Erbkrankheiten beim Fohlen am Beispiel der angeborenen

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Dr. Michael Kreher, Dr. Eckehardt Stamnitz
Tierärztliche Gemeinschaftspraxis Bad Liebenwerda
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06.12.2007
Erbkrankheiten beim Fohlen am Beispiel der angeborenen Kleinäugigkeit
Der hier vorliegende Fall beschreibt die selten vorkommende angeborene Kleinäugigkeit
(Mikrophthalmie) bei zwei Fohlen einer Stute. Die Oldenburger-Stute C. hat im Jahr 2005 ein
Stutfohlen mit einem erbsengroßen dunkel-gräulichen Augapfel in der linken Augenhöhle
hervorgebracht. Dieser sehr stark verkleinerte Augapfel war zwischen den unvollständig
behaarten Augenlidern erkennbar. Das dritte Augenlid war gering vorgefallen.
Nachdem die Stute 2006 ein gesunden Hengstfohlen gebar, ging aus ihr 2007 erneut ein
Stutfohlen mit nur einem gesund ausgeprägten Auge hervor. Diesmal jedoch war das rechte
Auge von der Kleinäugigkeit betroffen.
Alle drei dokumentierten Fohlen stammen von unterschiedlichen Hengsten ab.
Der Vorbesitzer hat im Jahr 2004 eine gesunde Stute gezogen.
Vorkommen von Missbildungen
Missbildungen kommen bei allen Tierarten vor.
Generell kann man zwischen lebensbedrohlichen und die Lebensfunktion nicht
beeinträchtigenden Missbildungen sprechen. Beide können sowohl vererbbar und damit
genetisch festgelegt, als auch während der Trächtigkeit erworben und damit meist nicht
vererbbar sein.
Zur Häufigkeit des Auftretens von Missbildungen bei Fohlen gibt es in der Fachliteratur
unterschiedliche Angaben.
Eine aktuelle Untersuchung die vorwiegend bei Kaltblütern und Haflingern erhoben wurde,
beschreibt Fehlentwicklungen unter 1384 Fällen mit einer Wahrscheinlichkeit von 5,12%.
In der Warmblutzucht schätzt man den prozentualen Anteil an Fohlen, die mit Missbildungen
geboren werden, zwischen 0,4 und 0,8 %. In detaillierten Studien aus der
Vollblutaraberpopulation wird von 1,25% Missbildungen berichtet. Dabei sind bei den beiden
letzt genannten Quellen jeweils nur die Missbildungen benannt, die lebenseinschränkend sind.
Dazu gehören beispielsweise Gliedmaßenmissbildungen oder auch Fehlentwicklungen des
Nasen- und Rachenraumes.
Es ist zu beachten, dass wohl ein großer Teil von Fehlentwicklungen keine klinischen
Auswirkungen haben und daher nicht erkannt werden. Des weiteren führen auch einige
Missbildungen in der Entwicklungsphase zum Tod in der Gebärmutter mit Resorption oder
Abort, welche in den Neugeborenenstatistiken keine Erwähnung finden.
Die häufigste Missbildung beim Pferd ist der einseitige oder beidseitige Kryptorchismus
(Hoden im Bauchraum, Klopphengst). Gegen diese Erkrankung treten alle weiteren
Missbildungen beim Fohlen in ihrer Häufigkeit sichtbar zurück und werden in der Literatur
meist nur als Einzeldarstellung aufgeführt. So sind darunter Fehlentwicklungen des
Bewegungsapparates, wie Halsverdrehung (Torticollis), Missbildungen im Genickbereich bei
Araberfohlen, oder das Fehlen der Vordergliedmaßen bzw. die Mehrfachanlage von Zehen
genannt. Dabei wird meist nicht zwischen genetischer und nichtgenetischer Ursache
unterschieden.
Als wichtige Fehlentwicklungen des Auges beim neugeborenen Fohlen führen viele Autoren
die Kleinäugigkeit (Mikrophthalmie) und sogar das vollständige Fehlen der Augäpfel
(Anophthalmie), den Wasserkopf (Hydrocephalus), die Netzhautablösung (Ablatio retinae),
den Grauen Star und die Weißäugigkeit (Albinismus oculi) auf.
Die Kleinäugigkeit ist eine seltene Erkrankung und kann bei allen Pferderassen vorkommen.
Sie ist auch bei vielen anderen Tierarten beschrieben. So lassen sich in der Literatur
Untersuchungen zur Erkrankungshäufigkeit beim Hund, beim Schaf, beim Schwein und bei
der Maus finden.
Erscheinungsbild:
Wie bereits erwähnt, gehört die Kleinäugigkeit zu den angeborenen Missbildungen des
Auges.
Sie bezeichnet eine Verkleinerung des Augapfels und kann ein- oder beidseitig vorliegen. Die
möglichen Auswirkungen reichen vom sehr seltenen Fehlen des Augapfels mit ein paar
pigmentierten Bereichen in der von Bindehaut ausgekleideten Augenhöhle über nicht
funktionsfähige „Knopfaugen“ verschiedener Größen bis hin zu geringgradig verkleinerten
Augäpfeln, die sehfähig sein können. Eine beeinträchtigte Sehleistung ist zu erwarten, wenn
die Augapfelgröße um mindestens 10% verringert ist.
Es ist jedoch schwierig von den sichtbaren Veränderungen auf das Maß des Sichtdefizits zu
schließen. Eine Rasseveranlagung liegt bei Vollblütern vor, wobei hier häufig gleichzeitig
andere Missbildungen vorliegen.
Stutfohlen 2007 mit angeborener Kleinäugigkeit rechts
Ursachen:
Die Ursachen von angeborenen Missbildungen können genetischer und nichtgenetischer
Grundlage sein.
Bei dem beschriebenen Fall mit zwei Erkrankungen bei Nachkommen einer Stute kommt der
Verdacht einer familiären Häufung der Erkrankung auf und damit die Vermutung, dass es sich
um eine vererbbare und damit genetische Erkrankung handeln könnte. Dieser Nachweis ist
jedoch sehr schwierig zu führen. Missbildungen sind in praxi selten eindeutig als Erbfehler zu
bezeichnen, da es eine Reihe von Fehlentwicklungen gibt, die durch äußere Einflüsse
während der Entwicklungsphase hervorgerufen werden.
Tatsächlich haben die meisten sichtbaren Missbildungen ihre Ursache in Störungen während
der Entwicklungsphase. Oft werden Gifte und Infektionen, die die Entwicklung des Fetus
negativ beeinflussen, dafür verantwortlich gemacht. In diesem beschriebenen Fall hat
offensichtlich eine Schädigung des heranwachsenden Augenbläschens stattgefunden und zur
Kleinäugigkeit mit vollständigem Verlust der Sehfähigkeit geführt. Auch die Tatsachen, dass
zum einen der Vorbesitzer eine gesunde Stute aus der Stute C. zog und zum anderen
verschiedene Vatertiere zur Erkrankung an verschiedenen Augen führte, sprechen gegen eine
vererbliche Kleinäugigkeit. Des weiteren ist eine vererbliche Kleinäugigkeit ist beim Pferd
bislang nicht beschrieben und nicht nachgewiesen.
Auch wenn die Ursachen für die Kleinäugigkeit beim Pferd bisher unbekannt sind, ist bei der
Maus ist ein Gen (MI-Gen) für die Kleinäugigkeit isoliert worden, das gleichzeitig mit
Störungen des Skeletts, Innenohr- und Zahnveränderungen und verminderter Fruchtbarkeit
verbunden ist. Das MI-Gen liegt auf dem Chromosom 6. Es wird hier ein rezessiver
oligofaktorieller Erbgang vermutet.
Die Diagnose wird bei der klinischen Untersuchung gestellt.
Die Ultraschalluntersuchung kann Hinweise über das Vorhandensein einzelner Strukturen
oder weiterer Störungen bringen.
Ähnliche Erscheinungsbilder können bei schmerzhaften Zuständen eine Kleinäugigkeit
vortäuschen, da sich das Auge dabei in die Höhle zurückziehen kann und ungewöhnlich klein
wirken kann. Ebenfalls können die Augen bei ausgetrockneten Fohlen klein erscheinen.
Eine Therapie dieser Erkrankung gibt es nicht. Aus gesundheitlichen oder kosmetischen
Gründen kann eine Entfernung der Augapfelreste in schweren Fällen gerechtfertigt sein.
Prognostisch wird ein nicht sehfähiges Auge niemals seine Funktion zurückerlangen. Das
einseitig blinde Pferd ist lebensfähig und eingeschränkt nutzungsfähig. Wenn eine einseitige
geringgradige Kleinäugigkeit vorliegt und die Sehfähigkeit dabei erhalten ist, stellt das für das
Tier keine Einschränkungen dar. Aber auch bei vollständigem Sehverlust eines Auges kann
man die weitere Nutzung in Erwägung ziehen und nicht voreilig handeln.
In dem hier beschriebenen Fall ist aufgrund der edlen Abstammung die weitere Nutzung der
Stuten vorgesehen. Die Erfahrungen mit einäugigen Pferden zeigen, dass das möglich ist.
Der Züchter beabsichtigt einen normalen Ausbildungsweg der beiden Pferde zum
Reitpferdegespann, bei dem das jeweils gesunde Auge außen gehen soll. Dieser Nutzung
kommt die Tatsache zugute, dass die Stuten von Geburt an gelernt haben, mit nur einem Auge
zu sehen. Des weiteren hat aufgrund der Anatomie des Pferdekopfes jedes Auge sein eigenes
Gesichtsfeld mit einem nur kleinen Bereich, der von beiden Augen überschaubar ist. Der
dreidimensionale Eindruck des Raumes wird bei Pferden mehr durch die Bewegung des
Kopfes realisiert. Es ist daher möglich, dass die Pferde bei ihrer Nutzung als Sportpferd die
Kopfhaltung den Bedürfnissen anpassen.
Natürlich ist die Sehfähigkeit für die Leistung der Pferde von entscheidender Bedeutung.
Deshalb spielt die Kenntnis um die angeborene Kleinäugigkeit beim Fohlen eine besondere
wirtschaftliche Bedeutung für die Pferdezucht.
Eine eingehende Registrierung aller Missbildungen, wie sie in der deutschen Vollblutzucht
bereits besteht, ist zu empfehlen, da diese Erkrankungen bei der immer enger werdenden
Zuchtbasis an Bedeutung gewinnen können. Somit kann es möglich werden, rassetypische
Häufungen von Missbildungen auf erblich bedingte Störungen oder äußerlich ausgelöste
Störungen zurückzuführen. Diese Erkenntnisse stellen für die Zucht wichtige
Selektionskriterien dar.
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