Klimawandel – vom Menschen verursacht

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Klimawandel – vom Menschen verursacht?
8. Symposium Mensch – Umwelt
der
Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt
gehalten am 25. März 2004 in Erfurt
Herausgegeben von
Detlev Möller
Manuskript erscheint 2005 in der
Acta Academiae Scientiarum
(ISSN 0941-9875)
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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INHALT
Detlev Möller: Einführung: Klimaschutz und Luftreinhaltung.
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Martin Claußen: Klimaänderungen: Mögliche Ursachen in Vergangenheit und
Zukunft.
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Wilhelm Kuttler: Das Stadtklima.
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Manfred Stock: Folgen und Wirkungen von Klimaveränderungen auf die Gesellschaft.
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Detlev Möller: Wieviel Chemie ist im Klima? Eine chemische Klimatologie
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Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Einführung: Klimaschutz und Luftreinhaltung
Introduction: climate protection and air pollution control
Detlev Möller
Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Lehrstuhl für Luftchemie und Luftreinhaltung
KLIMA
Wohl kaum ein anderes Thema als die Frage nach dem Klimawandel charakterisiert besser
das Spannungsfeld zwischen Mensch und Umwelt. Der Begriff Klimawandel (welcher sich in
den letzten Jahren als populärer Term eingebürgert hat) soll hier synonym mit dem Begriff
Klimaänderung (ein mehr wissenschaftlicher Terminus) verwandt werden. Eine Klimaänderung3 ist die Differenz zwischen zwei Klimazuständen. Ein Klimazustand ist durch den statistischen Zustands des Klimasystems beschrieben. An dieser Stelle4 soll nicht erläutert werden,
was wir unter einem Klimasystem zu verstehen haben. Eine Klimaschwankung kann demzufolge als eine periodische Klimaänderung definiert werden, unabhängig von der jeweiligen
Zeitskala. Das Klima ist eine Funktion von Raum und Zeit – und es ändert sich ständig.
Das Klimasystem ist zu komplex, um es mathematisch eindeutig beschreiben zu können.
Das gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft. Unser Wissen über viele Einzelprozesse in diesem System ist noch unvollkommen. Dennoch wurden in den vergangenen 20
Jahren in der Klimaforschung große Fortschritte erzielt und die Beschreibung der prinzipiellen Prozesse kann als gesichert gelten.
Einem Wissenschaftler muß nicht erläutert werden, daß Aussagen zu derart komplexen Zusammenhängen mit einer Unsicherheit behaftet sind, die klein aber auch groß sein kann, ja
oftmals ist der Wert der Unsicherheit unbekannt. In den Naturwissenschaften gibt es entweder
richtige oder falsche Aussagen. Hier geht es nicht um Glauben oder Nichtglauben; grundsätzlich ist es unangebracht, zu sagen „ich glaube das nicht“. Von einem guten Wissenschaftler
wird erwartet, daß er nur Aussagen macht, die nach den „anerkannten Regeln wissenschaftlichen Arbeitens“ gewonnen wurden.
Dem Nichtwissenschaftler muß dabei erklärt werden, daß man verschiedene Größen mit
einer bestimmbaren Genauigkeit (oder Ungenauigkeit) messen kann; wenn das von verschiedenen Wissenschaftlern unabhängig wiederholt und bestätigt wird, kann der gemessene Wert
erheblich gesichert werden und den wahren Wert repräsentieren. Die Beschreibung eines
Prozesse aber, eines Zusammenhanges oder einer Ursache-Wirkungsbeziehung erfordert
grundsätzlich die Interpretation der (wahren) Meßwerte. Die dabei gewonnene Aussage kann
grundsätzlich falsch sein (z.B. es gibt keine Klimaänderung), sie kann phänomenologisch
richtig sein (es gibt eine Klimaänderung), aber quantitativ falsch (z.B. die globale mittlere
bodennahe Temperatur steigt in den nächsten 50 Jahren um 6 °C an) sein. Die letzte Aussage
3
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Im am 9. Mai 1992 in New York verabschiedeten Rahmenabkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderunmgen (unterschrieben von 34 Staaten) wird Klimaänderung als „Änderungen des Klimas, die unmittelbar
oder mittelbar auf menschliche Tätigkeiten zurückzuführen sind, welche die Zusammensetzung der Erdatmosphäre verändern, und die zu den über vergleichbare Zeiträume beobachteten natürlichen Klimaschwankungen
hinzukommen“ definiert. Diese Definition ist eingrenzend, da sie natürliche Prozesse nur im Sinne einer Klimaschwankung aber nicht Klimaänderung beinhaltet. Beobachtet kann nur eine Klimaänderung werden, die
auf alle Ursachen zurückzuführen ist.
Siehe die Beiträge von M. Claussen und D. Möller im weiteren.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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betrifft bereits eine Prognose. Es wäre eher ein Zufall, wenn eine Prognose genau eintrifft.
Komplexe Systeme entwickeln sich generell unbestimmbar, d.h. eine Prognosegleichung hat
mehrere (viele) Lösungen. Hingegen ist die Aussage, daß in den vergangenen 100 Jahren ein
Temperaturanstieg von 0,6 °C eintrat, als gesichert anzusehen. Die damit verknüpfte Aussage,
daß dieser Anstieg vom Menschen versursacht ist, erscheint nun bereits wesentlich unsicherer,
obwohl führende Klimatologen diesem Kausalzusammenhang eine Wahrscheinlichkeit von
90% beimessen. Diese Zahl erscheint mir hingegen eine Schätzung zu sein. Obwohl auch ich
diesen Zusammenhang für hoch wahrscheinlich halte, wüßte ich keine Methode, die Wahrscheinlichkeit dieses komplexen Zusammenhang mathematisch zu bestimmen.
KLIMAWANDEL
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
(WGBU)5 hat in einem Gutachten (vom 25.11.2003) betont, daß gefährliche Klimaänderungen6 nur noch vermeidbar sind, wenn die Reduktion von Treibhausgasen deutlich stärker als
bisher verfolgt wird. Insbesondere muß der vom Menschen verursachte Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) bis 2050 global um etwa 45-60% gegenüber 1990 gesenkt werden. Dies bedeutet, dass die Industrieländer ihren Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um mindestens 20%
verringern müssen. Gemäß Kyoto-Protokoll haben sie sich nur dazu verpflichtet, bis 2012 die
Emissionen um 5,2% bezogen auf 1990 zu senken. Nach einer früheren Aussage eines Beiratmitgliedes7 würde eine Einhaltung des Kyoto-Protokoll – wenn es denn überhaupt verwirklicht wird – den Effekt eines Temperaturrückgangs um 0,1 K haben (also keinen Effekt).
Der WBGU weist darauf hin, daß nur noch eine globale Erwärmung um weitere 1,4 °C tolerierbar ist. Ab einer Erwärmung um mehr als 2 °C (und einer Änderungsrate von mehr als
0,2 °C pro Jahrzehnt) werden gefährliche Klimaänderungen4 sehr wahrscheinlich. Ohne eine
konsequente Klimaschutzpolitik wird diese Grenze im 21. Jahrhundert überschritten. Zu den
Folgen gefährlicher Klimaänderungen zählt der WBGU beispielsweise zunehmende Gesundheitsgefährdungen durch Ausbreitung von Malaria, eine erhöhte Gefahr von Ernteausfällen in
der Landwirtschaft, die Verknappung von Süßwasser durch Häufung von Dürren oder den
Beginn einer Kaltphase im atlantisch-europäischen Raum durch den Ausfall des Golfstroms.
Allein für 2002 werden die globalen Schäden durch extreme Wetterereignisse auf 55 Mrd.
US-Dollar geschätzt8; eine Zunahme um global 1°C soll jährliche Schäden von bis zu 2000
Milliarden US$ im Jahre 2050 verursachen, wovon allein auf Deutschland 137 Mrd. US$
entfallen würden9.
Hierin besteht das Dilemma der Klima- und Umweltforschung, nur Aussagen im Konjunktiv zu treffen (... es ist sehr wahrscheinlich, daß...). Zumeist lassen sich beliebig viele Gegenargumente sammeln, daß es nicht sehr wahrscheinlich ist. Derartige Dispute verlaufen sowohl in Detailfragen (z.B. in der Annahme von Absorptions- oder Rückstreukoeffizienten
oder Bandbreitensättigungen) als auch in generellen Fragen (es gibt keinen Treibhauseffekt...).
Dem Laien und auch Nichtfachmann (was eigentlich alle Nichtklimatologen und Nichtatmosphärenphysiker sind, somit auch der Autor, der ja „nur“ Atmosphärenchemiker ist) stehen
weder die Erfahrung, das Wissen und die Daten zur Verfügung, um sich der einen oder anderen Meinung anzuschließen. Das ist im Grunde genommen unwesentlich, denn wer kann
schon die täglichen Nachrichten aus aller Welt überprüfen oder die Aussage des Hausarztes,
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Ihm gehören neun Professoren und Professorinnen an; Vorsitzender ist Hartmut Graßl.
Hier ergibt sich ein weiteres Dilemma: was ist eine gefährliche Klimaänderung?
Hans-Joachim Schellnhuber in der Berliner Morgenpost vom 16.12.2001, S. 30.
Diese Feststellung besagt noch nicht, daß die Schäden auf einen vom Menschen verursachten Klimawandel
zurückgeführt werden können (siehe Diskussion zum Extremwetter im Beitrag M. Claussen)
Wochenbericht 42/04 des Deutsches Institut für Wirtschaft (DIW)
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man solle endlich Sport treiben, sonst käme bald ein Herzinfarkt. Also ist der Mensch fast
immer darauf angewiesen, es „zu glauben oder nicht zu glauben“ – wir haben hier den Unterschied zur weiter oben gemachten Aussage zu beachten, daß wir uns nicht mehr auf der Ebene
einer gleichberechtigten Diskussion befinden. Problematisch wird es aber für Politiker und
andere Entscheidungsmacher, die ohne Fachwissen gesellschaftlich oder wirtschaftlich relevante Entscheidungen treffen müssen. Dieser Personengruppe bleibt weiter nichts üblich, als
Vertrauen zu den Aussagen der Wissenschaftler zu haben und deren Aussagen zu akzeptieren.
Sie sollten sich dabei bei sehr wichtigen Fragen nicht auf einzelne Wissenschaftler stützen,
sondern auf kollektive Aussagen der führenden Experten. Gänzlich falsch wäre es nun, die
Aussagen der verschiedenen Wissenschaftler zu mitteln, denn das hat keinerlei wissenschaftliche Berechtigung. In der Wissenschaft gibt es (s.o.) entweder eine richtige oder eine falsche
Antwort – dazwischen existiert nichts.
Neben dem Klimawandel (der ja in erster Linie auf den „Treibhauseffekt“, also eine Erwärmung zurückgeführt wird) können als weitere „große Umweltthemen“ des 20. Jahrhunderts genannt werden:
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Winter-Smog (Schwefeldioxid und Staub),
Schwermetallbelastung (vor allem Blei),
„saurer Regen“,
Waldsterben,
Sommer-Smog (troposphärisches Ozon),
„Ozonloch“ (stratosphärisches Ozon).
Was ist davon geblieben? Stellt die Beantwortung dieser Frage zugleich eine Antwort auf
die gelösten Probleme dar? Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, daß einige Probleme
(Smog, Blei, saurer Regen) gelöst wurden, aber noch nicht weltweit. Einige Probleme stehen
einfach nicht mehr im Mittelpunkt der (politischen und öffentlichen) Aufmerksamkeit, wie
die Waldschäden und das troposphärische Ozon, obwohl beide (wieder) zunehmen. Letzteres
ist eigentlich kaum zu erklären und nur „wissenschaftspolitisch“ zu verstehen in dem Sinne,
daß in den vergangenen Jahrzehnten große Mengen an Geld für die Forschung zu den Ursachen ausgegeben wurde, aber das Problem dennoch nicht so beschrieben werden konnte, um
eine Lösung zu erreichen.
Bei weiterem Hinsehen bemerkt man, daß alle diese Probleme mit der Luftverschmutzung
im Zusammenhang stehen oder anders ausgedrückt, mit der Änderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre. Die Erkenntnis, daß durch die zunehmende Verschmutzung
der Luft mit Spurenstoffen (beispielsweise Schwefeldioxid und Ozon) alle genannten Umweltprobleme verursacht und verstärkt wurden, ist aus heutiger Sicht trivial. Auch wissen wir,
daß die meisten atmosphärischen Umweltprobleme miteinander verknüpft sind, allerdings in
einer komplexen (im mathematischen Sinne nicht-linearen) Weise. So ist es keineswegs trivial, einfach den Umkehrschluß zu ziehen und mit einer sich verringernden Luftverschmutzung
– also Luftreinhaltung – eine Lösung dieser Probleme zu erhoffen.
KLIMASCHUTZ
Sind Klimaschutz und Luftreinhaltung in einen unmittelbaren Zusammenhang zu bringen
oder handelt es sich es sich nicht vielmehr um eine „Parole“ im Sinne einer Zielvorgabe?
Können das Klima überhaupt geschützt und die Luft rein gehalten werden?
Der Ausdruck „reine Luft behalten“ ist die desubstantivierte Reinhaltung der Luft, was
wiederum die semantische Auflösung des deutschen Wortes Luftreinhaltung – übrigens kaum
direkt in andere Sprachen übersetzbar – bedeutet. Es wird deutlich, daß eine genaue Begriffsbestimmung zunächst wichtig ist, wenn sowohl Experten untereinander (es gibt unterschiedli-
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che Definitionen des Klimabegriffs) als auch mit Laien und Politikern kommunizieren. Es ist
eine Erfahrung jeden Umweltforschers, daß Mißverständnisse immer eine Folge unterschiedlicher Auffassungen sind.
Dieses „Problem“ sei an dieser Stelle durch eine kurze Darlegung, was wir unter „reiner
Luft“ verstehen wollen, charakterisiert. Gemeinhin wird darunter die (chemische Zusammensetzung der) Luft fernab von Industrie- und Siedlungsgebieten verstanden, also beispielsweise
einer Südseeinsel, die natürlich weitgehend unbewohnt und nur mit einer Messstation versehen sein sollte. Etwas extremer (und im wissenschaftlichen Sinne exakter) sollte unter „reiner
Luft“ die Luft an einem gegebenen Ort vor Einwirkung durch den Menschen verstanden
werden, die dann als „natürliche Luft“ (Referenzzustand) bezeichnet wird, wohingegen die
durch menschliche Aktivitäten (anthropogen) zusätzlich in die Luft gebrachten Stoffe als
Luftverschmutzung charakterisiert werden, also „reale Luft = natürliche Luft + Luftverschmutzung“. Man muss nicht lange nachdenken, um festzustellen, dass diese Gleichung zu
schematisch ist, um daraus die Aufgaben für Luftreinhaltung und Klimaschutz abzuleiten.
Schließen wir anthropogene (also menschliche) Faktoren aus, so wird die (natürliche)
Luftzusammensetzung durch geophysikalische und –chemische Prozesse (Vulkanismus,
Gewitter, Sonneneinstrahlung und andere extraterrestische Phänomene, Windeinfluss auf die
Erdoberfläche, also Bildung von Bodenstaub und Seesalz) als auch biochemische Prozesse
(alle Stoffumwandlungen von Organismen) bestimmt. Hier nähern wir uns dem Problem: wir
haben also definitiv den Menschen aus dieser Aufzählung (als biochemischer Organismus)
ausgeschlossen und ihn damit „unnatürlich“ gemacht. Darauf zurückzukommen wird notwendig sein.
Der evolutionäre Entwicklungszustand dieser biogeochemischen und kosmischen Faktoren
charakterisiert das jeweils herrschende Klima (im Sinne einer mittleren Gesamtheit einschließlich seiner statistischen Charakteristik) und damit das Klimasystem. Es ist dabei äußerst wichtig, die Varianz um diese mittlere Größe und deren zeitliches Verhalten zu erkennen, eine Forschungsaufgabe, die in unserer Zeit durch die anthropogene Überlagerung des
Meßsignals sehr erschwert ist und unsere Aussagen unsicher machen (siehe die Beiträge von
Martin Claussen).
Wir wissen heute, daß die Zusammensetzung der Atmosphäre ganz wesentlich durch die
Biosphäre bestimmt wird (und umgekehrt): die Evolution des einen Reservoirs spiegelt die
Geschichte des anderen wider. Wir wissen auch, daß abiotische Faktoren (Evolution der Erde
und schließlich des Weltalls) sowohl periodischen Schwankungen als auch Langzeittrends
unterliegen (siehe den Beitrag von Martin Claussen) aber auch zu unvorhersehbaren („katastrophalen“) Ereignissen führen können.
So ist bekannt, daß nach Vulkaneruptionen (selbst in Gebieten kontinuierlicher nichteruptiver Vulkantätigkeit) viele Spurenstoffe in der Luft in Konzentrationen vielfach höher als in
industriellen Ballungsgebieten angetroffen werden. Auch tropische Regenwälder können
biogene Emissionen aufweisen, die denen von Städten nicht nachstehen. Man wird die Luftqualität (ein neutraler Begriff) dieser Gebiete nicht als Luftverschmutzung (ein negativer
Begriff) bezeichnen wollen, da dieser Begriff ausschließlich mit menschlichen Aktivitäten
verbunden ist. „Luftverschmutzung“ charakterisiert also die Abweichung in der chemischen
Zusammensetzung von natürlicher („reiner“) Luft als Folge menschlicher Aktivitäten. Die
chemische Luftzusammensetzung, luftchemische Prozesse und (Schlüssel-)Parameter
bestimmen somit auch das Klimasystem. Die „Chemie“ somit nicht als ein Klimaelement zu
betrachten (siehe den Beitrag von Detlev Möller), hieße, das Erdklima nicht verstehen zu
können.
Umgekehrt muß gefragt werden, wann der Mensch (und niemand wird bestreiten, das er
kein biologisches Wesen ist), seine Rolle als „reiner Naturbestandteil“ aufgegeben hat, d.h. ab
wann menschliche Aktivitäten „unnatürlich“ sind. Oder mit anderen Worten, ab wann der
Mensch einen Klimawandel verursacht.
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Spätestens hier bemerken wir, wie wenig hilfreich die Begriffe „rein“, „natürlich“, „verschmutzt“ und „anthropogen“ sind im Versuch, das Klima zu charakerisieren, denn den Menschen aus dem Klimasystem (und damit der Klimadefinition) auszuschließen, hieße, unser
Erdsystem unverständlich zu machen.
Solange der Mensch sich in den natürlichen Stoff- und Energiehaushalt einpaßte, war er
ein „natürliches“ Wesen und beeinflußte seine Umgebung nicht anders als jede andere tierische Population. Aber bereits das erste von ihm erzeugte (und dann immer mehr kontrollierte)
Feuer (um Heizen und Kochen zu können sowie Licht zu haben) veränderte die natürlichen
Stoffumsätze (wir müssen annehmen, daß die Luftqualität im Sinne eines lokalen Klimas in
den Höhlen der Urmenschen und auch Städten des Mittelalters schauderhaft war). Die nächsten Schritte im Eingriff des Naturhaushalts waren der Ackerbau und schließlich die völlige
Waldrodung in weiten Gebieten Südeuropas und des vorderen Orients vor mehr als 2000
Jahren. Es liegt auf der Hand, daß alleine die seit Jahrtausenden anhaltende Änderung der
Landnutzung große klimatische Änderungen zur Folge hatte (als bestimmende Klimafaktoren
seien beispielshaft genannt: biogene Emissionen, Bodenstaub, Wasserhaushalt, Albedo).
Mineralurgische und vor allem metallurgische Stoffumwandlungen führten bereits vor
mehr als 5000 Jahren zu Stofffreisetzungen (Emissionen), wenngleich auch zunächst wohl nur
auf lokaler Skala. Die Freisetzung von Schwermetallen läßt sich jedoch bis zum Beginn der
Erzverhüttung vor 3000 Jahren durch Ablagerungen in grönländischen Eisbohrkernen zurückverfolgen. Auch war mit Sicherheit die „Luftverschmutzung“ mittelalterlicher Städte (davon
zeugen beispielsweise Berichte aus London und Chemnitz) – was Staub und Kohleverbrennungsprodukte betrifft – um ein Vielfaches höher als im 20. Jahrhundert, obwohl das „Stadtklima“ (siehe den Beitrag von Wilhelm Kuttler) auch in Zukunft vom „Landklima“ abweichen wird.
Die sogenannte industrielle Revolution (welche eine Folge der Entwicklung von Dampfmaschine, Dynamo und Verbrennungsmotor ist und damit einer industriemäßigen Anwendung des Feuers) hatte zwar in der zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts den Beginn des globalen Industriezeitalters eingeleitet und auch den nun „sichtbaren“ exponentiellen Anstieg der
Emissionen von Luftspurenstoffen (der übrigens sichtbar gekoppelt ist mit dem Anstieg der
Weltbevölkerung), aber nicht erst den Übergang von reiner in verschmutzte Luft. Wie erwähnt, wurde der Zustand Luftverschmutzung schon im Mittelalter beschrieben und der Zustand „reine natürliche“ Luft bereits in der Antike verlassen. Somit müssen wir auch den
Zustand Klimawandel als eine mit der menschlichen Gesellschaft verbundene stetige Erscheinung begreifen. Das Industriezeitalter und insbesondere die zweite Hälfte der 20. Jahrhunderts
zeichnen sich jedoch durch die geographische Ausbreitung der „Luftverschmutzung“ und des
„Klimawandels“ zu einem globalen Phänomen aus.
Die heutige Populationsdichte und die Abtrennung anthropogener Stoff- und Energieflüsse
von der Zeitskala der natürlichen Zyklen führen damit zum Problem der zeitlichen Adaptation. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Biosphäre sich an jede chemische und physikalische
Zustandsänderung (was durchaus im Sinne einer Katastrophe erfolgen kann) anpaßt. Erst mit
der teilweisen Abkopplung des Menschen von der Biosphäre ist eine Beurteilung/Bewertung
unserer Umwelt entstanden, die – grob gesagt – zwischen den Bereichen positiv und negativ
liegt. Insofern sind die Begriffe Umweltschutz, Naturschutz und Klimaschutz nicht treffend,
denn wir schützen (und können es gar nicht, außer wir führen die menschliche Population auf
die Stufe der Sammler und Jäger zurück) weder Klima, Natur oder gar Umwelt – wir gestalten
es. Wie bereits gesagt, ändert die globale Menschheit seit mehr als 2000 Jahren die Umwelt,
die Natur und das Klima. Allerdings erst vor wenigen Jahrzehnten sind wir uns dessen bewußt
geworden.
Paul Crutzen hat diesen anthropogenen Zeitabschnitt der Neuzeit (Holozän) vor einigen
Jahren treffend als Anthropozän benannt. Wladimir Ivanowitsch Vernadskij führte um 1930
den Begriff der Noosphäre ein als eine neue Dimension der Biosphäre, welche sich unter dem
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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evolutionärem Einfluß des Menschen auf natürliche Prozesse entwickelt (eine schöne Definition).
Wir versuchen deshalb, unsere Aktivitäten dahingehend zu ändern, um weniger Ressourcen zu verbrauchen und weniger Abfall zu produzieren. Wir versuchen, das Selbstreinigungspotential der Natur zu erhalten und wir haben das langfristige Ziel, uns in globale biogeochemische Stoffzyklen einzupassen (Stichwort Solarzeitalter) – als nachhaltige Entwicklung
bezeichnet. Das scheint nach heutigem Kenntnisstand alles möglich zu sein und es dürfte auch
die einzige globale Überlebensstrategie der Menschheit sein. Aus dieser globalen und langfristigen Sicht erscheinen folgende Detailfragen dennoch wichtig:
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Wieviele Menschen „verkraftet“ die Erde (und einzelne Regionen) mit einer o.g. nachhaltigen Entwicklung?
Wie ändert sich das Klima in Abhängigkeit von der chemischen Zusammensetzung der
Atmosphäre (wo liegen die Grenzkonzentrationen für eine Klimastabilität)?
Welche Eingriffe in die Landnutzung führen zu welchen Klimakonsequenzen?
Wie sind die Zeitkonstanten der Klimaänderung in Beziehung zu welchen Ursachen?
Welche Klimafolgen werden durch welche Klimaänderungen verursacht?
Wie kann der Mensch Klimafolgen tolerieren oder sich ihnen anpassen?
Was sind die notwendigen (globalen) gesellschaftlichen Entscheidungen, um eine Klimakastrophe zu verhindern?
KLIMAFORSCHUNG
In der englischen Sprache wird „Luftreinhaltung“ am treffendsten mit Air Pollution
Control bezeichnet, also „Kontrolle der Luftverschmutzung“. Control (oder Kontrolle) heißt
dabei nicht Rückführung des (realen) Luftzustandes auf den natürlichen Wert sondern Einhaltung eines (vom Gesetzgeber) vorgegebenen Grenzwertes, wobei es in der Vergangenheit
(und mit Sicherheit auch in der Zukunft) notwendig war, durch geeignete technische Maßnahmen der Luftreinhaltung (besser gesagt Luftreinigung) zunächst eine Reduzierung von
Emissionen zu erzielen (beispielsweise Schwefeldioxid, flüchtige organische Verbindungen,
Fluorchlorkohlenwasserstoffe usw.). Das Ziel ist also nicht reine Luft im oben beschriebenen
Sinne, sondern eine vom Menschen modifizierte Luft(zusammensetzung), die tolerierbar ist;
im englischen treffend als clean air act bezeichnet. Tolerierbar bedeutet, nach dem Stand
unseres Wissens sind keine nachteiligen Wirkungen auf den Menschen und dessen Umwelt zu
erwarten (zum Beispiel ein gefährlicher Klimawandel) – eine ungute Definition, denn wer
vermag schon mit Sicherheit zu sagen, was keine nachteilige Wirkung ist.
So ist ein verändertes Klima zunächst weder Wirkung noch Schaden. Aber die primären
(beispielsweise veränderte Niederschläge) und sekundären (beispielsweise veränderte Landnutzung) Folgen einer Klimaänderung können erhebliche gesellschaftliche Wirkungen und
Schäden nach sich ziehen (siehe den Beitrag von Manfred Stock).
Die Frage, ob die Grenzwerte tatsächlich dieser Forderung entsprechen kann (noch) nicht
endgültig beantwortet werden. Auch wirken nicht nur einzelne Spurenstoffe, sondern zumeist
alle Spurenstoffe, die in unterschiedlicher Gewichtung zu verschiedenen Wirkungspotentialen
(wie Klimantrieb, Azidität, Oxidationskapazität) beitragen. Zum weiteren sind längst nicht
alle Spurenstoffe in ihrer Wirkung beschrieben, denn vom Gesetzgeber in entsprechende
Paragraphen gezwängt worden. Hier ist auch weniger der Gesetzgeber gefragt als vielmehr
die Wissenschaft, welche sich diesen Fragen immer wieder aus neuen (!) Blickwinkeln nähern
muß.
Wegen der Komplexität der Beziehungen hat sich aus den in der Vergangenheit weitgehend singulär angelegten Umweltforschungsprogrammen schließlich die Erdsystemforschung
entwickelt. Erdsystemforschung ist dabei als ein Modewort nichts anderes als Klimaforschung
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im Humboldt´schen Sinne, d.h. die komplexe Wechselwirkung aller (physikalischen und
chemischen) atmosphärischen Parameter in Wechselwirkung mit den anderen (Geo-)Sphären
und der Biosphäre als auch dem Menschen zu untersuchen.
Wir begreifen also, der Mensch verändert das (chemische und physikalische) Klima und es
nicht zu tun, hieße, ihn auf eine vergangene Entwicklungsstufe zurückzuführen. Die Frage
muß also nicht nur lauten, wie wir Klimaschutz machen, also einen tolerierbaren Klimazustand beibehalten, sondern vor allem, wie wir trotz eines Klimawandels eine nachhaltige
Entwicklung der menschlichen Gesellschaft gewährleisten. Hier kommen nun tatsächlich
soziologische und ökonomische Fragestellungen (und schließlich philosophische) mit ins
Spiel, weil in der Definition (ist diese überhaupt möglich?) der Nachhaltigkeit die Schwierigkeiten liegen. Belassen wir es dabei, darunter ein Klima zu verstehen, daß eine positive Entwicklung der Menschheit ermöglicht. Es wird nicht anders gehen, als daß der Mensch sich
auch an (physikalische und chemische) Faktoren des Klimas anpaßt indem er sich als ein
(biologischer) Teil des Klimasystems versteht (siehe den Beitrag von Manfred Stock).
In diesem Sinne brauchen wir keine Luftreinhaltung mehr, aber Klimaforschung, die immer wieder nach dem gegenwärtigen Klimastatus fragt und versucht, die Klimafaktoren (also
Klimaelemente im erweiterten Sinne) besser zu quantifizieren. Eine Prognose des Klimas in
diesem Sinne ist eine ständige gesellschaftliche Aufgabe, die mit hoher Priorität gefördert
werden muß, da sie von grundlegender Bedeutung für die weitere Existenz der Menschheit ist,
welche damit langfristige Anpassungsstategien entwickeln kann. Die Aufgabe der Zukunft
lautet also Klimakontrolle. Diesem Anliegen entsprechen entsprechend aber gegenwärtig
(leider) weder die staatliche Umweltüberwachung noch die Forschungsförderpolitik.
LUFTREINHALTUNG
Am 11. Dezember 1997 wurde im Rahmen der 3. Vertragsstaatenkonferenz das sogenannte
„Kyoto-Protokoll verabschiedet. An dieser Fortentwicklung der Klimarahmenkonvention von
1992 beteiligten sich 160 Staaten. Dabei wurden erstmals auch rechtsverbindliche Begrenzungs- und Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer festlegt. Demnach müssen die
Industrieländer ihre Emissionen von sechs Schlüssel-Treibhausgasen10 bis zum Jahr 2010 im
Mittel um 5% gesenkt haben (bezogen auf die Werte von 1990). Berechnet wird dabei jeweils
ein Mittelwert aus den letzten fünf Jahren. Bis zum Jahr 2005, so legt das Kyoto-Protokoll
fest, sollen die Vertragsstaaten immerhin schon einen vorzeigbaren Fortschritt vorweisen
können. Gemessen werden die Emissionen von Kohlendioxid, Methan, und Stickoxiden,
außerdem die Abgabe von drei besonders langlebigen Fluorkohlenwasserstoffverbindungen.
Die US-Regierung lehnt das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz auch nach dessen Ratifizierung in der russischen Staatsduma (am 22.10.2004) weiterhin ab. Der stellvertretende Außenamtssprecher Adam Ereli sagte kürzlich11, die Position der Regierung habe sich nicht geändert: "Wir denken nicht, daß das Kyoto-Protokoll für die Vereinigten Staaten eine realistische
Option ist, und wir haben nicht die Absicht, es zu unterzeichnen oder zu ratifizieren". Ungeachtet der Ratifizierung im russischen Parlament lehnt auch Australien das Kyoto-Protokoll
zum Klimaschutz weiterhin ab. Umweltminister Ian Campbell erklärte am 21.11.2004 in
Sydney, seine Regierung glaube nach wie vor nicht an die Wirksamkeit des Protokolls beim
Kampf gegen die Erderwärmung: "Australien will stattdessen ein umfassendes Abkommen
mit allen Treibhausgasproduzenten". Deutschland übernimmt im Rahmen der EGLastenverteilung die Verpflichtung für den Zeitraum von 2008 bis 2012 seine Treibhausgas10
Kohlendioxid (CO2): z.B. aus Verbrennung von Kohle, Gas, Erdöl, Holz. Methan (CH4): z.B. aus: Viehzucht,
Reisanbau, Deponien. Lachgas (Distickstoffoxyd N2O): Stickstoffdüngung, Deponien. Perfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFC): Aluminium-Produktion. Halogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (HFC): Kühlmittel, chem.
Industrie. Schwefelhexafluorid (SF6): durch Hochspannungsleitungen.
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Tagesschau am 24.11.2004
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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emissionen um 21% gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren (Deutsche Reduktionsverpflichtung). Bisher konnte Deutschland bereits eine Reduktion von ca. 19% erreichen.
Es wurde oft das Adjektiv global verwendet. Es geht heute um das Erdklima, also das globale Klima. Es spielt keine Rolle12, an welcher Stelle der Erde Treibhausgase emittiert oder
reduziert werden, einzig der Wert der globalen mittleren atmosphärischen Konzentration ist
von Bedeutung. Die Bestrebungen Deutschlands sind deshalb global völlig belanglos – vielleicht (und hoffentlich) haben sie aber einen Vorbildeffekt, der sich jedoch kaum von selbst
infolge der sozialen Unterschiede umsetzen wird. Einzig globales Handeln kann zum Erfolg
führen – das liegt in der Verantwortung der sog. (reichen) Industrienationen.
QUINTESSENZ
Im Sinne von Thesen seien hier einige Schlußfolgerungen zusammengefaßt; der Leser wird
in den folgenden Beiträgen dazu ausreichend Hintergrundmaterial und weitergehende Erläuterung finden:
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Das Klima ist eine komplexe Größe, die neben pysikalischen und meteorologischen Parametern auch luftchemische Größen umfaßt.
Das Klimasystem – welches unser Klima bestimmt – umfaßt neben der Atmosphäre alle
anderen angrenzenden Reservoire einschließlich der Biosphäre.
Die Menscheit beeinflußt und ändert das Klima seit Jahrtausenden; unser gegenwärtiges
Problem resultiert aus einem raum-zeitlichen Aspekt: der globalen Wirkungsskala und der
schnellen zeitlichen Änderung.
Eine Klimakontrolle im 21. Jahrhundert ist wenig wahrscheinlich: wir müssen mit einer
drastischen Änderung des Klimazustands und damit „gefährlichen“ Klimafolgen rechnen.
Eine Klimastabilisierung auf einen zukünftigen Klimazustand wird erst nach Beendigung
des Zeitalters der Verbrennung fossiler Rohstoffe erreicht werden.
Langfristig (bis zum Energiesystemwechsel einschließlich der entsprechenden Nachwirkzeit) muß die Menscheit sich an einen Klimawandel anpassen und entsprechende Strategien entwickeln.
KORRESPONDENZ-ADRESSE:
Univ.-Prof. Dr. habil. Detlev Möller
Brandenburgische Technische Universität
Institut für Boden, Wasser und Luft
Lehrstuhl Luftchemie und Luftreinhaltung
Postfach 10 13 44
03044 Cottbus
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Weil die Verweilzeit (Lebensdauer) dieser Stoffe viele Jahre beträgt und damit eine weitgehend globale
Verteilung erfolgt.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Klimaänderungen: Mögliche Ursachen in Vergangenheit und Zukunft
Climate changes: possible reasons in past and future
Martin Claußen1, 2
1
2
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Universität Potsdam, Institut für Physik
ZUSAMMENFASSUNG
In diesem Übersichtsartikel werden zwei Klimadefinitionen, die meteorologische und die
systemanalytische, vorgestellt. Verschiedene Ursachen für Klimaänderungen werden vergleichend diskutiert: die extern angetriebene Klimavariabilität und die ohne äußeren Anstoß,
aufgrund von internen Instabilitäten im System ausgelöste, freie oder interne Klimavariabilität. Sowohl die angetriebene als auch die freie Klimavariabilität kann sich durch periodische,
zufällig periodische und abrupte Klimaänderungen bemerkbar machen. Abschließend werden
die verschiedenen Möglichkeiten der Klimavorhersage betrachtet.
ABSTRACT
In this overview two definitions of climate are presented, from the meteorological point of
view and from the climate system's point of view. The origin of climate change is discussed,
i.e., externally forced variability and free, or internal variability that is caused without external
trigger by internal instabilities of the system. Both, forced and free variability can appear as
periodic, randomly quasi-periodic, and abrupt climate change. Finally, various possibilities of
climate forecast are considered.
WAS IST KLIMA?
Die meteorologische Klimadefinition
In der älteren Literatur wird Klima als "die Gesamtheit aller meteorologischen Erscheinungen" definiert, "die den mittleren Zustand der Atmosphäre an irgend einer Stelle der Erdoberfläche charakterisieren" (Hann 1883). Wenn wir den momentanen Zustand der Atmosphäre an
einem Ort als Wetter bezeichnen, dann ist Klima nach dieser Definition gleichbedeutend mit
mittlerem Wetter. Die World Meteorological Organization (WMO) hat für die Zeitspanne,
über die der Mittelwert des Wetters berechnet werden sollte, auf 30 Jahre festgelegt. Daher
werden für Klimavergleiche häufig die Zeiträume 1931–1960 bzw. 1961–1990 gewählt. Man
findet in der Literatur aber auch andere Mittelungszeiträume.
Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde der Klimabegriff dahingehend erweitert, dass neben dem Mittelwert auch die höheren statistischen Momente in die Klimadefinition einbezogen werden. Nach der neueren Definition beschreibt Klima das "statistische Verhalten der
Atmosphäre, das für eine relativ große zeitliche Größenordnung charakteristisch ist." (Hantel
et al. 1987). Die Klimavariablen, auch manchmal Klimaelemente genannt, werden als statistische Kenngrößen angegeben wie zum Beispiel Jahres- oder Monatsmittel (Jahresmitteltemperatur, mittlere Jahresniederschlagssumme, usw.) oder als Eintrittswahrscheinlichkeit und
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Häufigkeit von Ereignissen (mittlere Andauer von Dürren, Surmhäufigkeit, Häufigkeit von
Starkniederschlägen, usw.). Da Klima sich sowohl räumlich wie auch zeitlich ändert, gehören
zur Angabe der Klimaelemente auch Ort und Mittelungszeitraum, für welche die statistischen
Kenngrößen gelten.
Die systemanalytische Klimadefinition
Die meteorologische Klimadefinition – vom Autor 'meteorologisch' genannt, weil sie sich
auf meteorologische Kenngrößen bezieht – hat sich in der Klimatologie, der eher beschreibenden Wissenschaft des Klimas, bewährt. Zum Verständnis der Klimadynamik, also der
Prozesse, die den mittleren Zustand und die Variabilität der Atmosphäre über längere Zeiträume bestimmen, reicht die meteorologische Definition nicht aus, denn die längerfristigen
Veränderungen der Atmosphäre werden wesentlich durch die Wechselwirkung der Atmosphäre mit dem Ozean, der Vegetation und den Eismassen geprägt. Aus diesem Grunde
wird in der Klimadynamik, wie in den modernen Lehrbüchern der Meteorologie und der
Klimaphysik nachzulesen ist (zum Beispiel Kraus 2000, Peixoto und Oort 1992), das Klima
über den Zustand und das statistische Verhalten des Klimasystems definiert.
Das Klimasystem (Abb. 1) besteht aus verschiedenen Untersystemen: der Atmosphäre, der
Hydrosphäre (dazu gehören Ozean, Flüsse, Seen, Regen, Grundwasser), der Kryosphäre
(Inlandeismassen, Meereis, Schnee, Permafrost), der marinen und terrestrischen Biosphäre,
dem Erdreich, und, wenn die Klimaentwicklung über viele Jahrtausende betrachtet wird, der
Erdkruste und dem oberen Erdmantel. Diese Unterteilung erfolgt im Wesentlichen aufgrund
der beteiligten Medien (gasförmig, flüssig, fest) und der Zeitskalen, die für typische Änderungen in den Untersystemen beobachtet werden können. Die Untersysteme sind über Energie-,
Impuls- und Stoffflüsse miteinander gekoppelt. Zu den Stoffflüssen muss auch der Transport
chemischer Substanzen und deren Umwandlungsprozesse hinzugerechnet werden, soweit
diese Substanzen – wie zum Beispiel Treibhausgase oder Nährstoffe der Biosphäre – direkt
oder indirekt mit dem Energiekreislauf in Verbindung stehen.
Abb. 1: Schematische Darstellung des Klimasystems und seiner Untersysteme sowie der die Untersysteme
verbindenden Flüsse
Fig. 1: Schematic presentation of the climate system and its subsystems including the fluxes
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Die Definition des Klimasystems wird nicht aus übergeordneten Prinzipien abgeleitet, sondern ist als eine pragmatische Eingrenzung des zu untersuchenden Gegenstandes durch Unterteilung in System und dessen Umgebung zu interpretieren. Die Abgrenzung des Klimasystems zur Umgebung wird so vorgenommen, dass kein wesentlicher Massenfluss zwischen
dem System und der Umgebung auf den für die Untersuchung relevanten Zeitskalen stattfindet.
Kraus (2000) zählt auch die Anthroposphäre, die Welt menschlichen Handels, zum Klimasystem. Dies erscheint mir unpragmatisch, da sich das menschliche Handeln, insbesondere
Kultur und Psychologie, der thermodynamischen Beschreibung entzieht. Die Summe von
Klimasystem und Anthroposphäre wird in der Literatur auch als Erdsystem definiert (Schellnhuber und Wenzel 1998, Schellnhuber 1999, Claußen 1998, 2001), wobei in diesem Zusammenhang statt Klimasystem synonym die Begriffe Natursphäre oder Ökosphäre gebraucht
werden.
KLIMAANTRIEB
Abb. 2 zeigt skizzenhaft die Variabilität der bodennahen Lufttemperatur so, wie sie in vielen Klimaarchiven – Ablagerungen im Eis, im Erdreich oder im See- oder Meeresboden, aus
denen das Klima rekonstruiert wird – zu finden ist. Eine Anzahl von Maxima ragen aus dem
kontinuierlichen Spektrum, der Hintergrundsvariabilität, heraus. Manche dieser Maxima
können als direkte Antwort des Klimasystems auf äußere Klimaantriebe verstanden werden,
als erzwungene oder angetriebene Klimavariabilität. Andere Maxima entstehen durch Instabilitäten innerhalb des Klimasystems bei konstantem Klimaantrieb. Diese Art der Klimaänderungen wird freie oder interne Klimavariabilität genannt (Lorenz 1979).
Betrachten wir zunächst die bisher bekannten und vermuteten Klimaantriebe, die vom Autor in drei Gruppen unterteilt werden: astronomische, tektonische und anthropogene Antriebe.
Abb. 2: Idealisierte schematische Darstellung des Spektrums atmosphärischer Temperaturvarianz nach Crowley
und North (1992)
Fig. 2: Idealized schema of the spectrum of temperature varaiances, after Crowley and North (1992)
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Astronomischer Antrieb
Leuchtkraft der Sonne
Die Leuchtkraft der Sonne und damit der solare Energiefluss ändert sich auf nahezu allen
Zeitskalen. Die Sonne wird, wie sämtliche Sterne, im Laufe ihres Lebens immer heißer, und
der solare Energiefluss, der das Klimasystem der Erde erreicht, nimmt stetig zu. Vor etwa
3,5 Milliarden Jahren, als sich das Leben auf unserem Planeten zu entwickeln begann, war der
solare Energiefluss etwa 35% schwächer als heute. Für die Betrachtung der Klimadynamik im
Laufe der letzten Jahrtausende sind die Schwankungen der Sonne im Bereich von etwa 11, 22,
78, 211 und vermutlich auch 1500 und 2500 Jahren interessant. Der solare Energiefluss einschließlich seiner Schwankungen kann erst in den letzten etwa 20 Jahren von Satelliten aus
direkt gemessen werden. Für die Zeit davor werden die solaren Schwankungen aus Beobachtungen der Änderungen der Sonnenflecken oder aus Messungen der kosmogenen Isotope 14C
und 10Be, die sich in verschiedenen Klimaarchiven finden, abgeschätzt (Lean et al. 1995, Bard
et al. 2000).
Wie sich die Schwankungen des solaren Energieflusses bemerkbar machen, darüber gibt es
verschiedene Theorien, die im dritten Sachstandsbericht des IPCC (Intergovernmental Panel
on Climate Change – Ramaswamy et al. 2001, S. 380 ff.) vergleichend bewertet werden. Die
einfachste Erklärung, nach der die Schwankungen im solaren Energieangebot den Energiehaushalt der bodennahen Luftschicht direkt beeinflussen, scheint sich bei der Erklärung der
Temperaturschankungen der letzten 1000 Jahre zu bewähren (Cubasch et al. 1997, Brovkin et
al. 1999, Crowley 2000, Bauer et al. 2003)
Kosmische Partikelstrahlung und Erdmagnetfeld
Die kosmische Partikelstrahlung hat sich im Laufe der Erdgeschichte geändert, zum Beispiel beim Ausbruch einer Super Nova oder wenn das Sonnensystem – vermutlich mit einer
Periode von etwa 200 Millionen Jahren – den Spiralarm einer Galaxis kreuzt (Shaviv 2002).
Bei der Betrachtung der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende wird davon ausgegangen, dass
die kosmische Partikelstrahlung konstant ist. Allerdings ändert sich der Fluss kosmischer
Partikel in die Erdatmosphäre dadurch, dass Intensität und Form des Magnetfeldes der Erde,
das die kosmische Partikelstrahlung abschirmt, schwanken. Dies geschieht durch solare Aktivitäten (Sonnenwind) oder durch Vorgänge im Erdinnern, die das Erdmagnetfeld induzieren
(letzterer Antrieb müsste daher konsequenterweise dem tektonischen Antrieb zugeordnet
werden). Die Klimarelevanz kosmischer Partikelstrahlung wird zur Zeit kontrovers diskutiert.
Es gibt Untersuchungen, die eine Korrelation zwischen aus direkten Messungen – diese jedoch nur einen sehr kurzen Zeitraum – und aus indirekten Messungen mit Hilfe kosmogener
Isotope abgeschätzten Schwankungen der kosmischen Partikelstrahlung und meteorologischer
Parameter, wie Temperatur, Niederschlag oder Bewölkung ableiten (zum Beispiel Svensmark
und Friis-Christensen 1997). Jedoch ist der physikalische Wirkungspfad bisher nicht geklärt
(Kernthaler et al. 1999). Zudem haben Sun und Bradley (2002) unlängst festgestellt, dass die
von Svensmark und Friis-Christensen gefundene Korrelation nicht mehr existiert, wenn Daten
aus weiter zurückliegenden Zeiten in die statistische Analyse mit einbezogen werden. In
manchen Fällen ist die hohe Korrelation zwischen Änderung kosmischer Partikelstrahlung
und atmosphärischer Klimaelemente leider auch auf fehlerhafte, zum Teil unwissenschaftliche Behandlung der Daten zurückzuführen (Laut 2003). Interessanterweise zeigen Kristjansson et al. (2002), dass in dem Zeitabschnitt, für den eine Korrelation gefunden wurde, die
Korrelation des solaren Energieflusses mit der Bewölkung deutlich größer ist, als die der
kosmischen Partikelstrahlung mit der Bewölkung. Dies spricht für die im vorigen Abschnitt
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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geäußerte Vermutung, Änderungen im solaren Energiefluss seien der wichtigere solare Klimaantrieb.
Asteroiden
Die Erde wurde im Laufe ihrer Geschichte häufiger von einem Asteroiden getroffen. Der
Aufschlag großer extraterrestischer Körper hinterlässt deutliche Spuren nicht nur in der Erdoberfläche, sondern auch im Klima (Gersonde et al. 1997). Unser Erdsystem scheint allerdings stabil genug zu sein, dass selbst Einschläge größerer Asteroide von mehreren Kilometern Durchmesser, wie zum Beispiel vor gut 65 Millionen Jahren geschehen, nicht sämtliches
Leben auf der Erde vernichten und unser Klima lebensfeindlich verändern. Für die gegenwärtige Klimadiskussion spielt dieser Faktor keine Rolle.
Die Erdbahn um die Sonne
Dynamisch betrachtet ist die Erde ein rotierender Kreisel, auf den die Anziehungskräfte
der Sonne, des Mondes und der größeren Planeten wirken. Da diese Anziehungskräfte nicht
im Massenmittelpunkt der Erde angreifen, entstehen Drehmomente, so dass der Erdkreisel
taumelt. Dies macht sich durch Schwankungen in der Exzentrizität („Ellipsenförmigkeit“) der
Erdbahn, der Schiefe der Ekliptik (Neigung der Erdachse gegenüber der durch die Erdbahn
um die Sonne aufgespannten Fläche) und der Lage der Äquinoktien (Länge des Winterhalbjahres im Vergleich zum Sommerhalbjahr und Zeitpunkt, an dem die Erde der Sonne am
nächsten steht) bemerkbar. Die Schwankungen der Exzentrizität zeigen maximale Änderungen bei Perioden von 412.000 Jahren und etwa 100.000 Jahre. Die Schiefe der Ekliptik ändert
sich mit einer Periode von etwa 41.000 Jahren und die Lage der Äquinoktien mit einer Doppelperiode von etwa 23.000 und 19.000 Jahren (Berger 1978).
Das Signal der Ekliptikänderungen und der Präzession der Äquinoktien ist in den Klimaarchiven so klar zu erkennen, dass man diese präzise berechenbaren astronomischen Änderungen in vielen Fällen dazu benutzt hat, um die Klimaarchive zu datieren, also die Tiefe, in der
ein Klimasignal gefunden wird, einem bestimmten Zeitpunkt zuzuordnen. Die Schwankungen
der Exzentrizität erzeugen nur geringe Änderungen in der global gemittelten Einstrahlung und
der geografischen Verteilung. Jedoch ist die 100.000 jährige Periode die bei weitem stärkste
(Abb. 3).
Abb. 3: Rekonstruktion der Temperaturschwankungen und Messungen der CO2-Schwankungen in der Antarktis
während der letzten 400.000 Jahre (gezeichnet nach Petit et al. 1999)
Fig. 3: Reconstruction of temperature variations and measurements of CO2 variations in Antarctic ice cores over
the last 400000 years (after Petit et al. 1999)
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Warum das Klimasystem so stark disproportional (nichtlinear) auf diese eher marginale
Antriebsschwankung reagiert, ist bis heute noch nicht zufriedenstellend geklärt. Eine Übersicht der gängigen Theorien zur Erklärung des 100.000-jährigen Klimazyklusses bietet das
Lehrbuch von Saltzman (2002).
Änderung der Erdrotation
Um die Liste bekannter astronomischer Antriebe zu vollständigen, sei die Änderung der
Erdrotation erwähnt. Die Erdrotation nimmt im Laufe der Erdgeschichte allmählich ab und
damit die Tageslänge zu. Vor gut 1 Milliarden Jahre dauerte ein Tag nur etwa 21 Stunden.
Die Änderung der Tageslänge beeinflusst die Struktur der großräumigen Zirkulation in der
Atmosphäre und im Ozean. Allerdings spielt dieser Effekt nur bei der Betrachtung der sehr
langfristigen Klimaentwicklung eine Rolle.
Tektonische Änderungen
Plattentektonik
Langsame Konvektionsbewegungen im Erdmantel führen zu tektonischen Prozessen, wie
Kontinentaldrift, Auffaltung von Gebirgen, Änderung des Ausgasens von CO2 , Wasser und
anderen Stoffen aus dem Erdinneren. Sie spielen als langsame Prozesse für die langfristige
Klimadynamik (zum Beispiel Wechsel zwischen Eiszeitalter und Heißzeiten im Laufe der
Jahrmillionen) ein prägende Rolle (Crowley und North 1992). Ob ein Inlandeisschild existieren kann – dies definiert eine Eiszeit – hängt wesentlich von der Größe und der Lage der
Kontinente zu einem der beiden Pole ab. Die Existenz des grönländischen und antarktischen
Eisschildes zeigt, dass wir uns gegenwärtig in einer Eiszeit befinden, der quartären Eiszeit,
allerdings in der Warmphase der Eiszeit. Die Warmphase und die Kaltphase einer Eiszeit
werden auch als Interglazial beziehungsweise Glazial bezeichnet
Vulkanismus
Für kurzfristige klimatische Einflüsse ist die an tektonische Prozesse gekoppelte Vulkantätigkeit mitverantwortlich. Durch Vulkanaktivität gelangen gasförmige und partikelförmige
Spurenstoffe in die Atmosphäre, die den Strahlungshaushalt der Atmosphäre ändern. Die
Vulkanaktivität ändert sich unregelmäßig und kann nicht vorrausgesagt werden. Der Zeitpunkt einzelner Vulkanausbrüche kann anhand von historischen Aufzeichnungen oder direkt
durch Ascheschichten in datierbaren marinen und terrestrischen Ablagerungen bestimmt
werden (siehe in Crowley 2000). Die Rekonstruktion der Intensität eines Vulkanausbruches
und der damit verbundenen Emission von Stoffen ist jedoch mit großer Unsicherheit verbunden. Der Effekt einzelner starker Vulkanausbrüche lässt sich in den Klimaarchiven als kurzfristige, nicht länger als etwa drei Jahre andauernde Abkühlung wiederfinden. Für Klimabetrachtungen ist daher nicht der einzelne Vulkanausbruch interessant, sondern ob Vulkanausbrüche gehäuft auftreten oder über eine längere Zeit ausbleiben.
Anthropogener Einfluss
Treibhausgasemissionen
Der Mensch hat die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre geändert, und zwar im
Wesentlichen durch Emission von Treibhausgasen, Ruß und aerosolbildende Substanzen. Die
Zunahme der CO2-Konzentration in der Luft um gut 30% während der letzten etwa 150 Jahre
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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ist zum allergrößten Teil auf die Verbrennung fossilen Kohlenstoffs zurückzuführen (Prentice
et al. 2001). Zurzeit werden dadurch etwa 6 Milliarden Tonnen Kohlenstoff pro Jahr oder
umgerechnet 22 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr in die Atmosphäre emittiert. Damit ist die
anthropogene Emission von CO2 etwa 50 bis 100mal stärker als das natürliche Ausgasen aus
dem Erdinneren. In der Tat lässt sich mindestens für die letzten 420.000 Jahre kein solch
drastischer Anstieg wie der zurzeit gemessene in den Klimaarchiven nachweisen. Vermutlich
gab es vor etwa 55 Millionen Jahren einen vergleichbaren CO2-Emissionsstoß (Schrag und
McCarthy 2002). Auch die atmosphärische CO2-Konzentration ist auf Werte angestiegen, wie
sie seit mindestens 420.000 Jahren vermutlich sogar der letzten 20 Millionen Jahre nicht
vorgekommen sind.
Treibhausgase in der Atmosphäre absorbieren die Wärmestrahlung der Erdoberfläche und
strahlen ihrerseits in den Weltraum und in Richtung Erdoberfläche aus. Letzterer Teil wird
wieder von der Erdoberfläche absorbiert, so dass die Atmosphäre insgesamt wärmer ist als
ohne Treibhausgase. Zwischen Treibhausgasemission und Treibhauseffekt besteht kein linearer Zusammenhang, da die meisten Absorptionsbanden der natürlichen Treihausgase nahezu
gesättigt sind. Deshalb leisten lediglich die Flügelbereiche der Absorptionsbanden natürlicher
Treibhausgase und die noch nicht gesättigten Absorptionsbanden einiger anthropogener Treihausgase (wie zum Beispiel die FCKWs) einen Beitrag. Aber dieser Beitrag hat immer noch
beachtliche Auswirkungen. Der natürliche, vom Menschen unbeeinflusste Treibhauseffekt
beträgt etwa 33oC (Änderung der globalen bodennahen Mitteltemperatur einer Erde mit gegenüber einer Erde ohne Treibhauseffekt), wenn man die durch den Treibhauseffekt angestoßenen Wechselwirkungen im Klimasystem (siehe Abschnitt 3.2) hinzurechnet. Der durch die
anthropogene Treibhausgasemission ausgelöste „zusätzliche“ Treibhauseffekt ist dagegen
gering, etwa 1oC bei einer Verdoppelung der vorindustriellen Treibhausgaskonzentration,
wenn man nur die Wirkung dieses zusätzlichen Treibhauseffektes betrachtet. Wenn man die
durch den zusätzlichen Treibhauseffekt angestoßenen verstärkenden und abschwächenden
Wechselwirkungsprozesse im Klimasystem hinzurechnet, ergeben sich aus Klimamodellrechnungen ungefähr 3.5 oC +/–1.5oC (Cubasch et al. 2001). Dies ist eine kräftige Temperaturerhöhung, wenn man bedenkt, dass der Unterschied in der globalen Mitteltemperatur zwischen
dem Höhepunkt der letzten Vereisung vor gut 21.000 Jahren und dem heutigen Klima etwa
4oC bis 5oC beträgt. Betrachtet man die verschiedenen Abschätzungen möglicher CO2Emissionen, so ist eine Verdoppelung der vorindustriellen CO2-Konzentration innerhalb der
nächsten hundert Jahren eine eher konservative, vorsichtige Schätzung (Prentice et al. 2001).
Landnutzung
Seit Jahrtausenden hat der Mensch die Landoberfläche durch Landnutzung in stetig steigendem Maße geändert. Abschätzungen zufolge sind zurzeit 1/3 bis 1/2 der gesamten Landoberfläche direkt davon betroffen (Vitousek et al. 1997). Durch die Landnutzung wird die
Struktur der Landoberfläche geändert; landwirtschaftliche Flächen sind in vielen Fällen heller
als Waldflächen und zeigen auch ein anderes Verdunstungsverhalten. Obwohl die Wechselwirkungsprozesse zwischen Landoberfläche und bodennahem Klima im Detail sehr komplex
sind – manche Prozesse führen zur Erwärmung, manche zur Abkühlung, und in unterschiedlichen Klimazonen dominieren verschiedene Prozesse – , zeigt sich im globalen Mittel eine
leichte Abkühlung der bodennahen Luftschicht, und zwar im Wesentlichen aufgrund der
Zunahme des Reflexionsvermögens solarer Strahlung (Claußen et al. 2003).
Klimasimulationen über die letzten 1000 Jahre zeigen, dass die kleine Eiszeit bis in die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts andauerte, obwohl die natürlichen Antriebe wie Änderung
des solaren Energieflusses und Vulkanaktivität, aber auch die anthropogene CO2-Emission
eine Erwärmung erwarten lassen (Abb. 4, Bauer et al. 2003 ). Dieser Effekt ist in dem Klimamodell der Landnutzung zuzuschreiben.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Neben der Änderung der Struktur der Landoberfläche trägt die Landnutzung auch zur CO2Emission bei, zum Beispiel durch Brandrodung. Die derzeitige mit der Landnutzung einhergehende Kohlenstoffemission wird auf etwa 2 Milliarden Tonnen pro Jahr abgeschätzt.
Abb. 4: Abschätzung der bodennahen Temperatur im Mittel über die Nordhemisphäre im Verlauf der letzten
1000 Jahre. Schwarze Kurve: Rekonstruktion aus Klimaarchiven (gepunktete Kurve: Jones et al. 1998; strichpunktierte Kurve: Mann et al. 1999), hellgraue Kurve: Modellrechnung mit natürlichem Antrieb (Änderung des
solaren Energieflusses und Vulkanaktivität), dunkelgraue Kurve: Modellrechnung mit natürlichen und anthropogenem Antrieb (CO2-Emission und Landnutzung); geändert nach Bauer et al. (2003)
Fig. 4: Assessment of North hemispheric mean surface temperature within the last 1000 years. Black line:
Reconstruction from climate archives (dotted line: Jones et al. 1998; dashed line: Mann et al. 1999), light grey
line: model calculation with natural forcing (change of solar activity and volcanism), dark grey line: model
calculation with natural and anthropogenic forcing (CO2 emission and land use); changed after Bauer et al.
(2003)
Änderung der Klimaantriebe während der letzten Jahrhunderte
Aus den obigen Abschnitten wird deutlich, dass – sieht man von interner Klimavariabilität
ab – im Wesentlichen nur Änderungen im solaren Energiefluss und der Vulkanaktivität sowie
die menschlichen Aktivitäten die Klimaänderungen der letzten Jahrhunderte angestoßen
haben können. Für den Einfluss kosmischer Strahlung fehlt ein überzeugender Beleg (statistische Zusammenhänge können Hinweise geben, aber nicht erklären). Klimasimulationen
(Crowley 2000, Bauer et al. 2003), in den die verschiedenen natürlichen Antriebe aus Rekonstruktionen vorgegeben wurden, zeigen qualitativ das gleiche Bild (Abb. 4 als Beispiel): Die
Klimaentwicklung der letzten 1000 Jahre lässt sich nicht ohne die Variabilität der natürlichen
Antriebe reproduzieren, und ebenso die Klimaentwicklung der letzten 100 Jahre nicht ohne
Hinzunahme der anthropogenen Faktoren. Mehr noch: es ist erkennbar, dass wahrscheinlich
vor Beginn der industriellen Revolution vor gut 150 Jahren die natürlichen Klimaantriebe
dominierten und seit gut 100 Jahren der anthropogene Antrieb. Insbesondere die Erwärmung
der bodennahen Atmosphäre während der letzten Jahrzehnte ist zum größten Teil auf die
anthropogene Treibhausgasemission zurückzuführen.
INTERNE KLIMAVARIABLITÄT UND WECHSELWIRKUNGSPROZESSE
Auch wenn der Klimaantrieb konstant bliebe, wenn sich zum Beispiel die Erde relativ zur
Sonne nicht bewegte, entstünde Klimavariabilität, die interne oder freie Klimavariabilität. Ein
anschauliches Beispiel für freie Variabilität in einem Laborexperiment ist mit Pfeffer bestreutes Öl in einer heißen Pfanne. Bei geringer Heizung der Pfanne entstehen streifenartige oder
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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wabenförmige Muster. Bei heißerer Pfanne bewegen sich diese Muster schwingungsartig,
ohne dass der Antrieb selbst schwanken würde und schließlich entsteht bei hinreichend heißer
Pfanne eine turbulente Bewegung; das Öl bruzzelt. Die in der Natur beobachteten und rekonstruierten Klimaschwankungen sind im Allgemeinen eine Kombination aus beidem, aus erzwungener und freier Variabilität. Um eine Vorstellung von der freien Klimavariabilität zu
bekommen, sollen hier die dynamischen Eigenschaften einzelner Klimasystemkomponenten
und die beobachteten Perioden – die Zeitskalen – der Bewegungsvorgänge in den Klimasystemkomponenten skizziert werden. Diese Skizze ist eine Zusammenfassung ausführlicherer
Diskussionen in Peixoto und Oort (1992) und Saltzman (2002).
Typische Zeitskalen der Bewegung der einzelnen Klimasystemkomponenten
Die Atmosphäre ist die gasförmige Komponente im Klimasystem, ein Gemisch bestehend
im Wesentlichen aus Stickstoff und Sauerstoff und einem geringen Anteil von Spurengasen
wie Argon, Kohlendioxid, Ozon. Der Wasserdampfanteil in der Atmosphäre, der räumlich
und zeitlich stark variiert, beträgt wenige Volumenprozent. Der größte Teil, etwa dreiviertel
der Masse der Atmosphäre befindet sich in der Troposphäre, der unteren, gut 10 km mächtigen, Schicht der Atmosphäre. Die Troposphäre wird manchmal auch als Wetterschicht bezeichnet. Relativ – im Verhältnis zum Wasser – geringe Wärmekapazität und hohe Beweglichkeit kennzeichnen die Energie- und Impulsbilanz der Troposphäre. Das Wetter – ein
typisches Beispiel für interne Variabilität, da der Wetterverlauf nicht von außen taktiert wird
– ändert sich innerhalb weniger Tagen, oder anders formuliert, die dominante Zeitskala der
Bewegungsvorgänge in der Troposphäre liegt im Bereich von einigen Tagen. In den Tropen
treten auch Wetterphänomene mit einer Zeitskala von 2 Monaten auf. In der Stratosphäre, der
etwa 20 km mächtigen Schicht oberhalb der Troposphäre, liegen die Zeitskalen der im Wesentlichen wellenartigen Bewegung bei 100 Tagen bis zu etwa 2 Jahren.
Die Hydrosphäre umfasst die flüssige Wasserphase im Klimasystem, also im Wesentlichen
den Ozean, aber auch Regen, Flüsse, Seen und Grundwasser. Wie die Atmosphäre, so ist auch
der Ozean ein geschichtetes Medium. Die typische Zeitskala für die Wärmeausbreitung im
oberen Teil des Ozeans, der so genannten etwa 100 – 200 Meter mächtigen Deckschicht,
beträgt einige Monate. Im tropischen Pazifik treten in Schwingungen der äquatorialen Wassermassen das so genannte El-Nino-Phänomen mit einer Zeitskala von einigen Jahren auf. Um
den Ozean in seiner gesamten vertikalen Mächtigkeit von der Deckschicht bis in den tiefen
Ozean vollständig zu durchmischen, so dass sich ein neuer Gleichgewichtszustand einstellt,
braucht es einige 1000 Jahre.
Als Kryosphäre wird die feste Wasserphase im Klimasystem bezeichnet. Dazu gehört das
Meereis, das neben dem ausgeprägten Jahresgang – dies ist der erzwungene Anteil der Variabilität – typische Zeitskalen der Bewegung, zum Beispiel der maximalen Ausdehnung des
Wintereises, von 5 bis 10 Jahren aufweist. Die Gebirgsgletscher und die großen Inlandeismassen sind zähfließende Medien, wobei die Gebirgs- oder Talgletscher mit Zeitskalen von 10 bis
104 Jahren sich rascher bewegen können als die Inlandeismassen mit Zeitskalen von 103 bis
105 Jahren. Die große Spanne der kryosphärischen Zeitskalen erklärt sich daher, dass Gletscher und Inlandeismassen langsam anwachsen, aber rasch abbrechen und abschmelzen können.
Die Biosphäre umfasst den belebten Teil im Klimasystem auf dem Land und im Wasser.
Die Zeitskalen der marinen Biosphäre werden durch den Wechsel der Lichtverhältnisse und
durch die Bewegung des Ozeans geprägt. In der terrestrischen Biosphäre unterscheiden wir
drei Zeitskalenbereiche. Die Blattspaltöffnungen, die Stomata, über die die Pflanzen das CO2
mittels der Photosynthese aufnehmen, können sich neuen Umweltbedingungen, insbesondere
dem Wechsel des Sonnenlichts, innerhalb weniger Minuten anpassen. Ändert sich der mittlere
Zustand der Atmosphäre, ändert sich zunächst die Zusammensetzung eines Pflanzenbestan-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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des. Diese so genannte Sukzession findet innerhalb von wenigen Jahren oder Jahrzehnten
statt. Bei langandauernden Änderungen der Atmosphäre bilden sich innerhalb von einigen
hundert Jahren neue Makroökosysteme.
Die typischen Zeitskalen der Austauschprozesse – im Wesentlichen Erwärmung und Abkühlung des Bodens sowie Versickern von Wasser – im oberen Erdreich, der Pedosphäre,
betragen für die ersten Meter etwa einige Tage bis Jahre und wachsen für die Grundwasserneubildung auf 104 Jahre an. Erosionsprozesse haben Zeitskalen von über 105 Jahre. Beim
Aufbau von Inlandeismassen wird die Erdkruste in den oberen Erdmantel eingedrückt. Diese
vertikale Ausgleichsbewegung der Lithosphäre verläuft auf Zeitskalen von 104 Jahren.
Wechselwirkung zwischen den Klimasystemkomponenten
Sämtliche Klimasystemkomponenten stehen direkt oder indirekt über den Austausch von
Energie, Impuls und Stoffen miteinander in Wechselwirkung. Da die Klimasystemkomponenten deutlich unterschiedliche Zeitskalen der Bewegung aufweisen, führt diese Wechselwirkung zu einer Hintergrundsvariabilität, die, wie in Abb. 2 dargestellt, mit abnehmender Frequenz kontinuierlich zunimmt. Dies geschieht durch das Aufintegrieren schneller Veränderungen in den unterschiedlich trägen Klimasystemkomponenten (Hasselmann 1976). Zum
Beispiel können sich die Wetterfluktuationen über endliche Zeitintervalle zufälligerweise zu
einer Anomalie addieren, die im Ozean dann eine Temperaturanomalie erzeugt, die erheblich
länger andauert als die Wetterfluktuation selbst.
Eine weitere wichtige Eigenschaft der Wechselwirkungsprozesse zwischen den Klimasystemkomponenten besteht darin, einmal angestoßene Klimaänderungen verstärken oder abschwächen zu können. Hierbei spielt insbesondere der Wasserkreislauf eine bedeutende Rolle,
der über die bei der Umwandlung zwischen den drei Phasen des Wassers (Dampf, flüssiges
Wasser, Eis) benötigte oder freigesetzte Energie eng mit dem Energiekreislauf verknüpft ist.
Um ein Beispiel zu nennen: Jede Temperaturänderung in der Atmosphäre wirkt sich auf die
Wasseraufnahmefähigkeit der Luft aus. Steigt aufgrund erhöhter CO2-Konzentration in der
Atmosphäre über den Treibhauseffekt die Temperatur der bodennahen Luftschicht, kann mehr
Wasser aus dem Ozean in die Atmosphäre verdunsten. Der Wasserdampfgehalt der Luft
nimmt zu. Da Wasserdampf ebenfalls ein Treibhausgas ist – das bei weitem wichtigste, natürlich vorkommende Treibhausgas –, wird der „trockene“ (durch CO2-Änderungen angestoßene) Treibhauseffekt noch durch den 'feuchten' (mit Wasserdampf einhergehenden) Treibhauseffekt verstärkt. Andere Prozesse des Wasserkreislaufes, wie zum Beispiel die Wolkenbildung, können Temperaturänderungen verstärken oder abschwächen. Wolken vermindern
einerseits die Wärmeausstrahlung der Erdoberfläche in den Weltraum, andererseits reflektieren sie die Sonnenstrahlung. Wie bereits im Abschnitt 2.3.1 erwähnt, überwiegen die durch
den anthropogenen (trockenen) Treibhauseffekt ausgelösten verstärkenden Rückkopplungsprozesse die abschwächenden, wobei der feuchte Treibhauseffekt hieran den größten verstärkenden Effekt hat.
Auch die Schwankungen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre sind im natürlichen,
vom Menschen unbeeinflussten Klimasystem als Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufes,
ein Produkt interner Austauschprozesse – die im Wesentlichen zwischen Atmosphäre, Vegetation und Ozean stattfinden, wenn Zeitskalen über Jahrtausende betrachtet werden – sowie
der Verwitterung und dem Ausgasen aus dem Erdinneren auf längeren Zeitskalen. Die
manchmal in der populärwissenschaftlichen Literatur vertretene Meinung, Klima und atmosphärische CO2-Konzentration seien voneinander entkoppelt, ist im Sinne der Klimadynamik
ein Widerspruch in sich. Die atmosphärische CO2-Konzentration ist wie die Temperatur oder
die Strömungsgeschwindigkeit im Ozean oder die Fläche des Meereises ein Klimaelement.
Die Änderungen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre kann zum Teil als verstärkender Rückkopplungsprozess interpretiert werden. Eine Zunahme von CO2 in der Atmosphäre
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lässt die bodennahe Temperatur ansteigen, was dazu führt, dass mehr CO2 aus dem wärmeren
Ozean entweicht und so den trockenen Treibhauseffekt verstärkt. Allerdings ist dies nur ein
kleiner Teil der Rückkopplungsprozesse, denn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre
hängt auch von chemischen Umwandlungsprozessen im Ozean ab und von der Dynamik des
in der terrestrischen Biomasse gebundenen Kohlenstoffs. Warum die Temperatur und die
CO2-Konzentration in der Atmosphäre sich während der letzten mindestens 400.000 Jahre im
großen und ganzen nahezu parallel entwickelt haben (Petit et al. 1999, siehe Abb. 3) und
warum während der letzten etwa 8.000 Jahre vor der industriellen Revolution die atmosphärische CO2-Konzentration trotz einer allmählichen globalen Abkühlung leicht angestiegen ist,
ist bis heute noch nicht vollständig verstanden (Brovkin et al. 2002).
Die Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und Vegetation ist – sieht man von den
menschlichen Eingriffen der Landnutzung ab – ebenfalls ein natürlicher Rückkopplungsprozess, der Klimaänderungen verstärken kann. Änderungen des bodennahen Klimas beeinflussen die Wachstumsbedingungen der Pflanzen und dies führt, wie im Abschnitt 2.3.3 erwähnt,
zu Änderungen der Strahlungs- und Verdunstungseigenschaften der Landoberfläche, die
wiederum das bodennahe Klima bestimmen. Diese so genannte biogeophysikalische Wechselwirkung kann die Wüstenbildung in Nordafrika steuern (siehe unten). Die Verschiebung
der Baumgrenze in der Arktis hat einen erheblichen Einfluss auf die Meereisbedeckung oder
gar das Vordringen von Inlandeismassen (Otterman et al. 1984). Da die schneebedeckte
Tundra erheblich heller ist als die schneebedeckten Waldflächen der Taiga, kann die Taiga im
Frühling und Frühsommer mehr Sonnenenergie absorbieren und so ein für sich günstigeres
Klima schaffen. Ein wärmeres Klima ist dagegen ungünstig für die Ausbreitung von Eismassen, die sich also zurückziehen. Umgekehrt führt eine Abkühlung zu einem Rückzug der
Waldflächen und damit zu einer weiteren Abkühlung der Region.
Klimasprünge
In den Klimaarchiven finden sich zahlreiche Beispiele rascher Klimaänderungen, so genannter Klimasprünge, die als interne Variabilität, angeregt durch plötzlich auftretende Instabilitäten im Klimasystem, interpretiert werden können oder als nichtlinare Reaktion auf Antriebsänderungen. Zu den ersteren zählen vermutlich die Dansgaard-Oeschger-Zyklen und die
Heinrich-Ereignisse, die während des letzten Glazials auftraten (Abb. 5) und die mit Änderungen der Jahresmitteltemperatur über Grönland und Nordeuropa von mehreren Kelvin
innerhalb weniger Jahre einhergingen. Die Dansgaard-Oeschger-Zyklen werden als rasche
Übergänge in der thermohalinen (durch Unterschiede im Salzgehalt und der Temperatur
angetriebene) Ozeanzirkulation und damit des meridionalen Wärmetransports im Atlantik
interpretiert (Ganopolski und Rahmstorf 2001). Als Heinrich-Ereignis wird das Kalben größerer Massen des nordamerikanischen Inlandeises in den Nordatlantik während des letzten
Glazials vor gut 70–20.000 Jahren bezeichnet. Die durch Abrieb ins Eis aufgenommenen
größeren und kleineren Steine werden mit den Eisbergen durch die Ozeanströmung weit in
den Nordatlantik hinausgetragen, wo sie auf den Ozeanboden sinken, sobald die Eisberge
schmelzen. Die Schichten eisverfrachteter Sedimente werden nach ihrem Entdecker HeinrichSchichten genannt (Heinrich 1988). Rätselhaft bleibt die Regelmäßigkeit des Auftretens der
Dansgaard-Oeschger-Zyklen und Heinrich-Ereignisse.
Ein Beispiel für eine nichtlineare, abrupte Reaktion auf sich allmählich ändernde Klimaantriebe ist die Wüstenbildung in Nordafrika. Im frühen und mittleren Holozän vor gut 11.500
bis 6000 Jahren war die Sahara wesentlich grüner als heute. Während dieser Zeit und noch bis
heute hat sich der externe Antrieb, im Wesentlichen die Änderung der Erdbahn um die Sonne,
welche die regionale Verteilung der Einstrahlung und damit den Temperaturkontrast zwischen
Kontinent und Ozean und so letztlich die Stärke des Sommermonsuns steuert, stetig und
allmählich geändert. Rekonstruktionen der Vegetationszonen Nordafrikas und des Staubein-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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trags aus Nordafrika in den Nordatlantik (deMenocal et al. 2000) deuten jedoch darauf hin,
dass sich die Vegetationsverhältnisse im frühen Holozän wenig veränderten und dass sich die
Sahara vor etwa 5.500 Jahren innerhalb weniger hundert Jahren, also im Verhältnis zur Antriebsänderung abrupt, ausgedehnt hat. Dies hängt vermutlich mit einer stark nichtlinearen
Wechselwirkung zwischen Monsun- und Vegetationsänderung zusammen (Brovkin et al.
1998, Claußen et al. 1999, Wang and Eltahir 2000), die – so die Theorie – dazu führt, dass die
Savanne bei hinreichend feuchtem Klima einen 'grünen' Gleichgewichtszustand anstrebt. Bei
zu trockenem Klima ist die Wüste der stabile Zustand. Ändert sich der Sommermonsun, so
verharrt das System Vegetation-Atmosphäre in einem der Zustände, Wüste oder Savanne, bis
ein Schwellenwert des Sommermonsuns erreicht wird, der das System in den jeweils anderen
Zustand springen lässt.
Abb. 5:
Änderung der Temperatur in Grönland über die letzten 100.000 Jahre. Zu sehen sind die
starken Temperaturschwankungen während der letzten Eiszeit, die um etwa 21.000 Jahren vor
heute ihren Höhepunkt erreichte. Die gegenwärtige Warmphase begann etwa vor 11.500
Jahren. Die Temperaturschwankungen wurden nicht direkt gemessen, sondern anhand der
Isotopenzusammensetzung des Sauerstoffs der im grönländischen Eis eingeschlossenen Wassermolekülen rekonstruiert (nach Ganopolski und Rahmstorf 2001)
Fig. 5: Temperature change in Greenland within the last 100000 years. Strong temperature
changes during the last glacial time are clearly seen with a maximum around 21000 years ago.
The present warm phase started about 11500 years ago. Temparature changes have not been
measured direct but reconstructed from the isotopic composition of oxygen in water molecules in Greenland ice (after Ganopolski and Rahmstorf 2001)
IST DAS KLIMA VORHERSAGBAR?
Die verschiedenen Arten der Klimavorhersage
Angesichts der komplexen Klimadynamik stellt sich die Frage, ob Klimaänderungen überhaupt vorhersagbar sind. Dazu muss geklärt werden, wie der Begriff „Klimavorhersage“
definiert wird.
In der Klimaphysik wird zwischen zwei Arten der Klimavorhersage unterschieden (Lorenz
1975). Zum einen kennen wir die Klimavorhersage erster Art, bei der von einem bestimmten
Zeitpunkt ausgehend die weitere Klimaentwicklung berechnet wird. Diese Klimavorhersage
entspricht vom Prinzip her der Wettervorhersage, nur mit dem Unterschied, dass bei der
Klimavorhersage erster Art die statistischen Kenngrößen des Klimasystems für einen bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft berechnet werden und bei der Wettervorhersage der momentane Zustand der Atmosphäre.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Bei der Klimavorhersage erster Art wird davon ausgegangen, dass die Entwicklung der
Randbedingungen bekannt ist. Es wird also im Wesentlichen die interne Klimavariabilität
prognostiziert. Bei der Klimavorhersage der zweiten Art dagegen steht nicht die Klimaentwicklung oder das Klima zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft im Vordergrund,
sondern die Reaktion des Klimasystems auf Veränderungen verschiedener externer Antriebe.
Es soll die dynamische Struktur des Klimasystems und die Belastbarkeit des Systems gegenüber Störungen erkundet werden. Für die Diskussion der Klimaentwicklung in diesem Jahrhundert spielt die Klimavorhersage erster Art eine untergeordnete Rolle, da eine Vorhersage
der Entwicklung externer Antriebe, zum Beispiel des Vulkanismus oder der anthropogenen
Treibhausgasemissionen, nur in sehr begrenztem Maße möglich ist. Selbst für die mögliche
Entwicklung des vermutlich zurzeit stärksten Klimaantriebs, der anthropogenen Treibhausgasemissionen, liegen gegenwärtig nur Plausibilitätsbetrachtungen vor, aber keine Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Emisionsszenarien. Daher wird in der Klimaforschung oft von Projektionen oder Klimaszenarien gesprochen – gemeint ist damit die
Klimavorhersage zweiter Art.
Chaos und Klimavorhersage
In der Diskussion um Klimaänderungen und deren Vorhersagbarkeit hört man hin und
wieder, dass das Klimasystem chaotisch und daher die zeitliche Entwicklung des Klimasystems prinzipiell nicht vorhersagbar sei. In der Tat gibt es Hinweise darauf, dass manche Klimasystemkomponenten oder Teile von Klimasystemkomponenten, wie zum Beispiel die
Atmosphäre der mittleren Breiten, chaotisches Verhalten zeigt. So liefert ein Wettervorhersagemodell für einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit viele Tage im Voraus deutlich
unterschiedliche Prognosen, selbst wenn sich die Anfangswerte, also das Wetter des Zeitpunktes, von dem die Prognose gestartet wurde, nur minimal unterscheiden. Jedoch bedeutet
das chaotische Verhalten des Wetters − bzw. das Versagen der Wettervorhersage über Zeiträume von mehr als ein paar Tagen − nicht, dass die viel langsamere Entwicklung der statistischen Parameter des Wetters, und damit des Klimas, nicht vorhersagbar wäre. Zum einen
gewinnen über längere Zeiträume die Dynamik der trägeren Komponenten des Klimasystems
und die Klimaantriebe gegenüber der internen Variabilität an Einfluss auf das statistische
Verhalten der Atmosphäre. Zum anderen wissen wir, dass in Systemen mit vielen Komponenten, die für sich nicht vorhersagbar sind, das Verhalten der Gesamtheit dieser Komponenten
sehr wohl vorhersagbar ist. Um zwei bekannte Beispiele zu nennen: In einem Gas interessiert
uns nicht die Bewegung der einzelnen Moleküle, sondern die statistischen Eigenschaften wie
Temperatur und Druck. Und zwischen Druck und Temperatur eines gibt es wohlbekannte
Gesetzmäßigkeiten. Auch die Bewegung eines Pfefferkörnchens in der bruzzelnden Ölpfanne
des zu Anfang des Abschnitts 3 beschriebenen Laborexperimentes lässt sich nicht nur über
eine sehr kurze Zeit von vielleicht einigen Millisekunden vorhersagen; das räumlich und
zeitlich gemittelte vertikale Temperaturprofil sowie die Temperaturvarianz des bruzzelnden
Öls, aber auch der Zeitpunkt des Auftretens der ersten Strömungsmuster und der Umschlag in
die turbulente Bewegung lassen sich als Funktion der Heizrate genau vorhersagen.
Das Studium einfacher nichtlinearer dynamischer Systeme, die im Vordergrund der Chaostheorie stehen, hat die Klimadynamik außerordentlich befruchtet. Zum Beispiel wurde entdeckt, dass sich in chaotischen Systemen zufälliger Weise über längere Zeit periodische Bewegungen ausbilden können. Wie lange eine solche periodische Bewegung andauert, ist
ebenfalls purer Zufall. Eine Vorhersage aufgrund der statistischen Analyse der Periodizität
der bisher beobachteten Bewegung kann zufälligerweise funktionieren, muss aber nicht. Auch
in der Klimatologie gibt es dazu einige Beispiele. Allerdings ist die Situation in der Klimadynamik erheblich komplizierter, weil es ja tatsächlich periodische Klimaantriebe gibt, die sich
in der Klimavariabilität wiederfinden können, wenn sich das Klimasystem in einem bestimm-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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ten Klimazustand befindet und aus der Klimavariabilität verschwinden, sobald sich der Klimazustand ändert.
Nicht sämtliche aus der Chaostheorie bekannten Phänomene sind auf die Klimadynamik
übertragbar. Das Bild des Flügelschlags eines Schmetterlings, der einen Hurrikan auslösen
kann, ist ein sehr anregendes, aber für die Klimadynamik in letzter Konsequenz irreführendes
Paradigma. In der Atmosphäre schlagen unzählig viele Schmetterlinge ihre Flügel, nicht nur
einer. Oder anders ausgedrückt: Lokal kann die Atmosphäre (aber auch die anderen Klimasystemkomponenten) chaotisch erscheinen, aber insgesamt verhält sich die Atmosphäre wie ein
träges Zufallssystem, also ein System, in dem unzählige Schmetterlinge für eine turbulente
Bewegung sorgen. Die mittleren Eigenschaften träger Zufallssysteme lassen sich, wie bereits
gesagt, durchaus vorhersagen.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Klima ist die Statistik des Wetters, oder systemanalytisch betrachtet, die Statistik der Zustandsänderungen des Klimasystems. Daraus folgt, dass einzelne Wetterereignisse für sich
genommen nicht als Signale einer Klimaänderung bewertet werden dürfen. Erst wenn eine
lange Beobachtungsreihe von Wetterereignissen vorliegt, lässt sich ein Klimatrend statistisch
signifikant berechnen und mit anderen Klimatrends vergleichen. Um ein aktuelles Beispiel zu
nennen: Die Starkniederschläge, die im Sommer 2002 zur Hochwasserkatastrophe im Elbeeinzugsgebiet geführt haben, sind, für sich betrachtet, kein Klimaänderungssignal. Allerdings
ist tatsächlich eine Zunahme der Anzahl der Monate mit extremen Niederschlägen in
Deutschland zu verzeichnen (Grieser et al. 2003). Auch in Brandenburg, einer Region mit
zurzeit zunehmender Trockenheit während der Sommermonate, fällt der Niederschlag seit
etwa 30 bis 40 Jahren kaum noch als Regen, sondern als Schauer, also als Starkniederschlag
(Werner und Gerstengarbe 2003). Der Zusammenhang zwischen der Zunahme von Niederschlägen in vielen Regionen der Erde und der Zunahme von Starkniederschlägen in manchen
Regionen einerseits sowie der Erwärmung der bodennahen Luftschicht andererseits erscheint
physikalisch plausibel und wird von vielen Klimamodellen wiedergegeben (Stocker et al.
2001). Insofern ist die Befürchtung berechtigt, dass bei einer durch die anthropogene Treibhausgasemission angestoßenen Erwärmung der Atmosphäre die Extremniederschläge zunehmen, obgleich das einzelne Extremereignis niemals als Beweis für diese Vermutung angeführt
werden kann.
Klima ist nichts Konstantes, es ändert sich ständig und auf allen Zeitskalen. Gerade die
langsamen Klimaänderungen hinterlassen die deutlichsten Spuren in den Klimaarchiven.
Klimaänderungen können durch Schwankungen im Klimaantrieb angestoßen werden. Da
unterschiedliche Klimaantriebe auf verschiedenen Zeitskalen wirken, dürfen Klimaänderungen auf verschiedenen Zeitskalen nicht direkt mit einander verglichen werden. Der Wechsel
von Warmphasen (Interglazialen) und Kaltphasen (Glazialen) im Laufe der letzten Jahrhunderttausende hat wenig zu tun mit der Erwärmung der bodennahen Luftschicht während der
letzten hundert Jahre. Auch die bisher wenig verstandene, in manchen Zeiten hohe und in
anderen Zeiten völlig fehlende Korrelation zwischen Temperatur und atmosphärischer CO2Konzentration entsteht als Wechselwirkung innerhalb des natürlichen Kohlenstoffkreislaufes
und sagt wenig über die zurzeit durch die anthropogene CO2-Emission angestoßene Erwärmung.
Klima kann sich auch bei konstantem Antrieb aufgrund von internen Instabilitäten ändern
– sozusagen 'ohne ersichtlichen Grund'. Das bedeutet, dass sich nicht hinter jeder regelmäßigen Klimaschwankung eine Antriebsänderung verbergen muss. Die Trennung von angetriebener und interner Klimavariabilität sowie die Trennung des Anteils natürlicher und anthropogener Antriebsänderungen an der Klimavariabilität ist eine der großen Herausforderungen
der aktuellen Klimaforschung. Nach dem gegenwärtigen Verständnis der Klimaprozesse und
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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der Klimasystemdynamik müssen wir davon ausgehen, dass der Einfluss der Sonne und des
Vulkanismus als Klimaantrieb der letzten hundert Jahre deutlich schwächer war und vermutlich in den nächsten hundert Jahren schwächer sein wird als der des Menschen.
Klima lässt sich vorhersagen – allerdings sind die Grenzen der Vorhersagbarkeit noch
nicht vollständig ausgelotet. Für die Diskussion über künftige Klimaänderungen spielt die
Vorhersage der tatsächlichen Klimaentwicklung (zurzeit) nur eine untergeordnete Rolle, da
die Entwicklung der Klimaantriebe nicht vorhergesagt, sondern nur aus Plausibilitätsbetrachtungen als mögliche Szenarien vorgegeben werden kann. Daher geht es bei der Klimavorhersage der nächsten hundert Jahre um so genannte Klimaszenarien oder Projektionen, also
mögliche Klimaentwicklungen unter verschiedenen Belastungszuständen.
Die Suche nach Klimaüberraschungen stellt eine weitere Herausforderung an die Klimaforschung dar. In den Klimaarchiven finden sich zahlreiche Anzeichen für Klimasprünge. Es
gilt herauszufinden, unter welchen natürlichen und anthropogenen Belastungen und in welchen Regionen der Erde es zu Klimaüberraschungen kommen kann. Im Hinblick auf die
Vermeidung von für uns und unsere nachfolgenden Generationen extrem ungünstigen Klimaentwicklungen, aber auch im Hinblick auf die Anpassung an mögliche Klimaänderungen, ist
es außerordentlich wichtig, die Klimasystemdynamik und damit die Belastbarkeit des Klimasystems zu erkunden. Dies kann erfolgreich nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit von
empirisch orientierten Fachrichtungen wie Paläoklimatologie und Geologie und der theoretisch orientierten Klimamodellierung geschehen.
Da der Mensch nicht nur vom Wetter und Klima betroffen ist, sondern das Klima selbst
beeinflusst, kann die umfassende Erforschung des Klimawandels nicht mehr nur eine rein
naturwissenschaftliche Aufgabe sein. Sozio-ökonomische Aspekte, zum Beispiel die gesellschaftliche Wahrnehmung von und die Reaktion auf Klimaänderungen, spielen ebenfalls eine
wichtige Rolle (Stehr and vonStorch 1995). Doch dies ist, wie man in Brandenburg sagt, ein
weites Feld und wird in anderen Aufsätzen in dieser Reihe diskutiert werden.
DANKSAGUNG
Ein Teil dieses Übersichtsartikels entstand in der Diskussion mit Ulrich Cubasch (Freie
Universität Berlin), Hans von Storch (Forschungszentrum Geesthacht), Reinhard Zellner
(Universität Essen).
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KORRESPONDENZ-ADRESSE:
Univ.-Prof. Dr. Martin Claußen
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Telegrafenberg
D-14473 Potsdam
email: [email protected]
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Stadtklima
Urban climate
Wilhelm Kuttler
Universität Duisburg-Essen
ZUSAMMENFASSUNG
Nach einer kurzer Darstellung der Raum- und Zeitskalen des Stadtklimas sowie der Behandlung seiner geschichtlichen Entwicklung wird die Charakteristika des städtischen Klimas
im Vergleich zum nicht versiegelten Umland am Beispiel mitteleuropäischer Ballungsräume
vorgestellt. Anschließend werden die Voraussetzungen und Ursachen des Stadtklimas diskutiert: die Umwandlung des natürlichen Untergrundes in versiegelte Flächen, die anthropogene
Wärmefreisetzung sowie die Emission von Luftverunreinigungen. Wichtige Einflußgrößen,
wie das Verhalten der thermischen und hydrologischen Eigenschaften städtischer Oberflächen, die im Mikro- und Mesoskalabereich die stadtklimatisch wirksam werdenden Komponenten steuern, werden an Beispielen erläutert. Die hieraus für die Energiebilanz städtischer
Oberflächen resultierenden Beträge werden für den Bodenwärmestrom (thermische Speichergröße) sowie für die sensiblen und latenten turbulenten Wärmeflußdichten quantifiziert. Danach werden ausgewählte Klimaelemente in städtischen Räumen, die lufthygienische Problematik in Städten sowie human-biometeorologische Aspekte der Stadtklimatologie charakterisiert. Es wird zunächst der Aufbau der Stadtatmosphäre und die städtische Strahlungs- und
Wärmebilanz geschildert. Anschließend werden der städtische Wärmeinseleffekt sowie das
bodennahe Windfeld und die städtischen Luftfeuchtigkeitsverhältnisse behandelt und StadtUmlandunterschiede exemplarisch erläutert. Planerische Möglichkeiten zur Verbesserung des
Klimas in unseren Städten werden vorgestellt und ihre Wirksamkeit abgeschätzt. Zum
Abschluß wird die Rolle des Stadtklimas innerhalb der aktuellen Diskussion rund um die
Problematik der globalen Klimaentwicklung beleuchtet und anhand der Ergebnisse bisheriger
Untersuchungen positioniert.
ABSTRACT
After referring to the spatial and temporal scales as well as to the historical developments
in urban climate, the methods of measuring urban climate parameters are introduced and the
characteristics of the urban climate in relation to its rural surroundings. Examples are given
for some central-European cities. The premises and causes of the urban climate are discussed:
the conversion of natural ground cover into sealed surfaces, anthropogenic heat release and
emissions of air pollutants. The importance of factors like the behaviour of thermal and hydrological properties of urban surfaces which influence urban climate in the micro- and
mesoscale are described by means of some examples. Implications for the resulting energy
balance of urban surfaces are quantified in terms of the sub-surface heat flux, the sensible and
latent heat flux densities. Following is giving an overview of urban climatology concerned
with the manifestations of selected climate elements in an urban environment, with air hygienic problems in cities and with human-biometeorological aspects of urban climatology.
Initially, the structure of the urban atmosphere and urban radiation and energy balances are
described. Then this contribution deals with the urban heat island effect, the near-surface wind
field, urban humidity conditions and the differences between towns and surrounding areas on
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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the basis of examples. Planning possibilities for improving the climate in our cities are presented, together with an assessment of the effectiveness of the various measures. Finally, the
role of the urban climate in the current discussion of global climate change problems is considered and placed in context on the basis of previous studies.
EINLEITUNG
Der städtische Siedlungsraum verursacht im Vergleich zu seiner nicht bebauten Umgebung
klimatische und lufthygienische Veränderungen, die allgemein unter dem Begriff Stadtklima
zusammengefaßt werden. Hierunter versteht man ein mit der Bebauung in Wechselwirkung
stehendes Klima, das zusätzlich durch Abwärme und anthropogene Emissionen modifiziert
wird.
Vielerorts ist der städtische Lebensraum mit Einbußen an Umweltqualität verbunden, wodurch es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Stadtbewohner kommen kann. Der heiße
Sommer 2003 hat beispielsweise auch die negativen Seiten des Klimas in zahlreichen Städten
Europas durch hohe und lang andauernde thermische Belastungen, die kaum durch die natürliche nächtliche Abkühlung gemindert werden konnten, deutlich vor Augen geführt. Auch
wenn es sich für die mittleren Breiten hierbei klimatologisch um ein seltenes Ereignis handelt,
dürften sich unter der Annahme eines globalen Temperaturanstiegs die Stadtklimaeffekte
weltweit verschärfen.
Da im Verlauf des 21. Jahrhunderts mehr als 70% der Erdbevölkerung in Städten – darunter in 27 Megastädten mit jeweils 10 Mio. Einwohnern – leben wird (Birg 1996), muß davon
ausgegangen werden, daß immer mehr Menschen den meist nachteiligen stadtklimatischen
Auswirkungen ausgesetzt sein werden. Diese Entwicklung zu verhindern oder zumindest
positiv zu beeinflussen, dazu sind Wissenschaft und Stadtplanung weltweit aufgerufen.
HISTORISCHE UND DISZIPLINÄRE EINORDNUNG
Das Stadtklima und seine Stellung in der Klimatologie
Die Stadtklimatologie ist als raumbezogene Wissenschaft der Mikro- und Mesoklimatologie zuzurechnen, jener Fachdisziplin, die sich mit der Analyse des lokalen und regionalen
Klimas beschäftigt. Je nach Größe der zu untersuchenden Städte und des Umfangs der
zugrunde liegenden Fragestellungen sind Prozesse innerhalb der atmosphärischen Grenzschicht zu behandeln, deren horizontale und vertikale Maßstäbe mehrere Größenordnungen
umfassen können. Das Spektrum stadtklimatischer Arbeiten kann beispielsweise die Bestimmung der Oberflächenenergiebilanz einer Hauswand oder Straßendecke ebenso umfassen wie
die dreidimensionale quantitative und qualitative Analyse regional wirksamer Belüftungssysteme ganzer Siedlungsbereiche.
Tab. 1 enthält eine exemplarische Aufstellung stadtklimatischer Prozesse mit entsprechenden Größenskalen. Ergänzend wurden Angaben zu den üblicherweise in der räumlichen Planung verwendeten Kartenmaßstäben hinzugefügt.
Die Stadtklimatologie ist auch Teil der Umweltmeteorologie1, die sich mit den stofflichen
und energetischen Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre und der anthropogenen
Lebensumwelt beschäftigt (Kuttler und Dütemeyer 2003, Mayer und Matzarakis 2003). Das
1
Die Umweltmeteorologie ist als Teilgebiet der angewandten Meteorologie aufzufassen. Die Analyse der
genannten Wechselwirkungen umfaßt die physikalischen und chemischen Zustände und Prozesse der Atmosphäre „in ihrer Auswirkung auf den Menschen ebenso, wie die anthropogenen Eingriffe und deren Folgen
auf die atmosphärische Umwelt. Ziel der umweltmeteorologischen Forschung ist es, Lösungswege zur Vermeidung bzw. Verbesserung von schädlichen Umwelteinflüssen aufzuzeigen. Die Umweltmeteorologie bedient sich dabei einer über den interdisziplinären Ansatz hinausgehenden transdisziplinären Arbeitsweise“
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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generell einen Siedlungsraum charakterisierende Stadtklima setzt sich aus einer Vielzahl
eigenständiger Mikroklimate zusammen, die durch die unterschiedliche städtische Flächennutzung verursacht wird und in ihrer Gesamtheit letztlich das Klima eines Siedlungsraumes
bildet (Helbig 1987).
Tab. 1: Skaleneinteilung atmosphärischer Phänomene in der Mikro- und Meso-Skala sowie zugeordnete Größen
der räumlichen Planung (nach Höschele 1984; hier in der Zusammenstellung von Matzarakis 2001, ergänzt)
Table 1: Subscaling of atmospheric processes within micro and macro scale and related parameters of spatial
planning (after Höschele 1984, changed according to the list of Matzarakis 2001)
Horizontale
Erstreckung
200 km
20 km
2 km
200 m
20 m
Atmosphärische Phänomene
Gebirgseinflüsse,
Land-/Seewind, Wolkencluster
städtische Wärmeinsel,
Gewitterzellen
Kühlturmschwaden,
Konvektion, Tornados
Skalenbezeichnung
Meso-Skala β
Planungsebene
Landesplanung
Üblicher
Kartenmaßstab
1:500 000
Meso-Skala γ
Regionalplanung
1:50 000
Mikro-Skala α
Standort-, Flächennutzungs-planung
1:10 000
Staubtromben, Thermik, Bauwerkseffekte
Kleinräumige Turbulenz, Bauwerkseffekte
Mikro-Skala β
Bebauungsplanung
1:500
Mikro-Skala γ
Im Vergleich zum Umland sind die stadtklimatischen Besonderheiten ganzjährig zu beobachten. Sie bilden sich jedoch am ausgeprägtesten während autochthoner, das heißt windschwacher sonnenscheinreicher Wetterlagen heraus, jenen als ´eigenbürtig` zu bezeichnenden
Witterungsabschnitten, die vornehmlich bei antizyklonalen Großwetterlagen entstehen und
durch ausgeprägte Tagesgänge der meisten meteorologischen Elemente gekennzeichnet sind.
Dadurch ist das jeweilige Auftreten der stärksten stadtklimatischen Unterschiede im Allgemeinen an die Dauer weniger Tage gebunden. In Mitteleuropa weisen durchschnittlich etwa
20 % der Tage und 30 % der Nächte eines Jahres die Charakteristika von Strahlungswetter auf
(Wilmers 1976). Zu der erwähnten räumlichen Abgrenzung ergibt sich somit auch eine zeitliche Abhängigkeit des Stadtklimas, die an die Dauer der meist nach Tagen zu bemessenden
Witterungsabschnitte gebunden ist.
Obwohl die stadtklimatischen Auswirkungen in erster Linie die Mikro- bis Mesoskala
betreffen, wird durch die Freisetzung strahlungsbeeinflussender und langlebiger Luftinhaltsstoffe (z. B. CO2, CH4) neben dem regionalen auch das globale Klima beeinträchtigt (Houghton u.a. 2001). In welchem Maße der globale Temperaturanstieg auf das städtische Klima
zurückwirkt, wird später behandelt.
Stadtklimauntersuchungen sind entweder Bestandteil der Grundlagenforschung oder anwendungsorientiert ausgerichtet. Der planungsrelevante Aspekt hat in den vergangenen Jahrzehnten auch dadurch an Bedeutung gewonnen, daß die Faktoren „Klima“ und „Luft“ in
zahlreiche gesetzliche Regelwerke Eingang fanden.
Geschichtliche Aspekte
Die Anfänge der Stadtklimatologie lassen sich zeitlich relativ weit – sogar bis ins Altertum
– zurückverfolgen. Erste Arbeiten auf diesem Gebiet werden Vitruvius (75-26 v.Chr) „Stadtplanung und Klimabedingungen“ und Horaz (ca. 24 v.Chr.) „Luftverschmutzung in Rom“
zugeschrieben (Zusammenstellung bei Yoshino 1990, 1991,Möller 2003). Dabei wurden
insbesondere Probleme der Stadtplanung in Zusammenhang mit den klimatischen und lufthy-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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gienischen Einflüssen behandelt, und zwar ausgehend von Untersuchungen in der Stadt Rom,
später – im Mittelalter – in der vor allem unter der Erhöhten Belastung mit anthropogenen
atmosphärischen Spurenstoffen in erheblichem Maße leidenden Stadt London. Hier widmete
sich als einer der ersten John Evelyn (1620–1706) in Einzelstudien der „Luftverpestung“ in
ihrer Abhängigkeit zu den vorherrschenden Windrichtungen, dem Problem der „Stadttemperatur“ und des city fogs. Im Jahre 1661 faßte dieser seine Ergebnisse in der weithin bekannt
gewordenen Monographie „Fumifugium“ zusammen.
Auf ersten systematischen Messungen beruhende Untersuchungen der stadtklimatischen
Verhältnisse von London gehen hingegen auf den englischen Chemiker und Apotheker Luke
Howard (1772–1864) zurück, der für die damaligen Verhältnisse schon mit großer Genauigkeit die thermischen Unterschiede zwischen London und seiner Umgebung in ihrer zeitlichen
und räumlichen Abhängigkeit untersuchte und deren Zustandekommen erklärte. Howard
belegte anhand umfangreicher Messungen, daß das Londoner Stadtgebiet eine höhere Lufttemperatur aufwies als das unbebaute Umland. Danach belief sich die Überwärmung in den
Wintermonaten auf (umgerechnet) 1 K, in den Sommermonaten auf 0,6 K. Er schloß daraus,
daß diese Lufttemperaturunterschiede vornehmlich auf den intensiven Verbrauch des Brennstoffs Kohle für Heiz- und Kochzwecke zurückzuführen seien. Auch konnte Howard auf der
Grundlage seiner Beobachtungen zum winterlichen Nebelproblem – der Begriff city-fog
wurde von ihm geprägt2 – die stark verrauchte Londoner Innenstadt von dem häufiger nebelfreien Umland abgrenzen (Howard 1833). Aufbauend auf den von Howard durchgeführten
Untersuchungen schlossen sich in der Folgezeit zahlreiche Arbeiten zur Erforschung des
Stadtklimas – insbesondere auch in Deutschland – an. Das in der Folgezeit immer umfangreicher werdende Datenmaterial erlaubte es schließlich dem Benediktinerpater Albert Kratzer im
Jahre 1937, einen ersten und für die damalige Zeit äußerst umfassenden Überblick über den
Wissensstand dieser noch relativ jungen Forschungsdisziplin zu geben. So konnte Kratzer in
seiner Dissertation über „Das Stadtklima“ bereits auf 225 Publikationen zurückgreifen. Diese
Monographie erlebte 1956 unter Verwendung von bereits 533 Literaturzitaten eine zweite,
stark erweiterte Auflage und galt weltweit lange Zeit als wichtigstes Grundlagenwerk der
Stadtklimatologie (Kratzer 1956). Es dauerte Jahrzehnte, bis 1981 erneut eine Monographie
zur Stadtklimatologie mit dem Titel „The Urban Climate“ des Deutsch-Amerikaners Helmut
Landsberg (1981) erschien, in der neben der städtischen Luftqualität auch erste Planungsprobleme aufgegriffen wurden. Eine vertiefende Behandlung dieser beiden vom Stadtklima nicht
zu trennenden Aspekte erfolgte letztlich in dem anwendungsorientiert ausgerichteten Kompendium „Stadtklima und Luftreinhaltung“ (Helbig u.a. 1999).
STADTKLIMATISCHE EIGENSCHAFTEN; NACHWEISE UND METHODEN
Charakteristika des Stadtklimas
Das Erscheinungsbild des Stadtklimas setzt sich aus zahlreichen Komponenten zusammen,
an denen alle Klimaelemente mehr oder weniger beteiligt sind. Bevor hierauf näher eingegangen wird, sollen die wichtigsten Unterschiede zwischen Stadt und Umland am Beispiel westeuropäischer Großstadtbedingungen im Überblick kurz referiert werden (Tab. 2).
Nähert man sich einer Stadt, so kündigt meist schon von weitem eine gut sichtbare Dunstglocke die erhöhte atmosphärische Belastung mit anthropogenen Spurenstoffen an. Hierdurch
erfolgt eine Abschwächung der Globalstrahlung (K↓). In den frühen Jahren der Industrialisierung war dieser Einfluß in den Ballungsräumen wesentlich stärker ausgeprägt als der in Tab. 2
angegebene Wert. Die Werte von K↓ variieren sowohl in Abhängigkeit von der an die Jahres2
Der Begriff smog (smoke + fog) wurde 1905 auf einem Lonmdoner Hygienekongreß geprägt (McCormack,
BM (1971): Introduction of the Scientific Study of Atmospheric Pollution. Dordrecht)
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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zeiten gebundenen erhöhten atmosphärischen Belastung mit anthropogenen Spurenstoffen als
auch der Sonnenstandshöhe (Deklination, Azimut). Grundsätzlich ist aufgrund der Streuprozesse in der Stadtatmosphäre davon auszugehen, daß der Anteil der diffusen Strahlung (D)
höher ist als derjenige der direkten Strahlung (I). Der höhere Anteil an D kommt dabei zum
Beispiel der Innenraumbeleuchtung von Gebäuden zugute. Da im Allgemeinen die Partikel in
der Stadtluft größere Durchmesser aufweisen als die in sauberer Luft, erscheint der Himmel
an Strahlungstagen aufgrund der unterschiedlich stark wellenlängenabhängigen Reflexion und
Streuung über Städten weniger intensiv blau als über dem Umland.
Die kurzwellige Reflexion (K↑) an den städtischen Oberflächen ist von deren Farbe, Struktur und Geometrie abhängig und erreicht – bei Abwesenheit von Schnee – vergleichbare
Werte wie die des nicht bewaldeten Umlands. In mediterranen Städten können allerdings –
wegen der dort meist weiß getünchten Häuser – die Oberflächenalbeden durchaus höher als
die Umlandwerte sein, was sich in erheblichem Maße auf die Strahlungsbilanz (Q‫ )٭‬auswirkt.
Aber auch hier hängt der Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Werten jeweils
von der Farbe – und damit von der Flächennutzung – des Umlands ab. Im Gegensatz zu K↓
sind die Werte der aus dem Halbraum über der Stadt zum Boden gerichteten langwelligen
atmosphärischen Gegenstrahlung (L↓) im Allgemeinen erhöht. Das ist nicht nur auf die stärkere Absorption und Re-Emission infrarotaktiver Gase und Partikel in der Stadtluft zurückzuführen, sondern auch darauf, daß die Stadtatmosphäre insbesondere bei schwachem übergeordnetem Gradientwind wärmer ist als die Umlandluft. Hierdurch wird eine stärkere langwellige Ausstrahlung auch in Richtung bebaute Fläche verursacht.
Tab. 2: Veränderungen des Stadtklimas einer Großstadt in den mittleren Breiten gegenüber dem nicht bebauten
Umland (nach verschiedenen Autoren; hier in der Fassung nach Hupfer und Kuttler 1998; verändert)
Table 2: Changes of urban megacity climate in midlatitudes in comparison to the non-builded rural environment
(after different authors, here compiled and changed after Hupfer und Kuttler 1998)
Einflußgrößen
Globalstrahlung
(horizontale Fläche)
Veränderungen
bis -10 %
Albedo
Gegenstrahlung
UV-Strahlung
im Sommer
im Winter
Sonnenscheindauer
im Sommer
im Winter
±
bis +10 %
Sensibler
Wärmestrom
Wärmespeicherung im
Untergrund und Bauwerken
Lufttemperatur
- Jahresmittel
- Winterminima
- in Einzelfällen
a
Spitzen höher
bis -5 %
bis -30 %
bis -8 %
bis -10 %
bis +50 %
bis +40 %
∼+2K
bis + 10 K
bis + 15 K
Einflußgrößen
Wind
Geschwindigkeit
Richtungsböigkeit
Böigkeit
Veränderungen
-
bis -20 %
stark variierend
erhöht
Luftfeuchtigkeit
Nebel
Großstadt
Kleinstadt
Niederschlag
Regen
Schnee
Tauabsatz
Luftverunreinigungen
CO, NOx, NOy, VOC
O3
Bioklima
Vegetationsperiode
±
bis zu zehn Tage länger
Dauer der Frostperiode
bis -30 %
-
weniger
mehr
-
mehr (leeseitig)
weniger
weniger
-
mehr
wenigera
Die ultraviolette Strahlung (UVges ; 100 nm < λ < 400 nm) führt zu günstigen (Initiierung
der Synthese von Vitamin D3), in hohen Dosen aber auch zu gesundheitsschädigenden Wirkungen (Auslösung von Erythemen sowie Hautkrebserkrankungen). Sie wird in der ver-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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schmutzten Stadtatmosphäre bevorzugt ausgefiltert und weist insbesondere in den Wintermonaten deutlich niedrigere Werte zum Umland auf (Abnahmen um bis zu Faktor 10; Landsberg
1981).
Die Sonnenscheindauer ist in städtischen Straßenschluchten generell wegen der durch die
Bebauung verursachten größeren Verschattung verkürzt, wobei Extremwerte durch ungünstige Ausrichtung, Höhe und Bestandsdichte der Gebäude erreicht werden.
Die turbulenten Ströme der fühlbaren Wärme (QH) und der latenten Wärme (QE) sind in
Stadtgebieten deutlich modifiziert, und zwar wiederum in starker Abhängigkeit zur jeweiligen
Flächennutzung, der vorherrschenden Witterung sowie von der Tages- und Jahreszeit. Durchschnittswerte, die sich auf Stadtoberflächen beziehen, zeigen, daß das mittlere BowenVerhältnis (Bo = QH/QE) meist deutlich über 1 liegt, wodurch der überragende Einfluß von QH
auf die Erwärmung der Stadtatmosphäre dokumentiert wird. Die tagsüber in den Baumaterialien von Gebäuden, Straßen und Plätzen gespeicherte Wärme (QB; „Tagspeicher“) stellt aufgrund der überwiegend hohen Werte ein wichtiges Glied in der städtischen Energiebilanz dar.
Im Ergebnis sind die städtischen Lufttemperaturen vergleichsweise zum Umland im Jahresmittel um 1 bis 2 K erhöht. Jedoch bestimmen Stadtgröße und –struktur sowie Wetterlage und
Jahreszeit erhebliche Abweichungen von diesen Werten, die im Einzelfall und über kurze Zeit
nachts durchaus 10 K bis 15 K betragen können. Die Windgeschwindigkeit ist in den Städten
gegenüber dem Umland im Durchschnitt geringer. Das liegt daran, daß die durch die Bebauung verursachte Erhöhung der Bodenrauigkeit die Strömung behindert. Dadurch nimmt der
atmosphärische Austauschkoeffizient A für Eigenschaftstransporte (A = ρL Kturb.; mit Kturb. =
turbulenter Diffusionskoeffizient und ρL = Dichte der Luft) im Allgemeinen niedrige Werte
an, wodurch sich z. B. die Luftqualität verschlechtern und die nächtliche Überwärmung in den
Straßenschluchten kaum abgeführt werden kann. Allerdings ist die Geschwindigkeitsböigkeit
an Gebäudekanten sowie in Nachlaufwirbeln hinter Gebäuden erhöht, während die Richtungsböigkeit stark variiert.
Die relative Luftfeuchtigkeit weist in Städten wegen der eingeschränkten Evapotranspiration (Evaporation + Transpiration) im Allgemeinen niedrigere Werte auf, was sich insbesondere tagsüber bemerkbar macht. Nachts jedoch können höhere städtische Oberflächentemperaturen Tauabsatz vergleichsweise zum kühleren Umland verzögern oder sogar gänzlich verhindern, wodurch sich gleich hohe oder höhere relative Luftfeuchtigkeitswerte in den städtischen
Gebieten einstellen. Allerdings sind die Verhältnisse in starkem Maße von den jeweiligen
mikroskaligen Standortbedingungen abhängig.
Nebel ist in Großstädten – zumindest in den vergangenen Jahren – seltener anzutreffen als
im Umland, was auf die höheren Lufttemperaturen und die geringere Luftfeuchtigkeit zurückzuführen sein dürfte. Niederschläge hingegen sind insbesondere in Lee städtischer Siedlungsräume erhöht.
Die Zusammensetzung der städtischen Luft hat sich durch die Dominanz von KfzEmissionen im Vergleich zu früheren Jahren, die hauptsächlich durch Industrie- und Hausbrandemissionen (Staub und SO2) geprägt waren, stark verändert. Heute spielen in der städtischen Belastung mit anthropogenen atmosphärischen Spurenstoffen – trotz Einführung des
Katalysators – NO, NO2, O3 und Kohlenwasserstoffe (VOC) sowie insbesondere Feinstäube
und Ruß eine herausragende Rolle.
Abschließend bleibt im Rahmen dieses einführenden Überblicks festzustellen, daß die genannten Klima- und Lufthygienekomponenten in vielfältiger Weise positiv, aber auch negativ
auf die in Städten lebenden Bewohner sowie Pflanzen und Tiere einwirken. Während unter
human-biometeorologischen Gesichtspunkten im Bereich des thermischen und lufthygienischen Sektors eher Nachteile für die Stadtbewohner zu erwarten sind, führen z. B. bei Pflanzen die höheren Stadttemperaturen zu einer Veränderung der Aspektwechsel durch vorgezogene Blüh- und Reifephasen sowie zu einer deutlichen Verlängerung der Vegetationsperioden
im Vergleich zum Umland. Wie das für die Stadt Wien in Abb. 1 dargestellte Beispiel zeigt,
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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öffnen sich aufgrund der städtischen Überwärmung und der Straßenbeleuchtung die ersten
Blüten im Stadtzentrum um etwa 25 Tage eher als im Umland. Damit können Pflanzen als
Standortklimaanzeiger neben physikalisch-chemischen Messungen auch für stadtklimatische
Untersuchungen genutzt werden.
Abb. 1: Stadtphänologie einer Großstadt (Wien): Isophanen des Blühbeginns von forsythia suspenesa als temperaturabhängigem Standortklimaanzeiger. Die Datumslinie 70 entspricht dem Kalenderdatum 11. März 1988, die
Datumslinie 95 dem 5. April 1988 (nach Bernhofer 1991, zit. in Larcher 2001). Wegen der städtischen Überwärmung und der Straßenbeleuchtung öffnen sie sich früher als im Umland. Der Vegetationszeitraum mit Tagesmitteln über 5 °C dauert in der Innenstadt durchschnittlich 265 Tage, an der Stadtgrenze (gestrichelte Linie)
hingegen im Mittel nicht mehr als 245 Tage (Auer 1989) (hier nach Larcher 2001)
Fig. 1: Urban phenology of the City Vienna: isophanes of flowering of forsythia suspenesa being temperature
depending climate “sensor”. The date line 70 is according to the date March 11, 1988, the date line 95 to April 5,
1988 (after Bernhofer 1991, cit. in Larcher 2001). Due to urban heating and illumination flowering is earlier than
in the surounding. The inner urban growthing periode with daily mean above 5° C last about 265 days, at city
border (dotted line), however, no more than 245 days (Auer 1989), here after Larcher 2001
Nachweis von Stadtklimaeffekten
Der qualitative und quantitative Nachweis des in Städten auftretenden „Sonderklimas“ leidet grundsätzlich darunter, das bestehende städtische Klima ausschließlich auf stadtbedingte
Ursachen zurückführen zu können. Es muß berücksichtigt werden, daß es sich bei den Messwerten an einem städtischen Standort um einen zusammengesetzten Wert (W) handelt, der aus
wenigstens drei Einzelkomponenten besteht, die in unterschiedlichem Maße an seinem Zustandekommen beteiligt sind (Lowry 1977). Es sind dies
• eine globalklimatische, durch die geografische Lage großräumig vorgegebene Wirkgröße („Hintergrundwert“ H),
• eine durch die Topografie bestimmte regionale Beeinflussung („Topografiewert“ T)
sowie
• einen auf die Verstädterung zurückzuführenden Einfluß („Verstädterungswert“ V).
In Gl. (1) ist dieser Sachverhalt dargestellt, wobei ergänzend der Witterungstyp (i), der
Meßzeitpunkt (t) sowie die genaue räumliche Zuordnung des Meßstandortes im Stadtgebiet
(x) bekannt sein müssen.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
Witx = Hitx + Titx + Vitx
35
(1)
Um den klimatischen Einfluß zu ermitteln, der ausschließlich auf die Verstädterung zurückzuführen ist, wäre es notwendig, den zum aktuellen Zeitpunkt während einer bestimmten
Wetterlage an einem festgelegten Standort gemessenen Wert Wit(akt)x (´Aktualwert`) von
demjenigen Meßwert abzuziehen, der bei gleicher Wetter- und Standortlage sowie in der
Zwischenzeit nicht verändertem Globalklima vor Errichtung der Stadt, das heißt in der präurbanen Phase („Präurbanwert“), gemessen wurde (Wit(präurb)x ). Stünden zwischen diesen Anfangs- und Endwerten in zeitlich hoher Auflösung Einzeldaten für den gleichen Standort zur
Verfügung, ließe sich eine Zeitreihe der klimatischen Entwicklung des Standortes ermitteln.
Eine derartige Vorgehensweise zur Bestimmung des verstädterungsbedingten Klimaeffektes
ist meistens nicht möglich, da die entsprechenden Daten fehlen. Einzige Ausnahme dürfte in
diesem Zusammenhang die Stadt Columbia, Maryland, sein, deren Entwicklung von 200
Einwohnern (1968) auf 20.000 Einwohner (1975) mit ununterbrochen gemessenen Klimadaten an gleichen Standorten belegt werden konnte (Landsberg 1979). In allen anderen Fällen,
für die präurbane Werte nicht zur Verfügung stehen, muß entweder auf
• die Analyse von Vergleichsmessungen (präurban/urban) im Windkanal bzw. durch numerische Simulation,
• Regressionsanalysen einzelner Klimaparameter in Abhängigkeit von der Zeit oder
• aktuelle Geländemessungen an mindestens zwei Stationen, die die städtische und ländliche Situation repräsentieren bzw. auf mobile Messungen mit einem Fahrzeug auf Routen innerhalb und außerhalb eines Stadtgebietes
zurückgegriffen werden. Üblicherweise wird dem letztgenannten Punkt der Vorzug bei Stadtklimaanalysen gegeben, wobei jedoch darauf zu achten ist, daß der ländliche Stationsstandort
weder durch den Stadteffekt (zum Beispiel durch die städtische Abluftfahne) noch durch
unterschiedliche Höhen- oder Tallage, See- oder Waldnähe beeinflußt wird. Zeitreihen, die
mindestens ein Jahr umfassen, erlauben darüber hinaus eine wetterlagen- und jahreszeitenabhängige Auswertung.
Stadtklimatische Erfassungsmethoden
Zur Erfassung der klimatischen und lufthygienischen Parameter wird in der Regel auf ein
differenziertes, die jeweilige Fragestellung berücksichtigendes Methodenspektrum zurückgegriffen. Grundsätzlich gibt es keine spezielle, auf die Lösung stadtklimatischer Probleme
bezogene Untersuchungsmethodik. Vielmehr wird sich im Bedarfsfall derjenigen Analysetechniken bedient, die bei umweltmeteorologischen Untersuchungen im Mikro-/Mesobereich
Anwendung finden. Das in Abb. 2 gezeigte Schema setzt sich aus insgesamt vier Untersuchungsschritten zusammen, die letztlich das methodische Vorgehen bestimmen sollten. Hierbei handelt es sich um
• die fachwissenschaftliche Auswertung vorhandenen Datenmaterials,
• Datenerhebungen im Gelände durch In Situ-Messungen und Beobachtung bzw. Einsatz
von Fernerkundungsverfahren sowie pflanzenphänologische Untersuchungen und Bioindikation,
• die Anwendung physikalischer beziehungsweise numerischer Modellsimulationen zur
Diagnose und Prognose sowie
• die Bewertung der Ergebnisse mit Hilfe von Qualitätsstandards.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Abb. 2: Klimatische und lufthygienische Untersuchungsmethoden in der Umweltmeteorologie (VDI 3787, Bl. 9
2002)
Fig. 2: Climatic and hygienic investigations belong environmental meteorology (VDI 3787, Bl. 9 2002)
In einem ersten Schritt einer Stadtklimauntersuchung sollte geprüft werden, ob bereits vorhandenes Datenmaterial (topographische und thematische Karten, Pläne, Tabellen usw.) über
das Untersuchungsgebiet vorliegt, auf das zurückgegriffen werden kann. Aufbauend auf der
Analyse vorhandener Daten ist dann zu entscheiden, ob es für die Problemlösung notwendig
ist, Messungen im Gelände vorzunehmen oder auf Simulationen zurückzugreifen, die auf
physikalischen (im Windkanal durchzuführende) bzw. mathematischen Modellen beruhen
(Manier 1998).
Grundsätzlich ist bei der Durchführung von Geländemessungen auf die Wahl repräsentativer Meßstandorte für die zu erfassenden meteorologischen und lufthygienischen Größen zu
achten. Das kann wegen der Heterogenität städtischer Flächennutzungen und der meist nur in
begrenztem Umfang zur Verfügung stehenden Temporärstationen nur über eine sinnvolle
Generalisierung und Aufteilung des Stadtkörpers in Gebiete gleichartigen klimatischen beziehungsweise lufthygienischen Verhaltens erreicht werden. Derartig generierte räumliche Einheiten nennt man Klimatope beziehungsweise Aerotope (Scherer u.a. 1999), wofür im angloamerikanischen Sprachgebrauch der Begriff urban terrain zone verwendet wird (Ellefsen
1990/91).
In-situ-Messungen an Temporärstationen besitzen den Vorteil, daß ortsbezogene Daten mit
hoher zeitlicher Auflösung erhoben werden können. Bei Vorhandensein eines aus mehreren
Stationen bestehenden Meßnetzes sind über die singulären Standortwerte auch raum-zeitliche
Daten zu gewinnen. Diese können jedoch dreidimensional kaum aufgelöst werden, wenn nicht
durch Vertikalsondierungen innerhalb der bodennahen Atmosphäre zusätzliche Informationen
zur Verfügung stehen. Die über derartige Meßnetze ermittelten Daten lassen sich in erster
Linie zur Lösung diagnostischer Probleme heranziehen; eine Prognosefähigkeit besitzen sie
allerdings kaum.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Geländemessungen können sowohl durch standortbezogene Vor-Ort-Messungen erfolgen
(zum Beispiel an dafür eingerichteten Meßstationen) als auch mit Hilfe von Fernerkundungsverfahren (siehe unten) durchgeführt werden. Ergänzt werden beide Verfahren gegebenenfalls
durch die Anwendung indirekter Verfahren, wie die Pflanzen-Phänologie sowie aktive und
passive Bioindikation.
Ferner ist festzulegen, welche Meßgrößen an welchen Standorten, über welcher Oberfläche, in welcher Höhe über Grund, mit welchen Instrumenten und in welcher zeitlichen Auflösung über welchen Zeitraum erfaßt werden sollen (Reuter und Hoffmann 1998). Häufig muß
dabei von den jeweiligen Standardmeßhöhen abgewichen werden.
Ist die Luftqualität an Einzelstandorten zu erfassen, können aktive oder passive Probenahmeverfahren eingesetzt werden (Moriske 2000). Aktive Verfahren zeichnen sich dadurch aus,
daß Luft mittels einer Pumpe durch ein Meßgerät geleitet wird. Unterschieden werden dabei
kontinuierliche Messungen, die aus einer selbstständig erfolgenden Probennahme, analytischen Bestimmung sowie anschließenden Meßwerterzeugung vor Ort bestehen, von diskontinuierlichen Verfahren, bei denen die Probennahme von der Analyse getrennt ist. Mit Hilfe
von Passivverfahren werden „Immissionsraten“ bestimmt. Da sich die Meßdauer bei den
letztgenannten Verfahren im Allgemeinen über mehrere Tage erstreckt, ist eine Verknüpfung
der lufthygienischen mit meteorologischen Daten kaum möglich. Über die Vor- und Nachteile
von aktiven und passiven Probenahmeverfahren informiert Tab. 3. Kontinuierliche Immissionsmessungen erfordern in der Regel einen hohen apparativen, logistischen und damit kostenintensiven Aufwand. Sie werden deshalb seltener eingesetzt als diskontinuierliche Verfahren,
die zwar wesentlich kostengünstiger, aus den oben genannten Gründen jedoch auch ungenauer sind (Möller 2003).
Tab. 3: Vor- und Nachteile aktiver und passiver Probennahmeverfahren im Vergleich (Moriske 2000)
Table 3: Ad- and disadvantages of active and passive air sampling (Moriske 2000)
Aktive Verfahren
Vorteile
Nachteile
Passive Verfahren
Prinzip
aktive Ansaugung der Luft mittels Pumpen
passive Erfassung durch
Diffusion
hohe zeitliche Auflösung
- flexible und mobile ProbenErfassung von Kurzzeitspitzenwerten
nahmetechnik
Kontinuierliches Messen
- hohe räumliche Auflösung
(in der Regel) hohe Genauigkeit und
(preiswerte Methode)
- keine Geräuschentwicklung
Präzision
geringe Nachweisgrenzen
- Unabhängigkeit vom Stromnetz
hoher Kostenaufwand
- geringe zeitliche Auflösung
Regelmäßige Wartung und Kontrolle
- Genauigkeit und Präzision
hängen von UmgebungseinGeräuschentwicklung
flüssen und der Geräte- bzw.
elektrischer Anschluß
Aufhängekonstruktion ab
(in der Regel) nur stationärer Betrieb
- direkter Vergleich mit
Grenzwerten nur bedingt
möglich
Ein grundsätzliches Problem der an Temporärstationen gewonnenen meteorologischen und
lufthygienischen Daten stellt deren geringe räumliche Repräsentanz dar. Um flächenhafte
Aussagen treffen zu können, sind deshalb weitere Methoden – zum Beispiel mobile Meßwerterfassungen oder Modellsimulationen – anzuwenden.
Mobile Meßwerterfassungen, insbesondere zum Nachweis meteorologischer Parameter
(vor allem Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit) sind schon seit langer Zeit Bestandteil der
Stadtklimaforschung (Überblick in Persson 1997). Hingegen werden lufthygienische Messungen mit diesen Verfahren erst seit einigen Jahren erfolgreich durchgeführt (Mayer und Haustein 1994, Kuttler und Wacker 2001). Mobile Messungen erfolgen meist mit Hilfe geeigneter
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Fahrzeuge, die mit geringer Geschwindigkeit und entsprechender Meßausrüstung festgelegte
Routen durch repräsentative Flächennutzungen in der Regel während schwachwindiger Strahlungswetterlagen befahren. Erfolgen derartige Meßfahrten über mehrere Stunden, müssen
vom Tagesgang abhängige Einflüsse durch geeignete Korrekturverfahren kompensiert werden. Die geringe zeitliche Repräsentativität mobiler Messungen kann durch Wiederholungsfahrten erhöht werden (Kuttler u.a. 1996).
Im Rahmen stadtklimatologischer Untersuchungen kann der Nachweis der ländlichstädtischen Belüftung einen besonderen Stellenwert einnehmen. Um zum Beispiel festzustellen, ob Kaltluft- oder sogar Frischlufttransporte zwischen Umland und Stadt über Luftleitbahnen während schwachgradientiger Wetterlagen erfolgen (Matzarakis und Mayer 1992), werden dazu optische Tracer (Raucherzeuger) oder chemische Tracer (z. B. SF6, CF4, C2F6; Eggert 1999, Weber und Kuttler 2003) in die bodennahe Atmosphäre des Kaltluftentstehungsgebietes emittiert und im städtischen Bereich (Zielgebiet) detektiert. Soll auch die Qualität der
transportierten Luft ermittelt werden, ist es notwendig, lufthygienische Messungen mit einem
mobilen Meßlabor innerhalb der Luftleitbahnen vorzunehmen.
Mit Hilfe von Fernerkundungsverfahren, die boden- oder luftgestützt arbeiten, lassen sich
sowohl meteorologische als auch lufthygienische Größen nachweisen. Methodisch nutzt man
dabei entweder die Wechselwirkung von Schallwellen (beispielsweise SODAR, RASS) oder
elektromagnetische Strahlung verschiedener Wellenlängen (RADAR; UV-, VIS- oder IRBereich) mit festen, flüssigen beziehungsweise gasförmigen Bestandteilen der Atmosphäre
oder aber dem Erdboden (Emeis 2000, Foken 2003). Der Einsatz akustisch arbeitender Geräte
kann wegen der häufig nicht unerheblichen Geräuschemissionen zu Konflikten – insbesondere bei Nachtmessungen – mit der Bevölkerung führen. Verfahrensbedingt beziehen sich die
Ergebnisse der Fernerkundungsmethodik nicht auf Einzelpunkte, sondern auf Meßstrecken,
Volumina oder Flächen.
In der Stadtklimaforschung ist die Verwendung von Infrarotthermalaufnahmen zum
Nachweis von Oberflächenstrahlungstemperaturen und daraus abgeleiteter Größen seit langer
Zeit Tradition (Parlow 2003). Die meist unter Einsatz der Falschfarbenfotografie hergestellten
Karten erlauben – je nach Pixelgröße – hoch aufgelöste flächendeckende Darstellungen der
Temperaturverhältnisse für die Aufnahmezeitpunkte. Hierbei – wie auch bei anderen flächendeckend arbeitenden Verfahren – muß allerdings berücksichtigt werden, daß es sich um die
zweidimensionale Projektion eines dreidimensionalen, gerade in Stadtgebieten äußerst heterogen genutzten Raumes handelt. Ferner muß bedacht werden, daß die durch ein Thermalbild
repräsentierten Oberflächentemperaturen in Bezug auf den langwelligen Emissionsgrad (ε)
nicht automatisch differenziert werden und somit den auf dem materialspezifischen ε-Wert
beruhenden Unterschied zwischen Ausstrahlungs- und Oberflächentemperatur entstehen
lassen. Diese Differenz kann sich im Einzelfall durchaus auf einige Kelvin belaufen und
damit bei der Auswertung Interpretationsprobleme verursachen. Auch ist es kaum möglich,
aus Thermalbildaufnahmen flächenbezogene Lufttemperaturen für die bodennahe Atmosphäre
abzuleiten. Dennoch können Thermalbildkarten im Rahmen einer Stadtklimauntersuchung als
zusätzlich angewandte Hilfsmittel wertvolle Dienste leisten, da eine Generalisierung und eine
eventuelle Zusammenfassung thermisch ähnlich reagierender Flächen leichter möglich ist und
diese somit für die eventuelle Planung eines Meßnetzes herangezogen werden kann.
Die unbestreitbaren Vorteile der Anwendung physikalischer oder numerischer Modellsimulationen sind in der Erzeugung meist hoch aufgelöster dreidimensionaler Datenfelder zu
sehen, woraus Raumaussagen abgeleitet und bei Bedarf auch verschiedene Planungsszenarien
dargestellt werden können. Der Nachteil des Einsatzes von Modellsimulationen ist allerdings,
daß viele der verwendeten Größen parametrisiert werden müssen und deshalb nur ein unvollkommenes Bild der Realität widerspiegeln (Groß und Etling 2003).
Insbesondere in der praxisorientierten Stadtklimatologie spielt die möglichst objektive
Bewertung der Meß-, Berechnungs- oder Beobachtungsergebnisse gerade im Rahmen human-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
39
biometeorologischer Aspekte eine wichtige Rolle (siehe Abschnitt 6). Die Ziele einer derartigen Evaluation liegen vor allem in der begründeten Ausweisung klimatischer und/oder lufthygienischer Belastungs- beziehungsweise Ausgleichsräume, in der Klassifizierung der Empfindlichkeit einer Fläche gegenüber bestimmten Nutzungen oder der Inwertsetzung eines
klimatisch-lufthygienischen Phänomens in Hinblick auf die vorausschauende Optimierung
von Flächennutzungen (Matzarakis 2001, Mayer und Matzarakis 2003). Hinsichtlich der
Bewertungsverfahren unterscheidet man relative von absoluten Bewertungen. Bei der relativen Evaluation werden räumliche beziehungsweise zeitliche Unterschiede von gemessenen
Größen festgestellt, ohne daß diese auf Standards bezogen werden. Eine absolute Bewertung
orientiert sich hingegen an entsprechenden Prüfgrößen, die rechtsverbindlichen Charakter
tragen können.
URSACHEN DES STADTKLIMAS
Die Ursachen des städtischen Klimas sind sowohl auf makroskalige als auch auf mikro- und
mesoskalige Einflussgrößen zurückzuführen. Zur Gruppe der makroskalig wirksam werdenden Faktoren zählen
• die Breitenlage bzw. Klimazone,
• die Oberflächenformen und deren Beschaffenheit (Relief- und Topografieverhältnisse)
sowie
• die Entfernung zu großen Wasserkörpern.
Die Gruppe der mikro- bis mesoskalig wirksamen Einflußgrößen besteht in erster Linie aus
•
•
•
•
•
•
•
der Stadtgröße,
der Einwohnerzahl,
der Art der städtischen und ländlichen Flächennutzungen,
die kleinräumigen topografischen städtischen und ländlichen Verhältnisse,
der Höhe des Versiegelungsgrads des Bodens,
der Intensität der dreidimensionalen Strukturierung eines Stadtkörpers sowie
der Emissionsstärke gasförmiger, fester und flüssiger Luftbeimengungen sowie fühlbarer und latenter Abwärme aus technischen Prozessen (Qanthr).
Die Einflüsse der eher großräumig wirkenden Faktoren treten im Allgemeinen hinter diejenigen der Meso- und Mikroskala zurück, wie Wienert (2002) anhand der Auswertung umfangreichen statistischen Materials belegen konnte.
Wichtige stadtklimatische Steuerungsgrößen stellen neben der Größe und Struktur von
Städten somit in erster Linie die auf dem thermischen und hydrologischen Verhalten der
städtischen Baukörper beruhenden Oberflächenenergiebilanzen, die Zuordnung und Mischung
von bebauten und nicht bebauten Flächen, die Abwärme- und Wasseremissionen sowie die
Freisetzungsstärke von Luftverunreinigungen dar. Hierauf soll nachfolgend eingegangen
werden.
Quantifizierung der stadtklimatischen Wirkungsfaktoren
Thermische und hydrologische Eigenschaften städtischer Oberflächen
Ein Charakteristikum städtischer Oberflächen ist deren Versiegelung. Hierunter versteht
man eine mehr oder weniger vollständige Abdichtung der Oberflächen durch undurchlässige
Stoffe, so daß Flüssigkeiten, insbesondere Wasser, aber auch Gase nicht mehr zwischen Bo-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
40
den und Atmosphäre ausgetauscht werden können. Unterschieden wird eine Überflur- von
einer Unterflurversiegelung. Bei letzterer handelt es sich um die Einschränkung von Energieund Stofftransporten innerhalb des Untergrundes. Tunnel für Untergrundbahnen, Kanal- und
Leitungssysteme, Tiefgaragen aber auch Untergrundpassagen und –geschäftsstraßen sind
Beispiele dafür. Der Begriff Versiegelung ist nicht eindeutig definiert. Allgemein faßt man
hierunter Siedlungsflächen zusammen, d.h. Gebäude- und Verkehrswegeflächen sowie Plätze,
ohne daß eine weitere Differenzierung durch die Angabe von Porositäts- bzw. Wasserdurchlässigkeitswerten erfolgt. Einzelne Versiegelungsstufen sind mit entsprechenden Beispielwerten in Tab. 4 enthalten. Als Versiegelungsgrad wird das Verhältnis von versiegelter Fläche zur
entsprechenden Gesamtstadtfläche bezeichnet. Der durchschnittliche Anteil der versiegelten
Flächen in Deutschland stieg von 7,7 % (1950/51) auf 12,2 % (1997) der Staatsfläche an.
Mittelwerte des Versiegelungsgrades deutscher Großstädte (z. B. Essen) erreichen Werte von
bis zu 0,6, während in Innenstädten und reinen Industriegebieten solche von bis zu 1 auftreten. Entsiegelungsmaßnahmen während der vergangenen Jahre haben allerdings in einigen
Städten wieder zu einem größeren Freiflächenanteil geführt.
Tab. 4: Beschreibung der Versiegelungsstufen (nach Wessolek und Renger 1998)
Table 4: Description of different sealing levels (after Wessolek und Renger 1998)
Versiegelungsstufe (in %)
Flächencharakteristik
I
Mäßige Versiegelung, Einfamilienhaussiedlungen,
Kleingartengebiete,
Zeilenhaussiedlungen
Mittelwert 30 % = Stufe I
Mittlere Versiegelung,
Blockrandbebauung,
Nachkriegsbaugebiete
Mittelwert 60 % = Stufe II
Starke Versiegelung, städtische
Baugebiete mit Blockbebauung,
ältere Industrieanlagen
Mittelwert 80 % = Stufe III
Sehr starke Versiegelung, unzerstörte Blockbaugebiete der
Innenstadtbezirke und Industrieflächen, die in jüngerer Zeit entstanden
oder verändert worden sind
Mittelwert 90 % = Stufe IV
10 - 50
II
45 - 75
III
70 - 90
IV
85 - 100
Versiegelte und nicht versiegelte Flächen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer thermischen
und hydrologischen Reaktionen in starkem Maße voneinander und beeinflussen deshalb in
besonderer Weise die klimatischen Verhältnisse von Siedlungsgebieten.
a) Thermische Eigenschaften städtischer Oberflächen
Farbe, Zusammensetzung, Bedeckung, Versiegelungsgrad, Oberflächenrauigkeit, Wasserversorgung sowie Ausrichtung zum solaren Strahlungseinfall entscheiden darüber, wie viel
Energie über die städtischen Oberflächen aufgenommen, in der Bausubstanz ´gespeichert`
bzw. von dieser an die Atmosphäre abgegeben wird. Damit bestimmt die Strahlungsbilanz
(Q‫ )٭‬der Oberflächen das jeweilige thermische Mikroklima. (Tab. 5).
So werden beispielsweise extreme Werte für Stahl erreicht, der in Verbindung mit Beton
vielfach verwendeter Baustoff in Städten ist. Stahlbetonbauten erreichen die höchsten Wärmespeicherfähigkeiten künstlicher Materialien. Die Bodenfeuchte spielt für den Wärmehaushalt ebenfalls eine wichtige Rolle, wie der Vergleich eines trockenen mit einem wassergesättigten (Lehm-)Boden zeigt. Die thermischen Eigenschaften erhöhen sich in feuchtem Boden
zum Teil erheblich. Für das thermische Bodenklima resultiert daraus, daß Temperaturände-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
41
rungen zwar schneller und in größere Tiefen vordringen als in trockenen Substraten, an der
Oberfläche sich jedoch – bedingt durch den Energieaufwand für die Evaporation – niedrigere
Temperaturen einstellen. Dadurch wird letztendlich jedoch weniger Energie über L↑ und QH
an die Atmosphäre abgegeben und in den Boden transportiert.
Tab. 5: Thermische Eigenschaften künstlicher und natürlicher Materialien (nach Zusammenstellungen aus Oke
1990, Hupfer und Kuttler 1998, Zmarsly u.a. 2002)
Table 5: Thermic properties of artificial and natural materials (after compilations by Oke 1990, Hupfer and
Kuttler 1998, Zmarsly u.a. 2002)
Material
Dichte
(g cm-3
⋅103)
spez.
Wärmekapazität
(J kg-1K-1
⋅103)
0,92
0,88
0,88
0,84
0,75
0,92
1,42
1,88
0,50
0,67
1,05
0,88
1,80
0,89
Wärmekapazitätsdichte
(J m-3K-1⋅
106)
1,94
0,28
2,11
2,25
1,37
1,77
0,45
1,52
3,93
1,66
1,49
0,02
0,29
1,42
Wärmeleitfähigkeitskoeffizient
(W m-1K-1)
Asphalt
2,11
0,75
Gasbeton
0,32
0,08
Schwerbeton
2,40
1,51
Naturstein
2,68
2,19
Backsteinb
1,83
0,83
Lehmziegelb
1,92
0,84
Weichholz
0,32
0,09
Hartholz
0,81
0,19
Stahl
7,85
53,30
Glas
2,48
0,74
Gipsplatteb
1,42
0,27
Polystyrol
0,02
0,03
Kork
0,16
0,05
Lehmboden,
1,60
0,25
trocken
(40% Poren2,00
1,55
3,10
1,58
volumen)
Wasser, 4° C
1,00
4,18
4,18
0,57
unbewegt
Luft, 10° C
0,0012
1,01
0,0012
0,025
unbewegt
Luft, turbulent
0,0012
1,01
0,0012
≈ 125
a
Die Eigenschaften aller aufgeführten Größen sind temperaturabhängig
b
durchschnittlich
Temperaturleitfähigkeitskoef.
(m2s-1⋅10-6)
0,38
0,29
0,72
4,93
0,61
0,47
0,20
0,13
13,60
0,44
0,18
1,50
0,17
0,18
Wärmeein
dringkoeffizient
(J m-2s-0,5
K-1)
1205
150
1785
2220
1065
1220
200
535
14475
1110
635
25
120
600
0,51
2210
0,14
1545
20,50
5
10 ⋅ 106
390
Asphaltoberflächen stellen in Städten typische Flächenversiegelungsmaterialien dar und
zeichnen sich im Vergleich zu natürlichem Boden (trockener Lehmboden) über eine dreimal
so hohe Wärmeleitfähigkeit, doppelt so hohe Temperaturleitfähigkeit und einen über dreimal
so hohen Wärmeeindringkoeffizienten aus. Sie absorbieren aufgrund ihrer überwiegend dunklen Farbe viel Strahlungsenergie, die sowohl über die langwellige Ausstrahlung (L↑) und den
turbulenten sensiblen Wärmestrom (QH) in die Luft gelangt als auch über die Wärmeleitung in
die Tiefe (QB) transportiert wird und dort solange verbleibt (Wärmereservoir), bis der Temperaturgradient sein Vorzeichen ändert. Asphaltoberflächen heizen sich im Vergleich zu natürlichen Materialien bei starker sommerlicher Einstrahlung dann am stärksten auf, wenn sie
trocken sind, da kein Energietransport über die Verdunstung (QE) stattfindet. Dadurch steht
der Betrag der Strahlungsbilanz ausschließlich für die turbulente Lufterwärmung und die
Bodenerwärmung zur Verfügung. Das unterscheidet eine derartige Oberfläche von natürlichem Boden, der meistens Feuchtigkeit enthält und diese unter Aufwand von Energie in die
Atmosphäre transportiert. Dieser Anteil steht dann der Luft- und Bodenerwärmung nicht zur
Verfügung, so daß natürliche Bodenoberflächen in der Regel kühler sind.
Das Temperaturverhalten einer trockenen sommerwarmen Asphaltoberfläche wird exemplarisch in Abb. 3 dargestellt.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
42
Abb. 3: Tagesgang der Luft-, Asphaltoberflächenund Bodentemperatu-ren am 11.08.94 in Wien
(Anandakumar 1999)
Fig. 3: Diurnal variation of air, asphalt and soil
temperature on August 8, 1994 in Vienna
(Anandakumar 1999)
In Bezug auf die Lufttemperatur ist festzustellen, daß diese den ganzen Tag über – insbesondere zur Mittagszeit – deutlich niedriger ist als die Oberflächentemperatur. Daraus resultiert ein von der Oberfläche in die Atmosphäre gerichteter Energietransport, der tagsüber und
nachts die Luft mit Wärme versorgt, und zwar sowohl über die langwellige Ausstrahlung als
auch über den turbulenten sensiblen Wärmestrom. Es stellt sich aber auch zwischen Oberfläche und Boden (- 8 cm) ein Temperaturgradient ein, der allerdings im Tagesgang das Vorzeichen und damit die Richtung ändert. Zwischen 10 Uhr und 18 Uhr ist dieser Gradient von der
Oberfläche in den Boden gerichtet, wodurch ein Wärmetransport in die Tiefe erfolgt. In den
Abend-, Nacht- und Morgenstunden (zwischen 18 Uhr und 10 Uhr) hingegen sind die Untergrundtemperaturen höher als die der Oberfläche, so daß die Richtung des Temperaturgradienten wechselt, wodurch Wärme nach oben geleitet wird. Dieser Wärmetransport sorgt dafür,
daß auch nachts relativ hohe Oberflächentemperaturen – in diesem Fall zwischen 24 ˚C und
26 ˚C – erhalten bleiben. Die nächtliche Abkühlung über asphaltierten Flächen ist somit stark
eingeschränkt. Das kann gerade in dicht bebauten und damit schlecht durchlüfteten Gebieten
zu hohen nächtlichen Temperaturen führen.
Tab. 6: Oberflächenstrahlungstemperaturen verschiedener Flächennutzungen in Köln um 20 Uhr und um 3 Uhr
während der Strahlungsnacht vom 30.06./01.07.1993 (Grundlage: IR-Thermalbefliegung, ε = 1,0)
Table 6: Surface radiation temperatures of different surfaces used in Cologne at 20:00 abd 03:00 during a clear
night on 30.06./01.07.1993 (base: IR thermic flighting, ε = 1,0)
Oberfläche
Hauptstraße, Innenstadt
Hauptstraße, Umland
Gebäude, Innenstadt
Gebäude, Umland
Gleisanlage
Friedhof
Rhein
Wald
Acker
TO (20 MEZ) /K
22
20
21
21
21
19
18
17
14
TO (3 MEZ) /K
17
13
17
13
12
12
18
11
9
∆ TO (20-3) /K
5
7
4
8
9
7
0
6
5
Mit Hilfe von Infrarot-Thermalbildern läßt sich dieser Abkühlungsprozeß für verschiedene
Nutzungen flächenhaft darstellen, wenn Aufnahmen zu verschiedenen Zeiten durchgeführt
wurden und diese miteinander verglichen werden. Beispiele hierfür sind Tab. 6 zu entnehmen.
Hiernach ergeben sich für den Abendtermin (20 Uhr, MEZ) die höchsten Werte für die Nutzungstypen Hauptstraßen und Häuser in der Innenstadt sowie für Gleisanlagen. Am stärksten
kühlen sich bis zum Vergleichstermin (3 Uhr, MEZ) Gleisanlagen ab (9 K) sowie Straßen und
Gebäude im Umland (7 K resp. 8 K). Im Vergleich dieser Nutzungen zum 20 Uhr Termin
zeigt sich jedoch, daß die in der Innenstadt verlaufenden Straßen und gelegenen Gebäude eine
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
43
wesentlich höhere Temperaturhaltefähigkeit besitzen. Die Innenstadtgebäude kühlen sich
vergleichsweise nur halb so stark ab, wie die im Umland befindlichen. Die kältesten Flächen
zum 3 Uhr Termin sind Äcker und Wälder, wo Kaltluft gebildet werden kann. Größere Wasserkörper (Rheinwasser) weisen hingegen meist keine Temperaturänderungen zwischen den
beiden Terminen auf und bleiben nachts von den hier dargestellten Oberflächen am wärmsten.
b) Hydrologische Eigenschaften städtischer Oberflächen
Unter hydrologischen Eigenschaften städtischer Oberflächen sollen Abfluß, Infiltration
(Eindringen von Wasser in den Untergrund), kapillarer Aufstieg von Wasser, Verdunstung
sowie Versickerung (Durchgang von Sickerwasser durch ungesättigte Bodenhorizonte) von
Niederschlagswasser verstanden werden. Diese Eigenschaften werden u.a. von der Versiegelung, dem Porenvolumen (Hohlraumanteil am Bodenvolumen) sowie der Porosität (Bruchteil
des Porenvolumens am Boden) bestimmt. Der Oberflächenabfluß hängt außer vom Gefälle
und Versiegelungsgrad auch von der materialspezifischen Benetzungskapazität ab. Eine starke Benetzung der Oberfläche führt zu einem verzögerten Abflußbeginn insbesondere dann,
wenn nach starker Einstrahlung und Erwärmung der Versiegelungsmaterialien anschließend
fallende Niederschläge z.T. sofort verdunsten. Hierbei können Werte von bis zu 0,6 mm – im
Vergleich zu kühlerer Witterung – erreicht werden (Wessolek und Facklam 1997).
Tab. 7: Wasserhaushaltskomponentena versiegelter Flächen in Berlin (Meßperiode April 1985 bis März 1986),
nach Wessolek (2001)
Table 7: Wtare budget parametera of sealed surfaces in Berlin (measurement periode April 1985 until March
1986), after Wessolek (2001)
Niederschlag
mm
%Nd
Abfluß
mm
%Nd
Versickerung
mm
%Nd
Verdunstung
mm
%Nd
Kunststeinplattenb
631
100
104
16
319
51
208
33
Betonverbundsteine
631
100
103
16
379
60
149
24
Rasengittersteine
631
100
32
5
318
50
282
45
Straße (Asphalt)
631
100
455
72
51
8
126
20
a
Die potentielle Verdunstung (nach Haude) belief sich in dem angegebenen Zeitraum auf 650 mm
b
mit Mosaikpflaster (Gehweg)
Für die Infiltration von Wasser in den versiegelten Untergrund sind Anzahl und Durchlässigkeit von Fugen und Rissen des abdichtenden Materials maßgeblich. Sind diese z. B. durch
tonreichen Straßenstaub an der Oberfläche verstopft, so muß von geringeren Infiltrationsraten
ausgegangen werden als bei durchlässigen, mit Sand gefüllten Öffnungen.
Für vier verschiedene typisch städtische Oberflächen enthält Tab. 7 die sich über ein Jahr
ergebenden Wasserhaushaltskomponenten. Hieran zeigt sich auch die außerordentlich große
Variabilität auf kleinem Raum. In Bezug auf den Abfluß weisen Asphaltflächen mit 72% des
Niederschlags den größten Wert auf, während über Rasengittersteinflächen (typisch für befestigte Stellplätze) nur 5% abfließen. Bei der Versickerung kehren sich die Verhältnisse jedoch
um: Während in den Asphalt nur 8% eindringen, sind es bei den anderen Materialien, die
durch mehr oder weniger große Öffnungen mit dem Untergrund verbunden sind, bis zu 60%.
Eine stadtklimatisch außerordentlich wichtige Größe stellt die Verdunstung dar. Wie den
Werten für die genannten Oberflächen entnommen werden kann, werden zwischen 20%
(Asphalt) und maximal 45% (Rasengittersteine) des Jahresniederschlags verdunstet. Damit ist
ein erheblicher Energieaufwand verbunden (qv,W 20° C = 2,45 MJ kg-1), der für die Erwärmung
der Atmosphäre (L↑ ; QH ) dann nicht mehr zur Verfügung steht. Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Veranschlagt man für Berlin eine durchschnittliche Jahressumme der Strahlungsbilanz von 440 kWh m-2 a-1, dann belaufen sich die für die Verdunstung (E) aufzuwendenden
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
44
latenten Wärmeströme QE der Asphaltfläche (E = 126 mm) auf rund 85 kWh m-2 a-1 und für
die Rasengittersteinfläche (E = 282 mm) auf rund 191 kWh m-2 a-1. Entsprechend werden für
die Asphaltfläche nur 19%, für die Oberfläche aus Rasengittersteinen hingegen 43% der
Jahressumme der Strahlungsbilanz für die Verdunstung aufgewendet. Das bedeutet, daß über
Straßen 81% der Strahlungsbilanz für die Lufterwärmung (QH) und den Bodenwärmestrom
(QB), über Rasengittersteinen jedoch nur 57 % der Jahresenergie hierfür zur Verfügung stehen. Die niedrigen Luft- und Strahlungstemperaturen über den verdunstungsaktiveren Flächen
sind ein Beleg dafür.
Neben den klimatischen Auswirkungen spielen versiegelte oder teilversiegelte Oberflächen
eine herausragende Rolle für die Grundwasserneubildung in Stadtökosystemen. Messungen
innerhalb städtischer Flächennutzungen belegen, daß in Stadtgebieten mit erheblichen Unterschieden gerechnet werden muß. So können Versiegelungsmaterialien mit hohen Fugenanteilen (Betonverbund- und Grasbetonsteine) sowie auf Böden aufgebrachte Verdunstungssperrschichten (z. B. Kies) höhere Grundwasserneubildungsraten aufweisen als freie Ackerflächen.
Das liegt daran, daß einsickerndes Wasser durch die teilweise erfolgte Oberflächenversiegelung stärker gegen Verdunstung geschützt ist als unbedeckte natürliche Oberflächen (Wessolek 2001). Diese Ergebnisse zeigen, daß ein Stadtgebiet hinsichtlich der Grundwasserneubildungsrate sehr differenziert betrachtet werden muß.
Anthropogene Wärmestromdichten
Unter dem Begriff anthropogene Wärmeproduktion (Qanthr) wird die aus dem Betrieb von
Kraftfahrzeugen, Kraftwerken, Industrieanlagen und der Gebäudeklimatisierung (Heizen und
Kühlen) resultierende thermische Emission verstanden. Gelegentlich wird hierunter auch die
durch den Metabolismus der Organismen – in diesem Fall der Stadtbewohner – freigesetzte
Wärme (QMet) subsumiert. Diese macht allerdings nur einen vernachlässigbaren Anteil an der
Gesamtsumme von Qanthr aus, wie folgende Abschätzung zeigt: Berücksichtigt man z. B. einen
„mittleren Aktivitätszustand“ von etwa 200 Watt pro Person unter Berücksichtigung einer
Großstadt mit 600.000 Einwohnern bei einer Stadtfläche von 200 km2, dann wird durch QMet
eine mittlere flächenbezogene Wärmestromdichte von nur 0,6 W m-2 erreicht. Das bedeutet,
daß selbst hohe Einwohnerdichten in städtischen Gebieten nicht in der Lage sind, ausschließlich durch den Metabolismus verursachte, hohe, das thermische Stadtklima beeinflussende
Werte zu erzielen. Für die Innenraumklimatologie, die hier nicht behandelt wird, stellt hingegen die durch den menschlichen Stoffwechsel produzierte Wärme einen wichtigen Faktor dar,
der bei der Gebäudeklimatisierung berücksichtigt wird.
Die auf technischen Prozessen beruhenden anthropogenen Wärmestromdichten können jedoch in Abhängigkeit vom Typus sowie von der geografischen Breite und topografischen
Lage eines städtischen Siedlungskörpers sehr unterschiedliche Werte annehmen. So werden z.
B. große Werte sowohl durch hohe Einwohnerdichten als auch durch hohen Pro-KopfEnergieverbrauch verursacht (Tab. 8). Auch stellen sich Tages-, Wochen- und Jahresgänge je
nach Aktivität des Wirtschafts- und Privatlebens der Bevölkerung ein. Untersuchungen zum
Tagesgang des Energieverbrauchs in verschiedenen nordamerikanischen Städten haben z. B.
gezeigt, daß je nach geographischer Lage der Städte die anthropogenen Wärmestromdichten
morgens und abends zwischen 25 % und 50 % höher sein können als das Tagesmittel (Sailor
u.a. 2003). Besonders hohe Qanthr – Werte lassen sich im Allgemeinen in winterkalten Ballungsräumen beobachten, in denen ein großer Teil des Energieeinsatzes zur Gebäudeerwärmung benötigt wird. Effektive Wanddämmungen reduzieren allerdings den Energieverbrauch
in erheblichem Maße. Aber auch für sommerheiße Siedlungsgebiete kann ein hoher Energieverbrauch nachgewiesen werden, der nicht nur zur Gebäudekühlung aufgewendet wird. So
berichten Ichinose u.a. (1999) über extrem hohe anthropogene Wärmestromdichten, die sie
für den Innenstadtbereich von Tokio ermittelten. Hier lagen die Qanthr -Werte tagsüber bei
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
45
über 400 W m-2 und erreichten im Maximum sogar 1590 W m-2, wobei mehr als die Hälfte
dieser Wärmestromdichten allein auf den Warmwasserverbrauch von Hotels entfiel.
Energieeinsparungen beim Betrieb von Klimaanlagen ergeben sich dann, wenn z. B. die
Albedo der Gebäudeaußenfassaden und -dächer erhöht wird. Für helle Gebäude nordamerikanischer Städte konnte auf der Basis numerischer Modellsimulationen ein um bis zu 15 %
geringerer Energieverbrauch in den Sommermonaten gegenüber dunklen, die Sonnenstrahlung stark absorbierenden Gebäudehüllen nachgewiesen werden (Akbari u.a. 1999).
Tab. 8: Pro-Kopf-Energieverbrauch (GJ), Flußdichten der anthropogenen Wärmeproduktion (Qanthr) und der
natürlichen Strahlungsbilanz (Q*) in W m-2 ausgewählter Städte (nach Zusammenstellungen aus Helbig 1987,
Oke 1990, Steinecke 1999, Ichinose u.a. 1999)
Table 8: Per capita energy consumption (GJ), flux densities of man-made heat production (Qanthr) and natural
radiations budget (Q*) in W m-2 of selected cities (after compilations by Helbig 1987, Oke 1990, Steinecke
1999, Ichinose et al. 1999)
Stadt
(geogr.
Breite)
Fairbanks
(64° N)
Reykjavík
(64° N)
Sheffield
(53° N)
Berlin
(West)
(52 ° N)
Vancouver
(49° N)
Budapest
(47° N)
Jahr
Fläche
(km2)
19651970
1992
37
Einwohner
(106)
0,03
Einwohnerdichte
(km-2)
810
38
0,1
2680
1952
48
0,5
1967
234
1970
ProKopfVerbr.
740
Qanthr
Q*
Q anthr
Q*
⋅ 100
19
18
106
1100
35
90
39
10420
58
19
56
34
2,3
9830
67
21
57
37
112
0,6
5360
112
19
57
33
1970
113
1,3
11500
118
Montreal
(40° N)
1961
78
1,1
14102
221
Manhattan
(40° N)
1967
59
1,7
28810
128
Tokyo
(35° N)
1989
612
8,1
13235
70
Los Angeles
(34° N)
196570
3500
7,0
2000
331
43
32
51
99
57
153
117
40
198
31
25
40
21
46
100
52
92
13
93
59
100
17
108
93
190
62
1177
126
53
25
235
19
Hongkong
(22° N)
1971
1046
3,9
3730
34
4
~ 110
4
Singapur
(1° N)
1972
568
2,1
3700
25
3
~ 110
3
Emission von luftverunreinigenden Stoffen
Die Luftqualität in Städten wird durch zahlreiche Emissionsquellen sowie durch die vom
bodennahen atmosphärischen Austausch abhängige Transmission bestimmt. Wichtigste Verursachergruppen anthropogener gas- und partikelförmiger Luftbeimengungen sind der Kraftfahrzeugverkehr, Industrie und Gewerbe, Kraftwerke sowie öffentliche und private Gebäude,
wobei Abhängigkeiten zum Industrialisierungsgrad, zur Wirtschaftsstruktur sowie zur geografischen und topografischen Lage der Ballungsräume bestehen. In einigen Ländern prägen
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46
darüber hinaus Emissionen, die der Biomasseverbrennung entstammen, sowie herantransportierter Staub aus Wüstengebieten (Indien, China) oder anderen winderosionsanfälligen Flächen die Luftqualität von Ballungsräumen. Zu den gegenwärtig wichtigsten Indikatoren der
luftverschmutzten Stadtatmosphäre zählen NO, NO2, NOy, CO, CO2, NMVOC, O3, SO2,
Staub und Ruß. Tab. 9 enthält für ausgewählte Quellsektoren Angaben zur Emissionssituation
in Deutschland.
Tab. 9: Jahresemissionen ausgewählter Spurenstoffe nach verschiedenen Sektoren in Deutschland (vorläufige
Angaben für 2001), nach UBA (2002)
Table 9: Yearly emissions of selected trace substances from different sources in Germany (preliminary datra
from 2001), after UBA (2002)
Spurenst./
Quelle
NOx
1592 kt
kt
%a
CO
4797 kt
kt
%
SO2
650 kt
kt
%
Staub
247 kt
kt
%
NMVOCb
1606 kt
kt
%
CO2
871 Mt1)
kt
%
Kfz-Verkehr 835
52
2289
48
20
3
34
14
297
18
167
19
Industriefeu- 189
12
658
14
150
23
6
2
7d
<1
135
16
erung.c
Kraft- und
272
17
104
2
326
50
26
10
6
<1
343
39
Fernheizw.
Haushalte
88
6
852
18
70
11
13
5
60
4
131
16
a
relative Angaben beziehen sich auf entsprechende Jahressummen (ergeben nicht zwangsläufig 100 %, da nur
ausgewählte Sektoren betrachtet wurden)
b
NMVOC = non methane volatile organic compounds (flüchtige organische Verbindungen außer Methan)
c
Ohne Industrieprozesse, die im Falle von Staub und NMVOC hohe Werte einnehmen
d
Ohne Lösemittelverwendung, die an der Emission dieses Spurenstoffs zu 62% beteiligt ist
Hiernach sind über 50% der NOx-, fast 50 % der CO- sowie beinahe 20% der NMVOCFreisetzungen auf den Kfz-Verkehr zurückzuführen. Unter anderem dienen die letztgenannten
Spurenstoffe als Vorläufergase des sich sekundär in der Atmosphäre bildenden O3. Für die
genannten Spurenstoffe (Ausnahme: Ozon) durchgeführte Zeitreihenanalysen belegen – insbesondere für das vergangene Jahrzehnt – einen z. T. erheblichen Rückgang der Emissionen,
was auf den Einbau wirksamer Filteranlagen in Abluftkaminen, auf eine Änderung des Energieverbrauchsverhaltens der Bevölkerung und auf die Einführung des Katalysators für Kraftfahrzeuge zurückzuführen sein dürfte (UBA 2002).
AUFBAU DER STADTATMOSPHÄRE
Sowohl die Struktur und räumliche Anordnung von Gebäuden als auch die für Stadtgebiete
typischen Stoff- und Energieströme führen zur Modifikation der Planetaren Grenzschicht
(engl. planetary boundary layer, PBL) im Siedlungsbereich.
Unter den klimatisch optimalen Verhältnissen einer windschwachen strahlungsreichen
Wetterlage stellen sich die Unterschiede zwischen einer Stadt- und Umlandatmosphäre besonders gut heraus. Die PBL des flachen und homogenen Umlandes einer Stadt läßt sich in
eine Bodenschicht (Prandtlschicht, engl. Surface Layer, SL) und die darüber liegende Mischungsschicht (Ekmanschicht, engl. Mixing Layer, ML) unterteilen (z. B. Stull 1988). Die
Mächtigkeit der Bodenschicht wird in der Regel mit etwa 10 % der Grenzschichthöhe abgeschätzt (vgl. Abb. 4a). In ihr gelten die Flußdichten von Impuls, Wärme und Feuchte als
quasikonstant, auch dominiert die Schubspannung noch über die Gradient- und Corioliskraft.
Die bauliche Komplexität eines Stadtkörpers führt zu einer feineren vertikalen Untergliederung der Stadtatmosphäre. Diese ist weitgehend abhängig von der Art, Größe, Flächendichte und Ausrichtung (Längs- und Querachsenlage) der Bebauung.
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47
Abb. 4: Modifikation der Planetaren Grenzschicht (PBL) durch einen Stadtkörper nach Oke (1997)
Fig. 4: Modification of the planetary boundary layer (PBL) by the city, after Oke (1997)
Im Allgemeinen bildet die von der Bodenoberfläche bis zum mittleren Dachniveau definierte Stadthindernisschicht (engl. urban canopy layer, UCL) den unteren Teilbereich der
sogenannten Stadtreibungsschicht (engl. urban roughness sublayer, URS; vgl. Abb. 4b). Die
Strömung innerhalb der URS ist stark lokal geprägt und wird durch die spezifische Anordnung einzelner Rauigkeitselemente (Abb. 4c) charakterisiert (Rotach 1999). Oberhalb der
URS nehmen diese Einflüsse auf das Strömungsfeld ab, so daß ein weitgehend homogenes
Turbulenzfeld vorliegt. In Analogie zur Bodenschicht des Umlandes kann wiederum eine
Quasikonstanz der turbulenten Flußdichten angenommen werden (z.B. Roth 2000). Den
Abschluß nach oben bildet die städtische Mischungsschicht (engl. urban mixing layer, UML),
deren Mächtigkeit im Durchschnitt ein bis zwei Kilometer beträgt. Hier schwindet allmählich
der Einfluß der Schubspannung zugunsten der Zunahme von Gradient- und Corioliskraft. Erst
in der freien Atmosphäre (engl. free atmosphere, FA), die über dem städtischen „Störkörper“
in einer größeren Höhe als über dem Umland beginnt, läßt sich ein Stadteffekt kaum noch
nachweisen.
Die vorgenannte schematische Gliederung der Stadtatmosphäre kann durch die vorherrschende Windströmung modifiziert werden. So entwickelt sich luvseitig vom Rauigkeitssprung Umland-Stadt in Abhängigkeit von der Stärke der Wechselwirkungen mit der
Unterlage ihre Mächtigkeit, erreicht im Idealfall ein Maximum über der Stadt und paßt sich
leeseitig nach Überschreiten der Bebauungsgrenzen wieder den vom Umland vorgegebenen
Oberflächenverhältnissen an. Allerdings kann oberhalb der Umlandbodenschicht (engl. rural
layer, BL) die städtische Abluftfahne (engl. urban plume, UP) bei entsprechenden Windverhältnissen noch mehrere Kilometer fortbestehen und - turbulenzbedingt - auch den Boden
erreichen, bevor sie endgültig aufgelöst wird. In Einzelfällen kann das dazu führen, das weitab von den Siedlungsgebieten stadtklimatische Verhältnisse im Umland auftreten.
Unter windarmen Strahlungswetterbedingungen weist die Stadtatmosphäre mit ihrem
Schichtenaufbau eine gut strukturierte Abhängigkeit im Tagesgang auf, wobei tagsüber durch
Konvektion die Mischungsschicht wesentlich mächtiger ist als nachts. Das beeinflußt auch die
Ausbreitung von Luftbeimengungen und damit deren Konzentrationen.
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48
KOMPONENTEN DER STADTKLIMATISCHEN GRÖSSEN
Städtische Energiebilanz
Die städtische Energiebilanz, die sich aus dem Strahlungs- und Wärmehaushalt zusammensetzt, unterliegt zahlreichen Einflüssen, die innerhalb der städtischen Grenzschicht sowohl auf die reflektierenden, streuenden und absorbierenden gas- und partikelförmigen sowie
flüssigen Luftbeimengungen zurückzuführen sind, als auch durch Art, Gliederung, Nutzungsstruktur und Exposition der Oberflächen geprägt werden. Unter der Voraussetzung von Austauscharmut und Niederschlagsfreiheit setzt sich die städtische Energiebilanz an der Grenzfläche Boden/Luft aus den in Gl. 1 genannten Einzelgliedern zusammen:
Q* + Qanthr + QMet + QH + QE + QB = 0
(W m-2)
(2)
mit Q* der Strahlungsbilanz, Qanthr der anthropogenen Wärmeflußdichte, QMet der metabolischen Wärmeflußdichte, QH der turbulenten fühlbaren Wärmeflußdichte, QE der turbulenten
latenten Wärmeflußdichte und QB der Bodenwärmeflußdichte (alle Einheiten in W m-2).
Nach dem Energieerhaltungssatz muß die Summe der einzelnen Glieder der Energiebilanz
ausgeglichen sein und wird deshalb gleich zu Null gesetzt. Experimentelle Befunde der vergangenen Jahre haben jedoch gezeigt, daß die Energiebilanzgleichung nicht vollständig geschlossen werden kann, d.h., daß ein Restglied bestehen bleibt. Dieses kann eine Größenordnung von bis zu 40% annehmen. Als Gründe werden sowohl meßtechnische als auch meßmethodische Einflüsse angeführt (Foken 1998, Weber 2004).
Die Bestimmung der turbulenten Flußdichten läßt sich im städtischen Bereich am genauesten über die direkte und zeitlich hoch aufgelöste Messung turbulenter Fluktuationen der
Windvektoren sowie der atmosphärischen Größen wie Temperatur, Wasserdampf oder Luftbeimengungen mit Hilfe der Eddy-Kovarianzmethode durchführen (z. B. Nemitz u.a. 2002,
Foken 2003). Die Messungen sollten oberhalb des Gebäudeniveaus, also außerhalb der URS,
durchgeführt werden. Der Bodenwärmestrom kann dann als Residuum aus der Energiebilanzgleichung (vgl. Gl. 2) bestimmt werden. Aufgrund der meist komplexen Stadtstrukturen stehen für den Wärmeumsatz jedoch oftmals weitere aktive Flächen zur Verfügung (z. B. in
Straßenschluchten auch hochgelegene Hauswände). Deshalb wird QB in der Stadt zu ∆QS
erweitert, um die Wärmespeicherung zwischen Bodenoberfläche und mittlerem Dachniveau
und damit unterhalb der Messhöhe der Eddy-Kovarianzmessungen zu berücksichtigen (vgl.
Grimmond und Oke 1999). Zur Erläuterung der physikalischen Ursachen von Energieflüssen
werden nachfolgend die Gleichungen zur Bestimmung der Energieflüsse allerdings anhand
des Gradientansatzes vorgestellt (Zmarsly u.a. 2002). Aufgrund meßmethodischer Einschränkungen ist dieser allerdings in der Stadt nur bedingt anwendbar. Nachfolgend wird die Berechnung von Wärmeflußdichten nach dem Gradientansatz gezeigt. Für die turbulente fühlbare Wärmeflußdichte QH gilt:
QH = - ζL KL ∆Θ/∆z
(W m-2)
(3)
mit ζL der Wärmekapazitätsdichte der Luft bei konstantem Druck (J m-3 K-1), KL dem turbulenten Diffusionskoeffizienten für die fühlbare Wärmeflußdichte (m2 s-1) sowie ∆Θ/∆z dem
vertikalen Gradienten der potentiellen Temperatur (K m-1). Die turbulente latente Wärmeflußdichte QE kann nach Gl. (4)
QE = - ρW qV KW ∆s/∆z
(W m-2)
(4)
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49
mit ρW der Wasserdampfdichte (kg m-3), qV der spezifischen Verdunstungswärme (J kg-1), KW
dem turbulenten Diffusionskoeffizienten für Wasserdampf in Luft (m2 s-1) sowie ∆s/∆z dem
vertikalen Gradienten der spezifischen Feuchte (kg kg-1 m-1) berechnet werden. Die Bodenwärmeflußdichte QB schließlich resultiert aus Gl. (5)
QB = - λ ∆T/∆z
(W m-2)
(5)
mit λ dem Wärmeleitfähigkeitskoeffizienten des Bodens (W m-1 K-1) und ∆T/∆z dem vertikalen Temperaturgradienten im Boden (K m-1). Die Strahlungsbilanz Q* setzt sich nach Gl. (6)
aus
Q* = K↓ - K↑ + L↓ -L↑ - L↑refl.
(W m-2)
(6)
zusammen; mit K↓ der direkten (I) und diffusen (D) Globalstrahlung (W m-2), K↑ der kurzwelligen Reflexion (= K↓⋅α) (W m-2), L↓ der langwelligen atmosphärischen Gegenstrahlung
(W m-2), L↑ der langwelligen Ausstrahlung (W m-2), L↑refl. der langwelligen Reflexion (=
L↓(1-ε)) (W m-2), ε dem langwelligen Emissionsgrad (1) und α der kurzwelligen Albedo (1).
Die Strahlungsbilanz Q* ist nicht nur als Ergebnis der Bilanzierung der Strahlungsflußdichten (Gl. 6) aufzufassen, sondern sie stellt gleichzeitig auch die Ausgangsgröße für die
Energiebilanz dar (Gl. 2).
Die Richtung der Strahlungsflußdichten wird durch die Vorzeichen angegeben, wobei diese positiv sind, wenn sie zu den Bezugsflächen gerichtet sind, und negativ, wenn sie von
diesen weggerichtet sind. Bei den Wärmeflußdichten müssen zusätzlich die Vorzeichen der
vorherrschenden Gradienten berücksichtigt werden, so daß bei negativen Gradienten die
Vorzeichen der Flüsse positiv, im anderen Falle negativ sind.
Werden lange Betrachtungszeiträume zugrundegelegt, unterscheiden sich in der Summe
die städtische und ländliche Bilanz nur geringfügig. Die Differenzen der Einzelterme sind
zwar groß, im Ergebnis kompensieren sie sich jedoch annähernd. Werden hingegen kleine
Zeitintervalle betrachtet, fallen die Unterschiede stärker ins Gewicht (Helbig 1987).
Insgesamt zeichnet sich die städtische Strahlungsbilanz im Allgemeinen dadurch aus, daß
sich in Abhängigkeit von der Luftverschmutzung die kurzwelligen Strahlungsflußdichten im
Vergleich zum Umland verringern (Kuttler und Schaefers 2000), im langwelligen Bereich
jedoch erhöhen. In summa resultieren daraus im Allgemeinen etwas niedrigere Werte im
versiegelten als im nicht versiegelten Bereich. Zugleich ist allerdings die kurzwellige Albedo
der oft durch dunkle Oberflächen und Mehrfachreflexionen im dreidimensionalen Baukörper
geprägten Stadt geringer (vgl. Helbig u.a. 1999).
Die langwelligen Strahlungsflußdichten werden durch die Temperatur der Oberflächen und
der Atmosphäre (auch durch die Luftfeuchtigkeit und weitere infrarotaktive Spurenstoffe)
sowie die entsprechenden langwelligen Emissionsgrade (ε) bestimmt. Auf die langwellige
effektive Ausstrahlung (-L↑+L↓-L↑refl) wirkt sich in Straßenschluchten neben den meist höheren Oberflächentemperaturen insbesondere der Himmelssichtfaktor (engl. sky view factor,
SVF; vgl. Abb. 4) aus, der sich aus dem Quotienten der aktuellen Himmelssicht zum potentiell freien Himmel ergibt (Blankenstein und Kuttler 2004).
Wie sich die Energiebilanz eines Vorort- von der eines Umlandstandortes unterscheidet, ist
Tab. 10 zu entnehmen. In diesem Beispiel wurde QMet nicht berücksichtigt und für Qanthr
angenommen, daß dieser Term in den anderen Gliedern enthalten ist. Nach diesem Beispiel
beläuft sich die Strahlungsbilanz des Vorortes auf 91% des Umlandes. QH erreicht im bebauten Gebiet 160%, während QE am Vorortstandort infolge geringerer Verdunstung deutlich
reduziert ist. Hingegen ist die Bodenwärmeflußdichte QB im Vorort um fast 400% erhöht, was
auf die große thermische Speicherfähigkeit der Gebäude und andere versiegelte Flächen
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
50
zurückgeführt werden kann. Diese Speicherung kann als Hauptursache der im folgenden
Kapitel beschriebenen städtischen Überwärmung bezeichnet werden.
Tab. 10: Größen der Energiebilanz eines Vorort- und Umlandstandortes im Großraum Vancouver B.C. (49° N;
Mittelwerte von 30 Sommertagen), nach Cleugh und Oke (1986)
Table 10: Values of energy budget of suburban and rural sites in the great area of Vancouver B.C. (49°N, means
of 20 summer days), after Cleugh and Oke (1986)
Größen
Vorortstandort
Umlandstandort
Albedo in %
Strahlungsbilanz Q*
Fühlbarer Wärmestrom QH
Latenter Wärmestrom QE
Bowen-Verhältnis Bo
QE/Q*
Bodenwärmestrom QB
a
= 100%
13
136,5 W m-2 a
74,1 W m-2 = 54 %
48,6 W m-2 = 36 %
1,52
0,36
13,8 W m-2 = 10 %
20
150,5 W m-2 a
46,4 W m-2 = 31 %
100,6 W m-2 = 67 %
0,46
0,67
3,5 W m-2 = 2 %
(Stadt/Land)
100 %
65
91
160
48
330
54
394
Zusammenfassend kann für dieses Beispiel festgestellt werden, daß innerhalb der bebauten
Fläche nur 36 % von Q* für QE aufgewendet wird, während dieser Anteil im Umland mit 67
% deutlich höher ist. Auch zeigt sich, daß QH im Vorort einen wesentlich höheren Anteil an
der Energiebilanz aufweist als am Umlandstandort. Auch das Bowen-Verhältnis Bo erreicht
im Vorort Werte > 1 und ist – in diesem Fall - mehr als dreimal so hoch wie im vegetationsbedeckten Umland. Neuere Untersuchungen zu diesem Problem belegen die Größenordnung
der hier dargestellten Werte (z. B. Christen u.a. 2003).
Städtische Überwärmung
Die im Vergleich zum Umland höheren Luft- und Oberflächentemperaturen in Siedlungsgebieten (∆T = TStadt - TUmland) sind auf die unterschiedlich starke Ausprägung der einzelnen
Glieder der natürlichen Energiebilanz sowie auf die zusätzliche Freisetzung anthropogener
Wärme Qanthr zurückzuführen. Der hierfür verwendete Begriff „städtische Wärmeinsel“ (engl.
urban heat island, UHI) beschreibt stark generalisierend das Faktum einer inselartig ausgebildeten städtischen Überwärmung, die von einem kühleren Freiland umgeben wird. Wärmeinseln sind in mitteleuropäischen Städten wegen der vorher genannten Gründe hauptsächlich bei
ruhigem Strahlungswetter nachts ausgebildet.
Grundsätzlich lassen sich verschiedene Typen städtischer Überwärmungen - räumlich und
zeitlich durchaus voneinander getrennt auftretend – unterscheiden (Hupfer und Kuttler 1998).
Hierzu zählen die Bodenwärmeinsel, die Stadthindernisschichtwärmeinsel (UHI der UCL)
und die Stadtgrenzschichtwärmeinsel (UHI der UBL; s. Abb. 4b).
Die vom Untergrund her beeinflußte Bodenwärmeinsel wird durch die Höhe der Oberflächentemperaturen bestimmt. Da dieser Wärmeinseltyp im wesentlichen deckungsgleich mit
der Verbreitung der bebauten Gebiete ist, kann sie als flächenscharf ausgebildet angesehen
werden. Ihr Nachweis erfolgt anhand der Messung von Oberflächentemperaturen.
Die Stadthindernisschichtwärmeinsel (UHI der UCL), die sich auf den Luftraum zwischen
Boden und mittlerer Dachhöhe bezieht, ist auf die Oberflächenvergrößerung und Energiefreisetzung (QH, Qanthr), eine erhöhte atmosphärische Gegenstrahlung (L↓) sowie eine verringerte
effektive Ausstrahlung durch die Horizonteinschränkung (SVF) in Straßenschluchten zurückzuführen. Nachgewiesen wird sie mit Hilfe von stationär oder mobil durchgeführten Lufttemperaturmessungen. Dieser Wärmeinseltyp fällt in seiner Verbreitung nur noch grob mit der
bebauten Fläche zusammen, da es sich hierbei um ein überwärmtes Luftvolumen handelt, das
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
51
schon bei geringer Luftbewegung, zum Beispiel auch durch zufließende Umlandkaltluft
(Flurwind), einer dreidimensionalen Deformation unterliegt.
Darüber schließt sich die Stadtgrenzschichtwärmeinsel (UHI der UBL) an, deren Entstehung auf turbulenten Wärmetransporten von unten, aber auch von oben beruht. Dieser Wärmeinseltyp kann sich bereits schon soweit in die Atmosphäre erstrecken, daß seine Ausbreitung dem übergeordneten Wind unterliegt und zu der erwähnten leewärtigen Abdrift der
Abluftfahne UP führt. Der Nachweis dieses Wärmeinseltyps erfolgt zum Beispiel durch Messungen der entsprechenden Parameter mittels Vertikalsondierungen oder Fernerkundungsverfahren.
Grundsätzlich läßt das Auftreten städtischer Wärmeinseln neben der Wetterlagenabhängigkeit eine enge Bindung an den jeweiligen Meßstandort sowie die Tages- und Jahreszeit erkennen. Zu dessen Erläuterung werden Daten aus dem Bereich der Stadthindernisschichtwärmeinsel in der UCL für eine mitteleuropäische Großstadt (Abb. 5) herangezogen.
Abb. 5: Stündliche Differenzen der Lufttemperaturen (K) zwischen einer Innenstadt- und einer Freilandstation
(∆ TS –U) in der UCL (Großraum Düsseldorf; Meßhöhe: 2 m ü. Gr.; Meßperiode 1/93–1/9), nach Kuttler (1997)
Fig. 5: Hourly differences of air temperature (K) between inner city and open land station in UCL (great area
Düsseldorf, measurement level 2m, periode 1/93–1/94), after Kuttler (1997)
Die größten UHI-Intensitäten treten erwartungsgemäß in der zweiten Nachthälfte der
Sommermonate Juni bis August auf, wobei sich die Wetterlagenabhängigkeit in der zellulär
auftretenden Überwärmungsstrukur widerspiegelt. Im Vergleich zur Nacht ergeben sich zur
Mittagszeit hingegen während aller Monate des Jahres keine oder nur schwach positive Temperaturunterschiede zwischen Stadt und Umland (Parlow 2003)). Im Juli kommt es sogar zu
einer Umkehr der Verhältnisse (zwischen 11 Uhr und 14 Uhr), wobei die leicht negative
Temperaturdifferenz auf eine etwas stärkere Erwärmung des Umlandes hindeutet. Diese
überwiegend während starker Einstrahlung auftretende Situation ist auf den Schattenwurf der
Gebäude, auf die Verlagerung der maßgeblichen Strahlungsreferenzflächen vom Straßen- ins
Dachniveau und auf die Ableitung von Wärme in die Baumaterialien (∆QS, QB) zurückzuführen.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
52
Abb. 6: Abhängigkeit der maximalen städtischen Wärmeinselintensität vom Logarithmus der Stadtbevölkerung
für Städte in Nordamerika, Westeuropa, Japan und Korea (nach einer Zusammenstellung aus Matzarakis 2001)
Fig. 6: Dependence of maximum urban heat island itensity from logarithm of inhabitants for cities ion Northern
America, Western Europa, Japan and Korea (after compilations by Matzarakis 2001)
14
12
Nordamerika
UHImax (K)
10
8
6
Westeuropa
Korea
4
Japan
2
0
1*103
1,0E+03
4
1*10
1,0E+04
5
1*10
1,0E+05
6
1*10
1,0E+06
7
1*10
1,0E+07
P
Grundsätzlich lassen sich für die Intensität der städtischen Wärmeinseln negative Abhängigkeiten zur Höhe der Windgeschwindigkeit und zum Wolkenbedeckungsgrad, positive
Zusammenhänge hingegen zur stabilen Schichtung der Umlandatmosphäre erkennen. Neben
den genannten meteorologischen Einflußgrößen steuern aber auch die spezifischen städtischen
Oberflächenbedeckungen sowie die meist an die Einwohnerzahl gekoppelte Stadtgröße die
städtische Überwärmung (Abb. 3). Es zeigt sich, daß die Abhängigkeit der maximalen UHI
von der Bevölkerungsdichte positiv ist (0,74 < R2 < 0,98). Die verschiedenen Steigungsmaße
der Regressionsgeraden hängen mit den jeweiligen Bauweisen und landestypischen Wirtschaftsformen zusammen. Die extremen Unterschiede im Verlauf der Regressionsgeraden
kleiner und großer asiatischer Städte dürften darauf beruhen, daß in kleineren Städten mehr
Holz als Baumaterial verwendet wird, eine eher ländliche Lebensweise üblich ist und eine im
Vergleich zu den Millionenstädten andere Flächennutzung im Umland vorherrscht.
Bodennahes Windfeld
Bebaute Gebiete zeichnen sich im Vergleich zum flachen Umland auch durch eine Modifikation des horizontalen und vertikalen Windfeldes aus. Die Gründe hierfür sind sowohl in der
größeren Bodenreibung durch die städtischen Strömungshindernisse zu sehen als auch in der
Beeinträchtigung des Luftdruckfeldes durch die städtische Wärmeinsel. Zu den Charakteristika der Luftströmung in Siedlungsgebieten zählen im Allgemeinen
•
•
•
•
•
niedrigere Windgeschwindigkeiten,
häufigeres Auftreten von Windstillen,
höhere Anzahl an Schwachwindstunden,
Zunahme der mechanischen und thermischen Turbulenz sowie der Böigkeit und
eine durch die Feingliederung der Oberfläche vorgegebene, meist starke Beeinflussung der Windrichtungen als Folge der Kanalisierung durch Straßenschluchten.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
53
Die gegenüber dem Umland auftretenden geringeren Windgeschwindigkeiten rufen in der
Regel bodennah ein konvergentes zyklonales Strömungsmuster hervor, woraus aufsteigende
Luftströmungen resultieren. Die stadtbedingten Windgeschwindigkeitsveränderungen sollen
am Beispiel des Großraums Düsseldorf kurz erläutert werden (Tab. 11a). Den Daten ist zu
entnehmen, dass sich die Geschwindigkeitswerte im Vergleich zum Umland um bis zur Hälfte
reduzieren können. Interessanterweise treten niedrigere Geschwindigkeiten nicht nur in dicht
bebauten Gebieten auf, sondern finden sich auch in Grünflächen (Windbremsung durch Bäume und Sträucher) – ein für die Gestaltung von Städten in Hinblick auf die bodennahe Austauschproblematik nicht zu vernachlässigendes Problem. Besonders deutlich ergeben sich
flächennutzungsabhängige Unterschiede, wenn die Anzahl von Schwachwindstunden betrachtet wird (Tab. 11b). Hier treten städtische Grünflächen mit den höchsten Summenwerten auf;
gefolgt von den Klimatopen Innenstadt (rheinfern) und den Industriegebieten. Die Gegenüberstellung von „rheinfernen“ und „rheinnahen“ Standorten belegt außerdem, daß in Flußnähe Schwachwindperioden wesentlich seltener sind, was auf die Austauschgunst dieses Klimatops zurückzuführen ist (geringere Rauigkeitslängen, Kanalisierung).
Tab. 11: (a) Mittlere stündliche Windgeschwindigkeiten ( u ) sowie (b) Anzahl, Summe und maximale Dauer
von Schwachwindepisoden ( u ≤ 1,5 m s-1) in verschiedenen Klimatopen der Stadt Düsseldorf (Meßperiode:
1/93–1/94; Meßhöhe: 4–6 m ü. Gr.; nach Kuttler 2000; verändert)
Table 11: (a) Averaged hourly wind speeds ( u ) and (b) number, sum and maximum duration of low wind
episodes ( u ≤ 1,5 m s-1) in different micro climates in the city Düsseldorf (measurement periode 1/93 – 1/94;
Measurement level 4–6 m above ground, changed after Kuttler (2000)
(a)
(in m s-1)
(%)b
(b)
≤6
> 6 bis 9
10 bis 19
20 bis 29
30 bis 39
> 40
Summe:
u
Andauerc
(in h)
Freiland
Vorort
Industriegebiet
Grünfläche
3,5
2,4
2,1
1,7
Innenstadt,
rheinfern
Innenstadt,
rheinnah
2,6
100
69
60
49
57
71
54
Episodendauer (in h) der Fallzahlen; Standorte wie oben mit Angabe
20
153
201
252
231
130
198
17
68
54
82
104
66
71
2
77
129
138
110
59
95
1
7
17
23
13
3
22
0
0
0
5
1
0
5
0
1
1
4
3
2
5
40
306
402
504
462
260
396
74
42
42
60
45
2,5
Aue
1,9
22
2,0
Gewerbegebiet
71
74
171
82
80
8
1
0
342
31
a
Kuppe
bezogen auf Freilandwert (= 100%)
c
Höchstdauer einer Schwachwindepisode
b
Städte weisen allerdings nicht immer eine im Verhältnis zum Umland niedrigere Windgeschwindigkeit auf, wie es vorab für die durchschnittlichen Verhältnisse beschrieben wurde.
Wird nämlich die Differenz der Windgeschwindigkeiten zwischen Stadt und Umland (∆u = uS
– uU) in Abhängigkeit von der Umlandwindgeschwindigkeit analysiert (Abb. 7), dann stellt
sich heraus, daß es einen Grenzwert gibt, der zu einem Vorzeichenwechsel führt. Dieser liegt
im dargestellten Beispiel bei ≤ 4 m s-1 (im Mittel ab 1,5 m s-1).
Offensichtlich ist es so, daß bei niedrigeren Umlandwindgeschwindigkeiten in der Stadt
relativ höhere Werte auftreten können. Der Grund dürfte auch in der städtischen Wärmeinsel
zu suchen sein, die sich gerade bei Schwachwindlagen besonders stark ausprägt. Weitere
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54
Klarheit schafft hier ein Vergleich des Tagesganges der positiven Windgeschwindigkeitsdifferenzen ∆u mit den entsprechenden Temperaturdifferenzen zwischen Stadt und Umland UHI
(Abb. 8).
Abb. 7: Abhängigkeit der Windgeschwindigkeitsdifferenzen Stadt und Umland (∆u Stadt – Umland) von der Umlandwindgeschwindigkeit (nach Daten aus Dütemeyer 2000)
Fig. 7: Dependence of wind speed urban-rural differences (∆u Stadt – Umland) from the rural wind speed (after data
by Dütemeyer 2000)
3
∆u S-U / m s
-1
2
1
0
-1 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
-2
-3
y = -0,52x + 0,73
-4
R = 0,70
2
-5
-1
uU / m s
Abb. 8: Häufigkeit der positiven Windgeschwindigkeitsdifferenzen (∆u Stadt – Umland) in Tagen als Funktion der
diurnalen Wärmeinselintensität (∆T Stadt – Umland) in Düsseldorf (Meßperiode: 1/93 – 1/94), nach Hupfer und
Kuttler (1998)
Fig. 8: Frequency of positive wind speed urban-rural differences (∆u Stadt – Umland) in days as function of of diurnal
heat island itensity (∆T Stadt – Umland) in Düsseldorf (measurement periode: 1/93 – 1/94), after Hupfer und Kuttler
(1998)
Es zeigt sich, daß etwa zwischen 22 und 5 Uhr MEZ nicht nur die stärksten UHIIntensitäten auftreten, sondern mit diesen auch die größte Häufigkeit der Windgeschwindigkeitsüberhöhung im Stadtgebiet zusammenfällt. Während im Umland zu dieser Zeit meist
eine bodennahe Temperaturinversion vorherrscht, zeichnet sich die Innenstadt wegen der
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55
durch den Wärmeinseleffekt verursachten thermischen Turbulenz durch labile beziehungsweise neutrale atmosphärische Schichtungsverhältnisse aus. Der hierdurch verbesserte Austausch kann zu einer leicht höheren Windgeschwindigkeit im Stadtbereich führen. Verfügt die
Stadt über geeignete Ventilationsbahnen, die die Verbindung zum Umland herstellen, kann
Umlandkaltluft dem Stadtkörper zugeführt werden. Derartige als Flurwinde bezeichnete
Windströmungen (Barlag und Kuttler 1990/91) können jedoch nur dann die klimatischen und
lufthygienischen Verhältnisse in Innenstadtgebieten verbessern, wenn die Umlandkaltluft
möglichst tief ins Stadtinnere vordringen kann. Dazu bedarf es in erster Linie rauigkeitsarmer
Luftleitbahnen (Mayer u.a. 1994), zu denen zum Beispiel Ein- und Ausfallstraßen, Bahntrassen (Weber und Kuttler 2003), Grünflächen sowie Fließ- beziehungsweise Stillgewässer
zählen (vgl. Kuttler 2000).
Luftfeuchtigkeits- und Niederschlagsverhältnisse
Die städtischen Luftfeuchtigkeits- und Niederschlagsverhältnisse sind vor dem Hintergrund der in Gl. 6 dargestellten städtischen Wasserbilanz zu sehen, die sich in der Fassung
von Helbig (1987) aus folgenden Einzelgliedern zusammensetzt:
P + F + W + ET + ∆R + ∆S + ∆A = 0
(mm Zeiteinheit-1)
(7)
mit P dem Niederschlag, F der Wasserfreisetzung durch Verbrennungsprozesse, W der kanalisierten Wasserzufuhr aus Flüssen oder Staubecken, ET der Evapotranspiration, ∆R dem Nettoabfluß, ∆S der Nettowasserspeicherung und ∆A der Nettofeuchteadvektion. Alle Einheiten
in mm Zeiteinheit-1.
Von den hier genannten Quellen- und Senkentermen werden F und W durch den Menschen
im wesentlichen direkt beeinflußt, während ET, ∆R und ∆S über den Anteil der versiegelten
Fläche beziehungsweise durch die Oberflächenverdichtung einer eher indirekten anthropogenen Steuerung unterliegen. Über die Höhe der Wasserfreisetzung durch Verbrennungsprozesse F und deren Anteil an der Gesamtsumme (Gl. 7) finden sich in der Literatur widersprüchliche Angaben. Einerseits wird diesem Faktor ein relativ großer Einfluß beigemessen (Mayer
u.a. 2003), andererseits wird die Beeinträchtigung als marginal angesehen (Arnfield 2003,
Grimmond u.a. 1986). Dieses Problem kann hier nicht gelöst werden; eine Abhängigkeit von
der jeweiligen Stadtgröße und den Nutzungsstrukturen ist anzunehmen.
Luftfeuchtigkeit
Im Gegensatz zu Untersuchungen zum thermischen Verhalten von Stadtkörpern liegen bislang nur wenige Arbeiten vor, die über das Verhalten der Luftfeuchtigkeit im besiedelten
Bereich erschöpfend Auskunft geben. Erschwerend kommt hinzu, daß die geographische
Lage und Jahreszeiten einen eher großräumig gesteuerten Einfluß auf die Verteilung dieses
Klimaelementes haben. Wie bei allen Stadtklimauntersuchungen hängen auch in diesen Fällen
die Ergebnisse davon ab, an welchen Standorten und bei welcher Wetterlage letztendlich
gemessen wurde. Nachfolgend werden die Luftfeuchtigkeitsverhältnisse exemplarisch für drei
Standorte im Großraum München dargestellt (Mayer u.a. 2003), die für die Wohngebietssituation und die Aufenthaltsdauer der Bewohner als typisch angesehen werden können. Für dieses
Beispiel wird auf den Dampfdruck VP als konservative Größe und nicht auf die relative
Feuchte zurückgegriffen, da sich letztere invers zur Lufttemperatur verhält und deshalb nicht
für eine Diskussion über Luftfeuchteunterschiede zwischen Stadt und Umland geeignet ist.
Bei den Standorten handelt es sich um:
-
Stadtzentrum, Innenhof (SVF = 0,25; Versiegelungsanteil der Umgebung: 80%)
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
-
56
Stadtzentrum, Park (SVFSommer = 0,15, SVFWinter = 0,65; Versiegelungsanteil der Umgebung: 20%)
Stadtrand, Grünfläche (kurz gehaltener Rasen, SVFSommer = 0,55; SVFWinter = 0,80;
Versiegelungsanteil der Umgebung: 5%).
Die Luftfeuchteverhältnisse werden als städtischer Feuchteüberschuß (engl. Urban Moisture Excess, UME) auf der Basis der Differenzen zwischen Stadtzentrum, Innenhof und Stadtrand, Grünfläche (∆VP = VPStadtzentrum – VPStadtrand) für einen mittleren Tagesgang im Sommer
und Winter dargestellt. Wie Abb. 9a zeigt, weist der städtische Feuchtigkeitsüberschuß UME
im Sommer einen gut strukturierten, im Winter (Abb. 9b) hingegen kaum einen Tagesgang
auf.
Im Sommer ergeben sich zwei Maxima positiver Feuchtedifferenzen, und zwar tagsüber
und nachts, die durch Minima morgens (8 Uhr) und abends (20 Uhr) voneinander getrennt
sind. Dabei ist die Ausbildung des Tagesganges (Abb. 9a) im Wesentlichen auf die relativ
starken diurnalen Feuchteschwankungen des Umlandstandortes zurückzuführen. Während im
Umland zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit morgens (zwischen 4 und 8 Uhr) hohe Werte
aufweist, ändert sich die Luftfeuchtigkeit am Innenstadtstandort während dieses Zeitabschnittes kaum.
Abb. 9a: Mittlere Tagesgänge der städtischen Feuchteinsel UME und der städtischen Wärmeinsel UHI in 2 m
Höhe ü. Gr. im Augus, nach Mayer u.a. (2003)
Fig. 9a: Mean diurnal variation of urban moisture island UME and urban heat island UHI at 2m level in August,
after Mayer et al. (2003)
7
UHI: Stadtzentrum, Innenhof - Stadtzentrum, Park
UHI: Stadtzentrum, Innenhof - südlicher Stadtrand, Grünfläche
6
UME: Stadtzentrum, Innenhof - Stadtzentrum, Park
UME: Stadtzentrum, Innenhof - südlicher Stadtrand, Grünfläche
UHI / K, UME / hPa
5
4
3
2
1
0
August 1981
-1
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
MEZ
Erst nach 8 Uhr nimmt die Luftfeuchtigkeit am Umlandstandort deutlich ab, während sie
sich im Stadtzentrum leicht erhöht und erst wesentlich später und auch langsamer dort wieder
niedrigere Werte annimmt.
Die im Vergleich zum Innenstadtstandort größere Tagesamplitude im Umland dürfte auf
die hier wesentlich stärker einflußnehmenden Faktoren der bodennahen atmosphärischen
Schichtungs- und damit Austauschverhältnisse zurückzuführen sein als im Stadtzentrum.
Während im Umland morgens bei noch stabiler Schichtung die einsetzende Evapotranspiration zuerst einmal für einen Anstieg der Luftfeuchtigkeit sorgt, nimmt diese nach 8 Uhr durch
die beginnende Konvektion ab. Abends steigt der Dampfdruck in der bodennahen Umlandat-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
57
mosphäre bei zunehmender Stabilisierung trotz abnehmender Evapotranspiration zunächst
wieder an, um dann nachts endgültig niedrige Werte durch weiter nachlassende – letztendlich
eingestellte – Verdunstung und eventuell Tauabsatz zu erreichen. Die Luftfeuchtigkeit am
Innenstadtstandort unterliegt hingegen nur geringen Tagesschwankungen, da die atmosphärischen Schichtungsverhältnisse hier nur schwachen Schwankungen ausgesetzt sind und - wegen der höheren Temperaturen - die Evapotranspiration, auch nachts wirksam sein kann.
Abb. 9 enthält ergänzend zu den UME-Werten die Daten zur Ausbildung der städtischen
Wärmeinsel UHI. Danach ergibt sich folgendes Bild: Während im Sommer (Abb. 9a) für die
zweite Nachthälfte eine enge positive Abhängigkeit zwischen beiden Größen vorherrscht, läßt
sich für den restlichen Teil des Tages ein nur noch loser Zusammenhang zwischen beiden
Größen erkennen. Im Winter (Abb. 9b) besteht zwischen der UME und der UHI jedoch ein
sehr enger Zusammenhang (R2 = 0,9).
Abb. 9b: Mittlere Tagesgänge der städtischen Feuchteinsel UME und der städtischen Wärmeinsel UHI in 2 m
Höhe ü. Gr. im Januar, nach Mayer u.a. (2003)
Abb 9b: Mean diurnal variation of urban moisture island UME and urban heat island UHI at 2m level in January,
after Mayer et al. (2003)
7
Januar 1982
6
UHI: Stadtzentrum, Innenhof - Stadtzentrum, Park
UHI / K, UME / hPa
5
UHI: Stadtzentrum, Innenhof - südlicher Stadtrand, Grünfläche
UME: Stadtzentrum, Innenhof - Stadtzentrum, Park
4
UME: Stadtzentrum, Innenhof - südlicher Stadtrand, Grünfläche
3
2
1
0
-1
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
MEZ
Auf Basis der vorgenannten Ergebnisse bleibt festzustellen, daß es in der Stadt im Sommer
feuchter ist als im Umland, während im Winter die Unterschiede zwischen beiden Standorten
verschwinden. Differenziertere Ergebnisse liegen bei ausschließlicher Analyse der Luftfeuchteverhältnsse während Strahlungswetterlagen vor. Bei Vorherrschen dieser Witterung dürfte
die Stadtatmosphäre tagsüber trockener und nachts feuchter sein als das Umland (Tapper
1990).
Die Gründe, die zum städtischen Feuchteüberschuß UME führen, dürften allgemein darauf
beruhen (Mayer u.a. 2003), daß
•
•
wegen der städtischen Wärmeinsel UHI auch nachts Verdunstung auftreten kann,
es in der Stadt nachts seltener und schwächer ausgeprägt zu Tauabsatz kommt als im
Umland,
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
•
•
58
in der UBL nachts vom Umland feuchtere Luft über die Advektion in die Stadt transportiert werden kann, wo durch turbulenten Luftmassenaustausch zwischen UBL und
UCL der oberflächennahen Schicht Feuchtigkeit zugeführt wird und
in der Stadt durch verschiedene technische Prozesse Wasser freigesetzt wird und in die
Atmosphäre gelangt.
Niederschlagsverhältnisse
Auch für die städtischen Niederschlagsverhältnisse liegt bisher – trotz verschiedentlich
durchgeführter Meßkampagnen (vgl. Lowry 1998) - zu wenig Datenmaterial vor, um ein
abschließendes Bild in bezug auf dieses Klimaelement in Stadtgebieten zu zeichnen. Vielfach
werden in diesem Zusammenhang Modellaussagen bemüht. Generell wird davon ausgegangen, daß Stadtgebiete die Entstehungsprozesse und die räumliche Verteilung insbesondere
von sommerlichen Konvektionsregen beeinflussen, jedoch selbst keinen oder nur geringen
zusätzlichen Niederschlag erzeugen. Grundsätzlich werden drei Prozesse unterschieden, die
auf die städtische Niederschlagsstruktur Einfluß nehmen. Allerdings läßt sich der jeweilige
Anteil der genannten Faktoren am Ergebnis des Gesamtprozesses nicht immer eindeutig
ermitteln. Als niederschlagsverändernde Prozesse durch Stadtgebiete ergeben sich nach
Schütz (1995):
• Beeinflussung der Wolkendynamik durch den Wärmeeinseleffekt und die städtische
Oberflächenrauigkeit,
• Eingriffe in wolkenphysikalische Prozesse durch Partikelemission aus verschiedenen
Quellen und
• Modifizierung der Grenzschichtprozesse durch rauigkeitsbedingte Tropfenablenkung im
bodennahen Windfeld.
Im Einzelnen resultiert daraus folgendes: Die städtische Wärmeinsel und die Rauigkeit
verursachen sowohl ein Anheben als auch Umfließen der auf eine Stadt zuströmenden Luft.
Dadurch kommt es zu lateraler Konvergenz in Lee, die durch vertikale Divergenz ausgeglichen wird.
Die Eignung von Partikeln als Wolkenkondensationskerne (CCN), die urban-industriellen
Gebieten entstammen, hängt von ihrer Größe und Oberflächenbeschaffenheit ab. Atmosphärische Spurenstoffe, die aus löslichen oder oberflächenaktiven Stoffen bestehen und die sich
Partikeln anlagern, können ebenfalls die Niederschlagsbildung beeinflussen (Möller 2003).
Die Veränderung der Größenspektren und oberflächenchemischen Eigenschaften kann erheblich die Kondensationsfähigkeit der Atmosphäre beeinflussen; so führen mehr kleine CCN zu
mehr Bewölkung mit kleinen Tröpfchen (höhere optische Dicke) und weniger Niederschlag
(Twomey-Effekt).
Darüber hinaus bedingen größere Rauigkeitslängen Auslenkungen der fallenden Niederschlagstropfen von der Lotrechten, die insbesondere bei kleintropfigem Regen mehrere hundert Meter in Windrichtung betragen können. Dieser Effekt kommt einem „Auskämmen“
durch Strömungshindernisse sehr nahe.
Von den hier genannten Einflußgrössen, die für die städtische Niederschlagsmodifikation
als wesentlich angesehen werden, weist die städtische Überwärmung offenbar den größten
Einfluß auf. So ist zum Beispiel die Zahl der sommerlichen konvektiv bedingten Niederschläge (Starkregen, Gewitter) über bebautem Gebiet deutlich erhöht (Landsberg 1981). Zugleich
tritt nach Braham u.a. (1981) und Schütz (1996) zum ansonsten typischen Nachmittagsmaximum des Konvektionsniederschlages ein sekundäres Maximum in den späten Nacht- oder
frühen Morgenstunden auf, wenn die städtische Wärmeinsel am stärksten ausgeprägt ist.
Durch die dargestellten Faktoren dürfte es zu einer Umverteilung der Regenspenden kommen,
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
59
wobei insbesondere in Lee von Stadtgebieten höhere Niederschlagssummen zu erwarten sind
als an anderen Stellen (Changnon 1981).
Im Gegensatz zu den genannten niederschlagsverstärkenden oder sogar -auslösenden Faktoren ergab eine Analyse satellitengestützter Auswertungen von Abluftfahnen großer Ballungsräume (Rosenfeld 2000), daß industriell verschmutzte Luft mit r < 14 µm offensichtlich
wesentlich kleinere Partikeln enthält als natürliche Wolken mit Kondensationskerngrößen r >
25 µm. Die kleineren Partikeln sollen die Nukleation stark hemmen beziehungsweise letztlich
sogar unterbinden, wodurch eine Regentropfenentstehung verhindert oder zumindest eingeschränkt wird. Das würde bedeuten, daß Städte oder Industriegebiete eher zu einer Unterdrückung der Niederschlagsbildung führen, anstatt diese zu verstärken. Es bleibt abzuwarten, ob
die aus den genannten Satellitenmessungen gezogenen Schlüsse auch durch Daten entsprechender Niederschlagsmeßnetze bestätigt werden können, was allerdings sehr aufwendig ist.
Zudem kommt eine andere, ebenfalls satellitengestützte neuere Analyse des Niederschlagsaufkommens in der Umgebung nordamerikanischer Städte zu einem gegenteiligen
Ergebnis (Shepherd u.a. 2002).
Auch die Verteilung der festen Niederschläge wird durch Stadtgebiete beeinflußt. So ist
zum Beispiel die Zahl der Tage mit einer Schneedecke gegenüber dem Umland gelegentlich
reduziert. Dies wird unter anderem auf den Wärmeinseleffekt und die Schneeräumung zurückgeführt. Zusammen mit dem höheren Anteil vertikaler, nicht schneebedeckter Flächen
und der schnelleren Verschmutzung der städtischen Schneedecke bewirkt dies während der
betreffenden Wetterlagen deutliche Unterschiede der kurzwelligen Albedo zwischen Stadt
und Umland, die den Wärmeinseleffekt unterstützen (Mayer und Noack 1980).
Wesentlich eindeutiger als die Beeinflussung von Niederschlägen durch große Siedlungsgebiete ist das Auftreten räumlich meist eng begrenzt auftretender so genannter „Stadt- oder
Industrieschneefälle“ (Harlfinger u.a. 2000), die bisher beispielsweise in Berlin, Mannheim,
Freiburg/Brsg., Basel, Bern und Graz nachgewiesen werden konnten. Diese anthropogenen
Schneefälle, die auf wenigen Quadratkilometern zu einer Schneedecke von mehreren Zentimetern führen können, werden durch Wasserdampfemittenten (Industrieemissionen) ausgelöst. Sie treten überwiegend in den frühen Morgenstunden bei Vorherrschen antizyklonaler
Wetterlagen, stark ausgebildeter Temperaturinversion in den unteren Atmosphärenschichten,
hoher Luftfeuchtigkeit und geringer Windgeschwindigkeit auf.
Luftqualitätssituation
Die Luftverschmutzung von Städten stellt ein weltweites Problem dar. Während in den
westlichen Industrieländern überwiegend der Kraftfahrzeugverkehr als wichtigste Emissionsquelle auszumachen ist, wird die Luftqualität in den weniger entwickelten Ländern zusätzlich
durch Industrieemissionen beeinträchtigt. Auch tragen die Biomasseverbrennung und die
Aufwirbelung von Bodenpartikeln in winderosionsanfälligen Gebieten zur Luftbelastung bei.
In vielen Großstädten der Erde werden die von der WHO festgesetzten Immissionsgrenzwerte
gas- und partikelförmiger Luftbeimengungen erheblich überschritten.
Luftverunreinigungen unterliegen nach ihrer Emission der atmosphärischen Transmission.
Je nach Vorherrschen der meteorologischen Austauschverhältnisse werden sie dabei angereichert oder verdünnt, chemisch umgewandelt oder abgelagert (Möller 2003). Die Höhe der
Luftverschmutzungskonzentrationen weist zeitliche und räumliche Abhängigkeiten auf, die
allerdings nicht nur meteorologisch gesteuert sind.
Trendanalysen für einzelne Luftverschmutzungsindikatoren lassen sich für die meisten
Großstädte der weniger entwickelten Länder noch nicht in gewünschtem Maße vornehmen, da
die bisherigen Meßreihen meist zu kurz sind. In Schwellenländern allerdings, die einer beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung unterliegen (zum Beispiel China und Rußland),
nehmen die Luftverschmutzungskonzentrationen insbesondere bedingt durch den stark an-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
60
wachsenden Kfz-Verkehr zu. In den westlichen Industrieländern weisen die Zeitreihenentwicklungen der wichtigsten Spurenstoffe unterschiedliche Ergebnisse auf. So läßt sich zum
Beispiel für das überwiegend industriebürtige SO2 feststellen, daß es als Luftverschmutzer nur
noch eine untergeordnete Rolle spielt. Ebenso haben die Konzentrationen der überwiegend
dem Kfz-Verkehr entstammenden Spurenstoffe NO und NO2 in den vergangenen Jahren
leicht abgenommen, obwohl kein eindeutiger Trend festzustellen ist. Gerade an den höchstbelasteten, verkehrsnahen Meßstationen bleibt die Abnahme hinter den Erwartungen zurück. Da
gleichzeitig der gesetzliche Jahresgrenzwert für NO2 durch EU-weite Anpassung an die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO z. B. in Deutschland bis 2010 deutlich sinkt,
bleibt die Einhaltung von Grenzwerten an städtischen „Brennpunkten“ auch in Zukunft fraglich, was insbesondere auch für die Feinstäube gilt (Zenger 2002). Für die sekundäre Luftverunreinigung O3 läßt sich – dem NOX-Trend vergleichbar - bisher keine eindeutige Entwicklung nachweisen.
Die derzeitige Immissionssituation soll am Beispiel eines großen mitteleuropäischen Ballungsraumes, des Rhein-Ruhr-Gebietes, an repräsentativen Luftverschmutzungsindikatoren
erläutert werden (Tab. 12).
Tab. 12: Jahresmittelwerte ( x ) und 98%-Wertea ausgewählter atmosphärischer Spurenstoffkonzentrationen für
das Rhein-Ruhr-Gebietb sowie Verkehrsc – und Waldstationend. Meßperiode: 1999–2002, nach Landesumweltamt NRW. - = keine Messung
Table 13: Yearly averages ( x ) and 98% percentilea of selected trace gases for the Rhine-Ruhr areab and trafficc
as well forestd stations. measurement periode 1999-2002, after Landesumweltamt NRW. – means no measurements
Spurenstoff
(in µg m-3)
98 %-Wert
x
Waldstationen
98 %-Wert
x
98 %-Wert
8
30
8
25
5
8
f)
38
87
47
102
24
59
17
125
48
195
4
8
SST
CO
x
Verkehrsstationen
e)
SO2
NO
Rhein-Ruhr-Gebiet
e)
e)
NO2e)
0,4
31
1,4
68
0,8
46
2,4
88
-
-
11
38
O3g)
34
115
58
126
a
98%-Wert: Die dargestellten Werte werden nur von 2% aller Meßwerte überschritten.
b
Mittelwerte von 37 Stationen (Bonn bis Wesel und Unna bis Krefeld), ohne Verkehrsstationen und Sondermeßstationen.
c
Mittelwerte der Meßstationen Düsseldorf-Mörsenbroich und Essen-Ost
d
Mittelwerte der Meßstationen Eggegebirge, Eifel und Rothaargebirge
e
Mittelwerte aus Halbstundenmittelwerten berechnet, Temperaturbezug 20° C
f
SST = Schwebstaub; Mittelwerte aus Tagesmittelwerten berechnet, Temperaturbezug 0° C
g
Mittelwerte aus Stundenmittelwerten berechnet, Temperaturbezug 20° C
Das hier aufgeführte SO2, welches jahrzehntelang zu den dominierenden Luftverunreinigungen dieses Raumes zählte, spielt als nunmehr „klassisch“ zu bezeichnender Spurenstoff
wegen seines niedrigen Konzentrationsniveaus für die Kennzeichnung der Luftqualität keine
Rolle mehr. Auch die anderen Spurenstoffe, die stärker durch den Straßenverkehr verursacht
werden, weisen mittlerweile Durchschnittswerte auf, die - bis auf den 98%-Wert von Staub zu keinen Überschreitungen der entsprechenden Grenzwerte zum Schutz der menschlichen
Gesundheit (22. BImSchV vom 11.09.2002) führen. Für die Verkehrsstandorte ergibt sich
jedoch ein etwas anderes Bild: Im Vergleich zum „Gebietsmittel Rhein-Ruhr“ resultiert eine
zum Teil erheblich höhere Belastung insbesondere durch NO (um den Faktor 2,6 höher), CO
(2,0) und NO2 (1,5). Grenzwertüberschreitungen werden an Straßen sowohl für NO (Jahresmittelwert) als auch für Schwebstaub (Jahresmittel- und 98%-Wert) nachgewiesen. Größendifferenzierte Messungen des Feinstaubes (PM2,5 und PM10) weisen als Verursacher auch den
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
61
Straßenverkehr aus, der sowohl direkt durch die Emission von Ruß (kleinere Partikeln) als
auch indirekt durch die Aufwirbelung von Straßenstaub (größere Partikeln) daran beteiligt ist.
Entsprechende Grenzwertüberschreitungen stellen vielerorts ein Problem dar.
Im Vergleich zu den genannten „Gebietsmittelwerten“ sind die Konzentrationen der hier
gewählten Luftverschmutzungsindikatoren in den so genannten Reinluftgebieten („Waldstandorte“) des Rhein-Ruhr-Raumes bis auf das Ozon erwartungsgemäß niedrig. Die deutlich
höheren Ozonkonzentrationen sind auf verschiedene Ursachen zurückzuführen: Einerseits auf
das in unbelasteter Luft häufig anzutreffende höhere NO2/NO-Verhältnis (hier: 2,8), das
vergleichsweise im Ballungsraum nur den Wert von 1,8 erreicht, wodurch der wesentlich
geringere Einfluß des ozonabbauenden NO in Waldgebieten verdeutlicht wird. Andererseits
werden von Pflanzen bei hoher Einstrahlung biogene Kohlenwasserstoffe (Terpene, Isoprene)
freigesetzt (Straßburger 2004; Wildt u.a. 2001), wodurch sich die Konzentration an Ozonvorläufergasen erhöht. In lufthygienisch belasteten Gebieten weisen die Ozonkonzentrationen
einen vom Sonnenstand und der Temperatur abhängigen ausgeprägten Tagesgang auf, der
durch ein nächtliches Minimum und ein frühnachmittägliches Maximum charakterisiert ist.
Gelegentlich jedoch kann das Nachtminimum durch Auftreten eines Sekundärmaximums
unterbrochen sein (Reitebuch u.a. 2000). In Reinluftgebieten hingegen lassen die Ozonkonzentrationen nur eine geringe Abhängigkeit vom Tagesgang erkennen und verharren während
sommerlichen Strahlungswetters auf einem weitgehend hohen Konzentrationsniveau (Kuttler
und Zmarsly 1995). Die Ozondosis, die aus der Konzentration durch Multiplikation mit der
Wirkdauer berechnet wird, ist deshalb in Reinluftgebieten meistens höher als in verkehrsbestimmten Ballungsräumen. Daß Reinluftgebiete im Allgemeinen gleichwohl eine bessere
Luftqualität zuerkannt bekommen (Deutscher Bäderverband 1998), liegt daran, daß hier im
Gegensatz zu den Ballungsräumen das Auftreten hoher Ozonkonzentrationen nicht an ebenfalls hohe Immissionswerte anderer Luftverschmutzungsindikatoren gebunden ist.
Die vorgenannte Darstellung der Immissionssituation beruht auf der Auswertung von Messungen, die an Einzelstandorten erhoben wurden (vgl. die Hinweise in den Fußnoten in Tab.
12). Derartige Stationen liefern im Rahmen eines installierten Meßnetzes allerdings ausschließlich Punktdaten, die für die nahe Standortumgebung als repräsentativ angesehen werden können. Damit ist zwar eine hohe zeitliche, nicht jedoch eine gewünschte hohe räumliche
Auflösung der Datenkollektive verbunden. Für Stadtgebiete, zu deren Charakteristika heterogene Oberflächenbedeckungen bei räumlich stark wechselnden Bevölkerungsdichten mit
ausgeprägtem inhomogenen Auftreten der Luftqualität zählen, stellen an Einzelpunkten erhobene Daten dann einen Nachteil dar, wenn flächenbezogene Aussagen hinsichtlich der Luftqualität benötigt werden (Kuttler und Wacker 2001).
Eine stärker auf den Flächenbezug ausgerichtete Methode stellt die mobile Aufnahme von
Horizontalprofilen dar, deren Routenführung sich an der repräsentativen Flächennutzungsstruktur einer Stadt zu orientieren.
Exemplarisch enthält Abb. 10 die auf verschiedenen Meßfahrten beruhenden Immissionskonzentrationen typischer Straßenzüge in der Stadt Gelsenkirchen. Erwartungsgemäß weisen
Autobahnen und Bundesstraßen die höchsten CO-, NO- und NO2-Konzentrationen auf, gefolgt von Hauptstraßen in Wohngebieten. Die niedrigsten Spurenstoffwerte werden auf Nebenstraßen beobachtet. Dem chemischen Verhalten des sekundären Spurenstoffes O3 entsprechend, sind dessen Konzentrationen, bezogen auf die dargestellten Straßentypen, gegenläufig.
Derartig gewonnene Werte können – zusammen mit den an Feststationen ermittelten Daten –
durch Einsatz numerischer Modellanalysen flächenmäßig bezogene Angaben zur Luftqualität
liefern, die darüber hinaus auch zu Prognosezwecken verwendet werden können (vgl. Junk
u.a. 2004).
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
62
Abb. 10: Mittlere Immissionskonzentrationen atmosphärischer Spurenstoffe in verschiedenen Straßentypen
Gelsenkirchens. Streckenabschnittsmittelwerte der Meßfahrten vom 16.06., 08.07., 24.08., 02.09.1999 jeweils
zwischen 10 und 16 Uhr (Kuttler und Barlag 2002)
Fig. 10: Mean air trace gas concentrations in different types of streets in Gelsenkirchen. Mean values of mobile
area measurements at 16.06., 08.07., 24.08., 02.09.1999 between 10:00 and 16:00 (Kuttler and Barlag 2002)
1,4
-
NO [µg/m³]
300
1,2
NO2 [µg/m³]
250
O3 [µg/m³]
200
CO [mg/m³]
1,0
0,8
150
0,6
100
0,4
50
0,2
0
CO-Konzentration / mg m-³
NO-, NO2- und O3-Konzentration / µg m ³
350
0,0
Bundesstraße BAB 2 und 42 Hauptstraße224
Wohngebiet
HauptstraßeStraße
Nebenstraße- NebenstraßeFreiraum
Gewerbegebiet Wohngbiet
Freiraum
HUMAN-BIOMETEOROLOGISCHE ASPEKTE
Die Meßergebnisse stadtklimatischer Größen sind für den anwendungsbezogenen Bereich
nur dann zu verwerten, wenn diese unter anthropozentrischen Gesichtspunkten einer Beurteilung unterzogen werden, um dadurch begründet klimatisch-lufthygienische Gunst- von Ungunsträumen zu unterscheiden. Hierfür kann auf verschiedene human-biometeorologische
Bewertungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden, durch die normierte Aussagen zu den drei
Wirkungskomplexen (photoaktinisch, thermisch, lufthygienisch) gemacht werden können.
Auf darüber hinausgehende gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Lärm, Gerüche oder
starken Wind, die in Einzelfällen durchaus bedeutend sein können, wird an dieser Stelle nicht
eingegangen.
Photoaktinischer Wirkungskomplex
Eine strahlungsklimatische gesundheitliche Beeinträchtigung des Menschen, insbesondere
durch hohe UV-Strahlungsstromdichten (im Spektralbereich 100 nm < λ < 400 nm) dürfte
unter den gegenwärtigen mitteleuropäischen Klimaverhältnissen noch kein spezifisch städtisches Problem darstellen. Das könnte sich jedoch ändern, wenn es vor dem Hintergrund einer
weiteren Abnahme der stratosphärischen Ozonkonzentrationen zu einem Anstieg der erythemauslösenden beziehungsweise melanominduzierenden ultravioletten Strahlung kommt.
Anders als bei den weiter unten zu besprechenden Wirkungskomplexen liegt bei der UVBestrahlung zwar im Vergleich zum Umland für den Menschen grundsätzlich keine ungünstigere Situation in der Stadt vor, jedoch bedingt die hier höhere Dichte sich im Freien aufhaltender Personen eine besondere Verantwortung sowie Möglichkeiten, durch planerische Maßnahmen für Beschattung (Bäume, Überdachungen, Arkaden usw.) zu sorgen. Daher wird auf
diesen Komplex im Folgenden kurz eingegangen.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
63
Zur einfachen Anwendung eines Qualtitätsanzeigers für die ultraviolette Strahlung wurde
ein UV–Index (UVI) für den in Deutschland am häufigsten auftretenden Hauttypen II (blond,
hellhäutig) eingeführt (Gl. 8), mit dessen Hilfe die Strahlungsbelastung und die Möglichkeit
des Auftretens eines Sonnenbrandes abgeschätzt und darüber hinaus - bei Überschreitung der
Expositionszeiten - Schutzmaßnahmen empfohlen werden können (Staiger u.a.1997). Der
UVI lautet:
UVI = Eer · 40 W-1 m2
(8)
mit Eer der erythemwirksamen Bestrahlungsstärke (W m-2) und 40 W-1 m2 als empirischer
Faktor. Durch die Faktorenmultiplikation in Gl. 8 wird sichergestellt, daß der Wertebereich
des UVI zwischen 0 (Minimum) und 12 (höchste Belastung) liegt. Der Term Eer kann zum
Beispiel nach den von der Strahlenschutzkommission (SSK 1995) gemachten Vorgaben berechnet werden. Danach weisen UVI–Werte von 1 eine niedrige Belastung auf, bei der ein
Sonnenbrand für den genannten Hauttypen unwahrscheinlich ist und Schutzmaßnahmen
demzufolge nicht erforderlich sind. Bei Index-Werten von mehr als 8 ist die Belastung allerdings als sehr hoch einzustufen, ein Sonnenbrand beispielsweise in weniger als 20 Minuten
möglich und Schutzmaßnahmen unbedingt zu empfehlen. In Deutschland können an strahlungsreichen Sommertagen UVI–Werte von bis zu 8 erreicht werden. Der UVI wird zum
Beispiel vom Deutschen Wetterdienst berechnet und findet über die tägliche Routinevorhersage in den Medien Verbreitung, so daß von der Bevölkerung eigenverantwortlich Vorsorge
vor zu starker Sonnenstrahlung getroffen werden kann. Flächenbezogen berechnete UVIWerte können von Seiten der Stadtplanung dazu herangezogen werden, öffentliche Freiflächen in Abhängigkeit von der Nutzung und der Aufenthaltsdauer der Bevölkerung durch
bauliche Maßnahmen zukünftig vor zu starker Sonnenstrahlung zu schützen.
Thermischer Wirkungskomplex
Zahlreiche epidemiologische Studien belegen den statistisch positiven Zusammenhang
zwischen Morbiditäts- /Mortalitätsraten und thermischer Belastung (z.B. Kan u.a. 2003,
Jendritzky u.a. 2004). Zur Bewertung des thermischen Milieus stehen verschiedene Kenngrößen zur Verfügung, die im wesentlichen auf der Energiebilanz des Menschen (Gl. 9; hier in
der Fassung von Höppe 1984) beruhen.
M + W + Q* + QH + QL + QSW + QRe + QN + QS = 0
(W Person-1)
(9)
mit M dem Gesamtenergieumsatz, W der mechanischen Leistung (Arbeitsleistung nach außen), Q* der Strahlungsbilanz, QH dem turbulenten Fluß fühlbarer Wärme, QL dem turbulenten Fluß latenter Wärme infolge epidermaler Wasserdampfdiffusion ohne Schweißdrüsenbeteiligung (perspiratio insensibilis), QSW dem turbulenten Fluß latenter Wärme durch
Schweißverdunstung, QRe dem Atemwärmefluß, QN dem fühlbaren Wärmefluß durch Anpassung von Nahrung an die Körperkerntemperatur und QS dem Speicherwärmefluß durch Veränderung der Körpertemperatur. Alle Einheiten in W Person-1.
Unter Berücksichtigung der Energiebilanz des Menschen wurden verschiedene anwendungsorientierte Bewertungsmethoden entwickelt (VDI 1998). Unter anderem handelt es sich
hierbei um: Das so genannte PMV (engl. predicted mean vote = mittlerer vorhergesagter
Wert), die Physiologische Äquivalente Temperatur (engl. physiological equivalent temperature, PET) und die gefühlte Temperatur (engl. perceived temperature, pt).
Der PMV ist ein gruppenbezogener psycho-physischer Wert, der rangmäßig denjenigen
Prozentsatz einer Probandengruppe angibt, der sich bei Exposition der jeweiligen thermischen
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Bedingungen subjektiv unbehaglich fühlt. Das daraus hervorgehende Klima-Michel-Modell
(KMM; Jendritzky u.a. 1990) kann für einen „Norm-Menschen“ unter Berücksichtigung
verschiedener bekleidungsabhängiger, meteorologischer und geografischer Eingangsgrößen
die thermische Behaglichkeit berechnen und anhand einer von –4 (sehr kalt) über 0 (behaglich) bis +4 (sehr heiß) reichenden Skala eine entsprechende Wertungsklassifizierung vornehmen.
Im Gegensatz zum PMV stellt der PET eine Bewertungsmöglichkeit dar, die mit der Maßeinheit Grad Celsius versehen wurde, um beim Anwender Verständnisschwierigkeiten auszuschließen, die sich eventuell bei der Verwendung abstrakter Größen – wie beim PMV – einstellen. Während für die Berechnung des PMV die außenklimatischen Bedingungen zugrundegelegt werden, bezieht der PET die außenklimatischen Verhältnisse auf ein Innenraumklima mit vorgegebenem Dampfdruck und unveränderlichen Isolationswerten der Bekleidung
einer sitzenden Standardperson, die einer leichten Bürotätigkeit nachgeht (Höppe und Mayer
1987).
Tab. 13: Zuordnung von PMV-, PET- und pt-Schwellenwerten zu gleichem thermischen Empfinden und entsprechender physiologischer Belastungsstufea (kombiniert nach verschiedenen Verfassern; aus Kuttler 1999)
Table 13: Relation of PMV, PET und pt thresholds to similar thermic feeling and equivalent physiological
loading levelsa (combined from different authors, after Kuttler 1999)
a
PMV
-3,5
PET
4 °C
pt
-39 °C
thermisches Empfinden
sehr kalt
physiologische Belastungsstufe
extreme Kältebelastung
-2,5
8 °C
-26 °C
kalt
starke Kältebelastung
-1,5
13 °C
-13 °C
kühl
mäßige Kältebelastung
-0,5
18 °C
0 °C
leicht kühl
schwache Kältebelastung
±0
20 °C
20 °C
behaglich
keine Wärmebelastung
0,5
23 °C
26 °C
leicht warm
schwache Wärmebelastung
1,5
29 °C
32 °C
warm
mäßige Wärmebelastung
2,5
35 °C
38 °C
heiß
starke Wärmebelastung
41 °C
3,5
extreme Wärmebelastung
sehr heiß
Die Festlegung der Schwellenwerte erfolgte jeweils auf Basis der unterschiedlichen Definitionen der Eingangsgrößen; siehe hierzu Kuttler (1999)
Die gefühlte Temperatur (pt) schließlich, die auch aus dem KMM berechnet wird, verwendet ebenfalls die Maßeinheit Grad Celsius und simuliert Außenbedingungen mit sich den
aktuellen Verhältnissen anpassenden Wasserdampfdrücken und entsprechenden Isolationswerten der Bekleidung, um den permanenten thermischen Komfort einer spazierengehenden
Standardperson zu gewährleisten.
Eine Zuordnung von PMV-, PET- und pt-Werten zu dem entsprechenden thermischen
Empfinden und der daraus abgeleiteten physiologischen Belastung enthält – unter jeweiliger
Berücksichtigung der entsprechenden Definition und Eingangsgrößen – Tab. 13.
Mit Hilfe dieser Größen sind flächendeckende Aussagen zum thermischen Wirkungskomplex möglich.
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Lufthygienischer Wirkungskomplex
Unter dem lufthygienischen Wirkungskomplex wird der Einfluß der in der Atmosphäre
enthaltenen Luftinhaltsstoffe auf die menschliche Gesundheit verstanden. Eine Bewertung der
Wirkung ist weitgehend in verschiedenen Regelwerken und Gesetzen festgelegt. Unterschieden werden in diesem Zusammenhang
• Genehmigungs- und Schutzstandards, in denen die Grenzen nicht mehr zumutbarer
Umweltbelastung im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG bestimmt werden,
• Wirkungsstandards, die wirkungsbezogene Werte für Mensch, Tier und Pflanze enthalten und
• Vorsorge- und Planungsstandards, die über den Weg einer politischen Entscheidung
auch regional unterschiedlich verbindlich gemacht werden.
Die hieraus resultierenden Kriterien weisen allerdings zahlreiche Mängel auf, die mit Mayer (1990) wie folgt zusammengefaßt werden können. Nicht für alle Spurenstoffe existieren
Grenzwerte. Auch wird die Kombinationswirkung verschiedener gleichzeitig auftretender
Spurenstoffe kaum berücksichtigt. Darüber hinaus beziehen sich die meisten der genannten
Bewertungskriterien grundsätzlich auf die Durchschnittsbevölkerung und schließen gesundheitlich labile Gruppen (z. B. Kleinkinder, alte Menschen) weitgehend aus. Auch wird mit
diesen Standards der Mobilität und damit der Aufenthaltsdauer der Stadtbewohner kaum
Rechnung getragen, das heißt, die entsprechende Dosis von Luftinhaltsstoffen, der die Menschen in zeitlicher Abhängigkeit ausgesetzt sind, wird für die Bewertung vernachlässigt.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die summarische Bewertung städtischer Luftverunreinigungen eine wichtige Rolle bei planerischen Entscheidungsprozessen spielt. Zwar läßt
sich eine derartige Gesamtbewertung der Luftqualität durch die Berücksichtigung einzelner
Luftschadstoffe vornehmen, der Nachteil ist jedoch, daß nur eine bestimmte Auswahl an
Leitsubstanzen berücksichtigt wird.
In diesem Zusammenhang sind Luftbelastungsindizes (LBI), bei denen es sich um die Angabe des Anteils einzelner Spurenstoffe an ihren jeweiligen Grenzwerten, jedoch unabhängig
von ihrer Wirkung, handelt, von Luftqualitätsindizes (LQI) zu unterscheiden, deren Wirkungsbezug auf toxikologischen und epidemiologischen Untersuchungen basiert (Mayer u.a.
2002). Auf die LQI kann hier nicht näher eingegangen werden. Die planungsbezogenen Luftbelastungsindizes (LBI1 = Jahresmittelwert; LBI2 = Kurzzeitbelastung) können mit Hilfe von
Gl. (10) und Gl. (11) berechnet werden, wobei sich die im Nenner stehenden Werte auf EUGrenzwerte beziehen.
LBI1 =
C( PM10 )
C( NO 2 )
C( Benzol) 
1  C(SO 2 )

+
+
+
4  20 µg m −3 40 µg m −3 40 µg m −3 5 µg m −3 
(10)
mit C dem arithmetischen Jahresmittelwert der Konzentration des jeweiligen Spurenstoffs (µg
m-3),
LBI2 =
1  N (SO 2 ) N ( NO 2 ) N ( PM10 ) N (CO ) 
+
+
+
4  24
18
35
1 
(11)
mit N der tatsächlichen Anzahl jährlicher Überschreitungen des jeweiligen EUKurzzeitgrenzwertes. Da es für CO keinen EU-Jahresgrenzwert gibt, wurde in Gl. (10) stattdessen Benzol aufgenommen. Ozon wurde nicht berücksichtigt, weil es sich mit raumplanerischen Mitteln zumindest nicht auf lokaler Ebene beeinflussen läßt. Anhand eines Bewertungs-
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schemas, das sich von „sehr geringer Luftbelastung“ (LBI1, LBI2 < 0,2) bis zu „starker Luftbelastung“ (LBI1, LBI2 > 0,8) erstreckt, können für die genannten Indikatoren summarische
Aussagen zur Lufthygiene gemacht werden.
STEUERUNG STADTKLIMATISCHER PROZESSE
Die Verbesserung von Klima und Luft in Ballungsräumen und Städten sollte von der Vorstellung getragen sein, ein „ideales Stadtklima“ durch planerische Eingriffe für die Stadtbewohner anzustreben. Hierunter wird „ein räumlich und zeitlich variabler Zustand der Atmosphäre in städtischen Bereichen (verstanden), bei dem sich möglichst keine anthropogenen
Schadstoffe in der Luft befinden und den Stadtbewohnern im bodennahen Bereich eine möglichst große Vielfalt an städtischen Mikroklimaten unter Vermeidung von Extremen geboten
wird“ (Mayer 19899. Eine derartige Forderung läßt sich in strengem Sinne nur dort realisieren, wo Neugründungen von Städten vorgesehen sind und bereits in der Planungsphase Stadtklimatologen in enger Abstimmung mit den Entscheidungsträgern zusammenarbeiten. Das
dürfte in großem Stil zum Beispiel auf den asiatischen, insbesondere auf den chinesischen
Raum zutreffen, wo in den nächsten Jahrzehnten eine Vielzahl von Millionenstädten geplant
ist. Realistischerweise gilt dies für bestehende Siedlungsräume nicht. Hier kann es allenfalls
Aufgabe der Stadtplanung sein, diesem Ideal durch Maßnahmen zur Minimierung der Belastungen und zu stadtklimatisch wirksamen Umfeldverbesserungen möglichst nahe zu kommen,
so daß zumindest ein „tolerierbares Stadtklima“ angestrebt werden kann. Die derzeit in einigen deutschen Großstädten zu beobachtende Bevölkerungsabwanderung eröffnet die Möglichkeit, bestehende Stadtstrukturen zukunftsweisend auf neue Anforderungen auszurichten
und dabei stadtklimatische Erkenntnisse in den Planungsvollzug zu integrieren. Das sollte als
Chance gesehen werden, freiwerdenden Wohnraum auch stadtklimatologisch sinnvoll umzuwidmen.
Von Barlag (1997) werden in diesem Zusammenhang verschiedene Handlungsfelder genannt, auf die hier Bezug genommen werden soll. Dabei sind flächenbezogene von verkehrsund objektorientierten Maßnahmen zu unterscheiden.
Zu den flächenbezogenen Maßnahmen zählen zum Beispiel eine Auflockerung der Bebauungsstruktur, die Schaffung oder Sicherung klimarelevanter naturbelassener Freiflächen sowie
die Erhaltung bzw. strukturelle Verbesserung von Luftleitbahnen über die Umlandfrischluft in
das bebaute Gebiet geführt werden kann. Neben Wasserflächen (Kuttler 1991) spielen in
diesem Zusammenhang innerstädtische Grünflächen eine besondere Rolle. Bei optimaler
Gestaltung verhindern oder reduzieren diese thermische Belastung, wenn ein Luftaustausch
zwischen ihnen und der bebauten Fläche gewährleistet ist. Klimameliorierende Eigenschaften
mit Fernwirkung werden von Horbert (2000) allerdings nur solchen Grünflächen zuerkannt,
die eine Mindestgröße von 50 ha aufweisen.
Aber auch kleinere Flächen können umweltverbessernd wirken, wenn diese über ein Verbundsystem (Luftleitbahnen) optimal miteinander vernetzt sind. Die Schaffung zusätzlicher
Grünflächen sollte bei Nutzungsänderungen (Industriebrachen, Bebauungslücken, ungenutzte
Bahnlinien, Verlegung von Parkraum unter die Erde etc.) ebenso ins Auge gefaßt werden, wie
die Möglichkeit der Begrünung von Hausfassaden und Dachflächen, die nicht nur für das
Einzelobjekt, sondern auch darüber hinaus positive Wirkungen auf das Stadtklima haben
(Höschele und Schmidt 1974).
Zu den verkehrsorientierten Maßnahmen zählen eine weitere Reduzierung der KfzEmissionen bzw. der verstärkte Einsatz emissionsarmer Fahrzeuge (Hybrid-, Elektro- und
Wasserstoffantrieb), die Vermeidung unnötiger Individualfahrten, ein optimales Verkehrsmanagement, das durch entsprechende Leitsysteme einen möglichst kontinuierlichen Verkehrsfluß sichert, ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrssystems mit Erhöhung der Takt-
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frequenz und - bei der Anlage neuer Wohngebiete – diese so zu gestalten, daß der Gebrauch
des Kfz für Versorgungsfahrten grundsätzlich minimiert werden kann.
Zu den objektorientierten Maßnahmen zählen eine Einschränkung des Energieverbrauchs
für den Gebäudebetrieb (Heizen, Kühlen, Lüften, Beleuchten) durch klimagerechtes Bauen
(Kuttler 1993). Hierunter ist eine optimale Standortwahl von Neubaugebieten mit entsprechender Gebäudekonzeption, -ausrichtung, -form, -anordnung und -wärmedämmung zu verstehen. Da nach wie vor ein großer Teil der Primärenergie für die Hausbeheizung aufgewendet werden muß, ist auf energiesparenden Wärmeschutz bei Gebäuden zu achten.
STADTKLIMA UND GLOBALE KLIMAENTWICKLUNG
Vor dem Hintergrund einer für das 21. Jahrhundert vorausgesagten Verdoppelung der atmosphärischen CO2-Konzentration wird für Europa davon ausgegangen, daß es zu einer
durchschnittlichen, regional jedoch durchaus unterschiedlich erfolgenden Erwärmung von
etwa 2 K gegenüber dem Vergleichsjahr 1985 kommt (Houghton u.a. 2001). Unter Zugrundelegung der Ergebnisse verschiedener numerischer Modellanalysen (Wagner 1994, Groß 1996)
soll der globale Einfluß auf die thermischen und lufthygienischen Verhältnisse mitteleuropäischer Großstädte exemplarisch kurz dargestellt werden.
Tab. 14: Klimatologische Ereignistage (in mittlere Anzahl Jahr-1) für den Ballungsraum Berlin unter gegenwärtigen und veränderten Klimabedingungen (Szenario A für Ende 21. Jahrhunderts), verändert nach Wagner (1994)
Table 14: Climatological event days (in mean number year-1) for the Berlin area present and with changed
climate status (scenartio A end of 21th century), chaged after Wagner (1994)
Klimatologische Ereignistage
Gegenwart
Modellierung
Änderung
Extrem heiße Tage tMax ≥ 39 °C
0,01
0,04
+ 0,03
Heiße Tage tMax ≥ 30 °C
5,4
11,7
+ 6,3
Sommertage tMax ≥ 25 °C
27,2
41,8
+ 14,6
Frosttage tMin ≤ 0 °C
56,6
38,6
- 18,0
Eistage tMax ≤ 0 °C
22,0
8,8
- 13,2
0,7
0,11
Extrem kalte Tage tMax ≤ -10 °C
- 0,59
Wie sich die thermischen Bedingungen als Folge der Modellszenarien für Berlin verändern
werden, zeigt Tab. 14 anhand der Darstellung ausgewählter klimatologischer Ereignistage. So
wird zum Beispiel die Winterstrenge (Anzahl der Eis- und Frosttage) abnehmen, die Sommerwärme (heiße Tage und Sommertage) hingegen zunehmen. Daraus dürfte eine Energieeinsparung im Winter wegen reduzierter Beheizung von Gebäuden resultieren, der im Sommer
hingegen ein gesteigerter Betrieb von Klimaanlagen wegen des zunehmenden Bedarfs an
Kühlung gegenübersteht, Letzteres allerdings nur, wenn die Anzahl der Gebäudeklimaanlagen
erhöht wird.
Für die Stadt Essen konnte zum Beispiel anhand des Stromverbrauchs berechnet werden,
daß durch den winterlichen Minderverbrauch der Jahresverbrauch um 8% zurückgehen wird.
Ein Teil dieser Einsparung würde allerdings durch verstärkten Betrieb von Klimaanlagen in
den warmen Monaten wieder aufgezehrt, so daß die Jahresstromeinsparung nur noch bei 5%
liegt (Kuttler 2001).
In subtropischen Ländern spielt der winterliche Energieeinsatz hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Wichtige Steuerungsgröße im Energieverbrauch stellt hier die sommerliche
Raumkühlung dar. Dieser dürfte sich, nach Untersuchungen im Großraum Los Angeles, im
Vergleich zu 1985 um ein Drittel erhöhen (Oke 1994). Der höhere Verbrauch dürfte zu einer
zusätzlichen städtischen Überwärmung, stärkeren Luftbelastung durch anthropogene Spurenstoffe und Verringerung der für die Energiebereitstellung notwendigen Ressourcen führen.
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Die genannten Beispiele aus den beiden Klimazonen belegen, daß der regionale Aspekt einer
globalen Klimaveränderung einen großen Einfluß auf den Energieverbrauch haben wird.
Doch auch der bodennahe atmosphärische Austausch wird durch eine prognostizierte globale Erwärmung verändert. Für Berlin konnte Groß (1996) exemplarisch nachweisen, daß es
zu einem häufigeren Auftreten hochreichender Temperaturinversionen (> 300 m) kommen
wird, und zwar im Vergleich zu 1985 um mehr als 20%. Die Anzahl flacher bzw. geringmächtiger Inversionen dürfte nach den vorliegenden Modellaussagen abnehmen. Da mächtigere Inversionen im Vergleich zu flachen Inversionen eine größere Erhaltungsneigung aufweisen, dürfte sich hierdurch das Problem der Luftverunreinigung aufgrund der längeren
Dauer derartiger Episoden verschärfen.
Um sowohl der sommerlichen Überwärmung als auch dem prognostizierten Anstieg sekundärer Luftverunreinigungen entgegenzuwirken, sollte der Anteil an Grünflächen in den
Städten erhöht werden, da diese durch Reduktion der Oberflächen- und Lufttemperaturen
nicht nur den thermischen Komfort erhöhen, sondern auch zu Energieeinsparungen durch
Beschattung und Verdunstung führen, sowie in Küstenstädten dem Windschutz dienen. Würde bei der intensiven Begrünung städtischer Areale ferner darauf geachtet, daß nur solche
Pflanzen Verwendung fänden, die hinsichtlich der Freisetzung biogener VOC (BVOC, insb.
Isopren, Monoterpene) zur Gruppe der so genannten emissionsarmen Spezies zählen (Freisetzung von < 2 µg g-1 h-1 (g = Gramm Blatttrockenmasse) an Isopren sowie < 1 µg g-1 h-1 an
Monoterpenen; Taha 1996), dann würde einer pflanzenbedingten Produktion an Ozonvorläufergasen dadurch kein Vorschub geleistet.
AUSBLICK
Die Stadtklimatologie hat sich insbesondere in Deutschland während der vergangenen
Jahrzehnte als eine wichtige Teildisziplin der Umweltmeteorologie etabliert. Neben der Weiterentwicklung der Grundlagenforschung beruht die zunehmende Bedeutung dieses Fachgebietes in erster Linie auf seinem Anwendungsbezug, der beinahe sämtliche Ebenen der räumlichen Planung umfaßt. Messungen und Modellrechnungen fällt dabei eine besonders große
Rolle zu. Zukünftig werden umfangreiche Aufgaben von der Stadtklimatologie zu bewältigen
sein; nicht nur in den westlichen Industrieländern, wo es aufgrund der Bevölkerungsdynamik
zu einem Umbau der Ballungszentren kommen wird, sondern auch in den Megastädten der
Schwellen- und Entwicklungsländer, deren umweltmeteorologische Probleme im Bereich
Klima und Luft zum Wohle ihrer Bewohner gelöst werden müssen.
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KORRESPONDENZADRESSE
Univ:-Prof. Dr. Wilhelm Kuttler
Universität Duisburg-Essen, Campus Essen,
Institut für Geographie, Abt. Angewandte Klimatologie und Landschaftsökologie,
Universitätsstraße 5,
D-45141 Essen,
[email protected]
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Klimafolgenforschung: Mögliche Auswirkungen von Klimaänderungen auf die Gesellschaft
Climate impact research: possible impacts of climate changes on society
Manfred Stock
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
ZUSAMMENFASSUNG
Die Klimafolgenforschung verknüpft eine Vielzahl von Disziplinen aus Natur- und Gesellschaftswissenschaften, verwendet deren Methoden sowie insbesondere solche, die fachübergreifend sind, wie Computersimulationen. Es ergeben sich daraus neue Erkenntnisse zu den
klimarelevanten Wechselwirkungen im Erdsystem unter Beteiligung der Menschheit. Darüber
hinaus zeigen die Ergebnisse, wie gefährlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft begegnet
werden kann. Dabei geht es nicht um Prognosen, sondern um Indikatoren zur Wahrnehmung
kritischer Bereiche, wo bestehenden Verwundbarkeiten gegenüber Klimaänderungen durch
Verringerung von Belastungen und Wahrnehmung von Anpassungspotenzialen begegnet
werden kann. Beispiele dazu sind u.a. aufgezeigte Möglichkeiten zum Umbau des Energiesystems und zur Auseinandersetzung mit dem globalen Problem der Wasserversorgung. Fortschritte, Möglichkeiten und Grenzen der heutigen Klimafolgenforschung werden anhand
einiger Fallstudien aufgezeigt. Die Beispiele behandeln die Auswirkungen des Klimawandels
auf Seengebiete in aller Welt, Europas Küsten, Landschaften in den USA, Südamerika und in
Deutschland und auf die dort lebenden Menschen. Nur in Ausnahmefällen werden Prognosen
versucht, die neben der Klimaänderung auch Szenarien der zukünftig betroffenen Gesellschaft
einbeziehen. Überwiegend wird stattdessen anhand eines zukünftigen Klimaszenarios analysiert, wie verwundbar die heutigen Strukturen in einer Region sind. Ziel ist die Identifikation
von Schwachstellen und von Maßnahmen um diese zu beseitigen. In der Regel werden dazu
einerseits globale Klimaszenarien und andererseits regional spezifische Wirtschaftsstrukturen
betrachtet. Inzwischen werden aber zunehmend regionalisierte Modelle und Szenarien zur
genaueren Beschreibung der Klimaänderung herangezogen, da die konkreten Auswirkungen
vielfach nur damit realitätsnah genug ermittelt werden können. Dies wird am Beispiel der
Brandenburg-Studie näher beleuchtet.
ABSTRACT
Climate Impact Research combines a number of scientific disciplines from natural as well
as from economic and social sciences. Integrating methods are developed and used in addition
to the various disciplinary ones. New results are produced about climate relevant interactions
within an Earth system, which includes human societies. These results point out how to cope
with possible negative impacts on society. That’s not a question of prediction but of perception. Where are the necessities for a conversion of energy systems, where the adaptive capacities of society to reduce vulnerability with respect to critical impacts of climate change, e.g.
concerning water supply? Some case studies are described to show progress, potentials and
limits of present day climate impact research. The examples given cover impacts on Lakes
worldwide, Europe’s cost lines, landscapes in the USA, South America and in Germany and
on the people living there. Forecasts using not only future scenarios of climatic but of societal
change as well are rare. It is rather state of the art to use future climate scenarios to analyse
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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the vulnerability of today’s regional structures. The objective is to identify weak points and
measures to eliminate them. Mostly the analysis is based on the consideration of global climate scenarios on one hand and regionally specific economic patterns on the other. But now
regionalized climate models and scenarios are used more and more to describe climate
change. In most impact studies more accurate and concrete results are obtained and this is
demonstrated in the Brandenburg study.
PROBLEMSTELLUNG UND GRUNDLAGEN
Klimaänderungen: Wirkungen, Folgen und Optionen
Interdisziplinäre Positionierung der Klimafolgenforschung
Die Klimafolgenforschung ist ein relativ junger Zweig der Forschungslandschaft. Als das
1988 gegründete „Intergovernmental Panel on Climate Change“ seinen ersten Bericht zum
Stand des Wissens beim Klimawandel vorlegte (IPCC 1990), erschien das mögliche Ausmaß
einer Veränderung des Erdklimas durch anthropogen freigesetzte Treibhausgase wahrscheinlich genug, um konkret nach möglichen Folgen dieser Veränderung zu fragen. Dies brachte
zuerst ein weltweit bestehendes Defizit zu Tage. Nur punktuell gab es naturwissenschaftliche
Ergebnisse zu Veränderungen bei Ökosystemen, z.B. zum Einfluss erhöhter CO2 Konzentrationen auf das Pflanzenwachstum (Kimball 1983) oder von Klimaänderungen auf terrestrische
Ökosysteme (Emanuel 1985) und die Landwirtschaft (Parry 1989). Zu einer umfassenderen
und vergleichenden Abschätzung möglicher Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation
fehlten Methoden, Daten und Forschungseinrichtungen. Seitdem hat sich einiges getan. Es
gibt inzwischen ein Vielzahl an Beobachtungen zu Auswirkungen der laufenden Klimaänderung sowie signifikante Indizien dafür, dass der Mensch inzwischen einen wesentlichen Anteil daran hat (Claußen 2003). Dies bedeutet eine neue Qualität gegenüber den früheren Klimaänderungen der Erdgeschichte, man spricht vom Klimawandel als Teil des „Globalen
Wandels“ (WBGU 1996). Zur Frage möglicher zukünftiger Auswirkungen gibt es inzwischen
einige orientierende Aussagen, das Gesamtbild ist aber immer noch lückenhaft. Ein Problem
der Klimafolgenforschung ist, dass die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen erforschten Wechselwirkungsprozesse stark miteinander gekoppelt sind, die Disziplinen hingegen kaum.
Abb. 1: Bestandteile und Wechselwirkungsprozesse im Erdsystem mit Klimasystem und Gesellschaft.
Fig. 1: Compartments and relationships in the Earth and climate system with the society
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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In der Praxis ist interdisziplinäre Zusammenarbeit nach disziplinär orientierten Arbeitseinheiten organisiert, die selbständig erarbeitete Ergebnisse und Daten untereinander austauschen. Um die Passfähigkeit der Daten im Rahmen der gemeinsam bearbeiteten Fragestellung
und damit die wissenschaftliche Seriosität des Gesamtergebnisses sicherzustellen, ist eine
Festlegung auf ein gemeinsames Bezugssystem nötig, in dem für jedes Arbeitsgebiet Position
und Wechselwirkung mit anderen definiert ist. In der Klimafolgenforschung ist der Bezug das
Klimasystem mit Verknüpfungen zur Gesellschaft, wie sie für die jeweils untersuchte Frage
relevant sind. Abb. 1 zeigt solche Verknüpfungen über Stoff-, Impuls- und Energieflüsse. Das
Klimasystem mit seinen Subsystemen, Atmosphäre, Ozean, Eisflächen, Umweltsysteme und
Umweltressourcen deckt sich weitgehend bis einige km unter der Erdoberfläche mit dem
System Erde. Die Erforschung dieses Systems erfordert in erster Linie eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit der Naturwissenschaften. Bei der Frage der anthropogenen Ursachen von
Klimaänderungen, wie Treibhausgasemissionen oder Landnutzung, und erst recht bei der
Frage möglicher Auswirkungen erweitert sich das Erdsystem um zivilisatorische Komponenten und es sind daher außerdem wirtschafts- und sozialwissenschaftliche (sozioökonomische)
Disziplinen und ihre Methoden unabdingbar. Bereits in den Anfängen der Klimafolgenforschung wurde deutlich, dass ein interdisziplinäres Arbeiten an einer gemeinsamen Fragestellung, indem eine Disziplin mit den von einer anderen erzielten Ergebnissen sequenziell weiterarbeitet, der Realität komplexer Systeme nur bedingt gerecht werden kann. Aus der Analyse der Wechselwirkungen im Erdsystem ergeben sich Notwendigkeit und Form neuer transdisziplinärer Methoden zur Überwindung bestehender kommunikativer Barrieren und methodischer Inkompatibilitäten.
Klimafolgen als Ergebnis von Wechselwirkungen im komplexen Erdsystem
Einen Zugang zur Analyse des Erdsystems ermöglicht die (disziplingerechte) Aufteilung in
Teilsysteme, wie Ökosysteme, Gesellschaftssysteme, Märkte oder das Klimasystem. Zu erfassen sind die in den Teilsystemen ablaufenden Prozesse, sowie die zwischen ihnen stattfindenden Austauschprozesse von Energie, Waren, Stoffen und Informationen. Die Systeme verändern sich infolge dieser Austauschprozesse selbst wieder. Diese Wechselwirkungen führen zu
komplexen Beziehungen zwischen Ursachen und Folgen. Mehrere Ursachen führen mit- und
gegeneinander wirkend zu einem Bündel von Folgen, wobei die lineare Beziehung „aus A
folgt B“ verwischt werden kann. Entstandene Folgen werden später zu Ursachen weiterer
Folgen (Henne-Ei-Beziehung) und Wirkungen können direkt auftreten, oder indirekt durch
die Hintertür als Nebenwirkungen anderer Prozesse.
Abb. 2: Wechselwirkungsprozesse im
Erdsystem zwischen sozialen Systemen S,
Umwelt- und Ökosystemen U und dem
Klimasystem K. Während und durch die
Wechselwirkung verändert sich das Erdsystem vom heutigen Zustand (Index 0) mit der
Zeit zu einem anderen zukünftigen Zustand
(Index 1).
Fig. 2: Interactions within the Earth system
among social systems S, environmental and
ecosystems U and the climate system K.
While and via the relationship the Earth
system is changing from present state (0) to
another futire state (index 1) with time.
Abb. 2 skizziert links die gegenwärtigen (Index 0) für die Analyse von Klimafolgen relevanten Wechselwirkungen zwischen drei Systemen, dem sozioökonomischen System S mit
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Märkten und Akteuren, dem Klimasystem K und den Umwelt- und Ökosystemen U. Die
Wirkungen eines Systems auf ein anderes sind als Pfeil dargestellt. Es handelt sich um sechs
Arten der Wechselwirkung, die im folgenden charakterisiert werden:
1. Ressourcennutzung: Umweltressourcen werden vielfältig wirtschaftlich genutzt, z.B.
als Trinkwasser, Holz, Nahrungsmittel, Bodenschätze, Energieträger, Erholungsraum oder
Siedlungsgebiet. Die Nutzung kann zu Umweltschäden führen (2). Eine nachhaltige Nutzung
soll irreversible Schädigungen vermeiden.
2. Nutzungsbedingte Umweltveränderungen: Durch Nutzung bedingte Eingriffe in die
Umwelt können Rückwirkungen auf Qualität, Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Ressourcennutzung haben, im Beispiel ‚Trinkwasser’ also auf Wasserqualität und über dadurch
erforderliche Reinigungsmaßnahmen auf Wasserverfügbarkeit und Preis. Im Zusammenhang
mit Klimafolgen spielt ferner der expansive Flächenverbrauch der Gesellschaft eine Rolle.
3. Nutzungsbedingte Klimaveränderung: Je nach Intensität und Art der Energienutzung
in Wirtschaft und Gesellschaft werden Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt und
ebenso aus Landnutzungsänderungen durch Rodung oder Trockenlegung sowie aus landwirtschaftlicher Nutzung. Parallel dazu werden die klimatischen Eigenschaften der Erdoberfläche
infolge Landnutzung verändert (Wirkungskette (2)+(6)). Beides kann das Klima mehr oder
weniger stark verändern und dem versucht der Klimaschutz vorzubeugen.
4. Direkte Klimafolgen für die Gesellschaft: Bereits heute sind etwa 5 bis 10% des Bruttosozialprodukts der Industrienationen von Wetterschwankungen abhängig. Dies betrifft eine
Vielzahl von Branchen, die damit auch auf den Klimawandel empfindlich reagieren können
und die Klimafolgenforschung beschäftigt sich daher mit diesen Auswirkungen und ihrer
zukünftigen Entwicklung. Die Wahrnehmungen zur Veränderlichkeit von Klima und Umwelt
können des weiteren auch Verhaltensänderungen bewirken, z.B. zur Anpassung an unvermeidliche Folgen bei langfristigen Investitionsentscheidungen und Versicherungsoptionen,
oder beim Klimaschutz (3).
5. Klimafolgen über Umweltveränderungen: Infolge von Klimaänderungen ändern sich
verschiedene Umwelt- und Lebensbedingungen, zum Beispiel die regionale und saisonale
Niederschlagsverteilung und zusammen mit Landnutzungsänderungen auch Wasserqualität
und -verfügbarkeit. Diese Veränderungen der Umwelt wirken sich weiter auf die Ressourcennutzung aus (1).
6. Klimaveränderung durch Umweltveränderungen: Ökosysteme und Wasserressourcen können das lokale und regionale Klima beeinflussen. Umweltveränderungen durch den
Menschen (2) durch Flächeninanspruchnahme und Bewirtschaftungsmaßnahmen in Ökosystemen verändern Klimafunktionen der Landschaft. Die Abholzung von Wäldern oder das
Austrocknen von Wasserflächen kann z.B. Wüstenklima nach sich ziehen.
Je nach Art, Intensität und Geschwindigkeit dieser Wechselwirkungen zwischen den Systemen zum heutigen Zeitpunkt (Index 0) wird die Zukunft der Systeme (Index 1) anders aussehen, werden Märkte vergehen und neue entstehen (S1), die Klimaänderung moderat oder
drastisch ausfallen (K1) oder zum Beispiel Wasserressourcen entweder nachhaltig nutzbar
oder frühzeitig verbraucht sein (U1). Die Entwicklung des Gesamtsystems zwischen Gegenwart und Zukunft lässt sich mit einem gekoppelten nichtlinearen Differentialgleichungssystem
allgemein beschreiben:
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S1 = s(S0, dU/dt, dK/dt)
U1 = u(U0, dS/dt, dK/dt)
K1 = k(K0, dS/dt, dU/dt)
76
(1)
S, U und K sind Vektoren aus mehreren Variablen. Die konkrete Formulierung der Beziehungen der Variablen in den Gleichungen ist allerdings größtenteils noch nicht oder kaum
bekannt und Gegenstand der Klimafolgenforschung.
Sowohl die graphisch-verbale, wie auch die mathematische Beschreibung der Wirkungszusammenhänge zeigt, dass die Erforschung der Auswirkungen von Klimaänderungen auf die
Gesellschaft sich nicht auf lineare Wirkungsbeziehungen (4) und (5) + (1) beschränken kann.
Zur Komplexität der Wirkungszusammenhänge gehört die Dynamik, die zeitliche Veränderung der Systeme durch und während der Wirkung. Diese Dynamik kann gut in naturwissenschaftlichen Modellen abgebildet werden, die Klimaveränderungen mit der Zeit (K0→K1)
oder Umweltveränderungen (U0→U1) simulieren. Vernachlässigt werden dabei aber in der
Regel die während der Zeitspanne stattfindenden Wechselwirkungsprozesse der Teilsysteme
untereinander (S-U-K-S). Vereinfacht gesagt wird so beispielsweise der Einfluss der Klimaänderung in 50 Jahren auf die heutige Gesellschaft untersucht (K1→S0) statt auf die dann
entstandenen Strukturen (K1→S1). Einige Ökonomische Modelle hingegen erfassen explizit
diese Wechselwirkungsprozesse der Teilsysteme (S-U-K-S) untereinander, da sie Optimierungsstrategien verfolgen. Sie haben dagegen wiederum Probleme, die Dynamik der Systementwicklung über einen Zeitraum zu erfassen, wie es für Klimaänderungen erforderlich ist.
Die z.T. unterschiedliche Bewertung der Klimaproblematik durch Klimasystemforscher einerseits und Klimaökonomen andererseits hat hier eine Wurzel. Das Gleichungssystem (1) bringt
beide Gesichtspunkte zwar unter einen Hut, doch die zu seiner Lösung erforderlichen integrierten Systemmodelle sind noch nicht verfügbar.
Ziele der Klimafolgenforschung
Die Klimafolgenforschung hat wissenschaftliche und anwendungsnahe Ziele. Übergeordnete wissenschaftliche Zielsetzung ist es, die klimarelevanten Wechselwirkungen im Erdsystem (unter Einschluss der Menschheit) und ihre jeweiligen Beiträge zur nichtlinearen Dynamik des Systems zu verstehen. Aus diesem Verständnis heraus ergeben sich praxisrelevante
Aussagen darüber, welche Auswirkungen durch welche Klimaänderung unter welchen nichtklimatischen Randbedingungen sich zukünftig ergeben könnten. Es ist nicht Aufgabe oder
Ziel der Klimafolgenforschung Prognosen abzugeben. Ziel ist es vielmehr, die heute bestehenden Alternativen und Optionen für Entscheidungen oder Handlungen im Lichte der aus
ihnen sich möglicherweise ergebenden Auswirkungen, einschließlich sekundärer Nebenwirkungen, beurteilen zu können. Dies bedeutet, dass die Ermittlung von Auswirkungen darauf
abzielt, diese als erwünscht, unerwünscht oder tolerierbar einstufen zu können. Ziel der anwendungsnahen Klimafolgenforschung ist es demzufolge, Methoden zur Entscheidungsfindung bereit zu stellen, für die Durchführung oder Unterlassung von Maßnahmen zur:
•
•
•
Vermeidung katastrophaler Klimaänderungen,
Verminderung einschneidender Wirkungsmechanismen und
Anpassung an die unausweichlichen Folgen.
Aufgabe der Klimafolgenforschung ist daher die Bereitstellung von Methoden zur nachhaltigen Steuerung des komplexen Erdsystems (Schellnhuber 1998).
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
77
Ansätze und Methoden der Klimafolgenforschung
Die Klimafolgenforschung verwendet Daten und Methoden aus den beteiligten Fachdisziplinen und integriert sie mit Hilfe übergreifender, verbindender Methoden.
Integration der Methoden aus wissenschaftlichen Disziplinen
Inter- bzw. transdisziplinäre Projekte bestehen in der Regel aus sehr unterschiedlichen Forschungsgruppen und diese sind sehr heterogen aus Natur-, Sozial- und auch Nichtwissenschaftlern (Stakeholdern) zusammengesetzt. Entsprechend vielgestaltig sind die zum Einsatz
kommenden Methoden aus den wissenschaftlichen Fachdisziplinen.
Tabelle 1: Beteiligung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen an Projekten in der Klimafolgenforschung
(exemplarisch). Die Gruppierung in Spalten erfolgt nach den Wechselwirkungen in Abb. 2.
Table 1: Contribution of different scientific disciplins to projects in climate impact research (as an example).
Grouping within columns is according to the relationships shown in Fig. 2.
(1)
(2)
Ressourcen- Umweltnutzung
veränderung
infolge
Ressourcennutzung
Klimasystemforschung
(3)
Klimaveränderung
infolge Ressourcennutzung
(4)
Direkte Klimafolgen für die
Gesell-schaft
(5)
Indirekte
Klimafolgen
über
Umweltveränderung
(6)
Klimaveränderung
durch Umweltveränderung
Klimasystemmodellierung
Humanbiometeorologie
Agrarklimatologie
Klimasystemmodellierung
Ökosystemmodellie-rung,
Hydrologie,
Limnologie
Geologie,
Archäologie,
Paläontologie
Umweltsystemforschung
Forstwissenschaft
Waldschadensforschung,
Biodiversitätsforschung
Sozioökonomische
Forschung
Weltwirtschaftsmodelle
UmweltKlimapolitik,
schutzpolitik, KlimaRechtsökonomie
wissenschaft
Übergreifende
Wissenschaften
Informatik, Informations- und Computerwissenschaften,
Integrierte System-Analyse, Erdsystemanalyse, Geographie, Nichtlineare Dynamik,
Mathematik, Statistik, Spieltheorie, Steuerungstheorie, Umweltpsychologie
Kultursoziologie,
Gesundheitssystemforschung
Geschichtsforschung,
Umweltökonome
Tab. 1 gibt hierzu ohne Anspruch auf Vollständigkeit Beispiele, wie Gruppen von Fachdisziplinen (Zeilen) bestimmten Fragestellungen (Spalten) in einem Verbundprojekt oder Forschungsprogramm zur Klimafolgenforschung zugeordnet werden können. Besondere Bedeutung in der transdisziplinären Struktur haben übergreifende wissenschaftliche Ansätze und
Methoden zur Verknüpfung der Einzelbereiche, wie z.B. die Informatik (siehe 2.3) oder die
Umweltpsychologie.
Bei der Integration der verschiedenen Beiträge in einem interdisziplinären Verbundprojekt
sind unter anderem folgende Probleme zu lösen (Bronstert 1997):
•
Die verschiedenen Disziplinen oder Sektoren brauchen zur Abgrenzung und Verknüpfung
der Arbeiten sowie zum Austausch von Daten und Ergebnissen gemeinsame Definitionen
und eine gemeinsame Sprache.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
•
•
•
•
•
78
Unterschiedliche räumliche, zeitliche und funktionale Aggregationsebenen müssen aufeinander skalenbezogen abgestimmt (skaliert) werden.
Unterschiedliche Niveaus der Analyse müssen über Makrovariable und Indikatoren aufeinander bezogen werden.
Unsicherheiten und Unterschiede erfordern eine Diskussion von Randbedingungen, Fehlerausbreitung und Wahrscheinlichkeiten kombinierter Aussagen.
Unterschiedliche normative Aspekte und Wertungen müssen klar von den wissenschaftlichen Fragestellungen abgegrenzt werden und beispielsweise in Gestalt von Schwell- oder
Grenzwerten darauf Bezug nehmen.
Der Anwendungsbezug erfordert eine flexible interaktive Variation von Annahmen und
Szenarien, um die Sensitivität von Ergebnissen bei der Diskussion der Implikation mit
Entscheidungsträgern sichtbar zu machen.
Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass in inter- bzw. transdisziplinäre Projekten Ziele,
Kommunikationsstrukturen und Interessen der Beteiligten sehr verschieden sind und sie unterschiedliche Anforderungen an das Projektmanagement stellen. Gleichwohl bleibt dieser
Management-Prozess in der Regel unreflektiert und es fehlt an Methoden der Projektbegleitung. Hier kann eine gezielte umweltpsychologische Mediation Instrumente zur Steuerung
von Forschergruppen und Forschungsprozessen bereit stellen und so das Projektziel gefährdende Reibungsverluste vermeiden. Ein Beispiel ist das Verbundforschungsprojekt GRANO,
in dem Konzepte entwickelt und erprobt werden, die zu einer dauerhaft-umweltgerechten,
also nachhaltigen Nutzung von Agrarlandschaften in ausgewählten Regionen Nordostdeutschlands beitragen sollen (Aenis 1999).
Daten: Erhebung, Validierung und Anwendung
Der Umgang mit Daten, als Ausgangsinformationen, Zwischen- oder Endergebnisse von
Abschätzungen möglicher Auswirkungen mit verschiedenen Methoden und Modellen, ist
wesentlicher Bestandteil der Klimafolgenforschung. Die Daten können quantitativer oder
qualitativer Natur sein, sind sequentiell zeitlich geordnet oder räumlich als Teil eines Graphischen Informations-Systems (GIS), und ergeben Datensysteme hoher Inhomogenität. Die
Datenbestände werden an verschiedenen Orten in Datenbanken verwaltet und zentrale Metadatenbanksysteme eröffnen den Zugang dazu, beispielsweise CERA-2 (Climate and Environmental Data Retrieval and Archive System, http://pik-potsdam.de/cera).
Abb. 3: Geschwindigkeit (Y-Achse) und Stärke
(X-Achse) von Klimaschwankungen in den
vergangenen 850.000 Jahren auf der
Nordhalbkugel (Sassin 1988). Steigende und
fallende Temperaturwerte (langjährige Mittel)
markieren den Übergang von unkritisch,
kritisch und gefährlich für Ökosysteme.
Fig. 3: Speed (y axes) and power (x axes) of
climate variations within the last 850000 years
on Northern hemisphere (Sassin 1988). Ascent
and descent temperatures (longtime means)
mark the transfer from uncritical, crititical and
dangerous for ecosystems.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
79
Nützlich bei der Modellentwicklung und zur Validierung sind paläologische, historische
und aktuelle Datenquellen. Veränderungen der Temperatur lassen sich für die vergangenen
200 bis 300 Jahre anhand von instrumentellen Messreihen, für die vergangenen 1000 Jahre
anhand von Aufzeichnungen in Chroniken nachweisen. Wesentlich weiter zurück in die Vergangenheit reichen Temperaturdaten aus "Archiven der Natur", wie Eisbohrkerne, Baumringe
oder Seesedimente. Abb. 3 zeigt eine Datenanalyse von Klimaschwankungen der letzten
850.000 Jahre aus solchen Archiven (Sassin 1988). Die untere Kurve markiert die Schwelle,
ab der Klimafolgen in Ökosystemen feststellbar sind, die obere die Grenze, bis zu der Ökosysteme die Klimaänderungen noch überstanden haben. Oberhalb dieser Grenze liegt eine
Gefahrenzone, in der offen ist, wie sich Ökosysteme verhalten werden. Schnelle Klimaänderungen sind schon bei relativ geringer Temperaturerhöhung kritischer als allmähliche Änderungen.
Schwieriger als bei der Temperatur ist die Erfassung der Niederschlagsentwicklung und
kaum erforscht ist schließlich die Frage, ob und wie sich mit dem Klima die Häufigkeit von
Naturkatastrophen verändert hat. Aus historischen Archiven lassen sich zwei verschiedene
Typen von Daten gewinnen, zum einen Schilderungen von Anomalien und Naturkatastrophen
seit dem Mittelalter. Zum anderen findet man Aufzeichnungen der täglichen Witterung seit
dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Einer der Pioniere war der Abt Kilian Leib, Prior des
Klosters Rebdorf bei Eichstätt, Bayern, der vom April 1513 bis zum 31. Dezember 1531 das
tägliche Wetter nahezu lückenlos festhielt. Er wertete seine Aufzeichnungen aus, um den
Auswirkungen der Witterung auf Ernten und Preise nachzuspüren (Pfister 1999). Der klimatische Übergang vom sogenannten Klimaoptimum im Mittelalter zur Kleinen Eiszeit (15501850) ist durch eine Häufung von Wetteranomalien und eine große Variabilität gekennzeichnet. In den Aufzeichnungen finden sich Schilderungen sowohl von extremen Trockenperioden, wie von nasskalten Jahren und Flutkatastrophen.
Abb. 4: Variation des Erntebeginns beim Riesling von Schloss Johannisberg (Rheingau) in den Jahren 1784 bis
2000 (graue Punkte). Die Linie zeigt das gleitende Dekadenmittel (Stock 2003).
Fig. 4: Variation of beginning crop for riesling from castle Johannisberg (Rheingau) in the periode 1784-2000
(grey points). The solid line shows the decade average (Stock 2003).
Ergiebiger sind Aufzeichnungen aus dem Weinbau, der hinsichtlich geografischer Ausdehnung der Anbaufläche, Phänologie, Qualität und Ertrag ein aufschlussreicher Klimaindikator
ist. Im sogenannten Klimaoptimum des Mittelalters erstreckte sich der Weinbau in Deutschland sehr viel weiter nördlich als heute, so z.B. bis zum Zisterzienserkloster Bad Doberan an
der Ostseeküste. Auch in England war der Weinbau damals weit verbreitet und erlebt heute
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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eine Renaissance. Beobachtet wurde, dass sich in den letzten fünfzehn Jahren die Anbaufläche in Südengland auf 250% erhöht hat (Palutikof 2000). Auch die Zunahme der Rotweinproduktion in verschiedenen Anbaugebieten kann als Indikator angesehen werden. In Deutschland verdreifachte sich der Anteil der Rotweinsorten auf den Anbauflächen gegenüber Weißwein in den letzten zwanzig Jahren (Quelle: Deutscher Weinbauverband). Im Bordeaux hat
sich zwischen den Jahren 1960 und 2000 die Produktionsmenge roter AOC Weine versechsfacht (Jones, 2000). In den genannten Fällen spielt das Klima nur eine, wenn auch gewichtige,
Rolle neben anderen ökonomischen Faktoren. Enger mit dem Klima verknüpfte Indikatoren
sind die Zeitpunkte für Austrieb, Blüte, Reife- und Erntebeginn. Für diese Daten wird in den
Weinbaugebieten über die letzten Jahrzehnte ein durchgängiger Trend zur Verfrühung beobachtet. Abb. 4 zeigt dazu das Beispiel einer langjährigen Reihe des Rieslings-Erntebeginns
auf der Domäne Schloss Johannisberg (Rheingau) in den Jahren 1784 bis 2000 (Staab 2001).
Integrierte Computermodelle und Simulation nachhaltiger Energienutzung
Wie die Klimaforschung arbeitet auch die Klimafolgenforschung mit Modellen, die es ermöglichen den aktuellen Stand des Wissens, neue Hypothesen oder den Einfluss verschiedener gekoppelter Parameter auf das Resultat in Computersimulationen im Vergleich zu Beobachtungsdaten zu untersuchen. Mit Hilfe derartiger validierter Modelle lassen sich zukünftige Entwicklungen von Klimaänderungen und ihrer Auswirkungen abschätzen. Die Komplexität der zu untersuchenden Fragestellungen erfordert den Einsatz integrierter Modelle, die aus
verschiedenen Teilen (ähnlich wie in Abb. 1) zusammengesetzt werden. Dazu gehören folgende Schritte:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Formulierung einer wissenschaftlichen Fragestellung, Identifikation von Kriterien zur
Evaluierung der Resultate und Aufteilung in geeignete überschaubare Arbeitspakete (Module),
Erfassung der wesentlichen Prozessparameter und ihrer Beziehungen (Erhaltungssätze,
Stoffparameter u.a.), der Eingangsdaten mit Annahmen und Unsicherheiten (Szenarien)
und Schnittstellen zwischen den Modulen,
Modulweise Beschreibung der Prozesse in Form mathematischer Modelle mit Differential- und Integralgleichungen oder regelbasierten qualitativen (Fuzzy) Beziehungen,
Diskretisierung und Auswahl geeigneter Algorithmen und numerischer Näherungs- und
Lösungsverfahren,
Umsetzung der Module in Computerprogramme zu Simulationsrechnungen,
Modulweise Parametervariation, Fehlerkontrolle, Bewertung der Simulationsergebnisse
und Nachbesserung,
Integration der Module zum integrierten Modell, wobei Softwaretools die Kombination
ganz verschiedenartiger Computermodelle erleichtern oder einen definierten Datenaustausch zwischen ihnen ermöglichen (Flechsig 2001),
Simulationsrechnungen und Parametervariationen, Fehlerkontrolle, Bewertung der Simulationsergebnisse und Nachbesserung des integrierten Modells oder einzelner Module
bzw. Schnittstellen,
Visualisierung, Parameterstudien, Aus- und Bewertung der Ergebnisse.
Ein Beispiel für ein integriertes Modell des globalen Wandels ist das IMAGE Modell
(Integrated Model to Assess the Greenhouse Effect, Alcamo 1998).
IMAGE setzt sich aus Modulen zu den Teilsystemen Energie-Industrie, LandnutzungUmwelt und Atmosphäre-Ozean zusammen. Für Klimaschutzstrategien werden KostenNutzen-Analysen ausgehend von (Nordhaus 1991, Fankhauser 1993) in integrierte Modelle
eingebaut. Ein erster wichtiger Beitrag ist das DICE-Modell (Dynamic Integrated Model of
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Climate and the Economy, Nordhaus 1993), das eine globale Analyse vornimmt. Für die
Klimaschutzverhandlungen sind aber geografisch explizite Modelle geeigneter, wie MERGE
(Model for Evaluating Regional and Global Effects of GHG Reduction Policis, Manne 1993)
oder das erwähnte IMAGE.
Abb. 5: Leitplankenansatz und
Berechnung von Energienutzungsalternativen mit dem MIND-Modell
(WBGU 2003). Der BAU-Pfad
(Business as usual) verlässt das
Fenster tolerierbarer Klimaentwicklungen während ein entsprechender
Umbau des Energiesystems einen
Pfad im Klimafenster ergibt.
Fig. 5: Limit aproach and calculation
of alternative energy uses by the
MIND model (WBGU 2003). The
BAU trail (Business as usual) is
escaping the window of tolerable
climate change while the relevant rearrangment of the energy system
results into a trail within the climate
window.
Einen innovativen Ansatz zur Berücksichtigung zentraler Variablen wie Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaftswachstum, Entwicklung des Energiebedarfs und des technologischen
Fortschritts innerhalb des Modellrahmen liefert das endogene Energiesystemmodell MIND
(Model of Investment and Technological Development, Edenhofer 2002), welches an ein
Klimamodell gekoppelt ist und innovative Techniken der Energieerzeugung oder der CO2Speicherung berücksichtigt. Damit lassen sich nachhaltige Pfade der Energienutzung unter
Klimaschutzzielen ableiten (WBGU 2003). Da MIND ein Optimierungsmodell ist, verläuft im
UmBAU-Fall in Abb. 5 die Temperaturentwicklung in Teilen direkt entlang der Grenze des
Klimafensters. Es wurde eine Klimasensitivität von 2,5 °C Erwärmung bei Verdopplung der
vorindustriellen CO2-Konzentration angenommen. Zugrunde liegt dem Klimafenster der
sogenannte Leitplankenansatz, demzufolge kritische Belastbarkeitsgrenzen ökologischer und
ökonomischer Systeme überschritten werden, wenn Klimaänderungen bestimmte, ein Toleranzfenster definierende, Schwellwerte für die Änderung der Temperatur (2 °C) und der dabei
befolgten Geschwindigkeit (0,2 °C/Dekade) übersteigen (WBGU 1996).
Analyse der Verwundbarkeit gegenüber Klimaänderungen
Die Auswirkungen des globalen Klimawandels hängen von verschiedenen Faktoren ab, die
in einer Region die Verwundbarkeit erhöhen oder verringern können und in Abb. 6 skizziert
sind. Klimaänderungen können unterschiedliche Belastungsformen, wie Stürme, Sturmfluten,
Hochwasser, Hitzewellen, Dürreperioden, u.s.w. für eine Region mit sich bringen. Verschiedene Regionen der Erde erfahren dabei unterschiedliche Formen und Stärken der Belastung.
Die potenziellen Auswirkungen der Belastung hängen außer von dieser auch davon ab, welche Wirtschaftsstrukturen, Öko- und Sozialsysteme die Region prägen und wie empfindlich
diese reagieren (Sensitivität).
Die regionale Verwundbarkeit oder Robustheit (Resilienz) gegenüber Klimaänderungen
ergibt sich aus den potenziellen Auswirkungen und deren Abpufferung infolge vorausschauendem Einsatz heute erkennbarer Anpassungspotenziale.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
82
Abb. 6: Elemente einer Verwundbarkeitsanalyse für Regionen im Klimawandel zur Ermittlung und Nutzung von
Anpassungspotentialen (Klein 2001)
Fig. 6: Elements of an injure analysis for regions with climate change for assessment and use of adapting potential (Klein 2001)
Szenarien möglicher zukünftiger Belastungen
Am Anfang der Untersuchungen steht die Auswahl eines globalen Klimaänderungsszenarios z.B. aus den Vorgaben des (IPCC 2001), wie sie als farbige Kurven in Abb. 7 wiedergegeben sind. Die Spanne für die globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 beträgt 1,4 bis 5,8 K,
dargestellt als grauer Fächer, der sich aus den Unsicherheiten der globalen Klimamodelle
(GCM) ergibt.
Abb. 7: Änderung der Temperaturdifferenz zu 1990 (globale Jahresmittelwerte) zwischen 1900 und 2100 für
verschiedene Emissionsszenarien (IPCC 2001)
Fig. 7: Changing temperature difference related to 1990 (global annual means) between 1900 and 2100 for
different emission scenarios (IPCC 2001)
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83
Aussagen zur zukünftigen Klimaentwicklung einer Region und damit zu den Belastungen
lassen sich nicht direkt aus globalen Modellrechnungen ableiten, da deren räumliche Auflösung zu grob ist. Deshalb müssen die großräumigen Informationen aus dem Modell mit Hilfe
spezieller Verfahren zu aussagekräftigen regionalen Informationen "herunterskaliert" werden.
Die Sicherheit bzw. Unsicherheit der Aussagen ist bei den Verfahren recht unterschiedlich zu
beurteilen, insbesondere bezüglich der auswirkungsrelevanten Niederschlagsentwicklung.
Große Unsicherheiten bestehen noch bei Aussagen zur Entwicklung von Variabilität und
extremen Wetterereignissen. Drei Methoden der Regionalisierung der Klimaentwicklung
werden zur Zeit verfolgt und im folgenden beschrieben.
a)
Regionale Klimamodelle
Es wird ein regionales Klimamodell mit kleiner räumlicher Auflösung auf der gleichen
physikalischen Grundlage wie ein GCM entwickelt und in dieses entsprechend der Lage der
Untersuchungsregion eingebettet (Machenhauer 1996). Die Informationen zwischen beiden
Modellen werden über gemeinsame Schnittstellen ausgetauscht. Die physikalischen Prozesse
werden hier am besten erfasst, soweit sie modellierbar sind. Jedoch beeinflussen die Modellfehler des GCM noch zu stark die regionalen Ergebnisse. Von Nachteil ist der außerordentlich
hohe Rechenzeitbedarf, der nur Zeitscheibenexperimente begrenzter Dauer (z.Z. max. 10
Jahre) ermöglicht. Die Entwicklungsperspektiven der regionale Klimamodelle lassen erwarten, dass in wenigen Jahren Aussagen zur Entwicklung von Extremwettersituationen möglich
sein werden.
b)
Statistisches "Downscaling"
Mit Hilfe statistischer Verfahren wird versucht, ein Zusammenhang zwischen dem großräumigen und dem regionalen Verhalten einzelner meteorologischer Größen für bereits abgelaufene Zeiträume herzustellen. Dieser Zusammenhang wird auf die Zukunft übertragen und
aus der zukünftigen großskaligen Entwicklung auf die regionale geschlossen (Zorita 1993).
Vorteile liegen in der relativ einfachen Handhabung der Methodik und einem geringen Rechenzeitaufwand. Der Nachteil ist, dass Fehler des GCM voll in die Untersuchungsregion
übertragen werden.
c)
Statistische Kopplung globaler Trendaussagen mit regionalen Beobachtungsdaten
Aus globalen Klimamodellen ist man z.Z. in der Lage, für größere Regionen und einzelne
meteorologische Größen, wie die Temperatur, relativ gesicherte Aussagen über deren zukünftige Entwicklung abzuleiten. Diese Trends lassen sich als generalisiertes GCM-Ergebnis ohne
Informationsverlust in eine kleinräumige Untersuchungsregion transformieren. Mit Hilfe
eines speziellen multivariaten statistischen Verfahrens werden beobachtete meteorologische
Parameter der generalisierten Größe so zugeordnet, dass ein in sich physikalisch konsistentes
Zukunftsszenarium des Regionalklimas entsteht (Gerstengarbe 1997, Werner 1997). Hier
werden die Fehler des GCM für die Region auf ein Minimum reduziert und die Berechnung
beliebig vieler Realisierung eines Szenariums ermöglicht eine hohe statistische Sicherheit der
Aussagen zur Klimaentwicklung. Nachteilig ist, dass das Andauer-verhalten einzelner meteorologischer Größen unterschätzt werden kann. Diese dritte Methode scheint derzeit am besten
für auswirkungsrelevante Trendaussagen geeignet zu sein und verbleibende Fehler bei Niederschlag und anderen Größen wurden auf unter 10% evaluiert. Für die anderen Verfahren
ergeben sich wesentlich größere Fehler. Mit dieser Methode lassen sich detaillierte Analysen
der möglichen regionalen Auswirkungen des Klimawandels durchführen (Gerstengarbe
2003).
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84
Spezifische Sensitivitäten gegenüber Klimaänderungen
Regionen und Wirtschaftszweige reagieren unterschiedlich empfindlich auf eine Belastung
durch Klimaänderung. Diese spezifische Sensitivität ist, wie in Abb. 8 vereinfacht skizziert,
durch kritische Schwell- und Grenzwerte charakterisiert (Bruckner 1999). Unterhalb eines
Schwellwerts sind die Auswirkungen nicht signifikant, während sie oberhalb eines kritischen
Grenzwertes die Belastbarkeit eines Systems übersteigt. In der Regel hat ein System mehrere
Schwell- und Grenzwerte gegenüber unterschiedlichen Belastungsformen, wie hohe oder tiefe
Temperaturen, geringe oder kräftige Niederschläge. Die Sensitivität von Gesellschaftsstrukturen hängt beispielsweise ab von der geographischen Lage (Küste, Gebirge, Flusstäler, Stadt,
Land), der Wirtschaftskraft und der spezifischen demographischen, kulturellen und ökonomischen Strukturen.
Abb.
8:
Die
Auswirkungen
des
Klimawandels (climate impact) hängen
nicht-linear von der Belastung ab (climate
change). Sie treten erst oberhalb eines
kritischen Schwellwerts in Erscheinung,
um bei Über-schreitung eines kritischen
Grenzwertes
drastisch
anzustei-gen
(Bruckner 1999)
Fig. 8: Climate impacts depends non-linear
from climate change. Only above a critical
value they are observable and exeeding a
critical threshold, they increase drastically
(Bruckner 1999)
Analyse potenzieller Auswirkungen
a)
Veränderungen und Verschiebungen klimatischer Bezugsgrößen
Meeresspiegelanstieg
Die Temperaturerhöhung gemäß Abb. 7 führt infolge Wärmeausdehnung zu einem Anstieg
des Meeresspiegels im Bereich von 0,2 - 0,7 m im globalen Mittel in den nächsten 100 Jahren.
Berücksichtigt man auch die unsicheren Veränderungen beim Inlandeis, so erweitert sich die
Spanne auf 0,1 – 0,9 m (IPCC 2001). Die regionalen Unterschiede werden insbesondere durch
Meeresströme und Stürme verstärkt und können beträchtlich sein. Auswirkungen sind erhöhte
Küstenerosion, sowie Versalzung und Degradation von Böden.
Klimazonen
Nach jüngsten Untersuchungen unter anderem am PIK sind die in den letzten 100 Jahren
zu beobachtenden Verschiebungen von Klimazonen beträchtlich. In Deutschland können sie
regional z.T. bis zu vier Zonen ausmachen (Fraedrich 2001). Die Folgen dieses weltweit zu
beobachtenden Phänomens sind verstärkter Anpassungsdruck und Artenschwund. Rückwirkungen auf das Klimasystem (Albedo, Kohlenstoff- und Wasserkreislauf, Permafrostböden,
etc.) sind zu erwarten. Die Analyse der Auswirkungen auf natürliche Ökosysteme geben erste
Hinweise für Anpassungsmaßnahmen in Wasserwirtschaft, Land- und Forstwirtschaft sowie
Verkehr, Tourismus, Energie- und Bauwirtschaft.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Nichtlineare Prozesse
Als nichtlineares System kann das Klima unter bestimmten Voraussetzungen selbst auf
kleine Änderungen stark und sogar sprunghaft reagieren. Veränderungen und Instabilitäten
können ozeanische Strömungen (‚Golfstrom‘) oder die Wechselwirkungen von Atmosphäre
und Ozean, wie El Niño Southern Oscillation (ENSO), North Atlantic Oscillation (NAO) oder
Monsun zeigen. Eine Begleiterscheinung sind Veränderungen der Klimavariabilität.
Großwetterlagen und Klimavariabilität
Einige Veränderungen der Charakteristik von Großwetterlagen über die letzten drei Jahrzehnte wurden beobachtet. Daraus lässt sich noch zwar kein stringentes Bild zukünftig veränderter Klimavariabilität erkennen, jedoch zeichnet sich ab, dass gewohnte regional spezifische
Praktiken und Erfahrungswerte, wie Baunormen oder Bauernregeln, zukünftig an geänderte
Bedingungen angepasst werden müssen. Für die Auswirkungen bedeutsam sind in diesem
Zusammenhang zu erwartende Veränderungen der Extreme.
b)
Extremwetterereignisse
Die etwa 5 bis 10% des Bruttosozialprodukts westlicher Industrienationen, die Wettereinflüssen unterliegen, entsprechen etwa 300 Milliarden US$. Dabei spielen Wetterextreme eine
große Rolle, die wahrscheinlich in einigen Regionen, aber nicht generell, häufiger und heftiger auftreten werden. Erste Trendanalysen deuten steigende Zahlen wetterbedingter Elementarereignisse (Stürme, Hochwasser, Lawinen, usw.) an. Dies ist überwiegend noch nicht statistisch signifikant, wohl aber die Zunahme der dabei verursachten Schäden, wie sie die Versicherer registrieren (Münchner Rück 1998-2002). Weitere – hier nicht näher erläuterte –
Niederschlagsextreme sind Hagel, Eisregen, extreme Schneefälle (Lawinen). Hier kann punktuell auch eine Zunahme eintreten, aber die Daten sind aber unsicherer als beim Starkregen.
1. Starkregen: Beobachtet wird eine Verschiebung von Dauer- zu Starkregenereignissen
sowie eine signifikante Veränderung bestimmter Großwetterlagen in Europa, die häufig mit
extremen lokalen Niederschlägen im Sommer verbunden sind (Fricke 2002). Beispiele sind
die Wettersituationen im Sommer 1997 bei der Oderflut oder der Elbeflut 2002. Der Klimawandel lässt bei den Folgen von Überschwemmungen, Sturzfluten und Erdrutschen eine
Zunahme erwarten. Vereinzelt zeigen sich bereits entsprechende Verschärfungen in Hochwasserstatistiken (Caspary 2000).
2. Nebeltage: Die Anzahl der Nebeltage wird möglicherweise vereinzelt lokal bis regional
häufiger, woanders seltener.
3. Stürme: Nachgewiesen wurden signifikante Veränderungen der Dauer von Großwetterlagen im Winter, die mit Weststürmen und starken Niederschlägen einhergehen (Werner 2000).
Ereignisse wie der Sturm ‚Lothar’ oder die Lawinenkatastrophe von Galtür, beides 1999, sind
damit verbunden. Erste statistische Nachweise für eine Zunahme von Stürmen liegen inzwischen vor. Seit den siebziger Jahren werden zunehmend höhere Wellen im Atlantik beobachtet (Grevemeyer 2000) und nach Modellrechnungen auch erwartet (Bauer et al. 2000). Die
Seegangswellen nehmen mit dem Quadrat der Windgeschwindigkeit zu und sind somit ein
empfindlicher Indikator für zunehmende Windstärken und –dauern. Durch den Klimawandel
wird mit einer weiteren Zunahme gerechnet.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
86
4. Dürreperioden: Wassermangel und seine Begleiterscheinungen, wie Gesundheitsgefahren, Nahrungsknappheit und Bodenerosion sind schon heute eine große Bedrohung in einigen
Regionen der Erde, wobei viele Faktoren neben dem Klima eine Rolle spielen. Auch hier
werden in Zukunft durch den Klimawandel zum Teil dramatische Verschlechterungen erwartet.
5. Hitzewellen: Betroffen von Hitzewellen sind vor allem ältere und sehr junge Menschen
sowie Personen, die an Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen leiden, während gesunde
erwachsene Personen über Abwehrmechanismen gegen einen begrenzten Temperaturanstieg
verfügen. Der Tod trifft in vielen Fällen ohnehin geschwächte Personen, bei denen der Zeitpunkt des Todes oft nur vorweggenommen wird. Entsprechend sinken die täglichen Todesraten in den Wochen nach einer Hitzewelle. Nach einer Studie in den USA betrifft dies 20-40%
der Todesfälle während einer Hitzeperiode (McMichael 1996). Untersuchungen in BadenWürttemberg für die Zeit von 1968 bis 1993 zeigen einen Anstieg der Mortalitätsrate um 10%
bei extremer Wärmebelastung und einen Rückgang um fast 3% in den darauf folgenden 40
Tagen (Jendritzky 1998). Hitzewellen haben deutlich stärkere Auswirkungen in Städten als in
den sie umgebenden suburbanen und ländlichen Gebieten, da die Temperaturen in der Stadt
Hitzeinseln ausbilden und eine nächtliche Abkühlung weitgehend ausbleibt. Dagegen bedrohen Wald- und Steppenbrände verstärkt naturnahe Gebiete. Ein mögliches Szenario für derartige Entwicklungen im Klimawandel lieferte der Extremsommer 2003.
6. Kälteextreme: Kälteextreme fordern bisher mehr Menschenleben als Hitzewellen. Sie
werden zukünftig weniger häufig erwartet – daher ergibt sich in der Gesamtbilanz für Temperaturextreme eine Verringerung der Schäden durch den Klimawandel. Dennoch sind auch
neue Kälterekorde wie in letzter Zeit in Sibirien nicht ausgeschlossen.
Wahrnehmung und Verminderung von Verwundbarkeit durch Anpassung
Die Untersuchungen in der Klimafolgenforschung stellen in der Regel Risiken und Gefahren des Klimawandels dar, indem sie seine potenziellen Auswirkungen ermitteln. Dem wird
als Kritik entgegengehalten, dass neben negativen auch positive Effekte zu erwarten sind, die
vernachlässigt werden. Positive Auswirkungen sind tatsächlich möglich und werden auch
beobachtet, z.B. im Weinbau, die Wirkungszusammenhänge liegen dabei aber im Bereich der
Schwellwerte von Abb. 8. Betrachtet man hingegen die Wirkungen im Bereich der höher
liegenden kritischen Grenzwerte, dominieren die Gefahren und Negativeffekte. Die Wahrnehmung dieser Grenzwerte ermöglicht aber ihre Beeinflussung durch Nutzung von Anpassungspotentialen.
Tab. 2 gibt Beispiele für Anpassungsmöglichkeiten in natürlichen und sozialen Systemen
(Klein 1999, IPCC 2001). Während erstere nur sich nur reaktiv unter Ausnutzung der Evolutionsmechanismen anpassen können, haben Gesellschaftssysteme theoretisch die Möglichkeit
zur vorausschauenden, antizipatorischen Anpassung an den Klimawandel. Dafür, wo Anpassungsmaßnahmen möglich, sinnvoll oder dringend geboten sind, kann die Klimafolgenforschung wertvolle Hinweise geben, indem sie insbesondere die Probleme von möglichen kritischen Auswirkungen analysiert. Die Nutzung möglicher Chancen durch den Klimawandel
kann anschließend eine Analyse wert sein.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Tabelle 2: Möglichkeiten der Anpassung an den Klimawandel mit Beispielen (nach Klein 1999)
Table 2: Possibilites for adapting the climate change with examples (after Klein 1999)
Antizipatorisch
Natürliche
Systeme
Privat
Soziale
Systeme
Öffentlich
•
•
•
•
•
•
mehr Versicherungen
Gebäudekonstruktionen auf
Stelzen
Neukonstuktion von Ölplattformen
Frühwarnsysteme
Neue Bauvorschriften und Konstruktionsnormen
Anreize für Umsiedlungen
Reaktiv
• Änderungen der Wachstumsperiode
• verändertes Artenspektrums in Ökosystemen
• abnehmendeFeuchtgebiete
• geänderte Bewirtschaftungsmaßnahmen
• geänderte Versicherungs-prämien
• mehr Klimaanlagen
•
•
•
Ausgleichszahlungen und Beihilfen
Kontrolle von Bauvorschriften
Küstenschutz und Deichverstärkung
Ein Beispiel für eine länderspezifisch sehr unterschiedliche Verwundbarkeit gegenüber
dem Klimawandel ist die Versorgung mit Trinkwasser. Die Regionen der Erde sind in davon
schon heute sehr unterschiedlich betroffen und es stellt sich die Frage, wo die Probleme sich
zukünftig unter dem Klimawandel verschärfen oder auch entspannen werden. Global sollte
eine Erwärmung die Verdunstung und damit die Summe der Niederschläge erhöhen. Da aber
auch mit erhöhter Variabilität zu rechnen ist, werden bestimmte Regionen in Fortsetzung
eines schon jetzt erkennbaren Trends abnehmende Niederschläge, andere dagegen zunehmende erhalten. Zur Identifikation kritischer Regionen wurde eine auf Indikatoren basierende
Methode entwickelt, die regional aufgelöst Veränderungen verschiedenster Art erkennen und
bewerten lässt. Bezogen auf das Beispiel der Wasserproblematik wurde ein regional aufgelöster, zusammengesetzter Indikator der Kritikalität K(r) in folgender Weise definiert:
Wasserentnahme
K(r) =
(2)
Wasserverfügbarkeit · Anpassungspotenzial
Die Methode und Ergebnisse wurde in Kapitel 3.1 des WBGU Jahresgutachtens beschrieben (WBGU 1998). Die Wasserentnahme wird bestimmt durch die regionale Bevölkerungsdichte, die in bezug auf Wassereffizienz und Wasserverschmutzung spezifischen Wirtschaftsformen, die Umweltbedingungen und die kulturellen Besonderheiten. Für die
Wasserverfügbarkeit sind Klima, Klimavariabilität, Vegetation, Bodenbeschaffenheit und
Hydro- und Topographie sowie wasserbauliche Maßnahmen von Bedeutung. Das schwieriger
zu fassende Anpassungspotenzial hängt z.B. ab von der standortspezifischen Wirtschaftskraft,
dem Know-how im Umgang mit Wasser, der Ver- und Entsorgungsinfrastruktur sowie der
Effizienz und Stabilität der politischen Institutionen. Effiziente Strukturen der Raumordnung
erhöhen dieses Potenzial ebenso, wie z.B. vorhandene Energieressourcen und Kapazitäten zu
Meerwasserentsalzung. Für die den Einfluss des Klimas auf die Wasserproblematik, wurden
neben Bevölkerungswachstum und Wirtschaftsentwicklung Szenarien für die
Wasserverfügbarkeit entwickelt.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Abb. 9: Kritikalität der Wasserproblematik
im Klima-wandel (WBGU 1998). a) oben:
globale Verteilung im Jahre 1995. b) unten:
Veränderung zwischen 1995 und 2050 für
ein Szenarium der Klimaänderung in
Kombination
mit
anderen
sozioökonomischen Faktoren.
Rot: Verschlechterungen, grün:
Verbesserungen, weiß: nicht signifikant
Fig. 9: Criticality of water management with
climate change (WBGU 1998). a) above:
global distribution in 1995. b) below: change
between 1995 and 2050 for a scenario of
climate change in combination with other
socioeconomic factors. red: decline. green:
improvements. white: non- significant
Abb. 9 zeigt das Ergebnis der Entwicklung bis zum Jahr 2025 für ein Szenarium, mit einem eher zurückhaltend eingeschätzten Problemlösungspotenzial und einer Klimaänderung
gemäß dem Szenarium „business as usual“ (IS92a: IPCC 1996), was etwa im mittleren Bereich der in Abb. 7 gezeigten Kurven liegt. Abb. 9a (oben) zeigt die errechnete geographische
Verteilung der Kritikalität für das Jahr 1995, Abb. 9b (unten) die Differenz dazu für das Jahr
2025. Positive Veränderungen zeigen z.B. Länder mit Erdölreserven, für die Meerwasserentsalzung eine Lösung ist. Zu den Gebieten, mit einer Verschlechterung der Wasserproblematik,
zählt die Region Berlin-Brandenburg, für die in einer detaillierteren Studie genauer die Auswirkungen auf Wasser- Forst- und Landwirtschaft und mögliche Anpassungsmaßnahmen
untersucht wurden (Gerstengarbe 2003).
FALLSTUDIEN
Fortschritte der Klimafolgenforschung
Ausprägung und Auswirkungen des Klimawandels sind regional sehr differenziert mit
teilweise sogar gegenläufigen Trends. Die Grundlagen zur unterschiedlichen Entwicklung der
Klimaparameter sowie der regionalen Empfindlichkeiten und Anpassungsmöglichkeiten
wurden im ersten Hauptteil dieses Beitrages erläutert. Konkrete Aussagen zu Klimafolgen
erfordern detaillierte Fallstudien mit den spezifischen regionalen Besonderheiten. Je nach
Verknüpfung von Ursachen und Folgen ist der regionale Bezug eher naturräumlich oder
administrativ. Studien zur Wasserverfügbarkeit orientieren sich oft an Flusseinzugsgebieten,
während bei der Wasserversorgung eher staatliche oder verwaltungstechnische Einheiten
betrachtet werden. Insgesamt gab es im letzten Jahrzehnt bedeutende Fortschritte bei Methodik und Konkretisierung der Aussagen zu möglichen Klimafolgen.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
89
Entwicklung der Methoden bei regionalen Fallstudien
Die Mehrzahl der Studien zur zukünftigen Klimaentwicklung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen verwenden globale Emissionsszenarien und die Ergebnisse globaler
Klimamodelle. Der Bezug zur Region erfolgt hauptsächlich über die jeweiligen spezifischen
Verwundbarkeiten. Ein gutes Beispiel für dieses Vorgehen mit Informationen zur unterschiedlichen regionalen Betroffenheit durch den Klimawandel liefert der letzte Bericht der Arbeitsgruppe 2 des IPCC (IPCC 2001) und speziell das Kapitel 13 zu Europa (Kundzewicz 2001).
Ein solcher global orientierter Ansatz liefert aufgrund der noch unzureichenden Auflösung der
globalen Modelle eine eher grobe Vororientierung und sollte zur Ableitung konkreter Maßnahmen durch regionalisierte Methoden ergänzt werden. Einige Studien versuchten, insbesondere in einem frühen Entwicklungsstadium der Klimamodelle, ohne diese auszukommen,
z.B. unter Verwendung extremer historischer Wetterdaten, wie in der weiter unten beschriebenen MINK-Studie (Rosenberg 1993). Inzwischen gibt es - zusätzlich zu diesen beiden
Herangehensweisen - drei unterschiedlich weit entwickelte Verfahren zur Regionalisierung
der Klimaänderungen, die im ersten Beitrag vorgestellt und diskutiert wurden. Die verschiedenen Methoden in der Reihenfolge ihres Entwicklungsstands sind:
1. Konstruktion eines artifiziellen zukünftigen Klimas aus extremen historischen Wetterdaten aus der Region,
2. Berechnung der Klimaänderung mit globalen Klimamodellen, deren regionale Auflösung
aber für die Ableitung bestimmter Auswirkungen unzureichend ist,
3. Methoden zum statistischen ‚Downscaling’ globaler Ergebnisse in den regionalen Maßstab,
4. Simulation von Klimaszenarien mittels einer statistischen Kopplung globaler Trendrechnungen und regionaler Klimadatensätze mit dem Modell STAR (Werner 1997) und
5. Entwicklung regionaler Klimamodelle hoher Auflösung, angetrieben durch ein globales
Modell.
6. Methode (0) wird nur noch in Ergänzung zu anderen Methoden verwendet, (1) ist derzeit
Standard, wobei (2) demgegenüber nur in bestimmten Fällen punktuelle Vorteile bringt,
z.B. bei der Analyse der Bedrohung von Küstenzonen. Methode (3) liefert derzeit die
brauchbarsten Ergebnisse zu regionalen Auswirkungen und (4) wird voraussichtlich in
wenigen Jahren der gültige Standard sein. Verschiedene Projekte haben das Ziel, die Ungenauigkeiten regionaler Klima- und Klimaänderungssimulationen einzugrenzen (Frei
2003, Keuler 2003).
Organisationen, Programme und Projekte im Überblick
Verschiedene Organisationen, Netzwerke, Projekte und Programme zu regionalen Studien
über Klimafolgen sind in Tab. 3 aufgeführt, ohne damit einen Anspruch auf Vollständigkeit
zu erheben. Angegeben ist auch, welche der oben genannten Methoden in den Projekten zum
Einsatz kommen.
Orientierende Analysen, wie in ACACIA zeigen, dass selbst bei einem Szenarium mit geringer Erwärmung gravierende saisonalen Klimaveränderungen in Europa auftreten können
(Parry 2000). Dies könnte bedeuten, dass es praktisch keine kalten Winter mehr gäbe und die
Wahrscheinlichkeit mehrerer heißer Sommer in Folge häufig über 90% läge, gegenüber derzeit 10%. Dieses Phänomen würde sich weit über die Grenzen der traditionell warmen Regionen in Südeuropa erstrecken und nicht nur die Alpen, sondern auch ganz Skandinavien und
den Nordwesten Russlands einbeziehen. Die Auswirkungen auf den Wasserzyklus kämen
durch eine Erhöhung der winterlichen Niederschläge zum Ausdruck, während sich die Kontraste in der Sommerzeit verstärken würden: schlimmere Dürreperioden im ganzen Mittel-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
90
meerraum, im Norden hingegen im gleichen Zeitraum eine Zunahme der durchschnittlichen
Regenmengen.
Tabelle 3: Organisationen, Programmen und Projekten zu regionalen Fallstudien über die Auswirkungen von
Klimaänderungen. Die in den Projekten eingesetzten Methoden (0) bis (4), gemäß Beschreibung in Abschnitt
2.1.1, kennzeichnet Spalte Meth. Die Liste soll einen Eindruck der vielfältigen Aktivitäten vermitteln und ist
keine vollständige Auswahl.
Table 3: Organisations, programmes and projects concerning regional case studies in climate impact research.
Methods (0) until (4) described in chapter 2.1.1 are listed in columns “Meth”. The Table should give a presentation of various activities – it is not a complete selection.
Kurzname
Meth.
ACACIA
(1)
BayFORKLIM (1)
BrandenburgStudie
(3)
CLIMAS
(1)
CSIRO
DEKLIM
GICC
(1)
GLOWA
GLOWA-Elbe
(3)(4)
IPCC
(1)
(2)(3)
(4)
KLIWA
KRIM
(DEKLIM)
Living Lakes
MINK
(2)
(1)
(0)
NCCSAP
PIK
PROCLIM
PRUDENCE
QUIRCS
(DEKLIM)
(4)
SWECLIM
TYNDALL
UKCIP
USGCRP
WAVES
(3)
Beschreibung und Informationen
A Consortium for the Application of Climate Impact Assessments,
http://www.cgd.ucar.edu/cas/ACACIA/,
Europa-Studie (Parry 2000):
http://europa.eu.int/comm/research/rtdinfo/de/27/climat.html
Forschungsverbund zu Klimaänderungen in Bayern und ihre Auswirkungen (bis
1998), (Enders 1999), http://www.bayforklim.uni-muenchen.de/
PIK-Studie zur klimatischen Entwicklung in Land Brandenburg bis 2055 (Gerstengarbe 2003),
http://www.pik-potsdam.de/news/brdbg_studie.html
U.S. Climate Assessment Project for the Southwest, (Carter 2003),
http://www.ispe.arizona.edu/climas/index.html
Australia's Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation, (CSIRO
2001), http://www.csiro.au
Deutsches Klimaforschungsprogramm des BMBF, http://www.deklim.de
Gestion et Impacts du Changement Climatique, (France 2000),
http://medias.obs-mip.fr/gicc/index.html
BMBF-Programm Globaler Wandel des Wasserkreislaufs, http://www.glowa.org/,
mit: Projekten z.B. zum Elbe-Einzugsgebiet
Auswirkungen des Globalen Wandels auf Umwelt und Gesellschaft im Elbe-Gebiet,
(Wechsung 2004), http://www.glowa-elbe.de/
Intergovernmental Panel on Climate Change, (IPCC 2001), http://www.ipcc.ch/
Projekt Klimaveränderung und Konsequenzen für die Wasserwirtschaft der Länder
Baden-Württemberg und Bayern; (KLIWA 2003), http://www.kliwa.de/
Klimawandel und präventives Risiko- und Küstenschutzmanagement an der deutschen Nordseeküste, (Schirmer 2003) http://www.krim.uni-bremen.de/
Tyndall: Climate Change and its Impact on the Living Lakes (Hulme 2003)
Missouri, Iowa, Nebraska and Kansas study: regional climate change impact assessment (Rosenberg 1993)
The Netherlands Climate Change Studies Assistance Programme, (Dorland 1999),
http://nccsapnet.eriya.com/
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung,
http://www.pik-potsdam.de/
Swiss forum for climate and global change issues, (Schweiz 1999)
http://www.proclim.ch/HomePage.html
Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for Defining EuropeaN Climate
change risks and Effects: EU- Project, (Christensen 2001), http://prudence.dmi.dk/
Quantification of Uncertainties In Regional Climate and climate change Simulations, (Keuler 2003),
http://www.tu-cottbus.de/meteo/Quircs/home.html
Swedish Regional Climate Modelling Programm, (Bergström 2001, Graham 2001)
http://www.smhi.se/sweclim/
Tyndall Centre for Climate Change Research (http://www.tyndall.ac.uk/)
UK Climate Impact Programme, (Harrison 2001), http://www.ukcip.org.uk/
U.S. Global Change Research Program, (USGCRP2000), http://www.usgcrp.gov/
Water Availability, Vulnerability of Ecosystems and Society in the Northeast of
Brazil, BMBF Projekt (Gaiser 2002)
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Ausgewählte Beispiele regionaler Fallstudien
Klimaänderung und Küste
Ein besonderer Fall sind die Küstenregionen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist das Niveau
der Europa umgebenden Meere um 10 bis 20 cm gestiegen. Dieses Phänomen dürfte sich
fortsetzen und bis zum Jahr 2050 ist mit weiteren 13 bis 68 cm zu rechnen (IPCC 2001). Der
Anstieg der Wassermassen wird im Norden durch die Hebung Nordeuropas teilweise ausgeglichen werden, während der Süden und die Mitte des Kontinents langsam absenken, bis 2080
um voraussichtlich 5 cm. Daraus ergeben sich verschiedene Folgen für die Küstengebiete:
Verlagerung von Sümpfen und überflutbaren Gebieten, Erosion der Küsten, Zunahme von
Überschwemmungen und Sturmschäden, verschärfte Versalzungs- und Entwässerungsprobleme. Diese Aussichten sind beunruhigend, weil ein Drittel der europäischen Bevölkerung auf
einem 50 km breiten Streifen entlang der Meere lebt - in manchen Ländern sind es sogar
100%, zum Beispiel in Dänemark. Die am stärksten gefährdeten Regionen sind jene, die
schon jetzt unter dem Meeresspiegel liegen, wie der Westen der Niederlande (Dorland 1999).
Vor diesem Hintergrund wurde 1991 das Bund-Länder-Programm „Klimaänderung und
Küste“ gestartet, in dem die Frage der Verwundbarkeit von Küstenzonen untersucht wurde
(Schellnhuber 1993, Sterr 2000). Aufbauend auf den Ergebnissen gibt es im Programm DEKLIM zur Frage der Gefährdung der deutschen Nordseeküste verschiedene Projekte, wie die
Fallstudien Sylt (Daschkeit 2002) und Weserästuar (Projekt KLIMU, Schirmer 1999) und zu
den Konsequenzen für ein integriertes Küstenzonenmanagement (Projekt KRIM, Schirmer
2003). Einen Überblick gibt ein Beitrag in dieser Serie (Daschkeit 2003).
Die MINK-Studie: ein früher Blick in Nordamerikas Zukunft
Die MINK-Studie, für die Staaten Missouri, Iowa, Nebraska und Kansas im Herzen der
USA, war die als eine der ersten integrierten regionalen Fallstudien zu Klimafolgen wegweisend. In dieser Studie wurden 1988 bis 1991 die möglichen Auswirkungen einer Klimaänderung auf Landwirtschaft, Wälder, Wasserressourcen, Energieversorgung und Wirtschaftskraft
der Region im Jahre 2030 untersucht (Rosenberg 1993).
Als Referenzklima dienten die mittleren Klimaverhältnisse der Jahre 1951-80. Im Unterschied zu anderen, späteren Untersuchungen wurde das zukünftige Klima des Jahres 2030
nicht aus Rechnungen mit Klimamodellen ermittelt, sondern aus realen Wetterdaten der Dreißiger Jahre konstruiert. Basis waren tägliche Daten zu Temperatur und Niederschlag von 17
Wetterstationen der Region unter Einschluss von Variabilität und Wetterextremen. Strahlungsdaten und andere Klimaparameter lagen in niedrigerer Auflösung vor. Das konstruierte
analoge Klimaszenarium für 2030 lag im Jahresmittel um ca. 1 °C über dem Referenzklima,
während die jährlichen Niederschläge im Mittel der vier Staaten um 3 bis 15% niedriger
ausfielen.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dieser Studie gegenüber anderen ist, dass die Folgen der Klimaänderung nicht für die heutigen regionalen Verhältnisse, sondern für angenommene des Jahres 2030 untersucht wurden, abgeschätzt aus demographischen, ökonomischen
und technologischen Projektionen. Zu diesem Punkt gab es hauptsächlich Kritik an der Studie
wegen der dadurch zusätzlich ins Spiel kommenden Unsicherheiten in den Ergebnissen. Ein
dritter Unterschied ist der Versuch einer integrierten Betrachtung regionaler Wechselwirkungen zwischen den betrachteten Wirtschaftszweigen mittels eines Input-Output-Modells. Viertens wurde zusätzlich angenommen, dass die Betroffenen die Klimawirkungen nicht passiv
erdulden, sondern aktiv drohende Verluste durch Anpassung vermindern.
In der Untersuchung zur Landwirtschaft wurden, verteilt über die Region, 50 repräsentative Farmen ausgewählt und ihre spezifischen Daten zu Bodenart, Wetterbedingungen und
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
92
Produktionsweise erfasst. Die Auswirkungen der Klimaänderung auf landwirtschaftliche
Erträge, Verdunstungsraten und Wasserverbrauch wurden mit dem Getreidemodell EPIC in
Abhängigkeit von Getreideart, Tagesklima und Bewirtschaftungsweise ermittelt. Aus den
Einzelergebnissen der 50 Farmen wurden regional aggregierte Werte gewonnen. Im Ergebnis
lagen die landwirtschaftlichen Erträge des Jahres 2030 bei Berücksichtigung der Klimawirkungen allein 22% unter den Referenzwerten, erhöhte CO2 Konzentrationen reduzieren die
Verluste auf –8% und durch zusätzlich angepasste Bewirtschaftung können sich schließlich
sogar 3% Steigerung ergeben.
In den parallel durchgeführten Untersuchungen zu anderen Sektoren zeigte sich die Wasserwirtschaft als besonders problematisch, da hier politische Entscheidungsspielräume und
mögliche Nutzungskonflikte eine große Rolle spielen. Beispielsweise hängen die landwirtschaftlichen Ertragsverluste wesentlich von Bewässerungsmaßnahmen ab und hier könnte ein
Nutzungskonflikt mit der Wasserführung im Missouri auftreten.
BayFORKLIM - Klimaänderungen und Auswirkungen in Bayern
Im Bayerischen Forschungsverbund BayFORKLIM kooperierten von 1990 bis 1998 verschiedene bayerische Institutionen, um Klimaänderungen in Bayern und ihre Auswirkungen
auf Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und den Menschen zu untersuchen. Neben einer Analyse von Klimadaten der Vergangenheit ging es um die zukünftigen Auswirkungen der
anthropogen verursachten Klimaänderungen (Enders 1999).
a)
Klimaentwicklung in Bayern: Vergangenheit und Zukunft
In den letzten dreißig Jahren des letzten Jahrhunderts wurden einige relevante Veränderungen festgestellt:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
die Nebelhäufigkeit hat im Bergland zu-, im Flachland dagegen überwiegend abgenommen,
die Häufigkeit bzw. Mächtigkeit von Wolken und die Trübung durch Aerosole hat zugenommen,
die Globalstrahlung, d.h. das kurzwellige Strahlungsangebot der Sonne, hat als Folge
abgenommen,
die Ozonschichtdicke hat im Mittel rund 3 % pro Jahrzehnt abgenommen und dadurch
nahm die UV-Strahlung gegenüber der Zeit mit ungestörtem Ozon (also seit etwa 1967)
stark zu
Die regionale Klimavorhersage um 50 Jahre in die Zukunft beruht zum einen auf früheren
Szenarien des IPCC über die künftigen Konzentrationen der wichtigsten Treibhausgase,
zum andern stützt sie sich auf globale Klimasimulationen. Die Rechnungen in BayFORKLIM zeigten folgende Entwicklungen:
Die Klimate der einzelnen Regionen Bayerns ändern sich nicht gleichartig. So könnte die
zukünftige sommerliche Temperaturzunahme in Nordbayern um 2 Grad geringer ausfallen
als am Bodensee.
Generell wird die Temperatur im Winter nur geringfügig, der Niederschlag vor allem im
Südwesten deutlich zunehmen. Für Franken dagegen sollte sich eher eine Niederschlagsabnahme ergeben.
Der sommerliche Niederschlag wird vor allem im Südwesten Bayerns abnehmen.
Mit der Niederschlags- und Temperaturänderung geht eine Zunahme des Abflusses im
Winter einher, aber eine Abnahme im Sommer. Hochwassersituationen könnten im Winter
häufiger werden, Anzahl und Dauer von Trockenperioden dagegen im Sommer größer.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
•
b)
93
Die hohen UV-Werte der letzten Jahre werden speziell im Winter und Frühling noch für
mehrere Jahrzehnte anhalten.
Abschätzung von Auswirkungen der Klimaänderung
Die Untersuchungen zu den Auswirkungen veränderter Klimabedingungen erfolgten in
verschiedenen räumlichen Maßstäben regional bis lokal, z. B. zum Einfluss des Flughafens
München II. Schwerpunkte waren der Klimaeinfluss auf Wald- und Landwirtschaft, sowie die
Wirkung von UV-B auf terrestrische und aquatische Ökosysteme und schließlich auf den
Menschen:
•
Für den alpinen Wald lässt das in der Vergangenheit gezeigte Anpassungs- und Beharrungsvermögen keine drastischen Änderungen in der Zukunft erwarten. Der Temperaturanstieg wird eine Verschiebung der heutigen Obergrenze von Waldgesellschaften um 50100 m zur Folge haben, wobei insbesondere die Buche begünstigt wird. Gehen die sommerlichen Niederschläge zurück, so wird der Anteil an Kiefern steigen, nehmen sie entgegen der Modellprognose zu, so steigt die Biomassenproduktion der Bergwälder unter stärkerer Zunahme der Buche.
• Die photosynthetische CO2-Assimilation, die Biomasseproduktion von höheren Pflanzen
und auch der Ernteertrag werden durch Änderungen der UV-Strahlung beeinflusst. Allerdings hat sich ergeben, dass eine Erhöhung der UV-Strahlung selbst im Rahmen eines pessimistischen Szenarios generell nicht zu deutlichen Änderungen der Biomasseproduktion
bzw. des Ernteertrags führt.
• Ähnliches gilt für am Anfang der Nahrungskette stehende Planktonorganismen, die im
Stoffkreislauf von Seeökosystemen eine Schlüsselposition einnehmen. Bei ihnen sind zumindest in Oberflächennähe Gefährdungen nicht auszuschließen.
• Beim Menschen tritt bereits jetzt eine dramatische Zunahme maligner Melanome zutage,
die mit Sonnenbränden in der Kindheit und mit späterem exzessiven Sonnenbaden assoziiert ist, und noch zunehmen könnte. In BayFORKLIM wurden aussichtsreiche Maßnahmen zur Anpassung an diese zukünftige Entwicklung untersucht.
c)
Folgerungen aus der BayFORKLIM-Studie und Empfehlungen
Die Folgerungen in BayFORKLIM waren:
•
Die über Jahrzehnte auch für den Menschen noch bedenkliche UV-Situation erfordert
rasche und intensive Aufklärung und Vorsorge gegenüber einer weiteren Zunahme strahlungsbedingter Melanome.
• Erhöhte Aufmerksamkeit sollte der weiteren Entwicklung der Niederschlagsverhältnisse
gelten, wo nach den Szenarien im Winterhalbjahr im Alpenvorland verstärkte Hochwassersituationen auftreten können, während im Sommer schon jetzt relativ trockene Regionen wie Franken mit einer Abnahme von Niederschlag und Grundwasserneubildung rechnen müssen.
• Aus allen anderen durch BayFORKLIM für ein 2xCO2-Szenario prognostizierten Änderungen ergab sich snach dem damaligen Wissensstand kein akuter Handlungsbedarf.
• Letzteres könnte aber aus heutiger Sicht bei Anwendung regionalisierter Klimaszenarien
anders aussehen. Aufgrund beschränkter Ressourcen und der nach dem damaligen Stand
der Wissenschaft begrenzten Möglichkeiten der Methoden konnten in BayFORKLIM
nicht alle kausalen Zusammenhänge im Wirkungsgefüge 'Klima - Umwelt - Mensch' adäquat betrachtet werden. Hier besteht daher inzwischen ein erneuter Untersuchungsbedarf,
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
94
z.B. zu Bergregionen und Flusseinzugsgebieten. Weiterführende Untersuchungen laufen
derzeit im Programm „Klimaveränderung und Konsequenzen für die Wasserwirtschaft“
(KLIWA 2003).
Bedrohung von Seen im Klimawandel – ein globales Problem
Der Zustand des Bodensees im Hitzesommer 2003 lässt ahnen, welche Probleme mit der
Klimaänderung auf große Seen der Erde zukommen können. Verendete Fische, stinkende
Algenteppiche und abgestorbene Wasserpflanzen prägten neben einer teilweise lahm gelegten
Schifffahrt das Bild. Der Pegel bei 2,65 m bei Konstanz (normal 3,74) war der niedrigste
Wasserstand im September seit 136 Jahren (Odenwald 2003).
Am britischen Tyndall Centre wurde eine Studie zu 23 Seen auf fünf Kontinenten vorgestellt, die zum internationalen Seen-Netzwerk ‚Living Lakes’ gehören (Hulme 2003). Grundlage der Analyse bilden Ergebnisse und Modelle zum Klimawandel aus dem letzten IPCC
Bericht (IPCC 2001). Danach werden sich alle untersuchten Seen in den kommenden Jahrzehnten spürbar erwärmen (siehe Tab. 4).
Tab. 4: Zusammenstellung der Temperatur- (°C) und Niederschlagsänderungen (%) im Winter (DJF) und im
Sommer (JJA) für 23 Seen der Erde nach der Living Lakes Studie (Hulme 2003). Zugrundegelegt wurde der
Studie eine globale Klimaänderung nach dem IPCC A2 Szenario für das Jahr 2080 relativ zum Zeitraum 19611990.
Table 4: Compilation of changes in temperature (°C) and precipitation (%) in winter (DJF) and summer (JJA) for
23 lakes of the Earth after the Living Lakes Studie (Hulme 1003); based on a global climate change according
scenario IPCC A2 for the year 2080 related to the periode 1961-1990.
See
Lage
Norfolk/Suffolk, UK
DJF
Temp.Differenz
3.3
JJA
Temp.Differenz
3.6
The Broads
Bodensee
Deutschland, Österreich, Schweiz
4.0
4.6
Lake La Nava
Castile-León, Spanien
3.0
5.2
Milicz Ponds
Slask, Polen
5.0
3.8
Nestos Lakes
Hrysoupolis, Griechenland
3.5
5.4
Uluabat Lake
Nordwest Turkei
3.2
5.2
Lake Larache
Marokko
3.2
4.2
Lake Victoria
Uganda, Kenia, Tanzania
2.6
3.5
Lake St Lucia
KwaZulu Natal, Südafrica
2.5
2.9
Totes Meer
Israel, Jordanien, Palästina
3.2
4.2
Lakes Peipsi, Vertsjarv
Baltic Sea, Estonia, Russia
6.7
3.8
Lake Tengiz
Kasachstan
5.7
5.6
Baikalsee
Sibirien, Russland
5.6
5.3
Poyang Lake
Yangtze River, China
4.4
3.3
Lake Biwa
Shinga prefecture, Japan
3.3
3.2
DJF
Nieder.Differenz
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Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
Mahakam Lakes
East Kalimantan, Indonesien
2.4
2.5
Laguna de Bay
Philippinen
2.2
2.4
Columbia River
Wetlands
Mono Lake
British Columbia, Canada
4.4
4.9
California, USA
3.6
4.7
Laguna Chapal
Mexiko
3.0
3.2
Laguna Fuquene
Anden, Kolumbien
3.0
3.2
Pantanal Wetland
Brazilien, Bolivien, Paraguay
3.0
3.8
Laguna Mar
Chiquita
Argentinien
3.2
2.4
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In tropischen Gewässern, wie dem Viktoriasee in Ostafrika, steigen die Temperaturen um
mehr als 3 °C, der Bodensee erwärmt sich mit 4,6 °C sogar noch stärker und Seen in den
hohen nördlichen Breiten trifft es mit ca. 6 °C am stärksten. Hinsichtlich der Niederschlagsentwicklung zeigt sich ein noch stärker differenziertes Bild. Einige Seen, beispielsweise der
Baikal in Sibirien, werden höhere Niederschläge als bisher erhalten, während vielen dagegen
gravierende Wasserverluste drohen, vor allem in Südeuropa oder in den Tropen. Negative
Auswirkungen für Tier- und Pflanzenwelt und Millionen an und von den Seen lebenden Menschen können aber sowohl zu- wie abnehmende Niederschläge mit sich bringen. Der Baikal,
tiefster und wasserreichster See der Erde, wird nach den Berechnungen im Winter deutlich
kürzer gefroren sein und erreicht im Sommer Badetemperaturen. Die dadurch veränderte
Temperaturschichtung kann in der Folge zur Unterbrechung der Nahrungskette führen, an
deren Ende die Baikal-Robben stehen. Der infolge der Niederschlagszunahme zu erwartende
höhere Pegel des Sees könnte sich nachteilig auf die für die Menschen am See liegenden
Siedlungen, Infrastruktur- und Hafenanlagen auswirken.
Weniger Regen bei gleichzeitig höheren Verdunstungsraten lassen beim Uluabat-See in der
nordwestlichen Türkei zukünftig die Pegel sinken und dies gefährdet die hohe Artenvielfalt
dieses Gewässers. Der Plattensee in Ungarn wird wahrscheinlich sogar ganz verschwinden.
Europas größter Steppensee war im Rekordsommer 2003 im Mittel nur noch 2,30 m tief, statt
der normalen 2,70 m. Am Viktoriasee könnten der Tyndall-Studie zufolge stark schwankende
Wasserstände infolge von Trockenzeiten einerseits und heftigen Starkregenereignissen andererseits auftreten. Die unregelmäßig steigenden und fallenden Pegel des Sees führen zu Überflutungen von Agrarflächen und Verkehrswegen oder lassen den Fischfang zurückgehen.
Nur wenige Gewässer könnten vom Klimawandel profitieren, wie Argentiniens größter
See Mar Chiquita. Bereits in der Vergangenheit gab es eine Zunahme der Niederschläge, ein
sich in die Zukunft wohl fortsetzender Prozess. Dem Verlust an Acker- und Siedlungsflächen
durch steigende Pegel steht hier ein unerwarteter Vorteil gegenüber. Der bisher für Fische zu
hohe Salzgehalt des Sees wurde verdünnt und Fische wanderten aus den Flüssen ein. Es entwickelte sich hier eine Fischereiwirtschaft, die nach den Berechnungen der Tyndall-Studie
auch eine Zukunft haben dürfte.
WAVES: Klimatisch verschärfter Wassermangel im semiariden Nordosten Brasiliens
Die Bevölkerung in den semiariden Gebieten der Erde ist gegenüber den Auswirkungen
des Klimawandels besonders verwundbar und benötigt dringend Methoden zur nachhaltigen
Bewirtschaftung von Wasserressourcen und Landnutzung. In einem interdisziplinären Verbundprojekt des BMBF arbeiteten verschiedene deutsche und brasilianische wissenschaftliche
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
96
und staatliche Einrichtungen zusammen, um solche Methoden für den Nordosten Brasiliens
zu entwickeln. Für die Fallstudie wurden die Provinzen Piauí und Ceará ausgewählt. Hier
traten bereits in jüngster Vergangenheit nachhaltige Klimafolgen in Erscheinung, wie extreme
Dürren, dadurch bewirkte Ernteausfälle und in der Folge Migrationen in die städtischen
Favelas des Südens oder in das Amazonasgebiet. Die auslösenden Klimaschwankungen stehen in Zusammenhang mit ENSO-Ereignissen (ENSO = El Niño Southern Oscillation). Im
Projekt wurden unter Berücksichtigung dieser besonderen regionalen Klimaschwankungen
unter anderem folgende Modelle und Methoden entwickelt und den brasilianischen Partnern
zur Verfügung gestellt:
•
•
•
•
•
•
Ein integriertes Modell zur strategischen Planung und nachhaltigen Bewirtschaftung von
Wasserressourcen und semiariden landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, in Verbindung
mit einem geografischen Boden- und Landnutzungs-Informationssystem,
Regionale, mit dem Modell STAR entwickelte Klimaszenarien zur langfristigen Planung
bis 2050,
Modelle und Datensätze zu Wasserverfügbarkeit, Wassermanagement, Wasserqualitätsbeurteilung und zur Abschätzung der Kosten von Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserversorgung,
Ein Modell des regionalen Agrarsektors und seines Wasserbedarfs unter Berücksichtigung
von Größe und technischer Ausstattung der Farmen,
Verschiedene Indikatoren und Verfahren zur ackerspezifischen Beurteilung von Erosionsdynamik, Anbauoptionen und Bodenfeuchte in Abhängigkeit von Wetter-, Boden- und
Vegetationsverhältnissen,
Modelle zur Abschätzung der Lebensqualität auf Gemeindeebene und der Nettomigrationsraten.
Eine ausführliche Beschreibung von Projekt, Methoden und Ergebnissen findet man bei
(Gaiser 2002). Die im Projekt erarbeiteten differenzierten Hilfsmittel sollen die lokalen Experten, Entscheider und Landnutzer in die Lage versetzen, über die Entwicklung zukünftiger
Strategien zur besseren Bewirtschaftung von Wasser- und Bodenressourcen im Klimawandel
hinaus auch bereits die heute drängenden Probleme der Region anzugehen. Eine solche Auseinandersetzung mit den Gegenwartsverhältnissen zur Verminderung der Verwundbarkeit
bzw. Steigerung des Anpassungspotenzials im Klimawandel kennzeichnet diese Art von
Studien und unterscheidet sie von prognostisch in die Zukunft gerichteten Untersuchungen
wie der früheren MINK-Studie.
Es bietet sich aufgrund der bereits in der Projektlaufzeit zu erkennenden positiven Ansätze
zur Umsetzung an, Methoden und Erkenntnisse in andere semiaride Regionen der Erde zu
übertragen. Abzuwarten bleibt aber, wie nachhaltig die Maßnahmen in der Region auch nach
Ende des Projektes wirken werden.
Region Berlin-Brandenburg: Anpassungsstrategien an drohende Trockenheit
Das aktuelle Klima im Osten Deutschlands ist deutlich trockener als der Westen. Mögliche
Auswirkungen des Klimawandels auf die Region um Berlin wurden bereits vor einigen Jahren
in einer Pilotstudie untersucht (Stock 1996). Dabei wurde das Modell STAR entwickelt und
erstmals eingesetzt, wobei die methodischen Unsicherheiten noch wesentlich größer waren als
heute. Damals wurde neben zwei Szenarien zunehmender Trockenheit auch die theoretische
Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es feuchter werden könnte. Inzwischen verdichten sich
die Modellrechnungen unter Einbeziehung von Wahrscheinlichkeiten zu einem zukünftigen
Klimaszenarium mit erhöhter Trockenheit. Die Untersuchungen stützen sich wesentlich auf
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
97
das laufende Projekt GLOWA-Elbe zu den Auswirkungen des globalen Wandels auf das
Einzugsgebiet der Elbe (Wechsung 2004). Hinsichtlich der Klimafolgen in Brandenburg sind
die Schwerpunkte Wasserressourcen, Wälder und Landwirtschaft (Gerstengarbe 2003).
a)
Klimaszenarien
Das Basisszenarium beschreibt das herrschende Klima in der Region und seine Entwicklung zwischen 1951 und 2000 auf der Basis von 80 Stationen (Klimahaupt- und Niederschlagesstationen) mit täglich aufgezeichneten Klimaparametern. Brandenburg liegt im Bereich
des gemäßigten, kontinentalen Klimas mit einer durchschnittlichen Jahresmitteltemperatur je
nach Region zwischen 7,8 °C und 9,5 °C. Das Land gehört mit einer Jahresniederschlagssumme deutlich unter 600 mm (im Nordosten weniger als 500 mm) zu den
trockensten Regionen Deutschlands. Dabei zeigen sich bereits in den letzten Jahrzehnten
deutliche Trends:
•
•
•
•
•
•
•
b)
die mittlere Tagestemperatur ist statistisch signifikant um knapp 1 °C gestiegen, wobei der
Anstieg im Winterhalbjahr mit +1,6 °C deutlicher ausfällt als im Sommerhalbjahr (+0,6
°C) und
für den Niederschlag eine Verschiebung vom Sommer (-12,8 mm) in den Winter (+10,4
mm) festzustellen ist.
Das mit dem Modell STAR errechnete Zukunftsszenarium beschreibt die wahrscheinlichste Änderungsvariante für den Zeitraum bis 2055. Innerhalb der nächsten 50 Jahre sind
demnach bei einem moderaten globalen Temperaturanstieg von 1,4 °C folgende Klimaänderungen im Vergleich zur aktuellen Situation zu erwarten:
In Brandenburg werden die Temperaturen im Jahrzehnt um 2050 generell mehr als 2 °C
über denen im vergangenen Referenzzeitraum liegen, bei nur schwach strukturierten
räumlichen Differenzen.
Der Niederschlag geht zurück und das Gebietsmittel der Jahressumme liegt um 2050 unter
450 mm im Nordosten und unter 400 mm im Süden Brandenburgs. Die Abnahme des
Niederschlags ist räumlich stark differenziert und reicht von –17,8 mm (südöstlich von
Berlin) bis zu -221 mm um Luckau (siehe Abb. 10).
Dem steht eine Zunahme der Sonnenscheindauer gegenüber, mit einem höchsten Anstieg
von mindestens 0.6 h pro Tag im Nordwesten und Südosten. Dementsprechend ergibt sich
auch eine Abnahme der Bewölkung, die am deutlichsten im Rückgang der Anzahl trüber
Tage erscheint.
Für den Tourismus, der eine zunehmend größer werdende wirtschaftliche Bedeutung für
die Region hat, verspricht dies positive Impulse. Andere Wirtschaftszweige und die Natur
sind jedoch auch negativ betroffen.
Auswirkungen auf Wasser- Land- und Forstwirtschaft
Untersuchungen mit dem hydrologischen Modellsystem ArcEGMO für den Beobachtungszeitraum 1961 bis 1998 verdeutlichen, wie angespannt die hydrologische Situation im Land
Brandenburg bereits ist und wie empfindlich der Wasserhaushalt auf zusätzliche, durch Klimaänderungen hervorgerufene „Störungen“ reagieren könnte. Die Zustandsanalyse zeigt, dass
die Sickerwassermenge auf etwa 75 % der Gesamtfläche Brandenburgs insbesondere in Niederungsgebieten um bis zu 100 mm/Jahr abgenommen hat und wesentliche Ursachen für
diesen Trend abnehmende Niederschläge und zunehmende Temperaturen sind, insbesondere
in den 90er Jahren mit ihren „Jahrhundertsommern“. Legt man das zukünftige Klimaszenarium zu Grunde, so zeigen die Berechnungen, dass
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
•
•
•
•
•
98
bereits relativ geringe Änderungen von Temperatur und Niederschlag zu dramatischen
Änderungen verschiedener Wasserhaushaltsgrößen führen,
die Temperaturzunahme insbesondere die Verdunstung im Winter erhöht, mit den entsprechenden Auswirkungen auf den innerjährlichen Wasserausgleich,
die Sickerwassermenge - als gegenüber Klimaänderungen empfindlichste Wasserhaushaltskomponente - flächendeckend und im langjährigen Mittel um mehr als die Hälfte gegenüber heute abnimmt,
der weitere Rückgang der Niederschläge bei gleichzeitig zunehmender Verdunstung
insbesondere im Sommer zu drastischen Folgen, wie einem weiteren Absinken des
Grundwasserspiegels, sinkenden Wasserständen in den Flüssen und Problemen bei der
Wasserverfügbarkeit und Wasserqualität führt,
in Folge einer solchen klimatischen Änderung die in Brandenburg noch häufig anzutreffenden ausgedehnten Niederungen, Moore und Luchgebiete in ihrer vielfältigen Funktion
verloren gehen könnten.
Abb. 10: Region Berlin-Brandenburg – Entwicklung der Niederschlagsverteilung im Jahresmittel von der Vergangenheit (links: 1951-2000) in die Zukunft (Mitte: 2046-2055). Deutlich wird die Abnahme in der Differenzdarstellung (rechts)
Fig. 10: Region Berlin-Brandenburg – development of precipitation distribution as annual mean from past (left:
1951-2000) to future (right: 2016-2055). Clearly seen is the decline in the difference presentation (right).
Die Simulationen repräsentativer Waldstandorte in Brandenburg mit dem Waldsukzessionsmodell 4C zeigen ebenfalls, dass die Auswirkungen des für Brandenburg wahrscheinlichsten Klimaänderungsszenariums zu einem drastischen Rückgang des Grundwassereintrags der
Wälder führt. Die zukünftigen Auswirkungen auf das Wachstum und damit auf die Kohlenstoffspeicherung fallen in den angepeilten 50 Jahren moderat aus. Es ist aber angesichts der
sich verschärfenden Trockenheit davon auszugehen, dass der berechnete Holzzuwachs weniger dem Stammholz denn den Wurzeln zugute kommt.
Die von der Forstwirtschaft betrachteten längeren Zeithorizonte und Aspekte der Waldbewirtschaftung müssen in zukünftigen Studien mit einbezogen werden. Dies betrifft vor allem
den angelaufenen Waldumbau, bei dem die vorherrschenden Kiefernmonokulturen nach und
nach durch naturnahe Mischwälder ersetzt werden sollen. Diese Maßnahme kann auch dem
oben genannten erwarteten Rückgang der Grundwasserneubildung entgegenwirken, da Kie-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
99
fern ein sehr hohes Verdunstungspotential besitzen. Anpassungsmaßnahmen dieser Art wurden in der Studie noch nicht hinsichtlich ihrer Wirksamkeit untersucht.
Das geringe Wasserdargebot während des Sommerhalbjahres ist auch der limitierende Faktor für das Wachstum der natürlichen Vegetation und der landwirtschaftlichen Nutzpflanzen.
Gleichzeitig ist der Wasserverbrauch durch Industrie, Haushalte, Tourismus und Landwirtschaft gemessen am Wasserdargebot sehr hoch, so dass es zu Nutzungskonflikten z.B. zwischen Wasserwirtschaft und Naturschutz kommt.
Abb. 11: Region Berlin-Brandenburg – Entwicklung der mittleren Grundwasserneubildung von der Vergangenheit in der Dekade (links: 1980-1990) in die Zukunft (rechts: 2040-2050). Die zunehmend hellere Färbung
verdeutlicht die abnehmende Grundwasserneubildung.
Fig. 11: Region Berlin-Brandenburg – development of mean ground water new formation from past (left: 19801990) to future (right: 2040-2050). The increasing light colour is showing the decreasing ground water new
formation.
Betrachtet man die in der Brandenburgstudie untersuchten Auswirkungen des eher als konservativ zu bezeichnenden Klimaänderungsszenariums, so wir deutlich, dass sich diese Konflikte zukünftig noch verstärken können. Für den Zeitraum 2040-2050 ändern sich nach Berechnungen mit dem Modell SWIM zu Wasserhaushalt und Landnutzung, bedingt durch
niedrigere Niederschläge und höhere Temperaturen, folgende Parameter:
•
•
•
die Evapotranspiration um -13 %,
der Gesamtabfluss um -24 % gegenüber den jetzigen Werten und
die Grundwasserneubildung um -42 %.
Die Verteilung der Grundwasserneubildung über die Landesfläche in Brandenburg zeigt
Abb. 11 im Vergleich Vergangenheit zu Zukunft. In Ergänzung dazu zeigt Abb. 12 den Jahresgang von a) Niederschlag und b) Grundwasserneubildung, jeweils im Vergleich Vergangenheit zu Zukunft.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
100
Abb. 12: Jahresgänge der mittleren Niederschläge (a: oben) und der Grundwasserneubildung (b: unten). Der
Rückgang zwischen dem vergangenen Jahrzehnt 1980-90 und dem zukünftigen 2040-50 erscheint beim Niederschlag moderat, ist dagegen bei der Grundwasserneubildung dramatisch
Fig. 12: Annual cycles of mean precipitation (a. above) and ground water new formation (b: below). The decline
between the decade 1980-1990 and the future decade 2040-2050 is looking moderate for precipitation but dramatic for ground water new formation.
Diese Daten bestätigen die unabhängig davon mit einem hydrologischen Modell berechneten Änderungen. Die Ergebnisse der Rechnungen zeigen folgende Auswirkungen auf die
landwirtschaftlichen Erträge in Brandenburg. Unter Berücksichtigung eines über den Szenarienzeitraum steigenden CO2–Düngeeffektes auf die Pflanzen werden sich unter den Szenarienbedingungen die Winterweizenerträge für den Zeitraum 2020-2030 um –17 % und für den
Zeitraum 2040-2050 um –7 % gegenüber den heutigen Erträgen ändern, während die Maiserträge um +2 % für den ersten Szenarienzeitraum und +8 % für den zweiten Szenarienzeitraum
steigen werden. Dieses Ergebnis deutet Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel
durch veränderte Fruchtwahl an. Auch Weinbau könnte in Brandenburg mit gutem Erfolg
betrieben werden. Eine weitere Maßnahme wäre die, hier nicht untersuchte Bewässerung, bei
der Kosten und Nutzungskonflikte angesichts abnehmenden Wasserdargebots problematisch
sein könnten.
c)
Resümee zur Brandenburgstudie
Die Landschaft in Brandenburg wird geprägt durch ihre naturnahen Wälder, Seen und
Feuchtgebiete auf der einen Seite und durch die menschliche Nutzung, z.B. durch die Landwirtschaft, auf der anderen. Um zukünftig Wassernutzungsprobleme zu vermeiden und die
Landschaft in ihrer Vielfalt zu erhalten, ist es darum wichtig, Nutzugskonzepte zu erstellen,
die allen Wassernutzern einschließlich der wenig durch den Menschen beeinflussten naturna-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
101
hen Regionen gerecht wird. Folgende Empfehlungen sollen vor dem Hintergrund der bereits
angespannten hydrologischen Situation im Land Brandenburg helfen, auch in Zukunft einen
intakten Wasserhaushalt und eine nachhaltige Trinkwasserversorgung sicherzustellen:
•
Die Klimaänderung kann in Fragen der Regionalentwicklung, insbesondere im Hinblick
auf Landnutzung, Waldumbau und Landschaftswasserhaushalt nicht länger als unveränderlich betrachtet werden.
• Die Auswirkungen klimatischer Änderungen dürfen bei hydrologisch relevanten, mittelbis langfristigen politischen Entscheidungen, wie z.B. dem Havelausbau, nicht außer Acht
gelassen werden. Daher ist die Umsetzung wasserwirtschaftlicher Projekte, die in der Vergangenheit unter anderen klimatischen und volkswirtschaftlichen Bedingungen geplant
wurden, kritisch zu überprüfen.
• Zur Ableitung geeigneter Vorsorge-, Anpassungs- und Managementstrategien sind insbesondere disziplinübergreifende, ganzheitliche Projekte zu fördern.
Die in der Studie dargestellten Auswirkungen einer moderaten globalen Klimaänderung
auf den Landschaftswasserhaushalt und die forst- und landwirtschaftlichen Erträge in Brandenburg zeigen einen dringenden Handlungsbedarf bei heutigen Entscheidungen von wasserwirtschaftlicher Bedeutung. Nicht eingegangen sind extreme Ereignisse wie Starkniederschläge und lange Trockenperioden. Da sich aber im Rahmen der zu erwartenden Klimaänderungen die extremen Ereignisse in ihrer Häufigkeit und Intensität verstärken werden, soll die
Erforschung ihrer Auswirkungen in Zukunft stärker in den Mittelpunkt gestellt werden.
Resümee und Ausblick auf zu erwartende Entwicklungen
Bei den regionalen Fallstudien zu Klimafolgen sind in den letzten zwei Jahrzehnten bedeutende methodische Fortschritte erzielt worden, mit stärker anwendungsbezogenen Aussagen.
Die Untersuchungen lassen Schwachstellen in den bestehenden regionalen Strukturen von
Landnutzung, Infrastruktur, Wirtschaft und Versorgung gegenüber Klimaänderungen erkennen und zeigen darüber hinaus konkrete Handlungsoptionen auf. Die Anwendungsnähe hat
das Interesse von Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern aus verschiedenen Bereichen an
derartigen Studien gesteigert und es ist zu erwarten, das dieser Trend anhält. In nächster Zeit
sind wesentliche neue Erkenntnisse aus noch laufenden Projekten wie GLOWA-Elbe zum
Elbegebiet und KLIWA zum Raum Süddeutschland zu erwarten. Interessant an diesen Projekten ist der Vergleich zwischen verschiedenen Methoden der Regionalisierung. Inzwischen
sind weitere Studien angelaufen, z.B. zur Verwundbarkeit Deutschlands im Auftrag des Umweltbundesamtes und zu Risiken und Anpassungsmöglichkeiten im Klimawandel in BadenWürttemberg (KLARA).
Die Entwicklung ist bei den regionalen Fallstudien hinsichtlich verbesserter Methodik und
damit stärkerer Anwendungsnähe noch im Fluss. Einen neuen Schub werden die Untersuchungen zu Auswirkungen des Klimawandels voraussichtlich mit verbesserter Genauigkeit
regionaler Klimamodelle hoher Auflösung erhalten, was in etwa zwei bis drei Jahren der Fall
sein könnte. Daran wird derzeit in verschiedenen Institutionen verstärkt geforscht.
SCHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK
Die Ergebnisse der Klimafolgenforschung zeigen, dass die Auswirkungen des globalen
Klimawandels regional sehr unterschiedlich ausfallen und die spezifische Verwundbarkeit
von der Stärke der Belastung durch regionale Klimaänderung, der Sensitivität und der Anpassungspotenziale abhängt. Die möglichen Folgen sind demnach nicht unabänderlich und auch
nicht Gegenstand einer Prognose, sondern zeigen auf, wo kritische Grenzen der Belastungsfä-
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
102
higkeit der Gesellschaft bestehen und wie diesen durch geeignete Anpassungsmaßnahmen
begegnet werden kann. In einem nächsten Beitrag soll dies anhand konkreter Fallstudien
näher analysiert werden.
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KORRESPONDENZ-ADRESSE:
Dr. Manfred Stock
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Telegrafenberg A31
D-14473 Potsdam
email: [email protected]
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
106
Wieviel Chemie ist im Klima? Eine chemische Klimatologie
How much chemistry is belonging the climate? A chemical climatology
Detlev Möller
Brandenburgische Technische Universität Cottbus
ZUSAMMENFASSUNG
Es wird eine historisch-kritische Betrachtung des Luft- und Klimabegriffs und der gegenwärtigen Forschungsanforderungen an die Beschreibung des Klimasystems sowie dessen
Angrenzung zum Erdsystem gegeben. Auf die wichtigsten das Klima mitbestimmenden luftchemischen Prozesse, ihre Ursachen und Evolution wird eingegangen. Eine Prognose der
Emissionen klimarelevanter Substanzen wird vorgestellt.
ABSTRACT
This contribution presents a historic-critical analysis of the air and climate term and the
present research needs to describe the climate systems and its distinguishing from the Earth
system. The most important atmospheric chemical processes, its causes and evolution will be
presented. Finally, a prognosis of climate relevant substances is given.
WAS IST KLIMA?
In den vorangegangenen Beiträgen, insbesondere dem von M. Claußen, wurde bereits ausführlich auf die Klimadefinition eingegangen. Man muß dem entnehmen, daß verschiedene
Klimadefinitionen im Gebrauch sind. Das ist a-priori ein Widerspruch, denn es gibt auf der
Erde nur ein Klimasystem. Hier drückt sich ganz offenbar eine pragmatische Herangehensweise an die Erkennung und Beschreibung des Klimasystems durch a) unterschiedliche disziplinäre Sicht, b) verschiedene Zielstellung (beispielsweise Beschreibung von Teilsystemen)
und/oder c) differenzierte Kenntnis der Systemzusammenhänge aus. Der Begriff des Klimas
unterlag in der Geschichte der Menschheit – und damit der Erforschung der Luft und Atmosphäre – Wandlungen aber auch parallel existierenden Beschreibungen. Eine heute allgemein
akzeptierte Definition ist die von der weltmeteorologischen Organisation (Abb. 1), allerdings
zunächst ohne Berücksichtigung chemischer Parameter bei den sog. meteorologischen Elementen. Andererseits ist unter der Erklärung von „Luft“ explizit auf deren chemische Eigenschaften hingewiesen worden.
Die Definition des Klimas ist also eng verbunden mit dem Wetter, das sich in der Atmosphäre (welche als die die Erde umgebende Luft definiert wird) durch die meteorologischen
Elemente beschreiben läßt. Es wird zu zeigen sein, daß sich zwangslos ebenfalls ein chemisches Wetter und folglich eine chemische Klimatologie definieren lassen. Es ist dann nur noch
ein kleiner Schritt, in die Klimatologie generell die chemische Charakteristik der Luft mit
einzubeziehen.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
107
Climate
Synthesis of weather conditions in a given area,
characterized by long-term statistics (mean values,
variances, probabilities of extreme values, etc.) of the
meteorological elements in that area.
Weather
The state of the atmosphere mainly with respect to
its effects upon life and human activities. As
distinguished from climate, weather consists of the
short-term (minutes to about 15 days) variations of the
atmosphere state.
Meteorological Elements
Any one of the properties or conditions of the
atmosphere which together specify the weather at
a given place for any particular time (for example, air
temperature, pressure, wind, humidity, thunderstorm
and fog, aerosol, trace gases)
Atmosphere
The envelope of air surrounding the Earth and bound
to it more or less permanently by virtue of the Earth's
gravitational attraction; the system whose chemical
properties, dynamic motions, and physical processes
constitute the subject matter of meteorology.
Chemistry
(chemical weather)
Abb. 1: Definition des Klimas nach der WMO (World Meteorological Organisation); geändert vom Autor. Man
erkennt, daß Klima mit Wetter eng verbunden ist und das Wetter durch meteorologische Elemente (in die – was
nicht in der WMO-Definition enthalten ist – auch luftchemische Größen mit einbezogen werden müssen; hier
kursiv) beschrieben wird (daraus läßt sich ein chemisches Wetter – neben dem meteorologischen – definieren).
Eingebunden sind die Prozesse in die Atmosphäre als ein Erdteilsystem.
Fig. 1: Definition of climate after WMO (World Meteorological Organisation); changes by the author. It is seen
that climate is closely related to weather and weather is described by meteorological elements (belong them – not
given by the WMO definition – also air chemical parameters have to be included; in italic). Consequently, beside
meteorological one can define a chemical weather. All processes are integrated within the atmosphere being a
subsystem of the Earth.
Wenn als Klima (und dahingehend sind sich alle Klimatologen einig) der langfristige Zustand der Atmosphäre (durch sein Mittel als auch dessen Abweichungen charakterisiert)
bezeichnet wird, und die Atmosphäre wiederum durch die Luft (im Sinne eines Stoffgemisches) und die darin ablaufenden Prozesse charakterisiert wird, so wäre ein Trennung zwischen Chemie und Physik töricht bei dem Versuch einer Charakterisierung der Atmosphäre.
In seinem in 12. Auflage in Berlin 1948 erschienenen Lehrbuch „Einführung in die allgemeine und anorganische Chemie“ hat Jean D´Ans in der Einleitung folgende bemerkenswerten Sätze festgehalten:
Die Naturwissenschaften, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Materie zu erforschen..., sind die Chemie und Physik. Die Physiker haben sich mehr den Aufgaben zugewandt, die Wirkungen der Energien und die Erscheinungen, die die Körper unter deren
Einfluß zeigen ... zu untersuchen ...., während die Chemiker die Wandlungen der Stoffe, die
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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zahllosen Formen ihres Auftretens ... erforschen....Kein Chemiker kann die Physik entbehren und kein Physiker kann ohne die Grundlagen der Chemie erfolgreich arbeiten....
Durch Suchen von Definitionen Physik und Chemie grundsätzlich scheiden zu wollen, geht
nicht, da sie sich mit ein und derselben Aufgabe, der Erkennntis der Materie, befassen....
Aber Zweckmäßigkeitsgründe, .... , rechtfertigen die Unterscheidung von Physik und Chemie... Eine scharfe Grenze zwischen beiden legen zu wollen, ist ein vergebliches Bemühen.
Die Grenze wird von dem jeweiligen Stand der beiden Wissenschaften, vom Standpunkt,
von dem aus die Aufgaben angesehen werden, abhängen.
Kurzer historischer Abriß
Von der Luft
Man kann annehmen, daß das Wetter (im Sinne atmosphärischer Phänomene) die Menscheit bereits zur Zeit der Jäger und Sammler beschäftigte, stellte es doch eine der wichtigsten
Umweltbedingungen für deren Existenz dar. Bereits mehr als 100 Jahre vor Aristoteles kam
der griechische Philosoph Anaxagoras (500-428 v. Chr.) als junger Mann von Klazomenai
nach Athen und gab auf die Frage, wofür er geboren wurde, die Antwort: „... um die Sonne,
den Mond und den Himmel zu beobachten“1. Mit seiner Meinung, daß die meteorologischen
Phänomene durch die Sonne verursacht werden, stand er jedoch im Gegensatz zur damals
herrschenden Meinung, die besagte, daß alle Prozesse auf dem Umwandlungszyklus zwischen
den vier Elementen Boden, Wasser, Luft und Feuer beruhen. Diese von Empedocles von
Acragas (495-435 v. Chr.) eingeführten Elemente wurden von Aristoteles (384-322 v. Chr.)
durch ein fünftes, den Äther (das „Himmlische“ erklärend; im griechischen αιθέρας) erweitert2. Aristoteles, der große Ionische Philosoph und Lehrer Alexander des Großen, schrieb das
Lehrbuch “Meteorologica”3.
a)
Vor der Entdeckung der Luftzusammensetzung
Das griechische Wort µετέωρος wurde bereits wesentlich früher benutzt (etwa 600 Jahre v.
Chr.) und bedeutet4 „in die Höhe heben“. Der Begriff „Atmosphäre“, aus dem Griechischen
abgeleitet (άτµόσ = Dampf, Brodem, άτµις = Dampf, Dunst, σφαίρα = Kugel, Ball)5 wurde
1
2
3
4
5
Nach Diogenes Laertius: „Leben und Meinungen berühmter Philosophen”, übersetzt und kommentiert von
Otto Apelt, Felix Meiner, Leipzig 1921
Ernst Haeckel nutzte den Begriff Aether in seinem Buch „Welträtsel“ (1899) als Synonym für imponderable
(nichtmeßbare) Materie: „ Die Erkenntniß dieses unwägbaren Theiles der Materie ist in erster Linie Gegenstand der Physik. Nachdem man schon lange die Existenz eines äußerst feinen, den Raum außerhalb der Maße
erfüllenden Mediums angenommen und diesen "Aether" zur Erklärung verschiedener Erscheinungen (vor Allem des Lichtes) verwendet hatte, ist uns die nähere Bekanntschaft mit diesem wunderbaren Stoffe erst in der
zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gelungen, und zwar im Zusammenhang mit den erstaunlichen
empirischen Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrizität, mit ihrer experimentellen Erkenntniß, ihrem
theoretischen Verständniß und ihrer praktischen Verwerthung“.
Aristoteles. Meteorologia. Eleganti Iacobi Fabri Stapulensis Paraphrasi explanata. Commentarioque Ioannis
Coclaei Norici declarata ad foelices in philosophiae studiis succeßus calcographiae iamprimum demandata.
Nürnberg, F. Peypus, 1512. Erste Ausgabe in Deutschland durch den großen französischen Humanisten
Jacques Lefevre d'Estaples. Es enthält drei Kapitel über Geophysik, Astronomie, Hydrologie und Klimatologie. Bis zum ausgehenden Mittelalter verblieb es über 2000 Jahre die Grundanschauung zur Natur.
µετέωρολογια [metéorologia] bedeutet nach Benselers Gr.-Dt. Schulwörterbuch (Leipzig und Berlin 1911)
die „Lehre von überirdischen, himmlichen Dingen“, aber auch „erhabenes Gerede“, der „philosophische
Schwindel“.
In alten deutschen Büchern wird auch der Begriff “Dunstkreis” anstelle von “Atmosphäre” benutzt; zumeist
wurden die Wörter Luftmeer und Luftozean (ebenso im Englischen) benutzt (Reimann, 1857; Umlauft 1891).
Atmosphaera, Atmosphère.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
109
wahrscheinlich nicht vor Mitte des 18. Jahrhunderts systematisch benutzt. Bei Gehler (1787)
findet man die synonymen Begriffe
Luftkreis, Dunstkreis, Dunstkugel, Atmosphäre der Erde, Atmosphaera terrestris, Atmosphère de la terre.
Der Begriff Atmosphäre (atmosphaera) soll erstmals 1638 in England von Astronomen im
Zusammenhang mit Mondbeobachtungen6 genannt worden sein (Weekley 1967). Gottfried
Wilhelm Leibniz (1646-1716) benutzte den Begriff „atmosphaera“ mehrfach in seinen Briefen7. Üblicher (bis Mitte des 19. Jahrhunderts) blieben in deutscher Sprache7 die Begriffe
Luftkreis (die einen Himmelskörper oder eine Strecke desselben umgebende Luft) und Luftmeer8 (der Luftkreis als Meer gedacht), die aber auch bis in das 20. Jahrhundert hinein gebraucht wurden.
Das Wort Luft9,10 (gr. άέριος = in der Luft hoch, dunstig; lat. aer) findet seine ursprüngliche Wurzel aus mittelalterlichen Texten als „Raum zwischen Erde und Himmel“11. Es ist
möglich, daß „Luft“ im Wortstamm sich aus dem Begriff „Licht“ (deutsche Wurzel „luk“)12
entwickelte, welches zunächst von den Himmelskörpern und ihren Strahlen als atmosphärische Erscheinung erkannt wurde (lateinisch: lucis, luminis, lumen; griechisch: λυχνος). Das
gemeingermanische Wort „Luft“ weist vielfältige Abarten13 und sogar ein im altenglischen
ähnlich klingendes Wort lyft auf (nach Kluge 1999, Duden 1963, Pokorny 1953). Die frühe
Verwendung des Wortes Luft für Wind14 kann man der Dichtung „Crist“ (991) entnehmen,
die dem Verfassers Kynewulf zugeschrieben wird, welcher wahrscheinlich im 8. Jahrhundert
im Norden Englands lebte:
hû þät gestûn and se storm and seó stronge lyft
brecað brâde gesceaft.
Der Dichter Georg Rodolf Weckherlin (1584-1653) betont die „meteorologischen“ Elemente:
der luft schiesz dunder, strahl und plitz.
6
7
8
9
10
11
12
13
14
z.B.: Boskovic, R. J. (1753) De luane atmosphaera dißertatio. Romae, Publ. G. Salomoni
Sämtliche Schriften und Briefe (1662-1676): Reihe III. 2, S. 219, 220, 794, Hrsg. von der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschafen in Göttingen. Mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Briefwechsel: Reihe VI, 1, S. 56-58, VI, 2, S. 190,
233, 249f, 255, 271; VI, 3, S. 58, 229, 525, Hrsg. vom Leibniz-Archiv der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover
Im englischen ocean of air (s. z.B. Giberne 1890)
Althochdeutsch: luft (auch altsächsich), aër, lufft, luht. Beziehungen des Wortes zu urverwandten Sprachen
sind bis jetzt nicht aufgestellt, da die in der alten Sprache häufigste Bedeutung von Luft der Zugwind ist
(Deutsches Wörterbuch „Grimm“).
Luft stellt bemerkenswerterweise auch einen Familiennamen dar: Beispielsweise Hans Lufft (1528-1584),
herausragender Buchdrucker in Wittenberg, druckte in der Kupfergasse die 1. Ausgabe der Bibelübersetzung
Luthers (1534) und andere Reformationsschriften. Christa Luft (geb. 1938), DDR-Wirtschaftswissenschaftlerin und PDS-Bundestagsabgeordnete 1994-2002.
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Band 12, Spalten 1237–1249
Alte Bezeichnungen: liecht, lioht (althochdeutsch), liehte (mittelhochdeutsch), lecht (mittelniederländisch
und mittelniederdeutsch)
Gothisch: luftus. Altnordisch: lopt. Niederländisch (mittelniederländisch: locht) und niederdeutsch: lucht.
Schwedisch und dänisch: loft.
So darf man vielleicht daran denken, daß Luft aus der Vorstellung des Packenden oder Ungestümen heraus
sich entwickelt habe und daß Verwandtschaft zum sanskriptischen rabh-as = ungestüm, Gewalt sowie griech.
λαβρος = heftig, ungestüm, vorliege. Auf kärntnisch heißt lüftig = rasch, schnell.
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Konrad von Megenberg (1309-1374), Rektor der Wiener Domschule und Domherr in Regensburg, schuf die erste deutsche Naturenzyklopädie, das „Buch der Natur“’ (eigentlich
„Buch über die natürlichen Dinge“’), welches im wesentlichen eine Übersetzung aus dem
Lateinischen ist, s. Abb. 2.
Abb. 2: Seite mit dem Beginn des Kapitels „vom dem Luffte“ aus dem Band II (Über die sieben Planeten und
vier Elemente, ein-schließlich verschiedener meteorologischer und atmo-sphärischer Phänomene) von Megenberg (Universitätsbib-liothek Heidelberg)
digitale Volltextpresentation http://digi.ub.uni-heidelberg. de/cpg300)
Fig. 2: Page with the beginning chapter „vom dem Luffte“ (on the air) from volume II (On the seven planets and
four elements including different meteoro-logical and atmospheric phenomena) by Megenberg (University
library Heidel-berg),
digital full text represen-tation:
http://digi.ub.uni-heidelberg. de/cpg300)
Seine Quelle ist eine als "Thomas-IIIa" bezeichnete gekürzte und in ihrer thematischen
Ordnung veränderte Fassung des „Liber de natura rerum“ des Thomas von Cantimpré. Darin
wird die antike Darstellung der Luft als ein Element gegeben:
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der luft ist daz næhst element nâch dem feur, wann dâ des feurs huot ain end hât, dâ hebt sich des luftes huot
an und gêt umb und umb daz mer und umb die erden, reht als daz weiz in ainem ai gêt umb den totern.
Man beachte das männliche Geschlecht „der Luft“ (im Laufe der Zeit wurden alle Geschlechter benutzt). Im Band 12 von 1889 des Deutschen Wörterbuchs „Grimm” wird das
Megenberg-Zitat als einen Hinweis der gleichlautenten Verwendung von Luft, Luftkreis und
Atmosphäre zitiert: luft, der luftkreis selbst, ohne dasz mehr die bewegung betont wird, die
atmosphäre, nach der alten lehre von den elementen die erde umgebend.
Die Wahrnehmung von schlechter Luft ist bereits aus dem frühen Mittelalter überliefert
(s.n. Abschnitt). Allerdings muß man sich bewußt sein, daß die Luft (= Atmosphäre) bis zum
Ende des 18. Jahrhundert (der Entdeckung der Luftbestandteile) als ein einheitlicher Körper
angesehen wurde. In der frühen Antike wurde Luft mit Leere gleichgesetzt. Erst Heron von
Alexandrien (10-75) hat durch pneumatische Experimente nachgewiesen, daß Luft ein (elastischer) Körper ist. Es vergingen jedoch 1500 Jahre, bis von Gallileo Gallilei (1564-1642)
erstmals das Gewicht der Luft nachgewiesen wurde. Blaise Pascal (1623-1662), ein Zeitgenosse von Torricelli15, führte am Puy de Dome bei Clermont in Frankreich außerordentlich
akkurate Messungen des Luftdrucks durch und erkannte die Abnahme des Luftdrucks mit der
Höhe. Daraus schloß er auf ein Vakuum in großer Höhe.
Wahrscheinlich kann man jedoch die Wahrnehmung von schlechter Luft bereits in der frühesten Menschheitsgeschichte annehmen. So wird beispielsweise im Werk Tao Te Ching
(„Der Weg des Lebens“ als Begründung des Taoismus) des Chinesen Lao Tzu (604-531
v.Chr.) auf die Luftqualität hingewiesen16:
Heaven and earth do not act from (the impulse of) any wish to be benevolent;
they deal with all things as the dogs of grass are dealt with.
The sages do not act from (any wish to be) benevolent;
they deal with the people as the dogs of grass are dealt with.
May not the space between heaven and earth be compared to a bellows?
'Tis emptied, yet it loses not its power;
'Tis moved again, and sends forth air the more.
Much speech to swift exhaustion lead we see;
Your inner being guard, and keep it free.
Die Ideen des Arztes Hippokrates von Kos (ca. 460 - ca. 377 v.Chr.) spielten eine besondere Rolle, zumal seine Thesen im Mittelalter, in der Renaissance und im Zeitalter der Aufklärung erneut Einfluß gewannen. Das Buch über den Zusammenhang von Klima, Wasser und
Bodenbeschaffenheit in ihrer Auswirkung auf die physische und psychische Konstitution der
Einwohner eines Landes gehört zu den ersten umfassenden Studien über die Wechselwirkungen von Klima und menschlichem Befinden (Abb. 3). Hippokrates ist bemüht zu zeigen, wie
sich unser Wissen über klimatische Unterschiede dazu verwenden läßt, die Lebensgewohnheiten und Eigenschaften der Menschen an verschiedenen Orten zu erklären. Es wird der Einfluß
bestimmter Umweltgegebenheiten auf den Gesundheitszustand (Kap. 1-11; medizinischer
Teil) und auf den Körperbau und Charakter des Menschen (Kap.12-24; ethnographischer Teil)
untersucht. Im ethnographischen Teil wird eine Theorie vom Einfluß klimatischer und anderer
regionaler Faktoren auf den Charakter zur Geltung gebracht, die (in simplifizierter Form)
nicht nur in der griechisch-römischen Antike, sondern auch noch im neuzeitlichen Europa
fortgewirkt hat, und dies (mindestens) bis ins 19. Jahrhundert.
15
16
Evangelista Torricelli (1608-1647), welcher 1641/42 im Sekretariat Gallilei´s arbeitete, erzeugte als erster
Mensch Vakuum und entdeckte das Prinzip eines Barometers im Jahr 1643
Sacred Books of the East (SBE), Vol. 39, Tao Te Ching by Lao-Tzu (1891), translated by J. Legge, Oxford
University Press
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Abb. 3: Titelblatt des Buches „Hippocratis Coi De aëre, aquis,
& locis libellus. Eiusdem de flatibus. Graece & Latine Iano
Cornario Zviccaviense Interprete. Basel: Hieronymus Froben
und Johannes Herwagen August 1529“ (Von der Luft, den
Ortschaften und dem Wasser; oft auch einfach betitelt: „Über
die Umwelt“)
Fig. 3: First page of the book „Hippocratis Coi De aëre, aquis,
& locis libellus. Eiusdem de flatibus. Graece & Latine Iano
Cornario Zviccaviense Interprete. (on the air, the locations and
the water, often simple entitled “On the environment”)
Der große jüdische Gelehrte, Philosoph und Mediziner Moses Maimonides (1135-1204)
beschrieb nach der Antike als Erster den Zustand Luftverschmutzung in Städten und ihren
Effekt auf Menschen (Rosner 1987).
Aus dem 14. Jahrhundert sind die ersten Vorschriften zur Luftreinhaltung und zur Vermeidung von Ansteckung bei Epidemien bekannt:
man sol [einem aussätzigen Straftäter] ... chainen andern tôt tun denn prennen. daz macht der luft, der von im
gêt, der ist schedleich17
keine ferkensställe ... auf der strassen ..., sondern binnen hofs ... zu machen, auch dergestalt, dass ... den
nachbaren kein böse luft noch gestank zugefügt werde18
Während die (qualitative) Beschreibung der Luftqualität mit Wörtern wie reine, unreine,
gute, böse, stickige, verderbte, kalte, kühle, warme Luft seit „biblischen“ Zeiten verbal verwendet wird, wurden verschiedene Luftarten (auch Luftgattungen) erst durch Alchemisten
entdeckt. Dabei handelte es sich noch lange nicht um eine Analyse der (atmosphärischen)
Luft, sondern die Darstellung verschiedener Gase als Folge alchemistischer Experimente. Das
Wort Gas war noch nicht bekannt. In seinem posthum 1652 in Amsterdam erschienenen Werk
„Ortus medicinae i. e. initia physicae inaudita“ spricht van Helmont 19
ideo paradoxi licentia, in nominis egestate, halitum illum gas vocavi, non longe a chao veterum secretum20
17
18
19
20
Datierung vor 1328, Fundstelle in: Ruprecht, Freisinger Rechtsbuch, bearb. von Hans-Kurt Claussen, Weimar, Böhlau (1941), 360 S.
Datierung: 1558, Fundstelle in: Polizei- und Landesordnungen. Köln [u.a.], Böhlau. (Quellen zur Neueren
Privatrechtsgeschichte Deutschlands ; Bd. 2., 1. Reich und Territorien. Hrsg. und bearb. von Wolfgang Kunkel (1968), 751 S., S. 355
Johann Baptist (Jan) van Helmont (1577-1644) Physiker und Alchemist in Brüssel; glaubte, alle Stoffe lassen
sich zu Luft und Wasser reduzieren.
Ich habe diesen Hauch Gas genannt, da er von dem Chaos der Alten nicht weit entfernt ist.
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und begründet, warum eine neues Wort (Hunc spiritum, incognitum hactenus, novo nomine Gas
voco) notwendig ist (S. 86):
„dass unsere Naturkundige ein schicklicheres Wort, welches nicht so sehr das Gepräge der Alchymie an sich
hätte, ausfündig machten.“
Offensichtlich bestand das Bedürfnis, die in chemischen Versuchen gefunden Dämpfe21,
Dünste22 und Lüfte (Luftarten) durch ein neues Wort von der (atmosphärischen) Luft (die zu
diesem Zeitpunkt noch als einheitlicher chemischer Körper angesehen wurde) zu unterscheiden.
Der mittelalterliche Arzt und Alchemist Theophrast von Hohenheim23, der unter dem Namen Paracelsus bekannt wurde (Abb. 4), bezeichnete ganz im Sinne dieser Bedeutung den
„atmosphärischen Raum“ als Chaos. Luft und Chaos waren für ihn synonym (Loewe 1936).
Das ursprünglich griechische Wort χάος bezeichnet24 den leeren Raum und das Beginnende.
Daß die „Leere“ nicht mit Nichts gleichgesetzt werden darf, entnimmt man u. a. den Kosmogonien, wonach die Welt aus dem Chaos geboren wurde, das Chaos also als kreativ, alle
Gestaltungsmöglichkeiten in sich bergend angesehen wurde (Genz 1994).
Abb. 4: Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt
Paracelsus. Nach seiner Lehre war in der Welt zunächst keinerlei Substanz
vorhanden, erst durch Gottes Wort, durch das "fiat" sind "das corpus und sein
geist gemacht worden".
Fig. 4: Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, called
Paracelsus. After his thesis there were no substances st first in the world; only
by god´s world throuht “fiat” have been created "das corpus und sein geist gemacht worden" (the body and its mind have been made).
Aus dem ursprünglichen Chaos (oder mysterium magnum) gingen durch "separatio" die vier
Elemente Wasser, Feuer, Erde und Luft hervor. Die Elemente bewirkten weitere Neubildungen und wurden anschließend zersetzt25:
21
22
23
24
25
Dampf (nach Deutsches Wörterbuch, Band 2, Spalte 714, gekürzt): ein dichter, sichtbarer, feuchter Rauch
oder Dunst, schwerer als Luft, leichter als Qualm und Schwaden, fumus, vapor, exhalatio, ahd. dampf, mhd.
tampf, dän., engl., niederl. und niederd. damp, altnord. dampi, poln. dim. Es gehört zu dem starken Verbum
dimpfen rauchen. Verwandt scheint das ahd. daum, mhd. toum, das gleiche Bedeutung hat, das bair. und
östreich. dam Ausdünstung, das schwed. dam aufgeregter wolkiger Staub.
Dunst (nach Dt. Wörterb., Band 2, Spalte 1559, gekürzt): f. dünne, nasse oder trockene Flüssigkeit die in die
Luft steigt, meist sichtbar ist, doch auch nur durch den Geruch empfunden wird; vergl. dampf, duft, brodem,
qualm, schwadem. ahd. tunst, mhd., schwed. und dän. dunst m. Im goth. altsächs. altfries. niederd. niederl.
kommt dunst nicht vor, das unter das goth. þinsan und das verlorne þinan dehnen gestellt wird. altnord. ags.
engl. dust n. staub. [heute wird atmosphärischer Dunst im engl. als haze bezeichnet].
Paracelsus, eigentlich Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493-1541) war der
Erste, welcher in den Lebensvorgängen chemische Prozesse sah und die „Chemie“ in den Dienst der Medizin
stellte. Das 16. und 17. Jahrhundert wird daher als das iatrochemisches Zeitalter bezeichnet. Berühmt geworden durch den Spruch „Alle Ding' sind Gift und nichts ohn' Gift; allein die Dosis macht, das ein Ding' kein
Gift ist“ (zumeist im abgekürzten sola dosis facit venenum).
In der Antike poet. auch für den Luftraum verwendet.
Zu Lebzeiten Paracelsus wurden nur wenige Bücher veröffentlicht. Erst ab 1560 erschienen (teils in alchemisten Sammelwerken) die Aufsätze Paracelsus´s (mehrere Hundert), so „Liber Natura, sive Chaos veterum;
generalem metallorum generationem, etc. demonstrans“. In: Liber vexacionen. John Stacy (1656) S. 83-89
(Bibl. Glasgow Universität, Verzeichnis MS Ferguson 237)
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"dis mysterium magnum ist ein muter gewesen aller elementen und gleich in solchen auch ein grossmuter
aller stern, beumen und der creaturen des fleischs ... und ein element ist ein muter, deren seind vier, luft, feur,
wasser, erden; aus den vier mutern werden alle ding geboren der ganzen welt..."
Paracelsus untersuchte das Kohlendioxid, spiritus sylvestris (erst von Helmont gas sylvestre
benannt), und wies nach, daß es bei der Gärung, Verbrennung der Kohle, beim Brennen aus
Kalkstein und aus Pottasche (K2CO3) bei Zusatz von Salzsäure entsteht. Er kannte, jedoch nur
ganz unrein, Wasserstoff, Methan und Schwefeldioxid (vgl. Tab. 1). Die große Leistung
Paracelcus war es, die Alchemie in den Dienst nach der Suche von Heilmitteln zu stellen.
Wohl als Erster hat er die substanzbildenden Eigenschaften mehr chemisch als naturphilosophisch betrachtet und schuf damit den Vorbegriff des chemischen Elements (freilich erst von
Boyle naturwissenschaftlich eingeführt). Lebensvorgänge, tellurische und kosmische Physik
(für ihn wirkte in der Atmosphäre als besondere Substanz das „Chaos“) wurden bereits durch
stoffliche Beziehungen26 miteinander verbunden (Bugge 1929).
Man ist heute der Meinung, daß Helmont den Begriff Gas aus dem von Paracelsus – dessen Werke ihm gut bekannt waren – gebrauchten „Chaos“ nach niederländischer Aussprache
bildete (durch Weglassen des „o“ wobei „ch“ wie „g“ ausgesprochen wird), s. Egli (1947).
Allerdings könnte es auch sein, daß es aus den für Gas und Luft in der Alchemie gebräuchlichem Term Geist27 (spiritus) abgeleitet wurde. Kopp (1847) schreibt:
„Woher das Wort zunächst gekommen ist, weisz man nicht; nach Juncker, den bekannten Schüler Stahl's, soll
es aus Gäscht, dem bei der Gährung entstehenden, Schaume, abgeleitet sein.“
Lavoisier schrieb in seinem Werk Opuscules physiques et chimiques (2e éd., Paris, 1802, p. 5)
« Gas vient du mot hollandais Ghoast, qui signifie Esprit. Les Anglais expriment la même idée par le mot
Ghost, et les Allemands par le mot Geist qui se prononce Gaistre. Ces mots ont trop de rapport avec celui de
Gas, pour qu'on puisse douter qu'il ne leur doive son origine »
Im Deutschen Wörterbuch, Bd. 4 (1897) wird der Begriff „Gas“ folgendermaßem definiert:
Gattungsname für Luftarten, oder luftförmige Flüssigkeiten wie die Wissenschaft den Begriff bestimmt, die
sich von den Dämpfen unterscheiden durch die Unmöglichkeit oder Schwierigkeit sie in tropfbare Gestalt zu
bringen; auch von der gewöhnlichen Luft sind sie verschieden und wurden im Gegensatz zu ihr zuerst erkannt, während dieselbe jetzt selber von der Wissenschaft als gasförmig, als ein Gasgemenge bezeichnet
wird.
Helmont soll (nach Gehlers 1845) „die gemeine Luft“ auch Gas, bestimmter gas ventosum
genannt haben. Nach Gehlers (Deutsches Wörterbuch) wurden auch gas atmosphericum und
Dunstkreisluft als Synonyme28 benutzt. Im „Oeconomische Encyclopädie, oder allgemeines
System der Land- Haus- und Staats-Wirthschaft in alphabetischer Ordnung“ von J. G. Krünitz
(1779, Bd. 16, S. 404) heißt es:
Das Gas nennen Helmont und andere Chemiker die unsichtbaren flüchtigen Theile, welche von selbst aus
26
27
28
Allerdings verblieb auch er noch bei den drei Grundbestandteilen Schwefel (sulfur), Quecksilber (mercurius)
und Salz (sal), denen die physikalischen Phänomene der Brennbarkeit (Öligkeit), Verflüssigung (Verflüchtigung) und Erstarrung (Festigkeit) entsprechen.
Niederländisch und niedernorddeutsch: geest, ags. gâst (auch altfries.), gæst. Der Ursprung ist in Hauch und
Atem zu suchen. Luther schrieb (Hiob 4, 9): der himel ist durchs wort des herrn gemacht und all sein heer
durch den geist seines munds. Insofern ist die Synonymität zwischen Geist, Dampf, Atem, Hauch, Wind und
Luftarten gegeben.
Humboldt schrieb über Gasarten (Versuche über die chemische Zerlegung des Luftkreises. Braunschweig,
1799), „doch ist im Buche selber noch immer mehr von Luft als Gas die Rede (Deutsches Wörterbuch).
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gewissen Körpern ausdampfen ... z. e. die Dämpfe der in eine spirituöse oder in eine faulige Gährung gerathenen Materien, tödtliche Dämpfe aus brennenden Kohlen, die Schwaden in Bergwerken« u. s. w. »und
selbst den spiritus rector gewisser Substanzen, z. e. des Bisams«, denn es wurde zuerst unter die spiritus oder
Geister der Dinge gezählt.
b)
Die Erkundung der chemischen Zusammensetzung der Luft
Der englische Physiker und Chemiker Robert Boyle (1626-1691) verknüpfte die Chemie –
bis dahin im wesentlichen als Alchemie betrieben – bei seinen Untersuchungen über Gase
(Beziehungen zwischen Gasmenge, Druck und Temperatur) zum erstenmal mit der exakten
Naturwissenschaft Physik. Neben seiner grundlegenden Prägung der Begriffe Element, chemische Verbindung und chemische Reaktion, schrieb er, daß Luft ein „confused aggregate of
effluviums“ sei (Brimblecombe, 1996). Boyle schlug in seinem Buch “Memoirs for a General
History of the Air” die Bildung und Untersuchung verschiedener Luftarten (Tab. 1) vor, hat
aber nichts über dessen Realisierung geschrieben. Ramsay (1907) glaubte, daß die Zusammensetzung der Luft 100 Jahre früher erkundet worden wäre, wenn diese Experimente durchgeführt worden wären. Als eine große Behinderung in der wissenschaftlichen Untersuchung der
Verbrennungsvorgänge unter Lufteinfluß stellte sich die Phlogiston-Theorie heraus.
Der deutsche Chemiker Georg Ernst Stahl (1660-1734) entwickelte eine Theorie, wonach
jeder brennbare Stoff eine flüchtige Substanz enthält, das phlogiston (gr. φλογιστός = verbrannt). Stoffe, die reich an Phlogiston sind (wie z.B. Holz im Unterschied zu Metallen),
verbrennen nahezu vollständig. Es war der erste Versuch, den Prozeß der Oxidation zu erklären. Erst Antoine Lavoisier konnte am Ende des 18. Jahrhunderts – nach der Entdeckung der
Luftbestandteile – zeigen, daß diese Theorie falsch ist.
Die Entdecker der Luftbestandteile (s.w.u.), Black, Cavendish, Priestley, Gay-Lussac29 und
Lavoisier, haben Luft auch als elastic fluid bezeichnet. Wie bereits erwähnt, wurden die Begriffe Luft und Gas weiterhin parallel verwendet. Die atmosphärische Luft (als Gasgemisch)
wurde mit folgenden Bezeichungen belegt:
atmosphärisches Gas, gemeine Luft, atmosphärische Luft, Gas atmosphaericum, Aër atmosphaericus vulgaris, communis, Gas ventosum, Gas atmosphérique, Air commun, Air de
l'atmosphère.
Die Entdeckung von gasförmigen Substanzen, die auch in der Luft enthalten sind, war im
frühen 18. Jahrhundert eng mit den Untersuchungen zum Pflanzenwachstum verbunden. Daß
die Luft sowohl einen Bestandteil enthält, der die Atmung und Verbrennung zu unterhalten
als auch nicht zu unterhalten vermag, wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entdeckt.
In der Zeit, als Stahl´s Phlogiston-Theorie publiziert wurde, hat ein heute nahezu vergessener Chemiker, John Mayow30, gezeigt, daß Luft ein Gas enthält (CO2), welches bei der Atmung und Verbrennung auftritt, which is fixed from calcified metals. Die Zeit der modernen
Chemie kann mit den Arbeiten des Engländers Stephen Hales (1677-1761) zur Elastizität der
Luft datiert werden. Er erklärte auch, daß viele feste Substanzen unterschiedliche Gas, die er
airs nannte, enthalten. Hales31 führte 1738 sorgfältige Untersuchungen über die Absorption
29
30
31
Joseph Louis Gay-Lussac (1778-1850) Frz. Chemiker und Physiker. Prof. an der Sorbonne. 1804 Untersuchungen (u.a.) der Luftzusammensetzung bei zwei Ballonaufstiegen bis zu 7016 m. 1802 unabhängig von
Jacques-Alexandre-César Charles (1746-1823), der es bereits 1787 fand, entdeckt, daß ein Gas bei konstantem Druck in einem festen Verhältnis zwischen Temperatur und Volumen expandiert. Charles unternahm
1783 als Erster ein Aufstieg mit einem wasserstoffgefüllten Ballon.
(1643-1679) englischer Chemiker und Physiologe; zitiert nach: A. Mangin (1866) Das Reich der Luft. Berlin,
S. 113
Stephen Hales (1738) Vegetable Statics, 3rd ed., London
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von Wasser und dessen Verdunstung in die Atmosphäre durch. Er begriff, daß Luft und Licht
notwendige Bedingungen für das Wachstum der Pflanzen sind. Der schottische Chemiker
Joseph Black (1728-1799), ein Schüler Hales, hat wertvolle Untersuchungen über das Kohlendioxid, das er „fixe Luft“ nannte, durchgeführt und stellte fest, daß in diesem Gas eine
Kerze nicht brennt und Lebewesen nicht existieren sowie daß es ein Produkt der Atmung ist.
Senebier32 erkannte 178333, daß die Erholung von (schlechter) Luft, also CO2 (fixierte Luft)
enthaltend, mit dessen Verbrauch durch Grünpflanzen unter Lichteinfluß zusammenhängt.
Als Erster schlug Woodward34 die mineralische Düngung von Pflanzen vor (1733). Viel
später (1840) erst wurde von Liebig35 vermutet, daß auch Nährstoffe aus der Luft in die Pfanze gelangen (in seinem berühmten Buch: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf
Agricultur und Physiologie).
1803 hat Saussure36 entdeckt, daß die Zunahme der Biomasse von Pflanzen nicht nur durch
die Aufnahme von CO2 und Mineralien sondern auch durch Bindung von „Wasserkomponenten“ verbunden mit der Freisetzung von Sauerstoff während der Photosynthese erfolgt. 1838
hat Boussingault37 durch eine Serie eleganter Experimente über 5 Jahre nachgewiesen, daß
Hülsenfrüchte einen höheren Stickstoffgehalt ausweisen als Getreide und daß die Luft die
entsprechende Stickstoffquelle ist (ohne die Substanz zu spezifizieren). 1848 Liebig argumentierte (ohne einen exakten Nachweis zu erbringen), daß es sich um Ammoniak (NH3)
handelt. Ein heftiger Streit zwischen Liebig und seinen Kollegen (insb. Lawes und Gilbert)
führte zur Initiierung vieler chemischer Regenwasseruntersuchungen (s. später im Text Robert
Smith).
Es wird heute allgemein akzeptiert, daß die Entdeckung des Luftstickstoffs dem englischen
Physiker Daniel Rutherford (1749-1819) zugeschrieben werden muß; seine 1772 vorgelegte
Doktorschrift hat den Titel “Dissertation Inauguralis de aero fixo dicto, aut mephisto”.
Die Entdeckung der verschiedenen Gase (Luftarten) war nicht immer unmittelbar gleichbedeutend mit der Erkenntnis, daß sie natürliche Bestandteile der (atmosphärischen) Luft sind.
Erst mit den bemerkenswerten Untersuchungen der Chemiker Priestley38 und Scheele39 sowie
dann Lavoisier40 und Cavendish41 begann das „Zeitalter der chemischen Erforschung der
Luft“.
Joseph Priestley hatte 1771 von der goodness der Luft (Luftgüte oder im heutigen Sprachgebrauch Luftqualität) gesprochen und bemerkt, daß „verletzte“ (injured) oder „erschöpfte“
(depleted) Luft durch grüne Pflanzen wieder „repariert“ (restored) wird. Seine Erkenntnisse
schrieb er im Buch
Experiments and Observations on Different Kinds of Airs (1774-1777)
nieder. Am klarsten wurde dies von Carl Wilhelm Scheele in seiner 1777 erschienenen
32
33
34
35
36
37
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41
Jean Senebier (1742-1809) Schweizer Botaniker und Naturalist sowie Priester in Genf
„Recherches sur l'influence de la lumiere solaire pour metamorphoser l'air fixe en air pur par la vegetation.
Avec des experiences et des considerations propres a faire connoitre la nature des substances aeriformes”,
enthalten in Senebier (1788b)
John Woodward (1665-1728) Profeßor am Gresham College in London
Justus von Liebig (1803-1873) dt. Chemiker, Profeßor in Gießen 1824-1852, begründete die „Agriculturelchemische Theorie” und zusammen mit Wöhler die Radikal-Theorie
Théodore de Saußure (1767-1845) Schweizer Botaniker und Naturalist in Genf
Jean Baptiste Joseph Dieudonne Boußingault (1802-1887) Frz. Landwirtschafts-Chemiker
Joseph Priestley (1733-1804) engl. Wißenschaftler, wegen seiner Sympathie mit der frz. Revolution in die
USA (Philadelphia) 1794 übergesiedelt
Carl Wilhelm Scheele (1742-1786) Schwedischer Apotheker in Gothenburg, Malmö und Stockholm, Mitglied der Schwed. Königl. Akademie der Wiß. 1775
Antoine Laurent de Lavoisier (1743-1794) frz. Chemiker (Vater der modernen Chemie) in Paris, fand den
Tod auf der Guillotine
Henry Cavendish (1731-1810) engl. Chemiker und Physiker in London
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„Abhandlung von der Luft und dem Feuer“
ausgesprochen. Reinen Sauerstoff hat 1774 Priestley unabhängig neben Scheele hergestellt42.
Er erkannte aber noch nicht, daß Luft ein Gemisch ist und bezeichnete den erhaltenen Sauerstoff als „gute Luft“. Lavoisier gründete auf diese Entdeckung seine Theorie der Verbrennung. Da er dieses Element (als Dephlogiston entsprechend der Phlogiston-Theorie bezeichnet) für einen wesentlichen Bestandteil von Säuren hielt, gab er ihm den Namen Oxygéne
(oxygenium, gr. όξύς = sauer). Cavendish hatte bald danach hervorgehoben, daß es auch
sauer schmeckende Substanzen gab, die keinen Sauerstoff enthielten. Scheele wies nach, daß
ein Volumen Sauerstoff ein Volumen Kohlendioxid ergibt. Dem von Scheele als „verdorbene
Luft“ bezeichneten Gas (von Priestley als „inflammable air“ bezeichnet) gab Lavoisier den
Namen Azote, d.h. Stickgas oder Stickstoff.
Priestley hat als Erster Quecksilber zum Absperren der Gase benutzt und ist der Entdecker
einer Reihe wasserlöslicher Gase (NH3, HCl, SO2), die aber noch nicht in der Luft nachgewisen werden konnten. Scheele identifizierte auch Ammoniak in der Luft (alkalische Luft); die
Formel wurde 1785 durch Berthollet aufgestellt.
Die Luftuntersuchungen (besser gesagt, Studien zur Verbrennung und Veränderung der
Substanzen in der Wechselwirkung mit der Luft und deren Bestandteilen) war der entscheidene Schritt zur Etablierung der Chemie als systematische Wissenschaft.
Blagden43 berichtete Lavoisier über Cavendish´s Experimente im Jahr 1781 und zusammen
mit Laplace44 wurden sie wiederholt mit dem Ziel, das Experiment umzukehren, d.h. Wasser
in Wasserstoff und Sauerstoff zu zersetzen (durch Überleiten über rotglühende Eisendrähte).
Lavoisier (Cavendish verblieb zu seinen Lebzeiten ein Anhänger der Phlogiston Theorie) gab
danach die richtige Erklärung für die Auflösung von Metallen in Säuren. Schließlich haben
Lavoisier, Morveau45, Berthollet46 und Fourcroy47 eine neue chemische Nomenklatur im Jahr
1787 in Paris etabliert. Lavoisier schrieb 1793 das erste moderne Lehrbuch der Chemie:
„Traité élémentaire de Chimie“.
Wasserstoff (bereits Paracelsus im 16. Jahrhundert bekannt) wurde oftmals mit anderen
brennbaren Gasen verwechselt. Erst 1766 gelang es Cavendish, Wasserstoff von anderen
brennbaren Gasen zu unterscheiden und 1781 nachzuweisen, daß er zu Wasserdampf verbrennt. In Verbindung mit Lavoisiers Entdeckungen über die Rolle des Luftsauerstoffs (1777)
wurde damit klar, daß Wasser eine Verbindung ist. Aber erst 1901 wurde durch Gautier48
erklärt, daß H2 ein Bestandteil atmosphärischer Luft ist, was 1902 durch spektroskopische
Studien von Rayleigh bestätigt wurde.
42
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48
Es gilt als erwiesen, daß Scheele den Sauerstoff als Erster um 1772 hergestellt hatte und eine exakte Beschreibung des Experiment und der Eigenschaften des gebildeten Gases lieferte (aus Tagebüchern ersichtlich). Oftmals wird Priestley die Priorität aus dem Grund zugeschrieben, weil dessen Werk einige Monate
vor Scheeles Abhandlungen (die jedoch bereits Ende 1775 beim Verlag eingereicht wurden) erschien. Scheele hatte bereits im September 1772 in einem Brief an Lavoisier von seiner Entdeckung mit ausführlicher Beschreibung berichtet, der aber von diesem niemals zitiert wurde (man muß annehmen, ignoriert). Dieser Brief
tauchte erst 100 Jahre später auf, „verschwand“ aber wieder in den 1930er Jahren. Im weiteren ist heute erwiesen, daß Scheele alle seine Entdeckungen dem damals bekannten Chemiker Bergmann mitteilte, die dieser wiederum vor Priestley´s Publikation in der Nova Acta in lateinischer Sprache veröffentlichte (Boklund
1966).
Sir Charles Blagden (1748-1820) Engl. Physiker, Cavendish's Assistent von 1782-1789
Pierre-Simon (Marquis) de Laplace (1749-1827) Frz. Mathematiker
Louis Bernard Guyton de Morveau (1737-1816) frz. Chemiker
Claude Berthollet (1748-1822) frz. Chemiker, führte den Begriff „chem. Affinität“ ein
Antoine François de Fourcroy (1755-1809) frz. Chemiker
M.A. Gautier, Ann. de Chimie 22 (1901)
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Tab. 1: Historische Bezeichnungen von Gasarten (Lüfte, Dämpfe, Gase); man bemerkt, daß Bezeichnungen
mehrfach vergeben wurden, d.h. nicht eindeutig sind, L. = Luft
Table 1: Historical terms (archaic chemical meanings) of kinds of gases (airs, vapours, gases); note that terms are
used multiple, i.e. they are not unambiguous; L. = Luft (air)
Bezeichnung
An. Formel
salpetrige L., nitröse L., Salpetergas, salpeterartige L.
1
NO
phlogistierte salpetrige L.
2
N2O
salpetersaure Luft, phlogistisirte Salpetersäure, Salpeterdämpfe
3
NO2
Luftsäure, (gemeine) Salpeterluft
4
HNO3
dephlogistisirte Salpeterluft
5
HNO2
alkalische L., urinöse L., laugensalzige L., flüchtig-alkalische L.
6
NH3
verdorbene L., unreine L., phlogistische L., Stickluft, Salpeterstoffgas, azotisches Gas,
7
N2
Stickgas
kochsalzsaure L.
8
HCl
dephlogistisierte Salzsäure
9
Cl2
vitriolische L., vitriolsaure L., Schwefelluft, schwefelsaures Gas, luftförmige phlogistisir- 10
SO2
te Vitriolsäure, unvollkommne Schwefelsäure in Dampfgestalt
vitriolsaure L.
11
SO3
hepatische L., Leberluft, stinkende Schwefelluft, Schwefelleberluft, geschwefeltes
12
H2S
Wasserstoffgas, gasförmiger sulphurisirter Wasserstoff
reduzierte fixe L.
13
CO
fixe L., künstliche Luft, mephitische Gas, Luftsäure, luftsaures Gas, Sauerluft, Kalkgas,
14
CO2
Kreidensäure, wildes Gas, weinigtes Gas, kohlengesäuertes Gas, mephitische Säure
gute L., Dephlogiston, Lebensluft, reine L., einathembare L., reine L., Feuerluft, künstli- 15
O2
che reine L. Lebensluft, Empyrealluft, säurezeugendes Gas, Sauerluft, Sauerstoffgas
brennbare L., phlogistische L., entzündbare L., entzündliche L., inflammable L., bren16
H2
nende L., Brennluft
gephosphortes Wasserstoffgas, gasförmiger phosphorisirter Wasserstoff
17
PH3
flußspathsaure L., spathsaures Gas, spathgesäuertes Gas, Flußspathgas, luftige
18
HF
Flußspathsäure
schlechte Luft, Sumpfluft
19
CH4
vegetabilisch-saure L., Essigluft
20
CH3COOH
1
nitrous air. Gaz nitreux, Acide nitreux. Gas nitrosum, Acidum nitrosum. Salpeterhalbsaures, oxydirten
Salpeterstoff. Auch bezeichnet (irrtümlicherweise auf Phosphor bezogen) als: phosphorisches Gas, Phosphorluft, Gas phosphoricum, Mephitis phosphorica, Air ou Gas phosphorique,
2
phlogisticated nitrous air
3
nitric acid air. Gas ou Air acide- nitreux. Gas acidum nitrosum, Acidum nitri phlogisticatum, Mephitis acida
nitri
4
spirit of nitre, Acide nitrique, Gaz acide-nitreux. Gas acidum nitrosum
5
dephlogisticated nitrous air. Gaz nitreux oxygèné, Gaz nitrique, Oxide gaseux d'azote
6
alkaline air, volatile alkali, spirit of hatshorn. Gas alcali-volatil. Gas alcalinum volatile, Aer alcalinus,
Mephitis urinosa.
7
mephitic air, phlogisticated air, inflammable air. Gas ou Air phlogistiqué, Gaz azotique. Aër phlogislicatus,
vitiatus, Mephitis aëris, phlogistica, Gas phlogislicatum, Gas azoticum
8
(marine) acid air, muriatic air, spirit of salt. acidum salis
9
dephlogisticated marine acid (air), oxymuriatic air
10
vitriolic (acid) air, sulphurous acid (gas). Gaz acide sulfureux, Gas ou Air acide vitriolique, Acide de soufre
aëriforme. Gas acidum sulfureum, Gas acidum vitriolicum, Gas acidum sulphureum volatile, Aer acidus vitriolicus, Acidum vitrioli phlogisticatum aëriforme, Mephitis acida sulphuris
11
vitriolic acid air
12
hepatic air, sulpuretted hydrogen. Air hepatique, Gas he-patique, Gaz hydrogène sulfuré. Aer hepaticus,
Mephitis hepatica, Gas hepaticum Gas hydrogenium sulphuratum
13
reduced fixed air
14
fixed air, (mephetic) acid air, calcaire. Air fixe, Acide méphitique, Gas méphitique Acide crayeux, Gaz acide
carbonique. Aer fixus, Aer factitius, Gas äereum, Gas mephiticum, calcareum, Gas silvestre, Gas vinosum,
Mephitis vinosa, acidula, Acidum mephiticum, Acidum aëreum s. atmosphaericum, Acidum cretae, Gas acidum carbonicum
15
good, pure, vital, fire air; dephlogisticated air. Air dephlogistiqué, Gas ou, Gaz oxygène. Aer verus factitius,
Aer vitalis, Aer purissimus, Aer dephlogisticatus, Gas dephlogisticatum, Gas oxygenium
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16
17
18
19
20
119
aer inflammabilis, franz. air inflammable, wie man damals das wasserstoffgas nannte, auch (Ingenhouss) Gas
inflammabile, Aer inflammabilis, Mephitis inflammabilis, Gas carbonum, Gas pingue (Helmont), Gas infiammable, Air inflammable, inflammable air
Gaz hydrogène phosphorisé. Gas hydrogenium phosphorisatum,
Gaz acide fluorique, Gas acidum fluoricum, , Gas fluoris mineralis, Gas acidum spathosum, Aer acidus
spathosus, Mephitis fluoris mineralis, Gas acide spathique, Air acide spathique.
carburetted hydrogen, marsh gas, swamp gas
Gas acide aceteux. Gas acidum, acetosum, Aer acidus vegetabilis, Mephitis acetosa
Tab. 2: Entdeckung atmosphärisch relevanter Spurenstoffe (Gase)
Table 2: Dicovery of atmospheric relevant trace substances (gases)
Jahr
Gas
Entdecker
1755
CO2
(Helmont und) Black
1766 / 1901
H2
Cavendish / Gautier
1772 / 1774
O2
Scheele / Priestley
1772
N2
Rutherford
1774
Cl2
Scheele
1776
SO2 a
Priestley
1776 / 1786
NH3 / NH4+
Priestley /Scheele
1776
HCl
Priestley
Scheele / Berthollet
1777 / 1796
H2S a
1841 /
O3
Schönbein
1863 / 1872
H2O2
Meißner / Schöne
1883
Ar
Rayleigh
1884
Ra
Raileigh und Ramsey
1898
Kr, Ne, Xe
Ramsey und Travers
a
das Gas war bereits im Altertum bekannt
in Luft
ja
nein / ja
ja
ja
nein
nein
nein / ja
nein
nein
ja
ja
ja
ja
ja
Sowohl Obwohl Ammoniak bereits 1786 durch Scheele in der Luft nachgewiesen wurde
(und auch durch Saussure zu Beginn des 19. Jahrhunderts) wurde noch bis um 1900 angenommen, daß es niemals „frei“ (als NH3) sondern lediglich gebunden als Ammonium (NH4+)
existiert (Blücher 1900).
Lavoisier und Priestley schlugen unabhängig voneinander für Salpersäure die Formel
HNO3 in den Jahren 1784-1786 vor. Cavendish (1785) und Priestley (1788) beschreiben
dessen Bildung in feuchter Luft unter dem Einfluß elektrischer Entladungen. Das kann wohl
als erste „luftchemische Entdeckung“ gelten; freilich vergingen fast 200 Jahre bis zu unserem
heutigen Wissen über die primäre NO-Bildung aus N2 + O2 bei hohen Temperaturen und
dessen weitere Mehrstufen-Oxidation zu HNO3 bzw. Nitrat.
Erst im 20. Jahrhunderts wurden alle diese Gase (NH3, HNO3, HNO2) direkt in der Luft
nachgewiesen. Es ist bemerkenswert, daß der Ozean als NH3-Quelle bereits von Schloesing49
vorgeschlagen wurde, obwohl noch bis etwa 1990 eine kontroverse Diskussion bestand (Möller 2003).
Cavendish hatte bereits Versuche unternommen, um festzustellen, ob Luftstickstoff ein einheitlicher Stoff sei und erwähnt, daß er einen außerordentlich kleinen Gasrest behielt (die
Edelgase). Aber den Schluß, daß es sich hierbei um ein Element handelt, zog er nicht. Lord
Rayleigh50 war der Erste, der beobachtete, daß Sauerstoff und andere Gase, die aus verschiedenen Quellen stammten, immer dieselbe Dichte besitzen, was für Luftstickstoff nicht zutrifft
(den man für „rein“ hielt). Während „Luftstickstoff“ eine Dichte von 1,2572 g l-1 hatte, wurde
für Stickstoff, der aus der Zersetzung stickstoffhaltiger Verbindungen erzeugt wurde, eine
Dichte von 1,2505 g l-1 gemessen. Die Differenz von 7 mg lag weit über den möglichen experimentellen Fehlern. Es kam die Vermutung auf, daß Luftstickstoff noch durch ein schwereres
49
50
Jean Jacques Théophile Schloesing (1824-1919) frz. Prof. für Agriculturchemie
John William Strutt (1842-1919, Lord Rayleigh 1873) englischer Physiker, Nobelpreis 1904
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Gas verunreinigt sei und 1894 erhielt Ramsay51 das Argon, das er nach spektroskopischen
Untersuchungen für ein Element einer neuen Familie hielt. Nach Herstellung einer großen
Menge Argon gelang ihm die Identifikation der weiteren Edelgase Neon, Krypton und Xenon.
Somit waren die Entdeckung und Quantifizierung der immanenten Bestandteile der Luft
abgeschlossen: N2, O2, H2O, CO2, Ar und andere Edelgase.
c)
Die Entdeckung der Luftspurenstoffe
Um 1840 waren neben den beiden Hauptkomponenten52 der Luft, O2 und N2, die Nebenkomponenten CO2 und Spurenstoffe NH3 (Ammonium) und HNO3 (Nitrat) bekannt. Obwohl
viele Gase, welche in der Atmosphäre sowohl natürlicher als auch anthropogener Herkunft
sind, bereits bekannt waren (Tab. 2), muß bezweifelt werden, daß man sie zu der Zeit teauch
als Luftbestandteile zu betrachtete.
Liebig53 hatte mit seiner Begründung einer agrikulturchemischen Mineraltheorie als Erster
auf die Bedeutung atmosphärischer Stoffeinträge für die Pflanzen hingewiesen (Liebig, 1827,
1840). Die überragende Autorität Liebig´s erlaubte es ihm, auch noch unbewiesene Behauptungen, beispielsweise über die Existenz der Salpetersäure und deren Bildung bei Gewittern,
zu publizieren.
Chemische Verbindungen im Regenwasser (Chlorid, Nitrat, Ammonium, Sulfate) wurden
zwischen 1840 und 1850 bei zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen. Von den komplizierten Umwandlungsprozessen und insbesondere gasförmigen Vorläufern der Regenwasserkomponenten war bis 1940 nichts bekannt (Drischel 1940). Die Arbeit des Russen Kossowitsch
(1913) kann wohl als älteste über globale Stoffkreisläufe angesehen werden; er betont:
„dass der Kreislauf des Chlors in der Jetztzeit hauptsächlich in einer mechanischen Fortbewegung zwischen
dem festen Land, den Meeren und der Atmosphäre zum Ausdruck kommt, und zwar in Form jener einfachen
Chlorverbindungen, in welchen wir das Chlor gegenwärtig auf der Erde vorwiegend beobachten“.
Aristoteles hatte bereits Süßwasser von Salzwasser unterschieden und erklärt, daß der
salzige Geschmack von „erdhaften Teilchen“, die im Meerwasser enthalten sind, stammt. Das
Salz selbst gelangt nach Aristoteles ins Meer durch den Regen (Möller 2003):
In dem herabströmenden Regenwasser sammelt sich eine Menge erdiger, in der Luft enthaltener Partikeln
an, und namentlich im Herbst sind die Regengüsse salzhaltiger als sonst.
Ozon (wie beim Sauerstoff aus dem gr. όξύς, όξέϊ = scharf, brennend, stechend) kann als
das erste in der Atmosphäre entdeckte Spurengas gelten. In einem Brief an Justus von Liebig
vom 5.9.1853 deutete Schönbein54 schon die wichtige Rolle an, die das Ozon in der Erdatmosphäre spielt55:
Geneigt zu glauben, das atmosphaerische Ozon spiele im Haushalte der Erde eine wichtige Rolle, halte ich
es fuer wuenschenswerth, dass moeglichst zahlreiche, sowie grosse Zeiträume als bedeutende Laenderstre-
51
52
53
54
55
William Ramsay (1852-1916) engl. Chemiker, Nobelpreis für Chemie 1904
Lavoisier hatte als Erster im Jahr 1778 die Zusammensetzung der Luft quantitativ bestimmt: 79,19% N2
(darin enthalten die noch unbekannten Edelgase und 20,1% O2; nahezu die gleichen Zahlen wurden durch
Cavendish 1783 gefunden.
Justus von Liebig (1803-1873) dt. Chemiker, Professor in Gießen von 1824-1852
Christian Friedrich Schönbein (1799-1868) Dt. Chemiker in Basel
Justus von Liebig und Christian Friedrich Schoenbein: Briefwechsel 1853–1868. Hrsg. von Georg WA
Kahlbaum. Leipzig Barth, 1900. S. 10. Natürlich wußte man bis in die 1960er Jahre nichts über die Rolle des
troposphärischen Ozons im atmosphärischen Photooxidationshaushalt. Erst in den 1920er Jahren erkannte
man die Rolle die stratosphärischen Ozons als „Schirm“ gegen die harte UV-Strahlung.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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cken umfassende, untereinander vergleichbare Beobachtungen ueber die Veraenderungen des Ozongehaltes
der Atmosphaere angestellt werden...
Wasserstoffperoxid (H2O2)56, heute als das wohl interessanteste atmosphärische Oxidationsmittel angesehen (Möller 1989, 2002b), wurde zuerst im Regenwasser von Meißner57
(1863) und dann von Schöne58 (1872) als Gas in der Luft nachgewiesen.
Bis zu der Erkenntnis, daß atmosphärische Spurenstoffe nicht nur ein Ausdruck der belasteten Atmosphäre sind (s. den folgenden Abschnitt über den Rauch) sondern – bis auf wenige
Ausnahmen – auch ein Resultat natürlicher bio- und geochemischer Prozesse war es noch ein
langer Weg.
Staub wurde bereits in der Antike (damals zumeist als „feste Körper“ und „Luftteilchen“,
auch „Sonnenstäubchen“ bezeichnet) beschrieben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden
Jod und Phosphor als Bestandteile analysiert sowie Mikroorganismen und Pflanzenreste
nachgewiesen. In den 1850er Jahren hatte Pasteur59 Luftproben gesammelt, um der Frage der
spontanen Neubildung (Miasmenlehre) nachzugehen60.
Ein wissenschaftliches Verstehen des atmosphärischen Staubes61 begann mit Graham´s62
Definition eines Kolloids im Jahr 1861. Erste direkte Beobachtungen in der Luft suspendierter
Partikel erfolgten durch Tyndall63 (1870) und Aitken64. Aitken erkannte auch, daß das Vorhandensein dieser Staubteilchen (später Wolkenkondensationkerne genannt, CCN) eine notwendige Vorausetzung zur Niederschlagsbildung sind. Lord Rayleigh hatte erkannt, daß die blaue
Farbe des Himmels eine Folge der Streuung der kleineren Wellenlängen (violetter Bereich)
des Sonnenlichtes an den Staubteilchen ist (erst später wurde die Lichtstreuung auch an Luftmolekülen nachgewiesen). Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde erkannt, daß die grobe
Teilchenfraktion Bodenstaub ist und wesentliche Anteile organischer Substanz enthält. Tissandier65 hat als Erster auf den auch kosmischen Ursprung atmosphärischen Aerosols66 hingewiesen.
Die Erforschung der Luft – so kann man resümieren – erfolgte von den Anfängen bis zum
beginnenden 20. Jahrhundert aus verschiedenen Aspekten:
a) (Natur-)Philosophie: Erkennen der Welt und der Stellung des Menschen
b) Astronomie: Sternbeobachtung und zwangsläufiges Erfassen atmosphärischer Phänomene
c) Medizin: Zusammenhang zwischen menschlicher Gesundheit und Umwelteinflüssen
d) Meteorologie: Wetterbeobachtung (zum Schutz vor Extremereignissen)
e) Alchemie: (unsystematisches) Experimentieren mit Gasen
f) Chemie: systematisches Studium von Stoffwandlungsprozessen
Als eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin wurde die Luftchemie oder atmosphäri56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
entdeckt 1818 vom frz. Chemiker Louis-Jacques Thénard (1777–1857), Prof. in Paris
Göttinger Nachrichten (1863) S. 264
Ueber das atmosphärische Wasserstoffhyperoxyd. Ber. Dt. Chem. Ges. 7, 1693-1708
Louis Pasteur (1822-1895) frz. Chemiker und Physiologe
„Die in der Atmosphäre vorhandenen organisirten Körperchen, Prüfung der Lehre von der Urzeugung“,
Leipzig, Verlag von W Engelmann, 1862
Obzwar gerade in der „Luftreinhaltung” der Begriff des Staubes (Schwebstaub, Feinstaub usw.) verwendet
wird, sollte man alle Teilchen in der Atmosphäre oberhalb der Molekülgröße als atmosphärische Aerosopartikel bezeichnen, dabei aber Hydrometeore (wäßrige Teilchen) ausschließen.
Thomas Graham (1805-1869) Prof. für Chemie in Glasgow und London
John Tyndall (1820-1893) Prof. für Physik in London
John Aitken (1839-1919) Schottischer Physiker und Meteorole
Gaston Tißandier (1843-1899) frz. Ballonfahrer
Den Begriff Aerosol hatte der dt. Meteorologe A. Schmaus (Kolloidchemie und Meteorologie. Meteorol.
Ztschr. 37 (1920) 1-8) eingeführt
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
122
sche Chemie wurde erst nach 1950 etabliert (Möller 1999a). Lavoisier und Cavendish können
aber wegen ihrer erstmaligen Luftanalysen (noch im 18. Jahrhundert durchgeführt) durchaus
als Pioniere dieser Disziplin bezeichnet werden (Tab. 3).
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Klimatologie (s. d. Abschnitt zum
Klima) aus der Geographie und beginnenden Meteorologie zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin, insbesondere mit dem Beginn weltweiter systematischer meteorologischer Aufzeichnungen und dem zunehmenden physikalischen Verständnis atmosphärischer
Prozesse (insbesondere der Entwicklung der Thermodynamik). Unabhängig davon begann
aber zur gleichen Zeit ein wissenschaftliches Studium der chemischen Spurenstoffe (noch
nicht ihrer chemischen Beziehungen untereinander!) insbesondere aus der Sicht der zunehmenden Luftverschmutzung, zu damaliger Zeit als Rauchplage bezeichnet.
Tab. 3: Wichtige Punkte bei der Erforschung der Luft
Table 3. Milestones in discovering the atmosphere
Luft als „Element“
erste „Bioklimatologie”
erste Phänomenologie der Luft
Luft als Körper
Luft als „Chaos“ und „Luftarten“
Gewicht der Luft
Begriff „Gas“
Luftdruck: Vakuum und Barometer
Druckabnahme mit der Höhe
Druck, Volumen und Temperatur verknüpft
Entdeckung von CO2 im Zusammenhang mit Pflanzenwachstum und Verbrennung
Entdeckung von N2 in der Luft
Entdeckung von O2 in der Luft
Erste Luftanalysen
Entdeckung des O3 in der Luft
„Nährstoffe“ aus der Luft
Rauchschäden durch SO2
chemische Klimatologie (Regenwasserchemie)
Keime in der Luft
Entdeckung der Edelgase in der Luft
erste Beobachtung feinster Staubpartikel
Anaximenes ( um 600 v.Chr.)
Hippokrates (ca. 460 - ca. 377 v.Chr.)
Aristoteles (384-322 v. Chr.)
Heron (10-75)
Paracelsus (1493-1541)
Gallilei (1564-1642)
Helmont (1577-1644)
Torricelli (1608-1674)
Pascal (1623-1662)
Boyle (1626-1691)
Mayow (1643-1679), Hales (1677-1761), Black
(1728-1799), Senebier (1742-1809)
Rutherford (1749-1819)
Scheele (1742-1786), Priestley (1733-1804)
Lavoisier (1743-1794), Cavendish (1731-1819), GayLussac (1778–1850),
Humboldt (1769-1859)
Schönbein (1799-1868)
Liebig (1803-1873)
Stöckhardt (1809-1886)
Smith (1817-1884)
Pasteur (1822-1895)
Ramsay (1852-1916), Rayleigh (1842-1919)
Aitken (1839-1919)
Etwas über den Rauch
Kaum ein anderes Wort ist sowohl treffender als auch älter, um den vom Menschen „gestörten“ Zustand der Luft (Atmosphäre) zu bezeichnen. Im Deutschen Wörterbuch heißt es
(gekürzt):
RAUCH, m. fumus, vapor, odor. mit seinem verbum riechen. altes gemeingermanisches Wort; goth. rauks ist
nur zufällig nicht bezeugt, aber altnord. reykr, schwed. rök, dän. rog; ags. rêc, engl. reek; fries. rêk; alts. rôk,
altnfr. rouc, ndd. ndl. roke, rook; ahd. rouh, mhd. rouch. Die Abwesenheit alles vergleichbaren auszerdeutschen läszt schlieszen, dasz wir es mit einem auf germanischem Boden eigens für germanische Verhältnisse
gebildeten Worte zu thun haben, dasz also die allgemeine Bedeutung (unten 1) nicht auch die ursprüngliche
sein kann. erwägt man, dasz alle Wörter des Hauses und seiner Theile eigene germanische Bildungen sind,
die in den urverwandten Sprachen nichts entsprechendes haben, so steht zu vermuten, dasz auch rauch eigentlich zu solchen Hauswörtern gehört und seinem ältesten Begriffe nach nur Beziehung zu herd gehabt habe (die Bedeutung 2 wäre der Nachklang davon).
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123
1. von etwas brennendem: der rauch des feuers, des tabaks, pulvers, der kanonen, der geschütze; Rauch von
Holzfeuer, von Strohfeuer, von Kohlen; Rauch aus einem Kmine, einem Ofen, einer Esse, einer Pfeife; Rauch
im Zimmer, im Hause, in der Küche; Rauch eines Hauses, einer Hütte, wenn er aus der Esse derselben empor
steigt.
2. sinnbildlich für das haus, dessen mittelpunkt der stets brennende und rauchende herd ist; rechtsformeln:
rauch und brod, eigen haus und nahrung
Die inhaltliche (nicht sprachliche) enge Beziehung zu Dampf (Dämpfen) und Dunst (Dünsten) und Luft (Lüften) ist eindeutig. Aus modernen Sicht kann man diese drei Wörter auch mit
einer (Aggregat-) Zustandsbeschreibung versehen:
Rauch
Dampf
Luft (Gas)
fest: Ruß und Staubpartikel aus menschlichen (Feuer-) Quellen
flüssig: Wasserkondensat, imm weiteren für alle kondensierbaren Gase
gasförmig: alle flüchtigen Stoffe, die nicht durch einfache Temperaturerniedrigung kondensierbar sind
Die unmittelbare Verbindung zwischen Rauch und Feuer zeigen folgende schöne Zitate:
wer das feur wil hon,
der můsz den rauch leiden. Martin Luther (1483-1546)
wo rauch, ist feüwr nach darbei,
flamma fumo est proxima. Georgius Agricola (1494 – 1555)
rouch, übel wîp, durkel dach
füegent manic ungemach. „Renner 20291“ von Hugo von Trimberg (um 1300)
In „Gehlers Physikalisches Wörterbuch“ (1787) wird bereits unter dem Stichwort Gas, atmosphärisches verbal das stoffliche Kreislaufgeschehen im Sinne von Emissionen angedeutet:
Diese die Erde umgebende Materie ist in ihrem gewöhnlichen Zustande mit unzählbaren fremden Substanzen
verbunden. Sie hält Wasser in sich aufgelöset, s. Dünste, und verbindet sich mittelst desselben mit Salzen; sie
ist an manchen Orten mit Schwefel, faulen Ausflüssen, u. dgl. imprägnirt, auch schweben häufige erdigte
Theilchen in ihr. Wenn man endlich auch alle diese fremden Substanzen von ihr trennet, so ist doch der zurückbleibende luftige Stoff selbst noch zusammengesetzt, und keinesweges, wie man ehedem glaubte, eine
einfache elementarische Substanz.
John Evelyn schrieb im 17. Jahrhundert im frühesten mit einer ausführlichen Beschreibung
der Luftverschmutzung bekannten Buch67:
It is this horrid Smoake which obscure our Church and makes our Palace look old, which fouls our Cloth
and corrupts the Waters, so as the very Rain, and refreshing Dews which fall in the several Seasons, precipitate to impure vapour, which, with its black and tenacious quality, spots and contaminantes whatever is exposed to it.
Dieser einleitende Abschnitt soll zeigen, daß die Menschheit seit ihrer Seßhaftwerdung
(„Zähmung des Feuers“) mit dem Rauch (als Symbol der Luftverschmutzung) verbunden war
und diesen Zustand auch erkannte und (zunächst) akzeptierte.
Erst bei unerträglichen Belästigungen wurden Verordnungen erlassen (früheste sind aus
dem Mittelalter beispielsweise aus Chemnitz und London bekannt), die Rauchplage dadurch
einzudämmen, indem Manufakturen aus der Stadt verlagert wurden oder der Kohleverbrauch
begrenzt wurde. Die beginnende Holzverknappung im 18. Jahrhundert förderte allerdings
wieder den Kohleverbrauch.
67
John Evelyn: FUMIFUGIUM or The Inconvenience of the AER and SMOAKE of LONDON dissipated.
Together with Some Remedies Humbly Proposed. Zitiert nach Finlayson-Pitts und Pitts (1986)
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124
Steinkohle wird schon von Theophrast (215 v.Chr.) erwähnt; sie wurde wahrscheinlich
schon vor rund 2000 Jahren gelegentlich zum Schmieden, Gießen usw. verwendet. In China
war die Steinkohle und ihre Brennbarkeit etwa um 280 n.Chr. bekannt. Die Römer benutzten
die Steinkohle im kohlereichen Britannien zu Heizzwecken. Die Engländer heizten im
9. Jahrhundert bereits mit Steinkohle, um 1113 wurde im Aachener Gebiet das erste primitive
Steinkohle-Bergwerk erstellt. In Belgien begann der Steinkohle-Bergbau etwa im
11. Jahrhundert, im Ruhrgebiet im 14. Jahrhundert und in Schlesien (Waldenburger Gebiet)
im 16. Jahrhundert. Die Steinkohle-Förderung war damals recht bescheiden zu nennen; sie
stieg erst etwa in den letzten 150 Jahren – nach Erfindung der Dampfmaschine und der Massenproduktion von Eisen und Stahl sowie der damit möglichen Mechanisierung der Abbaumethoden Untertage – gewaltig an. Die Erfindung der Dampfmaschine durch Thomas Newcomen
(1663-1729) war somit eine Voraussetzung (sie diente zunächst nur zur Wasserförderung) für
eine Steigerung der Kohleproduktion und zugleich ein Verbraucher von Steinkohle. Aber erst
die Erfindung der doppelt wirkenden Dampfmaschine durch James Watt (1736-1819) im
Jahre 1782, die kurze Zeit später auch mobil als Lokomotive (1804 von Richard Trevithich)
und 1837 dann als verwendungsfähige Lokomotive von George Stephenson (1781-1848)
Anwendung fand, stimulierten die Massenförderung von Steinkohle und damit den Beginn
der signifikanten Emissionen in die Atmosphäre.
Die Dampfmaschinenzeit war aber im wesentlichen auf das 19. Jahrhundert begrenzt. Eine
zweite wichtige Erfindung im Jahr 1866, die Dynamomaschine von Werner von Siemens
(1816-1892), aus der zwanglos der Elektromotor abgeleitet wurde, setzte die Elektrizität als
universell verwendbare Energieform bis heute und mit Sicherheit auch zukünftig an dominierende Stelle. Die Erzeugung von Elektrizität setzte Kraftwerke immer größerer Dimensionen
voraus, deren Dampferzeuger riesige Mengen an Kohle verbrauchten.
Auch Erdöl war bereits im Altertum bekannt. Seine einzigartige Rolle als Treibstofflieferant erhielt es aber erst mit der Erfindung des ersten brauchbaren Verbrennungsmotors durch
Nikolaus August Otto (1832-1891) im Jahr 1867 – zunächst noch auf Gasbasis – und des dann
ersten Automobils, 1886 gleichzeitig von Carl Benz (1844-1929) und Gottlieb Wilhelm Daimler (1814-1900) gebaut. Diese dritte Etappe der industriellen Revolution führte nicht nur bis
heute zu einer globalen Mobilität sondern (neben der „klassischen“ Emission SO2 aus der
Kohleverbrennung) zu einer neuen bedeutenden anthropogenen Emission, den Kohlenwasserstoffen und anderen organischen Verbindungen (VOC). Im Unterschied zur Kohle aber wurde
der globale Erdölverbrauch erst nach 1950 signifikant
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren Abbildungen großer Industrieanlagen mit rauchenden Schornsteinen ein beliebtes Motiv und Ausdruck sowohl eines selbstbewußten Bürgertums als auch der sich organisierenden Arbeiterklasse: Nur wenn der Schornstein raucht,
gibt es auch Arbeit.
Etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine zunehmend wissenschaftliche Betrachtung der Probleme der belasteten Luft. Eine Behandlung des sauren Regens erfolgte in einer
bemerkenswert systematischen Weise schon 1852 in the Memoirs and Proceedings of the
Manchester Literary and Philosophical Society „On the air and rain of Manchester“ von
Robert Angus Smith68; er prägte den Begriff acid rain. In seinem 1872 in London erschienenen Buch
„Air and Rain: The Beginning of a Chemical Climatology”
mit dem erstmals verwendeten Begriff „Chemische Klimatologie“ unterschied er drei verschiedene Belastungstypen in Abhängigkeit von der Entfernung von der Stadt zum ländlichen
68
Robert Angus Smith (1817-1884) Schottischer Chemiker, der sich mit zahlreichen Umweltfragen befaßte. Er
wurde 1863 Queen Victoria's erster sog. Alkali-Inspector (Alkali Acts Administration, mit dem Grenzwerte
der HCl-Emission von Alkaliwerken gesetzt und deren Einhaltung auch kontrolliert wurde).
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Gebiet hin:
„... that with carbonate of ammonia in the fields at a distance, that with sulphate of ammonia in the suburbs
and that with sulphuric acid or acid sulphate, in the town”.
Als einen wohl ersten Kausalzusammenhang zwischen belasteter Luft, den Ursachen und
Wirkungen dürfte die Beschreibung der klassischen Waldschäden (damals Rauchschäden
genannt) durch Julius Adolf Stöckhardt69 (1809-1886) gelten, die auf durch Kohlehütten
emittiertes SO2 (damals als gasförmige schweflige Säure bezeichnet) zurückgeführt wurde
(Stöckhardt 1850, 1871; Schroeder und Reuß, 1883). Bereits um die Jahrhundertwende wurden Begriffe wie „Säuregehalt der Luft“, „Saures Niederschlagswasser“, „saurer Nebel“ und
„Luftrecht“ wie selbstverständlich gebraucht (Wislicenus 1916). Die SO2-Emissionen aus den
böhmischen Braunkohlekraftwerken führten in den 1970er Jahren schließlich zum völligen
Absterben der Fichten in den Höhenlagen des Osterzgebirges (Däßler 1991).
Hohe Konzentrationen von Schwefeldioxid, verbunden mit Nebel und hohem Aerosolgehalt führten 1952 in London zu der berüchtigten Katastrophe70, wobei innerhalb weniger Tage
4000 Menschen mehr verstarben als statistisch erwartet71 – dieses Ereignis führte zu einem
extensiven Studium der atmosphärischen Schwefel-Chemie (Wilkins 1954) und prägte den
Begriff London-Smog (auch Wintersmog genannt).
Vegetationsschäden, die dann viel später (in den 1980er Jahren) unter dem Namen neuartige Waldschäden bekannt wurden, sind bereits 1944 im Großraum von Los Angeles festgestellt worden (Middleton u.a. 1950). Schon wenige Jahre später wurde von Haagen-Smit und
Mitarbeitern (Haagen-Smit 1952; Haagen-Smit u.a. 1952, Haagen-Smit und Fox 1954) deren
Ursache in der photochemischen Ozonbildung aus Kohlenwasserstoffen, die von Autos emittiert werden, beschrieben. Seit dieser Zeit wird vom Los-Angeles-Smog (auch als Sommersmog, photochemischer Smog oder Ozonsmog bezeichnet) gesprochen. Der Begriff smog
wird aus den Wörtern smoke (Rauch) und fog (Nebel) abgeleitet. Er wurde aber schon weit
früher geprägt, im Jahr 1905 auf dem Londoner Hygienekongreß (Guderian, 2000).
Das Problem saurer Regen entstand im größeren Ausmaß in den 1960er Jahren, als ein
weitverbreitetes Fischsterben in den Gewässern Skandinaviens beobachtet wurde (Odén
1976). Es wurde ebenfalls als eine begleitende Ursache der neuartigen Waldschäden, die in
Mitteleuropa in den 1980er Jahren registriert wurden, angesehen (Ullrich and Pankrath 1983).
Wie kaum ein anderes Umweltproblem wurde saurer Regen in das allgemeine Interesse gestellt und führte bis zur Mitte der 1990er Jahre zu einer weltweit stimulierten Forschung
(Brimblecombe 1996). Stumm u.a. (1983) haben das Phänomen Versauerung treffend beschrieben als ein Ergebnis des „Budgets zwischen den in einem Reservoir existierenden Basen und Säuren“. Das Budget ist schließlich ein Gleichgewichtszustand infolge der Wechselwirkung aller biogeochemischen Kreisläufe einschließlich des Wasserkreislaufes. Folglich
führt jede anthropogene Störung der Kreisläufe zu einer sich ändernden Azidität (Möller
1999b).
Von dem Klima
69
70
71
Als ältestes ohne zeitliche Lücken bestehendes chemisches Institut in Deutschland gilt das Institut für Pflanzen- und Holzchemie in Tharandt (an der TU Dresden), gegründet 1847 von Stöckhardt, welcher den Lehrstuhl für landwirtschaftliche Chemie an der Tharandter Forstlichen Akademie erhielt (Wienhaus und Däßler
1991, Wienhaus 1999).
Es wird bereits über frühere Umweltkatasrophen (Smogs) berichtet: Dezember 1930 in Maastal bei Lüttich
erkrankten zahlreiche Menschen an Husten, Brustschmerzen, Erbrechen, Lungenschäden und Kreislaufversagen infolge einer Inversion; etwa 60 ältere Menschen sterben dadurch. Oktober 1948 in Donora (Washington, USA): 20 Tote und 700 Erkrankte (Ursache: saurer Nebel).
Sachlicherweise muß festgehalten werden, daß die zusätzlichen Todesfälle auf natürliche Weise in den
nächsten Tagen, Wochen und Monaten aufgetreten wären. In den Sterbestatisken nach diesem Verschmutzungsereignis muß zwanglos eine Verringerung der Sterbefälle auftreten.
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Eine erste umfassende Definition wurde von Alexander von Humboldt (1769-1859) in seinem 1845 erschienenen berühmten Werk „Kosmos. Erster Band. Entwurf einer physischen
Weltbeschreibung“ (Abb. 5) gegeben.
Abb. 5: Seite 340 aus dem
„Kosmos“ von Humboldt mit
seiner berühmten Klima-definition
im zweiten Absatz
Fig. 5: Page 340 from „Kosmos“
by Humboldt with his famous
climate definition ion the second
paragraph
Sie basiert auf den wenigen systematischen meteorologischen Untersuchungen und Beobachtungen, die bereits vorlagen seit Ende des 18. Jahrhunderts, den geographischvegetationskundlichen Kenntnissen, die vor allem auf den Forschungsreisen gesammelt wurden und den Luftuntersuchungen, d.h sie enthält physikalische, geographische, biologische
und chemische Elemente. Sie beruht aber auch auf den naturphilosphischen Erkenntnissen der
Alten. Mit dieser Definition wird seit Hippocratus der biologische Wirkungsfaktor72 (insb. auf
den Menschen) als wesentliche Bezugsgröße für das Klima angesehen. So bemerkt bereits
Johann Gottfried von Herder (1744-1803) in seinem Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 7. Buch“, unter Fußnote 123:
72
Die Bioklimatologie im heutigen Sinne wurde von Carl Wilhelm Dorno (1865-1945) geschaffen, nachdem er
seine 1907 begonnenen Untersuchungen zu den Faktoren des Hochgebirgsklimas auf die Gesundheit des
Menschen in seinem Buch „Licht und Luft im Hochgebirge“ (1911) publizierte. Heute (nachdem sich in den
1930er Jahren die Balneologie als Bäderheilkunde etablierte) existiert auch die Medizinische Klimatologie als
Disziplin.
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S. Hippokrates, »De aëre, locis et aqius«, vorzüglich den zweiten Teil der Abhandlung. Für mich der Hauptschriftsteller über das Klima.
Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724-1804), der als größter Denker73 der
Neuzeit gilt, hat mit seinem 1755 erschienenen Werk
„Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes, nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt“
erstmals eine zusammenfassende Darstellung der Erdbeschreibung aus naturwissenschaftlicher (damals noch philosophisch genannt) Sicht vorgelegt. Kant kann auch als Begründer der
(wissenschaftlichen) Geographie angesehen werden, wobei er den Raum-Zeit-Zusammenhang
einführte74. Seine Vorlesungen zur physischen Geographie (wo auch auf den Luftkreis eingegangen wurde), erstmals 1756 gehalten, wurden aber erst 1803 als Mitschrift von D. F. Th.
Rink (1770-1811) publiziert (Kautzleben 2004). Gerade die von Kant als allumfassende Wissenschaft strukturierte Geographie (in eine physische, mathematische und politische eingeteilt) stimulierte die Naturforscher des beginnenden 19. Jahrhunderts.
Mit Humboldt und vor allem Lampadius75, einem Schüler Humboldts, begann die moderne Atmosphärenforschung. Lampadius schrieb im Vorwort des ersten (modernen) Lehrbuches
der Meteorologie “Systematischer Grundriss der Atmosphärologie”, Freiberg 1806:
,,Bald nach meiner Ankunft in Freyberg wurde die Atmosphäre ein Gegenstand der Unterhaltung zwischen
unserem vortrefflichen Mineralogen Hrn. Bergrath Werner und mir. Dieser würdige Gelehrte hatte schon
stets in seinen Vorträgen, von der Nothwendigkeit die Atmosphäre als viertes Naturreich zu betrachten, gehandelt, und munterte mich auf - besonders als Beyhülfe für das geognostische Studium - über die Atmosphäre zu lehren."
Humboldt hatte sich sehr darum bemüht, die Meteorologie zu institutionalisieren, was
schließlich 1847 mit der Gründung des “Preußischen Meteorologischen Institutes” in Berlin
gelang mit Mahlmann76 als ersten Direktor (der jedoch bald darauf verstarb), so daß Dove77
dessen Nachfolge für viele Jahre antrat.
Kurze Zeit später wurden das “Physikalische Hauptobservatorium St. Petersburg” (1849)78
mit dem ersten Direktor Kupfer79 und die “Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus in Wien” (1851) gegründet.
Mit der Schaffung der ersten globalen Karte der Temperatur- und Niederschlagsverteilung
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Kant hatte in seinem „Streit der Fakultäten in drey Abschnitten“ trocken bemerkt (Kant 1798), daß bei der
Einteilung der Fakultäten in die drei „oberen“ (die theologische, juristische und medizinische - die ihre Lehren aus der Bibel, dem Landesrecht und der Medizinalordnung anstelle vernünftigerweise aus der Vernunft,
dem Naturrecht und der Physiologie ziehen) die „untere“, die philosophische, nicht weisungsgebunden ist
sondern lediglich unter der Gesetzgebung der Vernunft steht.
Ernst Haeckel hat Kant in seiner philosophischen Wirksamkeit als Philosophen mit der von Aristoteles im
Mittelalter verglichen, kritisiert aber (zu Recht) dessen dualistische Weltanschaung mit teleologischer, d.h.
zweckbestimmter Sicht („Schöpfungstheorie“) die zu inneren Widersprüchen in seinen Schriften führt (Haeckel, 1899, Anti-Kant, In: Die Welträtsel, Akademie-Verlag Berlin 1961, S 478-486
Wilhelm August Eberhard Lampadius (1772-1842) Prof. in Freiberg, Begründer der modernen Metallurgie
Wilhelm Mahlmann (1812–1848) Dt. Meteorologe
Heinrich Wilhelm Dove (1803-1879) Dt. Physiker, erster Ordinarius für Meteorologie an der Berliner Universität (1845), Direktor des königl. Preußischen Meteor. Inst., gilt als Schöpfer der vergl. Klimatologie
Tatsächlich in dt. Sprache geführt; umbenannt in Main Geophysical Observatory (MGO) “Главная
Геофизическая Обсерватория им. Воейкова” im Jahr 1924 (ГГО), wobei der Name A. I. Voeykov 1949
zugefügt wurde
Adolf Yakovlevich Kupfer (Купфер, Адольф Яковлевич; Adolph Theodor Kupffer) (1799-1865) Rußlanddeutscher aus Kasan, Prof. für Physik, Mineralogie und Chemie in St. Petersburg, Mitglied der Akad. der
Wiss. Rußlands
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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durch Dove80 im Jahr 184881 wurde die meteorologische Klimatologie begründet und die der
damaligen Zeit weit vorauseilende Humboldt´sche Klimadefinition82 – die ja bereits den
luftchemischen Wirkungskomplex im Sinne einer erst 150 Jahre später einsetzenden Immissionsklimatologie vorausnahm (Bernhardt 2003) – erheblich eingegrenzt. Mit der Anfang des
20. Jahrhunderts sich herausbildenden Bioklimatologie hat Loewy noch 1924 eine Begriffsbestimmung gegeben, die sich auf das Wohlbefinden des Menschen bezieht; er versteht
... im physiologischen Sinne unter Klima die Summe aller für einen Ort typischen atmosphärischen und terrestrischen Zustrände, durch die unser Befinden unmittlebar beeinflußt wird.
Mit der beginnenden mathematischen Beschreibung der atmosphärischen Dynamik und
Thermodynamik um 1850 (mit den Namen Helmholtz83, Ferrel84, Bezold85, Hann86, Margules87 und vieler anderer hier nicht genannter Wissenschaftler verbunden) etablierte sich die
Meteorologie als wissenschaftliche Disziplion.
Ein erstes Lehrbuch der Klimatologie wurde von Hann (1883) vorgelegt. Die theoretischen
mathematischen Ansätze führten zwangsläufig zu einer Schwerpunktlegung des Klimabegriffs auf die quantifizierbaren meteorologischen Elemente. Hann führte die Definition des
Klimas als
„Gesamtheit meteorologischer Erscheinungen, die den mittleren Zustand der Atmosphäre an irgend einer
Stelle der Erdoberfläche kennzeichnen“
ein. Diese Definition wurde prinzipiell von nachfolgenden großen Klimatologen wie Köppen
(1906, 1923, 1931) und Schneider-Carius (1961) beibehalten und nur wenig modifiziert.
Jedoch hatte Hann bereits in seinem in dritter Auflage 1908 erschienenen „Handbuch der
Klimatologie“ unter den klimatologischen Elemente („Faktoren des Klimas“) auch die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft beschrieben. So kann man – ohne daß es zu dieser
Zeit explizit genannt wurde – bereits davon ausgehen, daß das chemische Wetter als ein Bestandteil des Klimas erkannt und akzeptiert wurde; die Schwierigkeit lag freilich darin, daß
damals noch kein Spurengas quantitativ und routinemäßig gemessen werden konnte, eine
Voraussetzung zur Erstellung einer (chemischen) Klimatologie. Köppen schreibt (1906):
Mit dem Fortschritt des Wissens werden neue Gegenstände in die Zahl der klimatischen Elemente aufgenommen, wenn deren geographische Züge entschleiert werden.
Erinnern wir uns, daß die Zusammensetzung der Hauptkomponenten der Luft und deren
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Die engl. Zeitschrift Nature bezeichnete ihn in einem Nachruf als “Father of the Meteorology” in der Ausgabe vom 10. April 1879.
Dove, H. W. (1848) Temperaturtafeln nebst Bemerkungen über die Verbeitung der Wärme auf der Oberfläche der Erde und ihre jährlichen periodischen Veränderungen. Eine in der Akademie der Wissenschaften gelesene Abhandlung. Berlin, Reimer, 116 S
Humboldt´s Definition grenzt aber wiederum den Klimabegriff auf Elemente „die unsre Organe merklich
afficiren“ ein, wobei wir heute wissen, daß zum Klima atmosphärische Zustände und Prozesse gehören, die
nicht direkt auf den Menschen einwirken (z.B. stratosphärische Zirkulationen, die wesentlich unser Klima
beeinflussen).
Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821–1894), Prof. für Physik, Anatomie und Physiologie in
Berlin, Königsberg, Bonn und Heidelberg
William Ferrel (1817-1891) USA-Mathematiker im Selbststudium der Werke von Bernoulli, Euler and
Laplace. In 1882 trat er in den United States Army Signal Service ein, der erst 1891 U.S. Weather Bureau unter ziviler Verwaltung wurde.
Wilhelm von Bezold (1837-1907) Prof. der Meteorologie in München und Nachfolger von Dove als Direktor
des Preuß. Meteorol. Inst.
Julius von Hann (1839-1921) 1874 bis 1897 Prof. der physikal. Geographie, Univ. Wien; 1897/00 Prof. der
Meteorologie in Graz, anschl. bis 1910 wieder in Wien
Max Margules (1856-1920) Öster. Meteorologe (geb. in Brody/Ukraine), 1885-1906 an der „Centralanstalt
für Meteorologie
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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„Funktion“ am Ende des 19. Jahrhunderts bekannt war: N2, O2, H2O, CO288 und Edelgase. Als
Fremdstoffe89 wurden bereits genannt, aber noch nicht (oder nur sporadisch) quantitativ nachgewiesen: O3, H2, H2O2, CH4, NH3, HNO3, H2S, HCl, CO, SO2, und Stäube (mit einigen
Inhaltsstoffen). Ozon, Wasserstoff, Wasserstoffperoxid, Methan (Sumpfgas), Ammoniak und
Salpetersäure (die beiden letzteren Substanzen wurden damals nur im Regenwasser als Ionen
gefunden) wurden natürlichen Quellen zugeordnet; NH3 aber auch bereits anthropogenen
Quellen (Abwässer). Die „sauren“ Komponenten H2S, SO2 und HCl wurden chemischen
Fabriken, metallurgischen Hütten und Kohlekraftwerken zugeordnet, jedoch nur lokal in
Städten und Industriegebieten für bedeutend gehalten. Es war bereits bekannt, daß Staubpartikel als Kondensationskerne wirken (und damit das Klima beeinflussen) und gesundheitliche
Auswirkungen haben.
Es bedurfte jedoch globaler Ausmaße anthropogener Emissionen, wie sie erst nach 1960
registriert wurden, um einen klimarelevanten Einfluß von „Fremdstoffen“ für wichtig zu
halten90.
An dieser Stelle muß festgehalten werden, daß die Frage, ob im Klimabegriff chemische
Komponenten mit zu berücksichtigen seien, sich nicht auf anthropogene Spurenstoffe
(„Fremdstoffe“) in der Atmosphäre reduzieren läßt. Wenn wir Klima im weiteren Sinne als
den Zustand und die Statistik des Klimasystems auffassen (Gates 1995), so kann Klima im
engeren Sinne (alleine auf die Atmosphäre bezogen) folgendermaßen definiert werden:
Klima bezeichnet den mittleren Zustand der Atmosphäre einschließlich seiner statistischen Charakteristik.
Der mittlere Zustand wird durch die klimatischen Elemente beschrieben, welche die atmosphärische Eigenschaften an einem gegebenen Ort und zu einer bestimmten Zeit darstellen.
Wetter bezeichnet den momentanen Zustand der Atmosphäre. Der momentane Zustand wird durch die meteorologischen Elemente beschrieben, welche die atmosphärische Eigenschaften an einem gegebenen Ort und
zu einer bestimmten Zeit darstellen.
Es sollte im Klimabegriff auch nicht mehr der Bezug auf die Wahrnehmung und Auswirkung auf den Menschen im Besonderen und das Leben im Allgemeinen explizit genannt
werden – dieser Zusammenhang ergibt sich als ein Teilaspekt. Ein Klima hat vor der terrestrischen Besiedlung gegeben und wird es nach einem möglichen Aussterben der Menschheit
geben.
Sowohl Klima als auch Wetter sind damit eine Funktion von Raum und Zeit. Es liegt auf
der Hand, daß der atmosphärische Zustand
a) nicht nur von der in der Atmosphäre selbst ablaufenden Prozessen, sondern auch von
den Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre aller an sie grenzenden Reservoire
(Hydrosphäre, Biosphäre usw.) bestimmt wird sowie
b) von allen in der Atmosphäre ablaufenden stofflichen und energetischen Prozessen abhängt, d.h. den physikalischen und chemischen Größen.
Das Klimasystems versus Erdsystem und der Versuch einer Reduzierung der Disziplinen
88
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Die Konzentration wurde mit 1/2000 = 500 ppm (Mangin, 1866) etwa doppelt so hoch angegeben, wie wir
sie heute für die damalige Zeit annehmen.
Bemerkenswerterweise wurde auch das an der Luft selbstentzündliche PH3 (Phosphin, Phosphorwasserstoff)
bereits um die Mitte des 19. JH genannt als Ursache der „Irrlichter“ über Sümpfen und Friedhöfen. Erst in
den letzten Jahren gewann PH3 wieder Aufmerksamkeit als Emißion bei anaeroben Prozessen, z.B. der Abfallbehandlung.
Der Einfluß des Menschen auf das Klima durch veränderte Landnutzung, insb. Waldrodung wird bereits in
der Mitte des 19. Jahrhunderts bechrieben (Reimann, 1857) und bemerkt, daß Fremdstoffe in der Luft wohl
nur lokale Wirkungen ausüben.
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Das Klimasystem kann nach Gates (1975) aufgeteilt werden in die
•
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•
Atmosphäre,
Hydrosphäre,
Kryosphäre,
Lithosphäre und
Biosphäre.
Die Disziplin zu Erforschung dieses Gesamtsystems wurde mit Kant als physische Geographie91 bestimmt. Das Dilemma der Geographie besteht darin, daß der Gegenstand der
Forschung (also das Erdsystem) so groß und komplex ist, daß sich zahlreiche eigenständige
Disziplinen (nicht mehr als Subdisziplinen der Geographie aufzufassen) herausbildeten, wie
z.B. Hydrologie, Ozeanographie, Meteorologie, Bodenkunde usw. (die alle wiederum Subdisziplinen aufweisen). Auf der anderen Seite bestanden bereits vor dem 19. Jahrhundert naturwissenschaftliche Disziplinen, wie die Physik, Chemie, Biologie und Geologie, welche nicht
nur wesentliche Säulen darstellen für die Geowissenschaften92, sondern im Grunde ausreichend sind, um das Klima- und Erdsystem zu beschreiben.
Die sog. Umweltwissenschaften haben sich in der späten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet (beispielsweise atmosphärische Umweltforschung, Umweltchemie, Umweltmeteorologie usw.) als Disziplinen zur Erforschung der vom Menschen gestörten Umwelt.
Da Physik und Chemie die Wissenschaften zur Erforschung der Materie sind93, sollten diese Säulendisziplinen selbst ausreichen, um die Struktur, Bewegung und Veränderung der
Materie zu untersuchen. Das nachfolgende Schema stellt neben einer Rangfolge (die darin
besteht, welche Disziplin auf eine andere zurückgreift zur Erfassung des jeweiligen Forschungsgegenstandes) auch den Versuch dar, die Umweltwissenschaften auf die drei Naturwissenschaften94 zurückzuführen:
Mathematik
Physik
Chemie
Biologie
Geologie
........................
91
92
93
94
Mathematik
Physik
Chemie
Chemie
Chemie
Mathematik
Physik
Physik
Physik
Mathematik
Mathematik
Mathematik
Es tut gut, sich die deutsche Bezeichnung Erdbeschreibung in Erinnerung zu rufen; gr. γράφω = schreiben.
Hingegen sind die Endungen –kunde und –logie gleichbedeutend aus dem gr. λόγιος = gelehrt sein und λόγος
= Ansicht, Meinung (u.v.a. Bedeutungen) abzuleiten. Begriffe mit der Endung –kunde sind (leider) in der
deutschen Sprache als altertümlich aus dem Gebrauch gekommen. Es leuchtet ein, daß Erdkunde eine umfassendere Disziplin im Sinne deiner Erdsystemforschung darstellt. Die alten Begriffe Atmosphärenkunde (Luftkunde) und Atmosphärologie sind wesentlich treffender als Meteorologie, d.i. die Lehre von den in der Luft
schwebenden Dingen (µετέωρος; vergl. den Begriff Hydrometeor).
Neben den Geo- existieren die Kosmoswissenschaften, die den Raum außerhalb des Erdsystems zum Forschungsgegenstand haben. Wenn Geo- von gr. γή η = Erde abstammt, dann ist schwer einzusehen, daß die
Bio- außerhalb der Geowissenschaften geführt werden. Wenn wir das Erdsystem als unsere Umwelt auffassen, dann sind im übrigen alle Wissenschaften a priori auch Umweltwissenschaften.
Die Mathematik ist keine Natur-Wissenschaft, sondern erforscht selbstgeschaffene abstrakte Strukturen und
deren Zusammenhänge.
Wie man sieht, ließe sich die Chemie auf die Physik zurückführen und die Biologie auf die Chemie und
Physik (was keine neue Idee ist). Es bleibt aber sinnvoll, neben den grundlegenden physikalischen Prinzipien, spezielle chemische (Stoffwandlungen) und biologische (Stofforganisation im Sinne von „Leben“) separat zu betrachten. Alle anderen Disziplinen hingegen lassen sich auf die drei genannten reduzieren und unterscheiden sich lediglich in ihrer gegenständlichen und räumlichen Abgrenzung. Allen Disziplinen ist zueigen, daß sie methodisch in Phänomenologie (Erscheinungskunde), Morhphologie (Gestaltskunde), Physiologie (Funktionskunde) und Systematik unterteilt werden können.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
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Die Klimatologie als Lehre (Kunde) vom Klima ist zwangsläufig ein Teilgebiet der Meteorologie (Atmosphärenkunde). Es bedarf keiner Diskussion, neben der (atmosphärischen)
Physik auch die (atmosphärische) Chemie als deren Bestandteil anzusehen95.
Die atmosphärische Chemie (auch Luftchemie oder Atmosphärenchemie) kann andererseits als eine Disziplin der Chemie (eine sog. angewandte96) aufgefaßt werden. Nach heutigem Sprachgebrauch ist sie auch ein Teil der Umweltchemie97, die sich dann zwangsläufig in
die (etablierten) Disziplinen
-
atmosphärische Chemie (Chemie der Atmosphäre),
aquatische Chemie (Chemie der Hydrosphäre),
Geochemie (Chemie der festen Erde),
welche sich räumlich ab- und eingrenzen, aufgeteilen.
Im Unterschied zur Hydro-, Atmos- und Lithosphäre98 läßt sich die Biosphäre hingegen als
Lebensraum nicht ausreichend definieren. Der Begriff wurde erstmals von Suess99 eingeführt100 aber nicht weiter vertieft, bis Vernadski101, der sich mit den Fragen des Einflusses des
Lebens auf die Geologie und Chemie der Erde befaßte, ihn umfassend definierte. Danach ist
es eine Sphäre, die vom Lebenden selbst gebildet wird, die Gesteinshülle (Lithosphäre), die
Wasserhülle (Hydrosphäre) und die Gashülle (Atmosphäre) des Planeten Erde durchdringt,
integriert und ihre Beschaffenheit zutiefst bedingt. Vernadski (1926) schrieb, daß die Biosphäre der Teil der Erdhülle ist, in welcher geochemische Prozesse als Folge biochemischer
Lebensaktivitäten ablaufen, sich adaptieren und evolutionär verändern. Vernadski hat als
Erster die Idee biogeochemischer Stoffkreisläufe auf globaler Skala entwickelt. Es war dann
für ihn nur noch ein kurzer Schritt (1931) zum Begriff der Noosphäre. Er schrieb:
Мы как раз переживаем ее яркое вхождение в геологическую историю планеты. В последние
тысячелетия наблюдается интенсивный рост влияния одного видового живого вещества —
цивилизованного человечества — на изменение биосферы. Под влиянием научной мысли и
человеческого труда биосфера переходит в новое состояние - в ноосферу.
Unter der Einwirkung der menschlichen Tätigkeit hat sich die Biosphäre evolutionär verändert und zeigt sich heute in einem neuen Zustand, der Noosphäre102. Heute hat sich der
Begriff Anthroposphäre103 durchgesetzt.
95
96
97
98
99
100
101
102
Man kann die Meteorologie aber nicht ausschließlich reduzieren auf die Physik und Chemie der Atmosphäre,
da eine räumliche (geographische) Komponente wesentlich ist für die Zustandsbeschreibung der Atmosphäre: Temperatur und (beispielsweise) SO2-Konzentration sind ein Ergebnis physikalischer und chemischer
Prozesse in der Atmosphäre, deren (räumliche) Verteilungsdarstellung weder Gegenstand der Physik noch
Chemie, sondern Gegenstand der Geographie, genauer, der Klimatologie ist.
Louis Pasteur sagte: es gibt keine angewandte Wissenschaft, es gibt nur Anwendungen der Wissenschaft.
Oftmals auch mit ökologischer Chemie gleichgesetzt, die sich als eine Fachrichtung definiert, die sich mit
den „stofflichen Konsequenzen anthropogenen Handelns chemisch auseinandersetzt“ (von Friedhelm Korte
1968 begründet). Sie begrenzt sich damit ausschließlich auf anthropogene Ursachen („Umweltchemikalien“), während die atmosphärische Chemie auch natürliche Prozesse untersucht.
Üblicherweise werden die Litho- (feste Gesteinssphäre) und die Pedosphäre (Bodenhülle) unterschieden,
wobei die Pedosphäre die Grenze zwischen Atmosphäre und Lithosphäre bildet.
Eduard Suess (1831-1914) österr. Geologie
In seinem in drei Bänden 1883-1905 erschienenen Werk “Das Anlitz der Erde”, welches als Standardlehrbuch der Geologie zu damaliger Zeit galt.
Wladimir Iwanonowitsch Vernadski (1863-1945) russ. Geochemiker
Pierre Teilhard De Chardin (1881-1955), ein Jesuit, hatte 1925 das Konzept der Noosphäre eingeführt als
eine Sphäre der Gedanken oder des Lebens, die der Biosphäre aufgesetzt ist. Er schrieb: „Der Mensch entdeckt, daß er nichts weiter ist als die Evolution, welche ihm bewußt wird. Das Bewußtsein eines Jeden von
uns ist die Evolution der Sicht auf uns selbst und die Reflexion von uns selbst“. Dasselbe Konzept wurde
vom frz. Mathematiker und Philosphen Edouard Le Roy (1870-1954) genutzt (L'exigence idealiste et le fail
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Wir sehen, die Idee der Wechselwirkung zwischen menschlicher Gesellschaft und Biosphäre ist nicht neu, wird aber heute im Sinne des Verstehens des Erdsystems und Klimawandels von Schellnhuber (1999) als global mind und von Crutzen (2002) als anthropozene charakterisiert.
Abb. 6: Schema der wechselseitigen Durchdringung von Klimasystems, Atmosphäre, Biosphäre und Technosphäre; Pfeile stellen stoffliche und energetische Flüsse dar
Fig. 6: Scheme of interrelatetad penetration between climate system, atmosphere, biosphere and technosphere;
arrows show matter and enegy fluxes
solar radiation
ATMOSPHERE
substance
(chemical processes)
energy
(physical processes)
CLIMATE SYSTEM
TECHNOSPHERE
BIOSPHERE
Der ebenfalls verwendete Begriff der Geosphäre, definiert als alle am Aufbau der Landschaft beteiligten Sphären, hat die Schwierigkeit, sich über den schlecht faßbaren Begriff der
Landschaft zu bestimmen und zudem einen eingegrenzten erdoberflächennahen Raum zu
bestimmen. Es macht wenig Sinn, zwischen den Begriffen „Biosphäre – Geosphäre – Umwelt
– Ökosphäre – Noosphäre – Erdsystem – Natur“ strenge Unterscheidungskriterien finden zu
wollen. Es handelt sich um räumliche Systeme unserer Erde, in denen physikalische, chemische und biologische Prozesse ablaufen: sie alle stellen unseren Lebensraum dar. Inwieweit
die Prozesse sich einander bedingen, also komplex verbunden sind, ist keine disziplinbildende
Fragestellung sondern Forschungsgegenstand aller auf die Natur und Gesellschaft bezogenen
Wissenschaften. Eine Umwelt-Disziplin daher lediglich auf die Erforschung der vom Menschen versursachten Erscheinungen und Folgen begrenzen zu wollen, macht keinen Sinn
mehr, da das Gesamtsystem inzwischen völlig vom Menschen durchdrungen ist. Anstelle der
Umweltwissenschaft ist die Natur-Wissenschaft im wahrsten Sinne des Wortes wieder gefragt. Noch einmal Vernadski im Zitat104:
103
104
d'evolution. Paris, Alcan, 1927); beide traf Vernadski in Paris Mitte der 1920er Jahre (Вернадский В.И.:
Несколько слов о ноосфере. Успехи соврем. биол., 1944, 18, pp113-120).
… weil der Begriff Noosphäre in der früheren Sowjetunion und den ehemaligen „sozialistischen“ Ländern
verwendet wurde.
Niemals in der Geschichte des menschlichen Denkens, besaßen die Idee und Empfindung eines einheitlichen
Ganzen, des kausalen Zusammenhangs aller wissenschaftlich beobachtbaren Erscheinungen diese Tiefe,
Schärfe und Klarheit wie sie es jetzt erreichten, im 20. Jahrhundert.
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Никогда в истории человеческой мысли идея и чувство единого целого, причинной связи всех научно
наблюдаемых явлений не имели той глубины, остроты и ясности, какой они достигли сейчас, в XX
столетии.
Klimawandel bedeutet die Veränderung der Atmosphäre. Globaler Wandel (global change)
bedeutet Veränderung des Erdsystems, d.h. eine weitere evolutionäre Veränderung der Biosphäre. Klimawandel ist – wie das Klimasystem zum Erdsystem – eine Teilgröße des globalen
Wandels. Der enge Zusammenhang versteht sich von selbst.
VERÄNDERUNG DER ATMOSPHÄRE
Die Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre erfolgt durch natürliche bio- und geochemische sowie geophysikalische Prozesse sporadisch (z.B. Vulkanausbrüche) und quasikontinuierlich (z.B. in biologischen Kreisläufen). Über (im geologischen Sinne)
kurze bis mittlere Zeiträume kann das Klimasystem quasistationär betrachtet werden, d.h. die
Stoffe bewegen sich in biogeochemischen Stoffkreisläufen, was für die Atmosphäre annähernd Emission = Deposition bedeutet. Über große Zeiträume hatte sich die Atmosphäre
evolutionär verändert, im wesentlichen durch die biosphärische Evolution. Am Anfang der
Erdgeschichte spielten auch maßgeblich kosmogene und geogene Prozesse der Erdgestaltung
eine dominierende Rolle. Auf die (langsame) physikalische Alterung des Erdsystems wurde
bereits von Claußen im ersten Beitrag hingewiesen.
Wir wollen hier die vom Menschen verursachten bedeutenden Änderungen der Luftzusammensetzung skizzieren, die alle – direkt oder indirekt – durch anthropogene Emissionen
ausgelöst werden. Solange die stoffspezifischen Emissionsraten klein waren im Vergleich zu
natürlichen Emissionen waren auch die Konzentrationsänderungen klein (oder lediglich von
lokaler Bedeutung). Auch kann davon ausgegangen werden, daß die Biosphäre einen geringen
Teil anthropogen freigesetzter Stoffe „assimilieren“ kann.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber überschritt die Emission einer Anzahl von
Substanzen diejenige Rate natürlicher Prozesse (z.B. bei Stickstoff und Schwefel) und verlagerte sich zugleich von einem regionalen zu einem globalen Belastungsproblem. Andere
Substanzen (z.B. einige halogenierte Kohlenwasserstoffe) waren bisher in der Natur „unbekannt“. Bei weiteren Substanzen (z.B. Kohlendioxid, Distickstoffmonoxid), die teilweise in
erheblich größeren Mengen natürlich emittiert werden, wurden dennoch große Konzentrationsanstiege in der Atmosphäre registriert, weil die Stoffe eine große Verweilzeit aufweisen
und nicht im Emissionszeitraum wieder proportional in natürliche Zyklen integriert werden
können.
Entsprechend unserer neuen umfassenden Klimadefinition sollen die emittierten Substanzen Eigenschaften aufweisen, die den Wirkungscharakter der Atmosphäre (direkt und/oder
indirekt) ändern oder beeinflussen. Das sind folgende physikalisch-chemischen Eigenschaften
(wobei eine Substanz mehrere aufweisen kann):
•
•
•
•
•
•
•
Toxizität (Wirkung auf Lebewesen),
Azidität (Verschiebung des Säure-Base-Gleichgewichts),
Oxidationskapazität (Redoxpotential),
Hygroskopizität (Fähigkeit als Wolkenkondensationskern zu agieren),
Fähigkeit zur Strahlungsabsorption, insb. im IR („Treibhausefekt“),
Fähigkeit zur Lichtstreuung und –reflexion,
Fähigkeit zur Störung natürlicher chemischer Zyklen und Gleichgewichte in der Atmosphäre (insb. durch Radikalbildung).
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
134
Die Eigenschaften „Hygroskopizität“ und „Lichtreflexion“ werden ausschließlich von partikelförmigen Spurenstoffen (atmosphärisches Aerosol) ausgeübt. Durch chemische Umwandlung in der Atmosphäre entstehen neue Stoffe mit teilweise anderen Eigenschaften:
CH4
N2O
SO2
HVOC
→ CO2
→ NOx/NOy
→ Sulfataerosol
→ Cl, F, Br, CO2
Wir beschränken uns im nachfolgenden auf ausgewählte Substanzen, die von besonderer
Klimarelevanz sind:
Treibhausgase
CO2
CH4
N2O
Azidität, Hygrosk., Streuunga
SO2
Oxidantienb
Ozonbildner
CH4
stratosphär. Ozonzerstörer
a
nach Oxidation zum Sulfat und Partikelbildung
b
sekundäre Bildung in der Atmosphäre aus sog. „Vorläufersubstanzen“
c
halogenierte Kohlenwasserstoffe
O3
HVOCc
O3
H 2O 2
HVOCc
Emissionen
Mit der Seßhaftwerdung des Menschen hat er sich auch schrittweise unabhängiger gemacht
von den streng regelnden Zwängen der Evolution, die einem kontinuierlichen Vermehrungsprozeß durch natürliche Selektion entgegenwirkt. In der erdgeschichtlich kurzen Zeitspanne von 10000 Jahren (also nach der letzten Eiszeit) vermehrte er sich von etwa 5⋅106 auf
gegenwärtig 6000⋅106 Menschen. Die Siedlungsdichte hat sich dabei um den Faktor 1000
(0,25 auf 250 Menschen⋅km–2) und der spezifische Energieverbrauch um den Faktor 100 (0,1
auf 10 kW⋅Kopf–1⋅d–1) erhöht (Guderian 2000). Der „absolute Streßfaktor“ ist somit um den
Faktor 105 angestiegen. Dabei muß bedacht werden, daß diese Entwicklung annähernd exponentiell verlief, d.h. 90% des Anstieges in den letzen 100 Jahren stattfand. Das Bevölkerungwachstum verlief um die Mitte des 20. Jahrhunderts teilweise überexponentiell. Erst in den
letzten Jahren zeigt sich ein Abschwächen der Zunahme der Weltbevölkerung, die möglicherweise in eine Sättigungsfunktion gegen Ende dieses Jahrhunderts übergeht (Abb. 7).
Neben dem Anstieg der globalen Bevölkerung (den man in erster, allerdings sehr grober
Näherung proportional zu allen Verbrauchsgrößen wie Nahrungsmittel, Energie und Rohstoffe setzen kann), besteht in der Zukunft die größte Unsicherheit in
a) der Entwicklung des spezifischen Energieverbrauchs (bzw. –bedarfs) und
b) der Zeitkonstanten des Energie- und Rohstoffträgerwechsels (Transfer von fossilen
Rohstoffen).
In der Vergangenheit war der Anstieg von globalen Emissionen nicht linear mit dem Anwachsen der Weltbevölkerung verbunden (Tab. 4).
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
135
1616
optimistisch
op timistisch
Bevölkerung (in 109 Menschen)
1414
pessimistisch
pessimistisch
Katastrop
he
Katastrophe
1212
Asien
Asien
1010
88
66
44
22
00
1200
1200
1400
1400
1600
1600
1800
1800
2000
2000
2200
2200
Jahr
Abb. 7: Entwicklung der Weltbevölkerung und Annahme verschiedener Szenarien (Daten der Weltbevölkerung
bis 2020 nach UNESCO-Angaben), Szenarien des Autors (Möller 2003)
Fig. 7: Growth of world population with different assumptions (data from UNESCO), scenarios from the author
(Möller 2003)
Tab. 4: Anstieg der Weltbevölkerung und ausgewählter Emissionen, nach Cullis und Hirschler (1989)
Table 4: Increase of world population and selected global emissions (from Cullis and Hirschler, 1989)
Weltbevölkerung
CH4 (Landwirtschaft)
CO
VOC
a
Anzahl, b Tg a–1
1965
1 (3,344⋅109)a
1 (128,9)b
1 (468,1)b
1 (132,3)b
1970
1,10
1,09
1,35
1,30
1979
1,30
1,18
1,90
1,78
Es fällt auf, daß mit der Nahrungsmittelproduktion verbundene Emissionen (CH4, gilt aber
auch für N2O) vor 1970 mit der Weltbevölkerung korreliert waren und nach 1970 geringer
ansteigen, wohingegen mit technischen Entwicklungen (insb. Kraftfahrzeugverkehr) verbundene Emissionen (CO und VOC) überproportional mit der Zunahme der Weltbevölkerung
ansteigen.
Die gegenwärtigen regionalen Unterschiede im Pro-Kopf-Verbrauch (und umgekehrt der
spezifischen Emission) liegen bei einem Faktor zwischen 10 und 20. Alle Prognosen gehen
von einem starken Anstieg des Weltenergieverbrauchs aus, insbesondere vor dem Hintergrund
einer Verdopplung der Weltbevölkerung und einem Anstieg der weltweiten Wirtschaftsleistung um den Faktor 3 bis 5 bis zum Jahr 2050 (Abb. 8).
Global kann neben einer verstärkten Kohlenutzung für die nächsten 50 Jahre ausschließlich
die Kernenergie die Differenz zum wachsenden Bedarf decken. Allerdings gehen Prognosen
(US Dept. 2000) davon aus, daß Kernenergie in den heutigen Industriestaaten eher stagnieren
wird und bis 2100 fast völlig zurückgeht, hingegen in Asien einen starken Anstieg erleben
wird. So bleibt in Frankreich und Japan die Nutzung der Kernenergie bis 2020 konstant, in
Asien steigt sie um den Faktor 2,5 und im restlichen Teil der Welt sinkt sie um den Faktor
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
136
0,73 (US Dept. 2000), s. Tab. 5. Keine Aussagen lassen sich über Fusionsreaktoren oder
neuere Generationen von Fissionsreaktoren finden; damit verbleibt dieser Energiebereich
reine Spekulation. Erneuerbare Energieformen (Wasser, Wind, Biomasse, Solarstrahlung u.a.)
werden zweifellos stark anwachsen105, aber aufgrund ihrer raum-zeitlichen Randbedingungen
von regional sehr unterschiedlicher Bedeutung sein; es ist abzusehen, daß sie in den nächsten
30 Jahren weder über einen globalen Anteil von 10% anwachsen, noch die Lücke des Energiewachstums schliessen werden.
Abb. 8: Entwicklung und Prognose des Weltenergiebedarfs; nach Möller (2003)
Fig. 8: Development and prognosis of world energy consumption (Möller 2003)
14
14
Kohle
Kohle
12000
1200
12
12
Erdöl
Erdöl
10000
1000
10
10
Energieverbrauch
Energieverbrauch
Weltbevölkerung
Weltbevölkerung
8000
800
88
6000
600
66
4000
400
44
2000
200
22
00
00
1500
1500
Weltbevölkerung (in 109 Menschen)
Energie (in EJ) und fossile Rohstoffe (in Mt a-1)
14000
1400
1600
1600
1700
1700
1800
1800
1900
1900
2000
2000
2100
2100
2200
2200
Jahr
Tab. 5: Globale Anteile (in %) verschiedener Energieträger
Table 5: Globale percentages (in %) o different energy carriers
Ressource
Gegenwart
1997
2020
2025
(Wellmer 2000)
(US Dept. 2000)
(US Dept. 2000)
(Elistratov 2000)
nuklear
6
7
6
20
erneuerbar
8a
8
9
10b
Gas
30
22
25
50
Kohle
20
25
23
5
Öl
36
38
37
15
a
im wesentlichen Wasserkraft
b
optimistische (nach Meinung des Autors völlig unrealistische) Schätzungen gehen von 50% aus
Eine Konsequenz der weiteren verstärkten Nutzung fossiler Brennstoffe wird ein Anstieg
der CO2-Emission sein. Ohne eine CO2-Begrenzung (die der Autor jedoch für unrealistisch
105
Politiker schmücken ihre Bestrebungen gerne mit solchen Aussagen, daß beispielsweise die Windkraftnutzung in den nächsten 20 Jahren um 300% zunimmt. Bei einem Ausgangsanteil von – sagen wir – 2% ist klar,
daß damit das gesamte Energiewachstum nicht abgesichert werden kann. Natürlich bleibt das „Solarzeitalter“
einzige Alternative zum „fossilen Zeitalter“. Entscheidende (und m.E. gegenwärtig nicht beantwortbare) Fragen sind die nach dem Zeithorizont a) des Energiewechsels, b) einer „gefährlichen“ Klimaänderung sowie c)
wie man diese Prozesse harmonisieren kann.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
137
hält) wird die Emission um ein Vielfaches ansteigen (Tab. 6). Es ist eher anzunehmen, daß die
oberen Bereiche der IPCC-Abschätzung noch übertroffen werden, da die unteren Angaben
lediglich einer einfache Proportionalität mit dem Anwachsen der Weltbevölkerung entsprechen, aber ein Anstieg des pro-Kopf-Verbrauches von 40% der Weltbevölkerung (Asien) um
den Faktor 5-10 bis 2075 realistischer ist. Das würde unter Umständen zu einem doppelt so
hohen Wachstum des Energiebedarfs führen (Tab. 6, letzte Spalte) mit entsprechenden Konsequenzen für die Emission (bzw. Anstrengungen nach Energieträgerwechsel und/oder Emissionsbegrenzung).
Tab. 6: Entwicklung des Weltenergiebedarfs und der CO2-Emission
Table 6: Development of world energy demand and CO2 emission
Energie (in EJ a–1),
Faktor
CO2 (in Gt C a–1),
Faktor
Faktor Weltbe- Faktor
nach IPCC (1996)
Energie
nach IPCC (1996)
CO2
völkerung
Energiec
1990
372
1
5,9
1
1
1
2025
488
1,3
5,9-13,5a, b
bis 2,3
1,5
2,1
2050
580-700
1,6-1,9
4,7-18,5
bis 3,1
1,7
3,7
2075
650-930
1,7-2,5
3,5-25,9
bis 4,4
1,8
5,4
2100
720-1250
1,9-3,4
2,0-35
bis 5,9
1,9
7,2
a
unterer Wert unter Annahme einer CO2-Verpressung in erschöpfte Erdgaskavernen
b
oberer Wert Maximum verschiedener Szenarien
c
Energiefaktor unter Berücksichtigung, daß 40% ein überproportionales Wachstum des Energieverbrauches
haben werden
Jahr
Um den relativen Beitrag der verschiedenen Treibhausgase quantitativ ausdrücken zu können, wurden Faktoren als Treibhausgasäquivalent (greenhouse gas equivalents) eingeführt
(IPCC, 1996), die den gewichteten Beitrag zum GWP über eine Zeitperiode von 100 Jahren
ausdrücken: 1 (CO2), 21 (CH4), 310 (N2O), 6000 (CFC) und 23900 (SF6)106. Damit können
GWP-Emissionen in Tonnen CO2-Äquivalent ausgedrückt werden und die Erntwicklung der
Emission drückt unmittelbar den beitrag zum Klimaantrieb aus (Tab. 7).
Eine der Schlüsselfragen des Klimawandels scheint der weitere Anstieg des atmosphärischen CO2 und der damit verbundene nichtlineare Klimaantrieb zu sein. Die Emissionsprognose ist sehr unsicher, da sie von der zukünftigen Energiebasis abhängt; es gibt einige Argumente, die für einen größeren Anstieg der Emission als die IPCC-Schätzung sprechen. Basierend auf der 1990-Emission wären das die Faktoren:
2025
3
2050
5
2075
8
2100
10
Tab. 7: Entwicklung der Treibhausgasemissionen (in Mt CO2-Äquivalent a-1) innerhalb der Länder der Europäischen Gemeinschaft (EU), nach EEA (2000)
Table 7: Development of greenhouse gas emission (in Mt CO2 equivalent a-1) within the framework of EU, after
EEA (2000)
Substanz
CO2
CH4
N 2O
CFC
a
unbekannt
106
1990
3320
440
399
-a
1992
3269
414
377
-
1994
3217
387
375
-
1996
3359
374
392
58
1998
3328
367
360
-
Kürzlich wurde ein neues Treibhausgas mit extrem langer Verweilzeit im antarktischen Eis entdeckt, SF5CF3
vermutlich ein Abbauprodukt des SF6, welches vor 1960 noch nicht in der Luft enthalten war (W. Sturges,
Science, 289, 2001, p. 611).
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
138
CO2-Emission (in t Kopf-1 a-1)
Abb. 9: CO2-Emission pro Kopf und Jahr für verschiedene Regionen, nach GEO (2000)
Fig. 9: CO2 emission per capita and year for different regions of the world, after GEO (2000)
2020
5
11975
975 199
1995
1515
1010
55
00
Nordamerika
1
Europa +
Westeuropa Lateinamerika
2
3
4
Zentralasien
Asien +
5
Pazifik
Afrika
6
Eine Verdopplung des CO2-Gehalts (gegenwärtig 365 ppm) führt zu einem Temperaturanstieg von 2,5 K (1,5-4,5) nach IPCC (2000). IPCC (1996) schätzte ein, daß eine Stabilisierung
auf 550 ppm zu einer Temperaturerhöhung von 2,0-5,5 K führen würde. Eine Stabilisierung
bei 550 ppm CO2 würde bedeuten, daß die mittlere globale pro-Kopf-Emission nur 5 t CO2
für das jetzige Jahrhundert betragen dürfte und 2100 auf unter 3 t reduziert werden müßte. Im
Jahr 1995 betrug die Spanne der pro-Kopf-Emission zwischen weniger als 1 t (Afrika) und 20
t (Nordamerika) mit einem globalen Mittel von 4 t (Abb. 9); sie ist dabei für alle Regionen
von 1997 bis 1995 gestiegen, außer für die Region der ehemaligen „sozialistischen“ Staaten
Osteuropas und Rußlands, was ausschließlich auf den Zusammenbruch des Wirtschaftssystems zurückzuführen ist. Sie war vor 1990 wesentlich höher als in Westeuropa aufgrund einer
wenig effizienten Energieversorgung auf Basis von Kohle. Selbst wenn es gelänge, die gegenwärtige CO2-pro-Kopf-Emission Europas von 8 auf unter 4 t a-1 zu senken (dafür gibt es
jedoch für die nächsten Jahrzehnte keinerlei Hinweise), ist anzunehmen, daß die CO2-proKopf-Emission der anderen Kontinente (außer Nordamerika) steigen wird. Die Graphik zeigt
eindeutig, warum die USA so zögerlich an eine Klimakonvention bezüglich der CO2-Senkung
herantreten, schließlich verbrauchen sie pro-Kopf viermal mehr als der Weltdurchschnitt.
Abb. 10: Entwicklung der SO2-Emission. Weltdaten bis 1950 nach Möller (2003)
Fog. 10: Development of global SO2 emission (Möller 2003)
80
80
70
70
SO2-Emission (in 106 S a-1)
60
60
50
50
Welt
Welt
Welt
REA)
Welt(China
(China mit
mit REA)
China
China
Europa
Rußland)
Europa(ohne
(ohne Rußland)
Westeuropa
Westeuropa
USA+UdSSR
(bzw.(bzw.
Rußland)
USA und UdSSR
Rußland)
Rest
der
(ohneEU,
EU,
RU,
USA)
Rest
derWelt
Welt (ohne
RU,
USA)
40
40
30
30
20
20
10
10
00
1850
1850
1900
1900
1950
1950
Jahr
2000
2000
2050
2050
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
139
Ein klimarelevanter „Gegenspieler“ zu Treibhausgasen ist das Schwefeldioxid, welches
teilweise in der Atmosphäre Sulfataerosol bildet und damit direkt und indirekt (über Wolken
als Kondensationskern) zu einer Abkühlung führt. Mit dem wenigstens bis 2050 vorauszusehenden weiteren Anstieg der Nutzung von Kohle muß zunächst ein Anstieg aller mit der
Kohleverbrennung verbundenen Emissionen, insbesondere SO2 und Flugasche erwartet werden. Während moderne Entstaubungsanlagen mit einer langfristigen mittleren Abscheideeffektivität von mindestens 98% arbeiten, wird aber der Anteil feiner Stäube (Durchmesser < 1
µm) zunehmen. Einer Anwendung der Rauchgasentschwefelung (REA) – die im Mittel etwa
zu einer 95%igen Entschwefelung führt – sind lediglich finanzielle, also ökonomische Grenzen gesetzt. Die seit 1990 in Nordamerika und Europa eingeführte REA führte zu einem
starken Rückgang der entsprechenden regionalen Emissionen, die aber zunächst vom Anstieg
in China kompensiert wurde (Abb. 10). China trägt zu 65% der asiatischen SO2-Emission bei;
von 1985 bis 1997 wurden auch starke Anstiege der SO2-Emissionen in Indien (16% Anteil),
Pakistan, Thailand und Indonesien (zusammen 9% Anteil) beobachtet (Streets u.a., 2000). Die
weitere asiatische Entwicklung wird zweifellos von China bestimmt. Anfang der 1990er Jahre
ging man noch von einem Anstieg der SO2-Emission auf 40-55 Tg S im Jahr 2020 aus; dieser
Wert wurde von Streets u.a. (2000) um den Faktor 2 nach unten auf 20-22,5 korrigiert. Der
Anstieg betrug zwischen 1985 und 1997 etwa 6% a–1 (konstante Emissionen werden nur für
Japan und Korea angegeben) aber zwischen 1990 und 1997 nur bei 2,2% a–1. Momentan wird
in China verstärkt die REA nachgerüstet und Neubauten grundsätzlich mitr REA ausgerüstet.
Als Folge des starken chinesischen Wirtschaftswachstums kann man wohl eher mit einer
verstärkten Abnahme der globalen SO2-Emission rechnen als noch in Abb. 10 dargestellt, was
dann allerdings zu einer Verstärkung des Netto-Treibhauseffektes führen würde.
Abb. 11: Entwicklung der Düngerproduktion (Möller 2003)
Fig. 11: Development of global fertilizer production (Möller 2003)
Düngeranwendung (in Mt a-1)
200
200
150
150
10
10
Weltdüngerverbrauch
Weltdüngerverbrauch
Entwicklungsländer
Entwicklungsländer
Stickstoff
(Welt)
Stickstoff (Welt)
Industrieländer
Industrieländer
Weltbevölkerung
Weltbevölkerung
99
88
77
66
55
100
100
44
33
50
50
22
11
00
1950
1950
Weltbevölkerung (in 109 Menschen)
250
250
00
1970
1970
1990
1990
2010
2010
2030
2030
Jahr
Neben der Nutzung fossiler Rohstoffe für die Energiewandlung und Mobilität ist als zweite
große Emittentengruppe die Landwirtschaft zu sehen. Mit CH4- und N2O-Emissionen werden
bedeutsame Treibhausgase in die Atmosphäre abgegeben. Methan ist darüber hinaus verantwortlich für den globalen Sockelbetrag troposphärischen Ozons (Möller 2004).
Zentrale Eingangsgröße für den landwirtschaftlichen Stoffumsatz und alle damit verbundenen Emissionen (über die Kette Pflanze-Tier) ist der Düngereinsatz (Abb. 11), der sich im
Mittel proportional zur Weltbevölkerung seit 1950 entwickelt. Insbesondere der globale NDüngereinsatz zeigt eine erstaunliche Homogenität und Proportionalität zur Entwicklung der
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
140
Weltbevölkerung. Emissionsprognosen können sich daher an die weitere Entwicklung der
Weltbevölkerung anlehnen. Es ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten, daß es eine prozeßbezogene Emissionsminderung von signifikantem Ausmaß geben wird.
Konzentrationen
„Klassische“ Treibhausgase (CO2, CH4 und N2O)
In Abb. 12 sind die aus Eisbohrkernen gewonnenen Informationen zum CO2-Gehalt und
der lokalen Temperatur (Station Vostok in der Antarktis) gezeigt. Es ist leider nicht möglich
festzulegen, was Ursache und Wirkung ist (CO2 gegen T), z.B. die Aussage zu treffen, eine
CO2-Verminderung verursachte eine Eiszeit. Man kann jedoch aussagen, daß ein Anstieg der
Konzentation von Treibhausgasen mit einer Erhöhung der Temperatur verbunden ist (Schneider, 1991).
280
Temperaturänderung zur Gegenwart (°C)
240
+2,5
220
0
200
-2,5
180
CO2-Konzentration (ppm)
260
CO2-Konzentration
Abb. 12: CO2-Kon-zentration (in
ppm) verglichen mit der lokalen
Temperatur-änderung, gewonnen
aus
dem
Vostok-Eisbohrkern
(Antark-tis),
nach
Schneider
(1991)
Fig.12: CO2 concen-tration 8in
ppm) compared with temp-erature
changes from the russian Vostok
ice core in Antarctica, after
Schneider (1991)
-5,0
-5,5
Temperatur
-10,0
0
40
80
120
160
Tausend Jahre vor Gegenwart
Die berühmte Kurve des CO2-Anstiegs seit den späten 1950er Jahren vom Mauna-LoaObservatorium107 auf Hawaii ist in Abb. 13 dargestellt. Sie zeigt die deutlichen saisonalen
Variation (bedingt durch biosphärische Atmung im Winter und Photosynthese im Sommer)
und einen steten Anstieg des mittleren Wertes, der sich kaum unterscheidet von später begonnenen anderen Meßreihen auf der Welt (spezifische Unterschiede liegen in der Jahresamplitude; nur in urbanen Gebieten werden leicht höhere CO2-Werte gemessen).
In den letzten 100 Jahren stieg die Konzentration von CO2 um etwa 25% während die des
CH4 sich verdoppelte und die des N2O um etwa 15% anstieg (Tab. 8).
Beeindruckend ist die aus im antarktischen Eis eingeschlossenen Luftblasen rekonstruierte
historische Entwicklung der atmosphärischen Konzentrationen, die ausgezeichnet mit gemessenen Werten der neueren Zeit übereinstimmen (Abb. 14 und 15).
107
„Keeling-Curve“: 1958 von Charles Keeling begonnen und seitdem mit derselben Methode (IRGasanalysator) kontinuierlich fortgesetzt. Der mittlere Anstieg beträgt 15,2% von 315,83 ppm (Trockenluft)
im Jahr 1959 auf 363,82 ppm 1997 (Jahresmittel).
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
141
Abb. 13: Atmosphärische CO2-Konzentration (in ppm) als Monatsmittelwert am Mauna Loa Observatorium,
Hawaii; www.maunaloaobservatory.gov
Fig. 13: Atmospheric carbon dioxide concentration (in ppm) as monthly averages measured at Mauna Loa
observatory, Hawai; www.maunaloaobservatory.gov
370
CO2-Konzentration (in ppm)
360
350
340
330
320
310
1960
1970
1980
1990
Jahr
Tab. 8: Historisch zeitliche Entwicklung der Konzentration von Treibhausgasen, nach Lelieveld u.a. (1998)
Table 8: Historic increase of atmospheric greenhouse gas concentration, after Lelieveld et al. (1998)
Jahr
1850
1900
1960
1990
1995
τ (in a)
CO2 (in ppm)
287
296
316
354
360
50-200
CH4 (in ppb)
750
970
1270
1720
1730
7,9
N2O (in ppb)
260
292
296
310
312
120
carbon dioxide mixing ratio (in ppm)
350
Abb. 14: CO2-Konzen-trationen (in
ppm) von verschiedenen antarktischen Bohrkernen (Markierungen)
und Messungen am Südpol (Linie),
nach Etheridge u.a. (1996)
330
Fig. 14: CO2 mixing ratios (in ppm)
from different antarctic ice cores
(markes) and atmospheric measurements at south pole (solid line), after
Etheridge et al. (1996)
310
290
270
1000
1200
1400
1600
year
1800
2000
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
(
)
1600
Abb. 15: CH4-Konzentrationen (in ppb) von
verschiedenen antarktischen Bohrkernen, nach
Etheridge u.a. (1998)
1400
CH4 mixing ration (in ppb)
142
Fig. 15: CH4 mixing ratios (in ppb) from
different antarctic ice cores, after Etheridge et
al. (1998)
1200
1000
800
600
1000
1200
1400
1600
year
1800
2000
Abb. 16: N2O-Konzentrationen (in ppb) an der Station Cape Grimm (Tasmanien), vom CSIRO
Fig. 16: N2O mixing ratio (in ppb) at Cape Grimm (Tasmania), from CSIRO
N2O mixing ratio (in ppb)
315
310
305
300
1980
1985
1990
1995
2000
year
Für die letzten Jahrzehnte kann als jährlicher mittlerer Anstieg angenommen werden:
CO2
CH4
N2O
1-2 ppm
~ 3 ppb
~ 0,5 ppb.
Der anthropogen bedingte CO2-Anstieg beträgt etwa 80 ppm in den letzten 150 Jahren, eine Größenordnung, die vergleichbar ist mit der Änderung nach der letzten Eiszeit, wobei die
natürlichen Variationen danach maximal eine Amplitude von 40 ppm aufweisen mit einer
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
143
Zeitkonstanten von mehr als 1000 Jahren. Eine natürliche Abnahme der CO2-Konzentration
auf das „natürliche“ Konzentrationsniveau (gleichbedeutend mit anthropogenen NullEmission) würde mehrere Hundert Jahre dauern.
Ähnlich „katastrophal“ sieht der Anstieg der CH4-Konzentration über historische Zeiten
aus (Abb. 15). Die atmosphärische Verweilzeit von Methan ist zwar bedeutend kürzer (etwa 8
Jahre) als die von CO2, aber genügend groß, um auch eine global weitgehend homogene
Vermischung der unteren Atmosphäre zu ermöglichen (nur in Ballungsgebieten weren noch
signifikant höhere Konzentrationen gemessen) und auch hier eine „Erholungsphase“ über
einen Zeitraum von wenigstens 100 Jahren zu bedingen.
Ozonabbauende Treibhausgase (chlorfluororganische Verbindungen)
Viele Komponenten dieser Substanzklasse zeigen neben dem troposphärischenTreibhauseffekt vor allem ozonabbauende Eigenschaften in der Stratosphäre, was nach dem MontrealProtokoll von 1992 zu einem schrittweisen globalen Verbot ihrer weiteren Anwendung führte.
Die atmosphärischen Verweilzeiten erreichen hier teilweise mehr als 100 Jahre. Die Konzentrationen der Substanzen mit einer relativ geringen Verweildauer zeigen aufgrund der Reduzierungsmaßnahmen entweder bereits Maxima und die mit einer längeren Verweilzeit bereits ein
Sättigungsverhalten. Für beide Effekte (stratosphärischen Ozonabbau und troposphärischen
Treibhauseffekt) kann eine „Erholungsphase“ von etwa 50-100 Jahren angenommen werden.
Somit verbleiben als längerfristige Probleme die Verbindungen CO2, CH4 und N2O. Während
das CO2-Problem durch einen Energieträgerwechsel prinzipiell gelöst werden kann, sind die
beiden anderen Treibhausgase im wesentlichen mit mit der Nahrungsgüterproduktion verbunden; prinzipielle Lösungen deuten sich noch nicht an.
Abb. 17: Entwicklung der atmosphärischen Konzentration (in ppt) verschiedener halogenierter Verbindungen an
der Station Cape Grimm (Tasmanien), vom CSIRO
Fig. 17: Record of mixing ratios (in ppt) of different halogenated carbon compound at Capa Grimm measuement
station (Tasmania), from CSIRO
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
144
Ozon (O3)
Ozon wird nicht direkt emittiert sondern, photochemisch in der Troposphäre aus sog. Vorläuferkomponenten (den primären Emissionen NO, CO und VOC) in einem komplizierten
Mechanismus gebildet. Der Zusammenhang zwischen der Ozonkonzentration und den genannten primär emittierten Substanzen ist nicht linear und das NO betreffend sogar negativ in
bestimmten Konzentrationsbereichen (s. Möller 2004).
Marenco u. a. (1994) haben historische Daten vom Pic du Midi (französische Alpen) aus
den Jahren 1885 bis 1909 mit gegenwärtigen Messungen verglichen und dabei weitere historische Meßwerte verschiedener Bergstationen aus dem Gebiet der Europäischen Alpen hinzugezogen, um einen Trend nachzuweisen (Abb. 18).
Der exponentielle Anstieg ist beeindruckend signifikant (r2 = 0,97) und zeigt, daß die O3Konzentration jährlich um 1,54% angestiegen ist. In Abb. 18 sind jedoch auch andere (zuverlässige) Meßwerte (Arosa, Zugspitze über eine längere Zeitperiode) eingetragen, die durchaus
Abweichungen vom stetigen exponentiellen Verlauf erkennen lassen. Die Marenco-Kurve
wurde nicht unkritisch in der Fachwelt diskutiert, sind doch Werte aus den unterschiedlichen
Höhen und Orten in einem Zusammenhang dargestellt (ausführlich bei Möller 2003 diskutiert).
Abb. 18: Historischer Trend der Ozonkonzentration (nach Marenco u.a. 1994), zusätzlich eingezeichnete Ozonmeßdaten (nicht in der Trendkurve enthalten) von Arosa (nach Staehelin u.a., 1993) und der Zugspitze (nach
UBA 2000). Trend: [O3] = 9,67⋅exp(0,0154⋅x), x Anzahl der Jahre (Anfangsjahr 1885 mit x = 0), r2 = 0,99. Sog.
wahrscheinliche Werte (starke Linie)
Fig. 18: Historic increase of ozone (after Marenco et al. 1994); additional date (not included within the trend
line) from Arosa (after Staehelin et al. 1993) and Zugspitze (after UBA 2000). Trend [O3] = 9,67⋅exp(0,0154⋅x),
x number of years (beginning 1885 with x = 0), r2 = 0,99. So-called probable values (solid line)
60
60
P ic du
idi ( 3(3000
00 0 mm)
)
Pic
duMMidi
50
50
Jun gf r a ujo ch ( 35
0 0 mm)
)
Jungfraujoch
(3500
M o nt Ve
n t oux ( (1900
1 90 0 mm)
)
Mont
Ventoux
O3-Konzentration (in ppb)
De utsc he Alp
e n ( 10
4 6 mm)
)
Deutsche
Alpen
(1046
40
40
Ho he n pe
isse n be r g ( 1(1000
00 0 mm)
)
Hoher
Peißenberg
Zugsp it ze ( (3000
30 00 mm)
)
Zugspitze
30
30
Ar o sa ((1860
18 60 mm)
)
Arosa
d( h
d
Trend
(ohne Arosa und
Zugspitze)
20
20
10
10
00
11885
885
1905
19
05
11925
925
19455
194
11965
965
1985 5
198
2005
Jahr
Die Konzentration bodennahen Ozons hat sich in den vergangenen 100 Jahren um den
Faktor 2,5 erhöht (dabei verdoppelt seit 1950; vgl. auch Tab. 9). Es ist wahrscheinlich, daß
die Meßwerte vom Pic du Midi aus der Periode 1885-1909 mit 10-12 ppb zu niedrig sind. Ein
Wert um 9±2 ppb hingegen ist für die Zeit vor 1910 für das Flachland typisch (Beilke, 2000).
Es ist auch eher anzunehmen, daß zwischen 1885 und 1935 die Ozonkonzentration nur wenig
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
145
angestiegen ist. Es scheint weiterhin, als ob zwischen 1935 und 1950 ein Stagnieren der Ozonkonzentration eintrat. Als wahrscheinliche Werte der historischen Ozonkonzentration in
einer Höhe von 2000±1000 m für Mitteleuropa werden angegeben (in ppb), nach Möller
(2003):
1885-1900
1930-1935
1950-1955
1990-1995
15-20
20-25
20-25
45-50
Tab. 9: Höhenabhängigkeit der Ozonkonzentration während zwei verschiedener Zeitperioden in der Umgebung
von Arosa, Daten nach Staehelin u.a. (1994)
Table 9: Dependence of ozone concentration from altitude for two different periodes in the surrounding of Arosa
(after Staehelin et al. 1994)
Höhe (in m)
800
1850
3450
Korrelation
[O3] 1930er Jahre
17,5
22,5
27,5
[O3] = 12,5 + 5⋅z r2 = 1,00
[O3] 1980er Jahre
47
51
57
[O3] = 41,7 + 5⋅z r2 = 0,99
Es ist als zweifelsfrei anzusehen, daß der Anstieg der troposphärischen Ozonkonzentration
eine Folge menschlicher Aktivitäten ist. Berechnungen mittels globaler Chemie-TransportModelle zeigen eine Verdopplung der globalen Ozonproduktion seit der vorindustriellen Zeit
(Tab. 10).
Tab. 10: Troposphärische globale Ozon-Quellen (in Tg a-1)
Table 10: Tropospheric global ozone sources (in Tg yr-1)
Quelle
Photochemie
Stratosphäre
Summe
Crutzen (1999)
Wang u. a. (1998)
Gegenwart
vorindustriell
3940
480
4420
1780
480
2260
4100
400
4500
Seit Beginn der 1990er Jahre kann die weitere Entwicklung der Ozonkonzentration in
Deutschland (und vielen Orten) als „widersprüchlich” angesehen werden. Einige Stationen
zeigen ein Stagnieren der Jahresmittelwerte (beispielsweise die Zugspitze), andere Stationen
zeigen einen weiteren Ozonanstieg. Die Analyse der Ozondaten von der Brocken-Meßstation
hat ergeben, daß sich seit 1992 vor allem die Häufigkeitsverteilung verschiedener Konzentrationsklassen verändert hat: hohe und niedrige Ozonwerte nahmen ab, wohingegen mittlere
Werte anstiegen. Offensichtlich scheint zu sein, daß die Anzahl der Überschreitungen hoher
Ozonkonzentrationen (> 180 µg m-3) seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland signifikant
zurückgegangen ist. Ebenfalls offenkundig ist, daß trotz einer starken Reduzierung von Vorläufersubstanzen (VOC und NO), insbesondere durch die Einführung von Automobilkatalysatoren, keine Minderung der mittleren Ozonkonzentration eingetreten ist. Im Zeitraum 19922000 ist das 90%-Perzentile der O3-Konzentration im Mittel von 15 Stationen in den Niederlanden im Sommer um 1,1 ppb a-1 gesunken, im Winter hingegen um 0,26 ppb a-1 gestiegen,
insbesondere in urbanen Gebieten (Roemer, 2002). An Hintergrund-Stellen wurde generell
ein Anstieg beobachtet; die Emissionen von NO und NMVOC sanken im Zeitraum 19801999 um 20-40% bzw. 40% in Mittelwesteuropa.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
146
Wasserstoffperoxid (H2O2)
Im Unterschied zum Ozon wird die Konzentration von Waserstoffperoxid erst seit einigen
Jahren an sehr wenigen Stellen systematisch gemessen obwohl diese Subtanz kurze Zeit nach
dem O3 in der Atmosphäre entdeckt wurde108. Mit einem Anstieg der O3-Konzentration, wie
er langfristig beobachtet wurde, muß auch eine Zunahme der entsprechenden Reaktionswege
mit O3 angenommen werden. Ob dabei tatsächlich erstens H2O2 gebildet wird und zweitens
dessen Konzentration zugenommen hat, bleibt spekulativ.
Modellrechnungen von Derwent und Hough (1987) zeigen, daß mit einer Erhöhung der
Emission von Nichtmethankohlenwasserstoffen (NMVOC) die H2O2-Konzentration wesentlich mehr ansteigt als die von O3. Aus den Modellergebnissen folgt, daß ein Anstieg der
NMVOC-Emission um 25% eine Erhöhung der O3-Konzentration um 8% bewirkt, wohingegen die H2O2-Konzentration um 48% ansteigt. Umgekehrt bewirkt ein Anstieg der NOKonzentration eine überproportionale Abnahme der H2O2-Konzentration. Dieses Ergebnis ist
konsistent mit den späteren Beobachtungen (Gilge u. a., 2000). Aus diesen Fakten und Argumenten läßt sich schlußfolgern, daß die H2O2-Konzentration im Zeitraum 1955 bis 1980
wesentlich stärker angestiegen sein könnte als die O3-Konzentration, vor allem aufgrund der
starken Zunahme der NMVOC-Emission aus dem Verkehrsbereich.
Lelieveld (2001) hat mit einem globalen Modell berechnet, daß die H2O2-Bildung aus HO2
in der Gasphase seit der vorindustriellen Zeit um 60% angestiegen ist, und als Konsequenz
auch dessen Deposition (Zahlen in Tmol a-1 vorindustriell/gegenwärtig):
56/88
27/41
HO2 
→ H 2 O2 
→ Abbau durch OH und hν
↓ 29/47
Deposition
In diesem Modell sind aber weder andere Bildungs- noch Abbauwege über die Flüssigphase
berücksichtigt worden.
Thompson (1992) berechnete auf der Basis eines globalen Gasphasen-Oxidantienmodells
einen Anstieg der H2O2-Konzentration um 50% zwischen 1980 und 2030, allerdings ohne
Berücksichtigung der Flüssigphasen-Schwefelchemie. Die Unsicherheit solcher Berechnungen ersieht man daran, daß Thompson u. a. (1991) für den globalen Anstieg lediglich 22%
berechneten (bei Annahme eines weiteren Anstiegs der Emissionen von CH4 und CO um 1%
a-1), wobei in der urbanen Grenzschicht ein H2O2-Anstieg von bis zu 100% angegeben wird.
Gleichzeitig sollen sich die globalen Konzentrationen von O3 und HO2 um 13 bzw. 8% erhöhen, hingegen die von OH um 10-15% vermindern. Die Relationen sind plausibel und auch
das Ergebnis, daß die Konzentration von H2O2 mehr ansteigt als die von O3.
Langzeitmessungen existieren nicht, um diese Aussagen zu stützen. Die einzigen bekannten Messungen über mehrere Jahre (1988 bis 1994) wurden in Harwell (England) durchgeführt (Dollard und Davies 1993). Diese Zeitperiode betrifft allerdings bereits die Sättigungsphase bzgl. der NMVOC-Emission (zumindest in Westeuropa), aber auch die Phase der Einführung der Rauchgasentschwefelung. Leider wurden die Messungen 1992 unterbrochen und
offensichtlich erfolgten dabei Änderungen in der Meßnordnung (in der Originalliteratur finden sich dazu keine Angaben), da der Mittelwert der zweiten Periode geringer ist als der von
der ersten Periode 1988-1991, obwohl in beiden Perioden ein positiver Trend bebachtet wurde. Die Autoren geben für 1988 bis 1991 einen Anstieg der H2O2-Konzentration von 0,15 auf
0,3 ppb mit +0,028 ppb a-1 (r2 = 0,83) an, d.h. eine Verdopplung innerhalb von nur 4 Jahren
(!).
108
Das hängt mit der aufwendigen und komplizierten Meßmethode zusammen.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
147
Eines der spektakulären Forschungsergebnisse der letzten Zeit ist der in Grönländischen
Eisbohrkernen gefundene Anstieg der H2O2-Konzentration um etwa 60±12% in den letzten
150 Jahren (Sigg und Neftel, 1991; Anklin und Bales, 1997). Allein der Anstieg in der Periode 1975 bis 1995 macht 80% der gesamten Zunahme aus. Allgemeine anthropogene Aktivitäten, welche unmittelbar die H2O2-Bildung beeinflussen könnten (Strahlung, CO-CH4-Chemie)
können diesen dramatischen Anstieg (Abb. 19) nicht erklären. Möller (1999b, 2002c) hat eine
Erklärung für den beobachteten Anstieg unter Betrachtung der Quellen und Senken im Multiphasensystem gegeben und die Rauchgasentschwefelung – aufgrund des fehlenden SO2 als
Hauptsenke für atmosphärisches H2O2 – für den Anstieg verantwortlich gemacht.
Der dramatische Anstieg des H2O2 im Eis und der daraus ableitbare Anstieg der atmosphärischen Konzentration soll hier nicht im Einzelnen erläutert werden (s. Möller 2002c). Er ist
ein Ergebnis verschiedener Wechselwirkungen sich im komplexen Klimasystem verändernden Parameter (insbesondere der Reduzierung atmosphärischen SO2).
Abb. 19: Vergleich zwischen den 10-jährigen Mittelwerten der H2O2-Konzentration im Grönland-Eisbohrkern
(vor 1988 nach Sigg und Neftel, 1991; 1988 bis 1995 nach Anklin and Bales, 1997) in µmol l-1, der SulfatKonzentration im Grönland-Eisbohrkern in ng g-1 (nach Delmas, 2002), letzter Wert 1990-1992; der Weltbevölkerung in 109 Menschen und der Summe der SO2-Emission Nordamerikas (nach Gschwandtner u. a., 1986) und
Westeuropas (nach Mylona, 1996) in 107 t S a-1 (letzter Wert 1990-1995). Typische Fehlerbreiten: ±10% für die
Konzentration im Eisbohrkern, ±20% für die SO2-Emission vor 1990, ±50% für den Wert von 1990-1995; in der
Eiskern-Sulfat-Kurve führten folgende Vulkaneruptionen zu Erhöhungen gegenüber dem Hintergrund: Tambora
(Indonesien) 1815, Cosiguina (Nikaragua) 1835, Santa Maria (Guatemala) 1902, Katmai (Alaska) 1912
W elt bevölkerung
H2O2 im Eiskern
SO2-Em ission
Sulfat im Eiskern
8
120
7
100
6
80
5
60
4
3
40
2
20
1
0
0
1800 1830
1 850
1970 1890 1910
Jahr
1930
1950 1970
199 0
[Sulfat]-Eiskern (in ng g-1)
Weltbevölkerung (in 109 Menschen)
SO2-Emission (in Tg S a-1), [H2O2]-Eiskern (in µMol l-1)
Fig. 19: Comparison between 10-year means of H2O2 concentration in Greenland ice cores (before 1988 after
Sigg and Neftel, 1991; 1988 until 1995 after Anklin and Bales, 1997) in µmol l-1, Sulfate concentration in
Greenland ice cores in ng g-1 (after Delmas, 2002), last figure 1990-1992; world population in 109 peoble and
sum of SO2 emission in Norther America (after Gschwandtner et al. 1986) and Western Europa (after Mylona,
1996) in 107 t S a-1 (last figure 1990-1995). Typical error bars: ±10% for ice core concentrations, ±20% for SO2
emission before 1990, ±50% for figures 1990-1995. Within the ice core sulfat curve the following eruptions led
to an increase: Tambora (Indonesia 1815, Cosiguina (Nicaagua) 1835, Santa Maria (Guatemala) 1902, Katmai
(Alaska) 1912
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
148
ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN
Die Definition des Klimabegriffs hat sich im Verlaufe der letzten 200 Jahre mehrfach verändert. Bei der Diskussion des Klimawandels ist es erforderlich, sich auf eine Festlegung des
Klimabegriffs zu einigen, um einmal den Rahmen des Klimasystems als Teilgröße des Erdssystems abzustecken und zum anderen die Größen festzulegen, die beobachtet wereden müssen. Die Humboldt´sche Definition war zwar sehr umfassend durch die Einbeziehung des
chemischen Zustands der Atmosphäre, aber mit einer Beziehung der Klimaelemente auf die
unmittelbare Beeinflussung und Wahrnehmbarkeit durch den Menschen wiederum eingegrenzt. Die Hann´sche Definition (die im wesentlichen von allen nachfolgenden Klimatologen
bis heute verwendet wurde) konzentrierte sich ausschließlich auf physikalische Klimaelemente. Wenn auch von heutigen Klimatologen akzeptiert wird, daß chemische Substanzen in der
Atmosphäre verantwortlich sind für einen Klimawandel, so ist eine Beschränkung der Klimadefinition auf unmittelbar klimarelevante Spurenstoffe (Treibhausgase, Aerosolpartikel)
wiederum eine Eingrenzung, die zu einem nur begrenzten Verstehen des Klimasystems führt.
Eine Trennung chemischer Parameter von physikalischen Größen in der Atmosphäre oder
lediglich eine Auswahl einzelner Größen ist unzulässig. Klima bezeichnet den Zustand der
Atmosphäre, wobei alle physikalischen und chemischen Prozesse mit zu berücksichtigen sind.
Das Klimasystem kann im wesentlichen als Biosphäre + Atmosphäre beschrieben werden,
wobei wir in den biosphärischen Raum die Pedosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre und kleine
Teile der oberen Lithosphäre mit einbeziehen. Der Begriff Ökosphäre ist abzulehnen, da er
nichts anderes bezeichnen kann als die Biosphäre109 (alle Sphären können nur global betrachtet werden). Auch sollte der Begriff „Umwelt“ möglichst vermieden werden wegen seiner
unscharfen Definition. Umwelt-Forschung kann im engeren Sinne des Wortes auf vom Menschen (anthropogen) verursachte Veränderungen begrenzt werden. Ohne jedoch die natürlichen Prozesse mit einzubeziehen, kann kein Systemverständnis erreicht werden.
Die chemische Beeinflussung der Luft (Atmosphäre) erfolgt bereits seit historischen Zeiten
durch den Menschen; mit Sicherheit war das (chemische) Stadtklima vor 100 Jahren um ein
Vielfaches „gefährlicher“ als in der Gegenwart. Ein Erkennen des lokalen Klimas und seiner
negativen Wirkung auf Lebewesen (Bioklimatologie und Lufthygiene) haben zu besseren
Technologien sowie Maßnahmen der Luftreinhaltung geführt wodurch das lokale Problem der
„Luftverschmutzung“ abgeschwächt und sogar reduziert werden konnte. Das Anwachsen der
Weltbevölkerung bringt jedoch eine Erhöhung des Stoffumsatzes und damit verbundener
Emissionen mit sich. Weiterhin haben sich die anthropogenen Emissionen aus den klassischen
Industriegebieten des 19. Jahrhunderts regional und schließlich global verteilt. Darüber hinaus
ist die Emission von Stoffen mit hoher Verweilzeit (CO2, N2O, CH4, HVOC) überproportional
gestiegen, was die Atmosphäre dann global veränderte.
Die raum-zeitliche Darstellung der atmosphärischen Spurenstoffkonzentrationen ist das
Aufgabengebiet der chemischen Klimatologie, die ein Teilgebiet der Klimatologie ist. Die
Prognose (und historische Konstruktion) der Veränderung der chemischen Zusammensetzung
der Atmosphäre ist eine Basis für das Verständnis des Klimawandels; die Veränderung der
Luftzusammensetzung ist selbst Klimawandel.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die atmosphärische Konzentration der Gase Kohlendioxid, Distickstoffmonoxid, Methan und Ozon weiter ansteigen. Der dramatische Anstieg
halogenierter Kohlenwasserstoffe in der Atmosphäre konnte weitgehend abgebremst und
teilweise umgekehrt werden.
Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Klimarahmenkonvention zu einer auch nur merklichen
Wachstumsverringerung des CO2 innerhalb der nächsten 50 Jahre führt. Eine CO2Reduzierung wird erst mit einem signifikanten Energieträgerwechsel einhergehen, wohl nicht
109
Davon unabhängig sind die Begriffe Ökosystem, Biotop, Ökotop und Habitat gut charakterisiert und abgrenzbar.
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
149
vor Ende des 21. Jahrhunderts. Die Lösung des CO2-Problems ist technisch jedoch keine
Frage mehr. Hingegen werden mit der Nahrungsgüterproduktion verbundene Emissionen
(N2O und CH4) langfristig nur abzuschwächen sein; eine drastische Reduzierung ist nach
gegenwärtigen Wissenstand nicht möglich. Mit einem weiteren CH4-Anstieg wird auch der
globale Sockelbetrag an troposphärischen Ozon steigen.
Es ist notwendig, Sättigungsphasen zu erreichen im Sinne neuer noosphärischer Gleichgewichte und den stattfindenden Klimawandel – der neben der chemischen Änderung mit
Wandlungen physikalischer Größen (Temperatur, Niederschlag,...) einhergeht – in einem
neuen Klimastatus adaptiv durch die menschliche Gesellschaft gestalten zu versuchen.
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KORRESPONDENZ-ADRESSE:
Klimawandel - vom Menschen versursacht? 8. Umweltsymposium 2004. Akademie gem. Wiss. zu Erfurt.
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Detlev Möller
Brandenburgische Technische Universität
Institut für Boden, Wasser und Luft
Lehrstuhl Luftchemie und Luftreinhaltung
Postfach 10 13 44
03044 Cottbus
email: [email protected]
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