Vorlesung X Selbstmedikation und alternative Medizin

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Vorlesung X
Selbstmedikation und alternative
Medizin
Prof. Dr. Jürgen Hoyer
Dipl.-Psych. Katharina Schierz
Dresden, 23. Juni 2016
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Gliederung
1. Selbstmedikation
2. Der Placebo-Effekt
3. Alternative Medizin
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 2
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Selbstmedikation
= Behandlung von Krankheiten / Beschwerden oder
Einnahme von Medikamenten ohne ärztliche Rücksprache
•
rezeptfreie Medikamente (und Hausmittel)
•
7,15 Milliarden EUR jährlich (2012) 1/5 der verschriebenen Med.
(http://www.aerzteblatt.de/archiv/167893)
•
durch Praxisgebühr Verzicht auf Arztbesuch oder Einnahme von
„Restbeständen“
•
Stiftung Warentest (2002): 40% der getesteten Medikamente „nicht
geeignet“
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Gesundheitspsychologie
Folie 3
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
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Gesundheitspsychologie
Folie 4
Folie 4
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=31004
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Beispiel Generalisierte Angststörung
Diffuse Symptome laden zur
Selbstmedikation ein
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Gesundheitspsychologie
Folie 5
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
DSM-IV Kriterien für Generalisierte Angststörung (GAS)
A. Übermäßige Angst und Sorge (furchtsame Erwartung) bezüglich mehrerer
Ereignisse oder Tätigkeiten (wie etwa Arbeit oder Schulleistungen), die
während mindestens 6 Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten.
B. Die Person hat Schwierigkeiten, die Sorgen zu kontrollieren.
C. Drei der folgenden Symptome: Ruhelosigkeit, leichte Ermüdbarkeit,
Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Muskelspannung, Schlafstörungen
D. Sorgen sind nicht auf eine andere Achse-I-Störung beschränkt (z.B. Angst,
sich zu blamieren)
E. Relevante Beeinträchtigung
F. Symptome nicht direkt auf Drogen, medizinische Störungen, affektive oder
psychotische Störungen zurückzuführen (Abgrenzung zur Depression)
DSM-V: GAS-Definition mit geringfügigen Textveränderungen beibehalten!
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Gesundheitspsychologie
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Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Epidemiologie
•
•
•
12-Monatsprävalenz (BRD):
2,2%
(z.B. Jacobi et al., 2014)
Lebenszeitprävalenz (USA):
2,9%
(z.B. Kessler et al., 2012)
Geschlechterverteilung: Frauen beinahe doppelt so häufig
Verlauf:
•
Inzidenz: in jedem Alter möglich, insb. Aber bei älteren Menschen
(anders als bei anderen Angststörungen)
•
Verlauf: chronisch (meist retrospektive Daten)
Hauptproblem in der Versorgung: selten vom Hausarzt erkannt und
selten versorgt (Wittchen, Kessler, Beesdo, Krause, Höfler & Hoyer, 2002)
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Gesundheitspsychologie
Folie 7
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Beispiel Generalisierte Angststörung
Alles, was gegen „Ängste und
Nervosität“ hilft:
•
•
•
•
•
•
•
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Kava-Kava
Klosterfrau Melissengeist
„Kuren“
Ginkgo biloba (Tebonin)
Lavendelöl
Bibliotherapie
Gute Ratschläge
Gesundheitspsychologie
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Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Sorge dich nicht… / Don‘t worry…
Dale Carnegie
Bobby McFerrin
(1888-1955)
(*1950)
• weltweite Auflage: über 15 Millionen
• weit über 100 Monate auf diversen
Bestsellerlisten
• Erstauflage: 1944 („How to stop
worrying and start living“)
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„Don‘t worry!“ funktioniert nicht
mehr:
Gesundheitspsychologie
•
Patienten mit GAS können z.B.
einer Fernsehsendung nicht
mehr richtig folgen, weil sie
eigentlich mit ihren Sorgen
beschäftigt sind und diese eben
nicht „abstellen“ können
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
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Gesundheitspsychologie
Folie 10
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Gingko biloba
Ginkgo biloba bei Angststörungen?
(Wölk, Arnoldt, Kieser & Hoerr, 2007; Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG)
Eingesetzt als Demenzmedikament (Wirkung umstritten)
•
•
bei Älteren angstreduzierender Effekt beobachtet
auch bei Jüngeren?
Empirie
• N = 107 (> ¾ GAS; Rest Anpassungsstörung)
• 3 Gruppen: Placebo, niedrige Dosis, hohe Dosis
• Outcomes: HAMA, CGI, EAAS (Erlanger Skala für Angst,
Aggression, Spannung), Beschwerdeliste
 Ergebnis: G.b. war dem Placebo überlegen (in allen Maßen)
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Gesundheitspsychologie
Folie 11
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Gingko biloba
… eine der verwendeten Methoden: Hamilton
Anxiety Scale (HAMA) (Wölk et al., 2007)
= Fremdbeurteilungsinstrument zur Einschätzung des Schweregrades einer Angststörung (nicht der Diagnose)
•
14 Items
•
Fremdrating: 0 (nicht vorhanden) bis 4 (ernst)
•
Beispielitems:
•
•
•
•
•
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intellektuelle Beeinträchtigung: Konzentration & Gedächtnis
somatische Beschwerden: Muskelschmerz, Bruxismus
kardiovaskuläre Symptome: Schwäche, Herzklopfen, Brustschmerzen,
Tachykardien (Puls )
ängstliche Stimmung: Sorgen, Katastrophisieren
Furcht: vor Fremden, allein zu sein, der Dunkelheit
Gesundheitspsychologie
Folie 12
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Gingko biloba
… HAMA
Scores
(Wölk et al., 2007)
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Gesundheitspsychologie
Folie 13
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Gingko biloba
Ginkgo biloba als Alternative? (Wölk et al., 2007)
•
•
G.b. ist sicher und gut akzeptiert, bes. unter Älteren
keine Gefahr der Abhängigkeit (vs. z.B. Benzodiazepine)
Aber:
•
•
•
•
Diagnostik in der Studie rein klinisch
(orientiert am DSM, aber keine standardisierte Diagnosestellung)
HAMA erfasst auch intellektuelle und körperliche Symptome
Wirkmechanismus weitestgehend unklar
Co-Autoren
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Gesundheitspsychologie
Folie 14
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Gingko biloba
Alternative Medizin und Generalisierte Angst:
Effekte wie durch Psychotherapie!(?) (Hoyer & Moeser, in Vorb.)
ES = 2.8
Alternative Behandlungsmethoden für GAS (within-effects)
Studie
Methode
Dubois et al (2010)
Woelk & Schläfke (2010)
Sherman et al (2010)
Bonne et al (2003)
Balneotherapie
Lavendelöl (Silexan)
Massage
Klassische
Homeopathie
Bystritsky, Kerwin & Feusner
(2008)
Boerner et al (2003)
Woelk et al (2007)
Behandlungs
-dauer
8 Wochen
6 Wochen
12 Wochen
post
HAM-A Score
mean (SD)
12.4 (4.8)
13.7 (6.7)
14,9 (6.2)
N total
237
77
69
N treat
117
40
23
44
22
31.4 (7.2)
10 Wochen
21.7 (11.6)
Rosenwurz
Kava
10
129
10
43
23.4 (6.0)
23.14 (3.19)
10 Wochen
8 Wochen
14.10 (8.06)
8.37 (7.44)
Ginko biloba
107
67
32
35
480 mg
240 mg
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prä
HAM-A Score
mean (SD)
24.4 (3.7)
25.0 (4.0)
24.8 (5.7)
Gesundheitspsychologie
4 Wochen
30.7 (5.2)
29.7 (5.5)
14.3 (7.3)
12.1 (8.6)
Folie 15
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Gingko biloba
… ähnlich uneindeutig: Tebonin und Demenz (I)
Weinman et al., 2010; BMC Geriatrics
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Gesundheitspsychologie
Folie 16
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Gingko biloba
… ähnlich uneindeutig: Tebonin und Demenz (II)
Weinman et al., 2010; BMC Geriatrics
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Gesundheitspsychologie
Folie 17
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Johanniskraut
Johanniskraut (Hypericum; St. John‘s Wort)
•
Eingesetzt als „natürliches“ Antidepressivum.
•
Bei leichten und mittelschweren Depressionen Wirkung vergleichbar mit
Antidepressiva; überlegen gegenüber Placebo (Röder, Schäfer & Leucht, 2004; Linde et
al. 2005); jüngst in Frage gestellt: die neuesten und besten Studien zeigen
kleinere Effekte (Werneke, Horn & Taylor, 2004)
•
Potentielle Nebenwirkung: Lichtallergie; Wechselwirkungen mit Asthma-,
Herzmedikamenten oder der Pille
•
Beschleunigt Abbau anderer Medikamente in der Leber: bis zu 10-fache
Dosen nötig (z.B. SSRI - Antidepressiva)
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Gesundheitspsychologie
Folie 18
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Befunde von der Güte der Studien abhängig
Linde K, Berner M, Egger M, Mulrow C. St John's wort for depression: Meta-analysis of randomised
controlled trials. British Journal of Psychiatry 2005;186:99-107.
Folie 19
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Gesundheitspsychologie
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
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Gesundheitspsychologie
Folie 20
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Vorteil (?)
 Weniger
Absetzen des
„Medikaments“
(Linde et al, 2007)
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Gesundheitspsychologie
Folie 21
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Selbstmedikation – Gefahren
•
Medikamentencocktails (auch bei Selbstmedikation parallel zu Behandlung
ohne Wissen des Arztes)
•
Nebenwirkungen beachten (wirklich den Apotheker gefragt?)
•
„Natürlich“ ≠ Ungefährlich: Nebenwirkungen (Kava Kava:
Leberschäden vermutet; Zulassung ausgesetzt)
•
Abhängigkeitspotential: Schmerz-/Abführmittel, sogar Nasenspray
•
•
1,5 Mio. Medikamentenabhängige in D, davon
>1 Mio. Benzodiazepin-Abhängige
•
Verzögerung des Arztbesuchs
•
Förderung eines medizinischen Krankheitsmodells
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Gesundheitspsychologie
Folie 22
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Beispiel für Nebenwirkungen bei der
Selbstmedikation: „Bestäubungsmittel“ (SZ-Magazin)
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•
Ich bin nasensprayabhängig. Meine Nase ist immer
verstopft. Frei atmen kann ich nur, wenn ich mir alle fünf
bis sechs Stunden ein Schnupfen-medikament in die Nase
sprühe. Tue ich das nicht, fühle ich mich, als wäre eine
Vakuumpumpe an meine Nase angeschlossen, als würden
die Nasenlöcher zubetoniert ..
•
Entzug: Man kann wochenlang nicht schlafen, denn vor
allem nachts ist die Nase ständig verstopft. Man hat
Kopfschmerzen, wird übellaunig, befindet sich in einem
permanenten Dämmerzustand, der Mund ist
ausgetrocknet, man hechelt wie ein Hund. Und überhaupt:
Wenn man andauernd durch den Mund atmet, sieht man ja
auch etwas dümmlich aus. Trotzdem, ich will nicht länger
Junkie sein.
Gesundheitspsychologie
Folie 23
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Gesundheitspsychologie
Folie 24
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Selbstmedikation – Fazit
•
Nur bei leichten, diagnostisch sicher einzuschätzenden Beschwerden
•
Zeitlich beschränkt (max. 1-2 Wochen), niemals Dauergebrauch
•
Bei Verschlechterung sofort zum Arzt
•
Packungsbeilage beachten, Apotheker fragen
•
Viel hilft nicht zwangsläufig viel, sondern kann auch viel schaden
(Keine Wirkung ohne Nebenwirkung)
•
Wechselwirkungen beachten (chronische Erkrankungen)!
Aber: nicht selten hilft es doch
! PLACEBO-Effekt !
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Gesundheitspsychologie
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Gliederung
1. Selbstmedikation
2. Der Placebo-Effekt
3. Alternative Medizin
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Gesundheitspsychologie
Folie 26
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Der Placeboeffekt (I) (Kaptchuk, 2002)
= unspezifischer Effekt durch das Ritual der Behandlung und den
(gestärkten) Glauben an Besserung bei Anwendung nicht wirksamer
Medikamente oder Behandlungen.
•
Einige Jahrhunderte neben Erbrechen und Schwitzen der medizinische
Wirkmechanismus
•
Wirkung der Hälfte aller Medikamente vor 1950 vermutlich durch
Placebowirkung (biochemische Wirksamkeit in Folge zweifelhaft, Shapiro & Shapiro,
1997)
•
Kulturabhängig: Wirkung bei Magengeschwüren: Deutschland 60%;
Brasilien 6% – Schamanen und Rituale von heute?
•
Auch Tiere und Kinder sprechen auf Placebos an
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Gesundheitspsychologie
Folie 27
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
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•
Trennung spezifischer Effekt (Medikament) vs.
unspezifischer Effekt (Placebo) problematisch
•
Patienten können oft anhand von Nebenwirkungen
des Medikaments erkennen, ob sie in der
Versuchsgruppe sind – Erwartungen werden
bestärkt (rechts)
 Daher sog. „aktive Placebos“
Gesundheitspsychologie
Placebo
Placeboeffekt wird in klinischen Studien
berücksichtigt (links)
Placebo
•
Medikament
Placebo
Medikament
Placebo
Der Placeboeffekt (II) (Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008)
Folie 28
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Der Placeboeffekt (III) (de Saintonge & Herxheimer, 1994)
•
Ausmaß des (zusätzlichen) Placeboeffekts ~ Behandlungsart bzw. ritual:
•
•
Qualität:
•
•
•
Infusion > große Kapseln > kleine Tabletten
gelbe Pillen wirken eher stimulierend/antidepressiv
weiße eher schmerzlindernd
Richtung:
•
•
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wenn Ärzte ärgerlich, abweisend: negativ (Nocebo)
Steigerung wenn sie zeigen, dass sie an Wirkung glauben
Gesundheitspsychologie
Folie 29
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Der Placeboeffekt (IV)
Moseley et al. (2002): Chirurgie als Placebo
•
Arthrose – Schmerzen im Knie:
Kniespülung plus Glättung des Knorpels
•
Vergleich:
• Tatsächliche therapeutische Arthroskopie (Spülung; mit/ohne Glättung)
• vs. einfache Schnitte (nur Operationswunde = Placebo)
•
Ergebnis:
• Keine Unterschiede bzgl. Knieschmerzen und Beschwerden nach 1 und 2 J.
• Jährlich in Dtl. ca. 400.000 Arthroskopien
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Gesundheitspsychologie
Folie 30
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Der Placeboeffekt (V)
McRae et al., 2004
• Ebenfalls kein Unterschied zwischen der tatsächlichen und der nur
vorgetäuschten (sham surgery) OP (Stammzellentransplantation bei
Parkinson-Erkrankung).
• Diejenigen Patienten verbesserten sich am meisten, die glaubten,
sie hätten tatsächlich die OP erhalten.
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 31
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Nocebo-Effekt (I) (Engelhardt, 2004; Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008)
•
Placebos (Medikamente ohne Wirkstoffe) können ebenfalls
unerwünschte Nebenwirkungen haben: Müdigkeit, Kopfschmerz,
Nervosität, Übelkeit, Durchfall,…
•
… die nicht durch die pharmakologische Wirkung des Medikaments
erklärt werden können = Nocebo-Effekt
Eine Erklärung: leichte körperliche Symptome sind in der Bevölkerung
weit verbreitet, diese werden durch das Placebo besser wahrgenommen
und auf das Medikament attribuiert
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Gesundheitspsychologie
Folie 32
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Nocebo-Effekt (II) (Engelhardt, 2004; Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008)
•
In einer Medikamentenstudie erlebten circa 20% der gesunden
Vergleichspersonen Nebenwirkungen, obwohl sie in der PlaceboBedingung waren (Rosenzweig, Brohier & Zipfel, 1993).
•
Nebenwirkungen in Depressions-Behandlungsstudien in der Placebobedingung höher, wenn es um Trizyklika (relativ starke Nebenwirkungen)
gegenüber SSRI (geringere Nebenwirkungen) ging! (Rief et al., 2009)
•
Nocebo-Effekte häufiger, wenn behandelnder/verschreibender Arzt
verärgert oder zurückweisend
•
Kann Ursache für Non-Compliance sein
 Überschneidung mit optimalem Arztverhalten
(Vorlesung 9)
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Gesundheitspsychologie
Folie 33
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
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Gesundheitspsychologie
Folie 34
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Vom Placebo lernen (I) (Kaptchuk, 2002)
Der Placeboeffekt ist Element jeder (guten) medizinischen Behandlung:
•
Aufmerksamkeit & Anteilnahme
•
Beeinflussung und Steuerung von:
•
•
•
Erwartungen (Wirksamkeit der Behandlung/Handlungs-Ergebnis-Erwartungen)
Angst (Optimismus vs. Risikowahrnehmung)
Selbstaufmerksamkeit
•
Aktivierung sehr früh konditionierter Reaktionen:
krank: Arzt (weißer Kittel) -> Besserung
•
Therapeutisches Verhalten, das den Placeboeffekt verstärkt, findet sich
oft in unkonventionellen Therapiesettings! (TCM)
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Gesundheitspsychologie
Folie 35
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Vom Placebo lernen (II) (Kaptchuk, 2002)
Placeboeffekt schon in der Ausbildung explizit als therapeutischen
Mechanismus berücksichtigen!
•
Faktoren identifizieren und nutzen, die Wirkung maximieren &
Nebenwirkungen minimieren
•
Placeboeffekt am größten, wenn Kombination mit spezifischer Behandlung
•
langfristige, alleinige Wirkung zweifelhaft: vgl. emotions-orientierte
Bewältigungsstrategien (vs. problem-orientierte)
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 36
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Bewusste Gabe von „Placebo“: ethisch vertretbar?
(Engelhardt, 2004)
Transparenz und Partnerschaft (Compliance) vs.
gute Unterhaltung mit positivem Effekt (Placebo)?
•
Dilemma: je besser Patient informiert und aufgeklärt, desto resistenter
gegenüber Placebowirkungen
•
Bedeutung für Arzt (Lüge?) und Arzt-Patient-Verhältnis?
•
langfristige Folgen, wenn Placeboeinsatz bekannt wird?
•
Wirkung von Placebos früher als Beweis für einen „eingebildeten Kranken“ –
schlicht falsch
 Der Placeboeinsatz i.e.S. (Scheinbehandlung) ist ethisch problematisch
und vermutlich auch gar nicht notwendig!
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 37
Gliederung
1. Selbstmedikation
2. Der Placebo-Effekt
3. Alternative Medizin
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 38
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
TCM – Akupunktur (I) (Kaptchuk, 2002)
Akupunktur wirkt
•
•
Unklar:
Gegen Erbrechen nach
Operation/Chemotherapie und
Übelkeit bei Schwangerschaft
Gegen Zahnschmerzen
•
•
•
Chronischer Schmerz
Rückenschmerz (LBP)
Kopfschmerz
?
Akupunktur ist bei chronischem
Knieschmerz (Arthrose)
und chr. Rückenschmerzen
(Lendenwirbelsäule)
Kassenleistung!
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 39
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
TCM – Akupunktur (II) (Leibing et al., 2002)
Akupunktur bei chronischem Rückenschmerz (low back pain)
besser als Placebo?
•
N = 131; Patienten mit mind. 6 Monaten LBP
•
3 Gruppen:
•
•
•
23.06.2016
Gruppe 1: Physiotherapie
Gruppe 2: Physiotherapie + 20 x Verum-Akupunktur
Gruppe 3: Physiotherapie + 20 x Sham-Akupunktur
 = Placebo-Akupunktur: oberflächlich (nicht so tief) und nicht an
Akupunkturpunkten, sonst identisch
 = aktiver Placebo! (s.o.)
Gesundheitspsychologie
Folie 40
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
TCM – Akupunktur (III) (Leibing et al., 2002)
Ergebnis:
• (Verum)-Akupunktur ist Kontrollgruppe (1) überlegen bzgl.:
•
•
•
Schmerzintensität
Behinderung durch Schmerz
psychischer Stress
•
Auch noch nach 9 Monaten, aber schwächer
•
V-Akupunktur ist S-Akupunktur nur in der Reduktion des psychischen
Stress überlegen; nicht aber in Bezug auf: Schmerzintensität,
Behinderung durch Schmerz
 Spricht das jetzt für oder gegen Akupunktur?
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 41
Rubrik „Die spannende Studie“
| Selbstmedikation
| Placebo-Effekt
| Alternative Medizin
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 42
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Direkte Wirkung ist unwahrscheinlich!
(mindert)
Gingko/
Rotwein/
Johanniskraut...
23.06.2016
Depression
Gesundheitspsychologie
Folie 43
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Indirekte und unspezifische Effekte sind wahrscheinlicher
(kein Effekt)
Gingko/
Rotwein/
Johanniskraut...
Depression
Pos. Erwartungen
Mehr Aktivität
Erleichterung
23.06.2016
Gesundheitspsychologie
Folie 44
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Fazit – alternative Medizin
•
•
Oberstes Kriterium: keinen Schaden anrichten
Kein Ersatz für konventionelle Therapien bei ernsten Erkrankungen
 Gefährlich, wenn als Ersatz gesehen
 Evtl. Ressource, wenn ergänzend eingesetzt
•
•
23.06.2016
Unspezifischer Placeboeffekt sehr wahrscheinlich
Je nach Passung Krankheit – Arzt – Setting – Patient sogar Verstärkung
des Placeboeffekts
Gesundheitspsychologie
Folie 45
Selbstmedikation | Placebo-Effekt | Alternative Medizin
Fragen
•
•
•
•
•
Was verstehen Sie unter Selbstmedikation? Wie bewerten Sie sie?
Begründen Sie Ihre Antwort!
Erklären Sie den Placeboeffekt – auch an einem Beispiel! Überlegen
Sie sich Mechanismen, über die ein Placebo Wirkung entfalten kann!
Was ist ein Nocebo-Effekt? Nennen Sie Einflussgrößen!
Wie kann man die Wirkung unkonventioneller Therapien vor dem
Hintergrund des Placeboeffekts und Ihnen bekannter Konzepte wie
Selbstaufmerksamkeit, Optimismus und Selbstwirksamkeit erklären?
Sie erfahren vom Patient, dass dieser sich neben der Behandlung bei
Ihnen auch noch von einem Geistheiler in Hinblick auf seinen
Bluthochdruck behandeln lässt. Wie sollten Sie reagieren? Ihr Ziel:
Arzt-Patienten-Verhältnis und Compliance fördern/sichern.
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Gesundheitspsychologie
Folie 46
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