3.4 Der periodisch getriebene RC

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3.4
KAPITEL 3. ELEKTRISCHE SCHALTUNGEN
Der periodisch getriebene RC-Kreis
Wir haben im Kapitel 3.2 den RC-Kreis für einen sehr speziellen Grenzfall gelöst, nämlich dass
V (t) exponentiell mit der Zeit zunimmt. In Anwendungen spielt diese Funktion keine besondere
Rolle. Stattdessen würde man den RC-Kreis, der durch die DGL
R · Q̇ +
1
· Q = V (t)
C
(3.30)
beschrieben wird, für ein beliebiges V (t) lösen wollen. Ein beliebiges V (t) lässt sich als Überlagerung von harmonischen Schwingungen darstellen (später: Fourierreihe /-integral). Ein wichtiger
Schritt ist es somit, die Gleichung (3.30) zunächst für eine einzige harmonische Schwingung zu
lösen, also für folgende Fälle:
V (t) ∝ cos(ω t); sin(ω t); cos(ω t + φ)
oder
e±i ω t .
(3.31)
Am effizientestes ist die Lösung für die komplexe Exponentialfunktion
V (t) = Ṽ · ei ω t ,
(3.32)
weil man diese Funktion ableiten kann, indem man sie einfach mit iω multipliziert.
Nehmen wir an, Ṽ sei zunächst eine rein reelle Zahl. Dann ist der Realteil von V (t):
Re (V (t)) = Re Ṽ cos(ω t) + i Ṽ sin(ω t) = Ṽ cos(ω t),
während der Imaginärteil Ṽ sin(ωt) ist. Weil die linke und rechte Seite der DGL sowohl im Realals auch im Imaginärteil jeweils übereinstimmen müssen, lösen wir implizit auch die beiden
Fälle V0 ∝ cos(ωt) und V0 ∝ sin(ωt), wenn wir die Ladung (oder Antwortfunktion) Q(t) auf eine
Spannung Ṽ exp(iωt) finden.
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3.4. DER PERIODISCH GETRIEBENE RC-KREIS
Im gegebenen Kontext machen wir für Q(t) den Ansatz:
Q(t) = Q̃ · ei ω t ,
(3.33)
wobei Q̃ komplex sein kann und i.d.R. auch sein wird. (3.31) und (3.33) in (3.30) eingesetzt:
1
iωR +
C
Q̃ · ei ω t = Ṽ · ei ω t
(3.34)
Diese Gleichung kann man, wie für Spannungen und Kapazitäten üblich, als
1
· Q̃ = Ṽ ,
C̃(ω)
(3.35)
schreiben, wenn man eine komplex-wertige, frequenzabhängige Kapazität
1
1
= iωR +
C
C̃(ω)
(3.36)
einführt.
Wir haben somit die Lösung für Q(t) gefunden:
Q(t) =
Ṽ iωt
e
C̃(ω)
(3.37)
und könnten nun, weil die DGL linear ist, verschiedene Lösungen zu verschiedenen Frequenzen
addieren, sollte sich V (t) aus einer Superposition verschiedener Schwingungen ergeben.
Beim Berechnen der Lösung stellt sich (später) heraus, dass der relle Teil von Q(t) die Antwort auf den Realteil von V (t) ist, siehe auch Kapitel 3.4.1. Selbiges gilt für die Imaginärteile.
Oft findet man dazu das nicht ganz rigorose aber äußerst praktische Argument, dass nur relle
Spannungen, Ladungen und Ströme physikalisch sinnvoll und damit messbar sind. Sprich, wir
können die DGL für eine komplexe Spannung lösen, rechnen komplexe Ladungen und Ströme
aus, interessieren uns aber jeweils nur für den Realteil der jeweiligen Größen,
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KAPITEL 3. ELEKTRISCHE SCHALTUNGEN
Bevor wir uns ansehen, was die Lösung der DGL für den Strom, I = Q̇, durch den Widerstand bedeutet, sollten wir den Ausdruck noch etwas interpretieren. Man sieht, dass im Limes
ω → 0 der durch R bedingte Effekt verschwindet, sprich das RC-Glied wird einer gewöhnlichen
Kapazität immer ähnlicher. Man kann schlussfolgern, dass bei kleinen Frequenzen die externe
Spannung vor allem am Kondensator anliegt. Umgekehrtes gilt im Limes ω → ∞. Nun dominiert
der Teil mit dem Symbol R. Also wird die Spannung vorwiegend am Widerstand abfallen, sprich
der Strom wird groß und die Ladung auf dem Kondensator klein sein.
Anmerkung für Fortgeschrittene: In Analogie zur Mechanik könnte man 1/C auch als Federkonstante - oder später Elastizitätsmodul G(ω) - interpretieren, Q wäre dann die Auslenkung und V
die externe Kraft, die auf den an der Feder hängenden Massenpunkt wirkt. Man erkennt dann,
dass der Realteil der Federkonstante - oder G0 (ω) = Re{G(ω)} - der echten Federkonstante
bzw. dem Speichermodul entspricht, während der Imaginärteil - oder G00 (ω) = Im{G(ω)} - die
Dämpfung bzw Dissipation oder Verlustmodul darstellt.
Während in der Mechanik die Auslenkungen - im übertragenen Sinne die Ladungen - die natürlich
verwendeten Größen sind, sind die Ströme die typischen Variablen der Elektrotechnik. Man
spricht daher weniger von frequenzabhängigen Kapazitäten sondern eher von frequenzabhängigen
Widerständen R(ω) - oder auch von Impedanz Z(ω), die nun eingeführt wird.
Zunächst stellen wir fest, dass
I(t) = Q̇(t) = iω Q̃ · eiωt .
Mit dieser Gleichung können wir (3.35) zu einem verallgemeinerten Ohmschen Gesetz umformen:
Z(ω)I˜ = Ṽ ,
(3.38)
wobei
1
iωC
i
= R−
.
ωC
Z(ω) = R +
(3.39)
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3.4. DER PERIODISCH GETRIEBENE RC-KREIS
Wieder stellen wir fest, dass bei großen ω die Kapazität bzw bei kleinen ω der Widerstand
irrelevant wird.
Die Impedanz kann auch in Polarkoordinaten dargestellt werden:
Z(ω) = |Z| · eiΦ
r
=
R2 +
1
· eiΦ ,
ω2C 2
(3.40)
wobei die Phase Φ sich gemäß den für komplexe Zahlen üblichen Regeln als
Φ = − arccos(R/|Z|)
(3.41)
berechnen lässt. Die Lösung für den Strom lässt sich nun kompakt zusammenfassen als:
I(t) =
e−iΦ
· Ṽ · eiωt .
|Z|
Man erkennt, dass der Maximalwert des Stroms Ṽ /|Z| entspricht. Deshalb nennt man |Z| auch
den Scheinwiderstand. Zudem hat der Strom eine gegenüber der Spannung um −Φ verschobene Phase. Für das RC-Glied ist Φ gemäß (3.41) negativ, somit eilt der Strom der Spannung
voraus. Das ist auch intuitiv sinnvoll: Erst muss der Kondensator aufgeladen werden, also Strom
fließen, bevor dort Spannung anliegen kann.
3.4.1
Bestimmung des rellen Anteils von Q(t)
Physikalisch relevant ist der reelle Anteil. Ṽ sei noch immer reell. Wenn
Q = Q0 + i · Q00
Q0 := Re{Q}
Realteil;
mit
Q0 , Q00 ∈ R
Q00 := Im{Q}
Imaginärteil
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KAPITEL 3. ELEKTRISCHE SCHALTUNGEN
(
)
−i ω R + C1
Re {Q(t)} = Re
1 ·
1 · (cos(ω t) + i sin(ω t))
−i
ω
R
+
C
C
)
(
Ṽ
1
·
− i ω R (cos(ω t) + i sin(ω t))
= Re
C
ω 2 R2 + C12
Ṽ
1
=
·
cos(ω t) + R ω sin(ω t)
C
ω 2 R2 + C12
Ṽ
iωR +
(3.42)
kann umgeschrieben werden zu:
Q(t) =
C Ṽ
· {cos(ω t) + R C ω sin(ω t)}
1 + ω 2 (R C)2
(3.43)
⇒ Q(t) antwortet ”phasenverschoben” auf Ṽ cos(ω t), wobei diese Phase von Q(t) nicht mit der
von I(t) übereinstimmt sonderm um 90◦ oder π/2 abweicht.
Die Bestimmung der Phase kann entweder (umständlich) über Sinus und Kosinus Additionstheoreme erfolgen
cos(ω t) + α · sin(ω t) = A · cos (ω t + φ)
oder alternativ (wie eben am Beispiel der Impedanz gezeigt) mit komplexen Zahlen
Q̃ =
C Ṽ
= |Q̃|eiΦ .
1 + i ω (R C)
Für die Phase relevant:
1 − i ω (R C)
1
=
1 + i ω (R C)
1 + ω 2 (R C)2
−ω (R C)
sin(φ) =
1 + ω 2 (R C)2
3.4. DER PERIODISCH GETRIEBENE RC-KREIS
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⇒ Ladung an der Kapazität
Für den Strom finden wir:
C Ṽ
2
−ω
·
sin(ω
t)
+
(R
C)
·
ω
·
cos(ω
t)
1 + ω 2 (R C)2
1
· (R C)2 · Ṽ 2
sin(ω t)
R
cos(ω t) −
ω
=
1 + ω 2 (R C)2
ω · (R C)
2
2
1 ω · (R C)
sin(ω t)
=
· cos(ω t) −
R 1 + ω 2 (R C)2
ω · (R C)
I(t) =
⇒ I(t) antwortet auch ”phasenverschoben” auf Ṽ cos(ω t).
Letztlich kann/sollte man (3.4.1) in die ursprünlgiche DGL (3.30) einsetzen, um sich selbst davon
zu überzeugen, dass Re{Q(t)} tatsächlich die DGL für eine Spannung Ṽ cos(ωt) erfüllt.
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