) Atelosteogenesis Typ 2 (AO2) Diastrophe Dysplasie (DTD) oder rezessive multiple epiphysäre Dys plasie (rMED). Die Übergänge zwischen den einzel nen Krankheitsbildern sind fließend und man spricht daher auch vom DTDSTSpektrum. Die grobe Unter teilung in diese 4 Krankheitsbilder ist in der Praxis aber durchaus hilfreich und wird daher auch hier beibehalten. Achondrogenesis 1B (ACG1B) OMIM 600972 Achondrogenesis zählt zu den schwersten Chondrodysplasieformen: sie führt unweigerlich zum Tod vor oder kurz nach der Geburt. Die dege nerativen Veränderungen im Knorpel gewebe sind so massiv, dass Fracca ro 1952 dafür den Begriff achondro genesis (griechisch für „keinen Knor pel bildend“) prägte1. Die von Fracca ro beschriebene Achondrogenesis wurde in den 70er Jahren anhand ra diologischer und histologischer Krite rien in 2 Subtypen unterteilt (Tab. 2), Genetik der Skelettdysplasien Tab 1 Krankheiten mit Störungen im Sulfatstoffwechsel Achondrogenesis Typ 1 (ACG1, auch FraccaroHoustonHarris Typ oder ParentiFraccaro Typ) und Achon drongenesis Typ 2 (ACG2 oder Lan gerSaldino Typ). In den 80er Jahren wurden strukturelle Mutationen im Typ II Collagen in Patienten mit ACG2 identifiziert. ACG2 stellt daher die schwerste Form einer Typ II Collage nopathie dar (siehe COL2Spektrum Beitrag in diesem Heft). Parallel dazu wurde ACG1 aufgrund von histologi schen Kriterien weiter unterteilt in ACG1A (normale Extrazellulärmatrix mit Einschlusskörpern in Chondrozy ten) und ACG1B (abnormale Extrazel lulärmatrix ohne Einschlusskörper in Chondrozyten). Biochemische Untersuchungen an ACG1BKnorpelgewebe wiesen be reits in den 90er Jahren auf einen De fekt im Sulfatstoffwechsel hin. Nach Klonierung des DTDST Sulfat Trans porters reihte der Nachweis homozy goter (oder compound heterozygoter) Mutationen in diesem Gen ACG1B als die klinisch schwerste Form in das DTDSTSpektrum ein. Feten mit ACG1B werden häufig in Steißlage geboren. Die massiven Fehlbildungen sind oft bereits im Ultraschall erkennbar. Das über schüssige Bindegewebe im Verhältnis zum kurzen Skelett erzeugt ein hydro pisches Erscheinungsbild. Der Kopf umfang ist meist normal, wirkt bezo gen auf den kurzen Rumpf aber über proportional groß. Das Gesicht ist medgen 16 (2004) 33 Genetik der Skelettdysplasien Abb 1 Charakteristisches Erscheinungsbild der DTD bei einem 20 Wochen alten Feten, im Kindes und Erwachsenenalter Fotos: Dr. Scarano (Abb 1a), Dr. Kaitila (Abb 1b) Abb 2 Typische Merkmale der DTD (a) Anhalterdaumen („hitchhiker thumb“) und fehlende Beugefalten der Finger (b) Ohrmuscheldysplasie nach entzündlicher Schwellung (c) Klinodaktylie II und V mit „klammerähn lichem“ Erscheinungsbild bei einem milden Fall flach, das Kinn klein, der Hals kurz, der Thorax schmal und das Abdomen globulös. Umbilikale oder inguinale Hernien sind häufig. Die Extremitäten sind extrem verkürzt. Auch die Finger und Zehen sind kurz und plump (im Gegensatz zu ACG2). Die Einwärtsro tation von Füßen und Zehen erinnert an die Diastrophe Dysplasie (siehe unten). Auf Röntgenbildern fällt vor al lem die extreme Verkürzung der Röh renknochen auf. Die Metaphysen zei gen dornartige Fortsätze und geben den verkürzten Knochen ein „Stech apfelartiges“ Aussehen. Neugebore ne mit ACG1B entwickeln rasch eine respiratorische Insuffizienz und ster ben bald. Atelosteogenesis Typ 2 (AO2) OMIM 256050 Atelosteogenesis (von griechisch „ateleos“ = unvollständig) ist die Be zeichung für eine heterogene Gruppe von Skelettdysplasien, die durch ein spezifisches Muster von Aplasie/Hy poplasie bestimmter Skelettbestand teile wie Humeri, Femora, Tibiae, Fi bulae und Wirbelkörper gekennzeich net ist. Atelosteogenesis Typ 2 (AO2) unterscheidet sich von den anderen AOFormen durch eine spezielle Hi stologie und das Vorliegen zusätz licher Fehlbildungen (AnhalterDau men, Klumpfüße) wie sie auch bei Di astropher Dysplasie beobachtet wer den (siehe unten). Die Verwandtschaft mit der Diastrophen Dysplasie wurde nach Klonierung des DTDST Gens durch den Nachweis von homozygo 34 medgen 16 (2004) ten (oder compound heterozygoten) Mutationen in diesem Gen in Patien ten mit AO2 bestätigt. Die AO2 ver läuft meist pränatal letal, in einzelnen Fällen überlebten die betroffenen Neugeborenen jedoch mehrere Mona te. In ihrer Schwere liegt die AO2 da her zwischen der ACG1B und der DTD. Diastrophe Dysplasie (DTD) OMIM 222600 Hauptmerkmale der Diastrophen Dys plasie sind Kleinwuchs, progressive Kyphoskoliose und Verkürzung von Bändern und Sehnen. Letztere führen oft zu grotesken Zwangshaltungen, die der Krankheit ihren Namen („dia stroph“, griechisch für „verdreht“) ge ben (Abb. 1). Neugeborene mit DTD haben einen normal großen Kopf, einen leicht ver kürzten Rumpf und deutlich verkürz te Extremitäten. Häufig bestehen Kontrakturen der Hüft, Knie oder El lenbogengelenke und gelegentlich finden sich prätibiale Grübchen als Zeichen intrauteriner Bewegungsein schränkung. Die Finger sind kurz und der Daumen ist proximal platziert und weicht nach radial ab (der sogenann te „AnhalterDaumen“ oder „hitchhi ker thumb“, siehe Abb. 2). Die Füße zeigen häufig eine EquinovarusDe formität, die Metatarsalia sind addu ziert und der große Zeh steht ab (so genannte „AnhalterZehe“ oder „hitchhiker toe“). AnhalterDaumen und Zehen lassen sich zum Teil schon in der 15. Schwangerschafts woche nachweisen und sind daher eher als Fehlbildungen denn als Fehl stellungen zu interpretieren. Das Gesicht ist typischerweise flach mit breiter Stirn und kleinem Mund, ansonsten aber wenig dysmorph. Im Gegensatz zu vielen anderen Skelett dysplasien ist die Nase nicht abge flacht. Rund die Hälfte der Neugebo renen hat eine Gaumenspalte. Flache Hämangiome auf der Stirn sind häu fig. Die Ursache für dieses unge wöhnliche Merkmal ist unbekannt, lässt aber auf einen Zusammenhang zwischen Sulfatierung und Hämangio genese schließen. Über die Hälfte der Patienten präsen tieren im Verlauf der nächsten Wo chen ein weiteres ungewöhnliches Merkmal: Die Ohrmuschel entwickelt spontan eine entzündliche Schwel lung, die bei der Palpation fluktuie rend oder zystisch gekammert er scheint. Die Entzündung klingt nach einigen Wochen spontan wieder ab, hinterlässt aber meist eine verdickte und deformierte Pinna, die zum Teil kalzifiziert (Abb. 2). Das Auftreten die ser Schwellung ist ein wichtiger früh zeitiger Hinweis auf die Diagnose DTD. Die Ursache für dieses Phäno men ist unklar, liegt aber vermutlich in einer Beeinträchtigung der normaler weise antikalzifizierenen Wirkung sul fatierter Proteoglykane. Die vorzeitige Verknöcherung der ossa carpalia und die multiplen Ossifizierungszentren in Genetik der Skelettdysplasien Tab 3 Differentialdiagnosen DTDSTSpektrum Achondrogenesis 1B * Achondrogenesis 1A und 2 * Dyssegmentale Dysplasie * Fibrochondrogenesis * Letale Osteogenesis imperfecta * Thanatophore Dysplasie * Atelosteogenesis Typ 2 * Achondrogenesis 1A und 2 * Atelosteogenesis Typ 1 und 3 * Campomele Dysplasie (besonders, wenn acampomelisch!) * Dyssegmentale Dysplasie * Fibrochondrogenesis * Letale Osteogenesis imperfecta * Thanatophore Dysplasie Diastrophe Dysplasie * Desbuquois Syndrom * LarsenSyndrom * OtoPalatoDigitales Syndrom * Pseudodiastrophe Dysplasie (Existenz dieser Entität fraglich!) Rezessive multiple epiphysäre Dysplasie * Autosomal dominante multiple epiphysäre Dysplasie Patella und Sternum (siehe unten) ha ben möglicherweise eine ähnliche Ätiologie. Der schmale Thorax und eine trache ale Unreife machen gelegentlich eine mechanische Beatmung nötig. Die Mortalität ist aufgrund respiratori scher Komplikationen in den ersten Lebensmonaten erhöht. Die Skelett und Bindegewebsverän derungen nehmen mit dem Alter an Schwere zu. Sehnen, Bänder und Ge lenkkapseln sind straffer und kürzer als normal und schränken die Ge lenksmobilität stark ein. Viele Erwach sene mit DTD können aufgrund eines Klumpfußes und einer verkürzten Achillessehne die Ferse nicht zum Bo den bringen und stehen nur auf dem Vorfuß. Zusammen mit einer meist schweren Lumbalordose und thoraka len Kyphoskoliose führt dies zu der für DTD charakteristischen Zwangshal tung (Abb.1). Hüftgelenksarthrosen treten bereits im jungen Erwachsenen alter auf. Die Kniegelenke sind in der Kindheit gelegentlich instabil, entwi ckeln aber mit zunehmender Sehnen verkürzung eine fixierte Valgusdefor mität mit lateraler Abweichung der Pa tella. Die Hände zeigen neben der Bra chydaktylie eine ulnare Abweichung der Finger sowie phalangeale Synost osen und Ankylosen, die die Funktio nalität stark einschränken können. Bei älteren Kindern und Erwachsenen be obachtet man häufig eine Kombination aus Ulnarabweichung des 2. Fingers und Radialabweichung des 5. Fingers, die der Hand ein „klammerartiges“ Aussehen gibt (Abb. 2). Die Carpalia verknöchern häufig vor zeitig und täuschen dadurch ein ak zeleriertes Knochenalter vor. In Ster num und Patella findet sich gelegent lich ein ungewöhnliches, zweischich tiges Ossifizierungsmuster („double layered patella“) wie es auch bei rMED häufig beobachtet wird (siehe unten). Kinder und junge Erwachsenen mit DTD sind nicht im engeren Sinne dys morph, zeigen aber einige charakteri stische Auffälligkeiten. Die Stirn ist ty pischerweise hoch und breit, die Lid spalten sind relativ schmal und gele gentlich antimongoloid. Die Nase ist lang und schmal mit hypoplastischen Nasenflügeln, der Mund ist ebenfalls schmal. Die geistige Entwicklung ist im Allge meinen normal. Neurologische Kom plikationen können insbesondere im Bereich der Halswirbelsäule auftreten. Die Halswirbelsäule zeigt in APRönt genaufnahmen oft eine charakteristi sche „Kobraartige“ Verbreiterung und eine zervikale Kyphose ist vor al lem im Neugeborenenalter häufig. Meist bleibt diese symptomlos und normalisiert sich mit zunehmendem Alter, in schweren Fällen kann es aber spontan oder bei Überstreckung des Halses (z.B. bei Intubation) zur Rücken markskompression mit entsprechen den Ausfällen kommen. Zervikale Spi na bifida occulta ist ebenfalls häufig. Schwerhörigkeit und Sehstörungen sind hingegen selten, abgesehen von einer Neigung zu Myopie. Das Fehlen von Korneatrübungen ist angesichts der Bedeutung von KeratanSulfat für die Korneatransparenz überraschend. Möglichweise liegt die Erklärung in ei ner höheren Affinität von PAPS zu Ke ratanSulfotransferasen im Vergleich zu ChondroitinSulfotransferasen. Die Erwachsenengröße von Patienten mit DTD wird meist mit 100145 cm angegeben. Spezielle Wachstumskur ven für die finnische DTDPopulation sind verfügbar. Heute weiß man, dass der Übergang zur leichten rMED flie ßend ist. Der Nutzen solcher Wachs tumskurven ist daher fraglich. Eine Reihe von Übersichtsarbeiten beschäf tigen sich detailliert mit klinischen Teil aspekten der DTD, meist basierend auf Daten aus der finnischen DTDPo pulation (Ryoppy et al., 1992; Vaara et al., 1998; Poussa et al., 1991). Rezessive multiple epiphysäre Dysplasie (rMED) OMIM 226900 rMED ist die mildeste Erkrankung im DTDSTSpektrum. Sie wird häufig durch die relativ milde Mutation Arg279Trp in homozygoter oder com pound heterozygoter Form verur sacht, aber auch andere Mutationen können dafür verantwortlich sein. Die Klinik entspricht in vieler Hinsicht den autosomal dominanten MED Formen (verursacht durch Mutationen in COMP, COL9A1, COL9A2, COL9A3 oder MATN3). Patienten sind meist normal groß oder nur geringfügig klei ner als die Norm und klagen über Ge lenkschmerzen, vor allem in den Hüf ten. Radiologisch finden sich degene rative Veränderungen an den Epiphy sen, insbesondere im Bereich der Fe medgen 16 (2004) 35 Genetik der Skelettdysplasien murköpfe. Klinisch und radiologisch ist eine Unterscheidung von den autosomal dominanten MED Formen nicht immer möglich. Gelegentlich weisen aber zusätzliche klinische Be funde auf eine DTDSTMutation hin. So sind Klumpfüße relativ häufig und bei einigen Patienten wurden Gau menspalte, Skoliose oder Gelenks kontrakturen beobachtet. Auch radio logisch ähnelt die rMED der DTD. Be sonders charakteristisch sind flache Femurepiphysen, milde Brachydakty lie und ein zweischichtiges Ossifizie rungsmuster der Patella („double lay ered patella“) (Ballhausen et al., 2003; Makitie et al., 2003). Die charakteristi sche Ohrschwellung und der Anhalter daumen wurden bei rMED bisher nicht beobachtet. Zusammen mit dem ins gesamt milderen Verlauf und der meist normalen Körpergröße grenzt sich die rMED dadurch von der DTD ab. Nach der ersten Beschreibung eines Individuums mit rMED, Klumpfuß und normaler Größe, beschrieben Huber und Mitarbeiter (Huber et al., 2001) vier weitere Patienten mit „isoliertem Klumpfuß“ im Kindesalter, die später Zeichen einer multiplen epiphysären Dysplasie entwickelten. Alle 4 Patien ten waren homozygot für die DTDST Mutation Arg279Trp. Im Gegensatz dazu fanden wir (Bonafe et al., 2002) in einer großen Gruppe von Patienten mit isoliertem Klumpfuß nur einen Fall mit einer Arg279Trp Mutation, und diese auch nur in heterozygoter Form. Zusammenfassend scheinen DTDST Mutationen nur selten Ursache eines isolierten Klumpfußes zu sein. Hinge gen kann ein scheinbar isoliert vor kommender Klumpfuß erstes Anzei chen einer rMED sein. Differentialdiagnose Jedes der 4 Krankheitsbilder des DTDSTSpektrums muss gegen ähn liche Skelettdysplasien abgegrenzt werden (SupertiFurga, 2001). Die Differentialdiagnose der ACG1B umfasst unter anderem * * * * * 36 Achondrogenesis 1A und 2 Fibrochondrogenesis Dyssegmentale Dysplasie Thanatophore Dysplasie letale Osteogenesis imperfecta. medgen 16 (2004) Zum Teil lassen sich diese Krank heitsbilder radiologisch unterschei den, häufig müssen aber histologi sche und immunohistochemische Untersuchungen an Knorpelgewebe hinzugezogen werden. Die definitive Diagnose ergibt sich durch den Muta tionsnachweis. In besonderen Situa tionen (z.B. typisches klinisches Bild aber negatives Mutationsscreening) können biochemische Untersuchun gen an Fibroblasten oder Chondro zytenkulturen nützlich sein. AO2 muss gegen andere AO Formen und gegen die bereits erwähnten le talen Skelettdysplasien abgegrenzt werden. Es gelten die gleichen Be merkungen wie für ACG1B. Die mei sten Neugeborenen mit AO2 zeigen Fußdeformitäten und Anhalterdau men. DTD lässt sich in typischen Fällen an hand radiologischer Zeichen und der charakteristischen Klinik (Gaumen spalte, Klumpfüße, Anhalterdaumen und zehe, Ohrmuschelentzündung, Kontrakturen) recht einfach diagnosti zieren. Bei milder DTD und rMED ist die Diagnose schwieriger. Die Assozi ation von Klumpfuß mit Zeichen einer Skelettdysplasie sollte an eine DTDSTMutation denken lassen, auch wenn die übrigen Befunde einer DTD fehlen. Differentialdiagnostisch kom men die Pseudodiastrophe Dysplasie (OMIM 264180) und Desbuqouis Syn drom (OMIM 251450) in Betracht. Knorpelgewebe für histologische Untersuchungen ist oft nicht verfüg bar. Die Diagnose wird heute meist durch Nachweis einer DTDST Muta tion gesichert. Das DTD Sulfat Transporter Gen (DTDST) Die kodierende Sequenz des DTDST Gens besteht aus zwei Exons, die durch ein 1.6 kb Intron unterbrochen werden. Ein weiteres, nicht kodieren des Exon befindet sich in 5’ Position zu den beiden anderen Exons. Die Analyse der kodierenden Sequenz lässt auf ein Protein aus 739 Amino säuren, verteilt auf 12 transmembra näre Domänen und eine hydrophobe carboxyterminale Region schließen. Das DTDST Protein zeigt eine ausge prägte Sequenzhomologie zu zwei weiteren menschlichen Anionenaus tauschern: PDS, ein ChloridJodid Transporter dessen Mutation zu Pendred Syndrom (OMIM 274600) führt und CLD, ein ChloridBikarbonat Transporter, der für die kongenitale ChloridDiarrhoe (OMIM 214700) ver antwortlich ist. Die carboxytermina le hydrophobe Region dieser 3 Anio nenaustauscher zeigt Sequenzhomo logien zu sogenannten AntiSigma FaktorAntagonisten, bakteriellen Proteinen mit KinaseAntagonisten Aktivität. Diese Region wird daher auch als STAS Domäne (sulfate trans porter and antisigma factor antago nist) bezeichnet. Die Bedeutung die ser Domäne für die Funktion von DTDST ist nicht bekannt. Orthologe DtdstGene wurden in Maus und Rat te identifiziert. Ratten Dtdst wird be sonders hoch in Knorpel und Darm gewebe exprimiert. Expression des Maus DtdstGens wird durch bone morphogenetic protein 2 (BMP2) in duziert. Diese Beobachtungen unter streichen die Rolle von DTDST/Dtdst im Knorpel und Knochenstoffwech sel. Eine DtdstKnockout Maus wur de kürzlich beschrieben. Dieses Mo dell wird unser Verständnis der Funk tion von DTDST hoffentlich erweitern. DTDST Mutationsspektrum Abb. 3 gibt einen Überblick über die bisher in DTDST beschriebenen Mu tationen (Rossi und SupertiFurga, 2001 und unveröffentlichte Daten). Für einige Mutationen wurde eine Ver ringerung der mRNA Konzentration oder eine verminderte DTDST Akti vität in einem Xenopus Oozyten Mo dell nachgewiesen. Bei den übrigen Mutationen ist die Pathogenität nicht erwiesen, sie führen aber im Allge meinen entweder zum vorzeitigen Translationsstop oder verändern Ami nosäuren in zwischen Mensch, Maus und Ratte hoch konservierten Regio nen. Die 862C>T (Arg279Trp) Mutation ist die häufigste Mutation in der kaukasi schen Population und macht rund ein Drittel aller beschriebenen Mutationen aus. Sie ist die zweithäufigste Muta tion in Finnland, wo rund 90% der DTDAllele die sogenannte „finni sche“ Mutation tragen (siehe unten). Die ethnische Verteilung der 862C>T Nonsense Mutationen sind links, Missense Mutationen rechts aufgeführt. FS = frameshift Stop = vorzeitiger Translationsstop den Sequenzen führte zur Identifizie rung eines nichttranslatierten 5’ Exons und zum Nachweis der „finni schen“ Mutation im SplicedonorSite dieses Exons. Homozygote Träger dieser Mutation zeigen eine verringer te mRNA Konzentration bei unverän derter kodierender Sequenz. Die Mu tation beeinflusst offenbar Splicing und/oder mRNA Processing und Transport. Das klinische Bild en spricht einer DTD. Genetik der Skelettdysplasien Abb 3 Übersicht über das Mutations spektrum in DTDST (Rossi und Superti Furga, 2001 und unveröffentlichte Daten) Eine genauere Analyse des DTDST Mutationsspektrums lässt die folgen den Schlüsse zu: (i) die meisten Mutationen liegen in der kodierenden Sequenz und führen zu strukturellen Verände rungen des Proteins, (ii) es besteht eine ausgeprägte alle lische Heterogenität, einige Muta tionen treten jedoch sehr häufig auf (iii) es existieren nur wenige Polymor phismen, ein Hinweis auf hohen Selektionsdruck, (iv) die hohe Mutationsdetektionsrate (ca. 90%) spricht für genetische Homogenität, ein zweiter DTD Lo kus ist ausgeschlossen und der klinischradiologische Phänotyp der DTDSTMutationen ist relativ spezifisch. Mutation wäre mit einem FounderEf fekt zentraleuropäischen Ursprungs vereinbar. Da die Mutation ein CpG Dinukleotid betrifft, welches relativ häufig mutiert, kann die 862C>T Mu tation aber auch mehrfach unabhän gig voneinander entstanden sein. IVS1+2T>C, die sogenannte „finni sche“ Mutation, hat in der finnischen Bevölkerung eine Prävalenz von bis zu 12%. Obwohl DTD in Finnland besonders häufig ist, wurden bei fin nischen Patienten zunächst nur rela tiv wenige Mutationen in der kodie renden Sequenz von DTDST gefun den. Die Untersuchung der flankieren Eine strikte GenotypPhänotyp Korre lation lässt sich nicht aufstellen, eini ge Gesetzmäßigkeiten lassen sich aber dennoch erkennen: (i) homozygote oder compound heterozygote Mutationen, die zu einem vorzeitigen Translationsstop oder einem Aminosäureaustausch in einer transmembranären Domä ne führen, verursachen meist ein schweres Krankheitsbild, d.h. ACG1B; (ii) Aminosäureaustausche in den extrazellulären Loops sowie in den N und Cterminalen zytoplasmati schen Domänen haben weniger gravierende Konsequenzen für die Funktion des Sulfattransporters. Treten sie zusammen mit einer schweren Mutation auf, so können sie den Phänotyp von ACG1B zu AO2 oder DTD abschwächen; medgen 16 (2004) 37 Genetik der Skelettdysplasien (iii) obwohl erstmalig in einem Patien ten mit AO2 beschrieben, ist die Arg279TrpMutation meist mit ei nem nichtletalen Phänotyp asso ziiert und verursacht in homozy goter Form milde DTD oder rMED. Molekulargenetische Diagnostik Die relativ geringe Größe des DTDST Gens und das Vorliegen einiger be sonders häufiger Mutationen erleich tern die molekulargenetische Diagno stik. Die erste Stufe des Mutations screenings beinhaltet in unserem La bor die gezielte Suche nach den 5 häufigsten Mutationen (R279W, IVS1+2T>C, DeltaV340, R178X, C653S). Auf diese Weise werden rund 2/3 aller Mutationen erfasst. Wird in diesem Screening keine (oder nur eine) Mutation identifiziert, so schlie ßen wir (bei Fällen mit typischen klini schen und radiologischen Zeichen) eine Sequenzierung der gesamten ko dierenden Sequenz von DTDST an. Auf diese Weise lassen sich bei über 90% aller Patienten Mutationen in DTDST nachweisen. Eine pränatale Diagnose wird vor al lem für ACG, AO2 und DTD häufig durchgeführt. Achondrogenese kann bereits ab der 1315. Schwanger schaftswoche im Ultraschall diagno stiziert werden, AO2 und DTD einige Wochen später. Die sicherste Form der pränatalen Diagnose ist aber ohne Frage der direkte Mutations nachweis. Diese kann an Amniozyten oder Chorionzotten erfolgen. Therapieansätze Chondrozyten können durch den De fekt im Sulfat Transporter kein extra zelluläres Sulfat aufnehmen, die intra zelluläre SulfatGewinnung aus schwefelhaltigen Aminosäuren ist aber nicht beeinträchtigt. Die Einnah me von Thiolen zur Steigerung der intrazellulären SulfatGewinnung bie tet daher theoretisch einen therapeu tischen Ansatz. Leider gibt es bisher noch keinen Weg, die verabreichten Thiole im Knorpelgewebe in hoher Konzentration anzureichern. Die The rapiemöglichkeiten sind daher im Mo ment noch sehr beschränkt. Die schweren Krankheitsbilder ACG 1B und AO2 werden häufig schon 38 medgen 16 (2004) intrauterin diagnostiziert und ein Schwangerschaftsabbruch ist eine wählbare Option. Bei bekannter Mu tation kann auch eine pränatale Dia gnostik durchgeführt werden. Neugeborene mit AO2 oder DTD lei den oft an Atemnot und benötigen künstliche Beatmung. Während sich in leichteren Fällen die anfängliche Atemnot bald bessert, können schwe rere Fälle nur dank intensivmedizini scher Maßnahmen dauerhaft am Le ben erhalten werden. In schweren Fällen sollte daher möglichst frühzei tig über den Sinn lebenserhaltender Maßnahmen entschieden werden. Die Therapie der DTD und rMED um fasst vor allem die Behandlung der orthopädischen Probleme. Diese stel len oft eine echte Herausforderung dar. Die Klumpfüße lassen sich zu nächst häufig durch Eingipsen korri gieren, die Rückfallquote ist aber re lativ hoch und oft bringen erst chirur gische Achillessehnenverlängerung und/oder Arthrodese langfristige Bes serung. Kontrakturen an Knien und Hüfte lassen sich auch chirurgisch kaum beeinflussen und oft ist Physio therapie die einzige Behandlungsmög lichkeit. Bei zunehmenden Kontraktu ren und frühzeitiger Ausbildung einer Arthrose ist meist im 3. bis 4. Lebens jahrzehnt eine totale Hüft und/oder Kniegelenksplastik unumgänglich. Vermutlich aufgrund des verkürzten Bandapparates ist die Wirbelsäule von DTD Patienten besonders steif. Die meisten Zentren bevorzugen da her in der Therapie der Wirbelsäulen deformitäten ein konservatives Vorge hen und nur relativ wenige Patienten werden operiert. Wie auch Patienten mit anderen Ske lettdysplasien leiden DTD Patienten unter ihrem Kleinwuchs und ihrer Be hinderung. Psychologische und sozi ale Betreuung können hier wie bei an deren Skelettdysplasien von Nutzen sein. Anmerkung 1) Grebe war von dieser Beschreibung so bein druckt, dass er kurz darauf eine andere Chon drodysplasie unter dem Namen Achondroge nesis beschrieb. Diese Form wird heute als Grebe Chondrodysplasie oder GrebeSyn drom bezeichnet (OMIM 200700) und durch Mutationen in CDMP1 verursacht. Literatur Hastbacka J, de la Chapelle A, Mahtani MM, Cli nes G, ReeveDaly MP, Daly M, Hamilton BA, Kusumi K, Trivedi B, Weaver A, et al. (1994) The diastrophic dysplasia gene encodes a novel sul fate transporter: positional cloning by finestruc ture linkage disequilibrium mapping. Cell 78:10731087. Ryoppy S, Poussa M, Merikanto J, Marttinen E, Kaitila I (1992) Foot deformities in diastrophic dysplasia. An analysis of 102 patients. J Bone Joint Surg Br 74:441444. 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