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KAPITEL 1
Evolution ist kein Prozess des gezielten biologischen und strukturalen Fortschrittes und nicht wiederholbar. Die Evolution schafft auch
weder Höheres noch Niederes. Sie bildet vielmehr seit 3,8 Milliarden
Jahren ein Kontinuum, trotz etwa 20 Eiszeiten und Katastrophen.
Die Natur kann deshalb auch nicht als Ganzes beschrieben oder jemals
bezwungen werden. Sie ist zu inhomogen und zu stark. Aber die Natur
unterliegt seit Anbeginn einem ständigen genetisch-variativen Wandel
und der natürlichen Auslese, wie Darwin 1859 und Mendel 1865 festgestellt haben.
Kapitel 1: Die lange Vorgeschichte der Gliedmaßenentwicklung
Schlüsselmerkmale: Parapodien, Morphogene, Signalstoffe und Gradiente.
Marine Stummelfüßer (Onychophoren) als segmentierte, wurm­
ähnliche, vielzellige Tiere des frühen Unterkambriums vor 545–
520 Mio. Jahren bilden wohl die ersten Vorstufen von Lebewesen
mit Gliedmaßen und von Gliedertieren.
Alles Leben ist Problemlösung (8), auch die Geschichte der Gliedmaßenentwicklung.
Diese Entwicklung reicht zurück bis ins Jungproterozoikum, also bis in die Urzeit, zu Beginn
des Kambriums vor 545–520 Mio. Jahren, bis zu Ediacara-Gemeinschaften. Man fand gewundene, fossile Lebensformen wurmförmiger Mehrzeller (Metazoa) in präkambrischen Gesteinen mit Kriech- und Weidespuren, aber auch Lebensformen mit Systemen von röhrenför­
migen Gängen (3). Diese wurmförmigen Tiere der Ediacara-Formation des Präkambriums
besaßen aber noch keine Gliedmaßen.
Erst im Unterkambrium vor 545–520 Mio. Jahren trat der Stamm der Stummelfüßer, der
Onychophoren, auf (3). Dieser umfasst heute noch etwa 80 Arten, sodass die Morphologie
der Stummelfüßer relativ gut bekannt ist. Die Stummelfüßer waren Proarthropoden, also
Vorstufen der Gliederfüßer, wie zum Beispiel der Trilobiten, jener gepanzerten, dreilappigen
Gliederfüßer des Mittelkambriums vor 520 Mio. Jahren, die erst im Perm vor 292–250 Mio.
Jahren ausstarben. Die Stummelfüßer waren wohl auch Vorstufen der Ringelwürmer und
der Arthropoden. Sie wiesen jedoch 15 bis 30 segmental und paarweise angeordnete, stummelartige, vielleicht krallenbewehrte Laufbeinchen auf; diese Beinchen waren ohne
Innenskelett, röhrenförmig, aber mit Hautmuskel-Schläuchen, die außen ringförmig und
innen längsaxial verliefen, von der Epidermis gebildet wurden und später eventuell mit
einer dünnen Arthropodin-Cuticula aus Chitin umgeben waren. Die Stummelfüßer besaßen
noch eine ungekammerte Leibeshöhle und ein offenes Blutgefäßsystem. Die Atmung
erfolgte durch unverzweigte Tracheenbüschel im marinen Wasser. Noch heute existieren
Stummelfüßer, man findet sie auf der südlichen Erdhälfte in Feuchtluftspalten im verfaulten
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Heuboden (9). Wohl schon damals ernährten sie sich räuberisch von Algen und fotosynthetisierenden Protocisten, die sich vor etwa einer Milliarde Jahren entwickelt hatten.
Die Stummelfüßer zählen damit zu den frühesten Tierformen überhaupt und vereinten in
ihrer Organisation Anneliden- (Ringelwürmer-) und Arthropodenmerkmale der späteren
Gliedertiere, die dann 14 bis 43 stummelartige Laufbeinchen, segmentiert und paarig angeordnet, aufwiesen. Die Stummelfüßer besaßen also noch keine Gliedmaßen, sondern Parapodien, beinähnliche Strukturen (Abb. 2, 3). Solche Parapodien wurden auch im Burgess-Schiefer des Kambriums vor 545– 495 Mio. Jahren gefunden, dort auch benthonisch mit Borsten
(6), bei skurril anmutenden Lebewesen, die wenig oder überhaupt nicht schwimmen konnten und als Sedimentfresser oder Aasfresser am Meeresboden lebten (Abb. 3).
Wir stehen also am Anfang der Entwicklung. Aber diese präkambrischen Proarthropoden
leisteten bereits nichtzufällige, systemische und stabile Bewegungen, die sich als Abdruck
auf Fossilien nachweisen lassen. Sie waren es wohl, die die Lokomotion einführten. Ihre
ersten Ansätze von Extremitäten koordinierten sie über ein paariges Oberschlundganglion
und zwei ventral-seitlich verlaufende Ganglien­stränge mit zahlreichen Kommissuren (3 und
10), dennoch handelt es sich bei ihnen immer noch um Weichtiere.
Abb. 2: Ein Stamm vielzelliger Metazoa auf dem Weg zu Gliedmaßen
ONYCHOPHOREN: Aus dem Stamm der Proarthropoda aus dem Unterkambrium vor 545
Mio. Jahren sind Übergangsformen zwischen Würmern und Gliederfüßern (Arthropoden)
hervorgegangen, die segmentiert waren, wohl erste innervierte Extremitäten aufwiesen und
sehr kleine Linsenaugen hatten. Ihre Extremitäten waren bilateral-symmetrisch angeordnete 14 bis 43 Paare stummelartiger, krallenbewehrter Laufbeinchen in einem Muskelschlauch aus Epidermis und dünner Arthropodin-Cuticula aus Chitin.
Schematische Darstellung eines Onychophoren (Stamm Proarthropoda)
vor 545–520 Mio. Jahren.
Noch heute existieren 80 Arten von Onychophoren, die räuberisch in Feuchtluftspalten des
Bodens und im Mulm leben und fast nur auf der südlichen Erdhälfte zu finden sind (9).
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KAPITEL 1
Die Onychophoren des Unterkambriums vor 545–520 Mio. Jahren waren aber schon Bilateralia, im Embryonalstadium dreischichtig mit Ektoderm, Mesoderm und Entoderm, mit
durchgehendem Darm vom Mund bis zum Anus. Sie waren Urformen, eine Art rundlicher
Flachwurm mit einer deutlichen Ausprägung von Vorn und Hinten, Oben und Unten, die
durch Gene, Signalstoffe und Gradienten der dorso-ventralen Achse über das Decapentaplegic-Gen (Dpp-Gen) (7) ausgelöst wurde. Das Dpp-Gen ist ein dorso-ventraler Gradient,
ein Morphogen bei Larven, Fliegen und auch Wirbeltieren, das die dorso-ventrale Achse
bestimmt. Das Dpp-Gen kodiert ein Protein, das zu den wichtigsten und weitverbreitetsten
Wachstumsfaktoren gehört, das BMP (bone morphogenetic protein), das auch beim Gliedmaßenwachstum der Vertebraten eine Rolle spielt (7).
Eine weitere gewichtige Gen-Gruppe der Onychophoren stellen die Hox-Gene dar. Sie
legen die antero-posteriore Achse fest und bilden das Referenzsystem für die Längsachse
der Tiere. Hox-Gene tragen deshalb auch den Namen Master-Gen oder Schlüssel-Gen. Sie
sind übergeordnete Schalter, quasi Kommando-Gene.
Hox-Gene kommen in abgewandelter Form und Zahl in bisher allen untersuchten, viel­
zelligen Tieren vor. Bei Fliegen sind es acht (7), bei Wirbeltieren 13 und bei der Maus und
beim Menschen 38 verschiedene Hox-Gene, die in einer Homöobox seriell angeordnet einen
zusammenhängenden chromosomalen Komplex bilden, der beim Menschen viermal auf
gesonderten Chromosomen angeordnet ist (7 und 10). Hox-Gene sind damit ein wichtiger
genetischer Hinweis auf die enge Verwandtschaft zwischen den großen Tierstämmen im
Sinne von Darwin. Entdeckt wurden sie aber erst 1980.
Hox-Gene bestimmen nicht nur die Strukturen entlang der antero-posterioren Längsachse
der Vielzeller, sie bestimmen auch, welche Form die späteren Wirbel annehmen, wo und wie
viele Rippen entstehen, und – für unser Thema ­wichtig – sie legen auch die Positionen im
Embryo fest, an denen die Vorder- und Hintergliedmaßen der Wirbeltiere ent­stehen.
Die Evolution ist jedenfalls nicht von der Genom-Entwicklung zu trennen. Gene haben sehr
unterschiedliche Bedeutungen und Aufgaben. Selbst Gendopplungen können als Motor in
der Evolution wirken: Wenn zwei Gene innerhalb der Evolution die gleiche Aufgabe übernehmen, so vermag eines seinen Spielraum zu nutzen, um etwas Neues auszuprobieren.
Gene können aber auch ruhen, wie bei den Apoda, den gliederlosen Amphibien, oder bei
Schlangen, die weder Gliedmaßen noch einen Skelettgürtel haben.
In diesem Zusammenhang ist aber auch wichtig: Die Hox-Gene für die Gliedmaßenentwicklung sind sicher älter als die fertigen Gliedmaßen der Tetrapoden. Sie schalten sich offenbar für die Morphologie der Gliedmaßen erst ein, wenn eine neue Fortbewegungsfunktion
nützlich werden kann – so etwa die Fortbewegung durch Flossen im Silur vor 440–417 Mio.
Jahren: Unter aquatischen Bedingungen entwickelte sich damals das aktive Schwimmen der
Meereswirbeltiere als angepasste, effektive, vital-dynamische Lokomotion, die beim Jagen,
bei der Partnersuche und auch bei der Flucht einen Vorteil brachte (1).
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Das Ausprobieren von Genvarianten, die in den Bauplänen codiert sind, um Proteine zu bilden, feiert in der Evolution also funktionelle Erfolge, denn Funktion und genetische Struktur hängen in hohem Maß voneinander ab.
Das Kambrium vor 545–495 Mio. Jahren war in dieser Hinsicht schon immer ein bemerkenswertes und rätselhaftes Erdzeitalter. Es war eine revolutionäre Epoche voller Leben
und es brachte viele neue Tiere mit teils abenteuerlichen Formen hervor. So besaß OPABINIA fünf Augen am Kopf, HALLUCIGENIA sieben ventrale Bein-Stachel-Paare und dazu sieben Stacheln am Rücken, deren Funktion noch gänzlich ungeklärt ist (6). Große, räuberische Tiere mit außergewöhnlichen Formen gab es, zum Beispiel den gliederlosen
ANOMALOCARIS, ebenso wie kleine, marine, segmentierte Gliederfüßer und wurmartige
Vielfüßer wie den Onychophore AYSHEAIA aus dem Burgess-Schiefer des Kambriums (6)
(Abb. 3). Diese Lebensformen entstanden wohl in Entwicklungsschüben von wenigen zehntausend Jahren und geben bis heute Rätsel auf.
Ermöglicht wurde eine solche »explosive« Neuentwicklung im Kambrium dadurch, dass
nach der letzten Eiszeit die Erde größtenteils unbewohnt, quasi leer, dafür aber voller unberührter Ressourcen war und nun wieder ideale warme aquatische Lebensräume bot (6).
Im Präkambrium vor 600–545 Mio. Jahren entstanden mit den mehrzelligen Metazoa die
ersten komplexen Lebensformen: die Ediacara-Fauna mit nur etwa elf verschiedenen Zelltypen mit runden, flachen, »gesteppten« Metazoa, jedoch auch federförmige, aufgerichtete,
sessile Tierformen. Aber eine Serie von Eiszeiten an der Grenze des Kambriums, einschließlich der härtesten, zweiten Eiszeit der Erdgeschichte vor 800 Mio. Jahren, ließ diese Metazoa-Fauna wieder aussterben.
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KAPITEL 1
Abb. 3: Weichkörper-Fauna im Burgess-Schiefer
Weichkörper-Fauna im Burgess-Schiefer des Kambriums vor 545–495 Mio. Jahren mit Bilateral-Symmetrie (nach Gould, St. J. [6], gezeichnet von Collins, M.).
Das Thema der Natur war immer die Vielfalt, schon im Kambrium, als es etwa 15 bis 20 ver-
schiedene Baupläne für Lebewesen gab.
Opabinia mit frontalem Rüssel,Schere und
fünf Augen, Rumpfsegment mit Kiemen
Hallucigenia mit sieben Paar Stelzen,
am Meeresboden lebend
Onychophore Aysheaia
segmentierter Stummelfüßer
mit Parapodien
Sanctacaris
Wiwaxia mit aufwärtsgerichteten
mit sechs Gliederpaaren und Schere
hinten gerichteten Kauwerkzeugen
Chelicerate (Schwertschwanz)
Stacheln und mit in zwei Reihen nach
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Vor etwa 520 Mio. Jahren und bis ins Kambrium hinein entwickelten sich die Bilateria –
wie zum Beispiel Arthropoden, Gliedertiere Mollusken, Weichtiere (bereits 130.000 Arten),
Brachiopoden, Quallen, Schwämme – sowie Trilobiten, Gastropoden und Cephalopoden. Die
Muscheln entwickelten Kalkschalen aus Calciumcarbonat (CaCO3) als Ansatzort für eine
starke Muskulatur. 80% der Arthropoden bildeten über Segment-Polarisations-Gene ein
Außenskelett aus Chitin (einem geradkettigen, stickstoffhaltigen Polysaccharid) für einen
gegliederten Panzer, der Beweglichkeit erlaubte, aber zum Wachstum eine Häutung verlangte.
Die Trilobiten des Kambriums, des Ordoviziums und des Perms besaßen multifunktionale
Gliedmaßen als Zangen, als Extremitäten zum Gehen, zum Schwimmen, zum Zerlegen der
Nahrung und zur Verteidigung. Auch Riesenlibellen verfügten damals über vier Flügel,
sechs Beine, Kauwerkzeuge und Fühler.
Diese Grundgestaltung im Kambrium unter Hox-Genen und unter Pax6-Genen für die
Augen­entwicklung erfolgte durch Segmentierung und Differenzierung der segmentalen
Grundeinheiten unter genetischen Befehlen. Die Segmentierung erfolgte also wohl durch
pulsierende Transkription der DNA infolge von hen-Genen (7), die wellenförmig, auch von
einer Schwanzknospe her, eine segmentale Differenzierung bewirkten (7).
Aus dem Mittelkambrium vor 520-500 Mio. Jahren stammt schließlich das erste bekannte
Chorda-Tier, PIKAIA, ein kopfloser Akranier mit Schwanz als motorischem Antrieb, jedoch
noch ohne Gehirn, ohne Gliedmaßen und ohne Knochen oder Knorpel. PIKAIA eröffnet
einen neuen Stamm der Tierwelt: die Chordaten (Abb. 4).
Im Oberkambrium folgt die Gattung BRANCHIOSTOMA lanceolatum (Amphioxus), das
Lanzettfischchen, ein schädelloser Akranier ohne Extremitäten, mit einschichtiger Epi­
dermis, aber persistierender Chorda, ohne Gehirn, aber mit segmentalen Spinalnerven. Die
Chorda dorsalis bildet bei ihm einen festen, jedoch elastischen Stab aus scheibenförmigen
Elementen, ventral zum Neuralrohr gelegen und mit einem Zentralkanal aus einer genetischen Homöobox (Abb. 4). Am Anfang war das Ei, kein Zweifel!
Die biologische Komplexität definiert sich aber späterhin offenbar eher über Proteine, also
Zelleiweiße, als über Gene. Gene wirken nur im Zusammenspiel mit Proteinen und der Zell­
umgebung (4). Eine Homöobox mit kurzen DNA-Sequenzen aus nur rund 180 Basenpaaren,
in Protein übersetzt, steuert nun die Funktion weiterer Gene der betreffenden Hox-Gruppe
und wird damit zum Auslöser der Evolution so vieler Organismen mit Gliedmaßen (4). Auch
die Chorda dorsalis wurde von einem No-tail-Gen gebildet, aber die seitliche Ausdehnung
der muskulären Somiten erfolgte durch das Signalprotein sonic-hedgehog, das von der
Chorda ausgeht (7) und den ganzen Unterstamm der Vertebraten mit Kopf, Rumpf und
Schwanz formt.
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KAPITEL 1
Abb. 4: Ein neuer Stamm, die Chordaten
Ein neuer Stamm, die CHORDATEN, führt schon im Mittelkambrium, noch vor den Wirbeltieren, die Systemgeschichte der Tiere weiter.
(nach Collins, M. [6])
PIKAIA gracileus, ohne Kopf, Gehirn, Flossen oder Knochen, also ein Lebewesen mäßiger
Organisationshöhe, ist wohl der erste bekannte Chordat aus dem Burgess-Schiefer, benannt
nach seinem Fundort Mount Pika in Britisch-Kolumbien, Kanada. Dieses Tier war ein bandförmiger, etwa 5 Zentimeter langer, fischähnlicher Chordat. Er besaß wohl zuerst eine Chorda, eine Rückensaite, sowie ein dorsales Neuralrohr und Myotome, also zickzackförmige
Muskelbänder.
A: Ansicht unter der Haut, B: Sagittal-Schnitt.
(nach Romer-Parsons) (5)
BRANCHIOSTOMA lanceolatum, Amphioxus, das Lanzettfischchen, ein späterer Cephalochordat (ein »Kopf-Chordat«), ist noch heute rezent schwimmfähig und lebt als Saugstrudler zumeist eingegraben im Sand des Meeresgrundes.
Dem Lanzettfischchen fehlen Flossen, Gliedmaßen und Knochen. Es besitzt aber eine
Chorda dorsalis bis zur Nasenspitze, Kiemen und einen Flossensaum um die Mundregion;
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die Kiemen sind knorpelähnlich versteift. Die Chorda war ein zentraler Träger, der ein
Zusammen­schieben des Tierkörpers beim schlängelnden Schwimmen verhinderte. In serialer Folge treten noch heute ventrale und dorsale Nerven aus dem Neuralrohr aus und innervieren die Muskelsegmente (Myomeren). Der »Mund«, der fast ringförmig geschlossen ist,
wird von Cirren, also Lippententakeln, umsäumt.
Über sonic-hedgehog erfolgt auch die Strukturierung des über der Chorda liegenden Nervensystems, dessen Ausformung und die Bildung einer notwendigen Bodenplatte des Neuralrohres (7).
Durch genetische Signalstoffe erfolgt also die Entwicklung zu einer Wirbelsäule und zum
Aufbau eines Schädels nach den Akraniern und den noch kopflosen, bilateral-symmetrischen Chordaten.
Erst im frühen Ordovizium vor 495–440 Mio. Jahren treten die ersten Tiere aus dem Unterstamm der Vertebraten auf, mit Kopf, Rumpf, Wirbelsäule, mit Gehirn, Herz und Schwanz
sowie mit einem knöchernen Exoskelett, das aus lamellärer Kompakta, Spongiosa, Dentin
und Schmelz geschichtet ist. Mit ihnen beginnt die Reihe der Fische. Vom Obersilur vor
etwa 423–417 Mio. Jahren bis ins frühe Devon vor 417–391 Mio. Jahren entwickeln diese mit
den Placodermen schließlich Flossen, Kiefer und Zähne sowie ein craniofaciales Endo­
skelett des Schädels. Und damit beginnt unser eigentliches Thema.
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KAPITEL 1
LITERATUR
1) Benton, M.:
Der Aufstieg der Fische. In: Das Buch des Lebens.
Hg. von St. J. Gould,
vgs Verlagsgesellschaft, Köln (1993), Kap. 2, S. 65 ff..
2) Carroll, R. L.:
Vertebrate Palaeontology and Evolution,
W. H. Freeman and Company, New York (1988),
Chapter III, p. 27: The Diversity of Jawless Fish.
3) Felsch, M., Hartl, G., Kenzler, H., Lückenmeier, Dr. K. L.:
Das Jahrmillionenbuch: Eine Chronik der Erde und des Menschen von allem
Anbeginn bis zum Anfang unserer Zeitrechnung.
ADAC Verlag GmbH München (2003), S. 36–41, 79 (zu Onychophoren).
4) Glaubrecht, M.:
Die ganze Welt ist eine Insel. Beobachtungen eines Evolutionsbiologen.
S. Hirzel Verlag, Stuttgart/Leipzig (2002), S. 35, 42, 45.
5) Romer-Parsons:
Vergleichende Anatomie
Paul Parey Verlag, Hamburg und Berlin (1983), Abb. 4, S. 24.
6) Gould, St. J.:
Zufall Mensch. Das Wunder des Lebens als Spiel der Natur.
Carl Hanser Verlag, München/Wien (1991), S. 241, 242, 245.
7) Nüsslein-Volhard, C.:
Das Werden des Lebens. Wie Gene die Entwicklung steuern.
C. H. Beck Verlag, München (2004), S. 5, 60, 92, 137–138.
8) Popper, K. R.:
Alles Leben ist Problemlösung. Über Erkenntnis, Geschichte und Politik.
Piper Verlag, München/Zürich (1994), Kap. 2, S. 255.
9) Renner, M.:
Kükenthals Leitfaden für das zoologische Praktikum.19. Auflage.
Gustav Fischer Verlag, Stuttgart (1984), S. 414–422 (zum Stamm: Onychophoren).
10) Zimmer, C.:
Der Darwin-Code. Eine Flosse ist ein Bein, ist ein Flügel.
National Geographic Deutschland.
Ausgabe Januar 2007, S. 47.
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