Teure Irrtümer

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BAUrecht
Möglich: Ist der Auftragnehmer bei seiner Kalkulation einem Irrtum aufgesessen, kann er den Vertrag anfechten
Teure Irrtümer
Mangelhafte Ausschreibungen Teil 3 Unter welchen
Voraussetzungen der Auftragnehmer den Vertrag wegen Irrtums
anfechten kann.
G
leiches Beispiel wie
in Teil 2 (SOLID
10/2005), andere Lösung: Der Ausschreibung für einen Tunnelbau lag
ein geologisches Gutachten bei,
das die Baugrundverhältnisse
beschrieb. Der Bauunternehmer verwendete das Gutachten
für seine Kalkulation. Im Zuge
des Tunnelvortriebs kam es
– wie so oft – zu unerwarteten
Erschwernissen, die aus dem
Gutachten nicht ersichtlich
waren.
Wie sich herausgestellt hat,
war das Gutachten objektiv
unrichtig und teilweise unvollständig. Die Rückschlüsse auf
das gesamte Gebirge waren
von einigen wenigen stichprobenartigen Sondierungsboh22
rungen unzulässig. Das war
für das Bauunternehmen nicht
erkennbar – es hätte selbst eine
Baugrunderkundung anstellen
müssen, um die Mängel des
Gutachtens zu entdecken. Der
Auftragnehmer kalkulierte seinen Preis auf Basis der vorhandenen Angaben – er hatte von
dem anzutreffenden Gebirge
jene Vorstellung, die ihm durch
die Angaben der Ausschreibung suggeriert wurde.
Irrtum möglich. Nach der Definition der ÖNORM B 2110 ist
eine Ausschreibung die Erklärung des Auftraggebers, in der
er festlegt, welche Leistung er
zu welchen Bestimmungen erhalten möchte. In aller Regel
wird der Auftragnehmer durch
genau diese Angaben, wie Leistungsverzeichnis, Vertragsbedingungen, Pläne oder Zeichnungen, zu einer bestimmten
Kalkulation des Auftrages veranlasst: Er überlegt sich die zu
erbringende Leistung in technischer Hinsicht und errechnet in
der Folge daraus einen Preis.
Schätzt er im Zuge dieses
Prozesses seine Kosten falsch
ein, und der – im Falle des Zuschlags – vereinbarte Werklohn
ist nicht kostendeckend, muss
er sich die Frage stellen, ob er
selbst einen Fehler gemacht
hat, indem er spekulierte statt
zu kalkulieren, oder ob es eine
Möglichkeit gibt, den geschlossenen Vertrag wegen eines so
genannten Kalkuationsirrtums
anzufechten.
Voraussetzungen. Ein Kalkuationsirrtum ist aus irrtumsrechtlicher Sicht nur dann relevant
und damit für eine Anfechtung
„nutzbar“, wenn die Kalkulation bei den Vertragsverhandlungen gegenüber dem Auftraggeber offengelegt wurde. Er
also Kenntnis von den rechnerischen Überlegungen hatte, etwa
durch Übergabe der K 7-Blätter
bei Angebotsabgabe oder anderer Art der Offenlegung.
Und: wenn die Kalkulation
zum Geschäftsinhalt gemacht
wurde, also Einverständnis
der Parteien besteht, dass das
Geschäft zu den kalkulierten
Bedingungen ausgeführt wird.
Hier ist zu beachten: Auft ra g s ve r h a n d l u n g s p ro t o kolle werden nur zum Geschäfts-(Vertrags)Inhalt, wenn
das ausdrücklich vereinbart
wurde. Man spricht dann
von einem Geschäftsirrtum.
Falls die Berechnung dem
Auftraggeber nicht kundgetan
wird, spricht man von einem
so genannten Motivirrtum,
der nur bei arglistiger Verursachung des Irrtums zur Anfech-
SOLID · november 2005
BAUrecht
tung berechtigt. Arglist wird nur
in seltenen Fällen vorliegen.
Alternativen. Folgende Voraussetzungen müssen – alternativ
- unbedingt vorliegen, damit
ein Vertrag wegen Irrtums angefochten werden kann:
 Der Irrtum wurde durch den
Auftraggeber veranlasst oder
 der Irrtum musste dem Auftraggeber offenbar auffallen
oder
 der Irrtum konnte noch
rechtzeitig aufgeklärt werden.
Von Veranlassung spricht man,
wenn der Irrtum vom Auftraggeber adäquat verursacht wurde. Es geht hier nicht um ein
Verschulden seitens des Auftraggeber oder seines Planers.
Ein Verschulden am Zustandekommen des Irrtums ist auf keiner Seite erforderlich. Es genügt
ein objektives – tatsächliches
– Bestehen des Irrtums und ein
für die Entstehung ursächliches
Verhalten des Auftraggebers, damit man von einer Veranlassung
sprechen kann.
Nur ganz offensichtlich unrichtige Angaben, deren Überprüfung dem Auftragnehmer
leicht möglich war, sind nicht
als zur Täuschung geeignete
Angaben anzusehen. Bei der
Komplexität der meisten Planungen in Kombination mit der
den Bietern zur Verfügung stehenden kurzen Zeit wird man
von offenbar leicht überprüfbaren Angaben aber nur sehr selten ausgehen können.
Aufhebung oder Anpassung.
Was heißt nun Anfechtung
konkret? Das kommt darauf
an, ob es sich um einen wesentlichen oder unwesentlichen
Geschäfts(Kalkulations)-Irrtum
handelt: Ein wesentlicher Irrtum bedeutet: Der Auftragnehmer hätte ohne den Irrtum das
Geschäft überhaupt nicht geschlossen. Das führt zur Aufhebung des Vertrages. Das ist bei
Bauprojekten eher schwierig zu
bewerkstelligen, die Leistungen
wären wechelseitig zurückzustellen – der Fantasie sind hier
keine Grenzen gesetzt.
Ein unwesentlicher Irrtum
liegt vor, wenn der Auftragnehmer ohne den Irrtum das
Geschäft zu anderen Bedingungen geschlossen hätte. Damit ist
insbesondere ein anderer Preis
gemeint. Das führt zu einer Anpassung des Vertrages: Es ist das
vertragliche Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung wieder herzustellen: Der
Auftragnehmer hat Anspruch
auf einen angemessenen Preis
– also auf einen Werklohn, der
jenem entspricht, den er kalkuliert hätte, wenn er sich bei seiner falschen Kalkuation nicht in
einem Irrtum befunden hätte.
Fristen. Ein Geschäftsirrtum
muss gerichtlich geltend gemacht werden: Entweder im
Wege der Klage mit dem Ziel einer Anfechtung wegen Irrtums
oder im Wege der Einrede als
Beklagter. Das Recht auf Anfechtung verjährt grundsätzlich
innert drei Jahren ab Vertragsschluss.
Vorsicht: Bei Projekten mit
längerer Laufzeit kann das
Recht schon zu einem Zeitpunkt
verjähren, zu dem man seinen
Irrtum noch gar nicht bemerkt
hat. Die Verkürzung der Verjährungsfrist ist vertraglich zulässig. Hier sollte man aufpassen.
Ausschluss. Der vertragliche
Ausschluss der Irrtumsanfechtung ist nach der Judikatur zulässig. Der Auftragnehmer sollte
auf der Hut sein. Besteht die
Möglichkeit, einen Ausschluss
der Irrtumsanfechtung „wegzuverhandeln“, sollte er diese
Chance unbedingt nützen.
Die aktuelle ÖNORM B 2110
regelt die Irrtumsanfechtung
nicht – es gilt die normalgesetzliche Lage.
■
Der SOLID-Experte
für Baurecht
SOLID · november 2005
Mag.
Wolfgang
Müller
Kanzlei Karasek,
Wietrzyk Rechtsanwälte (KWR),
Wien
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