Grenzflächen, Leiter und das elektrostatische Randwertproblem

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Grenzflächen, Leiter und das elektrostatische Randwertproblem
Bei der Berechnung elektrostatischer Felder und Potentiale mussten wir bisher voraussetzen, dass wir die Ladungsverteilungen im gesamten Raum (d.h. dem Universum!) kennnen. Diese Vorstellung ist natürlich utopisch. Im folgenden werden wir
sehen, dass wir das elektrostatische Potential in einem begrenzten Raumbereich berechnen können, wenn wir nur die Ladungsverteilung in diesem Teilvolumen kennen
und wissen, wie das Potential am Rand des Volumens aussieht.
Zunächst werden wir uns dazu über die generellen Eigenschaften von elektro-magnetischen Feldern an Grenzflächen klar werden.
4.1
Felder an Grenzflächen
An der Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Materialien kann man Ladungen
(Flächenladungen) und Ströme (Flächenströme) finden, die in unmittelbarer Nähe
zur Grenzfläche lokalisiert sind.
Flächenladungsdichte σ: Q = lim
h→0
Z
ρdV =
Z
σdf
1
S
h
Fig. 1
2
beispielsweise: ρ(r) = σ(x, y)δ(z)
Flächenstromdichte js : I = lim
h→0
Z
j · df =
Z
L
d`j s · et
et : tangentialer Einheitsvektor
1
L
js
2
h
et
Fig. 2
Beispiel: Ladungen auf der Oberfläche eines rotierenden Zylinders
j(r) = σ(r)δ(r − R)Rωeϕ = js δ(r − R)
Wie verhalten sich die Felder an solchen Oberflächen?
Normalkomponente der Felder – betrachte infinitesimales Volumen in Fig. 1
Gauss’sches Gesetz: : ∇ · E =
Z
1
ρ
0
Edf ' n · (E 1 − E 2 )∆S =
⇒ n · (E 1 − E 2 ) =
1
σ∆S
0
1
σ
0
Die Normalkomponente des elektrischen Feldes ändert sich diskontinuierlich an einer
geladenen Grenzschicht. Der Sprung im elektrischen Feld beträgt σ/0 .
Analog: ∇ · B = 0
⇒ n · (B 1 − B 2 ) = 0
Die Normalkomponente des Magnetfeldes ist an jeder Grenzfläche stetig.
Tangentialkomponente - Schleife in Fig. 2
Faraday’sches Gesetz: ∇ × E =
∂B
∂t
→
d Z
E · d` =
B · et df
⇒
0
dt S
h→0
loop
I
⇒
Z
(E 1 − E 2 ) · (et × n) d` = (E 1 − E 2 ) · (et × n)∆L = 0
since A · (B × C) = B · (C × A)
⇒ et · [n × (E 1 − E 2 )] = 0 for any et
⇒ n × (E 1 − E 2 ) = 0
Die Tangentialkomponente des elektrischen Feldes ist an jeder Grenzfläche stetig.
Ampère’sches Gesetz:
I
loop
B · d` = µ0
Z
d
et · jdf + µ0 0
dt
Z
et · Edf
⇒ et · [n × (B 1 − B 2 )]∆L = µ0 et · j s ∆L for any ∆L, et
⇒ n × (B 1 − B 2 ) = µ0 j s
und durch Vektormultiplikation von links mit n:
(B 1 − B 2 )tang = µ0 j s × n
Die Tangentialkomponente des Magnetfeldes B tang ist an einer stromtragenden Grenzfläche unstetig. Ihre Änderung in Größe und Richtung beträgt µ0 n × j s
4.2
Elektrische Leiter
Elektrische Leiter verfügen über frei bewegliche Ladungen (Elektronen in Metallen,
Ionen in Lösungen). Ideale Leiter besitzen einen unendlichen Vorrat an frei beweglichen Ladungen. (Das unterscheidet sie von realen Leitern.)
Daraus ergeben sich folgende elementare
4.2.1
elektrostatische Eigenschaften eines Leiters:
1. Im Innern eines elektrischen Leiters gibt es keine elektrischen Felder,
E = 0 im Innern des Leiters.
Denn: jedes Feld im Innern des Leiters führt zu einer Kraft auf die freien Ladungen, die sich gemäß der auf sie einwirkenden Kraft bewegen
⇒ keine elektrostatische Situation. Ladungen fließen zum Rand des Leiters und
sammeln sich dort an. Der Vorgang dauert so lange an, bis das von den induzierten Ladungen erzeugt Feld das äußere Feld im Innern des Leiters
kompensiert. (Der Prozess ist praktisch instantan.)
2. Im Innern des Leiters gibt es keine unkompensierten Ladungen:
ρ = 0 im Innern des Leiters.
3. In einem dreidimensionalen Leiter sitzen alle unkompensierten Ladungen an der
Leiteroberfläche.
4. Leiter sind Äquipotentialfächen.
5. Das elektrische Feld an der Oberfläche des Leiters besitzt nur eine Normalkomponente,
σ
E = n̂ unmittelbar an der (äußeren) Oberfläche des Leiters.
0
4.2.2
Potential an der Oberfäche des Leiters
ri und ra seien zwei Punkte in der Nähe der Oberfläche im Innern (i) bzw außerhalb
(a) des Leiters.
Z r
a
Vr i − V r a = −
Edl → 0
ri
wenn |ri − r a | → 0. D.h. das Potential ist stetig an der Oberfläche des Leiters. Seine
Normalenableitung hingegegen ist unstetig,
σ
∇V (r a ) − ∇V (ri ) = − n̂.
0
Bezeichnet man die Ableitung in Richtung der Flächennormalen mit der sugestiven
Schreibweise
∂V
∇V · n̂ =
∂n
so ergibt sich
∂V ∂V σ
−
=− .
∂n außen
∂n innen
0
Innerhalb des Leiters verschwindet das elektrische Feld und damit die Normalenableitung. Im Aussenraum des Leiters gilt dann:
∂V
σ
=− .
∂n
0
4.3
Das elektrostatische Randwertproblem
Wir haben bereits beim Beweis des Helmholtz-Theorems gesehen, dass die PoissonGleichung
1
∆φ = − ρ
0
nur dann eine eindeutige Lösung besitzt, wenn gewisse Randbedingungen an das
Potential gestellt werden. Bisher haben wir diese Randbedingung an das Potential
im Unendlichen gestellt.
Im Folgenden werden wir Situationen betrachten, bei denen Randbedingungen im
Endlichen vorliegen, beispielsweise auf metallischen Oberflächen.
Zu diesem Zweck werden wir die Helmholtz’sche Lösung auf Randbedingungen im
Endlichen verallgemeinern. Dazu betrachten wir ein zusammenhängendes Volumen
V , dessen Ränder (zum Teil) im Endlichen liegen. In der Regel werden dies metallische Oberflächen sein. Gesucht ist nun das Potential im Innern von V . Der
Einfachheit halber betrachten wir im Folgenden ein einfach berandetes Volumen.
Die Verallgemeinerung auf mehrere Ränder erfolgt später.
Rand im Unendlichen
V
Ränder im Endlichen
4.3.1
Green’sche Identitäten
Zunächst benötigen wir zwei Hilfssätze:
Aus der Produktregel für die Divergenz
∇ · (φA) = (∇φ) · A + φ∇ · A
ergibt sich mit A = ∇ψ,
∇ · (φ∇ψ) = φ∆ψ + (∇φ) · (∇ψ).
Unter zu Hilfenahme des Gauss’schen Theorems folgt die 1. Green’sche Iden-
tität,
Z
wobei
∂ψ
∂n0
V
dV 0 [φ∆ψ + (∇φ) · (∇ψ)] =
I
∂V
df φ
∂ψ
,
∂n0
= (∇ψ) · n0 die Normalenableitung von ψ auf der Oberfläche ∂V ist.
Die 2. Green’sche Identität ergibt sich durch Vertauschen von φ und ψ in der
1. Green’schen Identität und Subtraktion der entsprechenden Ausdrücke:
⇒
4.3.2
Z
0
V
dV [φ∆ψ − ψ∆φ] =
I
∂V
#
"
∂φ
∂ψ
df φ 0 − ψ 0 .
∂n
∂n
0
Formale Lösung des elektrostatischen Randwertproblems
Sei φ das gesuchte elektrostatische Potential und ψ =
1
1
.
4π |r−r 0 |
⇒ ∆φ(r 0 ) = − 10 ρ(r 0 )
ρ(r 0 )
1
dV 0 −φδ(r − r 0 ) +
⇒
4π0 |r − r0 |
V
"
#
I
1
∂
1
∂
1
0
0
0
df φ(r )
−
φ(r ) .
=
4π ∂V
∂n0 |r − r 0 | |r − r0 | ∂n0
Z
"
#
Liegt r innerhalb des betrachteten Volumens, so findet man
φ(r) =
1
ρ(r 0 )
dV 0
4π0 V
|r − r 0 |
"
#
I
1
∂
1
∂
1
−
df 0 φ(r 0 )
−
φ(r0 ) .
4π ∂V
∂n0 |r − r 0 | |r − r0 | ∂n0
Z
Liegt r nicht innerhalb von V , so ist die linke Seite der obigen Gleichung identisch
Null.
Das Oberflächenintegral auf der rechten Seite der Gleichung enthält sowohl den
Wert des Potentials φ auf dem Rand von V als auch die Normalkomponente des
∂
elektrischen Feldes, ∂n
0 φ.
Man kann nun entweder das Potential auf dem Rand des Volumens vorgeben (beispielsweise bei bekanntem Potential an der Oberfläche eines Leiters) oder seine
Normalenableitung (beispielsweise die Normalkompenente des elektrischen Feldes
bei bekannter Oberflächenladung). Dementsprechend unterscheidet man zwischen
a) Dirichlet Randbedingungen, wenn das Potential auf dem Rand vorgegeben ist
b) von Neumann Randbedingungen, wenn die Normalenableitung des Potentials am Rand vorgegeben ist.
Zusammenfassend formuliert man das elektrostatische Randwertproblem:
Im Innern eines zusammenhängenden Volumen V sei die Ladungsverteilung ρ bekannt. Gesucht ist das elektrostatische Potential φ im Innern des Volumens, welches
dort die Poisson-Gleichung
1
∆φ = − ρ
0
unter Vorgabe der Randbedingungen
a)
Dirichlet-Randbedingung
φ(r)|∂V = φ0 (r
oder
b)
erfüllt.
4.3.3
∂φ σ(r)
=
−
∂n0 ∂V
0
von Neumann-Randbedingung
Eindeutigkeitstheorem für das Elektrostatische Potential
1. Wenn das Potential φ auf dem Rand einer geschlossenen Oberfläche S = ∂V , die
das Volumen V einschließt, festgehalten wird, so ist die Lösung des elektrostatischen Randwertproblems mit Dirichlet-Randbedingung eindeutig bestimmt.
∂φ
vorgegeben ist (von
∂n0
Neumann-Randbedingung), dann ist φ bis auf eine Konstante eindeutig in V
bestimmt.
2. Wenn die Normalkomponente des elektrischen Feldes
Die Lösung ist in jedem Fall gegeben durch
0
1
0 ρ(r )
φ(r) =
dV
4π0 V
|r − r 0 |
"
#
I
1
∂
1
∂
1
−
−
df 0 φ(r 0 )
φ(r0 ) .
4π ∂V
∂n0 |r − r 0 | |r − r0 | ∂n0
Z
Beweis:
Man nehme an, dass es zwei unterschiedliche Lösungen φ1 und φ2 gibt, welche beide
die entsprechenden Randbedingungen erfüllen.
Benutze Green’s erste Identität mit φ = ψ = φ2 − φ1 :
Z
V
dV 0 [ψ∆ψ + (∇ψ) · (∇ψ)] =
I
S
df 0 ψ
∂ψ
= 0,
∂n0
ψ = 0 auf S
∂ψ
= 0 auf S
∂n0
Andererseits:
da
∆ψ = ∆(φ2 − φ1 ) =
für Dirichlet-Randbedingungen
für Neumann-Randbedingungen
1
(ρ
0
− ρ) = 0
⇒
Z
V
dV 0 (∇ψ) · (∇ψ) = 0
Integrand ≥ 0 ⇒ ∇ψ = 0 in V
⇒ ψ = constant
Dirichlet: ψ = φ2 − φ1 = const = 0 (Randbedingung auf S)
Neumann: φ2 − φ1 = const. Diese Konstante hat keinen Einfluß auf die Physik.
Da das Potential eindeutig bestimmt ist entweder durch die Vorgabe des Potentials
oder durch die Vorgabe des elektrischen Feldes, kann man in der Regel nicht beide
gleichzeitig spezifizieren. Andernfalls wäre das Randwertproblem überbestimmt.
Dies wirft scheinbar eine Schwierigkeit auf, da wir für die allgemeine Lösung sowohl
∂φ
φ als auch ∂n
0 auf dem Rand kennen müssen. Die Auflösung dieses Problems werden
wir in einem späteren Kapitel kennenlernen.
4.3.4
Faraday’scher Käfig
Unter einem Faraday’schen Käfig versteht man eine beliebig geformte, geschlossene
Metallfläche. Wenn es im Innern des Volumens keine Ladungen gibt, dann erfüllt das
Potential die Bedingungen
∆φ = 0
in V
und
φ|∂V = φ0 = const.
Mit
φ(r) ≡ φ0 = const. in V
haben wir eine mögliche Lösung gefunden. Nach dem Eindeutigkeitstheorem ist diese
Lösung eindeutig.
Wegen
E = −∇φ = −∇φ0 = 0
verschwindet das elektrische Feld im Innern eines geschlossenen Metallkäfigs.
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